Irene Forbes-Mosse
Der kleine Tod
Irene Forbes-Mosse

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17

(Auf der Fahrt.)

Und nun wird auf dem Tisch der Blumenstrauß stehn, den ich Euch schneiden ließ: Treibhausblumen; denn sie sollten ganz frisch sein, damit sie noch lange von mir reden. 134

Es war warm und dunstig im Treibhaus, das ging so weich durch die Lungen. Unsichtbare Tropfen rieselten ins Moos; die Scheiben waren ganz betaut. Der Gärtner ging vor mir her, die Sonne brannte auf seine weißen Ärmel, auf seine behutsamen Hände, sein volles grausilbernes Haar. Was ich wählte, schnitt er mir ab: Orchideen, wie schimmernde Täubchen auf einem Stengel, die eben auffliegen wollen, Kamelien, die nach Erde riechen, von den vollen gesprenkelten, wie sie an dunkelglänzenden Wänden auf Isola Bella blühn; seine römische Hyazinthen, die so viel schöner sind als ihre wohlgenährten holländischen Cousinen, und dann Azalien, die ganz süß duften, was so viele Menschen nicht wissen. Der Gärtner ging da herum wie der liebe Gott, mit seinem Bart und seinen guten Augen; es war ein rechter Zauberstrauß, den er mir schnitt.

Und nun fahr' ich in die Nacht, und ihr sitzt allein. Mattea, ja, ich weiß es, du hast die armen Blumenhäupter wieder aufgelesen, die ihr mir nachwarft, als ich davonfuhr. Und stehst nun da und siehst auf sie hin wie Salome, wenn sie Reue spürt. Laß sie auf der großen Kristallschüssel schwimmen wie Wasserrosen. So schwindelst du dem Leben noch einen Tag für sie 135 ab. Aber Menschenfeiern kosten Opfer. Und was nützte auch die Sparsamkeit? Ob nicht die törichten Jungfrauen ein klein, klein wenig Verachtung für die klugen hatten? Deren Öl doch am Ende ein bißchen ranzig geworden war . . .

Ja, nun denkt ihr an mich, Jorinde lächelt und Mattea stiert ins Feuer, als säh sie mein Schicksal in den roten Kohlen.

Jorinde! Du bist so frisch und klar; wie Knabenstimmen, wenn sie plötzlich einsetzen in einem dunklen verflochtnen Chor; eine lebendige Quelle, die weiter fließen muß, ganz frei. Hätten sie dich einfangen wollen und deine Ufer zertreten? O du warst klug, als du kämpftest um deinen leichten Sinn: der war ja deine Gesundheit, dein höchstes Gut. Wenn andre süße Getränke brauten, du hattest die frische, prickelnde Kohlensäure dazu!

Und Mattea! Mit deinen tiefen Lachgrübchen, trotz alledem! Und immer hast du geschenkt! So ritterlich. Wie ein ritterlicher Mann. Konntest Mord und Totschlag verzeihen; aber »etwas weitersagen« oder »sich auf Kosten andrer verteidigen« – nein, da kam der normannische Ritter zum Vorschein.

Da las ich gestern ein Gedicht, es schrieb's ein kluger, feinfühliger Mann, der viel zu früh gestorben ist. Und 136 an dich mußte ich denken, denn mir war, als säh ich deine Brüder vorüberreiten:

La belle MortH. Brewster.

      Tout seul parmi les rochers blonds,
C'est là qu'on peut dormir à l'aise,
Dormir son sommeil le plus long,
Sous le bruissement des mélèzes.

Fredonner encore une fois
La chanson chère à sa maîtresse,
Humer dans le frisson des bois
Un vent de sauvage allégresse.

Puis quand la mort murmure: Assez!
Entendre, très loin, dans l'espace.
Entendre, le poil hérissé,
Comme un bruit de drapeaux qui passent;

Et voir surgir au firmament
Les grandes silhouettes fières
Des siens, des Goths ou des Normands,
Qui chantaient en faisant la guerre...

Und deine seltsamen Skrupel, so kostbar machten sie dich mir, wie eine kleine Heilige, die nicht lesen kann und sich beim Schafehüten Rätsel aufgibt.

Einmal sagtest du: »Wenn wir die Armen nur recht 137 lieb hätten, dann brauchten wir uns gar nicht den Kopf zu zerbrechen, wie ihnen zu helfen sei.« Und ein andermal: »Wenn der Heiland bis zuletzt geglaubt hat, sein Tod würde den Menschen nützen, dann muß er in großer Glückseligkeit gestorben sein . . .«

Wie haben mir oft deine Hände leid getan . . . wenn ich sie so sanft schaffen sah; schöne, traurige Dienerinnen. Einmal aber hast du mich heftig und verstohlen geküßt und gesagt: »Laß niemand dran rühren. Es ist das Eine, Einzige. Und wenn man's auch tragen müßte wie einen glühenden Reif ums Herz.«

O wie fang' ich's nur an, glücklich zu sein und doch an dich zu denken?

 

18

Südliche Heimat

Wie ich zuletzt hier war, wie sah mich alles so traurig an; ich weinte nicht, das hatte aufgehört; aber wenn morgens die Fenster grau wurden, und immer heller: oh, dies Abwenden vom Tag!

Damals reiste ich im frühen Sommer nach dem einsamen Bergnest, wo die grünen Kastanienhänge gleich hinter dem Städtchen ansteigen, wo der kleine Marktplatz ist mit den vielen verwitterten Wappen. Den ersten Morgen wachte ich sehr frühe auf. Mein Bett war am Fenster, man konnte den Ellbogen aufs Fensterbrett stützen. Grad gegenüber stand der Berg, ganz blau im Dunst, und hoch oben hing ein Raubvogel in der Luft, ohne Flügelschlag; wenn er schrie, hier unten konnte man's nicht hören. Die kalte Luft blies mir übers Herz; ich lag und sah hinauf zu ihm und dachte: So kommt das Schicksal über einen! und 139 schlief wieder ein. Aber als ich dann aufwachte, meinte ich, es müsse irgendwo ein Geschenk für mich liegen. Und sehr bald darauf sah ich dich zum erstenmal. Ist das nicht fast schauerlich um solch erstes Sehen? Eine Tür, die sich öffnet, ein paar Schritte in ein Zimmer hinein, oder jemand, der um einen Weg biegt . . . und alles ist anders. Als der armen schönen Kaiserin das Messer ins Herz fuhr, sagte sie auch nur »was ist geschehn« . . .

 

18. November.

Es regnet viel, es regnet alle Tage. Wenn dann die Sonne kommt, ist alles so dankbar schön. Die Teerosen auf dem Tisch haben verfrorne Bäckchen zwischen den grauen Lavendelzweigen, im Kamin ist dasselbe Farbenduett, die Kohlen rosenrot in der Asche. Ich habe den Johanneskopf so lieb, der auf dem Kamin steht: die feinen schmerzlichen Brauen, den sehnsüchtigen Mund, den zarten sehnigen Hals. Ihm war Raum nötig und Einsamkeit, und der heiße Wüstenboden tat seinen Gliedern wohler als seiner Mutter Liebkosung.

Draußen glitzert die Sonne in den nassen Furchen. Früh pflügen die Ochsen im Nebeldampf, am Abhang 140 drüben. Die silbrigen Oliven, die weißen Ochsen, wie sie weich und schwer die runden Knie beugen bei jedem Schritt; die Erde, fett und rötlich, und die Hecke, braunviolett im Dunst, jeder Dorn besetzt mit einem glitzernden Tropfen: manchmal mein' ich, am schönsten sei es doch, wenn keine Blätter mehr sind, so nach dem Regen, alles ganz kahl und still und preisgegeben . . .

*

Alle Morgen, wenn ich eben wach werde, dann sage ich: Segen über dich! Ich bin jetzt gerne früh wach, es gibt so viel glückliche Gedanken.

*

Es ist eine Amsel in meinem Garten, die singt im Frühling ganz allein, auf dem höchsten Baum, wenn alle andern noch schweigen. Es sind Regentröpfchen in ihrer Kehle. Oh, wie war das Liedchen traurig, damals zur Osterzeit. Ich hatte das Haus voll Gäste, ein krankes Mädchen zu versorgen, kam den ganzen Tag nicht zum Denken. Und es war gut so. Aber dann, in der Nacht, war in meinem Herzen etwas Dumpfes, das sich dehnte, das am Tag eingezwängt gewesen. Und wenn's im Haus noch dunkel war, nur ein Bilderrahmen, ein Türschloß aufglühte hier und 141 dort, setzte die Vogelstimme ein, ganz süß und hoch, immer dieselbe kleine Phrase: Und hätte der Liebe, und hätte der Liebe nicht . . .

*

Heimgekehrt von einer Fahrt im Nebel. Nur noch selten rankt sich ein blaßgoldner Rebenzweig durch die Oliven, und man fühlt, wie locker seine Blätter sitzen. Die Ferne lag verschwommen im Dunst, die schmalen Wege, aufwärts zwischen fleckigen Mauern, mit Regengrau angefüllt. Die Oliven hingen naß und schwer herüber, voller Früchte; den kleinen runden, dunkelviolett wie Schlehen, und der spitzen, blaßgrünen Art. Große Zypressen, um die Landhäuser gestellt oder in Reihen, hinter Mauern: weiche düstergrüne Klumpen; aber in der Nähe jeder Zacken mit Silbertröpfchen behangen. Wie fein all die Farben im Dunst! Ein roter Karren, der mir, bergauf, entgegenkam, war ein Fest der Augen: wie das Rot kostbarster Säulentrümmer.

Man wird müde in der feuchten, schmeichelnden Luft; willenlos. Man schluckt das Schöne ein, es bedarf keiner Überredung. Nicht wie die stolze, überlegende Edeldame am Brunnen, die so behäbig und sicher dasitzt und das Für und Wider abwägt. Warum wendet sie nicht den Kopf ein wenig? Da ist auch 142 nicht das kleinste nachgiebige Zucken in ihren Wangen, während die andre, die so tausendmal Reinere, ihr mit den Augen zuspricht.

 

19

Worte sind große Zauberer. Oft ist's, als wechsle der Sinn mit dem Klang. Darum Übersetzen eine feine, feine Kunst ist.

Poverty: wie häßlich. Armut: karg und auserlesen, eine schöne hagere Spinnerin, ein Dornenzweig im Winter; oder der Umriß kahler, reiner Bergketten oder die hallende Zimmerflucht eines verlaßnen Jagdschlößchens: öde und vielsagend. Aber Poverty: das sind Lumpen und Schmutz und Hoffnungslosigkeit.

Lyslily – Lilie: Lys am schönsten meinem Ohr. Kelch und Klinge zugleich; das kühne, rasche Einsilbige, das im Mitlaut endigt. Lilie frömmer, weiblicher; ein ganzer Stengel mit Blüten und Knospen; die Blume der Verkündigung.

Und dann Frühling, Primavera, Spring! Das englische Wort frisch und furchtlos, ein kleiner David, 143 der die Schleuder spannt; der mit dem Lachen in den Augenwinkeln. Aber Primavera hat eine Schleppe, sie wandelt durch Laubengänge mit ihrem feinen goldenen Triangel, ping, ping, kleine zuckende Sonnenblitze auf den Pfaden . . . Und Frühling? Ja, da gehn die Leute schon vor den Toren spazieren, die Kinder pflücken Himmelsschlüssel . . . Das ist nicht mehr Spring, der in den Wäldern abenteuert, wenn an den Quellen noch Eisgrotten funkeln . . .

Rirelaugh – lachen. Das deutsche Wort ein bißchen grob, aber so aufrichtig; man meint die Erschütterung im Zwerchfell zu spüren. Das englische mehr jenes reizende Lachen junger schüchterner Menschen, das in den Augen beginnt. Rire – das ist unterdrückt, kann fast tückisch sein, ein Waldzwerg, der den Kindern die Erdbeertöpfchen umgestoßen hat. Aber riant ist ganz freimütig, große warme Wiesen voll Margeritenblumen und Heupferdchen.

So sieht mich jedes Wort mit seinem eignen Antlitz an. Bouche und bocca so häßlich, Mund reizend, Mouth amüsant, mit hochgezognen Winkeln. Lionardos heilige Anna hat einen Mund, keine bocca.

Bäume sind blätterreich, weich schauernd im Umriß. Pappeln und Linden, Hügel mit runden 144 Wipfeln, in die der Wind Grübchen weht. Es ist immer Sommer, wenn ich an Bäume denke. Arbre ist einsam und hart, hat einen rissigen Stamm und große leidenschaftliche Äste: Föhren und Eichen, das sind Arbres, Herbst und Winter und durstige Mittagsglut sind ihre Zeit. Aber tree ist schlank und feinästig, Buche oder Birke, etwas, das glatt aufschießt und sich strahlenförmig teilt wie eine Rakete.

 

20

Ich habe Bangs »Michael« gelesen. Mattea schickte ihn mir. Sie hat recht, wenn sie von dem alten Maler sagt: »Der Alte ist entzückend. So möchte man wünschen heranzutreten an Undank und Unverstand, so, schweigend zudecken, was Menschen Häßliches tun, die man einmal geliebt hat . . . das ist anständig.«

Ach, große Linien, und nicht so viel Kram, und viel Raum um sich her, danach sollte man trachten. Dann paßt sich auch das andre an. Auf hohem Bergeskamm in der Morgenstille, oder wenn über der Ebene der Abend verglüht . . . lieber Gott, wer denkt da noch an Vergeltung und all die kleinliche Rechnerei? Das 145 ist ja dann wie ausgelöscht. Und es gibt uralte Steinbilder, mit so milden Stirnen, wenn man davor steht, wie wird man so still. Aber auch zündende Marschmusik, oder der Anblick junger spielender Tiere, oder wenn viele, viele Menschen dieselbe große Freude haben . . . muß da nicht jeder Gedanke an Eigennutz verbleichen? Ach, sicherlich gehört das alles zusammen; da gehn Fädchen hin und her, wir können's nur nicht erkennen. Und es war nicht schlau vom Teufel, den Herrn auf einen hohen Berg zu führen, um ihn zu versuchen. Wie lagen da alle Reiche der Erde tief unter ihm, im Dunst; aber er sah weit über sie weg, in die Ferne! . . .

 

Später:

Was berührt nicht alles als schön! Ja, es muß da etwas sein, das die fremden Dinge geheimnisvoll verbindet, die zerstreuten Strahlen hinführt auf den einen zuckenden Punkt in unserer Seele. Wie Ellinor mit ihrem ältesten Jungen rang, zum Scherz erst, und sie sich dann schließlich ordentlich balgten, böse wurden wie zwei knurrende Panther, beide so kraftvoll geschmeidig: das war schön. Und ich habe Säulentrümmer im blühenden Klee liegen sehen in tiefster 146 Einsamkeit; schwarze Wolken am Himmel, Schafe schrien ängstlich, und alles dürstend, wartend, beinah grauenvoll . . . Ja, das werd' ich nie vergessen. Und dann sah ich nackte Soldaten in den Fluß reiten, wo die Sonne schon tief stand, und das Wasser zwischen den Weidenstümpfen glühte . . . wie sie weichlässig auf den glänzenden Tieren saßen und die schnoberten nach dem Wasser: wenn ich daran denke, wird mir kühlschaurig zwischen den Schultern, wie meist bei schönen Dingen, und als wüchse ich ein wenig.

Aber einmal auch, da war ein junger Rekrut, so ein rechter deutscher blonder Bauernjunge, mit hellen blauen Augen und vielen Sommersprossen, unbeholfen in der plumpen, schlechtsitzenden Uniform: der holte eine alte Bauernfrau am Bahnhof ab. Sie gingen zusammen den Damm entlang, da war alles blau von Wegewarte und weiß von Wiesenbart, und die Telegraphenstangen brausten und brummten. Sie gingen hintereinander, und einmal blieb er stehn und lachte verlegen und nahm der alten Frau den Korb ab. Mir drückte etwas das Herz zusammen und ließ plötzlich wieder nach, so zwei-, dreimal. Wie bei der schönsten Musik. 147

 

21

Wie reizend stehn die Teerosen zu der großen Photographie der schönen hauptlosen Parthenonfrauen. Sie gehören zusammen wie Schwestern; es ist da wie ein Echo der Rosenblätter, die sich am Rande umkrullen, zarte eckige Brüche bildend, in dem brüchigen Faltenwurf, den umgeschlagnen Säumen der Gewänder.

Wie doch die Pflanzen, die Hügel, das Gestein eines Landes zu seiner Kunst passen. Das muß ja auch sein; denn jene sind das, was das Auge zuerst aufnimmt, das, dem die Höhlung der Hand zuerst sich anpaßt, und darum, denk' ich, entwickelt sich die Kunst durch geheimnisvolle Mimicry, so und nicht anders, auf diesem oder jenem Erdboden, wie ja auch die Religion und die Schneehasen ihr Fell ihrer Umgebung anpassen. Und das harte gekräuselte Lorbeerblatt, die schöngeschuppten Pinienzapfen, der Schatten der Rebe auf der Mauer, das paßt zu den reinumrandeten, griechischen Dingen: auserlesen und doch so himmlisch alltäglich. Aber dort, wo ich Kind war, da weht und wispert es, da sind die Büsche schwer von Tau. Der Holunder schattet über den Weg, mit Blütenschirmchen und verborgnen Nestern; die 148 Dächer sind schräg und schützend, und in ihrem Schilderhäuschen sitzt Maria, freundlich und grau, und starrt in den Mond, der noch viel älter ist als sie . . .

 


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