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Geschichte von der gebesserten Ratte

Unter einem Schweinestall wohnte einmal eine alte Ratte, die vielen Schaden mit Gängegraben anrichtete und den Schweinen das Futter wegfressen tat. Ja, wenn einmal die Muttersau nicht aufpaßte, nagte die Ratte sogar aus lauter Bosheit die neugeborenen Ferkel an. Die Leute auf dem Hofe stellten der Ratte auch allerwege mit Gift und Fallen nach, aber die alte Ratte war listig und ließ sich weder fangen noch vergiften.

Nun begab es sich eines Tages im bitterkalten Winter, daß die Ratte in ihrem Erdloch unter dem Steinpflaster jämmerlich fror. Da bedachte sie ihre einsame und bedrängte Lage und sprach bei sich:

›Was für ein jämmerliches Leben führe ich doch eigentlich! Überall sind Fallen für mich aufgestellt, ich kann gar nicht achtsam genug gehen und muß stets überall meine Augen haben. Finde ich aber wirklich einmal einen schönen, lecker gebratenen Fleischbrocken und freue mich auf das gute Essen, so muß ich schließlich stets das böse Gift in ihm riechen und ihn liegenlassen. Immerwährende Sorge und Hunger und Angst sind mein Leben. Wie gut haben es dagegen die Tiere, die sich unter den Schutz des Menschen gestellt haben, der Hund, die Katzen, die Schweine, Kühe und Pferde. Pünktlich alle Tage bekommen sie ihr Futter, ja, der Mensch putzt ihnen sogar das Fell und sorgt für ihr warmes Bett. Sogar die Vögel, die ihm den Sommer hindurch mit Picken und Naschen doch gewiß Schaden genug tun, vergißt er nicht und füttert sie den ganzen Winter hindurch. Was solch jämmerliche Kohlmeise bekommt, das steht mir doch gewiß auch zu, und so will ich denn meinen Frieden mit den Menschen machen und Freundschaft mit ihnen schließen.‹

Als die Ratte sich das überlegt hatte, wartete sie einen Augenblick ab, in dem der Hund nicht recht aufpaßte, und lief eilig vom Stall über die Hofstatt zum Wohnhaus. ›Nein, wie schön warm und gemütlich ist das hier!‹ dachte sie bei sich, als sie ins Zimmer kam. ›Viel besser als in meinem kalten, dunklen Stall. Hier will ich bleiben.‹ Und sie pfiff freundlich.

Der Hausherr, der grade mit seiner Familie beim Essen saß, hörte das Pfeifen, blickte auf und sah die Ratte. »Nein, so was!« rief er, sprang auf und hielt die Gabel in der Hand, »kommt einem das Teufelsgetier nun gar schon ins Haus gelaufen. Na, warte nur!« Und er schickte sich an, mit der Gabel nach der Ratte zu werfen.

»Bitte, einen Augenblick!« sprach die Ratte. Sie hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und sprach so manierlich, wie es nur eine alte Ratte kann. »Ich komme nämlich in Geschäften und möchte einen Vertrag mit dir schließen, Hausherr! Ich habe mir das überlegt: ich will mich jetzt bessern und Frieden mit dir schließen.«

»Nanu«, sagte erstaunt der Hausherr.

»Ja«, sprach die Ratte feierlich und verdrehte vor Rührung über ihren eigenen Edelsinn die Augen im Kopfe, daß ihr fast die Tränen kamen. »Ich verspreche feierlich: Ich will unter dem Schweinestallpflaster keine Gänge mehr graben. Ich will den Schweinen das Futter nicht mehr wegfressen, und ich will auch die Ferkelchen nicht mehr annagen, wenn sie auch noch so rosig sind.«

Der Ratte kamen nun wirklich die Tränen, als sie aufzählte, auf was alles sie verzichten wollte, bloß um mit den Menschen Frieden zu schließen.

»Schön von dir, Ratte!« sprach der Hausherr. »Aber ich glaube dir nicht. Du führst bestimmt etwas Böses im Schilde.«

Die Ratte versicherte, sie tue das nicht. Eine Gegenleistung, freilich nur eine kleine, müsse sie allerdings verlangen, daß sie nämlich hier im Hause wohnen dürfe und dreimal täglich ihr reichliches Futter bekomme. »Gebratenes Fleisch esse ich sehr gerne«, sprach die Ratte bescheiden. »Und wenn es ein bißchen stinkerig ist, schmeckt es mir noch besser.«

»Ach so, Ratte!« lachte der Hausherr. »Das verlangst du also? Das Leben im Stall ist dir wohl unter all den Fallen und dem Gift ein bißchen zu gefährlich geworden? Nein, Ratte, daraus kann nichts werden, wir beide, Mensch und Ratte, wir müssen Feinde bleiben.«

»Nun«, sagte die Ratte höflich. »Ich verlange gar nichts Unbilliges. Du gibst ja auch den andern Tieren, die sich unter deinen Schutz begeben haben, Essen und Wohnung.«

»So hast du dir das also gedacht«, sprach der Hausherr. »Aber du hast vergessen, Ratte, daß zwischen dir und den andern Tieren ein großer Unterschied besteht. Sie bekommen ihr Futter ja nicht umsonst, sie tun auch etwas dafür. Das Pferd spanne ich vor meinen Wagen, und es zieht Lasten oder den Pflug durch das Land. Die Kuh gibt mir ihre Milch und alle Jahre auch noch ein Kälbchen dazu; das Schwein beeilt sich, groß und fett zu werden, damit ich nur bald wieder Wurst und Schinken habe. Unermüdlich paßt der Hund Tag wie Nacht auf, daß sich kein Dieb auf den Hof schleicht, jeden Fremden meldet er mit lautem Gebell an. Auf leisen Pfoten pirscht die Katze durch das Haus, immer bemüht, mich vor Mäuseschaden zu bewahren – und was tust du für mich, Ratte, daß ich dir dafür Kost und Wohnung geben soll –?«

So frech die Ratte sonst war, jetzt schaute sie doch etwas verlegen drein. Denn auf den Gedanken war sie noch nicht gekommen, daß sie für ihr Futter auch etwas arbeiten müsse. Grade zur rechten Zeit fielen ihr noch die Vögel ein. »Und wie ist es denn mit den Vögeln, Hausherr?« verlangte sie zu wissen. »Das unnütze Flattergetier fütterst du doch auch den ganzen Winter hindurch, ohne daß es irgendeine Arbeit für dich tut?«

»Im Winter wohl nicht, da hast du recht, Ratte«, antwortete der Hausherr. »Aber den ganzen Sommer über sind sie unermüdlich tätig für mich, fangen die Fliegen und Mücken, töten die Raupen, picken die Schmetterlingseier – ohne die Vögel würde ja bald keine Pflanze in meinem Garten geraten, kein Apfel auf dem Baum ohne Wurmstich reif werden. – Nein, Ratte, wenn dir nichts einfällt, was du für mich tun kannst, so wird aus unserm Frieden nichts werden.«

Jetzt saß die Ratte ganz kleinlaut da; daß sie nicht einmal soviel wert sein sollte wie ein armseliger Vogel, das hätte sie nicht gedacht. Schließlich sagte sie ganz bescheiden: »Ich habe sehr schöne, starke Zähne, so scharfe wie kaum ein anderes Tier. Wenn ihr hier im Hause vielleicht etwas zu beißen oder zu zernagen hättet? Ich könnte auch die schönsten, die dunkelsten, die gemütlichsten Gänge unter den Dielen nagen.«

»Untersteh dich, Ratte!« rief der Hausherr und hob drohend die Gabel. »Wir sind froh, daß wir ein heiles Haus mit festen Dielen haben, wir brauchen keine Rattengänge. – Weißt du sonst noch etwas, was du für uns tun könntest?«

Die Ratte überlegte sich den Fall wieder eine Weile, dann sagte sie: »Ich habe einen besonders schönen, langen, nackten Schwanz – vielleicht könnte ich der Hausfrau mit dem ein bißchen behilflich sein, den Staub wischen und die Suppen umrühren?«

»Um Gottes willen!« rief die Hausfrau und ekelte sich sehr. »Gib das bloß nicht zu, Mann! Wer möchte denn noch eine Suppe essen, die dieser eklige nackte Schwanz umgerührt hat?!«

Nun aber war die Ratte beleidigt. Sie hielt sehr viel von sich, bildete sich etwas ein auf ihre Schlauheit und List, und hatte hier doch nur kränkende Reden gehört und war niedriger eingeschätzt worden als der jämmerliche Vogel. »Ich verstehe nicht«, sprach die Ratte also sehr gekränkt, »was an meinem Schwanz eklig sein soll – es ist ein besonders schöner Schwanz, jedes Rattenfräulein hat ihn noch zum Verlieben gefunden. Aber ich sehe ja nun, man würdigt hier meine guten Absichten nicht, und so bleibt mir denn nichts übrig, als daß ich wieder in den Stall gehe, meine Gänge unter dem Pflaster grabe, das Schweinefutter fresse und die rosigen Ferkel annage. Ihr habt die Freundschaft mit mir nicht gewollt, also scheltet nun auch nicht auf mich, wenn ich weiter euer Feind bin!« – Damit schickte sich die Ratte an, zu gehen.

»Einen Augenblick noch, Ratte!« rief der Hausherr. Er bedachte nämlich, daß die Ratte ihm, wenn sie jetzt im Zorn ginge, noch viel mehr Schaden tun würde als bisher, und daß sie als schlaues Tier weder mit Gift noch mit Fallen zu töten war. Da schien es dem Hausherrn ein kleineres Übel, sie gegen ein geringes Futter im Hause zu behalten, wenn sie nur auch hielt, was sie versprach. Also fragte er: »Wirst du denn auch halten, Ratte, was du versprichst, wenn ich dich hier im Hause habe? Nichts annagen, nichts verderben, nichts naschen, mir keinerlei Schaden oder Schabernack tun, sondern immer an meinen Nutzen denken?«

»Was ich verspreche, das halte ich auch«, sprach die Ratte sehr mürrisch. »Aber meinen Schwanz lasse ich nicht schlechtmachen, es ist ein schöner Schwanz.«

»Mit deinem Schwanz hat es die Hausfrau nicht bös gemeint, Ratte«, tröstete sie der Hausherr. »Meine Frau ist eben an ihre Rührlöffel und Staubpinsel gewöhnt, darum gefallen die ihr besser. – Wenn ich dich aber hier behause und beköstige, Ratte, so mußt du auch etwas dafür tun, in meinem Haushalt kann ich keinen faulen Fresser dulden.«

»Sage nur, was ich tun soll«, sprach die Ratte, die schon wieder ganz eingebildet wurde, als sie merkte, der Hausherr wollte sie doch behalten. »Was ein anderer tut, das kann ich auch tun.«

»Nein, das wollen wir nicht so sagen, Ratte«, meinte der Hausherr lächelnd. »Denn zu irgendwelcher nützlichen Arbeit bist du doch nicht zu gebrauchen. Aber wie wäre das, Ratte –? Ich sehe dich da ganz manierlich auf den Hinterbeinen sitzen, pfeifen kannst du auch – wie wäre es, Ratte, wenn du zur Belustigung der Kinder dann und wann ein bißchen tanzen und pfeifen würdest –? Viel wäre das ja nicht, aber doch etwas!«

Eigentlich war die Ratte schon wieder schwer beleidigt, daß sie, die kluge, alte, listige Ratte, tanzen und pfeifen sollte, damit die Kinder was zu lachen hätten. Aber sie dachte an ihr gefahrenreiches Leben im Stall, und da willigte sie denn ein. So machten die beiden den Vertrag, daß Friede herrschen sollte zwischen Hausherrn und Ratte. Der Hausherr aber bedingte sich aus, daß der Vertrag erst einmal auf Probe gelten sollte, denn er traute der Ratte immer noch nicht ganz. Erst wenn sie sich eine Woche gut geführt und keinen Schaden gemacht hätte, sollte der Vertrag Gültigkeit bekommen und Mensch und Ratte auf ewige Zeit Freunde sein.

So wurde denn der Ratte ein Kistchen mit Heu in die Küche gestellt, darin sollte sie wohnen, und in der Küche sollte ihr Aufenthalt sein. Am ersten Tage gefiel es ihr dort auch sehr wohl. Es war warm und trocken, es standen keine Fallen dort, kein Gift war zu fürchten, sondern in einem reinen, irdenen Schüsselchen stand immer ein wenig Futter für sie bereit, mal ein Kleckschen Kartoffelbrei mit zerlassener Butter, mal ein Gemüserestchen, in dem auch ein paar Stücke gebratenes Fleisch verborgen waren. Der Ratte gefiel es ausgezeichnet, und wenn die Kinder kamen und verlangten, sie solle tanzen, so tat sie auch das gerne, und es störte sie gar nicht, wenn die Kinder lachten. Sondern sie sagte sich: ›Ein bißchen Bewegung nach soviel Essen ist sehr gesund, und die Kinder sind ja noch dumm, sie können noch nicht verstehen, wie schön ich tanze.‹

Am zweiten Tage war's schon nicht mehr so herrlich wie am ersten. Die Ratte schnupperte nur am Futternapf und sagte ohne Hunger: »Schon wieder Kartoffelbrei – die Leute kochen hier wohl alle Tage dasselbe!« Vor den Küchenfenstern war ein schöner, klarer, sonniger Wintertag, und die Ratte dachte mit einiger Sehnsucht daran, wie behaglich sie an solchen Tagen vor ihrem Loch am Stall in der Sonne gesessen und dann und wann einen kleinen, interessanten Spaziergang über den Misthaufen gemacht habe.

»Ach ja, ach ja, solch Stubenleben ist auch recht schwer!« seufzte die Ratte und fing vor lauter Langerweile an, ihr Wohnkästchen zu benagen. Aber die Hausfrau hörte das Knabbern, rief scharf: »Laß das, Ratz!«, und die Ratte mußte es lassen.

Sie lauerte aber darauf, daß einmal die Tür von der Küche zum Zimmer aufstünde, und als es soweit war, schlüpfte sie leise hinüber. Im Zimmer war keiner, und so konnte sich die Ratte, die sehr neugierig war, alles mit der größten Genauigkeit ansehen. Sie kletterte auf jeden Tisch, und wo eine Schranktür offenstand, schlüpfte sie auch in die Schränke und betrachtete sich genau, was in den Schränken war. Sie kroch im Regal hinter die Bücherreihen, kletterte an den Gardinen hoch und sah sich das Zimmer von oben an. Und hinter jedes Sofakissen schlüpfte sie auch. So ging sie von Zimmer zu Zimmer, und da war kein Bett, in das sie nicht gekrochen wäre, keine Waschschüssel, die sie nicht als Schwimmbassin versucht hätte, kein Hausschuh, den sie nicht als Bett ausprobiert hätte.

Die Hausfrau war eine sehr ordentliche Hausfrau, ihre Wohnung strahlte und blitzte nur so von Sauberkeit – aber das war es ja gerade, was der Ratte so mißfiel! ›Nein, was sind diese Dielen glatt und glänzend!‹ sagte sich die Ratte, als sie über den Boden lief. ›Da kann man ja ausrutschen! Hier müßte überall ein bißchen Stroh und Mist liegen, das wäre doch viel gemütlicher!‹ Und weil kein Stroh und Mist da waren, ließ sie wenigstens schnell ein Kleckschen fallen.

Als sie hinter dem Sofakissen sah, meinte sie: »Außen ist es glatt und kühl, aber innen scheint es weich und mollig zu sein. Man müßte das Innerste nach außen kehren!« Und sie machte schnell ein Loch in den Bezug, freute sich, als die Federn herauskamen, und machte ein kleines Bett aus ihnen. »So!« sagte sie zufrieden. »Die Menschen haben auch gar keine Ahnung, wie man es sich gemütlich macht! Ich muß ihnen das erst einmal richtig zeigen!«

Im Federlager war es der Ratte warm geworden, sie sprang gleich in die nächste Waschschüssel und nahm ein kühles Schwimmbad. »Ei, was tut das gut!« sagte sie. »Die Sauberkeit ist auch nicht zu verachten!« Und sie wälzte sich zum Abtrocknen in der Asche, die vor dem Ofen vom Heizen her in einer Schippe stand. Dann kroch sie in das nächste Bett.

So hinterließ die Ratte überall Spuren ihrer Tätigkeit, aber sie dachte sich nichts Böses dabei. Sie war eben eine Ratte, kein Mensch, und vom Stall her war sie auch nichts Besseres gewohnt. Am Abend aber wurde die Ratte vor den Hausherrn gerufen und von der Hausfrau bitterlich verklagt. Da wurde alles erwähnt und nichts ausgelassen, von dem Kleckschen auf den Dielen an über das Federlager bis zu der ekligen Aschenspur, im Bett. Die Hausfrau war sehr böse, und der Hausherr machte ein ganz grimmiges Gesicht und fragte sehr finster: »Warum hast du das getan, Ratte? Du hast doch gelobt, mir keinen Schaden zu tun?«

Die Ratte ließ Anklage, Zorn und Grimm ruhig über sich ergehen und antwortete ganz kaltblütig, daß sie doch nichts Böses im Sinne gehabt habe. Dies sei nun einmal so ihre Art, und von ihrer Art könne sie ebensowenig lassen wie der Mensch von der Menschenart.

Der Hausherr sah nun, daß die Ratte wirklich nicht aus Bosheit so gehandelt hatte, sondern allein aus Neugierde und ihren schlechten Stallgewohnheiten, und er bedachte, daß man sie darum nicht so ohne weiteres als Feindin zu den Schweinen zurückschicken könne. Er sagte aber trotzdem streng: »Habe ich dir aber nicht gesagt, du sollst nicht aus der Küche gehen?«

Die Ratte lächelte listig und fragte den Hausherrn dagegen: »Und wer hat denn die Tür von der Küche zur Stube offengelassen – und alle anderen Türen auch? Ich bin neu hier im Haus und weiß nicht, wo die Küche aufhört und die Stube anfängt, wenn keine Wand dazwischen ist.«

Über diese unverschämte Antwort mußte der Hausherr fast lachen, die Hausfrau aber, die die Türen offengelassen hatte, lief vor Zorn ganz rot an und war von Stund an die erbittertste Feindin der Ratte. Die aber wurde noch einmal vom Hausherrn streng ermahnt, sich in die Art des Hauses zu schicken, nicht aus der Küche zu gehen und keinen Unfug zu machen, sonst könne aus dem ewigen Vertrag nichts werden. Die Ratte versprach auch Gehorsam und ging artig wieder in ihr Kistchen am Küchenherd, wo sie sich zusammenrollte und friedlich einschlief.

Der dritte Tag kam, und an ihm erwies es sich, daß es nicht gut ist, in einem Hause die Hausfrau zur Feindin zu haben. Die hatte nämlich noch nicht ihren Zorn auf die Ratte vergessen und setzte ihr bloß ein Wassersüppchen hin, ohne Saft und Kraft gekocht, aber mit sehr viel Salz gewürzt. Die Ratte kostete davon und fand, das Süppchen schmeckte abscheulich. Die Frau, die die Ratte am Futternapf sitzen, aber nicht fressen sah, sagte: »Schmeckt es nicht, Ratz? Ja, für Nichtstuer und Schmutzmacher habe ich keine bessere Kost.«

Die Ratte hörte am Ton der Rede und sah an den Augen der Hausfrau, daß sie böse war. Da erwachte die eigne Bosheit der Ratte, und sie sann auf eine List, wie sie die Hausfrau recht ärgern könne, ohne sich dadurch aber beim Hausherrn in Gefahr zu bringen.

Als die Hausfrau nun von der Küche in die Stuben ging, dort reinzumachen, sprang die Ratte listig hinten an der Hausfrau hoch und hängte sich an ihr langes Schürzenband, ohne daß die Hausfrau etwas davon merkte. Sie machte die Küchentür recht schön fest zu, aber das half ihr nichts, die Ratte hing fest am Schürzenband. Als die Hausfrau nun beim schönsten Fegen war, pfiff die Ratte hinten an ihrem Schürzenband, wie eben Raffen pfeifen. Die Hausfrau fuhr herum – aber am Schürzenband fuhr die Ratte mit herum, und so bekam die Hausfrau keine Ratte zu sehen. »Hier hat doch eben eine Ratte gepfiffen!« sagte die Hausfrau und suchte, fand aber keine Ratte.

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Schließlich dachte die Hausfrau, sie habe sich geirrt, ergriff von neuem den Besen und machte sich wieder ans Kehren. Gleich pfiff die Ratte zum zweitenmal! Die Hausfrau läßt den Besen fallen, sucht – umsonst! Sie denkt, die Ratte ist im Zimmer versteckt, läuft, so schnell sie kann, in die Küche, am Schürzenband die Ratte kommt ebenso schnell mit. Wie die Hausfrau die Küchentür aufmacht, läßt die Ratte das Schürzenband schnell los, huscht unter dem Küchentisch durch und liegt schon im verstellten Schlaf in ihrem Kistchen, als die Hausfrau hineinschaut.

›Muß ich mich doch geirrt haben‹, denkt die Frau. ›Die Ratz schläft ja ganz friedlich!‹ Sie geht zurück an ihre Arbeit, die Ratte hängt schon wieder am Schürzenband. Sie ergreift den Besen, die Ratte pfeift. Sie läßt den Besen fallen und sucht: keine Ratte ist zu sehen. Kehrt wieder, wieder pfeift die Ratte. Sie rennt in die Küche: die Ratte schläft.

So trieb es die listige Ratte an diesem Tage mit der Hausfrau, und sie brachte sie ganz von Sinn und Verstand. Bei dem ewigen Umherlaufen und Suchen wurde keine Arbeit getan, kein Zimmer gesäubert, kein Essen gekocht. Ja, die Ratte trieb zum Schluß ihre Frechheit so weit, daß sie vor den Augen der Hausfrau auf den Betten spazierenging – lief die Frau dann aber in die Küche, hing die Ratte schon wieder an ihrem Bande und kam rechtzeitig in ihr Kistchen.

»Soll ich denn meinen eigenen Augen nicht mehr trauen dürfen?« rief die Hausfrau, und brach vor Ärger, Abgehetztsein und Wut in Tränen aus. So fand der Hausherr sie und fragte ganz erstaunt nach der Ursache ihrer Tränen. Da berichtete ihm die Hausfrau, wie es ihr an diesem Tage ergangen sei, wie sie überall Ratten gehört und gesehen habe, und wie sie vor lauter Rattenplage kein Essen habe kochen und kein Zimmer habe reinmachen können.

Der Hausherr ahnte gleich, daß eine List der Ratte dahinterstecken müsse, aber er tat ganz freundlich, rief die Ratte aus ihrem Kistchen und fragte sie, wie sie den Tag verbracht habe.

»Gut«, antwortete die Ratte. »Ich habe den ganzen Tag in meinem Kistchen gelegen und geschlafen.«

»Und du bist bestimmt nicht einmal aus deinem Kistchen hinaus und in die anderen Zimmer hineingegangen?« fragte der Hausherr.

»Wie kann ich das?« fragte die Ratte dagegen. »Wo du mir das so streng verboten hast?«

»So!« sagte der Hausherr. »Und wie erklärst du dir das, Ratte, daß die Frau überall, wo sie auch war, Ratten pfeifen gehört hat und Ratten laufen gesehen hat –?«

Das könne sie sich auf keine Weise erklären, sagte die Ratte ganz frech. Es müsse denn sein, daß die Hausfrau ihres schlechten Gewissens wegen immer an Ratten habe denken müssen, weil sie ihr nämlich statt der ausbedungenen Kost eine versalzene Wassersuppe hingestellt habe.

Ob das so sei? fragte der Hausherr nun seine Hausfrau. Ob die Ratte heute nichts bekommen habe als ein Wassersüppchen?

Nun wurde die Hausfrau erst recht zornig; erhitzt fragte sie, ob denn solch Wassersüppchen etwa nicht gut genug sei für eine Nichtstuerin wie die Ratte? Ein Süpplein aus Mehl und Wasser, wie man es sogar den Kranken mit ihren schwachen Magen gebe! Und was das Salz betreffe, so liebe es der eine eben gesalzener als der andere, das nächste Mal werde sie die Ratte fragen, wie sie es am liebsten möge!

Der Hausherr war in einer schlimmen Lage. Fortschicken konnte er die Ratte nicht, denn ein Verbrechen gegen den Vertrag war ihr nicht nachzuweisen. Er sah aber auch, daß es zwischen Hausfrau und Ratte je länger je schlechter gehen müsse. Schon jetzt hatte sein gutes Weib einen rechten Zorn auf das Tier, und er wollte ja auch nicht, daß seine Hausfrau in einem ewigen Ärger und Zorn umherlief! Kurz und gut: der Hausherr wäre die Ratte gerne wieder losgewesen aus dem Hause, und wußte nur nicht, wie er's angehen sollte. Er sann darum auf eine List, die aber sehr fein sein mußte, denn die Ratte war auch listig und durchtrieben.

Als er darum eine Weile nachgedacht hatte, fragte er die Ratte: »Sag, Ratte, hast du nicht scharfe Augen?«

Die Ratte, die ja sehr viel von sich hielt, sagte, sie habe die schärfsten Augen von der Welt.

»Und hast du nicht auch scharfe Zähne, Ratte?« fragte der Hausherr wieder.

»Mit meinen Zähnen kann ich sogar Draht, Blech und Zement beißen«, sagte die Ratte stolz.

»So will ich dir morgen zeigen, wie du mir in einer Sache helfen kannst«, sprach der Hausherr, »in der mir niemand helfen kann als nur du allein.«

Die Ratte versprach sehr geschmeichelt ihre Hilfe, und am nächsten Morgen, als die beiden gefrühstückt hatten – und nicht nur eine salzige Wassersuppe –, gingen sie los. Sie stiegen aber gemeinsam auf den Boden, wo der Hausherr eine geräumige Äpfelkammer hatte, voll der schönsten Winteräpfel, aber ein wenig dämmrig.

»Sieh einmal, Ratte«, sprach der Hausherr, »hier habe ich meine Äpfel liegen. Wie es aussieht, eine gewaltige Menge, von der man denkt, sie müsse bis Ostern reichen. Sie reicht aber nie so lange. Das kommt daher, daß, während ich von Hause fort bin, Diebe an meine Äpfel gehen und den besten Teil mausen. Nun habe ich gedacht, du hast scharfe Augen, die selbst hier im Dämmern die Diebe wohl erspähen können, und du hast scharfe Zähne, mit denen du die Diebe am Ohr blutig zeichnen könntest, daß ich sie erkenne, wenn ich wieder nach Hause komme. Willst du nun hier für mich Wache stehen, fleißig nach Dieben spähen und sie zeichnen, einen nach dem andern, wie sie kommen –?«

So sprach er zur Ratte. In seinem Innern aber dachte er, der Ratte werde es schon leid werden, den ganzen Tag Posten zu stehen auf dem kalten finsteren Boden – und ganz umsonst, denn der Hausherr wußte nichts von Äpfeldieben, das hatte er nur so gesagt.

Die Ratte versprach, getreulich Wache zu halten. Aber auch sie war im Innern entschlossen, den Hausherrn zu überlisten, der ja nicht aufpassen konnte, ob sie auch wirklich Wache stand. Als darum der Hausherr gegangen war, suchte sie sich erst einmal einen schönen, rotbackigen, mürben Apfel aus und fraß das Beste von ihm. Danach ging sie auf dem Boden auf Entdeckungsreisen und fand auch richtig die Räucherkammer und roch den Speck und die Wurst darin. ›Obstkost allein schlägt zu sehr durch‹, sprach sie bei sich, nagte ein Loch in die Tür und tat sich an Wurst, Speck und Schinken gütlich.

Als sie gerade beim besten Schmausen war, hörte sie ein leises Schleichen draußen auf dem Boden, und als sie durch das Nageloch in der Tür spähte, sah sie die Hauskatze, die draußen auf Mäusejagd war. Nun hatte die Ratte einen rechten Haß auf die Katze, denn Ratten und Katzen sind Feinde von Urbeginn an; die Katze aber war schon ziemlich alt und bequem und legte keinen Wert mehr auf einen Kampf gegen die scharfen Zähne der alten Ratte.

Also bekam die Katze einen gewaltigen Schreck, als die Ratte mit dem Rufe: »Weg, du böser Apfeldieb!« auf sie einsprang.

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Und als die Ratte sie nun gar mit ihren scharfen Zähnen ins Ohr biß, daß das Blut lief, rannte sie, kläglich »Miau!« schreiend, die Bodentreppe hinunter und stieß in ihrer Angst noch fünf Geraniumtöpfe um, die auf dem Boden im Winterquartier standen.

Die Ratte aber ging sehr zufrieden in die Räucherkammer zurück, fraß noch ein tüchtiges Loch in den Preßkopf, der dort hing, und suchte sich dann eine bequeme Schlafstätte auf einem Dachbalken in der Äpfelkammer. Als sie da nun so recht schön behaglich und gut satt im Einschlummern lag, hörte sie einen leichten Schritt vorsichtig die Treppe heraufkommen. Gleich setzte sie sich auf, spitzte die Ohren und wartete begierig, wer das wohl sein würde.

Es war aber niemand anders als der Sohn des Hausherrn, der gerade jetzt vor dem Mittagessen, aber nach der Schule, einen kräftigen Hunger auf Äpfel verspürte, die ihm doch zwischen den Mahlzeiten verboten waren. Ahnungslos schlich der Junge in die Äpfelkammer – schwupp! saß ihm die Ratte auf der Schulter und schlug ihm ihre langen gelben Zähne in das Ohr, daß es blutete, und er schreiend nach unten lief. Die Ratte aber legte sich wieder hin und schlief gut und nicht weiter gestört bis zum Abend.

Am Abend mußte der Hausherr wiederum Gericht halten – er tat's mit Seufzen. Seit die Ratte im Haus war, gab's nur noch Streit und Unordnung, und doch war sie nicht loszuwerden. Die Katze hatte ein zerschlitztes Ohr und der Junge ein geritztes, aber dafür verlangte die Ratte noch Lob, hatte sie doch die Äpfel gegen die Diebe verteidigt. Fünf Geraniumtöpfe waren zerbrochen, dafür konnte die Ratte aber nichts, das hatte die Katze getan. In der Räucherkammer waren Wurst, Speck und Schwartenmagen angefressen – davon wußte die Ratte aber nichts. In einem Haus, in dem es Apfeldiebe gab, konnte es ja auch Wurstdiebe geben.

Der Hausherr mochte es drehen und wenden wie er wollte, er konnte der Ratte keine Schandtat nachweisen und sie darum auch nicht wegschicken. Und morgen war schon der fünfte Tag der siebentägigen Probezeit, gelang es ihm in diesen sieben Tagen nicht, die Ratte fortzuschicken, mußte er sie für immer und ewig als Freundin im Hause behalten. Und davor grauste dem Hausherrn, und der Hausfrau grauste noch viel mehr davor.

Als nun der fünfte Tag herangekommen, sprach der Hausherr zur Ratte: »Komme mit mir, Ratte! Du sollst noch einmal auf Diebe aufpassen, da du dich gestern so gut bewährt hast!«

Es ging dieses Mal aber nicht hinauf zur Äpfelkammer und zum Speck, worauf die Ratte sich schon gefreut hatte, sondern hinunter in den dunklen, feuchten Keller. Dort stand eine Siruptonne, und der Hausherr sprach zur Ratte: »Setze dich hier neben die Tonne und passe fein auf, ob Diebe kommen. Gehe mir aber nicht an den Sirup, Ratte! Du bekommst von uns deine Kost und darfst nicht naschen!«

Damit schloß der Hausherr die Kellertür ab, damit die Ratte nur nicht hinaus könnte und Unfug stiften, stieg die Kellertreppe empor und pfiff vergnügt ein Liedchen. Er dachte aber bei sich: ›Die Ratte hält es bestimmt den Tag über nicht aus, ohne an den süßen Sirup zu gehen. Der Sirup aber klebt, im Keller ist kein Wasser, ihn abzuwaschen, so erwische ich sie heute abend als Diebin, kann sie aus dem Haus jagen und bin sie für immer los!‹

Die Ratte indessen saß ganz trübselig im Keller und dachte: ›Das ist wirklich ein trübseliges Geschäft. Die Wände sind aus Stein, und die Tür hat er abgeschlossen – wie können da Diebe hereinkommen? Er will mich nur verführen, daß ich an den süßen Sirup gehe – aber das tue ich nicht, und müßte ich zwei Jahre hier unten sitzen!‹ Damit legte sie sich in eine Ecke und schlief ein.

Als sie aber ausgeschlafen hatte, fühlte sie großen Hunger. Sie lauschte und hörte, wie es immerzu »Dripp-dripp-dripp« machte. Das war der Sirup, der langsam aus dem Hahn in das Blechschälchen tropfte, denn der Hahn schloß nicht ganz fest. ›Riechen könnte ich ja mal an dem Sirup‹, dachte die Ratte. ›Davon werde ich nicht klebrig.‹

Also ging sie hin und roch. Sie fand, der Sirup roch süß, und ihr Hunger wurde noch größer davon. Sie sah aber auch, daß die Schale fast vollgetropft und nahe am Überlaufen war. ›Wenn der Hahn nur ein bißchen stärker tropfte‹, überlegte die Ratte, ›würde die Schüssel überlaufen. Der Sirup ränne auf den Boden, und ich könnte nichts dafür, wenn ich klebrig würde.‹

Lief die Ratte also am Faß hoch, auf den Hahnstutzen und drückte gegen den Hahn. Bumms! war der Hahn ganz zu, und der Sirup tropfte nicht mehr. ›Nein, so was‹, dachte die Ratte verblüfft. ›Das habe ich mir ja nun ganz anders gedacht.‹

Und sie drückte nochmals gegen den Hahn und kräftig! Bumms! flog der Hahn ganz raus, der Sirup strömte aus dem Faß, lief über die Schüssel und durch den Keller. ›Nein, so was!‹ dachte die Ratte. ›Das habe ich mir ja nun ganz anders gedacht!‹

Indem fühlte sie ein Kribbeln an ihrem langen Schwanz, der vom Stutzen auf die Erde hing, und als sie zusah, merkte sie, daß dies Kribbeln vom Sirup kam, der über den Kellerboden lief. ›Das ist gar nicht so schlecht‹, dachte die Ratte, zog den Schwanz hoch und leckte ihn ab, paßte dabei aber fein auf, daß sie sich nicht klebrig machte. »Ei, schmeckt das süß!« rief sie erfreut. »So kann das immer weitergehen!« Und sie tunkte den Schwanz immer wieder in den fließenden Sirup, paßte aber gut auf, daß kein Härchen ihres Felles klebrig wurde.

Als der Hausherr nun am Abend wohlgemut die Kellertür aufschloß und dachte: ›Heute habe ich die Ratte reingelegt‹, rutschte er beim ersten Schritt im Keller in dem klebrigen Sirup so aus, daß er sich mit Gewalt in den spritzenden Sirup niedersetzte.

»Was ist das –?« schrie er mit drohender Stimme.

»Das ist Sirup, Hausherr!« antwortete die Ratte ganz kaltblütig.

»Wie kommt der Sirup aus meinem Faß auf den Kellerboden?« brüllte der Hausherr mit fürchterlicher Stimme. »Ratte! jetzt muß ich dich gewißlich ermorden!«

»Du kannst mich ja nicht ermorden, Hausherr!« sprach die Ratte darauf mit feiner und freundlicher Stimme. »Sieh doch mein Fellchen an. Kein Tröpfchen Sirup klebt an einem Härchen. Allezeit bin ich deine gehorsame Freundin gewesen. Bin ich doch sogar, um dir nicht zu schaden, hier auf das Faß geflüchtet – du aber setzt dich mit aller Gewalt in den Sirup und verdirbst viel von dem teuren Saft!«

Der Hausherr kam fast vor Wut um, und doch konnte er nichts gegen das vorbringen, was die Ratte sagte. Kein Härchen war vom Sirup verklebt, und ihre Füße waren völlig rein. »Wie aber kommt der Zapfen aus dem Faß, Ratte?« fragte er mit schon schwächerer Stimme.

»Wie kann ich das wissen, Hausherr?« sagte die Ratte mit unschuldiger Stimme. »Ich bin ja eine Ratte, kein Zapfen. Erst hat er immerzu getropft, aber dann ist ihm das Tropfen wohl zu langweilig geworden, und er ist herausgesprungen. Vielleicht fragst du einmal den Zapfen, Hausherr?«

Der Hausherr sah die Ratte böse an, schwieg jetzt aber. Er merkte wohl, daß sie ihn bloß verhöhnte, aber er konnte ihr nichts beweisen, und so trug er sie schweigend aus dem Keller in ihr Kistchen am Küchenherd. Dorf forderte sie sich gleich frech Futter, und sie fraß so viel, daß der Hausherr wieder ganz zweifelhaft wurde und dachte: ›Vielleicht hat sie doch die Wahrheit gesprochen und nicht von dem Sirup genascht. So viel könnte sie doch sonst nicht fressen.‹

Das wurde ein trauriger Abend in der Familie! Ein Faß Sirup ausgelaufen und verdorben, der Anzug des Hausherrn verschmutzt und verklebt und dazu die Aussicht, die Ratte ständig im Hause als Freundin zu haben! Lange noch lag der Hausherr wach und überlegte und beriet mit der Hausfrau, wie sie die Ratte loswerden könnten. Aber gar nichts wollte ihnen einfallen. Und morgen war schon der sechste Tag, und dann kam der siebente, und ging auch der gut für die Ratte aus, so blieb sie für ewige Zeiten als Freundin im Haus.

»Ich halte das nicht aus! Ich will das olle, eklige Tier nicht immer im Hause haben!« weinte die Hausfrau.

»Paß auf, Frau!« tröstete der Hausherr. »Morgen fangen wir gar nichts mit der Ratte an. Wir kümmern uns einfach nicht um sie. Dann hält sie es vor Langerweile nicht aus, macht irgendeinen Unfug, und wir können sie zurückschicken in den Stall.«

Damit schliefen die beiden ein. Die Ratte in der Küche aber schlief nicht, sondern sie rannte wie eine Wilde um den Küchentisch herum – immer herum! Immer herum! Ihre Ohren flogen, ihre Brust keuchte, ihr Herz klopfte wild, und den Schwanz hielt sie weit vom Leibe abgestreckt –: ›Ich will doch sehen‹, dachte sie beim Laufen, ›ob ich nicht so schnell rennen kann, daß ich mit meiner Nase meine Schwanzspitze einhole!‹

So trieb sie es die ganze Nacht, rannte immer toller, bis sie am Morgen halbtot vor Müdigkeit in ihr Schlafkistchen kroch. Ihre Schwanzspitze hatte sie zwar nicht eingeholt – und so dumm war sie auch nicht, daß sie geglaubt hätte, das ginge –, aber herrlich müde war sie geworden, und so verschlief sie den ganzen sechsten Tag, ohne auch nur einmal aufzustehen. Das hatte sie ja auch gerade gewollt, und darum hatte sie sich so müde gelaufen, denn auch sie hatte daran gedacht, daß ihre Probezeit zu Ende ging. Sie wollte nicht wieder als Feindin in den Stall geschickt werden, sondern lieber als Freundin, wenn auch als falsche, im Haus bleiben und gab sich darum alle Mühe, erst einmal keinen Unfug zu stiften. Lieber verschlief sie den ganzen sechsten Tag.

Nun kam also der siebente und letzte Probetag heran, und gerade an diesem Tage hatte keiner Zeit, sich um die Ratte zu kümmern. Denn an diesem Tage war großes Schweineschlachten auf dem Hofe, und da hatten alle so viel mit Laufen und Brühen, mit Abstechen und Blutrühren, mit Schrapen und Putzen zu tun, daß kein Mensch an die Ratte auch nur dachte. Sie hätte überall naschen können, sie hätte in den Betten schlafen und in die Teppiche Löcher fressen können – kein Mensch hätte sich nach ihr umgesehen.

Aber die Ratte tat nichts von alledem, sondern sie war neugierig und lief überall mit. Und als die drei fetten Schweine aus dem Stall geführt und abgestochen wurden, war sie genau so aufgeregt wie die Menschen. Überall mußte sie dabeisein, und alles mußte sie sehen und riechen und schmecken, und dies war nun wirklich ein Tag für sie, an dem sie überhaupt nicht an Schadenstiften und Bosheit dachte.

Als aber die Schweine zugehauen wurden, machte sich eins von den Mädchen den alten Spaß, stahl sich den Schweineschwanz und steckte ihn dem Hausherrn mit einer Nadel unbemerkt hinten an die Jacke. Bald merkten's die Kinder, und als sie den Vater da so über den Hof laufen sahen, und hinten baumelte ihm vergnügt das nackte, kahle Schweineschwänzchen – da fingen sie an zu lachen, und alle fingen sie an zu singen: »Vater hat 'nen Schweineschwanz – pfui, Schweineschwanz! Schweineschwanz!«

Das kleinste Kind aber, das noch ganz dumm war, fing an zu weinen und rief:

»Vater soll den ollen, häßlichen Schwanz abmachen! Vater sieht aus wie die Ratte! Oller, häßlicher, nackter Rattenschwanz!«

Und die Kinder sangen nun lachend: »Vater hat 'nen Rattenschwanz – pfui, Rattenschwanz! Ollen, häßlichen Rattenschwanz!«

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Das hörte die Ratte, und weil die Ratten ja sehr eitel sind und ihren Schwanz sehr schön finden (und je länger er ist und je nackter er ist, um so schöner finden sie ihn), so lief sie zornig herbei und schrie wütend: »Wollt ihr wohl gleich still sein, ihr alten, bösen Kinder! Wir Ratten haben die allerschönsten Schwänze von der Welt!«

Unbekümmert aber sangen die Kinder weiter: »Rattenschwanz – pfui, Rattenschwanz! Pfui, oller, nackter Rattenschwanz!«

Da wußte sich die Ratte nicht mehr vor Zorn zu lassen, sondern sie fuhr los auf die Kinder und fauchte und biß nach ihnen.

Die kleineren von den Kindern fingen an zu weinen, die größeren aber sangen nun erst recht: »Rattenschwanz! Pfui, Rattenschwanz!«

Von dem Lärm angelockt kam der Hausherr herbei, und er fragte ärgerlich: »Ratte, was tust du da? Warum beißt du meine Kinder?«

Fauchte die Ratte wütend: »Sie sollen nicht singen: nackter Rattenschwanz!«

»Aber dein Schwanz ist doch nackt, Ratte«, sprach der Hausherr. »Sie können doch nicht singen: haariger Rattenschwanz!«

»Aber du hast keinen Rattenschwanz am Rock!« schrie die Ratte voll Zorn. »Das ist ein Schweineschwanz.«

Der Hausherr faßte lachend nach hinten, fischte sich den Schweineschwanz, machte ihn ab, sah ihn an und sprach: »Freilich ist das ein Schweineschwanz. Aber sie sind alle beide nackt und häßlich: der Schweineschwanz wie der Rattenschwanz.«

»Was?!« kreischte die Ratte, »mein Schwanz ist häßlich –!?! Aber du hast doch am ersten Abend gesagt, Hausherr, die Hausfrau hätte das nicht so gemeint?!«

»Die Wahrheit zu sagen, Ratte«, sagte der Hausherr, der merkte, wie er die Ratte noch am siebenten Probetage loswerden konnte, »habe ich das nur aus Höflichkeit gesagt. Je länger ich deinen Schwanz anschaue, um so abscheulicher finde ich ihn. Ja, ich muß geradeheraus sagen: dein Schwanz sieht aus wie ein nackter, nasser, blinder Regenwurm!«

»Regenwurm!« lachten die Kinder. »Rattenschwanz – Regenwurm! Nackter, blinder Regenwurm!«

Da konnte sich die Ratte vor Wut nicht mehr halten. »Wenn ihr meinen herrlichen Schwanz nicht schön findet«, rief sie, »so will ich auch eure Freundin nicht sein! Nein, eure ewige Feindin will ich sein! Mit Nagen, Naschen, Verderben, Beschmutzen will ich den Menschen immerzu Schaden tun, soviel ich nur kann!«

Mit diesen Worten fuhr sie an dem Hausherrn hoch, biß ihn kräftig in die Nase, daß er schrie. Dann aber sprang sie mit einem Satz in den offenen Schweinestall und verkroch sich gleich in ihren alten Gängen, denn der Hausherr und die Kinder stürmten ihr nach, um sie zu erschlagen. Gleich wurden wieder Fallen und Gift aufgestellt, die Kinder aber sangen dabei: »Rattenschwanz – pfui, Rattenschwanz! Oller, nackter Rattenschwanz! Regenwurm – Igitt!«

So ist es denn nichts geworden mit der Freundschaft zwischen dem Menschen und der Ratte. Für immer findet der Mensch die Ratte abscheulich und stellt ihr nach, wo er sie nur sieht; die Ratte aber haßt den Menschen und tut ihm noch mehr Schaden durch Verderben und boshaftes Verschmutzen als durch ihr Fressen.


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