Johann Gottlieb Fichte
Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution.
Johann Gottlieb Fichte

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Erstes Buch.

Zur Beurtheilung der Rechtmässigkeit einer Revolution.

Erstes Capitel.

Hat überhaupt ein Volk das Recht, seine Staatsverfassung abzuändern?

Es sey seit Rousseau gesagt und wieder gesagt worden, dass alle bürgerlichen Gesellschaften sich der Zeit nach auf einen Vertrag gründeten, meint ein neuerer Naturrechtslehrer: aber ich wünschte zu wissen: gegen welchen Riesen diese Lanze eingelegt sey. Wenigstens sagt Rousseau das nicht;Man muss auf seinen Gesellschafts-Vertrag einen sehr flüchtigen Streifzug gemacht haben, oder ihn nur aus Anderer Citaten kennen, um das in ihm zu finden. 1 B., Cap. 1. kündigt er seinen Gegenstand so an: Comment ce changement s'est il fait? Je l'ignore. Qu'est ce, qui peut le rendre legitime! Je crois pouvoir resoudre cette question. – Und so sucht er im ganzen Buche nach dem Rechte , nicht nach der Thatsache. – »Aber er erzählt doch immer vom Fortschritte der Menschheit.« – So? Täuscht das die Herren? Ihr erzähltet wohl auch: Es trug sich zu – ohne jedesmal voraus zu schicken: um euch Schwachen, die ihr das nicht begreift, unseren Satz durch ein Beispiel klar zu machen, so ponamus casum, es habe sich zugetragen, wenn es euch dazu nicht an Lebhaftigkeit des Geistes fehlte. und hat seit ihm es Jemand gesagt, so hat dieser Jemand etwas gesagt, gegen das es gar nicht der Mühe lohnt, sich zu ereifern. Man sieht es ja freilich unseren Staatsverfassungen, und allen Staatsverfassungen, die die bisherige Geschichte kennt, an, dass ihre Bildung nicht das Werk einer verständigen kalten Berathschlagung, sondern ein Wurf des Ohngefähr, oder der gewaltsamen Unterdrückung war. Sie gründen sich alle auf das Recht des Stärkeren ; wenn es erlaubt ist, eine Blasphemie nachzusagen, um sie verhasst zu machen.

Dass aber rechtmässigerweise eine bürgerliche Gesellschaft sich auf nichts anderes gründen kann, als auf einen Vertrag zwischen ihren Mitgliedern, und dass jeder Staat völlig ungerecht verfahre und gegen das erste Recht der Menschheit, das Recht der Menschheit an sich , sündige, wenn er nicht wenigstens hinterher die Einwilligung jedes einzelnen Mitgliedes zu jedem, was in ihm gesetzlich seyn soll, sucht, ist ohne Mühe auch dem schwächsten Kopfe einleuchtend darzuthun.

Steht nemlich der Mensch, als vernünftiges Wesen, schlechthin und einzig unter dem Sittengesetze, so darf er unter keinem anderen stehen, und kein Wesen darf es wagen, ihm ein anderes aufzulegen. Wo ihn sein Gesetz befreit, da ist er ganz frei: wo es ihm Erlaubniss giebt, verweiset es ihn an seine Willkür, und verbietet ihm in diesem Falle ein anderes Gesetz anzuerkennen, als diese Willkür. Aber eben darum, weil er an seine Willkür, als einzigen Entscheidungsgrund seines Verhaltens beim Erlaubten, gewiesen ist, darf er das Erlaubte auch unterlassen. Liegt einem anderen Wesen daran, dass er es unterlasse, so darf dies ihn darum bitten, und er hat das völlige Recht, auf diese Bitte frei von seinem strengen Rechte herunter zu lassen – aber zwingen lassen darf er sich nicht. – Er darf dem anderen die Ausübung seines Rechts frei schenken .

Er darf auch einen Tausch über Rechte mit ihm treffen; er darf sein Recht gleichsam verkaufen . – Du verlangst, dass ich einige meiner Rechte nicht ausübe, weil ihre Ausübung dir nachtheilig ist; nun wohl, du hast auch Rechte, deren Ausübung mir nachtheilig ist: thue Verzicht auf die deinigen, und ich thue Verzicht auf die meinigen.

Wer legt mir nun in diesem Vertrage das Gesetz auf? Offenbar ich selbst. Kein Mensch kann verbunden werden, ohne durch sich selbst: keinem Menschen kann ein Gesetz gegeben werden, ohne von ihm selbst. Lässt er durch einen fremden Willen sich ein Gesetz auflegen, so thut er auf seine Menschheit Verzicht und macht sich zum Thiere; und das darf er nicht.

Man glaubte ehemals im Naturrechte – dass ich dies im Vorbeigehen erinnere – auf einen ursprünglichen Naturzustand des Menschen zurückgehen zu müssen; und neuerlich ereifert man sich über dieses Verfahren, und findet darin den Ursprung wer weiss welcher Ungereimtheiten. Und doch ist dieser Weg der einzig richtige: um den Grund der Verbindlichkeit aller Verträge zu entdecken, muss man sich den Menschen noch von keinen äusseren Verträgen gebunden, bloss unter dem Gesetze seiner Natur, d. i. unter dem Sittengesetze stehend, denken; und das ist der Naturzustand . – »Ein solcher Naturzustand ist aber in der wirklichen Welt nicht anzutreffen, noch je anzutreffen gewesen.« – Wenn das auch wahr wäre – wer heisst euch denn unsere Ideen in der wirklichen Welt aufsuchen? Müsst ihr denn alles sehen? Aber leider, dass er nicht da ist! Er sollte da seyn. Freilich glauben noch selbst unsere scharfsinnigeren Naturrechtslehrer: jeder Mensch sey schon von seiner Geburt an durch die wirklich geschehenen Leistungen des Staats ihm verbunden und an ihn gebunden. Leider übte man diesen Grundsatz immer praktisch aus, ehe er noch theoretisch aufgestellt war. Keinen unter uns hat der Staat um seine Einwilligung gefragt; aber er hätte es thun sollen, und bis zu dieser Anfrage wären wir im Naturzustande gewesen, d. h. wir hätten, durch keinen Vertrag eingeschränkt, bloss unter dem Sittengesetze gestanden. Doch davon, wenn wir dieses Weges wiederkommen werden!

Bloss dadurch also, dass wir selbst es uns auflegen, wird ein positives Gesetz verbindlich für uns. Unser Wille, unser Entschluss, der als dauernd gefasst wird, ist der Gesetzgeber und kein anderer. Ein anderer ist nicht möglich. Kein fremder Wille ist Gesetz für uns; auch der der Gottheit nicht, wenn er vom Gesetze der Vernunft verschieden seyn könnte.

Doch, über diesen Punct macht der Herr Geheime Canzlei-Secretair Rehberg eine neue wichtige Entdeckung. Die volonté générale des Rousseau nemlich entstehe aus einer Verwechselung mit der moralischen Natur des Menschen, vermöge deren er keinem anderen Gesetze unterworfen sey noch seyn könne, als dem der praktischen Vernunft. – Ich will mich hier nicht darauf einlassen, was Rousseau gesagt oder gedacht habe; ich will nur ein wenig untersuchen, was Herr R. hätte sagen sollen. Die Gesetzgebung der praktischen Vernunft ist nach ihm für die Grundlage eines Staats nicht hinreichend; die bürgerliche Gesetzgebung geht einen Schritt weiter; sie hat es mit Dingen zu thun, welche jene der Willkür überlässt. – Das meine ich auch, und glaube, Herr R. hätte diesen Satz noch weiter ausdehnen und überhaupt sagen können: das Sittengesetz der Vernunft geht die bürgerliche Gesetzgebung gar nichts an, es ist ohne sie völlig vollendet, und die letztere thut etwas Ueberflüssiges und Schädliches, wenn sie ihm eine neue Sanction geben will. Das Gebiet der bürgerlichen Gesetzgebung ist das durch die Vernunft Freigelassene; der Gegenstand ihrer Verfügungen sind die veräusserlichen Rechte des Menschen . So weit hat Herr R. recht, und er möge es verzeihen, dass wir seine Meinung in etwas bestimmtere Ausdrücke übersetzt haben, da er selbst an anderen alles unbestimmte so sehr hasst. Nun aber folgert er: weil diese Gesetzgebung etwas an sich Willkürliches zum Grunde hat, so – doch ich kann einmal nicht deutlich einsehen, was er folgert. Aber ich fragte so: mögen doch diese Gesetze betreffen, was sie wollen, woher entsteht denn ihre Verbindlichkeit? – Ich weiss nicht, welch eine Abneigung Herr R. gegen das Wort »Vertrag« haben mag; er windet sich durch ganze Seiten, um ihm auszuweichen, bis er endlich, S. 50.Seiner Untersuchungen über die französische Revolution. doch noch eingestehen muss, dass gewissermaassen die bürgerliche Gesellschaft als eine freiwillige Association zu betrachten sey. Ich bekenne, dass ich die »gewissermaassen« und ihre ganze Familie nicht liebe. Weisst du etwas Gründliches, und willst du es uns sagen, so rede bestimmt, und ziehe statt deines »gewissermaassen« eine scharfe Grenze; weisst du nichts, oder getraust du dich nicht zu reden, so lass es gar seyn. Thue nichts halb. – Also die Frage war: woher entsteht die Verbindlichkeit der bürgerlichen Gesetze? Ich antworte: aus der freiwilligen Uebernahme derselben durch das Individuum; und das Recht, kein Gesetz anzuerkennen, als dasjenige, welches man sich selbst gegeben hat, ist der Grund jener souveraineté indivisible, inaliénable des Rousseau, nicht unsere vernünftige Natur selbst, aber gegründet auf das erste Postulat ihres Gesetzes, unser einiges Gesetz zu seyn. Statt jenes Recht entweder anzuerkennen, oder seinen Ungrund aus ursprünglichen Grundsätzen der reinen Vernunft darzuthun, erzählt uns Herr R. eine Menge Dinge, die wir ein andermal anhören wollen. Wir fragten ihn: Fremdling, von wannen bist du? und er erzählt uns ein Paar Mährchen darüber, was er sey, damit wir indessen jene unbequeme Frage vergessen.

Um das Publicum urtheilen zu lassen, was es sich von der Gründlichkeit eines Schriftstellers zu versprechen habe, der durch seinen schneidenden Ton imponirt, und nicht aufhört, über fades, seichtes, unausstehliches Geschwätz zu klagen, gehe ich die erste Stelle durch, die ich aufgreife. S. 45. sagt er: »Gesetzt, es vereinigt sich eine gewisse Zahl von Menschen, welche unabhängig nebeneinander wohnten, innere Ordnung unter sich, und Vertheidigung gegen äussere Feinde gemeinschaftlich zu besorgen.« – Hier gesteht er ja doch einen gesellschaftlichen Vertrag nicht nur gewissermaassen, sondern völlig zu. »Einer von den Nachbarn schlägt die angetragene Verbindung aus. Er findet es nächstdem zuträglich, sich noch dazu zu gesellen. Nunmehr hat er aber kein Recht, es zu verlangen.« – Was zu verlangen? Sich dazu zu gesellen? Das Anbieten ist seine Sache. Hat er kein Recht von sich selbst zu verlangen, dass er hingehe, und die Gesellschaft um die Aufnahme unter sie bitte? Solche Nachlässigkeiten erlaubt sich hier ein Schriftsteller, der es sonst wohl gezeigt hat, dass er seiner Sprache mächtig sey. – Die Aufnahme zu verlangen, will er sagen. Ich bitte, hatte er dieses Recht denn vorher? Hatte er vor allem Vertrage vorher einen rechtlichen Anspruch auf die Gesellschaft? So schreibt man – soll ich sagen aus Unkunde, oder mit Bedacht? – zweideutig, um einen falschen Satz durchschlüpfen zu lassen, und macht aus diesem Satze eine Folgerung, die selbst dann falsch bliebe, wenn auch ihr Vordersatz richtig wäre: »er muss sich nun, fährt er fort, besonders verabredete Bedingungen gefallen lassen, die ihm vieleicht härter fallen, als den Anderen.« Die mit ihm besonders verabredeten Bedingungen fallen ihm härter, als (eben diese?) den Anderen? Ich dachte, die Anderen stünden nicht unter den gleichen Bedingungen; sie ständen unter anderen, die an sich , und nicht darum, weil sie jenem nur härter fallen, (nur relativ) gelinder wären. So viel über die Nachlässigkeit des Ausdrucks. Jetzt über die Sache selbst! Warum müsste er denn? und warum nun ? Wenn er nun müsste, so hätte er vorher auch gemusst, wenn es der Gesellschaft gefallen hätte, ihm härtere Bedingungen aufzulegen. Durfte sie das etwa nicht? – Aber er muss weder nun, noch vorher. Sind ihm die Bedingungen zu hart, so hat er das volle Recht, auf den Beitritt zur Gesellschaft Verzicht zu thun. Er und sie sind zwei Handelsleute, die ihre Waaren jeder so hoch anschlagen, als sie sie los zu werden hoffen. Glück zu, dem, der bei dem Handel etwas gewinnt! Wer hätte denn den Marktpreis festsetzen sollen? – Die Frage ist nur die, ob es nicht Rechte giebt, die an sich unveräusserlich sind, und deren Veräusserung jeden Vertrag rechtswidrig und unkräftig machen würde. Auf diese Frage» wird Herr R. aus allen seinen Beispielen keine Antwort ziehen können; er wird sich mit uns auf Speculationen einlassen, oder schweigen müssen.

Ich werde zu diesem Schriftsteller, der Streitpunct und Gerichtshof verkennt; der durchgängig aus dem, was geschieht, auf das schliesst, was geschehen soll ; der alles wieder verwirrt, was Rousseau und seine Nachfolger auseinandergesetzt haben, und ich hier auseinandersetze; der den Ursprung des Eigenthumsrechts an Grund und Boden in der Gesellschaft sucht; und der uns von unserer Geburt an, ohne alles unser Zuthun, an den Staat bindet, noch öfterer zurückkommen müssen.

Entsteht nun bloss aus dem Willen der Contrahirenden im Vertrage die Verbindlichkeit gesellschaftlicher Verträge, und kann dieser Wille sich ändern; so ist klar, dass die Frage: ob sie ihren Vertrag ändern können, jener: ob sie überhaupt einen Vertrag schliessen konnten, völlig gleich ist. Jede Veränderung des ersten Vertrags ist ein neuer Vertrag, worin der alte in so oder so weit, oder ganz aufgehoben, in so oder so weit bestätigt wird. Veränderungen und Bestätigungen erhalten ihre Verbindlichkeit von der Einwilligung der Contrahirenden im zweiten Vertrage. Eine solche Frage lässt mithin vernünftigerweise sich gar nicht aufwerfen. – Dass alle Contrahirende einig seyn müssen, und dass keinem der Beitritt abgezwungen werden könne, folgt unmittelbar aus dem obigen. Sonst würde ihm ja durch etwas anderes, als durch seinen Willen, ein Gesetz aufgelegt.

»Wenn es aber eine Bedingung des Vertrags wäre, dass er ewig gültig und unabänderlich sey?« Ich will mich hier nicht auf die Frage einlassen: ob ein solcher für immer gültiger Vertrag, den selbst die Einwilligung beider Theile nicht aufheben könne, nicht etwa überhaupt widersprechend sey. Um die Untersuchung fruchtbarer, einleuchtender und unterhaltender zu machen, wende ich sie geradezu auf den vorliegenden Fall, und stelle die Frage so: ist eine Staatsverbindung, welche unabänderlich sey, nicht etwa widersprechend und unmöglich? Es kann nemlich hier, wo die ganze Untersuchung aus moralischen Grundsätzen geführt wird, nur von moralischen Widersprüchen, von moralischer Unmöglichkeit die Rede seyn. Die Frage lautet also eigentlich so: widerstreitet die Unabänderlichkeit irgend einer Staatsverfassung nicht etwa der durchs Sittengesetz aufgestellten Bestimmung der Menschheit?

Nichts in der Sinnenwelt, nichts von unserem Treiben, Thun oder Leiden, als Erscheinung betrachtet, hat einen Werth, als insofern es auf Cultur wirkt. Genuss hat an sich gar keinen Werth; er bekommt einen, höchstens als Mittel zur Belebung und Erneuerung unserer Kräfte für Cultur.

Cultur heisst Uebung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unabhängigkeit von allem, was nicht wir selbst, unser reines Selbst ist. Ich mache mich hierüber deutlicher.

Wird uns durch und in der Form unseres reinen Selbst,Diese Ausdrücke muss sich der Leser in der Einleitung klargemacht haben, oder er verstellt dieses Capitel nicht und keins der folgenden; und das durch seine eigene Schuld. durch das Sittengesetz in uns, unser wahrer letzter Endzweck aufgestellt, so ist alles in uns, was nicht zu dieser reinen Form gehört, oder alles, was uns zu sinnlichen Wesen macht, nicht selbst Zweck, sondern bloss Mittel für unseren höheren geistigen Zweck. Es soll uns nemlich nie bestimmen, sondern soll durch das Höhere in uns, durch die Vernunft, immer bestimmt werden. Es soll nie thätig sein, als auf das Geheiss der Vernunft; und nie auf andere Art thätig seyn, als nach der Norm, die jene ihm vorschreibt. Wir können von der Sinnlichkeit sagen, was jener Wilde bei Marmontel in seinem Todtengesange von der Gefahr sagt: So, wie wir geboren wurden, forderte sie uns zu einem langen, fürchterlichen Zweikampfe um Freiheit, oder Sklaverei auf. Ueberwindest du, sagte sie uns, so will ich dein Sklav seyn. Ich werde dir ein sehr brauchbarer Diener seyn können; aber ich bleibe immer ein unwilliger Diener, und sobald du mein Joch erleichterst, empöre ich mich gegen meinen Herrn und Ueberwinder. Ueberwinde ich dich aber, so werde ich dich beschimpfen und entehren und unter die Füsse treten. Da du mir zu nichts nütze seyn kannst, so werde ich nach dem Rechte eines Eroberers dich ganz zu vertilgen suchen.

In diesem Kampfe nun muss mit der Sinnlichkeit zweierlei geschehen. Sie soll erstlich bezähmt und unterjocht werden; sie soll nicht mehr gebieten, sondern dienen; sie soll sich nicht mehr anmaassen, uns unsere Zwecke vorzuschreiben, oder sie zu bedingen. Dies ist die erste Handlung der Befreiung unseres Ich; die Bezähmung der Sinnlichkeit. – Aber damit ist noch lange nicht alles geschehen. Die Sinnlichkeit soll nicht nur nicht Gebieter, sie soll auch Diener, und zwar ein geschickter, tauglicher Diener seyn; sie soll zu brauchen seyn.

Dazu gehört, dass man alle ihre Kräfte aufsuche, sie auf alle Art bilde, und ins unendliche erhöhe und verstärke. Das ist die zweite Handlung der Befreiung unseres Ich: die Cultur der Sinnlichkeit.

Hierbei zwei Anmerkungen! Zuvörderst, wenn ich hier von Sinnlichkeit rede, so verstehe ich nicht etwa bloss das darunter, was man sonst wohl mit diesem Namen bezeichnete, die niederen Gemüthskräfte, oder wohl gar bloss die körperlichen Kräfte des Menschen. Im Gegensatze gegen das reine Ich gehört alles zur Sinnlichkeit, was nicht selbst dieses reine Ich ist, also alle unsere körperlichen und Gemüthskräfte, welche, und insofern sie durch etwas ausser uns bestimmt werden können. Alles was bildsam ist, was geübt und verstärkt werden kann, gehört dazu. Die reine Form unseres Selbst ist es, die keiner Bildung fähig ist: sie ist völlig unveränderlich. In diesem Sinne des Worts gehört demnach Bildung des Geistes oder Herzens durch das reinste Denken, oder durch die erhabensten Vorstellungen aus der Religion, nicht minder zur Bildung der Sinnlichkeit, des sinnlichen Wesens in uns, als etwa die Uebung der Füsse durch den Tanz.

Zweitens dürfte etwa die vorgeschlagene Uebung und Erhöhung der sinnlichen Kräfte jemanden auf den Gedanken bringen, dass dadurch die Macht der Sinnlichkeit selbst vermehrt, und sie mit neuen Waffen gegen die Vernunft werde ausgerüstet werden. Aber das ist nicht. Gesetzlosigkeit ist der ursprüngliche Charakter der Sinnlichkeit; nur in ihr liegt ihre eigenthümliche Stärke, so wie dieses Werkzeug ihr entwunden wird, wird sie kraftlos. – Alle jene Bildung geschieht wenigstens nach Regeln, wenn auch nicht nach Gesetzen, auf gewisse Zwecke hin, mithin zum wenigsten gesetzmässig; es wird durch sie der Sinnlichkeit gleichsam die Uniform der Vernunft angelegt; die Waffen, die diese giebt, sind ihr selbst unschädlich, und sie ist gegen sie unverwundbar.

Durch die höchste Ausübung dieser beiden Rechte des Ueberwinders über die Sinnlichkeit nun würde der Mensch frei , d. i. bloss von sich, von seinem reinen Ich abhängig werden. Jedem: Ich will, in seiner Brust müsste ein: Es steht da, in der Welt der Erscheinungen entsprechen. Ohne die Ausübung des ersteren könnte er auch nicht einmal wollen; seine Handlungen würden durch Antriebe ausser ihm, wie sie auf seine Sinnlichkeit wirken, bestimmt; er wäre ein Instrument, das zum Einklänge in das grosse Concert der Sinnenwelt gespielt würde, und jedesmal den Ton angäbe, den das blinde Fatum auf ihm griffe. Nach Ausübung des ersteren Rechts könnte er zwar selbstthätig seyn wollen; aber ohne das zweite geltend zu machen, wäre sein Wille ein ohnmächtiger Wille; er wollte, und das wäre es alles. Er wäre ein Gebieter – aber ohne Diener, ein König – aber ohne Unterthanen. – Er stünde noch immer unter dem eisernen Scepter des Fatums, wäre noch an seine Ketten gefesselt, und sein Wollen wäre ein ohnmächtiges Gerassel mit denselben. Die erste Handlung des Ueberwinders versichert uns das Wollen ; die zweite, des Anwerbens und Wehrhaftmachens unserer Kräfte, versichert uns das Können .

Diese Cultur zur Freiheit nun ist der einzig-mögliche Endzweck des Menschen, insofern er ein Theil der Sinnenwelt ist; welcher höchste sinnliche Endzweck aber wieder nicht Endzweck des Menschen an sich, sondern letztes Mittel für Erreichung seines höheren geistigen Endzwecks ist, der völligen Uebereinstimmung seines Willens mit dem Gesetze der Vernunft. Alles, was Menschen thun und treiben, muss sich als Mittel für diesen letzten Endzweck in der Sinnenwelt betrachten lassen, oder es ist ein Treiben ohne Zweck, ein unvernünftiges Treiben.

Freilich hat der bisherige Gang des Menschengeschlechtes diesen Zweck befördert. – Aber ich bitte, erlauchte Vormünder desselben, nehmt dies nur nicht so voreilig als einen grossen Lobspruch eurer weisen Leitung auf, und wartet noch ein wenig, ehe ihr mich so zuversichtlich unter die Klasse eurer Schmeichler versetzt. Lasst mich erst geduldig mit euch untersuchen, was ich mit jenem Ausspruche vernünftigerweise kann sagen wollen. – – – Wenn ich nemlich diesem Gange hinterher nachdenke, und annehme, er könne einen Zweck gehabt haben, so kann ich vernünftigerweise meiner Betrachtung keinen anderen Zweck unterlegen, als den jetzt entwickelten, weil er der einzig-mögliche ist. Ich sage also dadurch gar nicht: ihr, oder irgend ein Wesen habe sich diesen Zweck bei der Richtung des Ganges bestimmt gedacht; sondern nur: ich denke mir ihn bestimmt zum Behuf einer möglichen Beurtheilung seiner Zweckmässigkeit. – » Wenn dieser Gang wirklich durch ein vernünftiges Wesen geleitet, und der Begriff jenes Zwecks seiner Leitung zu Grunde gelegen hätte, hätte es dann die tauglichsten Mittel zur Erreichung desselben gewählt?« frage ich mich. Ich sage nicht, dass es so gewesen sey: was weiss ich das? – Und was werde ich nun in dieser Untersuchung finden?

Fürs erste: niemand wird cultivirt, sondern jeder hat sich selbst zu cultiviren . Alles bloss leidende Verhalten ist das gerade Gegentheil der Kultur; Bildung geschieht durch Selbsttätigkeit, und zweckt auf Selbsttätigkeit ab. Kein Plan der Cultur kann also so angelegt werden, dass seine Erreichung nothwendig sey; er wirkt auf Freiheit, und hängt vom Gebrauche der Freiheit ab. Die Frage steht also so: sind Gegenstände vorhanden gewesen, an denen freie Wesen ihre Selbstthätigkeit auf den Endzweck der Cultur hin üben konnten?

Und was in der ganzen Welt der Erfahrung könnte denn so beschaffen seyn, dass Wesen, die thätig seyn wollen, ihre Thätigkeit daran nicht üben könnten? Dieser Forderung ist also leicht entsprochen, denn sie ist nicht zudringlich. Wer sich bilden will, bildet sich an allem. – Der Krieg, sagt man, cultivirt; und es ist wahr, er erhebt unsere Seelen zu heroischen Empfindungen und Thaten, zur Verachtung der Gefahr und des Todes, zur Geringschätzung von Gütern, die täglich dem Raube ausgesetzt sind, zum innigeren Mitgefühl mit allem, was Menschenantlitz trägt, weil gemeinschaftliche Gefahr oder Leiden sie enger an uns andrängen; aber haltet dies ja nicht für eine Lobrede auf eure blutgierige Kriegssucht, für eine demüthige Bitte der seufzenden Menschheit an euch, doch ja nicht abzulassen, sie in blutigen Kriegen aneinander aufzureiben. Nur solche Seelen erhebt der Krieg zum Heroismus, welche schon Kraft in sich haben; den Unedlen begeistert er zum Raube und zur Unterdrückung der wehrlosen Schwäche; er erzeugte Helden und feige Diebe, und welches wohl in grösserer Menge? – Wenn ihr bloss nach diesem Grundsatze beurtheilt werdet, so würdet ihr weiss bleiben wie Schnee; und wenn ihr ärger wäret, als eures Zeitalters Nervenlosigkeit es euch erlaubt. Der härteste Despotismus cultivirt. Der Sklave hört in dem Todesurtheile seines Despoten den Ausspruch des unabänderlichen Verhängnisses, und ehrt sich mehr durch freie Unterwerfung seines Willens unter das eiserne Schicksal, als irgend etwas in der Natur ihn entehren kann. Dies Schicksal, das heute den Sklaven aus dem Staube erhebt und ihn an die Stufen des Thrones stellt, und morgen ihn in sein Nichts zurückschleudert, lässt am Menschen nichts übrig, als den Menschen, und giebt den edleren Sarazenen und Türken jene milde Sanftheit, die aus ihren Romanen haucht, und jene Aufopferung für Fremdlinge und Leidende, die in ihren Handlungen herrschet: eben das Schicksal, das den unedleren Japaner zum entschlossenen Verbrecher macht, weil Unsträflichkeit ihn nicht schützt. – Werdet also auch sogar Despoten. Wenn wir sonst wollen, werden wir noch in den Schlingen eurer seidenen Schnur uns veredlen.

Mittel zur Cultur sind immer da; – und jetzt entsteht die zweite Frage: sind sie wirklich gebraucht worden? Lässt sich ein Fortschritt des Menschengeschlechts zur vollkommenen Freiheit im bisherigen Gange desselben nachweisen? – Lasst euch nicht bange seyn vor dieser Untersuchung; wir urtheilen nicht nach dem Erfolge, wie ihr. Wenn sich kein merklicher Fortschritt zeigen sollte, so dürft ihr dreist sagen: das ist eure Schuld; ihr habt die vorhandenen Mittel nicht gebraucht – und wir werden hierauf nichts Gründliches zu antworten haben, und, da wir keine Sophisten sind, gar nichts antworten.

Aber ein solcher Fortschritt zeigt sich wirklich, und das war denn auch von der Natur des Menschen, die schlechterdings nicht stille stehen kann, nicht anders zu erwarten. Die sinnlichen Kräfte der Menschheit sind allerdings, seitdem wir ihrem Gange nachschauen können, auf mannigfaltige Art gebildet und gestärkt worden. Sollen wir dies nun euch verdanken, oder wem bringen wirs in Rechnung?

Ist denn wirklich die Möglichkeit und die Leichtigkeit unserer Cultur bei Gründung und Regierung eurer Staaten euer Endzweck gewesen? Ich sehe eure eigenen Erklärungen darüber nach, und so weit ich zurückgehen kann, höre ich euch von Behauptung eurer Rechte und eurer Ehre, und von der Rache eurer Beleidigungen reden. Hier scheint es ja fast, als ob euer Plan gar nicht auf uns, als ob er überhaupt nur auf euch angelegt wäre, und als ob wir in denselben nur als Werkzeuge für eure Zwecke aufgenommen wären. Oder, wo sich eures Mundes eine seltene Grossmuth bemächtiget, redet ihr gar viel vom Wohle eurer treuen Unterthanen. Verzeiht, wenn eure Grossmuth uns ein wenig verdächtig wird, wo ihr für uns auf einen Zweck ausgeht, den wir selbst völlig aufgeben – auf sinnlichen Genuss.

Doch, vielleicht wisst ihr euch nur nicht auszudrücken; vielleicht sind eure Handlungen besser, als eure Worte. Ich spüre demnach, so gut es durch das dädalische Labyrinth eurer krummen Gänge, durch die tiefe, geheimnissvolle Nacht, die ihr über sie verbreitet, möglich ist, nach einer Einheit in den Maximen bei euren Handlungen, die ich ihnen als Zweck unterlegen könnte. Ich forsche vor Gott, gewissenhaft, und finde – Alleinherrschaft eures Willens im Innern – Verbreitung eurer Grenzen von Aussen . Ich beziehe den ersteren Zweck als Mittel auf unseren höchsten Endzweck, Cultur zur Freiheit; und ich gestehe nicht zu begreifen, wie es unsere Selbstthätigkeit erhöhen könne, wenn niemand selbstthätig ist, als ihr; wie es zur Befreiung unseres Willens abzwecken könne, wenn niemand in eurem ganzen Lande einen Willen haben darf, als ihr; wie es zur Herstellung der reinen Selbstheit dienen möge, wenn ihr die einzige Seele seyd, welche Millionen Körper in Bewegung setzt. Ich vergleiche den zweiten Zweck mit jenem Endzwecke, und bin wieder nicht scharfsichtig genug einzusehen, was es unserer Cultur verschlagen könne, ob euer Wille an die Stelle noch einiger Tausend mehr trete, oder nicht. Meint ihr, dass es den Begriff von unserem Werthe um ein grosses erhöhen werde, wenn unser Besitzer recht viele Heerden besitzt?

Doch freilich kann auch dieses alles niemand einsehen, der nicht so glücklich ist, in die tiefen Geheimnisse eurer Politik,Besonders befällt den oben belobten Schriftsteller ein geheimer Schauder, wenn einer sagt: es gehöre nur gesunder Menschenverstand dazu, um zu begreifen, was ihm bis jetzt zu begreifen noch so schwer wird. Ich gestehe ihm, dass ich der gleichen Meinung Bin. – »Aber, der Geschmack an Gründlichkeit wird ausgehen; man wird oberflächlich werden, wenn man das laut sagt!« – Dagegen lasse Herr R. seine Gegner sorgen! besonders in den Abgrund von allem, das Geheimniss des Gleichgewichts von Europa, eingeweiht zu seyn. Ihr wollt, dass euer Wille alleinherrschend in euren Staaten sey, damit ihr die ganze Kraft derselben, im Falle einer Gefahr jenes Gleichgewichtes, plötzlich gegen sie aufbieten könnet; ihr wollt, dass euer Staat von Innen so mächtig, von Aussen so ausgebreitet sey, als möglich, damit ihr dieser Gefahr eine recht grosse Kraft entgegenzusetzen habt. Die Erhaltung dieses Gleichgewichtes ist euer letzter Endzweck, und jene beiden Zwecke sind Mittel für die Erreichung desselben.

Also, euer wirklich letzter Endzweck wäre dieser? Erlaubt mir, daran noch einen Augenblick zu zweifeln. Von wem hat denn dies Gleichgewicht so viel schlimmes zu fürchten, als von euresgleichen? Es muss doch also wirklich welche unter ihnen geben, die es zu stören suchen. Welches ist denn der letzte Endzweck dieser Ruhestörer? Ohne Zweifel eben das, was ihr für Mittel zu eurem höheren Endzwecke ausgebt: die unumschränkteste und ausgebreitetste Alleinherrschaft.

Es muss sich doch ohngefähr bestimmen lassen, wie gross die Macht eines jeden Staates seyn müsse, dem die Politik die Erhaltung dieses Gleichgewichts aufträgt, wenn die Wagschale schwebend erhalten werden soll. Hier findet ihr ja eure bestimmte Grenze; geht bis zu ihr fort, und lasst den Anderen auch in Ruhe bis zu ihr vorschreiten, wenn es euch wirklich sonst um nichts, als um das Gleichgewicht zu thun ist, und wenn ihr es alle ehrlich meint. – Aber der Andere hat diese Grenzen überschritten; ihr müsst sie nun auch überschreiten, damit das unterbrochene Gleichgewicht wieder hergestellt werde? – Wenn die Schalen vorher wagerecht standen, so hättet ihr ja nicht nöthig gehabt, sie ihn überschreiten zu lassen; ihr hättet es ja verhindern sollen. Ihr werdet verdächtig, es nur darum zugelassen zu haben, damit auch ihr einen Vorwand fändet, die eurigen zu überschreiten, weil ihr euch in der Stille mit der Hoffnung schmeicheltet, ihn dabei zu übervortheilen, und ein paar Schritte weiter zu thun, als er; damit auch ihr wieder an eurem Theile das Gleichgewicht stören könntet. Man hat in unseren Zeiten Verbindungen grosser Mächte gesehen, welche Länder unter sich theilten, – um das Gleichgewicht zu erhalten. Das wäre ebensogut geschehen, wenn keiner von allen etwas genommen hätte. Warum wählten sie denn das erstere Mittel vorzüglich vor dem letzteren? – Es mag freilich wahr seyn, dass ihr euch begnüget, Erhalter dieses Gleichgewichtes zu seyn, so lange ihr nicht Kraft genug habet, zu werden, was ihr lieber wäret: Störer desselben; und dass ihr zufrieden seyd, andere zu verhindern, es aufzuheben, damit ihr es selbst einst aufheben könnet. Aber es ist eine durch Gründe a priori und durch die ganze Geschichte bestätigte Wahrheit: Die Tendenz aller Monarchien ist nach Innen uneingeschränkte Alleinherrschaft, und nach Aussen Universalmonarchie . Durch die Behauptung von einem bedrohten Gleichgewichte gestehen unsere Politiker dies ja sehr naiv selbst ein, indem sie bei dem Anderen sicher voraussetzen, wessen sie sich selbst wohl bewusst sind. Ein Minister muss lachen, wenn er den anderen ernsthaft über dieses Gleichgewicht sprechen hört; und sie müssen beide lachen, wenn wir Anderen, die wir dabei keinen Fuss breit Landes, und keine Pension zu gewinnen haben, unbefangen in ihre wichtigen Untersuchungen eingehen. Wenn keine der neueren Monarchien sich der Erreichung ihres Zweckes sonderlich genähert hat, so hat es wahrlich nicht am Wollen , es hat am Können gefehlt.

Aber, gesetzt dieses Gleichgewicht wäre wirklich euer letzter Endzweck, wie er es doch erweislich nicht ist, so muss er doch darum nicht der unserige seyn. Wir wenigstens werden diesen Zweck auf unseren letzten Endzweck als Mittel beziehen müssen. Wir wenigstens werden fragen dürfen: warum soll denn auch das Gleichgewicht erhalten werden?

Sobald es umgestürzt wird, sagt ihr, wird ein schrecklicher Krieg Eines gegen Alle entstehen, und dieser Eine wird Alle verschlingen. – Also, diesen Einen Krieg fürchtet ihr so sehr für uns, der, wenn alle Völker unter Einem Haupte vereiniget würden, einen ewigen Frieden gebären würde? Diesen Einen fürchtet ihr, und um uns vor ihm zu verwahren, verwickelt ihr uns in unaufhörliche? – Die Unterjochung durch eine fremde Macht fürchtet ihr für uns, und um uns vor diesem Unglück zu sichern, unterjocht ihr uns lieber selbst? 0, leiht uns doch nicht so ganz zuversichtlich eure Art, die Sachen anzusehen. Dass es euch lieber ist, wenn ihr es seyd, die uns unterjochen, als wenn es ein anderer wäre, ist zu glauben: warum es uns um vieles lieber seyn sollte, wüssten wir nicht. Ihr habt eine zärtliche Liebe zu unserer Freiheit; ihr wollt sie allein haben. – Die völlige Aufhebung des Gleichgewichtes in Europa könnte nie so nachtheilig für die Völker werden, als die unselige Behauptung desselben es gewesen ist.

Aber wie und unter welcher Bedingung ist es denn auch wohl nothwendig, dass auf die Aufhebung des berufenen Gleichgewichtes jener Krieg, jene allgemeine Eroberung erfolge? Wer wird sie denn veranstalten? Eines der Völker, welche eurer Kriege herzlich überdrüssig sind, und sich schon gern in friedlicher Ruhe gebildet hätten? Glaubt ihr, dass dem deutschen Künstler und Landmanne sehr viel daran liege, dass der lothringische oder elsassische Künstler und Landmann seine Stadt und sein Dorf in den geographischen Lehrbüchern hinführo in dem Capitel vom deutschen Reiche finde, und dass er Grabstichel und Ackergeräth wegwerfen werde, um es dahin zu bringen? Nein, der Monarch, der nach Aufhebung des Gleichgewichtes der mächtigste seyn wird, wird diesen Krieg erheben. Seht also, wie ihr argumentirt, und wie wir dagegen argumentiren. – Damit nicht Eine Monarchie alles verschlinge und unterjoche, sagt ihr, müssen mehrere Monarchien seyn, welche stark genug sind, sich das Gegengewicht zu halten, und damit sie stark genug seyen, muss jeder Monarch sich im Innern der Alleinherrschaft zu versichern, und von Aussen seine Grenzen von Zeit zu Zeit zu erweitern suchen. – Wir dagegen folgern so: dieses stete Streben nach Vergrösserung von Innen und Aussen ist ein grosses Unglück für die Völker; ist es wahr, dass sie es ertragen müssen, um einem ungleich grösseren zu entgehen, so lasst uns doch die Quelle jenes grösseren Unglückes aufsuchen, und sie ableiten, wenn es möglich ist. Wir finden sie in der uneingeschränkten monarchischen Verfassung; jede uneingeschränkte Monarchie (ihr sagt es selbst) strebt unaufhörlich nach der Universalmonarchie. Lasst uns diese Quelle verstopfen, so ist unser Uebel aus dem Grunde gehoben. Wenn uns niemand mehr wird angreifen wollen, dann werden wir nicht mehr gerüstet zu seyn brauchen; dann werden die schrecklichen Kriege und die noch schrecklichere stete Bereitschaft zum Kriege, die wir ertragen, um Kriege zu verhindern, nicht mehr nöthig seyn; – nicht mehr nöthig seyn, dass ihr so geradehin auf die Alleinherrschaft eures Willens arbeitet. – Ihr sagt: da uneingeschränkte Monarchien seyn sollen, so muss sich das menschliche Geschlecht schon eine ungeheure Menge von Uebeln gefallen lassen. Wir antworten: da sich das menschliche Geschlecht diese ungeheure Menge von Uebeln nicht gefallen lassen will, so sollen keine uneingeschränkten Monarchien seyn. Ich weiss, dass ihr eure Folgerungen durch stehende Heere, durch schweres Geschütz, durch Fesseln und Festungsstrafe unterstützt; aber sie scheinen mir darum nicht die gründlicheren.

Ehre, dem Ehre gebühret; Gerechtigkeit jedem! Das Reiben des mannigfaltigen Räderwerkes dieser künstlichen politischen Maschine von Europa erhielt die Thätigkeit des Menschengeschlechtes immer in Athem. Es war ein ewiger Kampf streitender Kräfte von Innen und von Aussen. Im Innern drückte, durch das wunderbare Kunststück der Subordination der Stände, der Souverain auf das, was ihm am nächsten stand; dieses wieder auf das, was zunächst unter ihm war; und so bis auf den Sklaven herab, der das Feld baute. Jede dieser Kräfte widerstrebte der Einwirkung, und drückte wieder nach oben herauf, und so erhielt sich durch das mannigfaltige Spiel der Maschine und durch die Elasticität des menschlichen Geistes, der es belebte, dieses sonderbare Kunstwerk, das in seiner Zusammensetzung gegen die Natur sündigte, und brachte, auch wo es von einem Puncto ausging, die verschiedensten Producte hervor: in Deutschland eine föderative Republik, in Frankreich eine unumschränkte Monarchie. Von Aussen, wo keine Subordination stattfand, wurde Wirkung und Gegenwirkung durch die stete Tendenz zur Universalmonarchie, die darum, weil sie nicht immer deutlich gedacht wurde, nicht weniger das letzte Ziel aller Unternehmungen war, bestimmt und erhalten; vernichtete in der politischen Reihe ein Schweden, schwächte ein Oesterreich und Spanien, und erhob ein Russland und Preussen aus dem Nichts; und gab an moralischen Phänomenen der Menschheit eine neue Triebfeder zu heroischen Thaten, den Nationalstolz ohne Nation. Die Betrachtung dieses mannigfaltigen Spieles kann dem denkenden Beobachter eine erweckende Gemüthsergötzung geben, aber befriedigen, und über das, was ihm Noth ist, belehren, kann es den Weisen nicht.

Wenn wir also auch nicht bloss unter euren politischen Verfassungen, sondern auch mit durch sie an Cultur zur Freiheit gewonnen hätten, so haben wir euch dafür nicht zu danken, denn es war nicht nur euer Zweck nicht, es war sogar gegen ihn. Ihr ginget darauf aus, alle Willensfreiheit in der Menschheit, ausser der eurigen, zu vernichten; wir kämpften mit euch um dieselbe, und wenn wir in diesem Kampfe stärker wurden, so geschah euch damit sicher kein Dienst. – Es ist wahr, um euch volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihr habt einige unserer Kräfte sogar absichtlich cultivirt: aber nicht, damit wir für unsere Zwecke, sondern damit wir für die eurigen tauglicher würden. Ihr ginget mit uns ganz so um, wie wir mit uns selbst hätten umgehen sollen. Ihr unterjochtet unsere Sinnlichkeit, und zwanget sie, ein Gesetz anzuerkennen. Nachdem ihr sie unterjocht hattet, bildetet ihr sie zur Tauglichkeit für allerlei Zwecke: soweit war alles recht, und wäret ihr hier stehen geblieben, so wäret ihr wahre Vormünder der unmündigen Menschheit geworden. Nun aber sollte eure Vernunft, und nicht die unsere, euer: Ich will; und nicht das unsere, der obere Beherrscher seyn, welcher dieser gezähmten und gebildeten Sinnlichkeit ihre Zwecke bestimmte. Ihr liesset uns in mancherlei Wissenschaften unterrichten, deren Form und Inhalt schon nach euren Absichten eingerichtet waren, damit wir lenksamer für sie würden. Ihr liesset uns mancherlei Künste lehren, damit wir euch und diejenigen, die euch umgeben, entweilen könnten, oder damit wir euch und den Werkzeugen der Unterdrückung in euren Händen, wo eure Hände selbst nicht hinreichen konnten, den Prunk verschafften, womit ihr die Augen des Pöbels blendet. Ihr unterwieset endlich Millionen, – und das ist das Meisterstück, worauf ihr euch am meisten zu gute thut – in der Kunst, sich auf einen Wink rechts und links zu schwenken, an einander geschlossen wie Mauern sich plötzlich wieder zu trennen, und in der fürchterlichen Fertigkeit zu würgen; um sie gegen alles zu brauchen, was euren Willen nicht als sein Gesetz anerkennen will. Das sind, so viel ich es weiss, eure absichtlichen Verdienste um unsere Cultur.

Dagegen habt ihr von einer anderen Seite sie absichtlich gehindert, unsere Schritte aufgehalten, und Fussangeln auf unsere Bahn geworfen. Ich will euch nicht an die Thaten des Ideals aller Monarchien, derjenigen, die die Grundsätze derselben am festesten und folgerechtesten ausdrückte, an das Papstthum erinnern. Das ist derjenige Unfug, an welchem ihr unschuldig seyd; ihr wäret damals selbst Werkzeuge in einer fremden Hand, wie wir es jetzt in der eurigen sind. Aber inwieweit sind denn, seitdem ihr frei seyd, eure Grundsätze von den Grundsätzen eures grossen Meisters, dem nur wenige unter euch die schuldige Dankbarkeit zeigen,Doch ja! man fängt an seine Pflicht zu erkennen und zu erfüllen. abgewichen? – Um den letzten Keim der Selbsthätigkeit im Menschen zu zerdrücken, um ihn bloss passiv zu machen, lasse man seine Meinungen von fremder Autorität abhängen, – war der Grundsatz, auf welchem diese fürchterliche Universalmonarchie aufgeführt war; ein Satz, der so wahr ist, als je der Witz der Hölle einen erfand; ein Satz, mit welchem die unumschränkte Monarchie unausbleiblich entweder steht oder fällt. Wer nicht bestimmen darf, was er glauben will, wird sich nie unterstehen, zu bestimmen, was er thun will; wer aber seinen Verstand frei macht, der wird in kurzem auch seinen Willen befreien. – Das rettet deine Ehre bei der richtenden Nachwelt, unsterblicher Friedrich, erhebt dich aus der Klasse der zertretenden Despoten, und setzt dich in die ehrenvolle Reihe der Erzieher der Völker für Freiheit. Diese natürliche Folge unbemerkt sich entgehen lassen, konnte dein hellsehender Geist nicht; doch wolltest du den Verstand deiner Völker frei; du musstest also sie selbst frei wollen, und hätten sie dir reif für die Freiheit geschienen, du hättest ihnen gegeben, wozu du unter einer zuweilen harten Zucht sie nur bildetest, – Aber ihr Anderen, was thut ihr? – Consequent verfahrt ihr freilich, vielleicht consequenter, als ihr selbst es wisst: denn es wäre nicht das erstemal, dass jemanden der Instinct richtiger geführt hätte, als seine Folgerungen. Wenn ihr herrschen wollt, so müsst ihr zuerst den Verstand der Menschen unterjochen; hängt dieser von eurer Willkür ab, so wird das übrige ihm ohne Mühe folgen. Neben uneingeschränkter Denkfreiheit kann die uneingeschränkte Monarchie nicht bestehen. Das wisst ihr, oder fühlt es, und nehmt eure Maassregeln darnach. So erhob sich, dass ich euch ein Beispiel anführe, aus der Mitte der Geistessklaverei ein muthiger Mann, den ihr jetzt in eure Grüfte der Lebenden einmauern würdet, wenn er jetzt käme, und entwand das Recht, über unsere Meinungen zu sprechen, der Hand des römischen Despoten, und trug es auf ein todtes Buch über. Das war für den ersten Anfang genug, besonders da jenes Buch der Geistesfreiheit einen weiten Spielraum liess. Die Erfindung mit dem Buche gefiel euch, aber nicht der weite Spielraum. Was einmal geschehen war, liess sich nicht ungeschehen machen: aber für die Zukunft nahmt ihr eure Maassregeln. Ihr zwängtet jeden in den Raum ein, den bei jenem Aufschwunge der Geister der seinige eingenommen hatte, verpfähltet ihn hier, wie ein beschworenes Gespenst in seinem Banne, mit Distinctionen und Clauseln, bandet an diese Clauseln seine bürgerliche Ehre und Existenz, und sprachet: da du nun leider einmal hier bist, so wollen wir dich wohl hier lassen, aber weiter sollst du nicht kommen, als diese Pfähle gesteckt sind, – und jetzt wäret ihr unserer Geistessklaverei versicherter, als je. Unsere Meinungen waren an einen harten, unbiegsamen Buchstaben gebunden; hättet ihr uns doch lieber den lebendigen Meinungsrichter gelassen! Durch keinen Widerspruch gereizt wäre er wenigstens in einiger Entfernung dem Gange des menschlichen Geschlechts gefolgt, und wir wären wahrlich heute weiter. – Das war euer Meisterstück! So lange wir nicht begreifen werden, dass nichts darum wahr ist, weil es im Buche steht; sondern dass das Buch gut, heilig, göttlich, wenn wir wollen, darum ist, weil wahr ist, was darin steht, werdet ihr an dieser einzigen Kette uns festhalten können.

Diesem Grundsatze seyd ihr hier, ihr seyd ihm in allem treu geblieben. Ihr habt nach allen Richtungen hin, die der menschliche Geist nehmen kann, Grenzpfähle, privilegirte Grundwahrheiten zu betiteln, gesteckt, und gelehrte Klopffechter dabei gestellt, die jeden, der über sie hinaus will, zurücktreiben. Da ihr nicht immer auf die Unüberwindlichkeit dieser gemietheten Kämpfer rechnen konntet, so habt ihr zu mehrerer Sicherheit einen bürgerlichen Zaun zwischen den Pfählen geflochten; und Besucher an die Pförtchen desselben gesetzt. Dass wir innerhalb dieser Umzäunung uns herumfummeln, mögt ihr dulden; werft auch wohl, wenn ihr bei guter Laune seyd, einige Schaupfennige unter uns, um euch an unserer Geschäftigkeit, sie aufzufangen, zu belustigen. Aber wehe dem, der sich über diese Umzäunung hinauswagt; – der überhaupt keine Umzäunung anerkennen will, als die des menschlichen Geistes. Schlüpft ja einmal einer hindurch, so kommt das daher, weil weder ihr, noch eure Besucher etwas merken. Sonst ist alles, was darauf abzweckt, die Vernunft in ihre unterdrückten Rechte wieder einzusetzen, die Menschheit auf ihre eigenen Füsse zu stellen, und sie durch ihre eigenen Augen sehen zu lassen, oder – damit ich euch ein Beispiel gebe, das euch auf der Stelle überzeugt – Untersuchungen, wie die gegenwärtige, vor euren Augen eine Thorheit und ein Greuel.

Dies wäre demnach unsere Abrechnung mit euch über die Fortschritte in der Cultur, die wir unter euren Staatsverfassungen gemacht haben. – Ich übergehe den Einfluss derselben auf unsere unmittelbare moralische Bildung: ich will euch hier nicht an das sittliche Verderben erinnern, das sich von euren Thronen aus rund um euch her verbreitet, und nach dessen verstärktem Anwachs man die Meilen berechnen kann, die man noch bis zu euren Residenzen zu reisen hat.

Dass, wenn wirklich Cultur zur FreiheitIch begegne hier noch einem möglichen Missverständnisse, das ich vom ungelehrten Publicum nicht, das ich nur von Gelehrten erwarte. Es muss aus dem ganzen bisherigen Gange dieser Abhandlung klar seyn, dass ich dreierlei Arien von Freiheit unterscheide: die transcendentale , die in allen vernünftigen Geistern die gleiche ist; das Vermögen, erste unabhängige Ursache zu seyn ; die kosmologische, der Zustand, da man wirklich von nichts ausser sich abhängt – kein Geist besitzt sie, als der unendliche, aber sie ist das letzte Ziel der Cultur aller endlichen Geister; die politische das Recht, kein Gesetz anzuerkennen, als welches man sich selbst gab , Sie soll in jedem Staate seyn. – Ich hoffe, dass nirgends zweideutig bleibt, von welcher Art derselben ich eben rede. – Sollte jemand verwirren wollen, was ich auseinandersetzte; es vielleicht verwirren wollen, um mich für seinen eigenen Fehler abzustrafen, so sey diese Note ein kräftiger Riegel für ihn. der einzige Endzweck der Staatsverbindung seyn kann, alle Staatsverfassungen, die den völlig entgegengesetzten Zweck der Sklaverei Aller, und der Freiheit eines Einzigen, der Cultur Aller für die Zwecke dieses Einzigen, und der Verhinderung aller Arten der Cultur, die zur Freiheit mehrerer führen, zum Endzwecke haben, der Abänderung nicht nur fähig seyen, sondern auch wirklich abgeändert werden müssen, ist nun erwiesen; und wir stehen nun beim zweiten Theile der Frage: wenn nun eine Staatsverfassung gegeben würde, welche diesen Endzweck erweislich durch die sichersten Mittel beabsichtigte, würde nicht diese schlechterdings unabänderlich seyn?

Wären wirklich taugliche Mittel gewählt: so würde die Menschheit sich ihrem grossen Ziele allmählig annähern; jedes Mitglied derselben würde immer freier werden, und der Gebrauch derjenigen Mittel, deren Zwecke erreicht wären, würde wegfallen. Ein Rad nach dem anderen in der Maschine einer solchen Staatsverfassung würde stille stehen und abgenommen werden, weil dasjenige, in welches es zunächst eingreifen sollte, anfinge, sich durch seine eigene Schwungkraft in Bewegung zu setzen. Sie würde immer einfacher werden. Könnte der Endzweck je völlig erreicht werden, so würde gar keine Staatsverfassung mehr nöthig seyn; die Maschine würde stille stehen, weil kein Gegendruck mehr auf sie wirkte. Das allgemeingeltende Gesetz der Vernunft würde alle zur höchsten Einmüthigkeit der Gesinnungen vereinigen, und kein anderes Gesetz würde mehr über ihre Handlungen zu wachen haben. Keine Norm würde mehr zu bestimmen haben, wie viel von seinem Rechte jeder der Gesellschaft aufopfern sollte, weil keiner mehr fordern würde, als nöthig wäre, und keiner weniger geben würde: kein Richter würde mehr ihre Streitigkeiten zu entscheiden haben, weil sie stets einig seyn würden.

Hier ist es, wo der Verehrer der Menschheit auch nicht einen flüchtigen Blick hinwerfen kann, ohne sein Herz von einem sanften Feuer durchdrungen zu fühlen. Ich darf noch nicht jenen Umriss ausmalen, ich bin noch beim Reiben der Farben. Aber schon hier bitte ich euch, lasst euch doch durch jenen Gemeinspruch: so viele Köpfe, so viel verschiedene Gesinnungen, nicht schrecken. Er widerspricht dem anderen: die Menschheit muss und soll und wird nur Einen Endzweck haben, und die verschiedenen Zwecke, die Verschiedene sich vorsetzen, um ihn zu erreichen, werden sich nicht nur vertragen, sondern auch einander gegenseitig erleichtern und unterstützen – nicht im geringsten. Lasst euch doch diese erquickende Aussicht nicht durch den misgünstigen Gedanken verleiden, dass das doch nie in Erfüllung gehen werde. Freilich, ganz wird es nie in Erfüllung gehen; aber – es ist nicht bloss ein süsser Traum, nicht eine bloss täuschende Hoffnung, der sichere Grund beruht auf dem nothwendigen Fortgange der Menschheit – sie soll, sie wird, sie muss diesem Ziele immer näher kommen. Sie hat vor euren Augen an einem Ende einen Durchbruch begonnen; sie hat unter einem harten Kampfe mit dem gegen sie verschworenen Verderben, das an ihr selbst und ausser ihr seine ganzen Kräfte gegen sie aufbot, etwas geleistet, das doch wenigstens besser ist, als eure despotischen Verfassungen, die auf die Herabwürdigung der Menschheit ausgehen. – Doch ich will meinem Gegenstande nicht vorgreifen – nicht ernten, ehe ich gesäet habe.

Keine Staatsverfassung ist unabänderlich, es ist in ihrer Natur, dass sie sich alle ändern. Eine schlechte, die gegen den nothwendigen Endzweck aller Staatsverbindungen streitet, muss abgeändert werden; eine gute, die ihn befördert, ändert sich selbst ab. Die erstere ist ein Feuer in faulen Stoppeln, welches raucht, ohne Licht noch Wärme zu geben; es muss ausgegossen werden. Die letztere ist eine Kerze, die sich durch sich selbst verzehrt, so wie sie leuchtet, und welche verlöschen würde, wenn der Tag anbräche.

Die Clausel im gesellschaftlichen Vertrage: dass er unabänderlich seyn solle; wäre mithin der härteste Widerspruch gegen den Geist der Menschheit. Ich verspreche: an dieser Staatsverfassung nie etwas zu ändern oder ändern zu lassen, heisst: ich verspreche, kein Mensch zu seyn, noch zu dulden, dass, so weit ich reichen kann, irgend einer ein Mensch sey. Ich begnüge mich mit dem Range eines geschickten Thiers. Ich verbinde mich, und verbinde alle auf der Stufe der Cultur, auf die wir hinaufgerückt sind, stehen zu bleiben. So wie der Biber heute ebenso baut, wie seine Vorfahren vor tausend Jahren bauten; so wie die Biene heut ihre Zellen ebenso einrichtet, wie ihr Geschlecht vor Jahrtausenden; so wollen auch wir und unsere Nachkommen nach Jahrtausenden unsere Denkart, unsere theoretischen, politischen, sittlichen Maximen immer so einrichten, wie sie jetzt eingerichtet sind. – Und ein solches Versprechen, wenn es auch gegeben wäre, sollte gültig seyn? – Nein, Mensch, du durftest das nicht versprechen; du hast das Recht nicht, auf deine Menschheit Verzicht zu thun. Dein Versprechen ist rechtswidrig, mithin rechtsunkräftig.

So weit also hätte die Menschheit ihrer selbst vergessen können, dass sie das einzige Vorrecht, welches ihre Thierheit vor anderen Thieren auszeichnet, das Vorrecht der Vervollkommnung ins unendliche, aufgegeben; dass sie unter dem eisernen Joche des Despoten für ewig sogar auf den Willen Verzicht gethan hätte, es zu zerbrechen? – Nein, verlass uns nicht, heiliges Palladium der Menschheit, tröstender Gedanke, dass aus jeder unserer Arbeiten und jedem unserer Leiden unserem Brudergeschlechte eine neue Vollkommenheit und eine neue Wonne entspringt, dass wir für sie arbeiten, und nicht vergebens arbeiten; dass an der Stelle, wo wir jetzt uns abmühen und zertreten werden, und – was schlimmer ist als das – gröblich irren und fehlen, einst ein Geschlecht blühen wird, welches immer darf, was es will, weil es nichts will, als Gutes; – indess wir in höheren Regionen uns unserer Nachkommenschaft freuen, und unter ihren Tugenden jeden Keim ausgewachsen wiederfinden, den wir in sie legten, und ihn für den unsrigen erkennen. Begeistere uns, Aussicht auf diese Zeit, zum Gefühl unserer Würde, und zeige uns dieselbe wenigstens in unseren Anlagen, wenn auch unser gegenwärtiger Zustand ihr widerspricht. Geuss Kühnheit und hohen Enthusiasmus auf unsere Unternehmungen, und würden wir darüber zerknirscht, so erquicke – indess der erste Gedanke; ich that meine Pflicht, uns erhält – erquicke uns der zweite Gedanke: kein Saamenkorn, das ich streute, geht in der sittlichen Welt verloren; ich werde am Tage der Garben die Früchte desselben erblicken, und mir von ihnen unsterbliche Kränze winden.

Jesus und Luther, heilige Schutzgeister der Freiheit, die ihr in den Tagen eurer Erniedrigung mit Riesenkraft in den Fesseln der Menschheit herumbrachet, und sie zerknicktet, wohin ihr grifft, seht herab aus höheren Sphären auf eure Nachkommenschaft, und freut euch der schon aufgegangenen, der schon im Winde wogenden Saat: bald wird der Dritte, der euer Werk vollendete, der die letzte stärkste Fessel der Menschheit zerbrach, ohne dass sie, ohne dass vielleicht er selbst es wusste, zu euch versammelt werden. Wir werden ihm nachweinen; ihr aber werdet ihm fröhlich den ihn erwartenden Platz in eurer Gesellschaft anweisen, und das Zeitalter, das ihn verstehen und darstellen wird, wird euch danken.


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