Gustav Theodor Fechner
Vorschule der Ästhetik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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XI. Verhältnis zwischen Poesie und Malerei aus dem Gesichtspunkt des Assoziationsprinzips.

Es ist eine vielbesprochene Frage, welches die Grenzen zwischen Poesie und Malerei sind, und bekanntlich bezieht sich Lessings Laocoon hauptsächlich hierauf. Seine Darstellung ist wie Alles von Lessing sehr anziehend und geistreich; doch glaube ich, daß sie durch Zuziehung von Betrachtungen, zu denen das Assoziationsprinzip Anlaß gibt, in mancher Beziehung teils noch ergänzt, teils etwas mehr vertieft werden, das Prinzip selbst aber hiermit eine weitere Erläuterung seiner Anwendbarkeit finden kann.

Besprochenermaßen (Abschn. IX Pkt. 11) besteht zwischen Poesie und Malerei der Gleichungspunkt, daß die sichtbaren Formen, deren sich die Malerei bedient, eben so wie die hörbaren Worte, deren sich die Poesie und Sprache überhaupt bedient, Träger einer durch Assoziation geläufig gewordenen, den höheren Eindruck dieser Künste vermittelnden, Bedeutung sind, wonach man die Formen der Dinge selbst sichtbare Worte nennen kann. So wichtig aber dieser Gleichungspunkt ist, läßt er doch nicht minder wichtige Unterschiede übrig, denen wir etwas nachgehen wollen.

Der Hauptunterschied liegt darin, daß uns die sichtbaren Worte der Malerei unmittelbar doch etwas von der darzustellenden Sache selbst wiedergeben, z. B. vom Menschen seine äußere Gestalt und Farbe, die freilich noch nicht den ganzen Menschen aber doch einen Teil desselben ausmachen, und daß sie bloß das Übrige, was sonst zu ihm gehört, der assoziativen Vorstellung anheimgeben; indes die Worte der Sprache (mit wenig Ausnahmen) ganz gleichgültig zur darzustellenden Sache sind und Alles solcher Vorstellung überlassen, so das Wort Mensch die Vorstellung des ganzen Menschen, das Wort Baum die Vorstellung des ganzen Baumes. Womit sich der zweite, zwar weniger durchgreifende und wichtige Unterschied verbindet, daß die assoziativen Bedeutungen der Worte konventionell sind und zwischen verschiedenen Sprachen wechseln, indes die der Formen bis zu gewissen Grenzen, freilich nur bis zu solchen, uns aufgedrungen und dadurch menschliches Gemeingut sind. So könnten die Worte für Auge und Mund und hiermit die daran geknüpften assoziativen Bedeutungen in zwei Sprachen verwechselt werden, wogegen die assoziativen Bedeutungen der Formen von Auge und Mund, wonach das eine zum Sehen, der andere zum Sprechen und Essen dient, sich nicht verwechseln lassen. Doch gilt das nur von den fundamentalsten oder so zu sagen Naturbedeutungen der Formen; im Übrigen weiß man ja, daß sich ihre Bedeutungen nach Verschiedenheit der daran gemachten Erfahrungen so gut ändern als die der Worte nach Verschiedenheit der Konventionen. Und haben sich die konventionellen Bedeutungen der Worte einmal durch Gewohnheit festgesetzt, so haften sie eben so fest daran, als die Naturbedeutungen an den Formen. Daher die geringere Wichtigkeit des zweiten Unterschiedes gegen den ersten, mindestens aus den Gesichtspunkten, die wir hier ins Auge fassen werden.

Insofern nun die Malerei die ganze sichtbare Seite einer Sache direkt und auf einmal in vollem Zusammenhange und voller Bestimmtheit gibt, welche der Geist bei den dasselbe bedeutenden Worten erst assoziationsweise zufügen muß, ohne sie anders als in unbestimmter Allgemeinheit oder in abgeschwächter Deutlichkeit hinzufügen zu können, ist die Malerei nicht nur betreffs der sinnlichen Seite des Eindrucks sichtbarer Gegenstände in Vorteil; sondern dieser Vorteil erstreckt sich auch bis zu gewissen Grenzen auf den Kreis und das Spiel der davon abhängigen Assoziationen, da von dem Zusammenhange, der Vollständigkeit und Deutlichkeit der sinnlichen Unterlage der Assoziationen die der Assoziationen selbst mitbedingt ist.

So gibt das gemalte Gesicht uns mit der ganzen sinnlichen Totalerscheinung des Gesichtes unmittelbar und in einem Schlage den Ausdruck eines gewissen Alters, eines gewissen Grades der Gesundheit, einer gewissen geistigen Begabung, einer gewissen Gemütsstimmung der Person, der es angehört, hiermit einen assoziativen Totaleindruck, dem die sprachliche Schilderung in keiner Weise nachkommen kann, indem sie zwar von all’ dem sprechen, aber das Alles weder erschöpfen, noch nach seinem vollen Zusammenbang in einem assoziativen Totaleindruck reproduzieren kann. Vom schönsten Gesicht ist doch keine schöne Beschreibung möglich, um so weniger, je schöner es ist, also unterläßt man sie lieber ganz und spricht nur von der Wirkung; nicht anders mit einer Landschaft. Die Malerei hingegen darf sich an die Schilderung von beiden wagen.

Anderseits aber ist das, was die Malerei direkt gibt, doch immer nur die Oberfläche sichtbarer Gegenstände, und selbst diese nur in einem einzigen Momente; weder aber was hinter der Oberfläche ist, noch was von Bewegungen und Veränderungen einer Sache vorangeht und folgt, noch was geistig oder von Ursachen und Wirkungen damit zusammenhängt, noch etwas Unsichtbares überhaupt kann direkt von ihr gegeben werden. Vieles aber, um was es bei der Darstellung der Dinge und des Geschehens zu tun ist, hängt nur so entfernt und unbestimmt mit einer sichtbaren Oberfläche zusammen, daß die Malerei entweder überhaupt verzichten muß es darzustellen, oder nur sehr unsicher auf eine assoziative Hervorrufung desselben durch die ihr zu Gebote stehenden Mittel rechnen kann. Hiergegen decken und erschöpfen die Worte der Sprache mit ihrer Bedeutung und durch die möglichen Zusammenstellungen derselben das gesamte Vorstellungs- und Begriffsgebiet des Menschen und vermögen sonach dem Gange der Vorstellungen und Gedanken mit dem davon abhängigen Gange der Gefühle ganz bestimmte, sich durch alles Äußere und Innere, Geistige und Körperliche, Vergangene und Künftige, Sichtbare und Unsichtbare, Allgemeine und Konkrete erstreckende Wege anzuweisen, und dadurch den Vorteil, den die Malerei nach gewisser Beziehung voraus hat, durch Vorteile nach anderer Richtung zu kompensieren oder selbst zu überbieten. Wie denn der Eindruck eines lyrischen Gedichtes, eines Drama oder Epos oder selbst einer einfachen Erzählung durch kein Gemälde ersetzt, wenn schon in gewisser Weise ergänzt werden kann.

Hiernach wird die Malerei überhaupt mit größerem Vorteile da Anwendung finden, wo der ästhetische Haupteindruck sei es direkt von der zusammenhängenden Auffassung der in einem Momente festgehaltenen äußeren Erscheinung, oder dem unmittelbar und sicher davon ausgelösten Zusammenhang und Spiel ästhetisch wirksamer und befriedigender Assoziationsvorstellungen abhängt, worin die Poesie und überhaupt sprachliche Darstellung nicht nachzukommen vermag, indem sie von dem direkten Eindrucke gar nichts, und von dem damit verschmolzenen Kreise der Assoziationen nur nach und nach diese und jene Momente kraftvoll hervorzurufen vermag, ohne die Fülle derselben damit erschöpfen und den von ihrem Zusammenhange abhängigen Totaleindruck herstellen zu können; hingegen die poetische Darstellung und sprachliche Darstellung überhaupt mit größerem Vorteile da, wo der ästhetische Haupteindruck an weiter durch Zeit, Raum und Inneres greifenden Beziehungen hängt, welchem die sinnliche Erscheinung einer sichtbaren Oberfläche mit den sich zunächst anknüpfenden Vorstellungen nicht nachzukommen vermag.

Nun gibt es Gegenstände, Motive, die aus vorigen Gesichtspunkten besser der Poesie, andere, welche besser der Malerei überlassen werden; doch gibt es auch genug, welche einen gemeinsamen Darstellungsstoff für beide abgeben können; nur werden sich dann beide, um jede in ihren rechten Grenzen zu bleiben, in der Behandlung desselben Stoffes vielmehr kreuzen als decken müssen, indem die Dichtung mit Darstellung des zeitlichen Ablaufes über den Durchschnitt durch die Zeit, den das Gemälde mittelst Darstellung eines Momentes bietet, hinausgreift, das Gemälde hinwiederum mit seiner räumlichen Ausbreitung über den hindurchstreichenden zeitlichen Fluß, den die Poesie bietet, hinausgreift, die Dichtung denselben Stoff seelisch vertieft, von dem die Malerei die farbige Fläche gibt. Indem nun so beide sich in demselben Vorstellungskreise begegnen, von den Punkten der Begegnung aber auseinanderweichen, treten sie zugleich in das Verhältnis der Verschwisterung und der Ergänzung zu einander, und zwar nicht nur als Künste im Allgemeinen, sondern können sich auch in einzelnen Leistungen zu wechselseitiger Verstärkung und Ergänzung ihrer Wirkungen verbinden.

Sei z. B. die Schlachtszene eines Epos von einem Bilde begleitet, so läßt sich die ganz unbestimmte mangelhafte Vorstellung, welche die sprachliche Schilderung der räumlichen Ausbreitung der Schlacht zu erwecken vermag, durch das Bild vervollständigen, verstärken, bereichern, oder umgekehrt die malerische Schilderung einer Schlacht, die uns nach ihren Motiven und ihrem historischen oder sagenhaften Zusammenhange unverständlich sein möchte, durch eine hinzugefügte historische oder epische Schilderung vervollständigen.

Hier und da findet man freilich die Behauptung aufgestellt, daß jedes gute Bild aus sich selbst verstanden werden müsse, ohne einer Erläuterung andersher zu bedürfen. Nichts untriftiger aber als diese Behauptung. Im Gegenteil fordert jedes historische, mythologische, religiöse, im Grunde jedes Bild überhaupt die Ergänzung durch Erkenntnisse, die nicht aus dem Bilde selbst zu schöpfen sind, nicht nur um verstanden, sondern auch nach seinem ganzen Werte gewürdigt und nach seiner ganzen Schönheit empfunden zu werden. Nur daß wir viele Erkenntnisse, die zum Verständnis von Bildern nötig sind, schon aus dem gewöhnlichen Lehen schöpfen, andere bei dem Bildungsgrade, der überhaupt die Kunst dem Genusse zugänglich macht, voraussetzen können, ohne, sie erst durch eine dem Bilde besonders zugegebene Erläuterung zu wecken. Will man also von einem Verstehen der Bilder aus oder durch sich selbst sprechen, so kann man nur in diesem Sinne davon sprechen. Und so gibt es in der Tat unzählige Bilder, die in diesem Sinne durch sich selbst unmittelbar verständlich und genießbar sind, andere aber auch, die es nicht sind, und die man doch auch gelten lassen muß. Wer bedarf noch einer besondern Erklärung, wenn er eine Geburt Christi, eine Himmelfahrt, eine niederländische Schenkenszene, eine Landschaft sieht; jeder weiß schon Alles, was dazu gehört sie zu verstehen, wogegen viele Szenen aus der Profangeschichte und selbst manche genrehafte Szenen noch der Erläuterung, mindestens Unterschrift bedürfen. Was man triftig von solchen verlangen kann, ist nur, daß sie doch schon ohne die zugefügte Erläuterung einen so weit ansprechenden oder interessierenden Eindruck machen, um das ergänzende Verständnis suchen zu lassen, so daß der Eindruck, um den es zu tun ist, nicht ganz und gar erst durch die Erklärung zu entstehen, sondern sich nur zu seiner vollen Leistung zu erfüllen hat, um nicht der Ergänzung die Leistung des Ganzen zuzumuten.

Wenn in einem Gemälde Luther vor den versammelten Fürsten und Bischöfen steht, muß in den mutigen, ruhigen, gottvertrauenden Zügen des einfachen kräftigen Mannes, gegenüber der Pracht, dem Stolze, der Anmaßung des versammelten Reichstages auch für den schon etwas Anmutendes, Erhebendes, zur weiteren Forschung, was alles dies bedeute, Anregendes liegen, der noch nichts von dieser ganzen Geschichte wüßte. Wäre der Maler nicht im Stande, dem Gemälde ohne das eine Wirkung zu verleihen, welche uns das in unbestimmten Zügen ahnen läßt, was, bestimmter durch die hinzutretende Historie aufgefaßt, uns ein volles inneres Genüge gewährt, so wäre er entweder nicht für die Aufgabe, oder die Aufgabe nicht für die Malerei geschaffen. Nur abgemacht ist damit die Leistung des Bildes nicht. Vielmehr würde ohne die hinzutretende Erklärung in der Unbestimmtheit und dem Rätsel, wie Alles in dem Bilde zusammenhängt, an welchen Motiven die Bewegung, der Ausdruck hängt, dem Eindrucke mit dem Zusammenschluß in einer einheitlichen Spitze auch die Kraft einer solchen entgehen.

Nun kann die Poesie in verschiedener Weise mit der Malerei und umgekehrt in erläuternde Beziehung treten. Einen Teil ihrer wirksamsten Motive schöpfen ja die Maler geradezu aus Dichtungen, den Homerischen, Danteschen, Shakespeareschen, Goethischen, und haben dann natürlich zum Verständnis ihrer Werke auch die Kenntnis dieser Dichtungen vorauszusetzen. Zu den wirkungsvollsten aber werden diese Motive dadurch, daß das ganze Interesse, was die Dichtung an den Gegenstand der Darstellung durch einen Zusammenhang und Ablauf von Vorstellungen knüpft, der sich nicht mit malen läßt, sich aus dem Gedichte für den, dem es geläufig ist, an das Gemälde übertragt und in ein Spiel dieser Vorstellungen wieder auszuschlagen vermag; und zwar ein poetisches Spiel, worin ein Vorteil solcher Motive vor denen aus prosaischer Geschichte liegt. Verlangt man doch überhaupt von einem Bilde, daß es einen poetischen Eindruck mache; Motive aus Dichtungen bringen solchen nicht freilich ganz aber halb fertig in das Bild mit.

Auch läßt sich ein ähnliches Verhältnis als zwischen Poesie und Malerei in dieser Hinsicht innerhalb der Poesie selbst wiederfinden. Unter allen lyrischen Gedichten Goethe’s gibt es wohl keine, die uns ein lebendigeres Interesse abgewinnen und unser Gefühl in solchem Grade erschütterten, als die Lieder von Gretchen, von Mignon, vom Harfner, überhaupt als die, die in seinen Dramen und Romanen eingestreut sind. Eben so wohnt denjenigen Gedichten Schillers, die in seinen Dramen vorkommen, die meiste lyrische Kraft bei, wie z. B. "Der Eichwald brauset, die Wolken ziehn", — "Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften", — "Eilende Wolken, Segler der Lüfte". Ich erinnere mich eines Romans von Eichendorff, betitelt "Ahnung und Gegenwart", der, obwohl nicht zu seinen besten Dichtungen gehörend, doch von einem poetischen Hauche durchweht ist, und worin mehrere Lieder im Zusammenhang mit der Erzählung einen besondern Reiz empfangen und geben.

Der Grund des Vorteils ist nach dem Vorigen leicht zu verstehen. Das Lied, für sich selbst unfähig, Alles zusammenzufassen, was die in ihm waltende Empfindung motivieren und unterstützen könnte, entäußert sich dessen an das größere Ganze, dem es einverleibt ist, und kann nun um so leichter sich begnügen, bloß das darzubieten, woran sich die Empfindung am direktesten knüpft, worin sie sich so zu sagen am meisten verdichtet. Dabei aber spielt der ganze Roman Wilhelm Meister, der ganze Faust in den Liedern Mignon’s und Gretchen’s unbewußt in diese Empfindung mit hinein, und von dem ganzen Reichtum bedeutungsvoller Beziehungen, die sich so hinein verweben, bietet uns das Lied in seiner kleinen Schale die goldne Frucht. Indem man Mignon’s Lied liest, sieht man sie stehen, hört man sie singen, und ihr vergangenes und künftiges Geschick schwebt traumhaft vorbei.

Manche antike bildliche Darstellungen erläutern sich in einfachster Weise dadurch, daß den Figuren darin die Namen beigeschrieben sind — und Archäologen sind oft froh genug, sie so erläutert zu finden, — manche altdeutsche Bilder in naivster Weise dadurch, daß den als sprechend darin vorgestellten Personen die Rede in einem langen Bande zum Munde heraushängt. Unserem heutigen, in dieser Hinsicht doch wohl besseren, Geschmack erwecken solche Bandwürmer Bauchgrimmen, weil sie in der Tat fremdartige Parasiten in dem Bilde sind, das sich wohl mit assoziativer Erinnerung ausmalen, aber nicht mit Mitteln dazu unterbrechen lassen will; und überhaupt wird die Aufnahme von Schrift in das Bild selbst immer mehr durch Störung seines Zusammenhanges schaden als durch Erläuterung seines Sinnes nützen, es sei denn, daß das hermeneutische Interesse vor dem ästhetischen vorwiege. Hingegen kommt es manchem Bilde wohl zu statten, wenn ihm, sei es auch nur zur Auffrischung der Erinnerung, die bestimmte Stelle aus der Dichtung oder der Bibel, in Bezug zu der es gemalt ist, unmittelbar am Rahmen, oder, um dessen dekorative Fassung nicht damit zu behelligen, in einer schriftlichen Beigabe darunter beigefügt wird.

Der Düsseldorfer Maler Hübner hat aus dem Buche Ruth die Abschiedsszene der alten Mutter Naemi von ihren Schwiegertöchtern dargestellt. Weinend und abgewandt entfernt sich die jüngere Schwiegertochter; während Ruth sich nicht von der Mutter losreißen kann und die Hände auf die Schulter der wehmütig und tief gerührt aussehenden Frau legt. Wie wahr und schön das Alles dargestellt sein mag, so kann mir doch der gemalte stumme Mund der Ruth nicht ihre rührende Rede, worin sie den Entschluß ausspricht, ihre Schwiegermutter nicht verlassen zu wollen, und den hiermit zusammenhängenden Sinn des ganzen Gemäldes nicht eben so aufgehen lassen, als es die hinzugefügte Bibelstelle, welche die Rede selbst gibt, zu tun vermag; sie lautet: "Rede mir nicht drein, daß ich dich verlassen sollte und von dir umkehren: wo du hingehst, da will ich auch hingehn, wo du bleibest, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbest, da sterbe ich auch, da will ich begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, der Tod muß dich und mich scheiden."

Gewiß ruht hier ein großer, ja vielleicht der größte Teil der Bedeutung der Szene für uns in den Worten, die der Maler nun einmal nicht mit malen und aus dem Gemälde nicht erraten lassen konnte, und von denen doch wenige Beschauer eine deutliche Erinnerung aus dem Lesen der Bibel zurückbehalten haben werden. Anderseits wird es für den, welcher die Bibelstelle für sich liest, unmöglich sein, Stellung, Geberde, Gesicht der handelnden Personen so bestimmt und lebendig in der Anschauung dazu zu konstruieren, als er sie hier durch das Geschenk des Malers vorgestellt erhält. So bildet die Malerei mit der Schrift zusammen in der Tat hier erst das volle Ganze.

Hiergegen könnte es freilich nur als ein überflüssiger Pleonasmus erscheinen, wenn unter das bekannte Gemälde Hildebrandt’s "Die Söhne Eduards" die Stelle Shakespeare’s gesetzt würde, der es ziemlich getreu folgt:
 

"Das Paar lag, sich einander gürtend
Mit den unschuld’gen Alabasterarmen,
Vier Rosen eines Stengels ihre Lippen,
Die sich in ihrer Sommerschönheit küssten."


Denn alles das, was hier der Vers sagt, ist viel besser im Gemälde selbst zu sehen. Es sei denn, daß man ein Interesse hätte, und dieses Interesse kann man doch auch gellen lassen, die Stelle des Dichters zu kennen, welche das Motiv zu dem Bilde hergab, und die Weise, wie es benutzt wurde, damit zu vergleichen.

Aus einem anderen Gesichtspunkt als dem der sachlichen Erläuterung sind die Sonette zu betrachten, die manche Dichter zu manchen Bildern verfaßt haben, wie z. B. von A. W. v. Schlegel ein Sonett zur sixtinischen Madonna und von J. Hübner in Dresden ein ganzes Bändchen Sonette zu den Hauptbildern der Dresdner Gallerie existiert. Hier handelt es sich nicht sowohl um Erklärung der Bilder als um sprachliche Entfaltung des poetischen Gehaltes oder Eindruckes, den die Bilder machen oder gedrängte Zusammenfassung und Hervorhebung der Momente, wodurch sie ihn machen. Das ist, wie eine Blume zwar keinen Schmetterling zu ihrem Dasein braucht, aber es sich doch gefallen lassen kann, wenn sich einmal einer auf sie setzt und ihr den süßen Saft aussaugt.

Anstatt bloß die Erinnerung an ein Dichterwerk zu einem darauf bezüglichen Gemälde hinzuzubringen oder durch kurze Beigabe zu wecken, läßt sich umgekehrt dichterische Darstellung durch bildliche illustrieren, wie jetzt mit Romanen, epischen Dichtungen, Dramen, Märchen so häufig geschieht, daß man fast anfängt, es überdrüssig zu werden und eine Art Zudringlichkeit der bildenden Kunst zur Dichtkunst darin zu finden. Möchte man sich doch auch mitunter mit dieser allein unterhalten. Auch wird man die Leistung solcher Verbindung, ohne sie überhaupt verwerfen zu wollen, nicht zu hoch anschlagen können; es bleibt immer mehr oder weniger ein Zweierlei; wobei Dichter und Bildner zwar Hand in Hand aber nicht in Einer Person gehen. In der Tat, während es dem Eindrucke eines Bildes, das eine Szene aus einem Gedichte darstellt, immer ganz notwendig bleibt, mit der Erinnerung an das Gedicht in diesen Eindruck einzugreifen, da es nur für diese Voraussetzung gemalt ist, ist es hingegen für den Eindruck eines Gedichtes, was ohne die Voraussetzung der Illustration verfaßt ist und zu bestehen weiß, nichts weniger als notwendig, mit dem Vorstellungskreise der Illustration darein einzugreifen, und wenn ich früher des Vorteils der Ergänzung gedachte, den z. B. die Illustration der Schlachtszene eines Epos mit einem Bilde gewähren kann, so sind von diesem Vorteile bei näherer Erwägung auch manche Abzüge zu machen.

Von vorn herein leuchtet ein, daß Poesie und Malerei in solcher äußeren Verbindung nicht zu einem entsprechend einheitlichen Totaleindrucke zusammenstimmen und sich also keine gleich wirksame Unterstützung gewähren können, als Poesie und Musik im Liede, weil Poesie und Musik des Liedes im selben Strome fließen, so daß ihre Wirkungen sich unmittelbar durchdringen, indes man das Gedicht und das illustrierende Bild nur abwechselnd verfolgen und dann allerdings mit den Vorstellungen des einen befrachtet solche so zu sagen auf das andere mit abladen kann; aber das geschieht nur mittelst einer Unterbrechung; und wie sich ein Dichter im Vorlesen eines Gedichtes nicht gern durch den Zuhörer unterbrechen läßt, möchte er auch das Lesen des Gedichts nicht gern durch Betrachtung der Malerei unterbrochen finden. Dazu kommt Folgendes in Rücksicht.

Wenn der epische Dichter eine Schlacht schildert, so werden im Allgemeinen nur gewisse Momente der Schlacht in den Zusammenhang der Darstellung ästhetisch wirksam eingreifen; und, wenn es von gewisser Seite ein Nachtheil poetischer Darstellung ist, daß sie nicht alle Momente der Schlacht darstellen kann, so ist es von anderer Seite ein Vorteil, daß sie nicht alle darzustellen braucht, sondern, unter Beiseitelassung der gleichgültigen, diejenigen, auf die es zur poetischen Wirkung wesentlich ankommt, herausheben und in den gesamten Zusammenhang poetisch wirksamer Momente verweben kann. So entsteht der leichte reine Fluß der Poesie. Hiergegen ist die Malerei genötigt, von der Schlacht Alles in voller Breite zu geben, was zum sichtbaren Zusammenhange derselben von einem gegebenen räumlichen und zeitlichen Standpunkte aus gesehen gehört, und damit einen Zusammenhang von Assoziationen heraufzubeschwören, der sich mit demjenigen, welchen die sprachliche Darstellung hervorruft, zwar ergänzt, aber auch nach verschiedenen Seiten, um die es nicht zu tun ist, daraus herausführt. Auch sind wir ja gewohnt, ein Bild nicht bloß nach dem, was es darstellt, sondern auch wie es dasselbe darstellt und seiner Aufgabe gerecht wird, in Betracht zu nehmen, wodurch wir noch von einer anderen Seite so zu sagen aus dem poetischen Flusse heraus ans Land geworfen werden.

Immerhin kann die Kreuzung beider Darstellungsweisen den Eindruck beiderseits in gewisser Hinsicht verstärken und bereichern wenn nur der Punkt wirksamster Kreuzung auch zur vorzugsweisen Geltung gebracht wird; und eben in dieser Geltendmachung hat der illustrierende Künstler seine Kunst zu beweisen; auch haben die Vorstellungen, die wir assoziationsweise aus einer Darstellung in die andere hinübernehmen, von selbst die Neigung, sich um den wirksamsten Punkt zusammenzuschließen. Insofern aber mit all’ dem nicht zu vermeiden ist, daß das Bild in gewisser Beziehung aus dem Zusammenhange der Dichtung herausführt, kann man die Möglichkeit des Wechsels zwischen dem Verfolg beider insofern als einen Vorteil in den Kauf nehmen, als jede lange Fortbewegung in derselben Art oder Klasse von Eindrücken endlich ermüdet, der Wechsel zwischen beiden aber hierdurch die doch beiden gemeinsam bleibenden Momente das Mißfällige eines Abbruchs verliert. Und wenn die Bilder sich rascher folgen, als das Bedürfnis des Wechsels eintritt, so steht es ja frei, über eine ganze Reihe derselben hinwegzuschreiten, um später nach Gefallen hindurchzuschreiten. Fesselt das Gedicht hinreichend, so wird man es ohnehin tun; langweilt das Gedicht, so kann man sich mitunter durch die Unterhaltung am Bilde entschädigen, wenn es nicht noch langweiliger als jenes ist. Am vollkommensten, meine ich ergänzen, sich Dichtkunst und bildende Kunst in den Abecebüchern, den Münchner Bilderbogen und fliegenden Blättern; da ist nichts zu wenig und nichts zu viel von einer oder der andern Seite; das braucht sich gegenseitig und hat sich so viel sichs braucht; nur daß freilich Vieles davon überhaupt zu wenig und darum zu viel ist.

Man könnte versucht sein, die Erläuterung von Gedichten durch beigegebene Bilder wie umgekehrt aus dem mehrfach aufgestellten ästhetischen Prinzip zu verwerfen, daß das Kunstwerk der Phantasie noch Spielraum lassen, ihr nicht Alles vorwegnehmen müsse. Was das Gedicht der Phantasie noch zu ergänzen übrig lasse, werde durch das zugefügte Bild ergänzt, und umgekehrt; nichts bleibe also für die Phantasie; daher sei es besser, beide zu trennen als zu verbinden. Zählt doch dies Prinzip auch unter den mancherlei Verwerfungsgründen gemalter Statuen mit. Und gewiß, wenn diese aus diesem Grunde verwerflich sind, ist es jede Illustration aus demselben Grunde. Aber auf eine so gute Autorität sich dies Prinzip zu berufen hat, halte ich es doch für fundamental untriftig. Vielmehr je mehr von Bestimmtheiten des darzustellenden Gegenstandes der Künstler der Phantasie vorweg nimmt, desto mehr Anlässe gibt er ihr damit, darüber hinauszugehen. Denn man meine doch nicht, daß der Künstler mit Allem, was er zu geben vermag, die Flügel der Phantasie binden und ihren Spielraum verengern kann; dazu müßte er die ganze Welt, die diesen Spielraum bildet, vorweg nehmen und selbst geben können. Von jedem Stück aber, was er gibt, steht ihr ein weiterer Ausflug frei; je größer der Umkreis dessen ist, was er gibt, von desto mehr Ansatzpunkten aus kann sie weiter fliegen, und desto weniger findet sie sich dadurch aufgehalten, solche erst zu suchen.

Also scheint mir auch Lessings Ansicht, wovon die obige Regel den Ausgang genommen, daß ein Affekt nicht in seinem Gipfelpunkte von der bildenden Kunst dargestellt werden müsse, um der Phantasie noch eine Ergänzung zu lassen, nicht triftig.

Wenn ein schreiender Laocoon uns mißfallen würde, ist es in der Tat nicht, weil der Phantasie darüber hinaus nichts mehr übrig bliebe, sondern weil ein vor Schmerz schreiender Mann uns überhaupt mißfällt. Entsprechend mit den sonst von Lessing geltend gemachten Beispielen; der ihre Kinder mordenden Medea und dem rasenden Ajax. Überhaupt mißfällt uns jeder gegipfelte Ausdruck eines physischen Schmerzes wie einer widrigen Leidenschaft, nun gar der Raserei. Der vollste Ausdruck eines edlen Schmerzes, einer edlen Liebe, Freude, Begeisterung, wird uns hingegen nie mißfallen, vielmehr um so mehr gefallen, je mehr wir uns sagen: unsere Phantasie vermag nichts darüber; die Phantasie hat doch das darüber, daß sie sich die ganzen Motive, Folgen, Zusammenhänge des Geschickes, was den Ausdruck hervorrief, noch ausmalen, in die ganze Tragweite desselben vertiefen kann; und dazu wird sie sich um so stärker angeregt finden, je mehr sie den Ausdruck im prägnantesten Momente auf seiner höchsten Staffel dargestellt findet.

Wäre das Prinzip in seiner Allgemeinheit richtig, so hätte Cornelius sehr übel getan, in seinem Nibelungenzyklus den Siegfried vom Spieß des Hagen durch- und durchrennen zu lassen. Nur das Ausholen mit dem Spieße wäre danach gestattet gewesen; wogegen der Spieß im Bilde, um für die Phantasie gar nichts mehr übrig zu lassen, sogar den Weg durch den ganzen Körper schon zurückgelegt hat und mit der Spitze aus der Brust hervorragt. Ei, sagt man, damit ist die Phantasie noch nicht fertig, denn die ganze Vergangenheit und Folge des Gedichtes wird durch die Phantasie bei diesem Anlaß, worin sich Alles gipfelt, heraufbeschworen. Ganz recht, das ist es aber eben, was ich sage; dasselbe wird nämlich bei jedem Gipfelpunkte, in dem ein Künstler seinen Gegenstand darstellt, der Fall sein; und der im Bilde ganz durchgerannte Sigfried ist in dieser Hinsicht wirksamer, als der erst von der Phantasie zu durchrennende.

Wohl kann es vorkommen; daß man die Unbestimmtheit der anschaulichen Vorstellung, welche ein Gedicht für sich übrig läßt, der Bestimmtheit, in welcher das Bild sie zu fixieren versucht, noch vorzieht. Nicht leicht wird eine bildliche Darstellung von Mignon, Gretchen, Lotte, Ottilie, Clärchen es jemand zu Danke machen; nur hängt das nicht daran, daß der Maler die Phantasie um ihre Leistung verkürzte, sondern daß er sie nicht befriedigt, indem er dazu so bedeutend als der Dichter und es dazu in entsprechender Richtung sein müßte. Das trifft sich nicht leicht. Wir möchten die Anknüpfungspunkte der ganzen tief innerlichen in individuellsten Zügen gehaltenen poetischen Schilderung jener Persönlichkeiten im Bilde wiederfinden; aber es gibt sie nicht hinreichend her oder gibt andere her, als wir suchen. Inzwischen fehlt es nicht an poetischen Schilderungen, wo der Eindruck nur dadurch gewinnen kann, daß der Maler die Unbestimmtheit, die der Dichter übrig läßt, ausfüllt, wir dadurch vielmehr bereichert werden, als verarmen. So kann man Tasso und Ariost leichter illustrieren als Goethe; denn bei jenen läßt sich schon viel mit im Allgemeinen schönen Rittern und Damen ausrichten, weil das Gedicht selbst nicht mehr hergibt; bei diesem nicht.

In möglichst innige und lebendige Wechselwirkung tritt die Poesie mit der Malerei in einer verachteten Kunst, der Bänkelsängerei, indem die schriftliche Beigabe hier durch das lebendige Wort vertreten, der sprachliche Eindruck durch Rhythmus und Melodie, Betonung, Hebung und Senkung der Stimme belebt und gehoben und durch den zeigenden Stab in stetem Zusammenhange mit der Auffassung der gemalten Szenen erhalten wird. Man sollte meinen, es könnte keine vorteilhaftere Verbindung geben; und in der Tat läßt sich fragen, ob diese bis jetzt auf Jahrmärkte verwiesene und auf rohste Ausführung beschränkte Kunst nicht höherer Ausbildung und Wirkung fähig sei. Sehen wir das den Bänkelsänger umstehende Volk an, wie reckt es die Köpfe, sperrt die Mäuler auf und spitzt die Ohren. Weder der Gesang allein noch das Gemälde allein würde seine Aufmerksamkeit fesseln. Also muß doch die Verbindung von Vorteil sein. Gefällt aber dem rohen Volke das rohe Bild auf einer schmutzigen Leinwand mit dem monotonen Gesange, der von einer abgelebten heiseren oder krächzenden Stimme aus einer halb verhungerten Gestalt herrührt, und dem eine schlechte Reimerei unterliegt, so sollte man meinen, daß ein schöner ausdrucksvoller Gesang mit einer Reihenfolge guter Bilder in passende Beziehung gesetzt, überhaupt nach jeder Beziehung vollendet, nach welcher die Bänkelsängerei noch roh ist, seine Wirkung auch auf ein gebildetes Publikum nicht verfehlen könnte. Nur daß Gedicht und Bild ausdrücklich vielmehr auf gegenseitige Ergänzung als Wiederholung durch einander angelegt sein müssten. Wie langweilig kann ein Gedicht dadurch werden, daß es die Gestalt einer Person oder einer Gegend in ihren Einzelheiten schildert; diese ganze doch nie zureichende Aufzählung kann der Fingerzeig auf das Bild ersetzen. Wie lange anderseits müssen wir oft erst in einem Gemälde hin- und herblicken, ehe die Vorstellung den Weg des Verständnisses darin findet; hier wird sie durch die Erzählung unmittelbar recht geführt, und zugleich durch den Gesang in richtiger Stimmung erhalten.

Das klingt Alles recht schön, da eben Alles, was zu Gunsten einer solchen Kunst sprechen kann, hier zusammengestellt worden ist; doch möchte bei den Meisten ein Gefühl gegen deren Berechtigung sprechen, und dieses Gefühl könnte möglicherweise Recht behalten. Nach Maßgabe nämlich, als Malerei und Gesang für sich vollendeter werden, möchte auch wohl die Neigung wachsen, jede schon für sich zu verfolgen; ihre größere Vollendung also ihr Zusammenwirken nur erschweren und die sich fort und fort erneuernde Anregung, den zeitlichen Verfolg des Gesanges durch den räumlichen Verfolg des Bildes zu unterbrechen — denn ein ganz gleichzeitiger Verfolg ist doch trotz des zeigenden Stabes nicht möglich, — dadurch nur um so lästiger werden. Dies ist anders bei Illustrationen von Gedichten durch Bilder, wo das gleichzeitige Verfolgen beider nicht gezwungen ist und gar nicht beansprucht wird, man vielmehr erst, wenn man das eine satt hat, sich zum andern zurückzuwenden braucht.

Hiergegen aber fraglich, ob diese Gegenerwägung gegen jene Vorteile durchschlägt, und nicht jenes wenig günstige Gefühl doch bloß daraus entstanden ist, daß die bisherige Ausführung wenig leistet, da es sich eben nach nichts Anderem hat bilden können. Nun ist überhaupt meine Ansicht, daß in der Ästhetik Alles zu versuchen ist, was nicht a priori abzumachen ist, und ich halte die Frage einer solchen Kunst hierzu gehörig, ohne freilich großes Vertrauen auf diese Zukunftskunst zu setzen.


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