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IV.

Der Weg leitet von den lichten Gipfeln zu Tal. (Es will Abend werden und ein Tag voll Mühsal und Herrlichkeit naht seinem Ende. Die glänzenden feierlichen Firn- und Felsenhäupter liegen hinter uns und der Blick wendet sich wieder nach den Tälern mit dem dunklen Ernst der Wälder, den blauen flimmernden weichen Schatten lind den lichten Bändern und weißen Lichtern darin, die da Flüsse, Felder und Häuser voll Menschensorgen sind. Frisch und würzig geht der Abendwind, umschmeichelt kühlend das verbrannte Antlitz und verscheucht die Ermüdung. Da noch ein letzter Blick von freier Höhe auf das weite, weite Tal mit den unzähligen Dörfern und Städtchen, in deren Grau schon Goldfünkchen zittern, während drüben an den Felsenkronen noch einmal das Glühen und Nachleuchten beginnt, als wären sie jetzt leise angezündet und lösten sich in lauter Licht und Schein. Zacke an Zacke, Kette an Kette verglimmt in der ruhigen dunklen Luft … nun nimmt uns das tiefe Dämmern der Wälder aus … Als wir heraustreten, weht warm und dumpf die Talluft … plötzlich ist man müde und im Bann der Alltaggedanken. Der Hochsinn ist verflogen, der erfrischende verjüngende Bann der Hochluft ist gebrochen. Ein glücklicher Tag ist vorbei.

Dem Nachsinnenden wirft er seine beste Frucht in den Schoß: eine Wahrheit über den Sinn des Lebens.

Die Natur in den Alpen, die uns heute so viel des Schönen geboten, sagt uns Ernstes und Tiefes über uns selbst, wenn man sich ihr hingibt, hat sie denn nicht mit Gleichnissen gespielt und immer wieder hingedeutet auf uns selbst und Partei genommen und Urteile gesagt im Streit der Meinungen über des Lebens Wesen und Richtlinien?

Wir fragen immer bei den Geisteswissenschaften an darum, als ob sie als höhere Macht über uns ständen und nicht unser Werk wären. Aber ist denn nicht der Hauch der Lüfte, der Segen unserer Mutter Erde, der Sonne Kraft und der Elemente Macht auch für uns so gut wie für die Alpenblume, der Demiurg, das lenkende, richtende und belohnende Schicksal? Wo gibt es ewige Richtlinien, wenn nicht an den Gesetzen des Seins, an deren Ewigkeit Völker und Menschen zerschellen wie Wellen an felsigem Ufer?

Die Natur der Alpen ist mir an einem köstlichen und reifen Tage vorbildlich gewesen, wie man Kulturwerte der Naturforschung entnehmen kann. Es ist die seichteste Art, sich den Alpenblumen nur mit ästhetischem Behagen zu nahen oder mit den kleinen Eitelkeiten bloßen Wissenwollens, was soll es denn wert sein, ihnen Geist und Herz zu öffnen, wenn nicht, damit sie uns einen unmittelbaren Nutzen für unser Leben mitgeben? Ich habe aus ihnen herausgelesen, wie ich mein Sein einrichten soll, um zur Harmonie mit dem Ganzen zu gelangen, die dann als Glück um unsere Häupter spielt.

Die Harmonie ihres Lebens hat mich den Mißklang des unsern hören lassen, wir sind van keinem anderen Leben erfüllt als diese Blumen und keinem anderen Gesetz untertan als sie – und doch leben mir so anders als sie, als die Lebendigen überhaupt. Denn wir sind nicht demütig genug gegenüber der Allmacht und versuchen die Bedingungen unseres Daseins zu ändern. Verstrickt in die unaussprechliche Wucht mit der der Erdball dahingerissen wird in unerkennbare Zukunft und Fernen, bäumen wir uns auf gegen Ewigkeit und Allkraft, was man Naturgesetz nennt und wollen Menschengeist der Natur gegenüberstellen. Das ist die Krankheit, an der die Menschheit jetzt sichtbar leidet.

Diese Naturwissenschaft, die seit kaum zehn Menschenaltern herangewachsen ist, ist deshalb das grundstürzend Neue, weil sie uns von dieser schwersten Krankheit heilt. Denn sie allein sucht die Gesetze, die Bedingungen unseres Lebens zu erkennen, mit dem ausgesprochenen Zweck, uns in bewußten Einklang mit ihnen zu bringen. Das erkenne ich jetzt als ihr höchstes Ziel.

Die Geisteswissenschaften handelten anders. Sie wollten den Menschen über sich selbst, über das All stellen, sie wollten ihn trennen in einen wertlosen Leib und eine kostbare Seele und die Teile gegeneinander zeitlebens kämpfen lassen. Was haben sie erreicht? Der Geist schuf sich zur Widernatur. Seine Welt: die Kultur erkrankte an der Vernachlässigung des natürlichen Menschen. Ich brauche keine Beweise. Die Kulturgeschichte seit Sokrates ist ein einziger Beweis, von da aus versteht man, woran Rousseau litt und was die große Tat Goethes war. Er gesundete daran und wurde vollmenschlich, weil er das Geheimnis der Antike wieder entdeckte. Er ließ den Geist nicht mit dem Körper kämpfen, sondern empfand beide als das heilige, das in der Ewigkeit verrauscht. Er war noch einsam mit seinen Gedanken als ob er auf der Bergeshöhe stände, aber seitdem hat ihm die Naturwissenschaft tausendmal recht gegeben.

Die Natur in den Alpen, die kleinen schmachtenden Bergnymphen und ihre Blumengeschwister sagen uns nur dasselbe, was Goethe lebte, was die Antike empfand: das »Innere« im Lebendigen sei das Leben selbst. Mit nüchterner Gelehrtenformel gesagt: das Seelische sei das Anpassungsmittel – in Menschensprache übersetzt: Unser Geist hat keinen andern Zweck, als uns das Leben lebenswerter zu machen …

Es ist ein Schiffbruch der Philosophie und ein Sieg der Lebenskunst zugleich, diese Erkenntnis: daß der Geist einen persönlichen hat, und nicht den, die letzte Wurzel des Weltursprunges zu erkennen.

Die Pflanze, die sich stets auf Neue dem Wechsel der Lebensbedingungen anpaßt, die sich mit dem Fünkchen »innerer« Befähigung, das sie zu entwickeln vermochte, immer wieder siegreich zu behaupten verstand, mit Listen, kleinen geschickten Bewegungen und hundert Wandlungen, sie gibt den deutlichsten Wink, wozu sich in uns Menschen dieses Fünkchen bis zur lodernden Flamme des Genies entwickelte. Nicht um des Menschen Kopf und Maß zu sprengen und ihn dem irdischen Dasein zu entreißen, sondern um ihn dorthin zu bringen, wohin auch die Alpenblume gelangte: auch am ärmsten Platz des Lebens sein Glück zu finden in vollkommener Anpassung an das Sein.

Die Natur hat uns in eine enge Grenze gebannt; sie bleibt ruhig bei allen Tollheiten mit der ihr Geschöpf die Grenzen überspringen will, aber sie straft es mit dem tragischen Schicksal aller »Erkennenden«.

* * *

Ich bin mir dessen bewußt, hier eine Philosophie der Resignation preiszugeben, für die jene »Erkennenden« nur ein Achselzucken haben. Aber ich bin nicht mehr so jung, um nicht glücklich zu sein, diesen stillen Winkel gefunden zu haben, in dem man sich so ergötzen kann an den wahren Freuden des Lebens: daß die Sonne so wärmt und die Vögel so heiter zwitschern und die linde Luft so blau und lieb mich umschmeichelt. Im übrigen tröste ich mich damit, daß das letzte Wort der Philosophie nicht anders klingt als meines. Man nennt es Pragmatismus und hat damit nichts anderes entdeckt, als was auch die sorglosen Tiere wissen und die stummen Pflanzen und manch' ein großer Mensch der Vorzeit: Wir sind nicht dazu da, um das Welträtsel zu lösen, mit den Worten der Frommen: um Gottes Plan zu durchschauen, sondern um das Recht des Lebens zu üben. Das ist die Philosophie der Alpenblumen, die da sagt in ihrer Sprache der Anpassungen: Füg' dich ein wie wir, in deiner Welt und nütze die kurze Spanne der Zeit! Dann bist auch du in deiner Art vollkommen und so heiter und schön wie wir!

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