Gustav Theodor Fechner
Vorschule der Ästhetik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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XIII. Vertretung des direkten Faktors ästhetischer Eindrücke gegenüber dem assoziativen.

1) Vorbemerkungen.

Daß im Wandel und Streit ästhetischer Ansichten nicht bloß der assoziative sondern auch direkte Faktor ästhetischer Eindrücke mitunter Unrecht leidet, ist früher im Allgemeinen besprochen; und nachdem wir dem ersten früher sein Recht und seine Bedeutung zu wahren gesucht, wollen wir dem zweiten mit folgenden Betrachtungen gleich gerecht zu werden suchen.

Daß Formen, Farben, Töne und selbst Verhältnisse von solchen, deren Eindruck schon über den rein sinnlichen hinausgeht, uns rücksichtslos auf angeknüpften Sinn, Bedeutung, Zweck, und ohne eine Erinnerung an äußerlich oder innerlich früher davon Erfahrenes, kurz vermöge direkter Einwirkung, mehr oder weniger gefallen oder mißfallen können, bezweifelt Niemand. Jedem gefällt abgesehen von Assoziation reines gesättigtes Rot oder Blau besser als schmutziges fahles, und die Zusammenstellung von Rot und Blau besser als von Gelb und Grün, jedem ein reiner voller Ton besser als ein unreiner oder ein Gekreisch, jedem ein rein symmetrisches Rechteck besser als ein windschiefes; einheitlich verknüpfte Mannigfaltigkeit überhaupt besser als Monotonie oder unregelmäßiges Formgewirr. Wo aber Assoziation hinzutritt, kann sie eben sowohl die, vom direkten Eindruck abhängige, Wohlgefälligkeit stören als steigern. Alles das ist in früheren Betrachtungen teils stillschweigend vorausgesetzt, teils besonders besprochen worden, im Laufe dieser Besprechung aber behauptet worden, daß während in den Künsten der Sichtbarkeit der assoziative Faktor die Hauptrolle spielt, in der Musik diese vielmehr dem direkten Faktor zufalle.

Letztere Behauptung soll jetzt ihre Ausführung und so weit möglich Begründung in aufzeiglichen Verhältnissen finden, hiernach aber gezeigt werden, daß, wenn schon in den Künsten der Sichtbarkeit der direkte Faktor eine viel untergeordnetere Rolle als in der Musik spielt, seine Leistung doch auch hier keinesweges zu verachten sei.

2) Der direkte Faktor in der Musik.

Im Eindruck der Musik spielen alle unterscheidbaren Momente, welche in dieselbe eingehen oder aus welchen sich dieselbe zusammensetzt, auch eine unterscheidbare Rolle, sofern mit Abänderung eines jeden derselben der Eindruck sich in anderer Weise abändert. Die Sprache hat aber keine Mittel, alle Modifikationen und Abänderungen des Eindruckes hiernach zulänglich und erschöpfend zu bezeichnen, wenn nicht durch Angabe der ursächlichen Momente selbst, wovon der Eindruck nun eben abhängt.

Inzwischen kann man doch übersichtshalber die Weisen oder Seiten des Eindruckes, welche von Modifikationen des Tempo’s, Taktes, Rhythmus, der Richtung und dem Wechsel des Auf- und Absteigens in der Skala der Stärke und Höhe der Töne abhängen, unter dem Ausdrucke musikalischer Stimmungen zusammenfassen, hiergegen die, welche von den, durch die Obertöne vermittelten Verwandtschaftsbeziehungen der Töne (Klänge) abhängen, als Empfindung von Melodie und Harmonie, und hiernach kurz ein Stimmungselement und ein spezifisches Element der Musik unterscheiden, sofern letzteres der Musik eigentümlicher ist als ersteres.

Auf diesen beiden Elementen, im Grunde Kollektiv-Elementen, beruhen die wesentlichen Wirkungen der Musik; sie sind von Vorstellungsassoziationen unabhängig, und so viel sich von Vorstellungen, Erinnerungen und Resultanten derselben bezüglich auf Dinge und Verhältnisse außerhalb der Musik daran anknüpfen kann, bleibt es doch für diese wesentlich musikalischen Wirkungen beiläufig und wechselt innerhalb gewisser Grenzen bei derselben Musik nach zufälligen Nebenumständen.

Die, hier so genannten, musikalischen; Stimmungen stimmen zum Teil mit solchen überein, oder klingen an solche von gewisser Seite an, die auch ohne Einwirkung der Musik im Menschen da sein können, als da sind Stimmungen der Heiterkeit, des Ernstes oder selbst der Traurigkeit, der Aufregung oder Sänftigung, der Kraft oder Milde, der Erhabenheit oder Lieblichkeit, des mehr oder minder leichten Flusses innerer Bewegung. Nennen wir solche Stimmungen in Ermangelung eines andern bezeichnenden Ausdrucks kurz lebensverwandte Stimmungen der Musik. Obwohl die musikalischen Stimmungen dadurch bei Weitem nicht erschöpft werden, — denn für wie viele vermöchte man keine andere Charakteristik zu finden, als durch die musikalischen Figuren oder Gänge selbst, von welchen sie abhängen — sind sie doch von besonderer Wichtigkeit insofern, als die Musik darin eins ihrer Mittel findet, mit andern Künsten und dem Leben außerhalb der Musik in Beziehung zu treten.Ob die lebensverwandten Stimmungen, was wir hier so genannt haben, nicht auch, wenigstens zum Teil, von den melodischen und harmonischen Verwandtschaftsbeziehungen der Töne (Klänge) mit beeinflußt werden, kann zweifelhaft sein; doch ist jedenfalls nicht nötig, es vorauszusetzen. Unstreitig zwar hat die Richtung des Auf- und Absteigens und der Wechsel in der Höhenskala der Töne Einfluß darauf, und hierauf führte man sonst die melodischen Beziehungen selbst zurück; aber wenn Helmholtz’s Ansichten, wie es allen Anschein hat, in (dieser Beziehung richtig sind, sind es nicht die Höhen-Beziehungen an sich, welche die Melodie geben, sondern die Beziehungen zwischen den Obertönen, welche dabei mitgehen, und ohne welche sich die Höhenbeziehungen nur nicht haben lassen.

In Betreff dieser lebensverwandten Stimmungen dürfte man wohl füglich als Prinzip aussprechen können, daß die Bestimmungen und Verhältnisse der Musik, wodurch eine solche Stimmung erweckt wird, sich in wesentlichsten Punkten mit der aktiven Ausdrucksweise derselben Stimmung in Stimme und Bewegungen des Menschen begegnen, so weit dies nämlich nach der verschiedenen Einrichtung der musikalischen Instrumente und menschlichen Organisation möglich ist. Eine lustige Musik hat ein anderes Tempo, einen anderen Rhythmus als eine tragische, und einen analogen Gegensatz zeigt der eigne Ausdruck der Lustigkeit und Trauer in Stimme und Bewegung. Dabei aber ist keinesfalls nötig anzunehmen, daß wir, um durch die Musik in eine Stimmung von gegebenem Charakter versetzt zu werden, uns eines schon geäußerten aktiven Ausdrucks derselben Stimmung erst erinnern müssen; sondern in der Übereinstimmung der, durch die Musik in uns erzeugten rhythmischen und überhaupt für eine Stimmung charakteristischen Bewegungsverhältnisse mit solchen, welche vorweg in uns mit unsern Stimmungen in natürlicher Beziehung stehen, erscheint auch die Übereinstimmung der betreffenden Stimmungen von selbst natürlicherweise begründet. Da der aktive Ausdruck unserer Stimmungen nicht wesentlich melodisch oder harmonisch ist, wird man um so weniger Grund haben, den Eindruck der Melodie und Harmonie in der Musik von einer Erinnerung an einen solchen Ausdruck abhängig zu machen.

Es gibt aber Gefühle mancherlei Art, die von obgenannten lebensverwandten Stimmungen, welche zu erwecken oder zu unterhalten im Vermögen der Musik liegt, und die noch einen sehr allgemeinen Charakter tragen, sofern sie sehr verschiedenen Vorstellungsreihen gemein sein können, eine größere Bestimmtheit dadurch voraus haben, daß sie mit Assoziationsvorstellungen von zukünftigem, vergangenem, verlornem Glück oder Unglück, oder von Verhältnissen der Neigung und Abneigung zu Anedern kompliziert sind, als da sind die Gefühle der Hoffnung, Furcht, Sehnsucht, Wehmut, Liebe, des Hasses, Zornes, der Rache; — und so hat unstreitig Hanslick"Vom musikalisch Schönen. Rud. Weigel. 1854." ganz Recht, wenn er der Musik das Vermögen abspricht, solche Gefühle mit Bestimmtheit hervorzurufen oder wie man sagt auszudrücken. Sie vermag es nicht, weil sie die charakteristischen Assoziationsvorstellungen dieser Gefühle nicht mit Bestimmtheit hervorrufen kann. Anders mit jenen allgemeinen Stimmungen. Es bedarf in der Tat keiner Assoziation, um durch eine sanfte Musik sanft gestimmt, durch eine lebhafte erregt, durch eine traurige tragisch gestimmt zu werden. Zu keinem traurigen Liede paßt eine lustige Melodie, zu keinem lustigen eine traurige. Insofern nun Vorstellungsassoziationen selbst den einen oder den anderen Charakter tragen können, wird allerdings auch ihr Hervortreten durch diese oder jene Stimmung und mithin eine Musik von dieser Stimmung begünstigt, aber die Stimmung nicht durch die Assoziation erst hervorgerufen. Und da derselbe Stimmungscharakter sehr verschiedenen Vorstellungsreihen gemeinsam sein kann, z. B. die Trauer von sehr verschiedenen Ursachen herrühren kann, welche den Inhalt der traurigen Vorstellungen bilden, wird es auch allgemein gesprochen unbestimmt bleiben und nur von zufälligen subjektiven oder objektiven Nebenbedingungen abhängen, ob eine Musik von bestimmtem Stimmungscharakter diese oder jene von den damit überhaupt verträglichen Vorstellungsreihen mitführt.

Auch entwickelt und verfeinert sich der Sinn des Musikers für den Eindruck musikalischer Verhältnisse nicht dadurch, daß er ihnen je länger je mehr eine assoziative nicht musikalische Bedeutung abgewinnt, sondern daß er sich immer mehr in das Gebiet der Tonbeziehungen selbst hineinlebt, höhere und verwickeltere Beziehungen dazwischen auffassen lernt, die der rohen ungeübten Auffassung entgehen. Damit aber bleiben sie doch Sache des direkten Eindrucks.

Allerdings können die rhythmischen Bewegungen und Beziehungen der Musik, die Wechsel und Kontraste der Stärke und Schwäche und selbst der Klang mancher Töne in ihr auch unmittelbar an Manches außerhalb der Musik erinnern, als den Wellenschlag, das Brausen des Meeres, das Rieseln des Baches oder Rauschen des Wasserfalles, das Säuseln oder Heulen des Windes, das Rollen des Donners, das Fallen der Schneeflocken, den Galopp des Pferdes, den Flügelschlag der Vögel, das Trillern der Lerche, den Gesang der Amsel u. s. w.; und so ist ein Mitspiel von Assoziationsvorstellungen dieser Art bei der Musik in demselben Sinne zuzugestehen, als auch beim Anblick gelber, roter, konkaver, konvexer Gegenstände Erinnerungen an alle mögliche gelbe, rote, konkave, konvexe Gegenstände mitspielen können; aber doch eben nur nebensächlich mit dem eignen Eindruck mitspielen. Und so sieht man nicht ein, warum man den Haupteindruck der musikalischen Beziehungen erst der Nachahmung anderer; der Erinnerung an andere zuschreiben sollte, warum sie nicht das Recht, ihren eigenen Eindruck geltend zu machen, von vorn herein hauptsächlich und unabhängig von solchen Erinnerungen geltend machen sollten, deren stilles Mitspiel dabei nicht ausgeschlossen, aber nur eben nicht wesentlich und fast immer nur in Anklängen mitunterlaufend ist. Keine Musik repräsentiert doch in ihrer ganzen Durchführung vollkommen den Wellenschlag des Meeres oder den Galopp eines Pferdes u. s. w., vielmehr werden Erinnerungen daran, welche die Musik etwa erweckt, eben so leicht wieder gestört, verdrängt, zerstört, als sie sich geltend machen, wenn sie sich überhaupt geltend machen. Für die spezifisch musikalischen Empfindungen aber, welche von den sich verkettenden melodischen und harmonischen Verwandtschaftsbeziehungen der Töne abhängen, gibt es überhaupt nur höchst unvollständige Analoga in unserem übrigen Erfahrungskreise, welche nicht entfernt den Zauber der Musik wiedergeben; warum sollte man also erst auf solche Analoga weisen, um diesen Zauber für ein Resultat der Erinnerung daran zu erklären.

Zwar mag man es aus dem Gesichtspunkte eines sehr allgemein gehaltenen Vergleiches gelten lassen, wenn Lotze (Gesch. S. 490), sagt: "daß die Tonarten jene unendliche Beziehbarkeit, Vergleichbarkeit, Verwandtschaft und abgestufte Verschiedenheit des Weltinhaltes überhaupt repräsentieren, durch welche es geschehen kann, daß die Mannigfaltigkeit des Wirklichen, das den allgemeinen Gesetzen gleichmäßig unterliegt, zugleich ein geordnetes Ganze auf einander hindeutender, in einander übergehender oder einander ausschließender Gattungen bildet;" aber nicht eben so möchte ich Lotze darin Recht geben, daß es die "Erinnerung" an diese Verhältnisse des Weltinhaltes sei, was die Figuren, Rhythmen, Beziehungen der Musik für uns wertvoll mache."Den Wert derselben halten wir für keinen eigenen, sie erscheinen schön, indem sie die Erinnerung der unzähligen Güter erwecken, die in dem gleichen Rhytmus des Geschehens und nur in ihm denkbar sind." (Gesch. S. 487). Vergl. auch "Über die Bed. d. Kunstschönh. " S. 21. Vielmehr eben deshalb, weil die Musik selbst das schönste Beispiel einer wertvollen Fügung, Beziehung, Abstufung des Weltinhaltes bietet, wird es keiner Erinnerung an Etwas über die Musik hinaus zur Erweckung eines wertvollen Eindruckes bedürfen. Auch glaube ich nicht, daß Mozart und Schubert die Leute waren, in Schöpfung ihrer Symphonien durch Erinnerungen an den Weltgang über die Welt der Musik hinaus bestimmt zu werden; ja man kann fragen, ob eine Bewegung des Geistes in großen oder harmonischen Verhältnissen des Lebens und Denkens außerhalb der Musik überhaupt produktiver für solche innerhalb der Musik macht. Denn eben so leicht tritt in dieser Beziehung ein antagonistisches als sympathisches Verhältnis ein.

Unstreitig zwar kann das ganze geistige Besitztum des Menschen durch den Eingriff der Musik in Schwingungen versetzt werden, und je nachdem dies Besitztum ein bedeutendes oder unbedeutendes so oder so geartetes ist, was von dem frühern Bildungsgange des Menschen abhängt, wird die Musik durch die Schwingung oder Stimmung, in die sie den Inhalt dieses Besitztums versetzt, bedeutendere oder unbedeutendere, so oder so geartete Wirkungen zu äußern im Stande sein; doch kann jemand verhältnismäßig sehr wenig allgemeine Bildung besitzen, und stärkere und höhere direkte musikalische Eindrücke erhalten, die Musik im eigentlichsten Sinne besser verstehen und mehr gemessen, als der Gebildete, wenn er geübter als dieser im Auffassen und Verfolgen musikalischer Beziehungen ist und mehr musikalische Anlage hat, trotzdem, daß er wenig, der Andere viel und Bedeutendes assoziieren kann; nur eben das Nebenprodukt der Musik ist bei dem Anderen bedeutender.

Das Vorige hindert nicht, daß wir in einer allgemeinen Betrachtung der Künste, wie sie im Gange von Oben einzuschlagen ist, dem wir mit unserem Gange nur entgegenzukommen haben, uns der Unterordnung der musikalischen Beziehungen unter wertvolle allgemeinere Beziehungen des Weltganzen erinnern, nur möchte ich die spezifische Wirkung der Musik selbst nicht in einer solchen Erinnerung suchen.

In Betreff der Regeln, von welchen die musikalische Wohlgefälligkeit abhängt, ist nach besondern Beziehungen auf musikalische Spezial- und Fachwerke zu verweisen. Die fundamentalsten Gesetze in dieser Beziehung freilich scheinen mir noch im Dunklen zu liegen, oder wenigstens noch einer hinlänglichen Bestimmtheit zu ermangeln. Wie im Abschnitt VI (Beispiele) erwähnt, glaube ich, daß das Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen eine Hauptrolle dabei spielt, wozu (bezüglich der Auflösung von Dissonanzen) ein Prinzip der ästhetischen Versöhnung in Mitrücksicht kommen mag. Die Beziehungen des Takts und Rhythmus, die Beziehungen verschiedener Grundtöne in Betreff der Gleichheit und Ungleichheit der Obertöne so wie unter einander, und der Aufbau höherer Beziehungen über niederen dazwischen geben Angriffspunkte für ersteres Prinzip und zwar höchst mannigfache und wechselnde Angriffspunkte. Das Prinzip scheint sich so zu sagen mit Lust darin zu entfalten und zu ergehen, in um so höheren Regionen, je höher die musikalische Entwicklung ansteigt. Kein andres Gebiet bietet in dieser Beziehung einen Spielraum gleich günstiger Bedingungen dar. Aber es ist zuzugestehen, daß dies Prinzip in der allgemeinen Aufstellung, die sich ihm bisher hat geben lassen, viel zu unbestimmt ist, um eine in Besonderheiten ausgeführte musikalische Theorie oder gar ein Maß musikalischer Wohlgefälligkeit darauf zu gründen. Der fundamentalen Aufgabe in dieser Hinsicht wird überhaupt schwer zu entsprechen sein, und ich verzichte selbst auf den Versuch dazu.

Hanslick vergleicht in seiner Schrift (S. 32. 33) den Eindruck der Musik einmal mit dem der Arabesken, ein andermal mit dem der kaleidoskopischen Figur. Beide Vergleiche sind bis zu gewissen Grenzen sehr treffend und erläuternd, obschon nur bis zu gewissen Grenzen. Die Vergleichspunkte liegen darin, daß erstens beiderlei Figuren eben wie die musikalischen, wenn man von Figuren in der Musik sprechen will, ohne wesentliche Mitwirkung der Assoziation ästhetisch wirken, nur daß man dabei bloß Arabesken aus sich dahinschlängelnden und verflechtenden Zügen von einheitlichem Charakter ohne die, freilich gewöhnlich mit eingehenden, pflanzlichen, tierischen und menschlichen Bildungen vor Augen haben muß; — zweitens darin, daß bei jenen sichtbaren Figuren eben so wie bei den hörbaren der Grund der Wohlgefälligkeit im Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen gesucht werden kann. Aber mit all dem sind jene sichtbaren Figuren weit entfernt, einen musikalischen Eindruck zu machen; und das liegt an allgemeineren Unterschieden, die den Künsten der Sichtbarkeit überhaupt die Fähigkeit versagen, Musik zu machen. Zwar daß die Arabesken und kaleidoskopischen Figuren sich dem Auge als bleibend darbieten, indes die Figuren der Musik in der Zeit ablaufen, begründet keinen wesentlichen Unterschied; denn nicht nur, daß man Arabesken mit Auge und Aufmerksamkeit zeitlich verfolgen kann, findet man auch im Spiel des Farbenklaviers, namentlich aber in dem prachtvollen Schauspiel der Kalospinthechromokrene den zeitlichen Ablauf der Musik in dem Spiel sich ändernder Farben wieder, und darf in der Tat sagen, daß, wenn irgend etwas im Gebiete der Sichtbarkeit sich dem Eindruck der Musik nähert, es ein solches Schauspiel ist. Doch ist diese größte Annäherung noch eine sehr große Entfernung zwischen beiden. Worin liegt das? — Leicht zu finden sind folgende Unterschiede :

Jeder musikalisch verwertbare Ton (Klang), den wir vernehmen, ist aus einem Grundton und einer Reihe von bestimmt abgestuften, um Schwingungsverhältnisse in einfachen ganzen Zahlen differierenden, durch Richtung der Aufmerksamkeit bis zu gewissen Grenzen scheidbaren, Obertönen zusammengesetztSelbst von Tönen, die außerhalb unseres Ohres als einfache erzeugt werden, gilt dies; sie geben alle in unserm Ohre nach dessen Einrichtung mit dem äußerlich erzeugten Grundtone die Reihe sog. harmonischer Töne, welche eine angeschlagene Saite als Obertöne mit dem Grundtone liefert, wenn schon in geringerer Stärke, als wenn die objektiven Bedingungen zu ihrer Entstehung vorhanden sind. Auch mag es sein, da diese harmonischen Töne bei der gewöhnlichen Musik durch menschliche Stimme und Saiteninstrumente konstant vermöge objektiver Erzeugung mitgehen, daß die Assoziation etwas mitwirkt, die innerlich erzeugten auch da, wo sie objektiv fehlen, verstärkt ins Bewußtsein zu rufen. Vergl. Helmholtz, Tonempfindung (3). 248. 249 und eine Abhandlung von J. J. Müller in den Berichten der sächs. Soc. 1871. 115. — Die bewußte Scheidung der Obertöne vom Grundtone ohne Zuziehung besonderer Hilfsmittel gelingt allerdings nur mittelst großer Übung und Anstrengung der Aufmerksamkeit (vergl. Elem. d. Psychoph. 11. 272); unsteitig aber hat die an sich bestehende Möglichkeit der Scheidung einen Einfluß bei Vergleichung zweier Töne oder vielmehr Klänge, insofern man nach strengerer Unterscheidung unter Klang einen Ton mit Obertönen versteht., wodurch, wie schon bemerkt, mannigfache und in Höhe variierende Beziehungen der Gleichheit und Ungleichheit zwischen den verschiedenen Tönen möglich werden, die zwischen den verschiedenen Farben nicht eben so möglich sind. Denn es gibt zwar zusammengesetzte Farben so gut als zusammengesetzte Töne (Klänge), ja es ist sehr wahrscheinlichVergl. hierüber m. El. d. Psychophys. 11. S. 301., daß selbst jeder objektiv einfache homogene Farbenstrahl in der Opticusfaser oder der Verbindung von Opticusfasern, die er trifft, ein Farbengemisch, nur mit Übergewicht einer gewissen Farbe, auslöst. Aber die Komponenten eines Farbengemisches sind absolut nicht durch Aufmerksamkeit scheidbarDies hängt wahrscheinlich davon ab, daß sie nicht eben so wie die eines Tongemisches durch verschiedene Nervenfasern perzipiert werden., halten sich überall nur innerhalb der Grenzen einer Oktave plus einer Quarte, denn weiter reicht überhaupt die Sichtbarkeit der Farben nicht, indes schon der zweite Oberton diese Grenze übersteigt, und sind allgemeingesprochen vielmehr der Zusammensetzung der Geräusche als der Zusammensetzung eines musikalischen Tones (Klanges) analog. Mit entsprechenden Mitteln würde sich auch im Tongebiete keine Musik machen lassen, und es läßt sich schon nach vorigen Unterschieden erklären, warum das Schauspiel der Kalospinthechromokrene uns vielmehr nur den Eindruck eines prachtvollen Nach- und Nebeneinander als eines zugleich innerlich Bezogenen wie Melodie und Harmonie macht. Doch ist fraglich, ob mit vorigen Punkten die fundamentalsten Unterschiede zwischen Tönen und Farben getroffen oder erschöpft sind, auf die es hierbei ankommt; jedenfalls gibt es noch tiefergreifende aber bisher nicht genügend aufgeklärte Unterschiede. Warum z. B. steigt bei Tönen die Empfindung der Tonhöhe mit der Schwingungszahl ohne Änderung des Charakters kontinuierlich, indes sich bei Farben ein Wechsel charakteristisch verschiedener Eindrücke, Rot, Gelb, Blau zeigt, der mit Unterschieden in Empfindung der Tonhöhe gar nichts gemein hat. Warum gibt das Zusammenschlagen aller Töne einer Oktave ein unangenehmes Geräusch, indes man einen entsprechend angenehmen als von weißem Lichte erwarten sollte u. s. w.Eine eingehendere Zusammenstellung und Diskussion der Verwandtschafts- und Verschiedenheits-Beziehung zwischen Tönen und Farben findet sich in in. Elem. d. Psychoph. II. S. 267 ff. Ich vertiefe mich auch in diese bis jetzt ungelösten Fragen nicht weiter.

Da sich die musikalischen Eindrücke durch Vermittelung der Nerven auf die Seele überpflanzen, die äußeren Schwingungen der Musik aber doch wohl entsprechende innere Nervenschwingungen hervorrufen, so ist man zur Erklärung der psychischen Wirkungen der Musik mehrfach auf diese inneren Nervenbewegungen zurückgegangen. Und warum nicht; nur daß man damit um kein Haar weiter kommt, als durch Bezugnahme auf die äußeren Schwingungen, denn warum erwecken nun diese inneren Schwingungen diese psychischen Wirkungen? Das ist eine Frage der inneren Psychophysik, die aber keine bestimmtere Antwort darauf hat, als die äußere Psychophysik auf die Frage, warum, d. h. nach welchen Gesetzen, die äußeren Schwingungen diese Wirkung haben. Sollte aber jene einmal die Antwort geben können, würde es doch nur auf Grund von Erfahrungen in der äußeren Psychophysik sein können. Und daß die Ästhetik überhaupt sich auf Fragen der innern Psychophysik bisher nicht wohl einlassen kann, ist schon mehrfach erinnert. Die hierher beziehbaren beiläufigen Bemerkungen (Abschn. VI Pkt 5) sind auch eben nur als beiläufige in den Kauf zu nehmen.

Lassen wir alle fundamentalen Fragen , die bis jetzt nicht zu erledigen sind, überhaupt bei Seite, und kommen auf einige, der Oberfläche näher liegende, hiermit der Erörterung zugänglichere Punkte zurück, die oben vielmehr nur berührt als diskutiert worden sind, in neuerer Zeit aber die musikalische Welt vielfach beschäftigt und einer gegensätzlichen Auffassung unterlegen haben. Bezeichnen wir dabei fortan Kürze halber die lebensverwandten Stimmungen der Heiterkeit, des Ernstes, der Aufregung, der Sanftheit u. s. w., die zu erwecken oder wie man sagt auszudrücken im Vermögen der Musik liegt, meist schlechthin als Stimmungen, die Gefühle der Liebe, Sehnsucht u. s. w., die wegen ihrer Komplikation mit Assoziationen besonderer Art bestimmt hervorzurufen nicht im Vermögen der Musik liegt, schlechthin als Gefühle, und betrachten das Verhältnis der Musik zu beiden etwas näher.

Eine Musik von gegebenem Stimmungscharakter kann diesen Charakter in vierfacher Weise beweisen, und wenn man sagt, daß eine Musik den Ausdruck einer gewissen Stimmung gewähre, versteht man im Grunde nichts Anderes als einen solchen Beweis darunter. Einmal dadurch, daß sie den Menschen, wenn sie ihn in gleichgültigem Zustande trifft, Empfänglichkeit desselben für Musik überhaupt vorausgesetzt, in die betreffende Stimmung versetzt; zweitens, daß sie ihn, wenn er schon in der betreffenden Stimmung ist, darin erhält und diese steigert; drittens daß sie, wenn er sich in der entgegengesetzten Stimmung findet, diese aber nicht zu stark ist, dieselbe überwindet und ihren eigenen Stimmungscharakter an die Stelle setzt; viertens aber, wenn die entgegengesetzte Stimmung zu stark ist, sie nicht überwindet, nun aber ihren fortbestehenden Widerspruch dagegen mit Unlust geltend macht, wogegen, wenn ihr Charakter mit dem der vorhandenen Stimmung zusammentrifft, diese Zusammenstimmung als wohltuend empfunden wird, was auch dann statt hat, wenn die entgegengesetzte Stimmung überwunden ist, indem nun die entsprechende vorhanden ist. In der Tat muß außer der ästhetischen Wirkung, welche die Musik abgesehen von schon vorhandener Stimmung zu äußern vermag, die Einstimmung oder der Widerspruch mit dieser selbst als ästhetisches Wirkungselement in Betracht gezogen werden.

Im Vorigen liegt begründet, daß eine lustige Musik den Traurigen, dessen Trauer nicht zu tief geht, erheitern kann, hingegen, wenn dieselbe tiefer geht, ihm nur Mißbehagen erweckt und ihn, wenn möglich, sich derselben entziehen läßt, indes eine Musik, welche Trauer ausdrückt, ihm zusagen kann, trotz dem, daß ihr Stimmungscharakter an sich nur dahin gehen kann, seine Unlust zu verstärken, und ihn sich um so tiefer in die Vorstellungen, die diesen Charakter tragen, versenken zu lassen; aber dies Unlustmoment wird durch die Zusammenwirkung zweier Lustmomente überwogen, die Zusammenstimmung des Charakters der Anregung, die er von der Musik empfängt, mit der vorhandenen Stimmung und den spezifisch wohlgefälligen Eindruck der Musik, der auch bei einem tragischen Charakter derselben bestehen bleibt. Die entsprechende Anwendung hiervon beim Lustigen wird man leicht machen. Der Schläfrige, ist er nicht zu schläfrig, wird sich durch eine muntere Musik ermuntert finden, ist er aber sehr schläfrig, nur mit Unlust dadurch gestört finden.

Daß wirklich zum wohltuenden Eindruck, den eine traurige Musik auf den Traurigen machen kann, der spezifisch wohlgefällige Eindruck der Musik wesentlich gehört, ergibt sich daraus, daß, wenn man ihn wegfallen läßt, auch das Wohltuende des Eindrucks wegfällt. Eine Musik mit herzzerreißenden Dissonanzen mag der Stimmung Jemandes ganz entsprechen, doch wird er sie nicht hören wollen. Anderseits wird man allgemeingesprochen heitere Musik bei gleich vollendeter musikalischer Komposition im Ganzen öfter hören mögen, als Trauermusik, weil der Stimmungscharakter dort vorteilhafter ist. Wenn man aber, selbst ohne in Trauer zu sein, doch mitunter Trauermusik gern hört, so ist es, abgesehen vom Reize der Abwechselung, weil wir, einmal in die Stimmung des Traurigen durch die Musik versetzt, dann auch den wohltuenden Einfluß derselben wie dieser spüren, wie denn die Forterhaltung einer, einmal durch die Musik eingeleiteten Stimmung durch den Fortgang der Musik den Vorteil der Zusammenstimmung der späteren Stimmungsanregung mit der schon vorhandenen Stimmung gewährt. In dieser Beziehung ist die abändernde Durchkomposition eines Liedes in Nachtheil gegen die (doch auch noch in anderer Beziehung vorteilhafte) Wiederholung der Komposition der Verse, vorausgesetzt, daß damit der das Ganze beherrschende Stimmungscharakter des Liedes gut getroffen ist. Was übrigens nicht ausschließt, einmal, daß Ausweichungen von einer Grundstimmung, die sich im Fortgange versöhnen, von Vorteil sein können, und daß an der Durchkomposition Vorteile anderer Art als an der Wiederholung hängen, die unter Umständen überwiegen können; worauf hier nicht näher einzugehen.

Was die Gefühle anlangt, die in entsprechender Bestimmtheit als die Stimmungen hervorzurufen nicht im Vermögen der Musik liegt, so verhält sich die Musik doch nicht ganz gleichgültig dazu, weil diese Gefühle, ohne ganz aus Stimmungen zu bestehen, doch am Charakter derselben Teil haben, und je nachdem sie in diesem oder jenem Stimmungscharakter auftreten, dann auch in voriger Weise von der Musik beeinflusst werden. Indem aber bei demselben Gefühle der Stimmungscharakter wechseln kann, wird auch der Einfluß der Musik darauf wechseln, wie denn z. B. das Gefühl der Liebe ein sanftes oder feuriges sein, ja selbst stürmisch werden, das heißt zum höchsten Grade der Erregtheit sich steigern kann, der Zorn ein stiller oder höchst aufgeregter sein kann, woraus dann wieder erhellt, daß man es einer Musik nicht mit Bestimmtheit abhören kann, ob sie Liebe oder Zorn ausdrücken will, wenn sie überhaupt etwas ausdrücken will.

Inzwischen kann nicht jedes Gefühl jeden Stimmungscharakter gleich leicht annehmen, und manches Gefühl manchen Charakter gar nicht; z. B. das Gefühl der Hasses, der Furcht nicht den der Heiterkeit, Lieblichkeit, das der Wehmut nicht den der starken Aufgeregtheit; und wenn Liebe zugestandenermaßen im Zustande höchster Aufgeregtheit, Zorn als stiller Grimm auftreten kann, wird es immerhin nur ausnahmsweise sein. Also kann auch nicht jede Musik von einem bestimmten Stimmungscharakter zu jedem Gefühle gleich gut und gleich oft passen. Melodien für Lieder, welche Liebe, Hoffnung, Sehnsucht, Wehmut ausdrücken, mögen sich, als gleich passend zum einen wie zum andern Gefühle, leicht verwechseln lassen, aber sie werden sich nicht wohl mit Melodien von Liedern verwechseln lassen, welche Zorn, Hass, Rache, Wut ausdrücken, weil sich der Stimmungscharakter der beiderlei Gefühle nicht oder nur ausnahmsweise verwechselt. Auch wird bei den Gefühlen von wechselndem Stimmungscharakter doch nicht jeder Charakter oder jede Modifikation desselben ästhetisch gleich vorteilhaft sein, also in der Kunst auch aus diesem Gesichtspunkte eine Wahl stattfinden können. Kurz durch Vermittelung der musikalisch ausdrückbaren Stimmungen, die in bestimmtere Gefühle eingehen, werden doch auch diese einem mehr oder weniger passenden Ausdruck durch die Musik innerhalb gewisser, freilich sehr unbestimmt bleibender, Grenzen zugänglich sein.

Bei Melodien von Liedern, welche ein bestimmtes Gefühl der Liebe, Sehnsucht u. s. w. ausdrücken, liegt nun auch ein Interesse darin, den Charakter der Musik dazu noch so adäquat als möglich zu seinem Stimmungscharakter und hiermit zum Gefühle selbst zu halten, und wird man fragen können, ob nicht der Charakter verfehlt ist. Es ist in dieser Beziehung mit der Melodie des Liedes wie mit dem Versmaß desselben, was sich auch für Lieder von verschiedenem Inhalt und doch nicht von jedem Inhalt verwechseln läßt. Hingegen bei selbständigen Musikstücken, als wie Sonaten, Symphonien u. a. hat es gar kein Interesse, zu fragen, welchen Gefühlen sie etwa angemessen sind, und die gar nicht zu hebende Unbestimmtheit in dieser Hinsicht heben zu wollen. Sie sind ja nicht, wie die Kompositionen von Liedern, darauf berechnet, bestimmten Gefühlen der Liebe, Sehnsucht und dgl. zur Unterstützung zu dienen, sondern durch ihre spezifisch musikalischen und rhythmischen Beziehungen mit dem Stimmungscharakter, der nun eben daran hängt, und der nicht einmal überall ungezwungen oder rein auf einen auch ohne Musik erzeugbaren (lebensverwandten) zurückzuführen ist, zu erfreuen, gleichgültig, mit welchem Gefühle etwa dieser Stimmungscharakter in Beziehung gesetzt werden könne. Das raten zu wollen, würde nicht nur an sich vergeblich sein, sondern auch vom wesentlich musikalischen Eindrucke abführen, indes bei der Komposition des Liedes die Unbestimmtheit und hiermit das Raten dadurch von selbst wegfällt, daß das Lied unter allen Gefühlen, auf welche die Komposition bezogen werden könnte, dasjenige ausspricht, auf welches sie bezogen werden soll und sich nun auch wirklich bezieht, weil das Gefühl im Liede wirklich ausgesprochen mitgeht.

Ähnliche und zum Teil mit den vorigen zusammenhängende Betrachtungen sind anzustellen, wenn sich fragt, inwiefern die Musik im Stande sei, den Ausdruck irgend eines nicht musikalischen Geschehens zu geben, und im Rechte sei, ihn geben zu wollen. Auf (s. oben) haben wir Mancherlei genannt, was die Musik mit der Welt außerhalb der Musik gemein hat, ja sie kann, wie Lotze hervorgehoben, in ihrem Rhythmus und ihren Verhältnisformen noch Allgemeineres und Höheres damit gemein haben. Insofern und in so weit nun dergleichen der Fall ist, wird sie auch passend als Einleitung oder Accompagnement zur dichterischen respektiv dramatischen Darstellung eines Geschehens oder zu einem Geschehen selbst außerhalb der Musik dienen können, aus dem vierfachen Gesichtspunkte: erstens die Momente oder den Rhythmus dieses Geschehens, insoweit es wirklich deren Geltendmachung gilt, um so wirksamer zur Geltung zu bringen, zweitens die Stimmung, welche etwa daran hängt, zu unterstützen, drittens die einheitliche Verknüpfung des spezifisch musikalischen Elementes mit dem Inhalt des Geschehens zu vermitteln, viertens durch diese Vermittelung eine Gemeinsamkeit und wechselseitige Steigerung des Gefallens an beiden möglich zu machen.

Natürlich am besten, wenn diese Gesichtspunkte so viel als möglich in Verbindung erfüllt werden, aber die beiden ersten, an welchen das Charakteristische der Musik hängt, können auch in Konflikt mit den Forderungen der spezifisch musikalischen Wohlgefälligkeit kommen, und man wird dann keiner beider Seiten ein unbedingtes und alleiniges Recht einräumen dürfen. Denn möchte die Musik noch so charakteristisch sein, wenn sie nicht auch Momente musikalischer Wohlgefälligkeit in sich einschlösse oder diese zu sehr schwinden ließe, so würde sie, da sie doch die Aufmerksamkeit eben so gut als das Gedicht und nicht bloß nach ihrer Beziehung zum Gedicht in Anspruch nimmt, leicht langweilen und ermüden, wogegen sie, wollte sie sich gar nicht um den Inhalt des Gedichtes, zu dem sie doch ausdrücklich in Bezug gesetzt ist, kümmern, sondern bloß die eigenen Wege musikalischer Schönheit gehen, mit diesem Inhalt zusammen einen zersplitterten oder gar widerspruchsvollen Eindruck gewähren. Ist doch in der Oper schon dadurch, daß die Leute mehr singen als sprechen, der musikalischen Schönheit eine starke Konzession auf Kosten der Angemessenheit gemacht; soll auch die Beziehung zum Inhalt wegfallen, so hört, so zu sagen, Alles auf; und praktisch ist man auch nie zu einem vollen Extrem in dieser Hinsicht gegangen. In zwischen darf die Musik schon deshalb in der Charakteristik nicht aufgehen wollen, weil sie überhaupt nicht darin aufgehen kann; ihr spezifisch musikalisches Element und zum Teil selbst ihr Stimmungselement greift darüber hinaus und stellt auch seine Ansprüche, die befriedigt sein wollen.

In der Hauptsache wird die Charakteristik immer so zu halten sein, daß nur solche Momente durch dieselbe zur Geltung gebracht werden, welche zugleich dem gewollten Stimmungscharakter entsprechen. Eine bestimmte Abgrenzung der Charakteristik in dieser Beziehung von dem, was gemeinhin als Tonmalerei verworfen wird, möchte aber nicht zu finden sein, und die Verwerflichkeit nur da beginnen, wo entweder diesem gewollten Stimmungscharakter oder der spezifisch musikalischen Wohlgefälligkeit nicht mehr genügt wird.

In selbständig auftretender Musik ist natürlich auf Charakteristik in obigem Sinne kein Gewicht zu legen, weil die Aufgabe hier überhaupt nicht ist, etwas außerhalb der Musik Bestehendes damit darzustellen oder dessen Eindruck zu unterstützen. Das schließt nicht aus, daß man Charaktergemeinsamkeiten der Musik mit Anderem finde, aber man kann es dem Scharfsinn überlassen, solche zu suchen und der Phantasie, solche auszumalen, und hat die eigentliche Bedeutung selbständiger Musik nicht darin zu suchen. Wird, wie es wohl vorkommt, eine, für selbständiges Auftreten bestimmte, musikalische Komposition doch ausdrücklich vom Komponisten in Bezug zu einem Gedichte, Drama oder einer historischen Begebenheit mit dem Anspruche gesetzt, einen entsprechenden Eindruck im Ganzen zu gewahren, so mag dies immerhin Seitens des Stimmungscharakters und sonst gemeinsamer Momente bis zu gewissen Grenzen der Fall sein können, aber doch nur in sehr allgemeiner Weise, und der Haupteindruck der Musik wird weder von einer Kenntnis noch einem Erraten des Bezuges zu etwas außer der Musik abhängen. Ganz verkehrt ist jedenfalls, jeder Musik zuzumuten, daß sie noch etwas, was nicht Musik ist, darstellen solle.

Daß es, namentlich bei bedeutenderen, wenn auch selbständig auftretenden, musikalischen Kompositionen ein gewisses Interesse haben kann, ihnen eine Auslegung über die Musik hinaus zu geben, beweist sich jedenfalls darin, daß man solchen Auslegungen mehrfach begegnet; auch liegt im Vorigen die Möglichkeit begründet, daß Auslegungen derselben Komposition sogar Seitens Verschiedener im allgemeinen Charakter und manchen Hauptmomenten übereinstimmen, zugleich aber die Gewißheit, daß sie (insofern sie nicht von einander abhängen) in sehr verschiedene Bestimmtheiten auslaufen werden. Immer wird die Durchführung einer solchen Auslegung erst nachträglich zur Musik hinzugebracht, ohne in ihrer Bestimmtheit während des Genusses der Musik selbst vorzuschweben, ohne daß es dieser Bestimmtheit zum Genusse bedarf, und ohne damit den musikalischen Genuß zu erschöpfen, ja ohne den spezifisch musikalischen Genuß, welcher der Kern des Ganzen bleibt, damit zu berühren.

Zur Erläuterung folgendes Beispiel der Auslegung einer Beethovenschen Symphonie durch Ambros (die Grenzen d. Musik u. Poesie. S. 32. 46).

"Wir haben die C-moll-Symphonie von Beethoven gehört. Nach dem gewaltigen Kämpfen und Ringen des von Leidenschaften durchwühlten ersten Satzes, in welchem, wie Beethoven sagte, " ‘das Schicksal an die Pforte klopft ’", hat die hold tröstende Stimme des Andante mit seinen Flötenklängen vergebens den Frieden zu geben getrachtet — jeder triumphierende Aufschwung verlor sich jedesmal wie in düster hereindämmernden Nebelschatten, unverändert kehrte immer und immer dieselbe Tongestalt wieder — ein schmerzlicher Blick zum Himmel voll stiller Entsagung. — Da begannen im dritten Satze die Bässe wie finster drohende Geistergestalten aufzusteigen gegen die Lichtwelt, die uns das Andante wie in weiter Ferne gezeigt, Klage-Stimmen wurden laut, zum Lachen verzerrter Schmerz, toll herumwüstende Lustigkeit, die ersten Weisen wiederkehrend, aber wie in sich gebrochen, an der Stelle des vollen Saitenklanges matte Pizzicati, statt des markigen Horntones die schwächliche Oboe — wir langten endlich bei der finstersten Stelle an, wo die Bässe auf As liegen blieben, während die Pauke in dumpfen Schlägen rastlos ihr C dazu klopfte, die Geigen das Thema in verzerrter Gestalt hastig höher und höher rückten, bis in dem Crescendo der letzten acht Takte der schwarze Vorhang plötzlich zerriß und im vollen Triumphe des hereinbrausenden C-dur wir in einen Ozean von Licht hineingerissen wurden, in einen Jubel ohne Ende, in ein Reich glorreicher Herrlichkeit ohne Grenzen — kaum daß wir noch einen Blick auf die überwundene finstere Larvenwelt zurückwarfen, um uns dann in dem uns nun erschlossenen Lichtreiche wie selbst zu verlieren. Wir fühlen uns, wenn die letzten Akkorde ausgebraust, in freudiger Erhebung als Bürger einer höhern Welt die kleinen Sorgen des Alltagslebens liegen uns wie in weiter Ferne." ....

"Die Wirkung, welche wir vorhin der C-moll-Symphonie zugeschrieben haben, ist nicht etwa der Reflex dieses Werkes in dem Kopfe eines vereinzelten Enthusiasten, sie hat — tatsächlich — genau dieselbe bei Tausenden hervorgebracht, und wo ein des Wortes mächtiger Künstler oder Kunstfreund über sie das Wort genommen, ist bei aller Verschiedenheit des Ausdruckes der Sinn der Rode immer derselbe gewesen. So T. E. 0. Hoffmann in s. Aufsatze über Beethovens Instrumentalmusik, so Berlioz in einem äußerst geistreichen Feuilletonartikel im Journal des debats, so W. B. Griepenkerl (Kunstgenius der deutschen Literatur), so Robert Schumann (gesammelte Schriften l. Band, S. 316), so B. A. Marx (die Musik des 19. Jahrh. S. 216). Ja, wenn beim triumphierenden Jubelthema des Finals der napoleonische Invalide im Saale des Pariser Konservatoriums aufspringt und laut sein vive l'empereur schreit, so will dieser wahrhafte Naturlaut aus der Brust eines braven alten Soldaten eben auch nichts Anderes sagen."

Analysiert man die vorige Auslegung des Sinnes der Beethovenschen Symphonie näher, so findet, man, daß sie fast in lauter lebensverwandten Stimmungselementen sich bewegt, und nur diese können es sein, von welchen gilt, was der Verf. sagt, daß die Wirkung überall "genau" dieselbe gewesen, indes "die düster hereindämmernden Nebelschatten", der "schmerzliche Blick zum Himmel", die "finster drohenden Geistergestalten" u. s. w. unstreitig zu dem gehören, was er als "Verschiedenheit des Ausdrucks" faßt, indem die Durchführung der Stimmung durch die möglichen Ausdrucksweisen sich bei jedem andern Ausleger anders gestaltet haben wird.

Ein junger Tonsetzer hatte die einzelnen Nummern des ersten Heftes von Felix Mendelsons Liedern ohne Worte mit den Benennungen: "ich denke dein, Melancholie, Lob Gottes, fröhliche Jagd" bezeichnet, und bei M. angefragt, ob er die richtige Deutung getroffen. Dieser erwiderte: ob er sich dabei dasselbe oder etwas Andres gedacht, wisse er kaum zu sagen. Ein Anderer werde vielleicht in dem, was der Ausleger Melancholie genannt, "ich denke dein" finden, und ein rechter Waidmann möchte die "fröhliche Jagd" eben für das "rechte Lob Gottes" halten. Der Ausdruck der Musik reiche und lebe und webe in Regionen, wohin das Wort nicht mehr nachkönne u. s. w.Hier nach Ambros Schrift S. 71

Nun machen sich, wie bei allen ästhetischen Konflikten, wo es eigentlich gelte, die um den Vorteil streitenden Momente möglichst günstig gegen einander abzuwägen und nur nach Umständen mehr das eine oder andere vorwiegen zu lassen, auch in Betreff der vorbetrachte-ten Punkte Einseitigkeiten geltend, und wird bald ein alleiniges oder übertriebenes Gewicht auf die eine oder andere Seite, Charakteristik oder auf sich beruhende musikalische Wohlge-fälligkeit, gelegt. Es kann aber um so weniger die Absicht sein, auf den in der musikalischen Welt darüber bestehenden Zwiespalt hier näher einzugehen, als dazu eine musikalische Fachkenntniss gehören würde, die ich nicht besitze.

Unstreitig ist der Nachdruck, mit welchem Hanslick das ästhetische Recht und den ästhetischen Wert einer selbständigen "musikalischen Schönheit" gegenüber fremdartigen Gefühls-Anmutungen an die Musik geltend macht, in vollem Rechte, und wird man die vorigen Betrachtungen, mit denen von Hanslick in dieser Beziehung stimmend finden; hiergegen ist unstreitig die Beziehung, welche die Musik zur Welt außer der Musik gewinnen kann, und namentlich die Verpflichtung, welche eine begleitende Musik gegen den begleitenden Inhalt hat, nicht hinreichend von ihm zur Geltung gebracht. Besonders entschieden ist Ambros der Einseitigkeit Hanslick’s entgegengetreten, dabei aber der gegenteiligen Einseitigkeit einer Unterschätzung oder vielmehr Nichtachtung des spezifisch musikalischen Elementes verfallen. Auch noch von Andern ist der Streit in dieser Beziehung aufgenommen worden; doch gestehe ich, der Literatur darüber nicht weiter gefolgt zu sein.

Daß Schallempfindungen Träger sehr bestimmter Assoziationsvorstellungen werden können, beweist sich in der den Worten anhangenden Bedeutung; aber Musik ist eben etwas Anderes als Poesie, und beide Künste ergänzen sich in dieser Hinsicht vielmehr, als sich zu wiederholen. An sich zwar sind auch die melodischen und harmonischen Beziehungen der Musik nicht unfähig, bestimmte Assoziationsvorstellungen zu wecken, können vielmehr sogar geradezu Worte vertreten, wie so manche militärische Signale beweisen; es kommt nur auf Erlernen und Übung an; aber diese besteht eben bloß für solche ausnahmsweise Fälle; sonst würde unstreitig nichts hindern, z. B. die Worte Vater und Mutter durch eine musikalische Quinte und Terz oder einen Dur- und Mollakkord zu ersetzen, um noch gleich gut verstanden zu werden, als jetzt. Man hätte dazu nur nötig, von Anfange herein dem Kinde die Eltern statt mit den Worten Vater und Mutter oder Papa und Mama vielmehr unter Hörenlassen einer Quinte, Terz, oder des einen und andern Akkords in konstanter Wiederholung zu zeigen. Ja es ließe sich selbst die kuriose Frage aufwerfen, ob nicht eine musikalische Sprache möglich wäre, welche gestattete, den Sinn eines Gedichtes in einem auf den bloßen Vokal a gesunge-nen Liede rein aus den musikalischen Intervallen eben so gut herauszuhören, als jetzt aus den artikulierten Worten, und in der Melodie eines Liedes zugleich den Sinn desselben zu geben; nur würden sich bei näherer Erwägung unstreitig überwiegende praktische Schwierigkeiten hiergegen ergeben, welche es müßig erscheinen lassen, solchen Gedanken weitere Folge zu geben.

Mehrfach hat man den Eindruck der Vokale mit dem von bestimmten Farben verglichen, und eine gewisse Vergleichbarkeit muß wohl stattfinden, da sie jedenfalls in negativem Sinne so weit besteht, dass Niemand den Eindruck des u mit dem des Weiß oder Rot, den des i mit dem des Schwarz oder Violet analog finden wird, ohne einen eben so entschiedenen Widerspruch bei andern Vokalen und Farben zu finden. Gesteht man eine Vergleichsbeziehung überhaupt zu, so kann man fragen, ob sie direkt oder assoziativ sei. Wahrscheinlich zusammengesetzterweise beides, wonach zu untersuchen, auf welchen gemeinsamen Ursprungsmomenten die direkte Vergleichbarkeit beruhe; womit wir uns aber hier nicht befassen wollen. Assoziativ liegt auf der Hand, daß es von hauptsächlichstem Einflusse sein muß, in die Wortbezeichnung welcher Farbe und welcher farbigen Gegenstände der Vokal eingeht. Das Zusammenwirken dieser verschiedenen Momente hat aber jedenfalls eine große Unbestimmtheit des Farbeneindruckes der Vokale zum Resultat, indem verschiedene Personen sich sehr verschieden darüber äußern, insoweit sie überhaupt etwas darüber äußern mögen, wie folgende Angaben beweisen.

Mir selbst macht e den sehr entschiedenen Eindruck eines fahlen Gelb, was ich darauf schreibe, daß e im Worte gelb vorkommt, und fahles Gelb häufiger als jedes andre ist. Aber a macht mir nicht den Eindruck des Schwarz, ungeachtet es im Worte schwarz vorkommt, und würde mir wahrscheinlich direkt mehr den Eindruck des Weiß machen, wenn nicht der Umstand, daß es zur Bezeichnung des Schwarz beiträgt, doch gegenwirkte; daher der Eindruck unbestimmt bleibt. Hiergegen möchte mir u vielleicht direkt den Eindruck des Schwarz machen; da es aber nicht in das Wort Schwarz eingeht, macht es mir vielmehr den Eindruck einer düstern, insbesondre grünbraunen, Farbe. Von o dürfte ich vielleicht direkt den Eindruck des Blau erhalten; aber da es nicht in dem Worte blau vorkommt, macht sich dieser Eindruck nicht entschieden geltend. Das i scheint mir am meisten vom Charakter eines stechenden Glanzes zu haben.

Dr. Feddersen hat mir angegeben, daß er a weiß, e grau, i feuergelb, o blaugrau, u schwarz finde; Prof. Hofmeister (der Botaniker) i gelbgrün, o rot.

Prof. Zöllner hat mir mitgeteilt, daß sein Bruder, Musterzeichner in einer technischen Anstalt, nicht bloß mit den Vokalen, sondern auch den meisten Konsonanten sehr entschieden die Vorstellung von bestimmten Farben oder Färbungseigentümlichkeiten verbinde a rot (etwas dunkel, entschieden), e weiß, i metallisch (silberfarbener, heller als c), o dunkelblau (entschieden), u schwarz (sehr entschieden), b hellgelb (weißlich gelb), c metallisch (stahlfarben), d elfenbeinern, f kirschbraun, g weißblau, h dunkle Farbe (unbestimmt), k unbestimmt (bläulich?), l weißlich, braungelb, m rötlichbraun, n unbestimmt, p unbestimmt, q schwarzbraun, r rötlichbraun, s weißmetallisch (blechfarben), t graublau (stumpfe Farbe), v unbestimmt aber doch ähnlich wie p, w ähnlich wie m, x, y beide entschieden metallisch, x insbesondere kupferfarbig, y hellbronzefarben, z bräunlich.

Da c und z, f und v, k und q, i und y, obwohl gleich klingend hier mit verschiedenem Farbencharakter auftreten, so kann dieser nur von Vorstellungen, die sich an den verschiedenen Gebrauch und vielleicht sogar an die verschiedene Gestalt dieser Buchstaben knüpfen, abhängen.

Nach einer anderweiten Mitteilung von Zöllner verbindet Dubois in Berlin mit gewissen Tönen oder Geräuschen sehr bestimmt die Vorstellung gewisser Figuren, z. B. mit langen getragenen Tonen die Vorstellung langer Zylinder, mit der des Donners die eines Haufens sich kuglich wölbender Figuren, mit der von scharfen Tönen die eines fünfspitzigen Sterns u. s. w.

3) Der direkte Faktor in den Künsten der Sichtbarkeit.

Wenden wir uns zu den Künsten der Sichtbarkeit, so haben wir einer Unterschätzung des direkten Faktors darin zu begegnen, welche sich auf Betrachtungen folgender Art zu stützen sucht.

Faktisch und zugestandenermaßen lassen sich Form- und Farbeverhältnisse nicht eben so wie die melodischen und harmonischen Beziehungen der Musik zu Werken von höherer ästhetischer Wirkung, welche den Namen schön im engeren und höheren Sinne verdienen zusammensetzen, wenn nicht ein Sinn, eine Bedeutung hinzutritt, die über die direkten Form- und Farbebeziehungen hinausgreift. Zwar können Gegenstände von geringer oder nebensächlicher ästhetischer Bedeutung, als wie ein Teppich, eine Zimmerwand, durch Farben- und Formverhältnisse ihrer Fläche, Kanten, Muster, direkte Wohlgefälligkeit erlangen, beweisen aber eben damit, daß sie zu keiner höhern und selbständigen ästhetischen Bedeutung erhoben werden können, wie gering und niedrig die ästhetische Leistung dieser Verhältnisse ist; auch sieht man selbst wohl an solchen Gegenständen gern Verzierungen in Pflanzen- und Tierformen angebracht, welche durch Erinnerung ihrer Bedeutung den Eindruck assoziativ mitbestimmen. In eigentlichen Kunstwerken endlich kann man der direkten Wohlgefälligkeit gegenüber der höheren, welche aus dem angeknüpften Sinne der Bedeutung erwächst, überhaupt keine Bedeutung mehr beilegen.

In der Tat, so wohlgefällig die Symmetrie im Kaleidoskop erscheinen mag, wird sie doch weder in einem Landschafts- noch historischen Bilde vertragen, weil sie zur Bedeutung der dargestellten Gegenstände nicht paßt; wogegen die größten Unregelmäßigkeiten, die uns abgesehen von ihrer Bedeutung nur gleichgültig oder gar mißfällig erscheinen könnten, in Kunstwerken durch die angeknüpfte Bedeutung Interesse erwecken und wohlgefällig werden können. Eben so bestimmt sich das Colorit des Bildes vielmehr durch die Forderungen der Bedeutung als die Regeln der Farbenharmonie; denn so gut auch Blau oder Grün zu Rot außerhalb eines Bildes stehen mag, kann man doch zum Rot der Wange das Gesicht nicht blau oder grün malen.

Am häufigsten ist von schönen reinen Verhältnissen eines Bauwerkes, schönen Formen und Verhältnissen einer Menschengestalt, überhaupt also in der unorganischen und organischen Baukunst die Rede, und nirgends häufiger als hier wird das Gefallen von Dimensions- und Formverhältnissen rücksichtslos auf angeknüpfte Bedeutung abhängig gemacht. Aber der Turm und Tempel fordern andere Verhältnisse als der Palast und das Wohnhaus; das Weib, das Kind andere als der Mann, der Erwachsene; Jupiter und Herkules andere als Apoll und Bacchus. Überall also müssen sich die Verhältnisse nach Bestimmung des Baumaterials, nach Geschlecht, Alter und Charakter der Individuen ändern, um als wohlgefällig oder schön zu gelten. Sie erscheinen überall nur wohlgefällig, insofern sie zur Bedeutung der Gegenstände passen, und schön, sofern sie passend in den Ausdruck höherer und ansprechender Ideen hineintreten, demselben dienen, nicht durch ihren eigenen Reiz, der vielmehr im höheren Reize aufgeht oder gegen denselben verschwindet, wie eben daraus zu entnehmen , daß sie überall aufhören zu gefallen, wo sie aufhören zu passen. Weil sie aber nie vollkommen passen, so treten sie auch nie vollkommen rein in Kunstwerken höhern Stils auf. So sieht man in vielen religiösen Bildern eine angenäherte symmetrische Komposition, nie eine vollkommene. Der Künstler hat daher überhaupt von der Rücksichtsnahme auf direkt wohlgefällige Verhältnisse zu abstrahieren, und nur darauf zu achten, daß die Form- und Farbeverhältnisse, die er anwendet, zu der gewollten Bedeutung passen und die Bedeutung selbst eine zusagende sei, gleichviel, ob die zur Darstellung derselben verwandten Verhältnisse an sich selbst wohlgefällig sind oder nicht.

Insofern man sich einen Begriff von der Bedeutung der Gegenstände macht, kann man auch sagen: nur insofern eine Form den Begriff dessen erfüllt, was sie darstellen soll, kommt sie ästhetisch in Betracht, und so sagt Bötticher in s. Tektonik der Hellenen: "Körperform, ganz abstrakt betrachtet, kann weder schön noch unschön sein. Das Kriterien von körperlicher Form gibt die Analogie mit dem Begriffe der Wesenheit, der Funktion des Körpers. Es ist jedesmal die Form, welche dem innern Begriffe desselben am folgerechtesten und innigsten entspricht, und seine Wesenheit in der äußern Erscheinung ethisch (geistig sittig) am wahrsten und schlagendsten darstellt, die schönste. Wenn daher von Ausbildung einer Form die Rede ist, so kann das nur so viel heißen, als: ihr Schema technisch plastisch vollkommen für ihren inliegenden Begriff entwickeln."

So wenig nun die vorigen, von einem einseitigen Standpunkt aus geführten, Betrachtungen das Richtige scharf treffen oder erschöpfen, bleiben sie doch in so weit triftig, als sie der gegenteiligen Einseitigkeit widersprechen, indem es überall unmöglich bleiben wird, die Schönheit der sichtbaren Dinge allein oder nur aus höherem Gesichtspunkte durch Formen und Verhältnisse zu erklären, die rücksichtslos auf angeknüpfte Bedeutung gefallen; aber sie leiden an zwei Grundirrtümern, einmal daran, daß die nicht wegzuleugnende Wohlgefälligkeit niedern Charakters; welche manche Formen und Verhältnisse an sich haben, durch passenden Eintritt in höhere Beziehungen ihrer ästhetischen Wirkung nach verschwinde, da sich vielmehr diese Wirkung nach dem Hilfsprinzipe wechselseitig mit der höhern Wirkung steigert; zweitens, daß, weil an sich wohlgefällige Formen und Verhältnisse uns zu mißfallen anfangen, wenn sie zu einer Bedeutung, der sie entsprechen sollen, einer Idee, deren Darstellung sie dienen sollen, nicht passen, sie auch bei Einstimmung damit nur nach Maßgabe des Dienstes, den sie der Idee leisten, nur durch ihr Passen zum Sinne, zur Bedeutung etwas zum Gefallen beitragen können, da sie vielmehr dies Gefallen durch ihren eigenen Lustwert erhöhen, und zwar nach jenem Prinzipe mehr erhöhen, als man nach ihrer Leistung für sich zu schließen hätte.

In der Tat, wenn sich das ästhetische Hilfsprinzip in den Werken der Poesie, Musik wie auch Natur überall bewährt hat (Abschn. VI), warum sollte es bei Werken der bildenden Kunst und Architektur seine Triftigkeit und Gültigkeit versagen. Vielmehr wird man annehmen dürfen, daß auch im Gebiete dieser Künste Formen und Verhältnisse, die uns außerhalb der Kunst ein, wenn selbst nur niedres, geringes oder vergleichsweise zur Geltung kommendes, Wohlgefallen durch ihre eigentümliche Beschaffenheit erwecken, beim widerspruchslosen Eingehen in Zweck und Motiv der Kunst etwas Wirksames zur Schönheit ihrer Werke werden beizutragen im Stande sein, nicht bloß sofern sie dem Zwecke, Motive dienen, sondern auch, sofern Zweck, Motiv sich eben ihrer und keiner andern bedienen. Nur widersprechen dürfen sie dem Zwecke, dem Motive, der zur Geltung zu bringenden Bedeutung, dem Sinne um den sichs handelt, nicht, weil sie dann nicht als Bedingung, sondern als Hinderungsmittel der Lust auftreten, die an diesem Faktor hängt.

Bei näherem Zusehen findet sich nun allerdings, daß ein solcher Widerspruch in den Werken der bildenden Kunst leichter und häufiger eintritt, als in Werken der Poesie und vollends der Musik, welche überhaupt nicht wesentlich an Assoziationen gewiesen ist, daß daher nicht leicht eine so reine Durchbildung direkt wohlgefälliger Verhältnisse durch die Werke der bildenden Kunst möglich ist als des Versmaßes, des Reimes durch die Werke der Poesie, des Taktes und Wohllautes durch die der Musik; und hieraus folgt allerdings eine beschränktere Anwendbarkeit und beschränktere Wichtigkeit direkt wohlgefälliger Formen und Verhält-nisse in der bildenden Kunst als in Poesie und Musik, aber keine verschwindende, da noch unzählige Fälle übrig bleiben, wo statt. Widerspruches zwischen dem direkten und assozia-tiven Faktor der Wohlgefälligkeit sei es volle oder partielle Einstimmung zwischen beiden besteht, in deren Grenzen die Schönheit durch die Wohlgefälligkeit des ersten gesteigert werden kann; ja es gehört zu den Forderungen eines sog. guten Stiles (wenn schon er nicht allein darauf beruht), die direkt wohlgefälligem Formen und Verhältnisse den minder wohlge-fälligen vorzuziehen, so weil es sich mit der Angemessenheit zum Sinne verträgt; auch wenn die Angemessenheit zum Sinne dieselben nicht wesentlich fordert.

So sieht man in der sixtinischen und Holbeinschen Madonna, dem Leonardoschen Abend-mahle und unzahligen anderen Bildern der religiösen Kunst die Symmetrie in der Hauptanord-nung so weit durchgeführt, als es sich mit dem Sinne der Darstellung einer lebendigen Szene verträgt, ohne dadurch wesentlich gefordert zu sein, und man würde einen Nachlaß daran in einem beträchtlichen Verluste an Wohlgefälligkeit spüren. Und selbst in Landschaften und Genrebildern, wo eine so weit gehende Durchführung der Symmetrie dem Sinne widerspre-chen würde, achten doch die Maler auf eine gewisse Abwägung der Massen der Art, daß nicht der Hauptinhalt zu sehr auf eine Seite falle, ohne daß dies durch eine Rucksicht auf den Sinn an sich bedingt wäre.

    Interessant war mir eine auffällige Verletzung dieser Regel in einer Grablegung von Tizian (in der Gallerie zu Verona), worin sämtliche Figuren sich zu einem Knäuel auf der linken Seite des Bildes (bez. des Beobachters) zusammengeballt finden, der sich nach der rechten, fast leeren Saite zuspitzt; dies macht einen sehr unangenehmen Eindruck.

Man kann einen gewissen Widerspruch darin finden, daß schon eine geringe Abweichung von der Symmetrie an einem Rechtecke uns mißfällt, während die Annäherung an eine symmetrische Anordnung in einem religiösen Bilde uns wohl gefällt, die doch im Grunde eine viel größere Abweichung von der Symmetrie als jene ans an dem Rechteck mißfällige ist. Aber es kommt hierbei in Betracht, daß wir beim nicht ganz symmetrischen Rechteck den Vergleich mit der vollen Symmetrie ziehen, bei dem nicht ganz symmetrischen religiösen Bilde vielmehr mit der ganz fehlenden Symmetrie der Bilder; wonach uns nur jenes als Abweichung von Symmetrie, dieses als Annäherung an Symmetrie, jenes ein Fehler, dieses ein Gewinn scheint, der freilich da zunichte wird, wo die Annäherung der Angemessenheit widerspricht.

Auch das Colorit wird bei guten Bildern keineswegs bloß durch die Angemessenheit zum Sinne bestimmt, sondern darauf gesehen, daß das Bild nicht im Ganzen unregelmäßig fleckig, scheckig, in grellen Kontrasten oder zu unscheinbar oder monoton in der Färbung gehalten sei, weil alles dies abgesehen von aller Bedeutung weniger gut gefällt, als eine gewisse Abstufung und Abwechselung der Töne ohne schroffe Übergänge, wenn schon starke Forderungen des Sinnes Ausnahmen hiervon bedingen können. Aus diesem Gesichtspunkte macht ein Gemälde schon von Weitem, noch ehe wir seinen Inhalt erkennen oder wenn wir von demselben abstrahieren, einen erfreulicheren Eindruck als das andere. Um diese Abstraktion zu erleichtern und ein Bild um so sichrer in Betreff seiner bloßen Farbenwirkung zu beurteilen, geben Manche die Regel, dasselbe in umgekehrter Lage zu betrachten. Trifft nun eine an sich gefällige Haltung des Colorits ganz mit den Forderungen des Sinnes zusammen, so entsteht als Erfolg des Hilfsprinzips ein Reiz des Colorits, der einem Bilde einen hohen ästhetischen Wert verleiht, von manchem Künstler aber freilich selbst auf Kosten der Forderungen des Sinnes angestrebt wird. Insofern die Verhältnisse der größern Farbenmassen für die totale Farbenwirkung von hauptsächlichstem Belange sind, werden namentlich die Farben der Gewänder, in denen eine gewisse Freiheit betreffs der Angemessenheit besteht, gern so gewählt, daß wohlgefällige Farbebeziehungen dabei herauskommen, die mit dem Sinne des Bildes nichts wesentlich zu schaffen haben.

Überhaupt kann man bemerken: erstens, daß Idee, Zweck, Bedeutung unbeschadet ihres wesentlichen oder Hauptgesichtspunktes meist einen erheblichen Spielraum in der Anwendung dieser oder jener Formen oder Verhältnisse lassen, welchen man mit Vorteil benutzen kann, die direkt wohlgefälligsten vorzuziehen, oder, was wesentlich auf dasselbe herauskommt, daß man die darzustellende Idee, den Zweck, die Bedeutung oft nach untergeordneten oder Nebenbestimmungen so modulieren kann, daß sie vielmehr zur Anwendung der wohlgefälligeren als ungefälligeren Verhältnisse Gelegenheit geben. Zweitens, daß, wenn schon Idee, Zweck, Bedeutung nach Hauptgesichtspunkten die höhere Forderung stellen, welcher die Rücksicht auf direkte Wohlgefälligkeit weichen muß, doch nach untergeordneten Bestimmungen nicht selten das Umgekehrte einzutreten hat, wenn ein wichtiger Vorteil direkter Wohlgefälligkeit durch einen geringen Nachtheil der Angemessenheit zum Sinne oder zur Wohlgefälligkeit des Sinnes erkauft werden kann. So muß in einem Gedichte selbst eine minder günstige Gedankenwendung vorgezogen werden wenn die günstigere sich dem Versmaße und Reime durchaus nicht fügen will, und läßt man in der Architektur die Symmetrie der Seitenteile eines Gebäudes auch dann gewöhnlich noch durchgreifen, wenn dieselben einer verschiedenen Bestimmung dienen was nach allgemeineren Kunstprinzipien vielmehr zu einem Ausdruck der inneren Verschiedenheit durch eine symbolisch oder teleologisch zugehörige äußere auffordert; ohne damit auszuschließen, daß es auch Gebäude geben darf, in denen die Symmetrie ganz gegen überwiegende assoziative Motive zurückgestellt wird.

Kann man hiernach dem Faktor direkter Wohlgefälligkeit selbst in den höhern Künsten der Sichtbarkeit seine wichtige Bedeutung nicht absprechen, so wächst doch dieselbe, wenn wir von Plastik und Malerei zur Architektur und von dieser zur Kunstindustrie oder den sog. technischen Künsten und der Ornamentik herabgehen; indem nach Maßgabe dieses Herabgehens einerseits der assoziative Faktor selbst an Bedeutung in Verhältnis zum direkten verliert, anderseits Konflikte des direkten mit dem assoziativen minder leicht eintreten. Namentlich gewinnt in diesen Kunstgebieten die anschaulich verknüpfte Mannigfaltigkeit eine erhöhte Wichtigkeit, wohin die Symmetrie, der goldne Schnitt, das regelmäßige Muster, die Wellenlinie, die Volute, der Mäander u. s. w. gehören, was Alles in den höhern Künsten der Sichtbarkeit leichter fehlen kann, und aus angegebenen Gründen meist fehlen muß, weil man darin für die anschauliche Verknüpfung die assoziative durch die Idee hat. Aber auch Glanz, Reinheit und Sättigung der Farbe, gefällige Farbenzusammenstellungen spielen in den niedrigem Künsten der Sichtbarkeit eine wichtigere Rolle als in den höhern, welche sich die niederen Vorteile nur versagen, um höhere dafür zu bieten.


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