Johann Gottlieb Fichte
Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution.
Johann Gottlieb Fichte

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Zweites Heft.

Viertes Capitel.

Von begünstigten Volksklassen überhaupt, in Beziehung auf das Recht einer Staatsveränderung.

Bis jetzt ging unser Weg die ebene Heerstrasse des Naturrechts; von nun an windet er sich durch die finstern Hohlwege gothischer Meinungen, und durch die Hecken und die Büsche einer halbbarbarischen Politik. Ich muss den Leser, der bis zu diesem Puncte mit mir kam, hier um Erneuerung seiner Nachsicht und seines Muthes bitten. Es ist nichts Leichtes, vor dem Richterstuhle der Vernunft gewissen Meinungen, die so wenig gewohnt sind, die Sprache derselben zu reden, ihr volles Recht widerfahren zu lassen; ihrer Unberedheit noch selbst zu statten zu kommen, Vertheidiger des Angeklagten, und gerechter Richter zu gleicher Zeit zu seyn. Wenigstens ist es nicht mein Wille, unbillig zu verfahren: nach der Maxime des Richters, jeden für so ehrlich zu halten, als es angeht, werde ich den Beklagten allenthalben die besten Gründe leihen, welche aufzufinden sind; sollte auch dann ihre Sache sich nicht behaupten, so wird es um so weniger zweifelhaft bleiben, ob sie sachfällig sey, wo sie sich mit schlechteren behilft.

Ausgezeichnete Staatsbürger sind solche, gegen welche die übrigen sich zu besonderen Leistungen verpflichtet haben, die ihnen jene nicht zurückgeben – etwa gegen andere Leistungen von ihrer Seite, die der ausgezeichnete von den übrigen Bürgern ebensowenig zurückerhält. – Ueber diese pflichtmässigen Gegenleistungen der ausgezeichneten lasst uns hier nicht hart seyn! – selbst ihre Herablassung, die Ehrenbezeugungen der geringeren Bürger anzunehmen, und einen Werth auf dieselben zu setzen, oder ihre Mühe, die Vorrechte, die wir ihnen verstattet haben, zu gebrauchen, unsere Dienste zu benutzen, und die an sie abgetretenen Einkünfte zu verzehren, mögen diese Gegenleistungen seyn, wenn sie wollen, dass wir es dafür aufnehmen. – Dass diese gegenseitigen Rechte und Verpflichtungen nur auf Vertrag sich gründen können, und dass die Gültigkeit oder Ungültigkeit dieses besonderen Vertrags auf den Grundsätzen der Verträge überhaupt, welche wir oben entwickelten, beruhe, fällt, ohne weitere Untersuchung, jedem sogleich in die Augen.

Meist alle Angriffe, die man auf die Gültigkeit dieser Art von Verträgen gethan hat, schienen sich auf den Zweifel zu gründen, ob auch wohl die gegenseitigen Leistungen der ausgezeichneten und der übrigen Staatsbürger als gleichgeltend zu betrachten seyen, oder ob etwa der wahre innere Werth der einen den der anderen unverhältnissmässig überwiege; ob der erstere durch seine Leistung den letzteren für die seinige auch wirklich bezahle, oder ob er etwa bei ihm noch sehr im Rest bleibe; ob da wirklich ein Tausch von Vortheilen vorgehe, oder etwa ein Theil von beiden über alle Maassen bevortheilt werde. Der Verdacht, dass mehrentheils wirklich der letztere Fall vorhanden sey, hat gemacht, dass man die Ausgezeichneten auch Begünstigte genannt hat; und da ich nicht läugnen will, dass ich den gleichen Verdacht hege, so sey mirs erlaubt, die gleiche Benennung von hier an zu verfrühen, bis ich sie rechtfertigen werde. Nach unseren oben festgestellten und entwickelten Grundsätzen findet jene Bevortheilung über alle Maassen ganz sicher da statt, wo ein unveräusserliches Menschenrecht veräussert worden. Für ein solches ist gar kein gleichgeltender Ersatz möglich; ein solches dürfen wir nicht aufgeben, so lange wir nicht aufhören, Menschen zu seyn; ein Vertrag, in welchem es aufgegeben wird, ist schon an sich völlig ungültig und nichtig. Wir können demnach, zufolge unserer obigen Betrachtungen, als ausschliessende Bedingung der Gültigkeit jedes Begünstigungs-Vertrages festsetzen: dass kein unveräusserliches Menschenrecht durch ihn veräussert seyn müsse . Diese Bedingung ist von grosser Ausdehnung; sie ist aber die einzige. Unsere veräusserlichen Rechte können wir vergeben, wie, und gegen welche Bedingungen wir wollen; wir können sie umsonst verschenken; der andere hat nichts zu thun, als sie an sich zu nehmen; und der Vertrag ist vollzogen und in die Welt der Erscheinungen eingeführt.

Es ist ein unveräusserliches Recht des Menschen, auch einseitig, sobald er will, jeden seiner Verträge aufzuheben; Unabänderlichkeit und ewige Gültigkeit irgend eines Vertrages ist der härteste Verstoss gegen das Recht der Menschheit an sich. Für den Bürgervertrag insbesondere ist dies schon oben aus dem Materiellen desselben, aus seinem Endzwecke, erwiesen worden; für alle Verträge überhaupt lässt es sich aus den oben festgestellten Grundsätzen über die Form des Vertrages an sich ohne Mühe folgern.

Nemlich, im Vertrage ist die gegenseitige freie Willkür Grund der Rechte und der Verbindlichkeit. Dass nur über Dinge, die in unserer Willkür stehen, welche veränderlich ist, nicht aber über solche, in deren Rücksicht unser Wille durch das Sittengesetz unveränderlich bestimmt seyn soll, ein Vertrag stattfinde, ist oben erwiesen. Dass, sobald Eines von beiden Willkür über den Gegenstand des Vertrages sich geändert, die gegenseitigen Rechte und Verbindlichkeiten, mithin der Vertrag selbst, aufgehoben seyen, ist an dem gleichen Orte dargethan worden. Hier also bleibt nur die Frage noch zu beantworten: ob ein Mensch nicht etwa das Recht habe, sich im voraus zu verbinden, seine Willkür über einen gewissen Gegenstand nie zu ändern ; – etwa so, wie er verbunden ist, seinen Willen, seine Pflicht zu thun, nie zu ändern? Von ihrer Beantwortung hängt die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ab: ob die Unabänderlichkeit eines Vertrages mit dem unveräusserlichen Rechte der Menschheit vereinbar sey oder nicht? Da nemlich die Fortdauer des Rechts und der Verbindlichkeit im Vertrage sich auf nichts als auf die Fortdauer der freien Willkür gründen kann, so setzt die Unabänderlichkeit eines Vertrages nothwendig das Versprechen voraus, dass man seine Willkür über den Gegenstand des Vertrages nie abändern wolle. – Ich mache einen unabänderlichen Vertrag, heisst: ich mache mich anheischig, meinen jetzigen Willen über die im Vertrage begriffenen Gegenstände nie zu ändern.

Die Willkür an sich, insofern und weil sie das ist, ist vom verbindenden Vernunftgesetze völlig befreit; ihre Richtung hängt ab von physischen Ursachen, die das Maass unserer Einsicht bestimmen. Ich ergreife die Entschliessung, die mir jedesmal die nützlichste und zuträglichste scheint, und ich habe durch die Erlaubniss des Sittengesetzes dazu das vollkommenste Recht. Meine Willkür ändert sich nothwendig, so wie meine Einsichten ab- oder zunehmen. Das Versprechen, sie nicht zu ändern, wäre ein Versprechen, seine Einsichten nicht zu vermehren und zu vervollkommnen. Ein solches Versprechen aber darf kein Mensch geben. Jeder hat die Pflicht , mithin auch das unveräusserliche Recht, ins unendliche an seiner Vervollkommnung zu arbeiten, und seinen besten Einsichten jedesmal zu folgen. Er hat demnach auch das unveräusserliche Recht, seine Willkür nach dem Grade seiner Vervollkommnung abzuändern; keinesweges aber das Recht, sich zu verbinden, dass er sie nie abändern wolle. Die Clausel in einem Vertrage, von welcher Natur er auch sey, dass er unabänderlich seyn solle, ist demnach völlig leer und nichts bedeutend, weil sie gegen ein unveräusserliches Menschenrecht verstösst; es ist völlig so gut, als ob sie nicht da wäre.

Dennoch steht die einseitige Aufhebung selbst des nachtheiligsten Vertrages unter den Bedingungen aller einseitigen Vertragsaufhebungen. So sehr du auch bevortheilt seyest, du hast nicht nur das Recht nicht, die Wiedererstattung desjenigen zu fordern, was der andere einmal mit deinem guten Willen in sein Eigenthum aufgenommen hat, sondern du hast sogar ihm den Schaden, in den er erweislich durch die Rechnung auf die Fortdauer deines zurückgenommenen guten Willens gekommen ist, zu ersetzen. Das Vergangene ist vergangen: für die Zukunft magst du deine Maassregeln besser nehmen. Du hast Rechte, mit denen du nichts anfangen konntest, verschenkt; jetzt hast du gelernt, sie besser zu nutzen: fordere die Ausübung derselben zurück, aber ahnde nicht den Misbrauch, den man vorher von deiner unbedachten Güte machte; du hast allein dir ihn zuzuschreiben. Du hast edle Vorzüge gegen ein Linsengericht verkauft; du bist freilich bevortheilt: – wenn du das erkennst, so nimm sie zurück, und koste seines Linsengerichtes nicht mehr. Es wäre höchst ungerecht, dich zu nöthigen, ein Thor zu bleiben, weil du es einmal warst: aber es ist gar nicht ungerecht, dass du die Folgen deiner vorigen Thorheit tragest.

Sobald demnach der unbegünstigtere Bürger anfängt zu merken, dass er durch den Vertrag mit dem begünstigten bevortheilt sey, so hat er das völlige Recht, den nachtheiligen Vertrag aufzuheben. Er entbindet jenen seines Versprechens, und nimmt dagegen das seinige zurück. Er hebt entweder die Leistungen, zu denen jener sich verpflichtet hatte, ganz auf, weil er ihrer entbehren zu können glaubt, oder er denkt darauf, sie um einen wohlfeileren Preis zu haben. Er findet es etwa nicht mehr so ehrenvoll für sich, dass eine Handvoll Adeliger oder Prinzen auf seine Kosten einen glänzenden Hofstaat bilde, oder nicht mehr so zuträglich für das Heil seiner Seele, dass eine Schaar von Bonzen sich von dem Marke seiner Ländereien mäste, – oder er bietet etwa die wenigen ihm nöthigen Kriegsdienste gegen erträglichere Bedingungen aus. Wer ihm die gelindesten macht, dem wird er jene Leistungen übertragen. Wer dürfte dies dem Staate wehren?

Dem Staate, sagte ich; – und indem stehe ich vor einem mächtigen Einwurfe, dem: der Begünstigte ist auch Staatsbürger; es lässt mithin ohne seine Zustimmung über die Aufhebung seiner Privilegien nichts allgemein verbindendes sich ausmachen. – Aber, das ist nicht wahr: der Begünstigte, insoweit er das ist, ist sicher nicht Bürger. Er hat einen Vertrag mit den übrigen Bürgern geschlossen, sagt ihr. Konnte er das als Staatsbürger, der keinen eignen Willen hat, und der erst in Verbindung mit allen übrigen eine moralische Person aus macht? Er war Partei, als er seinen Vertrag schloss; er ist es, indess dieser Vertrag durch die andere Partei aufgehoben werden soll; er wird sich gefallen lassen, zu schweigen, so lange über die Aufhebung desselben berathschlagt wird. Wenn diese Sache abgethan seyn wird, dann wird er sein Stimmrecht als Staatsbürger wieder erhalten. Wenn es in Frage kommen wird, wie und auf welche Bedingungen die von ihm erledigten Verwaltungen wieder besetzt werden sollen, dann mag er seine Meinung sagen. Wenn z. B. die Frage über den Adel entstände, so darf er wohl sagen: es sollen in unserem Staate Adelige seyn; aber er darf nicht sagen: ich will in unserem Staate ein Adeliger seyn.

Aber unsere Begünstigten nehmen sich anders. Indem wir den Vertrag mit ihnen aufheben, und ihre etwanigen Leistungen auf mildere Bedingungen anderen übertragen wollen, zeigen sie uns ihre persönliche Berechtigung vor, diese Leistungen ausschliessend vor allen anderen zu verwalten; ein Verbot für jeden anderen, sich damit zu befassen: und, wenn ihnen das durchgeht, so sind wir schlimmer daran, als vorher. Wir müssen diese Leistungen fernerweitig von ihnen annehmen; wir dürfen sie nicht aufheben; denn sie sind darauf angewiesen, sie zu verrichten: wir dürfen sie keinem anderen auftragen, sie sind ausschliessend darauf angewiesen; wir können mit ihnen nicht markten, sie verhindern alle Concurrenz; sie schlagen uns ihre Dienste so hoch an, als sie wollen, und wir haben nichts zu thun, als zu bezahlen. – Wir wollen z. B. keine Verzierungen an unserem Staatsgebäude mehr, die weiter nichts sind, als Verzierungen. »Nein, sagen sie, solche Verzierungen müssen seyn, denn wir sind dazu da, diese Verzierungen auszumachen, wenn sie nicht mehr sind, so werden auch wir nicht mehr seyn.« – Wohl, sagen wir, aber warum sollt ihr denn auch seyn? »Weil Verzierungen seyn müssen,« antworten sie. – Wir wollen unnütze Dinge abschaffen. – »Nein, sagen sie, diese Dinge sind gar nicht unnütz; sie sind uns nütze.« – Ja, aber was nützt ihr denn? – Wir nützen, um jene Dinge zu benutzen – und wir sind um keinen Schritt weiter mit ihnen. Wir müssen demnach wohl, ohne weiter auf sie zu hören, untersuchen, was das denn eigentlich für eine Berechtigung ist, die sie vorzeigen.

Sie, nur sie sind abschliessend berechtiget. – Wer sind denn diese Sie; durch was werden sie denn von allen anderen, die nicht diese Sie sind, unterschieden; was ist denn ihr ausschliessendes Kennzeichen? Nicht auf jenen vorausgesetzten Vertrag gründet es sich, den wir aufheben wollten; ihr Recht soll ja älter als jeder Vertrag mit ihnen seyn. Es muss demnach wohl ein angebornes, ein auf sie vererbtes Recht seyn. Nun kennen wir keine angebornen Rechte, als die allgemeinen Menschenrechte, und deren ist keins ausschliessend. Ihr Recht müsste demnach doch zuletzt, wenn auch gleich nicht von ihnen, dennoch von einem anderen erworben seyn, der es auf sie übertragen hätte; und zwar durch Vertrag müsste es erworben seyn, da kein Recht auf Personen anders erworben werden kann. – Wir wollen jetzt nicht nach diesem Vertrage suchen. Es leuchtet aus dem obigen ein, dass wir das völlige Recht hätten, die Verbindlichkeit desselben für uns aufzuheben und zu vernichten; wir wollen jetzt nur von der sonderbaren Rechtsübertragung reden, deren rechtskräftige Gültigkeit hier vorausgesetzt wird.

Jedes Recht auf Personen beruht auf einer Verbindlichkeit des anderen Theils; und hier, da von keinem natürlichen Menschen-, sondern von einem erworbenen Bürgerrechte die Rede ist, auf einer Verbindlichkeit, die nicht das Vernunftgesetz, sondern die eigne freie Willkür auflegte; und es setzt demnach einen Vertrag voraus. Das Recht wird übertragen , heisst: der eine Theil setzt, statt seiner, eine andere Person in den Vertrag ein . Dass dies wenigstens mit Wissen des verbundenen Theils geschehen müsse, ist offenbar; denn wie sollte er sonst wissen, gegen Wen er seiner Verbindlichkeit genug zu thun habe? Dass es auch mit seinem Willen geschehen müsse, folgt in unserem Systeme unmittelbar daraus, weil nur durch seinen fortdauernden Willen sogar mit dem ersten eigentlichen Contrahenten der Vertrag fortgedauert hätte; aber wir können hier dem Gegner dies völlig schenken. Wenn der eingesetzte Theil nur auf die gleichen Bedingungen in den Vertrag eingesetzt worden, so könne dies der anderen Partei völlig gleichgültig seyn, mag er immer sagen; so lange diese zweite Partei nur eine und ebendieselbe Person bleibt.

Aber bei der Rechtsübertragung, von welcher hier die Rede ist, bei der Rechtsvererbung in unseren Staaten bleibt sie nicht eine und ebendieselbe Person: auch der, welcher die Verbindlichkeit übernommen hat, soll einen anderen an seine Stelle in den Vertrag eingesetzt haben. Wenn es wirklich ein Vertrag zwischen einer begünstigten und einer bevortheilten Partei ist, so ist völlig zu erwarten, dass der Stellvertreter des Begünstigten freiwillig und gern in den Vertrag eingetreten sey: aber ist wohl der Stellvertreter des Bevortheilten eben so freiwillig in ihn eingetreten: oder konnte der Bevortheilte ganz willkürlich seine Verbindlichkeit auf einen anderen übertragen, ohne bei ihm anzufragen, ob er sie übernehmen wolle? oder, welches eben das heisst, verbindet diesen ein fremder Wille? Ein fremder Wille verbindet nie ; das ist der erste Grundsatz alles Vertragsrechtes. – Mag doch hier immer der Begünstigte läugnen, dass der Bevortheilte noch während seines Lebens, sobald er wolle, seinen Vertrag aufheben dürfe; stirbt dieser Bevortheilte, so hört doch dann seine Verbindlichkeit gewiss auf, weil er ihr gar keine Genüge mehr thun kann. Wer aus der Welt der Erscheinungen herausgetreten ist, ist seiner Rechte darin verlustig und seiner Verbindlichkeiten entledigt. Verfolge ihn doch der Begünstigte in die andere Welt, und mache dort seine Ansprüche auf ihn geltend, wenn er kann; in dieser ist er einmal nicht mehr anzutreffen. – Aber den ersten den besten zu ergreifen, und ihm zu sagen: ich halte Anforderungen auf jemanden; er hat durch seinen Tod sich denselben entzogen; mir muss Genüge geleistet werden; komm, du sollst mir für ihn einstehen – wie sollte das angehen? – Aber er hat mich auf dich angewiesen, sagst du mir. – Dann bedaure ich, dass du dich hintergehen liessest; er hatte kein Recht über mich zu verfügen; das hat niemand, als ich selbst. – Aber du bist sein Sohn. – Aber darum nicht sein Eigenthum. – Er hat als Verwalter deiner Rechte, während deiner Unmündigkeit, dich in den Vertrag mit mir eingeschlossen. – Das durfte er wohl thun, bis auf den Zeitpunct, wo ich mündig seyn würde, nicht aber länger. Jetzt bin ich mündig und Verwalter meiner Rechte selbst, und gebe dir keines auf mich.

Geschah es aus einem kaum denkbaren Unverstande, oder geschah es in der deutlich gedachten unredlichen Absicht, die Untersuchung zu verwirren, und die Bestimmung zu erschleichen, die er durch Gründe nicht zu erzwingen hoffte, dass Herr RehbergS. 37. seiner oben angeführten Schrift. unter der Benennung Erbrecht das Recht, Sachen zu erben, die nicht ihr eigenes Eigenthum sind, und das Recht, Verbindlichkeiten von Personen zu erben, die doch wohl alle ihr eigenes Eigenthum sind, ohne weitere Unterscheidung zusammenfasste? Ich sollte meinen, beide, das erstere wohlgegründete und das letztere erdichtete und der Vernunft widersprechende Recht, wären sichtbar genug verschieden. Der Rechtsgrund des bürgerlichen ausschliessenden Erbrechts auf Sachen ist oben (S. 126-128.) entwickelt worden. Er gründete sich auf einen Vertrag aller Staatsbürger unter einander, ihr gemeinsames Erbrecht auf die Güter jedes Verstorbenen gegen das ausschliessende Erbrecht auf die Güter gewisser Verstorbenen aufzugeben. Beim Gegenstande des Vertrages, den Gütern, hatten sie hierüber nicht anzufragen; sie waren sehr sicher, dass diese gegen ihre Verfügungen keinen Einspruch machen würden. – Der Rechtsgrund eines Erbrechts auf übernommene Verbindlichkeiten der Personen könnte nur auf einem Vertrage der begünstigten Staatsbürger beruhen, ihr gemeinsames Erbrecht auf die Verbindlichkeiten aller Bevortheilten und Unterdrückten gegen das ausschliessende Erbrecht auf die Verbindlichkeiten gewisser Bevortheilten und Unterdruckten aufzugeben. Und jenes vorausgesetzte gemeinsame, gegen ein ausschliessendes veräussertes Erbrecht selbst – wenn es nicht etwa auf das Recht des Stärkeren, auf den rechtskräftigen Krieg Aller gegen Alle sich gründen, wenn jener Vertrag nicht etwa der Vertrag von Strassenräubern seyn soll, die in einer Höhle ihre Beute friedlich theilen, damit sie nicht mit dem Schwerte über einander herfallen, und einander alle morden, wie er es doch nicht wohl seyn soll – worauf, sage ich, könnte denn dieses gemeinsame Erbrecht sich gründen, als auf einen vorhergegangenen Vertrag mit den bevortheilten Bürgern, ihre aufgegebenen Rechte nie zurückzufordern? – Hier gänzlich davon abgesehen, dass, laut obigem, ein solcher Vertrag an sich rechtsunkräftig ist, weil das unveräusserliche Menschenrecht, seine Willkür, zu verändern, darin veräussert wird – wo sollen denn nach dem Absterben der ersten bevortheilten Bürger andere herkommen? wo sollen die zu vererbenden Verbindlichkeiten her entstehen? Will man denn die Personen, welche sie übernehmen sollen, ebensowenig darüber fragen, als man im Erbvertrage über Sachen die Sachen fragte? Ohne Zweifel wird man auch auf diese Frage ohne Bedenken Ja antworten, in einem Systeme, wo gar keine Gleichheit unter den Menschen zugegeben wird, als die vor Gott in Beziehung auf die Kirche: und wenn gefragt würde, ob nicht die Menschen selbst als ein Eigenthum sich vererben, vertauschen, verkaufen, verschenken liessen, so musste man, diesem Systeme zufolge, auch darauf Ja antworten.

Wo man sehr einleuchtende Dinge sagt, überführt man am wenigsten, sagt Montesquieu; und es ist mir keinesweges unbekannt, dass ich hier Sachen vortrage, die gegen die allgemeinen Meinungsfragmente der Völker – sonst auch mit einem ehrlicheren Namen gemeiner Menschensinn genannt – gewaltig verstossen. Aber was kümmert das mich? Nehmt euch die Mühe, zu den Grundsätzen zurückzugehen, und stosst diese um; oder wenn ihr sie stehen lassen müsst, so seyd versichert, dass alles, was durch richtige Folgerungen daraus herfliesst, nothwendig richtig, und eure Meinung, die ihm widerstreitet, nothwendig falsch ist, und ob vom Anfange des Menschengeschlechtes an bis jetzo alle Menschen eurer Meinung gewesen wären. Von dem ersten gesetzgebenden Volke, das wir kennen, von den Aegyptern an, ist es freilich in allen Staaten angenommen gewesen, dass der Sohn in die Verbindlichkeiten des Vaters einzutreten schuldig sey, und darum meint der nach Autoritäten sich bestimmende Undenker, dass es doch wohl wahr seyn müsse. Aber in mehreren der Staaten, welche mit ihren Gesetzen ihre Meinungen auf uns fortgepflanzt haben, wurde es auch für rechtmässig gehalten, dass der Vater sein neugebornes Kind wegsetze, oder sein erwachsenes am Leben strafe, ohne dass irgend jemand das Recht habe ihn zu fragen, warum? Wie kommt es, dass man neben der ersteren Meinung nicht auch die letztere beibehalten hat? – Oder liegt nicht etwa beiden der gleiche Satz zum Grunde, dass das Kind ein Eigenthum des Vaters sey, mit welchem er nach Belieben schalten könne? – Oder ist es etwa härter, ein junges, noch gar nicht zum vollen Bewusstseyn seiner selbst gekommenes Kind hülflos verderben zu lassen, das vielleicht bei seinem Tode weniger empfindet, als eine Taube, die ihr würgt, oder ein erwachsenes, allen Mühseligkeiten des Lebens durch einen schnellen Tod auf einmal zu entziehen, als es hart ist, dasselbe im vollen Gefühl seiner Kraft und seines Rechts zu nöthigen, aus Furcht des Todes ein Knecht zu seyn sein Lebenlang? – Aber das kommt daher: – das Christenthum hat eine andere Meinung – für euch ist es nichts mehr als Meinung – von einer unsterblichen Seele des Menschen, und von dem Einflüsse seines hienieden zugebrachten Lebens, besonders seiner letzten Stunden, auf das Schicksal dieser Seele in einem anderen Leben unter euch gebracht, die einer so willkürlichen Verfügung über Menschenleben widerstreitet. Dasselbe, oder vielmehr seine dem Despotismus verkauften Diener haben vergessen, eine Meinung zu verbreiten, die der willkürlichen Verfügung über Menschenfreiheit widerspräche; und der Philosoph kann einmal nicht so der Volksmeinung gebieten, wie der begeisterte göttliche Gesandte. – In Absicht des ersteren Fragments eurer unzusammenhängenden Meinungen habt ihr euch durch eine sanftere menschlichere Religion umstimmen lassen; in Absicht des zweiten bestimmt euch noch immerfort die rohe Denkungsart halber Wilden, die jetzt den ersten Schritt thaten, sich vom Menschenfleische zu entwöhnen. Kann es eine andere Denkungsart seyn, als eine solche, welche von der gedrückten Lage eines Mitmenschen, der nun einmal keine gute Mahlzeit verspricht, doch allen möglichen übrigen Vorurteil zu ziehen sucht – die ihm das Versprechen einer lebenslänglichen Sklaverei, mit der gänzlichen Verzichtleistung auch nur auf den Wunsch der Freiheit, abfordert; und wenn der Geängstete das versprochen hat, sich die Unterthänigkeit seiner Kinder gegen die Kinder des Unterdrückers – und wenn er in der Angst seines Herzens auch das versprochen hat, sich die gleiche Unterthänigkeit für das dritte, dann für das vierte, dann für das fünfte Glied, und dann für alle möglichen Generationen ins unendliche hinaus versprechen lässt? – und kann das jemand versprechen, als im Angesichte des brennenden Holzstosses und des Spiesses, an welchem er geröstet werden soll? – Sehet da eure Autoritäten!

Selbst der starkmüthige Herr R. will Männern, die bei Anwendung solcher Grundsätze auf den gegenwärtigen Zustand der Welt etwas fühlen sollten, das sich in ihrem Herzen empöre, nicht alle Einsicht absprechen, und ihnen ihre wehmüthigen Empfindungen nicht zum Argen auslegen: aber seine Gutmüthigkeit ist nicht von langer Dauer. »Man zerstört einmal, sagt er. alle Möglichkeit einer bürgerlichen Ordnung, wenn das, was ein Vorfahr, und wäre es auch vor einer Million Jahren gewesen, vielleicht aus Noth gethan« (wozu er sich verbunden hat, will er sagen),S. 60. – Fast keine Zeile dieses Mannes, der nicht aufhört, über unbestimmtes Geschwätz zu schreien, kann man abschreiben, ohne ihm die Ausdrücke verbessern zu müssen. »nicht noch diesen späten Erben binden soll. Kein Staat könnte bestehen, wenn nicht Kinder oder andere Erben genöthigt wären, in die Stelle der Verstorbenen zu treten.« Soll dies heissen: keiner der jetzt bestehenden Staaten könne, so wie er jetzt ist, bestehen, wenn nicht auch jene Verfassung, so wie sie jetzt ist, bleiben sollte, so hat er völlig recht, und es bedurfte seines Scharfsinns nicht, um uns dies zu entdecken. Soll es aber heissen: es sey überhaupt keine bürgerliche Vereinigung ohne diese Veranstaltung denkbar, und diese sey in jenem Begriffe als Merkmal enthalten, so würde ich daraus folgern, dass die bürgerliche Vereinigung an sich völlig vernunftwidrig und unrechtmässig sey, und dass keine geduldet werden müsse. – Es soll eine bürgerliche Verfassung seyn: dies ist ohne Ungerechtigkeit nicht möglich: mithin müssen Ungerechtigkeiten begangen werden; wäre dann Herrn R.s Folgerung. Ich hingegen würde so folgern: es sollen keine Ungerechtigkeiten begangen werden: ohne diese ist keine bürgerliche Verfassung möglich; mithin muss keine bürgerliche Verfassung seyn. Die Entscheidung unseres Streites würde dann von der Beantwortung der Frage abhangen: ob es letzter Endzweck des Menschengeschlechtes sey, in der bürgerlichen Vereinigung zu leben, oder, ob recht zu thun? – Die Prüfung der R.schen Behauptung an sich, dass, ohne jene Einrichtung die bürgerlichen Verbindlichkeiten forterben zu lassen, gar keine Staatsverfassung möglich sey, gehört hieher nicht. Ich rede noch nicht von den möglichen Einrichtungen einer bestimmten Staatsverfassung, sondern von den ausschliessenden Bedingungen der moralischen Möglichkeit aller Staatsverfassungen überhaupt.

Bis jetzt haben wir die Gültigkeit der Begünstigungsverträge in Absicht auf ihre Form untersucht, und haben gefunden, dass nicht nur keine Vererbung der Begünstigungen stattfinde, wie man vorgeben wollte, sondern dass sogar der unmittelbare erste Contrahent jeden Vertrag, durch den er sich bevortheilt glaubt, aufheben könne, sobald er wolle. Wir erinnerten, dass in diesem Falle der einseitig Aufhebende zur Zurückgabe und Schadenersatz verbunden sey. Um diesen Ersatz schätzen zu können, haben wir jetzt noch eine Untersuchung über Begünstigungsverträge ihrer möglichen Materie nach, d. h. über die Gegenstände solcher Verträge, anzustellen. – Nur Einen denkbaren Gegenstand eines solchen Vertrages müssen wir sogleich, ehe wir ihn in seiner Reihe finden, vorausschicken. Nemlich, es dürfte jemand glauben, die gemeinen Glieder des Staates könnten in einem Vertrage an eine begünstigte Bürgerklasse, oder auch wohl an Einen Begünstigten das Recht, etwas an der Staatsverfassung zu ändern, ausschliessend abgetreten haben. Wäre ein solcher Vertrag geschlossen, so wären dadurch alle übrigen Begünstigungsverträge, als zur Staatsverfassung gehörig, für die ausgeschlossenen Bürger befestigt und unverletzlich gemacht. Dürften sie diesen ohne vorhergegangene Entschädigung nicht brechen, so würden sie auch keinen aller übrigen Begünstigungsverträge aufheben können, weil für die Aufhebung des ersteren keine gleichgeltende Entschädigung möglich ist, als die Beibehaltung der übrigen, mithin jenes Vertrages selbst. – Aber ein solcher Vertrag ist schon an sich null und nichtig, eben darum, weil er alle übrigen Begünstigungsverträge für einen Theil der Staatsmitglieder unabänderlich macht, mithin das unveräusserliche Menschenrecht, seine Willkür, zu ändern, aufhebt. – Ich thue gänzlich Verzicht auf das Recht, an dieser Verfassung irgend etwas abzuändern, und übertrage es einem anderen – heisst: ich will meine freie Willkür über die mir darin aufgelegten Verbindlichkeiten nicht abändern, ich will dasjenige, was ich heute für nothwendig und nützlich halte, so lange dafür halten, als es ein gewisser anderer dafür halten wird – und ein solches Versprechen ist doch wohl vernunftwidrig? Ein solcher Vertrag ist so gut, als nicht geschlossen: durch ihn wird demnach kein Staatsmitglied verhindert, seine Begünstigungsverträge aufzuheben.

Nur veräusserliche Rechte können, wie in allen Verträgen überhaupt, also auch in diesem, aufgegeben werden. Ein Leitfaden zur Auffindung aller veräusserlichen Rechte, wenn sich ein solcher sollte auffinden lassen, würde demnach das sichere Mittel seyn, alle möglichen Gegenstände der Begünstigungsverträge, so wie aller Verträge überhaupt, zu erschöpfen.

Veräusserliche Rechte sind insgesammt Modificationen unveräusserlicher Rechte: die letzteren können auf mannigfaltige Art ausgeübt werden: zu jeder Art der Ausübung hat das freie Wesen ein Recht; aber eben darum, weil es mehrere derselben giebt, ist ihrer keine an sich unveräusserlich. Uebe ich es auf diese Art nicht aus, so übe ich es auf eine andere: auf irgend eine Art ausüben muss ich es freilich, denn das Urrecht ist unveräusserlich.

Alle Urrechte der Menschheit lassen sich auf folgende zwei Klassen zurückführen: Rechte der unveränderlichen Geistigkeit , und Rechte der veränderlichen Sinnlichkeit . – Durch das Sittengesetz in mir wird die Form meines reinen Ich unabänderlich bestimmt: ich soll ein Ich – ein selbstständiges Wesen, eine Person seyn – ich soll meine Pflicht immer wollen; ich habe demnach ein Recht, eine Person zu seyn, und meine Pflicht zu wollen. Diese Rechte sind unveräusserlich, und aus ihnen entspringen keine veräusserlichen Rechte, weil mein Ich in dieser Rücksicht gar keiner Modification fähig ist. – – Alles in mir, was nicht selbst dieses reine Ich ist, ist Sinnlichkeit (in der allerweitesten Bedeutung des Wortes, Theil der Sinnenwelt), mithin veränderlich. Ich habe ein Recht, dieses veränderliche Ich in mir zu jener gegebenen Form des reinen Ich durch allmählige Bearbeitung desselben (welches eine Modification ist) zu bilden: ich habe das Recht, meine Pflicht zu thun. Da jene reine Form meines Ich unabänderlich bestimmt ist, so wird auch die in meinem sinnlichen Ich hervorzubringende Form dadurch unabänderlich bestimmt (nemlich in der Idee). Das Recht, meine Pflicht zu thun, ist nur auf Eine Art ausübbar, und keiner Modificationen fähig; mithin entspringen daher keine veräusserlichen Rechte. – Es sind aber in diesem meinen sinnlichen Ich noch eine Menge Modificationen übrig, die auf jene unveränderlichen Formen des reinen Ich nicht zu beziehen sind; Modificationen, über welche das unabänderliche Sittengesetz nichts festsetzt, deren Bestimmung daher in meiner Willkür steht, welche selbst veränderlich ist. Da sie dies ist, so kann sie jene Modificationen auf mannigfaltige Art bestimmen; zu jeder Art derselben hat sie ein Recht; aber alle sind an sich veräusserlich;« und hier erst ist es, wo wir auf das Feld der veräusserlichen Rechte treten.

Durch diese Willkür werden entweder meine inneren Kräfte, das, was in meinem Gemüthe vorgeht, modificirt; oder meine äusseren körperlichen Kräfte. Ich darf, in Rücksicht der ersteren, meine Betrachtungen auf einen gewissen Punct hinrichten, über diesen oder über andere Gegenstände nachdenken und urtheilen; ich darf dadurch mich dahin bringen, dass ich dies begehre, jenes verabscheue, diesen verehre, jenen gering achte, diesen liebe, jenen hasse. Da dieses alles veränderliche Bestimmungen meines Gemüthes sind, so wären die Rechte zu ihnen in moralischer Absicht nicht unveräusserlich; aber sie sind es in physischer. Sie dürften wohl veräussert werden, aber sie können es nicht, weil kein fremdes Wesen wissen könnte, ob ich meiner übernommenen Verbindlichkeit gegen dasselbe nachkäme oder nicht. – Man könnte bildlich sagen, sie würden oft an uns selbst, an unsere Urtheilskraft veräussert. Diese räth uns oft an, unsere Gedanken von diesem Gegenstande abzuziehen, ihn auf jenen zurichten; und die freie Willkür verwandelt diesen guten Rath in ein Gesetz für uns.Leider bin ich hier für alle die, welche sich einer gesetzgebenden freien Willkür noch nie bewusst geworden, sondern beständig durch die blinde Einbildungskraft, dem Strome ihrer Ideenassociation nach, geleitet worden sind, völlig unverständlich. Aber da liegt die Schuld nicht an mir. – Auch die Gedankenrichtung des Menschen ist frei; und wer sie noch nicht frei gemacht hat, ist gewiss keiner anderen Art der Freiheit empfänglich. – Es findet also gar kein rechtskräftiges Versprechen darüber statt, dass man über gewisse Dinge oder über gewisse Grenzen hinaus nicht nachdenken wolle; dass man einem anderen hold seyn, ihn lieben, ihn verehren wolle: denn, gesetzt auch, das stände gänzlich in unserer Willkür – wie könnte der andere sich je versichern, dass wir ihm Wort hielten?

Es bleiben demnach gar keine durch einen Vertrag zu veräussernden Rechte übrig, als die auf den Gebrauch unserer körperlichen Kräfte, auf unsere äusseren Handlungen.

Unsere Handlungen gehen auf Personen oder Sachen . Auf Personen üben wir entweder ein natürliches , oder erworbene Rechte aus. Das erstere, das Recht der Selbstvertheidigung durch Zwang, das Kriegsrecht, kann an einen anderen abgetreten werden; doch mit zwei Einschränkungen. Wir müssen uns das Recht vorbehalten, oder vielmehr es bleibt nothwendig, auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt unser, uns gegen einen schleunigen Angriff, der einen unersetzlichen Besitz, den unseres Lebens, in Gefahr bringt, und der das Erwarten fremder Hülfe unmöglich macht, selbst – und gegen den höchsten Vertheidiger unserer Rechte immer in eigener Person zu vertheidigen. lieber das erstere dieser Rechte hat im allgemeinen nie ein Zweifel stattgefunden, ohngeachtet es in den mehresten Staaten merklich gekränkt worden durch jene Rechtsängstlichkeiten, durch jene Forderung eines Erweises vom Falle der Nothwehr, der jedem so einleuchte, als in der Stunde der Angst uns selbst die Gefahr einleuchtete. Das zweite hat man in den mehresten Staaten völlig untergeschlagen, und durch alle Mittel, besonders durch Beredungsgründe, aus der christlichen Religion entlehnt, zur stummen Ertragung alles Unrechtes, das unsere Vertheidiger nicht rächen wollen, oder, weil sie selbst es uns zufügten, nicht rächen können, zur willigen Hingebung unter die Hand unseres Scheerers oder unseres Schlächters, uns zu überreden gesucht. Aber, weil es unterdrückt wurde, ist es darum nicht minder fest gegründet? – Du vertheidigst uns gegen alle Gewalt Anderer; das ist recht und gut: aber wenn du nun entweder selbst unmittelbar Gewalt gegen uns ausübst, oder dadurch, dass du die versprochene Vertheidigung unterlassest, die wir selbst nicht übernehmen dürfen, die Gewaltthätigkeiten anderer zu deinen eigenen machst, wer soll uns dann gegen dich selbst vertheidigen? Du selbst kannst nicht dein eigener Richter seyn; dürfen wir gegen dich uns nicht selbst Recht verschaffen, so haben wir das Recht der Selbstvertheidigung, insofern es sich auf dich bezieht, völlig aufgegeben, und das durften wir nicht; denn nur die Arten, dieses Recht auszuüben, ob es z. B. durch uns selbst oder durch einen Stellvertreter geschehen solle, nicht aber das Recht selbst ist veräusserlich. Ob und wie diese Vertheidigung gegen die höchste Gewalt in einem Staate ohne Unordnung und Zerrüttung möglich sey, habe ich hier noch nicht zu untersuchen: ich hatte bloss zu zeigen, dass sie stattfinde, und notwendig stattfinden müsse. Da übrigens diese Vertheidigung unserer Rechte gegen andere an sich eine beschwerliche Pflicht und keinesweges ein Gewinn ist, so lässt sich nicht denken, wie derjenige, dem wir diese Sorge abnehmen, dadurch in Schaden kommen, und einen Ersatz desselben von uns verlangen könnte: er müsste uns denn jene an sich ungerechte und rechtsunkräftige Ungestraftheit seiner eigenen Gewaltthätigkeiten gegen uns, oder den nicht weniger ungerechten und rechtsunkräftigen Ueberschuss über die Schadenerstattung, den er etwa von unseren Beleidigern erpresst und für sich behält, für den verlorenen Gewinn anrechnen: welches Anbringen aber eine offenbare Bitte seyn würde, dass wir ihm doch erlauben möchten, auch fernerhin ungestraft ungerecht zu seyn; und folglich ohne weiteres abzuweisen wäre. Oder fürchtet er etwa die Einziehung desjenigen, was er für seine Vertheidigung von uns erhält, und was die Mühe derselben am Werthe vielleicht sehr weit überwiegt?. Unmittelbar mit der Aufhebung seines Auftrages ziehen wir seinen Sold noch gar nicht ein. Wir werden auf diesen Sold in seiner Reihe zu reden kommen, und finden, was über ihn von Rechts wegen zu beschliessen ist. – Einer Art der Belohnung aber müssen wir hier sogleich gedenken, weil wir unserem Plane nach im Verfolg nicht auf sie treffen werden. – Wir sagten oben: es sey kein verbindendes Versprechen möglich, dass man jemanden lieben oder verehren wolle, weil der andere Theil nie wissen könnte, ob man seiner Verbindlichkeit Genüge leiste, oder nicht. Aber es sind Beschäftigungen möglich, die ihrer Natur nach die Liebe und die Verehrung der Menschen auf sich ziehen; und fast macht nichts ehrwürdiger, als der hohe Beruf, die Wehrlosen zu vertheidigen und die Unterdrückten vor Gewalttätigkeiten zu schützen. Die Achtung wenigstens, die mit diesem Berufe nothwendig verbunden sey, die ihm durch die Gewohnheit, sie zu gemessen, zum Bedürfniss geworden, und auf deren fortdauernden Besitz zu rechnen, er durch unseren Vertrag berechtigt worden, werde ihm durch Aufhebung desselben geraubt, könnte unser bisheriger Schutzherr sagen. Wir antworten ihm: nichts schändet auch mehr, als Ungerechtigkeiten an einem solchen Platze begangen, Unterdrückung der wehrlosen Unschuld durch eine Macht, die zur Vertheidigung derselben eingesetzt ist: haben wir ihm die Möglichkeit, die Verehrung der Nationen auf sich zu ziehen, geraubt, so haben wir ihn zugleich der Versuchung, sich vor ihrem Angesichte öffentlich zu schänden, ihr Fluch und ihr Abscheu zu werden, entzogen. Gleiches gegen Gleiches hebt sich. – Aber nur Er ist seiner Unbestechbarkeit, seiner Unparteilichkeit, seines Muthes und seiner Kraft sicher; Er wurde sicher sich nie entehrt haben. – Wohlan, ohne dem hätte nicht sein Auftrag, sondern die treue Erfüllung seines Auftrages ihn geehrt: hätte er in ihm alles mögliche gethan, so hätte er doch nur gethan, was wir von ihm erwarten durften, was er laut seines Auftrages zu thun schuldig war. – Freie Ausübung edler Thaten, die kein Gebot heischt, ehrt noch mehr; er ist jetzt frei; – es wird immer noch gewaltthätige Unterdrücker des Wehrlosen geben, die Menschheit wird noch immer, hier und da, leiden; – wende er jetzt seine Kraft dazu an, dem ungerechten Mächtigen kühn ins Angesicht zu widerstehen, auf seinen Schultern der Menschheit aus dem Abgrunde des Elends heraufzuhelfen, und unsere Verehrung wird ihm wahrlich nicht entgehen. An Veranlassungen, sich Verehrung zu erwerben, fehlt es nie: an Männern, die unter Mühe und Anstrengung sie erringen möchten, fehlt es öfter.

Erworbene Rechte auf Personen werden durch Vertrag erworben. Wir haben das Recht, Verträge zu schliessen, und können dieses Recht ganz , oder zum Theile veräussern. Ganz, sage ich: da aber diese Veräusserung selbst nur durch Vertrag möglich ist, so ist klar, dass der Veräusserung dieses Rechtes wenigstens die einesmalige Ausübung desselben vorhergegangen seyn muss; – sonst wäre auch eine solche Veräusserung widersinnig, da, wie oben gezeigt worden, kein natürliches Menschenrecht an sich, sondern nur besondere Modificationen desselben veräussert werden können. – Der eine Theil verspricht dem anderen: Ich will, so lange ich mit dir im gegenwärtigen Vertrage stehen werde, weder mit dir selbst, noch mit irgend einem anderen, einen anderweitigen Vertrag schliessen. Ein solcher Vertrag ist seiner Form nach völlig rechtskräftig; seinem Inhalte nach durch seine fürchterliche Ausdehnung schrecklich, und wird er dabei als unabänderlich gedacht, wie er bei dem an das Landeigenthum geknüpften Landbauer gedacht werden soll, so wird durch ihn der Mensch völlig zum Thiere herabgesetzt. Auch ohne diese schon an sich rechtsunkräftige Unabänderlichkeit zu denken, thut der Bevortheilte auf jede Anforderung besserer Bedingungen bei dem Begünstigten, er thut auf jede Beihülfe anderer, die ihn vielleicht milder behandeln möchten, förmlich Verzicht, so lange es ihm nicht möglich ist, sich von seinem Unterdrücker völlig unabhängig zu machen. Die Welt wird für ihn menschenleer, und ohne ein Wesen seines gleichen. Ein Augenblick der höchsten Angst, der vielleicht nie wieder zurückkehren wird, wird in einem solchen Vertrage hastig ergriffen, und so viel es vom Unterdrücker abhängt, verewigt.

Das Recht, Verträge zu schliessen, wird theilweise veräussert, wenn der eine Theil verspricht, entweder nur mit gewissen Personen nicht, oder nur über gewisse Gegenstände nicht Verträge zu schliessen. Ob dergleichen Versprechungen an sich rechtskräftig seyen, kann keine Frage seyn, da sogar dem Versprechen, überhaupt keinen Vertrag zu schliessen, die Rechtskräftigkeit nicht streitig gemacht werden konnte. Ueber die Ausnahme gewisser Personen vom Rechte einen Vertrag mit ihnen zu schliessen, ist weiter nichts zu sagen. In Absicht der Gegenstände, werden (ausser dem Ehevertrage, der bekannterweise allenthalben auf mannigfaltige Art eingeschränkt wird, und den der Leibeigene überhaupt nicht ohne Erlaubniss seines Gutsherrn schliessen kann) Verträge geschlossen, entweder über Kräfte , der Arbeitsvertrag; oder über Sachen , der Tausch- und Handelsvertrag. In Absicht der ersteren Art von Verträgen veräussert der eine Theil entweder überhaupt sein Recht, über Anwendung seiner Kräfte mit irgend jemandem, ausser dem Einen Begünstigten, einen Vertrag zu schliessen, für irgend einen anderen zu arbeiten; – oder er veräussert es nur insofern, inwiefern sein Contrahent seine Arbeit selbst brauchen kann; er verbindet sich, so oft er Zeit übrig habe, für einen anderen zu arbeiten, erst bei jenem anzufragen, ob Er ihn nicht brauchen könne. Es kann hierbei auch noch etwas über den Lohn für die Arbeit im voraus auf immer bedungen seyn; so dass der Arbeiter gehalten sey, so oder so viel um einen gewissen Preis zu arbeiten, wenn er auch von anderen mehr bekommen könnte. Es wird hier immer vorausgesetzt, dass der eine Theil nicht schon durch den ersten Begünstigungsvertrag das Recht, über den Gebrauch seiner Kräfte überhaupt zu verfügen, aufgegeben habe; denn in diesem Falle, von welchem wir weiter unten reden werden, fände gar kein anderweitiger Arbeitsvertrag statt, – In Absicht des Handelsvertrages kann entweder das Recht, seine Producte oder Fabricate an irgend jemand, als an den einzigen Begünstigten abzusetzen, überhaupt, oder nur auf den Fall veräussert seyn, dass der Begünstigte sie ankaufen wolle; so dass er entweder den Alleinkauf , wie mehrere Cantons-Städte Helvetiens von ihren Landleuten, oder dass er den Vorkauf habe, wie viele deutsche Gutsbesitzer von ihren Unterthanen. Besonders im letzteren Falle kann etwas über den Preis der Waare festgesetzt seyn, so dass der Verkäufer verbunden sey, sie dem Begünstigten um ein gewisses Geld abzulassen, wenn er auch anderwärts mehr dafür bekommen könnte. Oder es kann umgekehrt abgeschlossen seyn, dass der eine Theil entweder alle seine Waaren, oder diejenigen, die der Begünstigte hat, oder nur gewisse Waaren von dem Begünstigten ausschliessend kaufen; oder dass er sie um einen gewissen Preis von ihm kaufen müsse, wenn er sie anderwärts auch wohlfeiler haben könnte; so dass der Begünstigte den Alleinhandel oder den Vorhandel habe. Die grausamste und gehässigste Modification dieser Art des Vertrages ist die, wenn der leidende Theil verbunden ist, von einer gewissen Waare schlechterdings eine bestimmte Menge zu nehmen, und sie zu einem bestimmten Preise zu bezahlen, wie in mehreren Ländern die Regierung es mit dem Salze hält, und wie Friedrich der Zweite eine Zeitlang jeden Juden nöthigte, bei seiner Verheirathung eine bestimmte Menge Porzellans zu nehmen.

Die zweite Art von Rechten, die durch unsere Verträge mit Begünstigten veräussert werden konnten, waren die Rechte auf Sachen ; das Recht des Eigenthums im weitesten Sinne des Wortes. Man nennt nemlich gewöhnlicherweise nur den fortdauernden Besitz einer Sache das Eigenthum derselben; da aber nur der ausschliessende Besitz eigentlicher Charakter des Eigenthums ist, so ist auch der unmittelbare Genuss eines Dinges, das nur einmal genossen wird und durch den Genuss sich verzehrt, ein wahres Eigenthum; denn während irgend jemand es geniesst, sind alle übrigen ausgeschlossen.

Dieses Recht des Eigenthums nun lässt sich ebensowohl, als das Recht der Verträge, ganz oder zum Theil veräussern. Es lässt sieh ganz veräussern. Das unmittelbarste, alles übrige Eigenthum des Menschen begründende Eigenthum, sind seine Kräfte. – Wer den freien Gebrauch dieser hat, hat schon unmittelbar an ihnen ein Eigenthum, und es kann ihm nicht fehlen, durch den Gebrauch derselben auch bald ein Eigenthum an Sachen ausser sich zu bekommen. Eine gänzliche Veräusserung des Eigenthumsrechtes lässt sich mithin nicht anders, als so denken, dass der freie Gebrauch unserer Kräfte veräussert, dass einem anderen das Recht übertragen sey, über ihre Anwendung frei zu verfügen, und dass sie dadurch Sein Eigenthum geworden seyen. Dies war dem Buchstaben des Gesetzes nach bei den alten Völkern der Fall aller Sklaven, und ist bei uns der Fall aller zum Grundeigenthume gehörigen Landbauern; wollte, oder will der Herr von seinem strengen Rechte nachlassen, so ist das Güte von ihm, aber er ist verfassungsmässig nicht dazu verbunden. – Dennoch findet diese Veräusserung nur unter Einer Bedingung statt: der Herr muss dem Sklaven, der ihm die Verfügung über seine Kräfte überlässt, seinen Unterhalt zusichern; dies ist nicht Güte; der Unterworfene hat das völlige Recht, es von ihm zu fordern. Jeder Mensch muss leben: das ist sein unveräusserliches Menschenrecht. Es gilt hier nicht zu sagen: wenn ich meinen Sklaven nicht ernähre, so stirbt er mir; ich verliere ihn, und der Schade ist mein: die Klugheit wird mich wohl treiben, ihn zu erhalten. Es ist hier nicht von deinem Schaden, sondern von seinem Rechte, und nicht von deiner Klugheit, sondern von deiner unerlässlichen Pflicht die Rede; dein Sklave ist Mensch. Der Besitzer eines Thieres darf es umkommen lassen, wenn es die Kosten seiner Erhaltung nicht abwirft, oder es abschlachten; nicht so der Besitzer der Kräfte eines Menschen. Dieser schuldige Unterhalt ist sein Eigenthum, das er im Eigenthume seines Herrn hat, und so oft er isst, ist das, was er isst, sein unmittelbares Eigenthum. Also ist auch eine gänzliche Veräusserung des Eigenthumes nicht möglich; wie sie denn auch nicht möglich seyn konnte, da kein Menschenrecht an sich, sondern nur besondere Modificationen desselben veräussert werden können. Ausser diesem Eigenthume hat derjenige, der sich der freien Verfügung über seine Kräfte entäusserte, auf alles Eigenthum Verzicht gethan, wie an sich klar ist.

Das Eigenthumsrecht kann auch nur theilweise veräussert seyn. Das Eigenthum der Kräfte kann zum Theil veräussert seyn, so dass eine gewisse Portion derselben dem Begünstigten angehöre, wir mögen sie nun selbst brauchen können oder nicht: wie bei den gemessenenFür die wenigen, die das nicht wissen! – Der Leibeigene (glebae adscriptus) hat ungemessene Frohndienste; er muss arbeiten, soviel der Gutsherr verlangt. In der Regel verlangt er 6 Tage Spanndienste auf seinem Acker, und den 7ten Botschaftgehen, oder Fuhren nach der Stadt. Der freiere Bauer, an dessen Boden der Gutsherr nur einen Theil des Eigenthumsrechtes hat, hat gemessene Dienste; er thut eine bestimmte Anzahl von Frohndiensten. Frohndiensten; oder dass der Ueberschuss derselben, dessen wir selbst nicht bedürfen, ihm bedingungsweise oder ohne Bedingung angehöre, wie bei der Einschränkung des Rechtes, Arbeitsverträge zu schliessen, davon wir oben redeten. – – Das Eigenthum gewisser Sachen kann veräussert seyn, so dass wir diese auf keine Art uns zueignen dürfen. Dahin gehört das ausschliessende Recht zu jagen, zu fischen, Tauben zu halten u. dgl.; die Anordnung in einigen Gegenden, dass die Eiche, die auf dem Grund und Boden des Landbauers wächst, nicht dem Bauer, sondern dem Gutsherrn gehöre; die Hütungs- und Triftgerechtigkeit u. s. w.

Dass alle diese Rechte auch einseitig von der bevortheilten Partei aufgehoben werden können, darüber ist nach dem obengesagten kein Zweifel mehr übrig. Hier ist nur die Frage von der Entschädigung im Falle der einseitigen Aufhebung. – Bei der ersteren Art der Einschränkung unseres Rechtes, Verträge zu schliessen, wo es ganz aufgehoben wird, lässt im allgemeinen (auf das Besondere werden wir sogleich zu reden kommen) keine Klage des begünstigten sich denken, als die, dass er in Hoffnung auf die Fortdauer unseres Vertrages seinerseits versäumt habe, die ihm nützlichen und vortheilhaften Verträge zu schliessen. Diese aber lässt sich kurz so beantworten: wir haben unsererseits, durch den Vertrag mit ihm dazu verpflichtet, gleichfalls versäumt, die uns nützlichen und vorteilhaften Verträge zu schliessen: bis jetzt haben wir keinen geschlossen. Nun kündigen wir ihm auf, er weiss von nun an, wessen er sich zu uns zu versehen hat; benutze er von nun an seine Zeit, so gut er kann; wir werden die unserige gleichfalls zu benutzen suchen; wir haben ihn nicht übervortheilt, wir haben uns auf gleichen Fuss mit ihm gesetzt. – Doch, seine Klagen werden bestimmter. In Rücksicht der ausschliessenden Arbeitsverträge, so wie in Rücksicht der ganz oder zum Theil veräusserten Verfügung über unsere Kräfte, wird er sich beklagen, dass er seine Arbeit nicht mehr werde besorgt bekommen, wenn wir ihm den Contract zurückgeben. Er hat also entweder mehr zu arbeiten, als ein einziger bestreiten kann, oder er kann, oder will nicht selbst arbeiten. Die erstere Voraussetzung würde, so wie sie da steht, richtig übersetzt, so viel heissen: er hat mehr Bedürfnisse, als ihrer durch die Kräfte eines einzigen befriedigt werden können, und er verlangt zu ihrer Befriedigung die Kräfte anderer zu gebrauchen, welche sich so viel an ihren Bedürfnissen abbrechen sollen, als sie Kraft auf die Befriedigung der seinigen verwenden. Ob eine solche Klage abzuweisen sey, das bedarf wohl keiner weiteren Untersuchung. Aber er führt einen gültigeren Grund an, das grössere Heer seiner Bedürfnisse zu rechtfertigen. Hat er auch nicht unmittelbar mehr Kräfte als andere, so hat er doch das Product mehrerer Kräfte , das vielleicht durch eine lange Reihe von Vorfahren auf ihn fortgepflanzt worden: er hat mehr Eigenthum, zu dessen Benutzung die Kräfte mehrerer erforderlich sind. – Wohl, dieses Eigenthum ist sein, und muss sein bleiben; bedarf er zur Benutzung desselben fremder Kräfte, so mag er zusehen, auf welche Bedingungen er ihrer habhaft werden kann; es entsteht ein freier Tauschhandel über Theile seines Eigenthums und die Kräfte derer, die er zur Bearbeitung des Ganzen dingt, wobei jeder Theil zu gewinnen sucht, so viel er kann. Wer ihm die gelindesten Bedingungen macht, dessen mag er sich bedienen. Ueberhebt er sich seiner Uebermacht über den Gedrückten in der Stunde seiner Noth, so mag er den Nachtheil tragen, dass dieser ihm den Kauf aufkündigt, sobald die drückende Noth vorüber ist; macht er ihm billige Bedingungen, so wird er den Vortheil haben, dass seine Verträge dauernder sind. – Aber, er wird dann, wenn jeder ihm seine Arbeit so hoch anschlägt als er kann, sein Eigenthum nicht mehr so hoch nützen können als bisher; der Werth desselben wird sich ansehnlich verringern. – Das mag wohl geschehen; aber was geht das uns an? Wir haben ihm von seinen liegenden Gründen keines Haares Breite abgepflügt; wir haben ihm von seinem baaren Gelde keinen Heller genommen. Das durften wir nicht. Aber den uns nachtheilig scheinenden Vertrag mit ihm aufheben, durften wir, und das haben wir gethan. Wird sein Erbgut dadurch geringer, so muss es doch vorher durch unsere Kräfte vermehrt worden seyn, und unsere Kräfte sind einmal nicht sein Erbgut. – Und warum ists denn auch nothwendig, dass dem, der tausend Hufen hat, jede seiner tausend Hufen so viel eintrage, als dem, der eine hat, seine einzige? – Man klagt fast in allen monarchischen Staaten über die ungleiche Vertheilung der Reichthümer; über die unermesslichen Besitzungen einiger wenigen, neben jenen Heeren von Menschen, die Nichts haben; und diese Erscheinung nimmt euch bei der jetzigen Verfassung dieser Staaten Wunder? – und ihr könnt die Auflösung des schweren Problems nicht finden, ohne Eingriff in die Rechte des Eigenthums eine gleichmässigere Vertheilung der Güter zu bewirken? Wenn die Zeichen des Werths der Dinge sich vermehren – sie vermehren sich durch die herrschende Sucht der meisten Staaten, vermittelst des Commerces und der Fabriken sich auf Kosten aller übrigen zu bereichern, durch den schwindelnden Handel unseres Zeitalters, der seinem Einsturze immer näher rückt, und alle, die auf die entfernteste Art daran Antheil haben, mit einer gänzlichen Zerrüttung ihrer Vermögensumstände bedroht, durch den unbegrenzten Credit, der das ausgeprägte Geld von Europa mehr als verzehnfacht – wenn, sage ich, die Zeichen des Werthes der Dinge sich so unverhältnissmässig vermehren, so verlieren sie immer mehr ihren Werth gegen die Dinge selbst. Der Besitzer der Producte, der Landeigentümer, vertheuert unablässig die Dinge, die wir haben müssen, und seine Ländereien selbst steigen eben dadurch unablässig im Werthe gegen das baare Geld. Vergrössern sich denn aber auch seine Ausgaben? Allenfalls weiss sich der Kaufmann, der ihm die Bedürfnisse des Luxus liefert, schadlos zu halten; weniger der Handwerker, der ihm das Unentbehrliche arbeitet, und der von beiden in die Enge getrieben wird – aber der Landbauer? Noch immer ist er entweder ein Stück des Grundeigenthumes, oder thut Frohndienste unentgeltlich, oder um einen unverhältnissmässig geringen Lohn; noch immer dienen seine Söhne und Töchter, als Zwangsgesinde, dem Gutsherrn für ein Stück Geld, das selbst vor Jahrhunderten in keinem Verhältnisse gegen ihre Dienste stand. Er hat nichts, und wird nie etwas haben, als den kümmerlichen Lebensunterhalt auf den heutigen Tag. Wüsste der Gutsbesitzer seinen Luxus einzuschränken, so wäre er längst – oder erleidet das jetzige Handelssystem eine Umwälzung, wie es sicher erleiden wird, – so wird er dann gewiss der ausschliessende Besitzer aller Reichthümer der Nation, und ausser ihm wird kein Mensch etwas haben. Wollt ihr dies verhindern, so' thut, was ihr ohnedies zu thun schuldig seyd: gebt den Handel mit dem natürlichen Erbtheile des Menschen, mit seinen Kräften, frei; ihr werdet das merkwürdige Schauspiel erblicken, dass der Ertrag des Grundeigentums und alles Eigenthums in umgekehrtem Verhältniss mit der Grösse desselben stehe , der Boden wird, ohne gewaltthätige Ackergesetze, die allemal ungerecht sind, von selbst allmählig sich unter mehrere vertheilen, und euer Problem wird gelöst seyn. Wer Augen hat zu sehen, der sehe; ich gehe meines Weges weiter fort.

Hat der Begünstigte nicht diese gültige Ausflucht eines angeerbten Eigenthums, so muss er arbeiten, er mag wollen oder nicht. Schuldig ihn zu ernähren sind wir einmal nicht. – Aber er kann nicht arbeiten, sagt er. Im Vertrauen, dass wir fortfahren würden ihn durch unsere Arbeit zu ernähren, hat er es verabsäumt, seine eigenen Kräfte zu üben und zu bilden; er hat nichts gelernt, wodurch er sich ernähren könnte; und jetzt ist es zu spät, jetzt sind seine Kräfte durch den langen Müssiggang viel zu sehr geschwächt und gleichsam verrostet, als dass es noch in seiner Macht stehen sollte, etwas nützliches zu erlernen. – Daran haben wir freilich durch unseren unklugen Vertrag Schuld. Hätten wir ihn nicht von Jugend auf glauben lassen, dass wir ihn schon ohne alle sein Zuthun ernähren würden, so würde er freilich etwas haben lernen müssen. Wir sind demnach gehalten, und das von Rechts wegen, ihn zu entschädigen, d. h. ihn zu ernähren, bis er gelernt haben wird, sich selbst zu ernähren. Aber wie sollen wir ihn ernähren? sollen wir fortfahren, das Nothwendige zu entbehren, damit er im Ueberflusse schwelgen könne; oder ist es genug, wenn wir ihm das Unentbehrliche reichen? – Und so stünden wir denn vor einer Frage, deren gründliche Beantwortung unter die Bedürfnisse unseres Zeitalters gehört.

Man hat unter uns wehmüthige Gefühle gesehen und bittere Klagen gehört über das vermeinte Elend so vieler, die aus dem grössten Ueberflusse plötzlich in einen weit mittelmässigeren Zustand herabsanken – von denen sie beklagen gehört, welche in ihren glücklichsten Tagen es nie so gut hatten, als jene in ihrem grössten Unsterne, und welche die geringen Ueberbleibsel vom Glücke jener für ein beneidenswerthes Glück hätten halten dürfen. Die ungeheure Verschwendung, die bisher an der Tafel eines Königs geherrscht hatte wurde in etwas eingeschränkt, und Leute, die nie eine Tafel hatten, noch haben werden, wie jene eingeschränkte, bedauerten diesen König; eine Königin hatte eine kurze Zeit lang Mangel an einigen Kleidungsstücken, und diejenigen, welche sehr glücklich gewesen wären, wenn sie diesen Mangel hätten theilen dürfen, beklagten ihr Elend. Fehlt es auch unserem Zeitalter an manchen lobenswürdigen Eigenschaften, so scheint wenigstens die Gutmüthigkeit nicht darunter zu gehören! – Setzt man etwa bei diesen Klagen ganz unbedingt das System voraus, dass nun einmal eine gewisse Klasse von Sterblichen, ich weiss nicht welches Recht habe, alle Bedürfnisse, die die ausschweifendste Einbildungskraft nur irgend sich erdichten könne, zu befriedigen; dass eine zweite nur nicht ganz so viele, als diese; eine dritte nur nicht ganz so viele, als die zweite, u. s. w haben müsse, bis man endlich zu einer Klasse herabkomme, die das Allerunentbehrlichste entbehren müsse, um jenen höheren Sterblichen das Allerentbehrlichste liefern zu können? Oder setzt man diesen Rechtsgrund bloss in die Gewohnheit, und schliesst so: weil Eine Familie bisher das Unentbehrliche von Millionen Familien verzehrt hat, so muss sie nothwendig fortfahren, es zu verzehren? Eine auffallende Folgenlosigkeit in unserer Denkungsart ist es immer, dass wir so empfindlich für das Elend einer Königin sind, die einmal kein frisches Linnen hat, und den Mangel einer anderen Mutter, die dem Vaterlande auch gesunde Kinder gebar, welche sie, selbst in Lumpen gehüllt, nackend vor sich herumgehen sieht, indess in ihren Brüsten aus Mangel an Unterhalt die Nahrung austrocknet, die das jüngstgeborne mit entkräftetem Wimmern fordert – dass wir diesen Mangel sehr natürlich finden. – Solche Leute sind es gewohnt, sie wissens nicht besser; sagt mit stickender Stimme der satte Wollüstling, während er seinen köstlichen Wein schlürft: aber das ist nicht wahr; an den Hunger gewöhnt man sich nie, an widernatürliche Nahrungsmittel, an das Hinschwinden aller Kräfte und alles Muthes, an Blosse in strenger Jahreszeit gewöhnt man sich nie. Dass nicht essen solle, wer nicht arbeitet, fand Herr R. naiv: er erlaube uns, nicht weniger naiv zu finden, dass allein der, welcher arbeitet, nicht essen, oder das Unessbarste essen solle.

Der Grund dieser Folgenlosigkeit lässt sich leicht auffinden. Unser Zeitalter ist im Ganzen weit empfindlicher gegen die Bedürfnisse der Meinung, als gegen die der Natur. Das Unentbehrliche haben jene Beurtheiler so ziemlich alle, und haben es von Jugend auf gehabt; alles, was sie davon abbrechen konnten, haben sie auf das Entbehrliche, auf die Bedürfnisse des Luxus gewendet. Diese Bedürfnisse nicht alle in dem Maasse befriedigen zu können, wie es jeder wünscht, ist das allgemeine Loos. Du hast modernes Hausgeräth; aber noch mangelt dir eine Bildergallerie; du bekommst sie vielleicht; dann wird es dir nur noch an einem Antiquitäten-Cabinette fehlen. – Jener Königin mangelte nur noch das kostbare Halsband; aber sey versichert, sie litt nicht weniger dabei, als deine modische Gemahlin litt, als ihr ein Kleid von der neuesten Farbe noch abging. – Aber nicht genug, dass wir die steigenden Begierden, so wie sie steigen, nicht immer befriedigen können; wir sind sogar oft genöthigt, zurückzugehen, Bedürfnisse abzubrechen, die wir schon gewohnt sind, befriedigt zu sehen, die wir schon unter die Unentbehrlichkeiten rechneten. Dies ist ein Leiden, das wir aus Erfahrung kennen; jeder, der es fühlt, ist unser Mitbruder in der Trübsal, mit ihm sympathisiren wir innig. Unsere Einbildungskraft versetzt durch ihre Zauberkünste uns alsbald an seine Stelle: jenem unglücklichen Könige wurden eine Anzahl seiner Gerichte abgezogen; der reiche Domherr dachte sich ohne seinen feinen Wein, oder ohne seine Lieblingspasteten, die kleine Bürgerin oder die wohlhabendere Bäuerin ohne ihren Milchkaffee, jedes Mitglied der feineren oder minder feinen Welt ohne Befriedigung desjenigen Bedürfnisses, das es zuletzt errungen hatte; und wie hätte nicht alles inniges Mitleid für ihn empfinden sollen? – Wir berechnen und unterscheiden Entbehrliches und Unentbehrliches nur nach der Gewohnheit, es zu besitzen, weil wir selbst gar wohl erfahren haben, wie durch die Gewohnheit uns manches unentbehrlich worden, das es vorher nicht war; von der wahren Verschiedenheit desselben der Art nach haben wir gar keine Vorstellung, oder hätten wir auch durch Nachdenken uns einen Begriff davon verschafft, so haben wir doch keine durch die Einbildungskraft belebte und unsere Empfindung in Bewegung setzende Vorstellung, weil wir selbst nie auf dieser äussersten Grenze standen, und vor dem Anblicke anderer darauf uns von jeher sorgfältig hüteten. »Das ist unnatürlich, so hungert sichs nicht« sagen wir mit jenem Finanzpächter beim Diderot, weil wir nie so gehungert haben. An fortdauernden Nahrungsmangel, oder Frost, oder Blösse, oder erschöpfende Arbeit soll man sich, meinen wir, so gewöhnen, wie wir uns etwa gewöhnt haben, die reicher besetzte Tafel eines Grossen, oder die prächtigere Kleidung, oder das beständige seelige Farniente desselben ohne grosse Mühe zu entbehren: wir wissen nicht, oder fühlen nicht, dass diese Dinge nicht bloss dem Grade nach, sondern dass sie der Art nach verschieden sind. – Wir vergessen, dass wir eine Menge der Dinge, die wir uns versagen, uns mit einer Art von Freiwilligkeit versagen, und dass wir sie etwa wohl auf eine Zeitlang haben könnten, wenn wir uns dem nachherigen Mangel des Unentbehrlichsten aussetzen wollten; dass aber bei den Entbehrungen jener auch nicht eine Spur des freien Willens übrig ist, und dass sie alles entbehren müssen, was sie entbehren. Wir rechnen ja sonst so sehr auf den Unterschied zwischen der freiwilligen und erzwungenen Aufopferung, wo wir die Sache der Begünstigten führen, warum vergessen wir sie denn nur hier, wo von der Sache der Unterdrückten die Rede ist?

Nicht die Gewohnheit entscheidet über das an sich Entbehrliche und das an sich Unentbehrliche, sondern die Natur. Eine dem menschlichen Körper zuträgliche Nahrung in der zur Ersetzung der Kräfte nöthigen Quantität, eine nach Verhältniss des Klimas gesunde Kleidung und feste und gesunde Wohnung muss jeder haben, der arbeitet: das ist Grundsatz.

Ueber diese Grenze hinaus, auf dem Felde der Dinge, die die Natur nicht für unentbehrlich erklärt, entscheidet allerdings die Gewohnheit; und hier steigt das Leiden ohngefähr in dem Grade, in welchem angewöhnte Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Ich sage bloss ohngefähr , und das aus zwei Gründen: – Ein grosses Heer unserer Bedürfnisse sind bloss und einzig Bedürfnisse der Einbildungskraft; wir bedürfen ihrer bloss darum, weil wir ihrer zu bedürfen glauben: sie verschaffen uns keinen Genuss, wenn wir sie haben; ihr Bedürfniss macht sich bloss durch die unangenehme Empfindung kund, wenn wir sie entbehren. Dinge dieser Art haben das ausschliessende Kennzeichen, dass wir sie bloss um anderer willen haben. Zu ihnen gehört alles, was zur Pracht gehört, die bloss Pracht ist; alles, was zur Mode gehört, insofern es weder durch Schönheit, noch durch Bequemlichkeit, noch durch irgend etwas von Dingen dergleichen Art sich auszeichnet, als dadurch, dass es Mode ist. Wir können dabei keine andere Absicht haben, als die, Anderen – nicht unseren Geschmack, denn durch Schönheit sollen diese Dinge sich nicht auszeichnen – sondern bloss unsere Gefügigkeit in die allgemeinen Formen und unsere Wohlhabenheit bemerklich zu machen. Da diese Dinge bloss auf Andere berechnet sind, so können diese Anderen von der Verbindlichkeit, sie zu haben, uns vollgültig lossprechen. Sie haben uns bisher die Kosten dazu hergegeben; ziehen sie diese zurück, so ist begreiflich, dass sie die Fortsetzung dieser Art des Aufwandes nicht mehr von uns fordern. Unsere Umstände sind nun weltkundig; es ist weitkundig, dass unsere Einnahme nicht mehr hinreicht, jenen Aufwand mit Ehren fortzusetzen. Verlangen wir ihn dennoch fortzusetzen, d. h. verlangen wir durch unsere Entehrung zu glänzen? Ein solches Verlangen ist so thöricht, das Leiden über die Versagung desselben ist so unsinnig, dass es gar keine Schonung verdient, und dass vernünftige Menschen es sich gar nicht in Rechnung können bringen lassen. Durch Versagung dieser Bedürfnisse wird dem, der sie weltkundig auf Kosten Anderer befriedigte, kein Leiden zugefügt, und sie sind beim Aufnehmen des Verhältnisses von der Summe abzuziehen. – – Insofern zweitens die Befriedigung der Bedürfnisse wirklich einen grob- oder feinsinnlichen Genuss, einen Kitzel der Nerven, oder eine leichtere Bewegung der Einbildungskraft verursacht, lässt sich doch nicht läugnen, dass im Grade desselben, und mithin im Grade des durch die Gewohnheit entstandenen Bedürfnisses eine grosse Verschiedenheit sey. Es giebt ohngefähr eine äusserste Grenze der Reizbarkeit der menschlichen Natur; über diese hinaus wird sie sehr schwach und unmerklich. Es ist wohl kein Zweifel, dass der Luxus unseres Jahrhunderts diese Grenze nicht erreicht, und hier und da sie nicht überschritten habe. Die Entbehrung dessen, was hart an dieser Grenze, vielmehr dessen, was über sie hinausliegt, kann bei weitem die unangenehme Empfindung nicht verursachen, welche durch unbefriedigte Begierden erregt wird, die noch innerhalb der Grenzen der grösseren Reizbarkeit stehen. Auch hierauf ist beim Aufnehmen des richtigen Verhältnisses zwischen Versagungen und Leiden Rücksicht zu nehmen.

Abgezogen, was abgezogen werden muss, bleibt allerdings eine Summe von Leiden der Begünstigten übrig, die aus den Einschränkungen des gewohnten Luxus durch unsere Vertragsaufhebung für sie entstehen müssen: Leiden, an denen wir, durch unser gutmüthiges Versprechen, ihnen die Bedürfnisse eines unbegrenzten Luxus fortdauernd zu liefern, allerdings die völlige Schuld haben. Wir sind verbunden, diese Leiden aufzuheben, insofern es die Gerechtigkeit von der einen Seite zulässt , von der anderen erfordert .

Insofern sie es von der einen Seite zulässt. – Jeder muss das Unentbehrliche haben, so wie wir es oben bestimmten; das ist unveräusserliches Menschenrecht: insofern ihr Vertrag mit uns irgend einen von uns der Möglichkeit beraubte, dieses zu haben, war er an sich rechtsunkräftig, und ohne allen Schadenersatz aufzuheben. So lange auch nur noch Einer da ist, dem es um ihrer willen unmöglich ist, durch seine Arbeit dies zu erwerben, muss ihr Luxus ohne alles Erbarmen eingeschränkt werden. – Durch seine Arbeit es zu erwerben, sage ich; denn nur unter Bedingung der zweckmässigen Anwendung seiner Kräfte hat er Anspruch auf sein Unentbehrliches, und es wird gar nicht gefordert, dass der Begünstigte alle Müssiggänger ernähren solle. Wer nicht arbeitet, soll nicht essen, wenden wir mit nicht geringerer Strenge auf den gemeinen Bürger an, als wir es auf den Begünstigten anwenden würden, wenn er arbeiten könnte.

Insofern die Gerechtigkeit von der anderen Seite es erfordert. – Er beruft sich auf die Kraft der Gewohnheit, nichts zu arbeiten und viel zu verzehren. Sein Rechtsgrund sey auch der unsere. Sein eigentliches Uebel, die Quelle aller seiner Leiden, die wir eröffnet haben, müssen wir auch wieder verstopfen. So wie er allmählig sich zum Nichtsthun und zur Verschwendung gewöhnt hat, so muss er sich auch allmählig wieder entwöhnen. Er muss von der Stunde der Aufhebung unseres Vertrages an seine Kräfte bilden, wozu er noch kann, und sie gebrauchen, so gut er kann. Das Leiden, das diese Kraftanwendung ihm verursachen möchte, kommt gar nicht in Rechnung, denn es ist ein Leiden, das uns zu wohlthätigen Zwecken die Natur aufgelegt hat, und dessen wir gar nicht das Recht hatten ihn zu entledigen. Kein Mensch auf der Erde hat das Recht, seine Kräfte ungebraucht zu lassen und durch fremde Kräfte zu leben. Es muss sich ohngefähr berechnen lassen, binnen welcher Zeit er es dahin bringen könne, dass der Gebrauch derselben ihm das Unentbehrliche verschaffe. Bis dahin müssen wir für seinen Unterhalt sorgen; aber dagegen haben wir auch das Recht der Aufsicht, ob er sich wirklich geschickt mache, sich denselben auf die Zeit hin, da wir ihn nicht mehr ernähren wollen, selbst zu erwerben. – Er muss von der Stunde der Aufhebung unseres Vertrages an sich allmählig die Befriedigung immer mehrerer Bedürfnisse versagen lernen; wir werden ihm anfangs, nach Abziehung des oben Berechneten, geben, was von seinen vorherigen Einkünften übrig bleibt; dann weniger, dann allmählig immer weniger, bis seine Bedürfnisse mit den unsrigen ohngefähr ins Gleichgewicht gekommen sind; und so wird er sich weder über Ungerechtigkeit, noch über unbillige Härte zu beklagen haben. Er wird uns, wenn er durch diese Bemühungen überdies noch gut und weise werden sollte, noch einst danken, dass wir ihn aus einem verschwenderischen Müssiggänger zu einem frugalen Arbeiter, und aus einer unnützen Last der Erde zu einem brauchbaren Mitgliede der menschlichen Gesellschaft gemacht haben.


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