Heinrich Federer
Gebt mir meine Wildnis wieder!
Heinrich Federer

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San Benedettos Dornen und San Francescos Rosen.

Die erste Nacht, die ich zur Pfingstzeit in den Sabinerbergen, in der Felseneinöde von Subiaco zubrachte, bleibt mir unvergeßlich.

Es ist wahrhaft eine Eremitenlandschaft, wohin sich der stolze, aufrechte Jüngling Benediktus im Brausen der Völkerwanderung und im Zerfall der alten Kultur flüchtete, um eine neue Kultur, eine klassische Zeit der Seele zu begründen.

Diese wilde Landschaft ist zu nichts als zu Einkehr und Ewigeitsgedanken geschaffen. Ich sehe wohl Blumen im Klostergarten, Hortensienstöcke an der Mauer und von einem Gesims schwer niederhängende Nelken. Aber wie düster ist das Grün, wie schwarz der überall hervorspringende Fels, wie feierlich das Rauschen des Anio aus den Schluchten herauf! Die Raben vom Sagro Specco mildern den Eindruck nicht. Und hoch über uns sind die Berge wie übereinandergebaut und beschatten nicht bloß die Erde, sondern auch den Himmel ob Subiaco. Alle irdischen Späßchen erlöschen hier glanzlos, und Fragen, grau und groß wie die Felsen, wachsen vor dir auf: Mensch, woher? . . . Mensch, wohin? . . .

Ich konnte nicht einschlafen in meiner klösterlichen Gastkammer. Die Aufregung malte mir, ob ich die Augen offenhielt oder schloß, stets riesenhafte Gestalten im Habit Sankt Benediktus' vor, mit weißem Scheitel, wallendem Bart, gesunden, roten Backen, aber einem welt- und himmelergründenden Augenpaar. Die Benediktinerpäpste, der große Gregor vor allen, dann die Maurus und Plazidus, Anselmus mit seiner wunderbaren Denkerstirne und dem scharf gehakten Kinn, Bonifazius, der Wanderriese, Gallus, der fröhliche Träumer, Bernhardus voll Honig und Salz, alle zogen sie in schleppend feierlicher Prozession an meiner Zelle vorbei, Schriftrollen unter dem Arm, Kirchenmodelle auf der flachen Hand oder den Finger am Mund, aber alle auf irgendeine feine Art auf den Mann in ihrer Mitte weisend, der das geradeste Haupt, den längsten Bart und den breitesten Heiligenschein ums Antlitz trug: Benedikti! . . . Silentium! Lärmt doch nicht so, ihr Menschlein, habt doch ein wenig Respekt vor der großen Seele der Einsamkeit!

Zwischenhinein hörte ich eine uralte, scharfzüngige Uhr die Stunden durch den Korridor schlagen. Dann wieder rauschte etwas zu meinem Gitterfenster empor. Waren es die Raben oder die Zypressen im Garten oder der Anio aus dem Tobel herauf oder der Wind von den Klippen der Sabinerkette? Oder rauschten die weiten Ärmel und Säume der Kutten so, die da wohl zum Chorgebet an meiner Schwelle vorübereilten?

Ich setzte mich ans Pültchen, zündete die Kerze wieder an und öffnete das vergilbte Büchlein, das ein freundlicher Mönch mir da neben ein Glas voll kleiner, völlig ungedörnter Rosen hingelegt und auf der elften Seite mit einem Merkzeichen versehen hatte. Aha, eine Legende . . . von diesen Röslein ist die Rede . . . von einem Wunder . . . von . . . ach, nein, ich will das heiligzierliche Geschichtlein gleich ganz aus seinem alten italienischen Druck heraus vorlesen . . . vorsingen möcht' ich's lieber, wenn mir genug Musik dazu auf der Lippe säße.

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Aus der Chronika unseres Stifts. Lies es einfältigen Sinnes, o Bruder Leser:

Eines Tages klopfte der arme heilige Bettelmann Franz von Assisi mit etlichen Gespanen seiner Regel an unserer fürnehmen Abtei und speiste im Refektori aus einer Schüssel mit unserem gnädigen Herrn Abt und dem ganzen Konvent.

Ganz eigen und erquicklich war da zu schauen, wie die gröbliche braune Kutte der Mindern Brüder und unsere feinere schwarze ein friedlich Farbenspiel abgaben. Aber nicht so einen Fadens und Sinnes spielten ihre Geister zusammen.

Unser Abbas zwar und der ehrwürdige Bruder Franz redeten vielerlei vom heiligen Erzvater Benedikt, und aus dem schier singenden Mund des Gastes ward das Lob unseres Stifters so süß wie das Geklingel unserer obersten silbernen Pfeiflein an der neuen Orgel zu hören.

Aber an den unteren Ecken der Tafel, wo die jungen Bettelbrüder neben unsern Fraters saßen, hub ein hitziges Disputieren an, was mehr gelte: aus Gottesliebe zu leben oder aus Gottesliebe zu sterben . . . und spann sich dann mehr erdwärts: ob ein Engel oder ein meßlesender Priester verehrlicher sei . . . um zuletzt ganz in der menschlichen Neugier zu enden: wer wohl größer sei, unser weiland Vater Benedikt oder dieser muntere Armutssohn Franz. Billig focht unser Konvent für seinen heiligen Abbas und ereiferte sich dabei schier gar mit geistlichem Übermut zu vexierlichen Anspielungen auf die barfüßigen sogenannten Mindern Brüder.

Dazumal glänzte unser Stift hier oben von Würdigkeit und strengen Züchten in die laue Welt hinunter wie ein lauterer Schneegipfel der Alpen. Aber, und das klagte der Abt dem Poverello, es wärmte nicht. Vielmehr verkältete es die Menschen, alldieweil viele Patres vermeinten, sonderlich hoch in unseres Herren Gnade zu stehen, alleine seine himmlische Gerechtsame zu genießen oder doch von seinen Erlesenen hinwiederum die Erlesenen zu sein. Sie beteten weit über die Mitternacht hinaus, kasteiten sich grausam, fasteten unmäßig für jedes enthüpfte irdische Lächeln und trieben die armen Sünder mit Geißel und Bußgürtel in den vom Wind verfegten Hof des Monasteri hinaus.

Daher sie nun den Gästen vor allem vom Hungern des Erzvaters, von seinem versiegelten Mund, seinen rauhen Stricken und dem Totenkopf aus seinem Pult erzählten und die geschornen Köpfe schüttelten, weil die Mindern Brüder noch immer lächelten und sich baß am eingeschenkten Wein und aufgeschütteten Obst erlaben mochten.

»Merkt wohl«, rief man, »daß Euer Ehrwürden niemals auf Rosen, sondern über gar bitteres Gedörn zur Stadt Gottes gelangt.«

Die Brüder lächelten noch lustiger.

»Merkt wohl, Brüder im Herrn, wie unser Erzvater da draußen Stachelbüsche großzog, worin er das sündige Fleisch und Blut erstickt hat! Auch wir pflegen das so, und ihr könnt in jeder Zelle eine Dornrute davon auf unserem Tischlein sehen. Doch ihr, so geht die Sage, liebet wacker das Singen und Scherzen, lachet mit Blumen und Vögeln und Kindern und anderem sotanem Flatterzeug, und euer Meister, nehmt es nicht für ungut, Brüder, steckt sich sogar Rosen, wie ein Verliebter, in den Gurt.«

»Gestrenge, fromme Väter«, wehrte sich jetzt ein kleiner brauner Frater, »wollet uns nicht für schlimmer nehmen, als wir sind. Weh uns, wenn wir nicht Dornen kännten! Fraget, Hochwürdige, fraget unsern Vater Franz, wie oft man uns durch die Gassen jagte, Hirnwütige benamste und von den Fenstern auf uns spuckte! Wie viele Kirchen und Klosterstuben man vor unserer Nase verrammelte und uns Zuchtlosigkeit und Ketzerei statt Brot vorwarf. Das waren Dornen, und die uns am tiefsten stachen, heiß' ich wie olim Paulus: die falschen Brüder.«

»Pst! Pst!« machten da etliche braune Kapuzen und schwänzelten keck mit dem Haubenzipfel. »'s ist lang nicht so schlimm, Elia, lange nicht!«

»Und wir leiden es leicht«, spann ein zweiter, blonder Frater den Faden fort! »Aber maßen das Leben der Faßlichkeiten und Herzplagen dick voll ist, täte ein wohlgeschaffenes Erdkind übel, wenn es das bißchen liebe lustige Herrgottssonne nicht in seine Kümmernis lachen ließe und nicht mit frohfarbigen Gänseblumen und Finkenpfiff und allen andern Ergötzlichkeiten, die zur Aufheiterung unserer schweren Gemüter erschaffen sind, sich die schweren Tage ein wenig erhellen und gleichsam aus unseres Herrgotts Malkasten unsere Schattenstube vergolden wollte. So mein' ich armer dummer Bruder Beppo. Verzeiht mir das unziemliche Widerspiel eurer Rede, Hochwürdige. Euer Ernst ist mir heilig. Aber Gott segne auch mein Lachen!«

Und wie er denn nicht anders vermochte, sperrte der junge, hellockige Bruder die unrasierten Lippen auf, daß die Zähne wie Kiesel hervorglitzerten, und lächelte den Konvent mit dem ganzen frischen Lerchengesicht, insonderheit mit ein paar so frohen, goldbraunen Augen an, daß die Sonne selber dagegen fast wie ein Schatten aussah.

Dieser lichte Übermut focht die gestrengen Klosterherren noch mehr an. Und als sie bemerkten, wie nicht nur der Bruder Franz, sondern auch sein Wirt, der Abbas selber, dem Jüngling gütig zunickte, da verdüsterten sich ihre grauen Mienen noch mehr. Er verzaubert alles, dachten sie. Da hat er schon unsern Gnädigen betört.

Nach dem Essen begaben sich die Mönche mit den Gästen in den Garten, wo Falter und Käfer über den Blumen schaukelten und die Sonne wie in einem leisen Räuschchen über allen Beeten lag. Aber unsere Klosterherren achteten diese geflügelte Heiterkeit mit keinem Blick, sondern führten die braunen Brüder zu den finstern Dornenbüschen, die der Erzvater von den Felsen heruntergeholt und hierher gepflanzt hatte. Und stachelig und dunkel wie dieser Wildwuchs sah der Pater Senior selbst nun aus, als er dräuend gegen Franz und seine Jünger das Wort schleuderte: »Hier habt ihr den Wappenbaum des Gerechten.«

»Aus diesem harten Buch lesen wir Himmelstrost«, fügte ein Zweiter hinzu.

Ein Dritter: »Wer Tränen säet, wird Lachen ernten.«

»Wie dem alten Moses, zeigt sich uns Gott im Dornbusch!«

Mit solchen und andern mehr und minder biblischen Sprüchen zürnten die Patres gegen die Franziskaner, und man sah es ihren gedörnten Blicken an, daß sie auf nichts Hoffnung gaben, was nicht durch Marter und Seufzer erworben würde.

»Wem sein Heil lieb ist, der nehme ein spitzes Zweiglein mit heim«, gemahnte der Senior, »damit er in der Zucht des Herrn verharre. Fanget Ihr an, ehrwürdiger Bruder Franz.«

Der Mann von Assisi trat gerne hinzu und brach lächelnd ein Ästchen vom Gesträuch. Aber, o da, o da, seht! Wie Blut sprang es plötzlich aus dem Holz, und statt der Stacheln trug die Gerte eine Unzahl kleiner roter Rosen. Ein Schrei des Staunens ging durch den Garten. Über alle Beete ergoß sich das rosige Wunder. Strauch um Strauch lohte auf in einer solchen Feuersbrunst von Röschen. Was vorher wie eine schreckhafte Wildnis aussah, war jetzt nichts anderes als wie ein Meer von duftigen Rosenköpflein anzublicken, wahrhaft, wie ein einziges großmächtiges Lachen. . . . Widerlegt und beschämt durch sotanes Wunder und Zeichen des Herrn schlich einer unserer Väter nach dem andern, den Ärmel vor dem geblendeten Gesicht, in seine Klause. Ei der Tausend, auch der Dornstengel auf jedem Tischchen und Pültchen hatte sich in einen langen blühenden Rosenzweig verwandelt und räucherte die Zellen mit einem paradiesischen Aroma voll. Da erfaßten es denn auch unsere verbohrtesten Rigorosi, daß dem lieben Gott viel genehmer als alle Strengheiten der Disziplin eine freie, gottesfrohe Seele sei, und daß dieses eineinzigen Franz' Lächeln mehr wiege vor dem Himmel als zwölf Abteien voll schattiger Heiligengesichter.

So sind aus den Dornen Benedicti die Rosen Francisci gewachsen und röten und weihräuchern noch heute den alten Stiftsgarten. Du aber, frummer Legendenleser, mögest hinfür immer ein Schoß von Franzens wundersamem Rosenbäumchen, will sagen, ein kleines Lächeln mit dir durchs unzarte Leben in die ewigen Urständ' tragen! Amen.


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