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Geschichte vom getreuen Igel

Es war einmal ein Mann aus der Stadt aufs Land gezogen, der kannte die Igel noch nicht und wußte nicht, was sie für getreue Gesellen sind. Als der nun eines Abends zur Dämmerung in seinem Garten spazierenging, hörte er unter den Büschen etwas rascheln, und als er genauer zusah, meinte er, ein graues spitzes Osterei auf kurzen Beinen einhertorkeln zu sehen.

»Hör mal, was willst du denn hier? Dies ist mein Garten!« rief er, aber das spitze Osterei verschwand geschwind in einem Erbsenbeet und ließ sich an diesem Abend nicht wieder sehen.

Das nächste Mal war der Mann beim Himbeerpflücken. Da raschelte es zwischen den dicht stehenden Himbeeren, und ehe sich der Mann noch versah, war etwas Graues, Spitzes über den Weg gelaufen und zwischen den Spargelbeeten verschwunden.

»Nun schlägt es aber dreizehn!« sprach der Mann. »Das sah ja genau wie ein klimperkleines Wildschwein aus! Sollte ich Schweine in meinem Garten haben? Das wäre doch unerhört!« Und er ging den ganzen Zaun ab, der um Haus und Hof und Garten lief, aber der Drahtzaun war neu und gut, und kein Loch darin zu finden. »Es ist doch unerhört!« schrie der Mann noch einmal. »Ich füttere in meinem Garten keine wilden Tiere!«

Als er aber an diesem Abend, es war schon fast dunkel, aus dem Haus in den Garten trat, sah er auf dem Rasen etwas Rundes, Weißes stehen. Und in das Runde, Weiße reichte etwas spitznäsig Schwarzes und fraß. »Du glaubst es nicht!« seufzte der Mann aus der Stadt empört, »nun frißt der fremde Bursche noch meinem guten Plischhund das Futter weg!« Und er ging schnell, den Hund Plischi zu rufen. Als er mit dem aber zurückkam, war der fremde Gast schon fort, der Futternapf aber war leergeschleckt.

»Auf dem Lande gefällt es mir aber gar nicht«, seufzte da der Mann. »In der Stadt habe ich höchstens einmal eine Maus in meiner Speisekammer. Hier auf dem Lande aber ziehen die Tauben die Erbsen, und die Hühner scharren die Beete auf. Die Stare picken die Kirschen, die Frösche fressen die Erdbeeren, und die Wespen die Birnen. Maden sitzen in den Himbeeren, Raupen nagen am Kohl, und Würmer fressen mir die Kartoffeln. So viel Ungeziefer, daß ich es gar nicht sagen kann, muß ich in meinem Garten miternähren – und nun will ein fremder Bursche, der wie ein spitzes Osterei aussieht, auch noch meinem Plischi die Schüssel leerfressen? Nein, das dulde ich nicht!«

Und er ging umher und suchte, wo er das fremde Tier fände, aber soviel er auch suchte, er fand es nicht. Als der Mann nun müde in der Nacht im Bette lag, konnte er nicht einschlafen, denn der Hund auf dem Hofe bellte und jaulte wie rasend. ›Was hat denn bloß der Plischi?‹ überlegte der Mann. ›Er macht ja ein Getöse, daß man kein Auge zutun kann! Ich muß doch einmal nachsehen, was los ist.‹ Und seufzend stand er auf, und weil es eine warme Sommernacht war, ging er so, wie er war, nämlich im Hemd und mit bloßen Füßen, auf den Hof.

Es stand ein bißchen Mond am Himmel, so konnte der Mann sehen, daß ein graues Häufchen auf dem Hofpflaster lag. Und der Plischhund sprang mit einem Satz auf das Häufchen zu, wollte hineinbeißen, jaulte schmerzlich und sprang wieder zurück. Von neuem sprang er vor, schlug diesmal mit der Pfote danach, jaulte abermals vor Schmerzen ...

»Was ist denn das für ein komisches Häufchen?« fragte der Mann und stieß mit dem Fuß danach. Dieser Fuß war nackt. »Aua!« schrie der Mann. »Wer hat denn hier Stacheldraht auf den Hof gelegt?« Und er griff mit der Hand zu. »Aua! Aua! Aua!« schrie der Mann wieder. »Wollen Sie mal nicht so pieken, Sie – auf meinem Hof!« Und der Mann hätte am liebsten gejault wie der Hund.

Indem bekam der Stacheldraht vier Beine, raschelte und lief um die Ecke vom Holzschuppen.

»Plischi!« sprach der Mann zum Hunde. »Jetzt weiß ich es. Ich habe solche Tiere schon in Bilderbüchern gesehen, das ist ein Igel!«

Der Plischhund blaffte, das konnte ja heißen.

»Ein Stacheligel, ein ganz gewöhnlicher Schweineigel!« sprach der Mann. »So was wollen wir nicht bei uns haben, wo es piekt und noch dein Futter wegfrißt, nicht wahr?«

Plisch blaffte wieder.

»Komm, wir wollen den ollen Igel suchen und aus dem Garten schmeißen«, sprach der Herr, machte die Tür zum Garten auf, und Herr und Hund gingen in den Garten. Nur war der Garten sonst dem Plischhund streng verboten, weil er sich nicht daran gewöhnen konnte, manierlich auf den Wegen zu gehen, sondern immer auf die Beete trat. Aber an diesem Abend war es dem Mann egal. »Such, Plischi, such, guter Hund!« sagte er, und Plischi lief über die Beete und suchte und zertrat junge Pflanzen so viele, wie zehn Igel in zehn Tagen nicht zertreten.

Schließlich fanden sie den Igel im Obstgarten, wo er mit viel Schmatzen eine dicke, überreife, matschige Fallbirne verzehrte. Als der Igel aber die beiden kommen hörte, rollte er sich schnell zu einer Stachelkugel zusammen.

»Siehst du, Plischi«, sprach der Herr traurig zu seinem Hunde, »was das für ein häßlicher Igel ist: nicht nur dein Futter, nein, auch meine schönen Birnen frißt er weg. Den müssen wir ausrotten. Aber wie –?«

Darauf wußte Plischi keine Antwort, er jaulte bloß, denn wegen der scharfen Stacheln traute er sich nicht mehr an den Igel heran. Der Mann traute sich auch nicht mehr an den Igel heran, darum stand er eine lange Weile und dachte scharf nach. Als er lange genug nachgedacht hatte, sagte er freudig:

»Mir ist etwas Gutes eingefallen, Plischi: wir hungern den Igel aus! Jetzt gehe ich in den Holzstall und hole eine alte Kiste. Die stülpen wir über den Igel, und wenn er dann drei Nächte und drei Tage darunter gesessen hat, wird er wohl verhungert sein!«

Plischi blaffte leise. Der Mann nahm es für ja und ging zum Holzschuppen. Als er aber zehn Schritte gegangen war, merkte er, daß der Hund hinter ihm ging. Da sprach er: »Nicht so, guter Plisch. Du mußt bei dem Igel sitzenbleiben und aufpassen, daß er nicht wegläuft, während ich die Kiste hole.«

Und er ging zurück mit dem Hund zum Igel, hieß den Hund sich vor den Igel hinsetzen und ging wiederum, die Kiste zu holen. In dem dunklen Holzstall aber erfuhr der Mann nichts Gutes: eine Kiste fiel ihm auf den nackten Fuß und quetschte ihn, an der zweiten Kiste riß er sich einen Splitter ein, die dritte Kiste stach ihn mit einem Nagel. »Ach, was ist doch solch ein Igel für ein böses Tier!« seufzte der Mann. »Die Leute haben ganz recht, wenn sie ihn Schweineigel nennen.« Damit nahm er die vierte Kiste und ging in den Obstgarten unter den Birnbaum.

Aber da waren weder Igel noch Hund zu sehen. Der Mann guckte, so gut er gucken konnte, er pfiff und lockte, so gut er locken konnte, aber nicht Hund noch Igel meldeten sich.

Der Mann stellte die Kiste ab, seufzte schwer und sprach: »Was ist denn nun bloß passiert? Sicher ist der Igel weitergegangen, und der Plischi hinterher, aber jetzt könnte er sich doch einmal mit einem Bellen melden.«

Er suchte und suchte im Garten, aber er fand nichts. Schließlich wurde er des Suchens müde, seine nackten Füße waren vom Tau naß, er fror in seinem Hemde –: ›Jetzt lege ich mich ins Bett, werde warm und schlafe‹, dachte der Mann. ›Der Plischi wird schon auf den Igel achten.‹

Als der Mann ins Haus hineinging, dessen Tür er vorhin in der Eile offengelassen hatte, hörte er in seiner Küche grobes Gepolter und dann fürchterliches Geklirr von zerbrechendem Geschirr. Und als er Licht machte, sah er seinen eigenen Hund, den Plischi, der war über die Milch geraten, hatte den Kalbsbraten angebissen, die Schüssel mit den Bohnen vom Tisch gestoßen, ein Vorderbein in den Schmalztopf, ein Hinterbein ins Blaubeerkompott gesteckt; mit dem Schwanz war er am Fliegenfänger klebengeblieben, und die Schnauze hatte er in die Quarkschüssel getaucht.

»I du elender Hund!« schrie der Herr zornig. »Hat der alte Schweineigel dich solche Gemeinheiten gelehrt? Warte, ich will dir!« Und er fuhr mit dem Besen auf den Hund los. Der Plischi, weil er sah, es sollte Prügel geben, und gesalzene dazu, weil er noch sah, der Herr stand in der Tür und ließ ihn nicht raus, der Plischi tat einen Sprung und fuhr mit einem fürchterlichen Wehgeheul durch die Fensterscheibe, daß sie klirrend zerbrach. Dann rannte er in die Nacht hinaus und hörte nicht eher auf zu rennen, bis weder Haus noch Licht noch Mensch zu sehen waren.

Der Mann aber räumte seufzend und müde gähnend die verwüstete Küche auf und sprach bei sich: ›Eigentlich bin ich ja schuld, ich hätte die Küchentür zumachen müssen. Aber eigentlich ist doch allein der alte Igel schuld. Wäre der nicht über den Hof gelaufen, hätte der Hund nicht gebellt. Hätte der Hund nicht gebellt, wär ich nicht aufgewacht. Wär ich nicht aufgewacht, wär ich nicht auf den Hof gegangen. Wär ich nicht auf den Hof gegangen, hätt ich die Küchentür nicht aufgemacht. Hätt ich die Küchentür zugelassen, hätt der Hund nicht reingekonnt. Hätt der Hund nicht reingekonnt, wär alles heil geblieben. Weil also der Igel über den Hof gelaufen ist, ging mein Geschirr entzwei, und mein schönes Essen wurde verdorben. Na, warte, alter Igel, wenn ich dich erwische!‹ Damit gähnte der Mann nochmals, ging ins Bett, wurde warm und schlief ein.

Am nächsten Morgen war der Plischhund wieder da; er wackelte mit dem Kopf, kniff die Augen zu und klemmte den Schwanz ein, als der Herr strafend zu ihm sagte: »Plischi, ich glaube, du bist ein rechter Höllenhund!« Aber dann besann sich der Mann und sprach: »Aber der Schweineigel, der an allem allein schuld ist, der ist ein richtiger Höllenfürst!« Damit ging der Mann wieder an seine Arbeit und dachte an den Abend, an dem er den Igel fangen wollte. Plischi aber schlief nach der durchbummelten Nacht friedlich in seiner Hütte und bellte nur manchmal leise im Schlaf, wenn durch seinen Traum ein spitzes Osterei auf vier Beinen wackelte.

Als nun der Mann zu Abend gegessen hatte, und es schon fast dunkel war, steckte er eine Lampe in die Tasche und begab sich zu dem Birnbaum, unter dem er am gestrigen Abend die Kiste hatte stehenlassen. Sie stand noch da – aber neben ihr saß wahrhaftig dieses freche Igeltier und fraß schon wieder eine Birne –!

›Halt!‹ sprach der Mann bei sich. ›Die Kiste steht bereit, weg kommt mir dieser Bursche nicht, so kann ich erst einmal zusehen, wie viele Birnen er mir in seiner Unverschämtheit wegfrißt.‹

Der Mann stand und wartete, der Igel saß und fraß. Der Mann hatte es eigentlich eilig, ins Bett zu kommen, der Igel hatte alle Zeit von der Welt – er fraß mit viel Genuß und schmatzte dabei wie ein Schweinchen. ›Alter Schweineigel‹, sagte der Mann zu sich. ›Viele Birnen sollst du mir nicht mehr wegschmatzen.‹

Als der Igel die Birnen aufgefressen hatte, legte er sich ins Gras und auf den Rücken und streckte die Beine zum Himmel. »Nanu!« sagte der Mann. »Das ist ja ein unerhörtes Benehmen! Dir scheint es ja in meinem Garten sehr gut zu gefallen.« Der Igel, als hätte er das verstanden, fing an, sich im Grase zu wälzen, und quiekte leise und vergnügt dabei. »Immer schöner!« sprach der Mann grimmig. »Unter meiner Kiste wird dir das Wälzen schon vergehen.«

Der Igel stand auf und fing an, weiterzumarschieren. »Was denn?« sagte der Mann. »Der sieht ja plötzlich ganz anders aus. Der hat ja lauter Buckel.« Und er knipste seine Taschenlaterne an, den Igel abzuleuchten. Sofort schrie er: »Halt, du böser Birnendieb!« Auf der Stelle rollte sich der Igel zusammen. Der Mann ging an ihn heran, und da sah er nun freilich, daß der Igel ein noch viel böserer Birnendieb war, als er geglaubt hatte. Denn der Igel hatte sich nicht nur so zum Vergnügen im Grase gewälzt, er hatte sich dabei fünf schöne, reife Birnen auf die Stacheln gepiekt. Die wollte er nun wohl als Nachtessen in seinen Bau tragen.

»Igel!« sprach der Mann zu dem zusammengerollten Stacheltier. »Böser Igel, Diebsigel, Birnendiebsigel, Fallbirnendiebsigel – ach, du alter böser Schweineigel, jetzt mußt du verhungern und sterben.« Damit nahm er die Kiste, rief noch einmal: »Siehste, nun kommst du unter die Kiste!« und stülpte sie über den Igel.

.

Danach ging der Mann ins Haus und legte sich vergnügt zu Bett. Als er aber gerade im Einschlafen war, fiel ihm ein, daß er es doch noch falsch gemacht hatte. Er hatte dem Igel ja die Birnen auf den Stacheln gelassen, da würde es zu lange dauern, bis er verhungerte. »Nein, was man für Scherereien mit solchem Igel hat!« seufzte er, stand auf und ging wieder in den Garten.

Unter der Kiste raschelte es und quiekte es. Der Mann klopfte gegen die Kiste. »Du«, sprach er mahnend, »ein Gefangener hat leise und anständig zu sein. Roll dich jetzt man wieder zusammen, sonst läufst du mir noch weg, wenn ich die Kiste hochhebe.« Er horchte, unter der Kiste war es ruhig. Er hob sie vorsichtig hoch, richtig saß der Igel zusammengerollt darunter. »Na, das ist ja schon ganz artig«, sprach der Mann. »Aber jetzt ist es freilich mit dem Artigsein zu spät, sterben mußt du doch.« Damit sammelte er die Birnen auf, von denen einige schon aus den Stacheln gefallen waren, stülpte die Kiste wieder über, ging ins Haus, legte sich ins Bett, machte das Licht aus und schlief ein – sehr zufrieden mit dem, was er getan hatte.

Den ganzen nächsten Tag war der Mann sehr vergnügt, immer einmal ging er von seiner Arbeit im Haus oder Garten fort und zu der Kiste. Dann klopfte er mit dem Finger gegen die Kiste und horchte, aber es rührte sich nichts darunter. ›Sicher ist der Igel schon vor Hunger ganz schwach und entkräftet, daß er sich nicht mehr rühren kann‹, überlegte der Mann. ›Aber hoch hebe ich die Kiste jetzt lieber noch nicht. Vielleicht beißt er mich dann vor Wut ins Bein, und vielleicht ist solcher Wutbiß giftig, und vielleicht sterbe ich daran, und vielleicht bin ich dann noch eher tot als der Igel. Nein, das wollen wir mal lieber nicht machen.‹

Damit ging der Mann wieder an seine Arbeit, und so machte er es drei volle Tage, bis er sicher war, daß der Igel jetzt vor Hunger gestorben sein müßte. Da ging er hin, und leise – vorsichtig – sachte – still – behutsam – ängstlich – sorgsam hob er die Kiste hoch und sah darunter. Und unter der Kiste war – – – nichts!

»Nanu!« sagte der Mann, kratzte sich die Nase und sah den leeren Grasfleck an. Aber es war wirklich gar nichts da. ›Sollte sich der Igel vor Hunger ganz in Luft aufgelöst haben?‹ fragte sich der Mann. Aber das hatte der Igel nicht getan, sondern als der Mann genauer hinsah, merkte er, daß der Igel sich ein Loch unter der Kiste durchgegraben hatte und ausgerissen war.

›Nein, dieser Heimtücker!‹ wunderte sich der Mann. ›Darum war es also so still unter der Kiste!‹

›Da habe ich mich also drei Tage umsonst gefreut‹, ärgerte sich der Mann. ›Das ist wirklich ein Jammer.‹

›Aus meinem Garten wird er aber ausgezogen sein‹, tröstete sich der Mann. ›Er hat doch sicher eingesehen, daß ich mir seine Frechheiten nicht gefallen lasse.‹

Darin aber irrte sich der Mann. Er wußte eben noch nicht, was für getreue Gesellen die Igel sind. –

An einem schönen, stillen Abend saß der Mann nun recht zufrieden, seine Pfeife rauchend, auf einer Bank, die an seinem Komposthaufen stand. Oben auf dem Komposthaufen wuchsen Gurken, unten auf der Bank saß rauchend der Mann. ›Morgen könnte es ein bißchen regnen‹, überlegte der Mann. ›Das ewige Gießen ist mir schon recht über. Aber für meine Gurken ist es mir nicht leid – ich will die allerlängsten und allerdicksten Gurken von allen Leuten ernten.‹ Wirklich hingen sehr schöne große Gurken da oben, aber der Mann wollte sie noch schöner und dicker haben.

Gerade als der Mann dies überlegte, raschelte es oben ein bißchen und – pardauz! fiel eine Gurke von dem hohen Komposthaufen auf die Erde. »Das verbitte ich mir!« rief der Mann und nahm die Pfeife aus dem Munde. »Ihr habt zu wachsen, nicht abzufallen, ihr Gurken!« Er bückte sich nach der Gurke, oben raschelte es wieder und – plauz! – fiel ihm die zweite Gurke auf den Rücken, daß es knallte. »Aua!« schrie der Mann. »Das tut ja weh!« Und er rieb sich den Rücken.

Oben raschelte es noch einmal, aber diesmal fiel nichts, nein, es war, als wenn etwas fortlief. ›Diebe!‹ dachte der Mann. ›Gurkendiebe!‹ Und er lief schnell um den Haufen herum. Er sah nichts, der Haufen war zu hoch. »Hallo, Sie!« schrie der Mann. »Gehen Sie mal raus da aus meinen Gurken, sonst rufe ich die Polizei.«

Plauz, pardauz fiel etwas aus dem Komposthaufen heraus, und als der Mann es ansah, war es wieder einmal der Igel. »Dachte ich es mir doch!« sagte der Mann empört. »Nun ich meine Birnen gepflückt habe, gehst du an meine Gurken. Sind meine Gurken alle, wirst du die Kürbisse nehmen. Kürbisernte vorbei – machst du dich an die Rüben. Rüben alle, heißt's Kartoffeln. Kartoffeln ausgebuddelt, ist der Winter da, und du willst womöglich in mein warmes Haus. Nichts da – jetzt ist es völlig alle mit dir – aber unter eine Kiste setze ich dich nicht wieder. Mir sollst du nicht noch einmal ausreißen!«

Damit nahm der Mann eine Schaufel, schob sie unter die Stachelkugel und trug den Igel so hinunter an den See und in sein Boot. Dann setzte er sich in das Boot, ruderte ein weites Stück auf den See hinaus und warf ihn ins Wasser. »So«, sagte er, »du bist weg. Meinetwegen können sich die Fische deine Stacheln in ihre Mäuler pieken.« Dabei fiel ihm ein, daß er gut einmal wieder nach seiner Aalreuse sehen könnte. Er ruderte hin, zog sie hoch, und richtig waren zwei schöne starke Bengel darin. ›Das geht ja großartig‹, dachte der Mann. ›Erst die Gurken, nun die Aale. Grünen Aal mit Gurkensalat eß ich für mein Leben gerne.‹

Er ruderte vergnügt nach Haus, nahm in jede Hand einen Aal, stieg ans Ufer, ging zum Haus hinauf – wer steht im Wege?

Der Igel! Der Igel – noch ein bißchen naß, aber sonst sehr vergnügt.

Vor Schreck läßt der Mann die Aale fallen, der Igel quiekt und rennt unter einen Rosenbusch, die Aale schlängeln sich fort ins Gras, der Mann schreit auf und rennt in den Dornenbusch, wo er sich jämmerlich zersticht und zerkratzt. Die Aale sind fort, der Igel ist verschwunden, aber der Mann hat blutige Hände. Der hat nicht gut geschlafen diese Nacht!

Nun hatte dieser Mann aus der Stadt etwas in seinem Garten, das er noch mehr liebte als seine Birnen und Gurken. Das war ein kleiner Steingarten, den er sich am Wasser gebaut hatte. Schwitzend hatte er mit eigener Kraft in einer Karre große Feldsteine herangefahren und zu einem Mäuerchen aufeinandergesetzt. In die Fugen zwischen den Steinen hatte er Sand und Erde getan und allerlei Gewächs darin eingepflanzt und ausgesät, wie es am liebsten zwischen Steinen gedeiht. Und nun blühte und wuchs das Mäuerchen herrlich mit vielen Pflanzen, die so hießen wie: Gänsekresse und Sandmiere, Wohlverleih und Sterndolde, Lichtblume, Besenheide, Lerchensporn und Mädchenauge.

In diesem Steingärtlein, das ihm doch gar keine Früchte trug, saß der Mann gerne einmal ein halbes Stündchen, ruhte sich von seiner Arbeit aus, ließ sich von der Sonne braten und sah abwechselnd die blühenden Kräutlein an oder auf den See hinaus, der im Sonnenlicht glänzte und strahlte wie ein großer Spiegel.

Am Tage nach dem schlimmen Abenteuer mit dem Igel, der ihm wieder in den Garten geschwommen war, saß der Mann auch wieder dort und ruhte sich aus. Da sah er, daß ein Pflänzlein, namens Helmkraut, in seiner Steinfuge die dunkelblauen Blütchen so traurig hängen ließ, als wolle es völlig vertrocknen. Er ging näher hinzu und bemerkte ein Loch, das bei den Wurzeln des Pflänzchens in die Erde ging. »Oh, diese bösen Mäuse!« sprach er recht traurig, »fressen sie dir deine Wurzeln ab, ohne die du doch nicht leben kannst, armes Helmkraut?« Und er stocherte mit seinem Finger in dem Loch.

Aber er fuhr angstvoll zurück, denn aus dem Loch kam ein böses, scharfes Zischen, und hervor fuhr ein kleiner Kopf mit rötlich funkelnden Augen, weit geöffnetem Maul, und zwischen den aufgesperrten Kiefern tanzte eine zweiteilige, dünne Zunge. Nach schob der Leib, grau, mit einem scharfen Zickzackband den ganzen Rücken entlang, und jetzt war die ganze Schlange draußen, und voller Angst sah der Mann, daß es eine Kreuzotter war, die böseste und giftigste Schlange, die im deutschen Lande lebt, so giftig, daß ein einziger Biß von ihr einen Mann töten kann.

Diese Kreuzotter war aus dem Loch gefahren, wütend, daß der Mann sie in ihrem Schlafe gestört hatte, und hoch aufgerichtet ließ sie den Kopf vor seinen Beinen auf und ab tanzen, die Zunge züngelnd, und jederzeit bereit zuzubeißen. Der Mann aber stand da, in Angst vor dem Biß der Schlange, und konnte gar nichts tun. Versuchte er nur, den Fuß zu rühren, um wegzulaufen, so brachte das die Schlange in neue Wut, und sie stieß vor mit dem Kopf, und ihr tödlicher Biß drohte ihm. Er aber hatte nichts zur Waffe als seine nackten Hände, um zuzugreifen, aber mit nackten Händen kann man nicht nach einer Schlange greifen, ohne gebissen zu werden.

Also stand der Mann voller Schrecken bewegungslos da, und er dachte bei sich: ›Wenn ich nur ganz ohne Bewegung stehe, so hält die Schlange vielleicht meine beiden Beine für zwei Baumstämme oder Stöcke, und nach einer Weile läßt ihre Wut nach, sie geht in ihr Loch zurück, und ich kann fliehen.‹

Die Schlange aber tanzte immer weiter zornig vor seinen Beinen, bedrohte ihn mit ihrem Maule und hielt ihn in großer Angst.

Da dachte der Mann wieder bei sich: ›Ich kann hier nicht mehr lange ohne alle Bewegung stehen. Schon schlafen meine Füße ein, und meine Waden tun mir weh. Ich muh mich rühren. Wenn ich mich aber rühre, beißt mich die Schlange, und ich muß sterben. Da habe ich mich nun die ganze Zeit hier über alles und jedes geärgert, über jede Fliege, alle Mücken und Wespen, über den Igel und über die Raupen, über Wasserschleppen und abgefallene Gurken. Alle Tage habe ich mich geärgert. Wenn ich mich alle Tage gefreut hätte, hätte ich doch ein vergnügtes Leben gehabt. So habe ich mich jeden einzigen Tag geärgert und habe nur ein dummes Leben gehabt. Wenn ich dieses Mal noch heil davonkomme, will ich mich gewiß nicht wieder über solchen Dreck ärgern, sondern alle Tage freuen.‹

Als der Mann sich das vorgenommen hatte, hörte er ein Rascheln, und als er vorsichtig zur Seite schaute, sah er unter einem Strauch den Igel hervorkommen. ›Mach man, daß du wegkommst, Igel‹, dachte der Mann, ›sonst wirst du auch gebissen und mußt sterben.‹

Aber der Igel raschelte ruhig weiter, im Zickzack torkelte er auf die böse Kreuzotter zu, und es sah aus, als sei er gewaltig wütend, so dick hatte er die Kopfhaut gefaltet und so spitz trug er seine Stacheln. Er ging immer näher an die Schlange heran, und die tanzte schon nicht mehr so vor dem Manne, sie hielt den Kopf auf den Igel zugewendet und fauchte ihn wütend an.

Der Igel aber kümmerte sich gar nicht darum, er hatte keine Angst, und als er bei der Schlange war, beroch er sie mit seiner schwarzen, feuchten, spitzen Nase. Schwapp! – hatte sie ihm hineingebissen. ›Armer Igel!‹ dachte der Mann und machte schnell einen großen Satz von der Kreuzotter fort, ›jetzt mußt du sterben.‹ Aber der Igel schüttelte nur den Kopf und fing an, sich gemütlich die gebissene Nase zu lecken. Schwapp! – hafte ihn die Schlange in die Zunge gebissen.

›Oh! Oh! Oh!!!« rief der Mann, der jetzt aus sicherer Ferne zuschaute. »Du armer, vergifteter Igel, du!«

Der Igel zog die Zunge ein, guckte die Schlange dumm an und fing wieder an, sie zu beriechen, als rieche sie so schön wie ein Blumenstrauß.

Schwipp – Schwapp – Schwupp!!! hatte er drei Bisse im Kopf.

»Hin bist du, Igel!« sprach der Mann traurig und wunderte sich bloß, daß der Igel gar nicht tot umfiel. »Weil du mich aber gerettet hast, will ich dich auch schön begraben unter meinem Birnbaum.«

Der Igel sperrte das Maul auf, als müßte er gähnen über diese langweilige Schlange, die nichts konnte als zischen und beißen, und – schwuppdiwupp! – hatte er die Kreuzotter im Maul, biß zu, kaute los – und die Schlange mochte ihren Leib drehen und winden, soviel sie wollte, der Igel fraß sie auf, vom Kopf bis zu der Schwanzspitze. Dann legte er sich faul in die Sonne und fing an zu schlafen.

Der Mann ging hinzu. Es war ihm ganz egal, daß die Stacheln stachen, er nahm den Igel in seine Hände, trug ihn in das Haus, legte ihn in eine Kiste, die er schön mit Heu gepolstert hatte, setzte ihm Milch in einem Schälchen hin und sprach dabei: »Oh, du getreuer Igel! So oft habe ich dich mit dem Tode bedroht und aus dem Garten gewünscht. Du aber bist immer wiedergekommen und hast mir nun sogar das Leben gerettet. Wenn du am Leben bleibst, sollst du mein liebster Geselle sein, bei mir wohnen dürfen, und die allerbesten Birnen und Gurken sollst du auch haben.«

Der Igel aber hörte von der ganzen schönen Rede nichts, denn er schlief. Aber er blieb wirklich am Leben, denn Schlangengift tut den Igeln nichts, und er lebte mit dem Manne im Haus und ging überall mit ihm. Da lernte der Mann, was für nützliche Gesellen die Igel sind, die nicht nur die Schlangen töten, sondern auch Mäuse und Käfer und Raupen und Ohrwürmer.

Da wurde der Igel, den er erst hatte töten wollen, sein liebster Freund. Auch hielt der Mann sein Versprechen: freute sich mehr und ärgerte sich weniger, und hatte so ein gutes Leben.

Nur eines tat der Mann nicht: er ließ den Igel nicht mit sich im Bette schlafen. Und das kann man ihm nicht übelnehmen: als Schlafgefährte war der Igel zu stachelig, auch hatte er wie alle Igel viel Flöhe.


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