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Nachwort

Der Name der am 27. Juni 1817 in Herzberg (Provinz Sachsen) als Tochter eines Majors geborenen, 1893 in Weißenfels gestorbenen Dichterin Marie Louise von François besitzt bei der deutschen Leserschaft einen guten Ruf. Der Ruhm, den Louise von François als Dichterin auch heute noch genießt, verbindet sich in der Hauptsache mit ihrem ausgezeichneten Roman »Die letzte Reckenburgerin«, der seit Generationen immer wieder seine dankbaren Leser findet.

Die Dichterin, die neben Marie von Ebner-Eschenbach die »stärkste weibliche Kraft« der Dichtung des 19. Jahrhunderts genannt werden darf, hat es im Leben schwer gehabt. Sie verlor früh ihren Vater und kam aus bitterstem Zwang zum Schreiben, um mit dem Ertrag ihrer Feder den blinden Stiefvater und die gelähmte Mutter zu erhalten, nachdem das väterliche Erbe durch einen Vormund vertan worden war. Nach langen vergeblichen Bemühungen, einen Verlag für ihren Roman »Die letzte Reckenburgerin« zu finden, entschloß sich schließlich der Leipziger Romanverlag Otto Janke, dieses Werk für das lächerliche Honorar von 330 Mark zu erwerben und zu veröffentlichen. Dann wurde Gustav Freytag auf die Dichterin aufmerksam, setzte sich in der Öffentlichkeit für sie ein, so daß sie bald zu einem durchschlagenden Erfolg gelangte. Wenn sie auch gelegentlich bekannte, daß sie niemals aus innerem Drang geschrieben habe, so dürfen wir doch mit Gustav Freytag sagen, daß wir in Louise von François eine Dichterin »von Gottes Gnaden« besitzen.

Das beweisen außer zahlreichen Novellen und Erzählungen, von denen wir in unseren »Bayreuther Feldpostausgaben« in mehreren Heften einige der schönsten und wertvollsten veröffentlichen, vor allem ihre drei großen kulturgeschichtlichen Romane »Die letzte Reckenburgerin«, »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne« und »Stufenjahre eines Glücklichen«. Von diesen drei Romanen werden »Die letzte Reckenburgerin« und »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne« in je zwei Heften ebenfalls im Rahmen der Bayreuther Feldpostausgaben erscheinen. Mit Recht stellt Adolf Bartels in Band II der großen Ausgabe seiner »Deutschen Literaturgeschichte« fest, daß man die genannten drei Romane von Louise von François als »geschichtliche Trilogie« auffassen dürfe, »in der die ganze Zeit von den Tagen Augusts des Starken bis an die Schwelle der modernen demokratischen Entwicklung, bis 1848 und noch darüber hinaus, deutlich gemacht wird. Deutlich zunächst auf dem Hintergrund der obersächsischen Heimat der Verfasserin, aber doch mit allen charakteristischen rein historischen Zügen, die für ganz Deutschland, ja für ganz Europa gelten«. An der gleichen Stelle rühmt Adolf Bartels den wirklich »historischen Geist« der Dichterin, der es ihr ermöglicht hat, in den drei Romanen nicht nur Geschichten, sondern Geschichte zu geben, wodurch sie zu »tadellosen Wiederspiegelungen der Zeit der Revolutionskriege, der Befreiungskriege und der Reaktions- und Revolutionszeit von 1830-1848 geworden sind«. Leider ist von diesen drei Romanen in den letzten Jahrzehnten immer wieder nur dem Roman »Die letzte Reckenburgerin« die Ehre widerfahren, von Zeit zu Zeit in einer Neuausgabe herausgebracht worden zu sein, wenn auch zugegeben werden muß, daß der umfänglichere Roman »Stufenjahre eines Glücklichen« sich weit weniger gut liest als »Die letzte Reckenburgerin«, so verdiente doch wenigstens das Mittelstück der Trilogie: »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne« mehr als bisher gelesen zu werden. Adolf Bartels ist sogar der Ansicht, daß jeder Deutsche, der die Geschichte seines Volkes »schauen« will, die geschichtlichen Romane der Louise von François lesen müsse. Diese Meinung können wir nur unterstützen, und wir möchten daher die Aufmerksamkeit der Freunde unserer »Bayreuther Feldpostausgaben« auch an dieser Stelle auf die von uns in zwei Heften vorgelegte Ausgabe des Romans »Frau Erdmuthens Zwillingssöhne« hinweisen.

Das hier vorliegende Bändchen enthält die an Spannungsmomenten reiche Erzählung von der tapferen Kluswirtin Judith, die einen so männlich harten Kampf gegen das Verhängnis ihrer Familie und ihres eigenen Lebens führt und in diesem Kampf Siegerin bleibt. Zu dieser Novelle gesellen sich in dem Heft: » Pflicht und Liebe« die drei Erzählungen »Der Posten der Frau«, »Fräulein Muthchen und ihr Hausmeier« und »Phosphorus Hollunder«, von denen die von fritzischer Haltung erfüllte und getragene Erzählung »Der Posten der Frau« als Zeitbild ebenso reizvoll ist, wie die Erzählung »Fräulein Muthchen und ihr Hausmeier« und die Geschichte von »Phosphorus Hollunder«, in der die Dichterin ebenfalls ihr volles Können zeigt.

Louise von François hat es mit feinem künstlerischem Spürsinn verstanden, in ihren Dichtungen die Atmosphäre der Zeit, in der diese spielen, nachzuschaffen. Das gilt außer der Art und Weise, wie sie das Fühlen und Denken ihrer Gestalten, deren Lebensauffassungen und Lebensführung zu zeichnen weiß, besonders auch im Hinblick auf die Sprache, die sie anwendet: es ist die Sprache des achtzehnten (»Die letzte Reckenburgerin«, »Der Posten der Frau«) und des beginnenden neunzehnten Jahrhundert« (»Frau Erdmuthens Zwillingssöhne«, »Fräulein Muthchen und ihr Hausmeier«), wovon sich die Sprache in »Phosphorus Hollunder«, in dem die zwei Liebenden sich zu ihrer Flucht bereits der Eisenbahn bedienen, recht deutlich abhebt, obwohl auch sie noch Anklänge an die vorhergegangene Entwicklungsstufe aufweist. Gekennzeichnet ist die Sprache dieser Entwicklungsstufe durch den für unser heutiges Gefühl überreichlichen Gebrauch von Fremdwörtern und französischen Phrasen, eine Erscheinung, die nur den starken Einfluß der französischen Kultur und des französischen Geistes auf das deutsche Leben in dieser Zeit illustriert. Zum Teil begegnen uns dabei Fremdwörter, die heute erfreulicherweise so völlig außer Kurs gekommen sind, daß viele von ihnen selbst der sprachkundige Leser nur noch mit Hilfe des Wörterbuches in ihrem Sinngehalt zu erschließen vermag.

Da es sich bei diesem Fremdwörtergebrauch zum Teil durchaus um ein die Atmosphäre der Zeit andeutendes Stilmittel der Dichterin handelt, mußten wir bei unserer Bearbeitung von einer grundsätzlichen Ausmerzung der verwendeten Fremdwörter absehen – nur in begründeten Einzelfällen wurde von diesem Verfahren Gebrauch gemacht. In anderen Fällen wurde eine Übersetzung des betreffenden Fremdwortes in Klammern beigegeben, wo auch dies nicht geschehen ist, da darf vorausgesetzt werden, daß auch der nicht sprachkundige Leser das betreffende Fremdwort ohne Übersetzungshilfe in seiner wörtlichen Bedeutung oder doch in seinem Sinngehalt versteht, so daß auf weitergehende Eingriffe in Sprache und Stil der Dichterin verzichtet werden konnte. Jeder Leser aber wird spüren, in welchem Ausmaß Louise von François das erreicht hat, worum sich mancher gegenwärtig lebende Verfasser historischer Erzählungen und Romane erfolglos bemühte, nämlich die Schaffung einer wirklich echten Atmosphäre der geschichtlichen Epochen, in denen die Menschen ihrer Dichtungen gearbeitet und gekämpft, gelebt und geliebt, gedacht und gefühlt haben, auch dies ein Beweis für die wahrhaft ursprüngliche dichterische Begabung dieser Frau. Es berührt einen seltsam, daran zu denken, daß nur die äußere Lebensnot es gewesen ist, durch die diese starke Begabung frei gemacht, aus ihrem Schlummer gleichsam erweckt wurde, erweckt zu der lebendigen Kraft, der wir die Dichtungen der Louise von François verdanken.

Dr. Hellmuth Langenbucher


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