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Bienen im Garten, Honig des Leben

Zu dem Vatersnamen Herbarth hatten ihm seine Eltern den Vornamen Herbert gegeben, und von Beruf war er Gärtner. Er war der einzige Gärtner, den ich je beschäftigt habe, und vielleicht bleibt er auch unser einziger. Es wird nicht leicht sein, ihm einen Nachfolger zu geben. Selbst die Kinder, die doch so leicht vergessen, bekommen ein ernst nachdenkliches Gesicht, wenn wir von Onkel Herbert sprechen. Er fiel vor einem Jahr in Griechenland bei der Erstürmung der Metaxas-Linie im Alter von fünfundzwanzig Jahren.

Ich hatte in der Zeitung nach einem Gärtnergehilfen inseriert, und an einem Sonntagvormittag meldete sich Herbert Herbarth bei mir. Er war damals einundzwanzig Jahre alt, ein großer, starkknochiger pommerscher Junge mit einem Gesicht wie grob aus Lehm geknetet. Vor allem die Nase war aus allem Format geraten, dafür waren die Augen nur klein. Aber einen Gärtner wählt man nicht nach der Schönheit, und seine Hände hatten ein beruhigendes Format, wahre Wurfschaufeln. So wurden wir rasch einig.

Wir haben nie einen fleißigeren und zuverlässigeren Menschen als Onkel Herbert, wie er bald bei allen hieß, auf dem Hof gehabt. Und treu wie Gold – nein, viel treuer als Gold! Durch dick und dünn zu einem halten, das ist schon etwas wert. Und schweigsam – liebe Leute, was ist das wert, einen Mann im Hause zu haben, der nicht schwatzt und klatscht!

Es kommt immer etwas vor, im Haus und auf dem Hof, von dem man nicht möchte, daß im ganzen Dorf darüber geredet wird: mit den Kindern, den Haustöchtern, dem Vieh – und auch mit mir selbst. Ich bin nun leider ein jähzorniger Mensch, und manchmal – in den letzten Jahren gottlob nur noch selten – brüllte ich dann los. Meistens bei irgendeinem Dreck. Eine Tür ist offen geblieben, ein Ofen schlecht geheizt, ein Spaten im Regen draußen gelassen.

Es ist nicht angenehm, wenn das ganze Dorf sich erzählt: heut hat der Fallada aber gebrüllt, daß die Spatzen vom Dach gefallen sind! Mahlendorf liegt ganz abseits, keine größere Straße führt auch nur in der Nähe vorbei, keine Fremden, kein Durchgangsverkehr bringen frisches Leben in den Ort. Mahlendorf liegt auch auf einer Halbinsel, auf allen Seiten von Seen umgeben. All solche isolierten Orte, in denen jeder mit jedem versippt und verschwägert ist, lieben den Klatsch, er ist ihr tägliches Brot.

Auch wir hören ein bißchen Klatsch gerne, aber wir mögen es nicht so sehr, wenn über uns geklatscht wird. Wir liegen abseits, und auch im Klatsch möchten wir abseits bleiben. Da war Onkel Herbert unvergleichlich. Er wußte nie etwas, er hatte nie das Geringste gehört. Trafen sie ihn mit einer Mistforke in der Hand, auf einem Acker, bei einem Dunghaufen stehend, und fragten ihn: »Ihr wollt wohl Mist streuen, Herbert?« so antwortete er prompt: »Weiß ich nicht, da mußt du den Chef nach fragen, Arthur!«

Und fleißig war er! Wenn noch Arbeit da war, gab es für ihn nie Feierabend. In vielen Dingen habe ich ihn bewundert. Es ist bekannt, daß Männer sich schlechter bücken können als Frauen, das hängt irgendwie mit dem Körperbau zusammen. Ich kann mich besonders schlecht bücken, und darum ist die Erdbeerzeit bei mir eine gefürchtete Zeit. Ich esse Erdbeeren gerne, ich freue mich, wenn sie gut tragen, aber den mir zukommenden Anteil von sechs oder acht Zentnern zu pflücken, das geht fast über meine Kraft!

Zuerst versuche ich zu pflücken wie die andern, ich gehe gebückt, das fördert am schnellsten. Aber ich schaffe es nicht, die Reihe der andern ist mir bald weit voraus, und dabei tut das Kreuz mir schon so weh. Am Schluß des Beets muß ich mir meine Reihe zu Ende helfen lassen, recht beschämend!

Wieder starten wir gemeinsam, und schon bleibe ich wiederum zurück. Immer ächzender bücke ich mich – diese verdammten Erdbeeren! Ich bin überzeugt, ich kriege immer die ergiebigste Reihe! In meiner Reihe sitzen dreimal soviel daran wie bei den andern! Ich werde nun ganz schamlos, ich setze mich glatt auf den Hosenboden und pflücke im Vorwärtsrutschen. Weder beschleunigt das die Arbeit, noch tut es den Erdbeerpflanzen gut, aber mein Kreuz fühlt sich wohler dabei!

Onkel Herbert hat das nur zwei-, dreimal angesehen, und ich treffe ihn morgens um fünf im Garten – beim Erdbeerpflücken.

»Nanu?« sprach ich. »Fangen Sie schon an? Wir pflücken doch erst um sieben!«

»Och!« sagte er. »Die paar Erdbeeren pflücke ich schon alleine! Da brauchen doch wirklich nicht die Mädchen alle ihre Arbeit stehen und liegen lassen!«

»So!« sagte ich und fand es ja doch recht nett von ihm, daß er nur von den Mädchen sprach. Ein wenig beschämt sah ich zu, wie er sich rastlos bückte und wieder aufrichtete. »Tut Ihnen Ihr Kreuz gar nicht weh?« fragte ich teilnahmsvoll.

»Mein Kreuz!« fragte er. »Wieso?«

»Na, vom Bücken!«

»Spür ich gar nicht!«

Von da an waren wir alle vom Erdbeerpflücken befreit. Und so war er nicht nur in der ersten Zeit, so blieb er.

Bei uns essen alle gemeinsam an einem Tisch, Eltern, Kinder, Haustöchter, Monteure, Hausschneiderinnen, Gäste. Alles trifft sich dreimal des Tages zu gemeinsamer Mahlzeit. Das bekommt allen gut, man spricht sich aus, man lernt den Menschen oft von einer ganz anderen Seite kennen.

Ganz einfach ist es ja manchmal nicht, und bei gewissen Neuerwerbungen muß Suse öfter geheime Vorlesungen über Schmatzen, Schlürfen und den Messergebrauch lesen. Viele lernen es schnell, bei andern erlebt man überraschende Rückfälle: plötzlich wird, von unwiderstehlicher Gewalt bezwungen, das Tischmesser, schön mit dicker fetter Bratensoße behaftet, rasch und heimlich einmal durch den Mund gezogen.

Doch der Hausherr, dieser alte Hauskater, sieht alles. Mit vernehmlicher Stimme sagt er: »Uli, verdammt nochmal, du sollst das Messer doch nicht durch den Mund ziehen! Das ist ja einfach ekelhaft!«

Empört protestiert Uli: »Papa, ich habe das Messer doch gar nicht im Mund gehabt!«

Und milde antwortet der Vater: »Entschuldige, mein Sohn, ich glaube wirklich, ich habe mich versehen!« Standhaft sieht er an dem rot gewordenen Kopf von Emma, Luise oder Agathe vorbei.

Suse und ich, wir waren gespannt, wie es mit Onkel Herbert bei Tisch gehen würde. Er war ja ein ganz einfacher Junge vom Lande, hatte auf den Gütern immer nur am Gesindetisch gegessen. Aber wenn uns jemand überraschte, war es Herbarth. Die ersten Tage verhielt er sich vorsichtig abwartend, gar nicht ungeschickt beschäftigte er sich mit den Kindern, band Mückchen ihr Lätzchen um, bis wir andern unser Eßgerät zur Hand genommen und ihm ein wenig vorgegessen hatten. Und ruhevoll, ohne jedes Lampenfieber, griff er zu seinem Gerät und aß uns nach.

Nach ein paar Tagen war er firm in den Tischsitten, und wir erlebten bei ihm nie einen Rückfall. Man hätte mit ihm im Adlon essen können, er wäre nicht aufgefallen. Gute Sitten waren ihm zwar nicht, wie keinem, angeboren, aber sie lagen ihm. Er mußte sie nicht langsam lernen, er begriff sie auf der Stelle. Er war eben ein richtiger Mensch, nichts Falsches oder Verdorbenes war an ihm.

Allmählich bekam auch sein rohgeknetetes Gesicht etwas Klares – bis es dann der Krieg zu einem kühnen, ein wenig scharfen Jünglingsgesicht umbildete. Er war Infanterist, er machte Polen mit, den Durchbruch der Maginotlinie, den Vormarsch in Frankreich, den Balkankrieg. Auf jedem Urlaub kam er zu uns. Er sprach wenig vom Krieg, aber man konnte ihn von seinem Gesicht ablesen. Es wurde immer klarer, plötzlich waren die kleinen Augen gar nicht mehr klein, sondern klar und kühn unter den starken Brauen.

Die Kinder liebten ihn zärtlich. Er war ihr getreuester Freund. In seiner kurzen Mittagspause lief er unermüdlich mit Mückchen auf und ab und brachte ihr das Radeln bei – sie lernte es ziemlich schwer. Mücke kam aber auch mit all ihrem Leid zu ihm. Einmal hatte Suse das Mückchen für irgendeine Unart abgestraft; mit fest zusammengebissenen Lippen, ohne einen Laut lief Mückchen aus der Küche quer über den Hof in den Garten. Bei den Frühbeeten fand sie ihren Freund. Und im selben Augenblick, da sie ihn sah, brach sie in herzzerbrechendes Weinen aus, klagte ihm ihr Leid und ließ sich von ihm trösten! Und er tröstete sie. Er nahm sie bei der Hand, er ging mit ihr zu den jungen Schoten, er zeigte ihr ein Nest, er lenkte sie ab. Nie sagte er ein Wort gegen uns, nie bagatellisierte er die Strafe.

Onkel Herbert lernte bei uns auch das Autofahren, er wurde unser Chauffeur. Das heißt eigentlich fuhr Suse den Wagen, ihren Wagen – ich habe nie das Chauffieren lernen mögen. Ich würde nur ein schlechter Fahrer werden, und Dinge schlecht zu tun, hat mir nie Spaß gemacht. Pfuscher gibt es auf der Welt genug.

Also, die eigentliche Fahrerin war Suse, Onkel Herbert wurde nur Aushilfsfahrer, und er fand sich auch damit ganz selbstverständlich ab, so leidenschaftlich gerne er selbst fuhr. Beide hatten ungefähr zur gleichen Zeit das Fahren gelernt, und jeder war natürlich von seinen eigenen Künsten am meisten überzeugt.

Nun ist mein Hof ein wenig eng und die Garageneinfahrt, die auch noch in der Steigung liegt, noch enger. Der Wagen paßte in die Garage hinein etwa wie eine Hand in ihren Handschuh, viel Spielraum war da nicht. Dazu konnte man auch noch nicht einmal gerade in die Garage fahren, sondern nur in einer sanften Kurve, eben wegen der Enge des Hofes. Für Anfänger war diese Garage wirklich eine ziemlich harte Nuß.

Zehnmal gelang es der Suse, beim elftenmal blieb sie ein bißchen hängen, und die unvermeidliche Beule mit abgesprungenem Lack schändete den Kotflügel des nagelneuen Wagens. Suse ärgerte sich maßlos, aber am meisten ärgerte sie sich doch, als sie den Onkel Herbert tiefsinnig versunken in der Betrachtung der Beule fand.

»Ja, sehen Sie bloß, was mir da passiert ist, Onkel Herbert!« sagte Suse ärgerlich. »Die Einfahrt ist aber auch zu eng.«

»Och!« antwortete Onkel Herbert.

»Finden Sie etwa nicht –?!« fragte Suse mit erhöhter Stimme, denn sie hörte sofort aus diesem »Och« den Zweifel an ihren Fahrkünsten heraus.

»Ich bin immer noch glatt reingekommen«, sagte Onkel Herbert, und machte, daß er von hinnen kam.

Suse war wirklich sehr ärgerlich.

An diesem Nachmittag, am Nachmittag ausgerechnet dieses Tages, fuhr Onkel Herbert irgendeinen Gast nach Bergfeld zur Bahn. Er kam zurück, niemand beachtete es, wie der Wagen über den Hof in die Garage fuhr, die Garagentüren wurden geschlossen.

Ich habe es schon gesagt: nichts wird in einem Dorf übersehen. Natürlich hatte es jemand beachtet, schon kamen die Kinder zu uns und flüsterten: »Onkel Herbert hat Bruch gemacht!«

Wir vergewisserten uns erst, daß Onkel Herbert in der entferntesten Ecke des Gartens arbeitete, und schlichen uns dann in die Garage. Jawohl, er hatte Bruch gemacht. Der Symmetrie halber hatte er sich den andern Kotflügel vorgenommen, aber viel kräftiger. Trotzdem es nun Suses geliebter Wagen war, und trotzdem er jetzt wirklich recht havariert aussah, freute sie sich wie ein König.

»Gottlob«, sagte sie, »daß ihm das auch passiert ist! Ich hätte mich ja nur noch mit Zittern in die Garage getraut. Nun stehen wir doch wieder gleich!«

»Bin mal neugierig, was er sagen wird«, bemerkte ich.

»Der –?« sagte meine Frau. »Der sagt überhaupt nichts! Der guckt uns gar nicht an, so schämt er sich! Paß mal auf!«

Und sie hatte recht. Das Abendessen kam, und notgedrungen mußte sich Onkel Herbert an unserm Tisch einfinden, am liebsten hätte er sich wohl krank gemeldet. Da saß er nun: ein bemitleidenswerter Anblick. An diesem Abend erglühte er in einem Dauerrot, und feurig glänzten seine recht abstehenden Ohren! Er aß überhaupt nichts, er hob den Blick nicht vom Teller. Wir abendbroteten, als sei er nicht da. Gottlob richtete niemand das Wort an ihn, nicht einmal die Kinder, die ja wahre Teufel in Sticheln und Taktlosigkeiten sein können. Onkel Herbert wäre wohl vor Scham glatt gestorben.

In der tiefen Nacht wache ich auf – von einem ungehörigen Geräusch. Auf einem ländlichen Hof kennt man alle Geräusche, die sein dürfen: das Rasseln einer Kuhkette, das kurze Anschlagen des Hundes, ein Hahnenschrei. Sie stören einen nicht. Aber ein Geräusch, das nicht hergehört, weckt einen sofort.

Ich lausche, ich sehe auf die Uhr: es ist kurz nach zwei Uhr morgens. Ich ziehe die Hausschuhe an, nehme den Bademantel um und wandere über den Hof, auf der Suche nach dem Geräusch.

In der Garage sitzt Onkel Herbert und klopft mit einem Hämmerchen an seiner Beule herum!

»Aber, lieber Herr Herbarth!« rufe ich. »Was machen Sie für einen Unfug! Gehen Sie ins Bett und schlafen Sie, die Beule wollen wir schon rauskriegen!«

»Habe ich Sie geweckt?« fragt er schuldbewußt.

»Natürlich haben Sie mich geweckt! Glauben Sie wirklich, mit so einem bißchen Gekloppe kriegen Sie die Beule aus dem Stahlblech raus?!«

»Ich wollte doch so gerne«, sagt er, »daß sie morgen raus wäre. Ich bin heute nacht noch in der Stadt gewesen und habe mir Autolack besorgt. Trocknet garantiert in einer Stunde!«

Und er hielt eine Blechbüchse hoch.

»In der Stadt sind Sie gewesen?! Wie sind Sie denn da hingekommen?!«

»Mit dem Rade doch!«

»Mit dem Rade –!«

Mir verschlug es die Puste, denn nach unserer Kreisstadt sind es einunddreißig Kilometer hin und einunddreißig Kilometer zurück, und die in der Nacht nach einem harten Tagewerk runterzustrampeln, ist keine Kleinigkeit!

»Sie müssen vollkommen verrückt geworden sein, Herr Herbarth!« sage ich mit all der mir angeborenen Liebenswürdigkeit.

»Aber ich wollte doch so gern, daß Ihre Frau nichts davon merkt! Gerade heute habe ich mit meiner Fahrerei so geprotzt, und nun habe ich schlimmeren Bruch gemacht als sie!«

»Aber meine Frau weiß es doch längst!« rufe ich.

»Sie weiß es –!« sagt er und sieht mich ganz verzweifelt an.

»Die Kinder haben es ihr gesagt«, fahre ich mitleidslos fort. »Aber wenn die ihr auch nichts gesagt hätten, wie Sie da beim Abendessen gesessen haben, das schuldbeladene Gewissen selbst, rot angesteckt bis in den Kragen – lieber Onkel Herbert, für Heimlichkeiten sind Sie nicht geschaffen!«

»Was hat sie denn gesagt –?« fragt er angstvoll. »Ist sie sehr böse?«

»Gefreut hat sie sich, daß Ihnen das auch passiert ist – das haben Sie von Ihrer Protzerei! So was kann jedem passieren – das ist doch kein Unglück. Ich will Ihnen was sagen: die Kotflügel lassen wir erst mal so, wie sie sind, bis Sie beide sicherer fahren. Und nun legen Sie sich hin und schlafen. Mensch, um sieben müssen Sie schon wieder an der Arbeit sein, und jetzt ist es gleich halb drei! Fort mit Ihnen!«

»Gute Nacht!« sagte er und verschwand, doch ein wenig getröstet.

Wie es mit den Kotflügeln weiterging, denn es ging noch weiter mit ihnen, das erzähle ich an einer anderen Stelle dieses Buches. Jetzt meine ich, habe ich den Onkel Herbert genügend charakterisiert, diesen jungen Mann, der mir eine Suppe eingebrockt hat, an der ich fast jeden Tag schwer löffle, eine schmerzensreiche Suppe, möchte ich fast sagen. Er hat mir zu all meinen anderen Steckenpferden ein neues in den Stall geholt, und ich habe doch nie Zeit!

Also, eines Tages im Herbst, betrachteten Onkel Herbert und ich den Ansatz der Obstbäume.

»Müßten eigentlich viel besser tragen danach, wie sie geblüht haben«, meinte ich. »Frost haben wir auch nicht während der Blüte gehabt, gespritzt haben wir, Leimringe gelegt – aber ich weiß nicht, je mehr wir tun, um so weniger tragen die Bäume!«

»Das liegt an der Befruchtung«, sagte er. »Hier müssen Bienen her!«

»Deubel nochmal!« rufe ich. »Auch noch Bienen! Ich habe schon so den ganzen Hof voll Viehzeug. Und dann bei den Kindern, danke, nein!«

Ich hatte eine gelinde Abneigung gegen Bienen, nicht weil sie stechen – mit Bienenstichen hatte ich noch nicht viel Erfahrungen gemacht –, sondern weil sie mich einmal in meinen Jugendjahren in den (diesmal) ganz falschen Ruf eines Prahlers und Lügners gebracht hatten.

Damals wirkte ich auf einem hinterpommerschen Rittergut, und einmal die Woche trafen sich vier im Gasthof zu einem Männerskat: der Kantor, der Oberinspektor, ein Bauer und ich, der Inspektor.

Der Kantor war ein großer Bienenzüchter, ich aber schon damals ein großer Büchernarr, und unter meinen Büchern befand sich eines von einem gewissen Maeterlinck, betitelt ›Das Leben der Bienen‹. Wenn der Kantor von seinen Bienen erzählte – und das tat er oft und lange –, so erzählte ich aus meinem Maeterlinck, freilich nicht ganz so klar wie der Kantor. Denn Maurice Maeterlinck ist ein Stück Mystiker, und ich hatte noch nie in einen Bienenstock geschaut. Ich kannte das Leben der Bienen nur aus einem Buch.

So ergab es sich, daß es zu kleinen Streitereien kam, die aber schon darum keinen größeren Umfang annehmen konnten, weil der Abend ja eigentlich dem Skat geweiht war. Schließlich aber, als ich etwas wahrscheinlich ganz Törichtes von der Königin behauptet und der Kantor mich besonders höhnend ausgelacht hatte, gab ich ihm meinen Maeterlinck: das Buch sollte ihn dort überzeugen, wo meine Zunge versagt hatte.

Er nahm es willig genug, und ich hörte durch Wochen nichts Rechtes mehr von Bienen. Wenn ich den Kantor aber nach dem Buch und seinem Eindruck davon fragte, so hatte er nur ein recht plietsches Grienen und machte Redensarten wie etwa: »Jaja, es ist ein ganz hübsches Buch – aber ein richtig praktischer Imker ist, der es geschrieben, nie im Leben!«

Und dazu griente der Kantor wieder auf eine ganz infame Weise, als sei er mir auf meine Schliche gekommen. Er glaubte das auch wirklich, und was er sich für Schliche von mir einbildete! Ich sollte noch mein blaues Wunder erleben!

Denn eines Tages wurde ich zu meiner Chefin befohlen, die eine richtige hochgeborene Gräfin war und ein energisches Frauenzimmer dazu. Alle Tage ritt sie im Herrensitz ihre Felder und Wälder ab, eine Brasilzigarre zwischen den Lippen. Die rauchte sie auch jetzt, als sie mich sehr ausführlich nach meinem Lebenslauf befragte. Ich gab ganz artig Auskunft und stutzte erst, als ich gefragt wurde, ob ich wohl auch Bücher geschrieben hätte?

Da wurde ich ziemlich rot, denn ich glaubte, die Mädchen hätten in meiner Kommode einige Anfänge, Entwürfe, Skizzen gefunden, mit denen ich mich damals in aller verschwiegenen Heimlichkeit beschäftigt hatte. Aber Bücher: nein, ich konnte es guten Gewissens verneinen.

»Nun, nun«, sagte die Gräfin milde. »Sie werden ja ganz rot! Es ist keine Schande, wenn man mal ein Buch schreibt. Aber Sie müssen über etwas schreiben, wovon Sie was verstehen. Über die Landwirtschaft gibt's ja nichts zu schreiben, aber gehen Sie doch mal mit dem Förster in den Wald. In ›Wild und Hund‹ und im ›Hubertus‹ stehen immer so hübsche Jagdgeschichten – so was sollten Sie schreiben! Lassen Sie sich vom Förster nur was erzählen, der steckt bis obenhin voll Geschichten!«

Noch einmal und noch viel dringender versicherte ich, daß ich nicht den geringsten Ehrgeiz hätte, was für den Druck zu schreiben!

»Ach was!« sagte die Gräfin, jetzt ein wenig ärgerlich. »Stellen Sie sich doch bloß nicht so an! Ich weiß es ja vom Kantor: Sie haben ein Buch über die Bienen geschrieben. Es steht aber bloß Falsches darin, weil Sie nichts von den Bienen verstehen. Darum haben Sie wohl auch einen falschen Namen angenommen. Lassen Sie sich vom Förster nur alles erzählen, und passen Sie gut auf die waidmännischen Ausdrücke auf: äste sich und Keiler und Gebrech und Lichter und Blume. Dann wird es das nächste Mal schon besser werden.«

Zu irgendwelchem Protest kam ich nicht mehr, ich war in Gnaden entlassen, und ich war ein sehr junger und sehr schüchterner Mann. Von da an war ich in der ganzen Gegend ›der Inspektor, der ein Buch über die Bienen geschrieben hatte‹, und Witzbolde redeten mich ›Herr Maeterlinck‹ an.

Was habe ich mich darüber geärgert! Zuerst protestierte ich wütend, aber was half mein Protest, die Gräfin hatte es selbst gesagt! Ich machte wütend Jagd auf das Buch, um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern, aber es war immer grade weitergegeben, ich sah es nie wieder.

Als sogar meine Feldarbeiter anfingen, mich Maeterlinck zu nennen, ergab ich mich in mein Schicksal und protestierte nicht mehr. Sprach mich jetzt jemand auf dem Wochenmarkt in der Kreisstadt an: »Sie sollen ja sogar ein Buch über Bienen geschrieben haben – is ja allerhand!« –

So antwortete ich ganz trotzig: »Hab' ich auch – und wenn Sie zehn Mark ausgeben, verkauf ich's Ihnen sogar!«

Es fand sich aber nie jemand, der die zehn Mark wagen wollte.

Ich muß die Leser für meine Gräfin und den ganzen Kreis um Entschuldigung bitten. Es gibt eben Leute, die lesen, und Leute, die nicht lesen. Und zwischen ihnen stehen dann noch die Leute, die nur Zeitungen und Zeitschriften lesen. Dort, bei uns, damals, gab es eigentlich nur Leute, die nicht lasen. Die Gräfin gehörte noch grade zu denen, die in Zeitschriften lasen. Es ist ja auch nicht einzusehen, daß der lesende Mensch an sich edler und gebildeter sein müsse als der nicht lesende. Über die menschlichen Qualitäten sagt die Beschäftigung mit Büchern nichts aus.

Aber freilich war es unvermeidlich, daß eines Tages die Entdeckung kam. Im Jahre 1911 oder 1912 war Maurice Maeterlinck schon ein berühmter Mann. Wieder wurde ich aufs Schloß zitiert, und diesmal saß um meine Chefin ein ganzer Kreis ihrer nicht abreißenden sommerlichen Gäste, Herren und Damen, sehr viele Uniformen, noch die bunten Reiteruniformen der Vorkriegszeit, aber auch Zivil, dies meist monokeltragend. Recht verlegen stand ich vor dieser erlauchten Runde.

»Das ist mein junger Feldinspektor!« sagte ›meine‹ Gräfin mit ihrer männlichen Stimme, und alle starrten mich noch mehr an.

Schließlich sagte einer dieser monokeltragenden Zivilisten: »Und als Schriftsteller heißen Sie also Maurice Maeterlinck? Ihr Stück Monna Vanna füllt augenblicklich in Berlin das Theater – Sie müssen enorme Gelder verdienen, junger Mann!«

Ich wurde noch viel röter. »Ich habe immer gesagt«, protestierte ich, »daß ich nicht der Maeterlinck bin! Ich habe immer bestritten, daß ich das Buch über die Bienen geschrieben habe! Der Kantor hat das aufgebracht ...«

»Na, hören Sie mal!« rief die Gräfin recht empört. »Ich habe Sie doch hier vor mir gehabt, und Sie haben mir sogar versprochen, Sie wollten jetzt lieber Jagdgeschichten für ›Wild und Hund‹ schreiben!«

»Das habe ich nicht getan, Frau Gräfin. Sie haben es mir geraten, aber ich bin nie zum Förster gegangen ...«

Wie kann ein Feldinspektor aufkommen gegen eine Gräfin, die noch dazu seine Brotherrin ist? Was kann der Protest eines zwanzigjährigen jungen Mannes gegen den festen Glauben einer ganzen Gegend ausrichten? Erst hatten sie mir den Maeterlinck aufgeredet, und nun redeten sie mir den Lügner und Prahlhans auf! Es liefen ja auch genug Leute im Lande umher, denen ich trotzig gesagt hatte: »Habe ich auch! Wollen Sie mir ein Buch für zehn Mark abkaufen?« Ich konnte nicht jeden beiseite nehmen und ihm die ganze Vorgeschichte erzählen!

Nein, es blieb mir nichts übrig als zu kündigen und zu gehen, von einer sonst recht angenehmen Stellung übrigens. Wie habe ich den Maeterlinck und sein Leben der Bienen verflucht! Nie wieder habe ich den Versuch gemacht, mir ein neues Exemplar für das verlorengegangene anzuschaffen. Maeterlinck war für mich erledigt, und die Bienen waren es auch.

Das alles lag nun ungefähr fünfundzwanzig Jahre zurück, aber manche Wunden heilen schlecht zu, und beschämende Reinfälle, in der Jugendzeit erlitten, können einen alten Mann noch in der Erinnerung wild machen! Danach kann man sich's ungefähr denken, mit welchen Gefühlen ich den Vorschlag Onkel Herberts, mir Bienen zuzulegen, aufnahm.

»Nein, nein«, sagte ich. »In den frühen Jahren haben die Bäume auch ganz gut getragen, ohne daß wir Bienen gehabt hätten. Der schlechte Fruchtbehang kommt von was anderm her.«

»Früher gab's in Mahlendorf auch mindestens sechs Imker«, antwortete mir mein Gärtner, »jetzt gibt's nur noch zwei. Die von dem Lau im Oberdorf kommen nie zu uns runter, haben oben viel zu viel zu tun. Und die drei Völker, die der Maurer Detlevsen hier unten hält, schaffen es nie mit der Bestäubung, wenn alles in den Obstgärten auf einmal blüht!«

»Ja, verstehen Sie denn was von Bienen?« fragte ich mißtrauisch. »Ich will mit den Biestern nichts zu tun haben! Ich kann sie nicht ausstehen!«

»Sie sollen auch gar nichts damit zu tun haben, Herr Fallada«, meinte er beruhigend. »Die Bienen besorge ich schon alleine.«

»Na schön«, gab ich schließlich nach. »Aber viel Geld stecke ich in den Rummel nicht.«

Die Erlaubnis war gegeben, und das Schicksal nahm seinen Lauf, unaufhaltsam, nichts war mehr rückgängig zu machen.

An einem regnerischen Sonntagvormittag kam der Onkel Herbert zu mir und sagte, er wisse einen Ort, wo wir vielleicht Bienen zu kaufen bekämen, ob wir nicht schnell einmal hinfahren wollten? Damals hatten wir schon unser Auto, und so fuhren wir hin; meine beiden Ältesten, Uli und Lore, die aber nur das Mückchen genannt wird, fuhren auch mit.

Der Handel um die Bienen war nicht einfach: da er die Käufer im Hause hatte, und Käufer mit einem dicken Auto dazu, wollte er die Bienen eigentlich nicht verkaufen. Über dem länglich sich hintrödelnden Handel vergaß ich völlig meinen festen Vorsatz, nur wenig Geld in die Imkerei zu stecken. Ich vergaß ihn in der Folge noch öfter.

Ich erwarb zwei Völker Bienen für je sechzig Mark und hatte dafür zwei lange hohe Kästen mit Wänden aus Lehm und Stroh, die nicht sehr stabil aussahen. Da wegen des naßkalten Wetters die Bienen nicht flogen, wurden die Fluglöcher mit Papier verstopft, und die Übersiedlung konnte losgehen. Zwischen meinen Kindern, auf den rotglänzenden Ledersitzen, reisten die beiden Bienenkästen, ›Beuten‹, sagt man fachmännisch dafür, nach Mahlendorf. Manchmal sah ich besorgt zurück, aber die Bienen benahmen sich völlig anständig. Den Kindern machte es Freude, wie es in den Kästen bei jedem Stuckern stärker summte und brummte.

Daheim angekommen wurden die beiden Beuten auf eine alte Tür gesetzt, die wieder über zwei Holzböcken lag, und die alten Lehmkästen versuchten vergeblich, meinen Obstgarten zu verschönern. Allmählich fingen die Bienen an zu fliegen, es geschah nichts Besonderes, die Kinder waren vor ihnen gewarnt, niemand wurde gestochen – gut! Sehr gut! Ich hatte für die Befruchtung meiner Obstbäume meine Schuldigkeit getan – sela!

Ich lebte noch nicht lange in diesem Zustand ahnungsloser Unschuld, da machte mich Onkel Herbert auf ein Inserat in unserm Heimatblättchen aufmerksam, nach dem die Imkerei eines kürzlich verstorbenen Lehrers zum Verkauf stand.

»Was!?! Noch mehr Bienen!« rief ich entsetzt. »Sie sind ja unersättlich! Nein, daraus wird nichts! Außerdem ißt in diesem Hause kein Mensch Honig!«

Er behauptete, alle in diesem Hause hungerten gradezu nach Honig!

»Jawohl!« rief ich. »Das kenne ich! Einmal habe ich dem Lehrer in Dingsdewich einen Eimer Honig abgekauft. Eine Woche lang war das süße Zeug große Mode auf dem Frühstückstisch, nachher wollte es keiner haben. Wo der Kram dann hingekommen ist, habe ich keine Ahnung. Wahrscheinlich auf den Misthaufen, in diesem Haus wird ja mit allem geaast!«

Hier bemerkte Suse sanft, daß sie einen kleinen verbliebenen Honigrest zu Honigkuchen verbacken habe. »Und dir hat der Kuchen auch sehr gut geschmeckt!«

»Ach was, gut geschmeckt! Ich habe ihn eben runtergegessen, wie ich geduldig alles runterschlinge, was ihr zusammenküchelt! Und überhaupt handelt es sich nicht um Honig, sondern um Bienen. Honig können wir uns alle Tage kaufen, kastenwagenweise! Aber für die ollen Bienen will ich nicht noch mehr Geld ausgeben!«

Worauf mir Onkel Herbert bewies, daß zwölf Völker Bienen nicht mehr Arbeit als zwei machen, daß zwei Völker auch nicht genug zur Bestäubung seien, daß der ganze Aufwand unrentabel bei zwei Völkern sei ...

Hier rührte er an meine praktisch kaufmännische Seite. Ich habe eine – freilich völlig unglückliche – Liebe für das Kaufmännische. »Also, meinetwegen, fahren wir hin!« sagte ich ungnädig. »Wir können uns den Krempel jedenfalls mal ansehen!«

Wir fuhren hin und wurden von der Lehrerswitwe und einem assistierenden dicken Herrn, über dessen Stellung beim Verkauf ich mir nicht ganz klar wurde, in eine Art hölzerne Sommerlaube geführt, wo wir die Rückseiten von etwa zwanzig solcher Lehmkästen bewundern konnten, wie ich bereits zwei zu Haus hatte. Gottlob war die Hälfte dieser Beuten leer, nur zehn Völker lebten.

Trotz meines dringenden Protestes bestand der dickliche Herr darauf, einen Kasten zu öffnen, um mir die Lebendigkeit, Gesundheit, was weiß ich, der Bienen zu beweisen. Mir wurde ein scheußlicher Gazehelm übers Haupt gestülpt, die Hände bohrte ich in die Taschen, die Witwe verzog sich, und unbewehrt trotzten der kleine Dicke und mein Gärtner den bald fleißig uns umburrenden Bienen. Wenn sie gestochen worden sind – und das werden sie ja wohl! –, haben sie sich doch nichts merken lassen!

Als der Dicke dazu übergehen wollte, einen zweiten Kasten zu öffnen, faßte mich Grauen. Ich kürzte das Geschäft ab und erwarb den ganzen Krempel, wie er ging und stand, flog und stach, inklusive der leeren Beuten, aber exklusive Holzschuppen, für dreihundert Mark. Im Flüsterton beglückwünschte mich Onkel Herbert zu dieser vorteilhaften Erwerbung. Da diese Last zu groß für unsern Personenwagen war, nahm ich noch ein Lastauto für dreißig Mark an, das mir die Imkerei am nächsten Sonntag ins Haus, nein, lieber in den Obstgarten bringen würde.

Onkel Herbert hat alles gut vorbereitet: noch mehr Holzböcke sind aufgestellt, Bretter darüber gelegt, und nun werden zu zwei weitere zehn Bienenvölker gesetzt.

»Und was machen wir mit den leeren Beuten?« frage ich mürrisch, denn ich hasse herumstehenden »Möl«, alles muß bei mir ordentlich sein.

»Aber die Bienen werden ja schwärmen!« sagt er unschuldig. »Die Schwärme schlage ich dann in die leeren Kästen ein.«

»Dann werden es ja mehr als zwölf Völker?« frage ich und sehe ihn giftig an.

»Och! Das bißchen Arbeit schaffe ich auch schon!« meint er und breitet Dachpappe zum Regenschutz über die Bienenbeuten.

Wenn ich gegen etwas eine Idiosynkrasie habe, ist es diese düstere Dachpappe. Ich hatte schon eine scharfe Bemerkung auf der Zunge, aber ich schluckte sie hinunter und ging. Nun gut, meinethalben, hatte er seine Bienen, sollte er glücklich mit ihnen werden!

Im allgemeinen habe ich ja eine andere ziemlich intensive Beschäftigung, ich kann nicht den ganzen Tag an Bienen denken! So trifft es mich wie ein Schlag, als mir Onkel Herbert nach dem Abendessen, etwa zwei Wochen später, mit einem blauweißen Heft unter die Augen geht, einem Katalog für Imkerbedarfsartikel, wie ich sehe.

»Wo haben Sie denn das Dings her?« frage ich ärgerlich.

»Habe ich mir kommen lassen.«

»Wo haben Sie denn die Adresse her?«

»Aus der Bienenzeitschrift.«

»Wo haben Sie denn die Bienenzeitschrift her?«

»Habe ich auf der Post abonniert!«

»Hören Sie mal, das sind meine Bienen, und wenn die Biester eine Zeitschrift brauchen, so bezahle ich die und nicht Sie, verstanden?!«

»Jawohl, Herr Fallada!«

»Na, und was soll ich nun mit dem Ding? Wieder was bestellen, was? Ich habe Ihnen doch schon ein ganzes Lastauto voll Schraps gekauft? Was brauchen Sie denn nun noch?!«

»Ich muß doch Rahmen machen!«

»Rahmen müssen Sie machen? Was wollen Sie denn bei den Bienen einrahmen?«

»Rahmen für die Waben doch!«

»Ach so, natürlich, natürlich, Rahmen für die Waben! Ich verstehe! Und was noch?«

»Mittelwände brauche ich auch.«

»Waren denn keine Mittelwände mitgekommen? Mir war doch so! Da war doch eine Masse Holzkram auf dem Auto!«

»Aber nein! Mittelwände sind doch aus Wachs!«

»Ach so, die Mittelwände meinen Sie! Natürlich, die müssen Sie haben, Sie und Ihre lieben Bienchen! Nun will ich Ihnen mal was sagen, Onkel Herbert! Das paßt mir nicht, daß ich hier alle Tage sitze und bloß noch für Ihre Immen da bin! Nun streichen Sie mir in dem Katalog alles an, was Sie heute und morgen und in drei Jahren für Ihre Imkerei brauchen, und das bestelle ich dann auf einmal! Schreiben Sie die Mengen daneben. Hier haben Sie einen Blaustift. – Da steht zum Beispiel ›Abstandstifte‹ – brauchen Sie auch Abstandstifte?«

»Natürlich, Abstandstifte brauche ich auch!«

»Sehen Sie! Da schreiben Sie also daneben: soundsoviel Kilo Abstandstifte! Thüringer Glasballons – brauchen Sie die auch?«

Er schien zweifelhaft, er war sich wohl selber nicht ganz im klaren über die Zusammenhänge zwischen Bienen und Thüringer Glasballons.

»Na schön, lassen wir also die Ballons weg. Die Bienen können ja auch ohne Ballon fliegen! Und nun machen Sie zu, morgen geht die Bestellung raus, damit ich endlich meine Ruhe vor Ihnen habe!«

»Und ich darf wirklich alles bestellen, was ich brauche?«

»Mann Gottes! Das habe ich Ihnen doch eben gesagt! Alles, was Sie heute und in der fernsten Zukunft brauchen!«

»Eine Honigschleuder brauche ich aber auch!«

»Eine Honigschleuder war aber bestimmt bei dem Krempel, den ich gekauft habe!«

»Die ist leider kaputt. Ich habe sie schon beim Schmied und beim Schlosser gehabt, beide sagen, da ist nichts mehr mit anzufangen.«

»Sehen Sie, Onkel Herbert«, sprach ich und sah ihn traurig an. »So geht mein Geld hin in diesem Haus! Alles mein saurer Schweiß – und ihr kauft kaputte Honigschleudern dafür! – Na, nun machen Sie, daß Sie wegkommen, ich kann Ihren Anblick wirklich nicht mehr ertragen.«

Am nächsten Morgen, statt Roman zu schreiben, tippte ich eine drei Seiten lange, engzeilige Bestellung auf Bienenbedarf. Die Schlußsumme, die ich nach langer Rechnerei daruntersetzte, belief sich auf 487,75 Reichsmark.

Bis dato hatte ich es noch nicht gewußt, aber nun lernte ich es langsam, daß es in Deutschland eine ganze Reihe großer Fabriken gibt, die jahraus, jahrein nichts herstellen als Artikel für die Imkerei, vom Bienendraht an, der ein paar Pfennig kostet, bis zum Wanderwagen, der sich auf über tausend Mark stellt. Heute bin ich schon so weit, daß ich selber gerne in diesen dicken Katalogen mit den vielen hübschen Bildern blättere, und daß es mich direkt lockt, Dinge zu bestellen, die etwa heißen: Absperrgitter, Entdeckelungsgabel, Drahtknie, Dahtepfeife, Futterflasche, Wabenzange, Schwarmkiste ... Man kann einen ganzen Haufen Geld in solchem Zeug verläppern, o ja, das kann man. (Und das tut man auch!)

Mittlerweile aber hatte ich erst mal Ruhe. Die große Bestellung hatte meinen Peiniger besänftigt. Ich hatte sogar Erträge von meinen Bienen. Das erste Geld kam ein, wenigstens theoretisch. Es wurde Honig geschleudert, der Ertrag des Jahres: fünfzehn Pfund, nicht pro Volk, sondern in Summa von meinen zwölf Völkern.

Ich rechnete im Kopf: fünfzehnmal 1,20 macht 18 Mark. »Achtzehn Mark Ertrag und dann noch Ihre Arbeit!« sprach ich. »Viel ist das nicht, Onkel Herbert.«

»Och –! Dies Jahr gilt noch nicht!« sagte er rasch. »Die Bienen müssen sich doch erst eingewöhnen!«

Ich bedachte den Fall. »Hören Sie mal, das stimmt aber nicht. Wieso müssen sich die Bienen erst eingewöhnen? Ich denke, die Biene wird nur sechs oder acht Wochen alt? Die jetzt da sind, müssen doch also eingewöhnt sein!«

Er wurde wieder mal rot. »Och!« sagte er. »Die ganze Umsiedlung«, sagte er. »Und dann war das Frühjahr auch schlecht. Viel zu trocken. Und keine Lindenblüte. Und dann haben sie ja auch noch keinen richtigen Stand!«

»Was haben sie nicht –?« schrie ich und zog eine wütende Grimasse.

»Keinen richtigen Stand ...«, flüsterte er. »Hier so auf den Brettern, unter Dachpappe, das ist doch nur behelfsmäßig.«

»So?« sagte ich. »So! Behelfsmäßig! Na, ich danke schön! Sie sind mir der Richtige! Wissen Sie, was Sie sind?«

»Nee!« sagte er und grinste.

»Ein völliges Garnichts sind Sie!« schrie ich. »Ein Flausenmacher sind Sie! Ein Schwindler! Ein Hochstapler! Mit ein bißchen Bestäubung fangen Sie an, und nun locken Sie mir das Geld schon zu Tausenden aus der Tasche! Kucken Sie sich doch die Apfelbäume an – tragen die etwa mehr als im vorigen Jahre? Einen Dreck tragen sie! Behelfsmäßig! Kommen Sie mir mit behelfsmäßig!«

Damit ging ich, vor Wut zitternd.

Aber natürlich kam er mir, er gab mir nicht mal lange Schonzeit: der Herbst stand vor der Tür, den armen Bienchen drohte Erfrieren.

»Nur so ein kleiner Bretterschuppen!« flehte er, und seine große Nase stand ihm noch närrischer verquer im Gesicht als sonst. »Wir nehmen ganz billige Schalbretter, und ich haue die Bude mit dem Opa allein zusammen!«

Bude – dies Wort hatte grade noch zu meinem Glück gefehlt! »Unterstehen Sie sich!« schrie ich. »Eine Bude kommt nie und nimmer auf mein eigen Land! Schalbretter – ich soll wohl von meiner eigenen Veranda ewig auf Schalbretter starren? Nein, wenn gebaut werden muß, dann soll auch anständig gebaut werden! Wie muß denn das Ding beschaffen sein, das Sie haben müssen?«

Die Wahrheit ist, Onkel Herbert war wieder mal auf eine schwache Seite bei mir gestoßen. Ich baue nämlich, wie viele andere Narren, gerne. Ich hatte schon mindestens ein Jahr lang nichts gebaut. Ich plante einen ganzen Flügel ans Haus, aber dafür hatte ich das Geld noch nicht beisammen. Ein Bienenschuppen? Nein! Aber ein Bienenhaus, das klang schon ganz anders, das lag im Bereich des Möglichen!

Ich erfuhr, daß ›mein Bienenhaus‹ so und so lang und so und so hoch sein müsse, damit grade zwölf Beuten hineingingen. (Seine Beschränkung auf die Zahl von zwölf Völkern versöhnte mich weiter mit der Bauerei.) Hinten mußte ein bißchen Platz zum Arbeiten sein, nur grade soviel, daß ein Mann stehen konnte.

»Fenster?« fragte ich.

Um Gottes willen, keine Fenster! Die Bienen liebten ja die Dunkelheit; wenn die Tür zum Bienenhaus einen Spalt offenstand, würde er schon genug sehen.

»Also keine Fenster!« knurrte ich. »Das wird ja ein dolles Ding werden! Lieblich anzusehen! Na, wir werden es erleben!«

Und ich begab mich zu meinem Baumeister, der mich liebt: solche Bauherrn wie ich sind immer beliebt.

Und in der Folge entstand ein Bienenhaus, aus Eiche und Felsengestein gefügt – noch späte Geschlechter werden es sehen können, wenn mein Leib längst zu Asche geworden ist. Die Kosten beliefen sich auf 1386,95 Reichsmark, ungerechnet die Malerarbeiten, die auch noch 55,77 Reichsmark ausmachten. Teure Bienen ...

Als der Bau fertig und hinreichend ausgetrocknet war, mußten wir mit den Bienen umziehen, einziehen. Am Tage fliegen die Bienen, die Umzugsstunde wurde also auf Mitternacht festgesetzt. Dann würden alle Bienen zu Haus sein, auch die Bummler, und wir konnten die Fluglöcher verstopfen, ohne eines aus seinem Heim auszusperren.

Als Hilfsmann – denn volle Beuten sind sehr schwer – gewann Onkel Herbert einen jungen Mann aus dem Dorfe, Maxe geheißen, einen Hünen an Gestalt und Kraft, aber von einer tiefen Antipathie gegen Bienenstiche erfüllt. Wir mußten ihm heilig schwören, daß kein Bienchen seine Hünenhaut versehren würde. Suse und ich sollten bei diesem nächtlichen Akt als Beleuchter mit Taschenlampen fungieren.

Der Umzug ließ sich höchst angenehm an. Die Fluglöcher waren dauerhaft verstopft, kein Bienchen machte sich bemerkbar. In den Beuten hörten wir sie wohl aufgeregt surren und brummen, aber das tat uns nichts.

Das Bienenhaus war so konstruiert, daß sechs Beuten in einer Reihe stehen sollten, sechse unten und sechse oben drauf. Und die Maurer hatten so haargenau gemauert, daß die sechs Beuten nur mit Mühe in eine Reihe zu zwängen waren. Im Dunkeln, beim spärlichen Schein unserer Taschenlampen, arbeiteten die beiden jungen Männer eifrig, einer drinnen im Bienenhaus, einer draußen, zwischen sich die Beute haltend, die schwer war. Die Bienen summten zornig.

»Vorsicht, Maxe!« rief Herbert von draußen. »Nicht so scharf! Da – verdammt! Halt fest, Maxe!«

Eine Beute aus Lehm und Stroh ist nur ein gebrechliches Gebilde, eine Seitenwand hatte sich gelöst, zornentbrannt entströmten die Bienen dem Riß, zu Tausenden!

»Halt fest, Maxe!« schrie Onkel Herbert wieder. »Licht aus, die Bienen gehen nach dem Licht!«

Wir standen in tiefer Nachtschwärze, immer stärker wurde das zornige Gebrause der Bienen, und sie brausten nicht nur! Immer lauter wurde das Geschrei Maxens: »Ich kann nicht mehr, Herbert! Ich laß den Schiet fallen! Oh, verdammtes Viehzeug! Da! Und da! Und da schon wieder! Aua! Wie das brennt! Da, jetzt sitzt eine in meinem Ohr! Wie das krabbelt! Verdammt – jetzt hat das Aas gestochen! Herbert, Herbert, ich schmeiß den Dreck hin! Ich halte es nicht aus! Verdammt! Verdammt! Ach, Herbert ...«

Und die beschwörende Stimme Herberts: »Nur 'nen Augenblick noch, Maxe! Halt fest! Gleich haben wir 'n drin! Dann ist der Spalt wieder zu!«

Und Maxe: »Nein, nein, ich kann nicht mehr! Herbert, bitte ... Herr Fallada, bitte –! Frau Fallada, lachen Sie doch nicht so! Nein ...«

»Drin sitzt er!« rief Herbert erlöst. »Reiß aus, Maxe!«

Aus dem dunklen Bienenhaus brach, wüst um sich schlagend, ein dunklerer Schatten, stürzte an uns vorbei zum See hinunter und warf sich, Kledagen hin und Stiefel her, ins Wasser. Auch wir mußten fliehen, denn Maxe hatte uns im Vorbeistürmen hinreichend von dem Volk der Erzürnten abgegeben. Ungestochen entkam keiner.

Die anderen sechs Kästen mußte ich mit Onkel Herbert umziehen, Maxe war dem See nicht zu entlisten. Erst als alles vorbei war, ließ er sich überreden, wieder an Land zu gehen – in der Küche musterten wir einander und vor allem den Triefenden. Er glühte wie Mohn auf dem Felde, er hatte Fieber. Aus Erfahrung weiß ich jetzt, wie ihm zumute war.

Aber am tollsten sah doch mein teures Weib aus: sie hatte nur einen Stich abbekommen, den aber unter dem Auge. Schon begann das Auge sich zu schließen. In den nächsten Tagen veränderte sich Suse bis zur Unkenntlichkeit. Die Hamburgerin sah einer Mongolin gleich, mit kleinen verklebten Schlitzaugen. Das ganze Gesicht war so geschwollen, daß die Nase kaum noch hervorsah.

In diesen Tagen war es ein beliebter Sport der Kinder, ihre Mutter zum Lachen zu bringen. Sie konnte nämlich gar nicht lachen, alles tat ihr weh, wenn sie lachte! Ich aber war so gemein, ein Photo von ihr zu machen und es an Verwandtschaft und Freundschaft zu senden: Suse, die Imkerin.

(Später hätte sie mehrfach Gelegenheit gehabt, an mir Rache zu nehmen – ihr anständiger Charakter hinderte sie daran. Anständigkeit kommt auf dieser Erde immer zu kurz.)

Dies war, möchte ich sagen, der Höhepunkt von Onkel Herberts Imkertätigkeit – für uns. Von da an existierten die Bienen nur an der Peripherie meines Daseins, sie gehörten zum Hofstaat, wie Kuh, Schwein, Hund, Hühner. Ab und zu warf ich einmal einen Blick hin. Dann sah ich Onkel Herbert durch den Türspalt im Halbdunkeln sitzen, von den Bienen umsurrt, das Haupt in Gaze gehüllt, mit irgendwelchen geheimnisvollen Instrumenten die Immen zu irgendwelchen geheimnisvollen Endzwecken ärgernd. Manchmal auch erschien er zu den Mahlzeiten mit verdächtigen Schwellungen. Er ärgerte sich stets, wenn ich ihn fragte: »Gestochen worden?«

»Och!« sagte er dann nur. Er glaubte, ein tüchtiger Imker werde von seinen Bienen überhaupt nicht gestochen. Aber das war nur ein Aberglaube.

Dann kam der Krieg. Onkel Herbert mußte sich sofort stellen, und das letzte, was er mir noch ans Herz legte, waren seine Bienen. »Bitte, kümmern Sie sich darum«, bat er dringlich. »Ich habe sie jetzt grade so schön im Schuß!«

»Jawohl, Onkel Herbert«, sagte ich. »Wir haben ja wohl dreißig Pfund Honig geerntet, macht sechsunddreißig Mark, und zweitausend Mark werden wohl bald in den Bienen stecken – ohne Ihre Arbeitszeit.«

Er ging gar nicht auf meine kalten rechnerischen Bemerkungen ein. Echte Imker sind reine Idealisten, Materielles ist ihnen ein Greuel. »Sie brauchen die Bienen jetzt im Herbst nur noch mit Zuckerlösung zu füttern. Ich habe Ihnen alles genau aufgeschrieben. Sonst sind sie völlig in Ordnung. Alle Völker sind weiselrichtig. Und bis zum Frühjahr kaufen Sie sich ein Buch über Bienen ...«

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Onkel Herbert«, sagte ich. »Ich übernehme die Bienen, und Sie wissen ja, was ich übernehme, mache ich auch ordentlich. Sie haben jetzt an anderes zu denken!«

So wurde ich Imker. Schritt für Schritt hatte mich mein Schicksal in mein neues Steckenpferd hineingelistet, alles Wehren hatte mir nichts geholfen.

Zum erstenmal zog ich mir selbst eine Gazehaube übers Haupt, steckte die Hände in Gummihandschuhe und brannte mir einen gewaltigen Knösel an. Dann öffnete ich die Hintertür der Beute, und eine kräftige Bienenkollektion fuhr mir um Kopf und Hände.

»Ruhig Blut!« sagte ich zu mir, als ich merkte, daß Bienen ihren Weg auch unter einen Gazeschleier finden, und daß es nicht angenehm ist, wenn eine Biene langsam über Lippen und Nase marschiert, noch unentschlossen, wo sie stechen wird, aber fest entschlossen, zu stechen ...

»Nur ruhig Blut«, sprach ich, als ich entdeckte, daß man auch seine Hosen unten zubinden muß, sonst klettern einem die lieben Tiere langsam an den Beinen hoch, erreichen über dem Strumpfband das nackte Fleisch, wandern weiter auf der bloßen Haut unter der Unterbüx, kommen in Gegenden ...

Und dabei arbeitest du oben mit den Händen immer fort, stellst in die immer stärker brausenden Beuten Holzkistchen mit Zuckerwasser, auf denen ein Bretterrost schwimmt, schließt den Kasten, gehst zum nächsten – autsch, das war wieder ein Stich!

Ist der erste Stich gefallen, folgen schnell viele, das müssen die Bienen riechen, wenn eine gestochen hat.

Aber schon bei dieser einfachen Fütterung merkte ich, daß mit meinen Bienen nicht alles so in Ordnung sein konnte, wie Onkel Herbert behauptet hatte. Manche Völker hatten an einem Tage schon ihr Zuckerchen ausgetrunken, andere in zehn Tagen noch nicht, und jedes Volk mußte doch eine bestimmte Menge Zucker im Herbst aufspeichern – als Ersatz für den weggenommenen Honig –, sonst verhungerte es über Winter.

Wenn ich aber tollkühn solch enthaltsames Volk auseinanderpolken wollte, um den Grund dieser Abstinenz zu erfahren, erwies sich, daß die Schienen in den Beuten kaputt waren, die Waben waren ineinander gebaut, man hätte alles zerstören müssen.

Das konnte nicht stimmen! Außerdem ärgerte mich das Dunkel im Bienenhaus, nichts war zu sehen, und wenn man ein Volk ›nachsah‹, mußte man doch wenigstens sehen können!

Natürlich las ich in diesen Tagen auch schon die kleine Bienenzeitschrift, die sich Onkel Herbert bestellt hatte. Und zufällig las ich in ihr den Artikel eines Herrn Schuster, der klar und anschaulich geschrieben war. Ich hatte keine Ahnung, wer Herr Schuster war, aber sein Wohnort lag nicht sehr entfernt von uns. So schrieb ich Herrn Schuster einen kleinen Brief, ich sei in Nöten mit meinen Bienen, und wenn es ihm seine Zeit erlaube ... Es würde wirklich sehr freundlich von ihm sein ... Selbstverständlich würde ich alle Kosten tragen ...

Am nächsten Morgen saß Herr Schuster in meiner Stube. Eine halbe Stunde später wirtschaftete er in meinem Bienenhaus, und ich hatte den aufopferndsten, uneigennützigsten Bienenberater von der Welt! Es gibt eben viel mehr uneigennützige Hilfsbereitschaft, als man manchmal glaubt!

Herr Schuster war ein alter, in den Ruhestand getretener Landschullehrer um die Siebzig herum. Er hatte einen kahlen Kopf, einen langen weißen Schnurrbart, dessen Enden wie bei einem Wachtmeister der kaiserlichen Zeit festgedreht waren, eine hohe, helle Stimme und ein Herzleiden.

Sonst war Herr Schuster Imker, und er ist in seinem Leben wohl nur Imker gewesen. Die Imkerei war ihm Lebenszweck, Sinn des Daseins. Er lebte nur für die Bienen, er dachte nur an Bienen, er interessierte sich nur für Bienen. Selbst jetzt als alter Mann, da er den eigenen Bienenstand aufgegeben hatte, wirkte er immer weiter für die Imkerei: er verteilte Futterzucker, besuchte Tagungen, schrieb Artikel, beriet andere und aß Honig in unvorstellbaren Mengen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber Herr Schuster versicherte mir, daß er und seine Frau im Jahre gut drei Zentner Honig verbrauchten. Dann erlebte ich ihn bei uns Honig essend. Eine dünne Scheibe Brot mit ein wenig Butter lag auf seinem Frühstücksteller. Nun fuhr er mit dem Messer in den Honigpott. Es war guter abgelagerter Honig, zweimal geseiht und vierzehn Tage täglich dreimal mit einem dreikantigen Buchenstab fünf Minuten lang gerührt, wie es sein soll. Also kein flüssiges Zeug, sondern eine feste, weißgelbliche Masse, anzusehen etwa wie jener weiße Bernstein, der ›Knook‹ heißt.

Herr Schuster schnitt sich ein Stück etwa vom Gewicht eines halben Pfundes heraus, und das aß er nun teelöffelweise, wobei hinter jedem dritten oder vierten Teelöffel ein Bißlein Brot eingeschaltet wurde. Herr Schuster plauderte dabei fort von den Bienen, während er unseren Wochenbedarf an Honig auf einmal erledigte. Er hatte unsere aufgerissenen Augen überhaupt nicht bemerkt. Er versicherte uns, nur seinem Honigessen und dem Umgang mit Bienen verdanke er sein frisches Alter. Wenn dem wirklich so war, haben die Bienen sein Herz sträflich vernachlässigt, denn das machte Herrn Schuster redlich zu schaffen. Gott bewahre mich im übrigen vor solchem Honigesser in der eigenen Familie – ich müßte die Schriftstellerei an den Nagel hängen und nur noch Honig erzeugen!

An jenem Morgen aber, da Herr Schuster so überraschend schnell meinem Hilfeschrei gefolgt war, gab es keine lange Zeit zu plaudern. Herrn Schuster dürstete es nach meinen Bienen, mich nach Klarheit. Er ergriff seine Ledertasche am Henkel, in der er mit dem Nachtzeug alles Bienenwerkzeug mit sich führte, und folgte mir in den Garten.

Wenn mit den Bienen vielleicht nicht alles im Lote war, mein Bienenhaus, dieser Turm aus Eiche und Felsengestein, sollte Herrn Schuster schon imponieren!

Herr Schuster sank fast in Ohnmacht!

Als er sich ein wenig erholt hatte, rief er: »Das, das soll ein Bienenhaus sein? Wie soll man denn da drinnen arbeiten? Ist ja stickeduster drin! Da müssen Fenster rein! Fenster in die Seite, Fenster ins Dach! Es kann nicht hell genug sein im Bienenhaus! Warum haben Sie das Dings bloß so duster gebaut?!«

»Ich denke, die Bienen fliegen ins Licht?« bemerkte ich erschüttert.

»Na ja, und warum sollen sie nicht? Machen Sie die Tür auf, draußen ist es noch heller, schon fliegen die Bienen ab. Bauen Sie ein Bienenfenster ein, ein Fenster mit einem offenen Spalt, durch den die Bienen aus-, aber nicht hereinkönnen. Ich zeichne Ihnen nachher gleich eine Skizze! Nein, sowas, ein Bienenhaus ohne Fenster! Manche Imker lassen sich sogar elektrisch Licht in ihre Bienenhäuser legen, weil sie es nicht hell genug kriegen können. Die geringste Kleinigkeit auf der Wabe muß man sehen können! Wie wollen Sie denn in dieser Finsternis je eine Königin finden?!«

Er sah mich betrübt an, und ich kam mir wie ein rechter Dummkopf vor. Und doch dachte ich dabei, daß mein Bienenhaus mit Fenstern sehr viel schöner aussehen würde. Ich würde das für die Ewigkeit gebaute Felsgestein durchbrechen, Fenster einsetzen lassen, Bienenfenster nach Sonderskizze ...

»Und das sind also Ihre Beuten«, sagte Herr Schuster. Er hatte die Tür des Bienenhauses weit aufgestellt und betrachtete nachdenklich die Hinterseite meiner Kästen.

»Ja, das sind meine Beuten«, antwortete ich ein wenig ängstlich. »Sind die etwa auch nicht richtig?«

»Doch, die sind schon richtig!« sagte Herr Schuster. »Die sind so richtig, daß ich Ihnen die für ein Bienenmuseum abkaufen werde, wenn Sie die Dinger nicht mehr brauchen! Als Muster von Beuten, wie sie nicht sein sollen. – Mein lieber Herr, in solchen Kästen werden Sie nie Erträge haben! Wenn Sie mit solchen Kästen wirtschaften wollen, schmeißen Sie Ihr Geld einfach zum Fenster hinaus!«

»Was müßten denn das für Kästen sein?« fragte ich bedrückt.

Herr Schuster sah mich mit dem leuchtenden, erbarmungslosen Blick des Fanatikers an. Er sprach mit fester Stimme: »Hier muß der Wolfenbütteler Kuntzsch-Zwilling her!«

Sein Blick wurde immer durchbohrender.

Ich erzitterte in meinen Schuhen. »Der Zwilling«, murmelte ich.

»Jawohl, der Zwilling.«

Trotz Maeterlinck, Onkel Herbert und Bienenzeitschrift hatte ich keine Ahnung, was Zwillinge mit Bienen zu tun haben.

Herrn Schusters Blick wurde milder, als er mich so schuldbewußt sah. »Na, nun wollen wir mal in die Dinger sehen!« sagte er leutselig, und wir legten unsere Kriegsrüstung an.

Darauf sah Herr Schuster in die Dinger! Du lieber Gott, Bienenvolk auf Bienenvolk riß er mitleidslos auseinander, Honig triefte, es gab Tote und Verwundete in Massen, Stiche gab es, viele Stiche. Herr Schuster zeigte mir, daß kein einziger Kasten in Ordnung war, daß alle Rahmen schief hingen, daß die Spanndrähte gerissen waren, daß die Wachsmotte, diese Räuberin, sich in jedem Volk eingenistet hatte. Er bewies mir, daß Onkel Herbert nie ein Volk wirklich durchgeprüft hatte, es war einfach nicht durchzukommen.

»Alles Bruch! Alles verrotteter Bruch!« stöhnte Herr Schuster.

»Na, natürlich, die sind froh gewesen, daß sie Ihnen das angedreht haben! Was haben Sie dafür bezahlt? – Unglaublich!«

Ich stand dabei und bewunderte Herrn Schuster. Um den Kopf trug er einen Schleier wie ich, aber vergeblich hatte ich versucht, ihm meine schönen Imkerhandschuhe aus Gummi aufzureden. »Nein, nein«, sagte er. »So was brauche ich nicht. Ich fühle besser ohne Handschuhe.«

So arbeitete er mit nackten Händen, mitten im Bau, umschwirrt von Tausenden wütender Bienen. Sie stachen ihn, oh, wie sie ihn stachen! Dutzende von Stichen hat er an diesem Tage bekommen. Sie schwollen natürlich nicht an, er war immun gegen Bienengift, aber der Einstich tut immer weh, gegen den Schmerz des Einstichs wird man nie immun. Wer's nicht glaubt, der kann sich ja jeden Tag zwanzig-, dreißigmal kräftig mit einer Stecknadel stechen, ob er nach zehn oder vierzehn Tagen den Stich nicht mehr fühlt.

So hat Herr Schuster immer bei mir gearbeitet, ohne jeden Handschuh, viele hundert Stiche hat er bei mir empfangen. Wurde es ganz schlimm, gab er abgerissene Laute von sich: »Da! – Da wieder! – Nu! – Aber nein! – Na, nu laß ... Gut! Da! Na ...!« Aber er arbeitete unentwegt weiter, die Hand, mit der er die Wabe hielt, zuckte nicht unter noch so vielen Stichen.

Dies ist ein Rätsel, das mir Herr Schuster aufgegeben hat, und das ich bisher noch nicht gelöst habe: warum arbeitete er bei mir ohne allen Handschutz?

In einer Bienenzeitschrift fand ich von ihm einen Aufsatz, einen jener klar geschriebenen, praktischen, nicht humorlosen Artikel, die Herrn Schusters Stärke sind. Darin sprach er darüber, ob man sich vor Bienenstichen schützen oder ob man sie heroisch ertragen solle. Er selber habe in seiner Jugend dem heroischen Ideal gehuldigt, aber immer mehr habe er eingesehen, daß dieser Heroismus dumm sei. Je ruhiger man arbeite, um so ruhiger blieben auch die Bienen, und der Geschützte sei eben ruhiger als der Mann mit den bloßen von Bienenstacheln gespickten Händen. Er selbst wende jeden nur möglichen Schutz an, und ihm und seinen Bienen bekomme das nur gut ...

So hatte Herr Schuster geschrieben, und dieser selbe Mann stand nun mit bloßen Händen in meinem Bienenhaus und ließ sich von Stacheln spicken! Unverständlicher Herr Schuster! Ich stellte ihn wegen dieses Mißverhältnisses zwischen Schreiben und Tat zur Rede, ich bekam keine rechte Antwort. Herr Schuster lächelte vage, seine Schnurrbartspitzen zitterten, er war sehr beschäftigt. Wieder einmal bot ich ihm die Gummihandschuhe an, wieder einmal lehnte er sie fest ab!

Warum? Warum –? Glaubte Herr Schuster in tiefster Brust doch an ein heroisches Ideal, das er öffentlich ableugnete? Wollte er mir mit einem guten Beispiel vorangehen? Ich weiß es nicht. Ich fürchte, auch das Rätsel Schuster werde ich ungelöst mit ins Grab nehmen. Eine wunderliche Welt ist dies, mit wunderlichen Menschen! Und wenn ich wirklich, wie meine Lebenslinie aussagt, hundertsechzehn Jahre alt werde, ich werde nicht viel klüger als heute in die Grube fahren, ich werde nicht einmal viel klüger sein als an jenem Tage, da ich zum erstenmal das Licht der Welt erblickte, den ersten kläglichprotestierenden Schrei tat! –

Am Abend dieses Tages unserer beginnenden Bekanntschaft hielt mir Herr Schuster dann einen langen Vortrag über den Wolfenbütteler Kuntzsch-Zwilling. Es erwies sich, daß es unter den rechten Imkern ebenso viel Sekten gab wie in jeder anderen brauchbaren Religion. Es gab Gerstung-Anhänger und Freudenstein-Jünger. Es gab Zander-Gläubige und Normalmaßadepten. Es gab die Verehrer der Celler Magazinbeute und jene, die im Alberti-Blätterstock das Heil der Imkerei erblickten. Und dazu gab es natürlich noch seit Urvätertagen die Korbimker!

All diese unterschieden sich nicht in der Anbetung der Biene, sondern in der Art, wie sie ihr eine Behausung boten. Es gab da Dreietager und Zweietager und Stapelbeutenanhänger, je nach den Kästen, in denen sie ihre Bienen wohnen ließen. Es gab da Hinterlader und Oberlader.

Herr Schuster war ein Anhänger des Altmeisters Kuntzsch, und unter den Kuntzsch-Jüngern huldigte er wieder der Wolfenbütteler Richtung, von der die Lehre des Altmeister verfeinert und verbessert ist. Viel verstand ich an diesem Abend – und auch lange hinterher – noch nicht von den verschiedenen Heilslehren der Imkerei. Soviel erfaßte ich aber doch schon, daß die mir empfohlene Beute nur darum »Zwilling« hieß, weil hier in einem Kasten zwei Völker untergebracht waren.

Dringend empfahl mir Herr Schuster, mit all dem alten verkommenen Bruch, der mein Bienenhaus schändete, Schluß zu machen und im nächsten Frühjahr noch einmal von vorn zu beginnen. Meine Abneigung gegen Pfusch, meine Pedanterie ebneten den Schusterschen Vorschlägen den Weg. Als Folge dieses Abends kam wieder ein dickleibiger Katalog in meine Hände, in dem diesmal Herr Schuster angestrichen hatte, was notwendig schien. Als Folge dieses Abends ließ ich wieder einmal an einem Vormittag meine Arbeit liegen und tippte eine lange Bestellung, deren Endsumme sich auf über tausend Mark belief. (Teure Bienen!)

Ich habe Herrn Schuster einmal gefragt, wie er als Landlehrer mit doch kleinem Gehalt so teure Anschaffungen habe erschwingen können. In seiner Hauptzeit hat er um die hundert Völker besessen, und das bedeutet ein investiertes Kapital von über zehntausend Mark.

»Aber meine Bienen haben das verdient!« rief Herr Schuster erstaunt. »Wer denn sonst? Ich habe ganz klein mit zwei Völkern angefangen, und ich habe nie mehr angeschafft, als die Bienen verdient hatten. Denken Sie, in meinem besten Jahr habe ich sechzig Zentner Honig geschleudert. Das sind siebentausendzweihundert Mark in einem einzigen Jahr, von den verkauften Königinnen und Völkern und dem Wachs gar nicht zu reden!«

So bin ich durch Herrn Schuster Kuntzsch-Imker geworden, Spezies Wolfenbütteler Richtung. Und ich fühle mich sehr wohl dabei. Ich lächle natürlich mit leiser Überlegenheit, wenn ich von Oberladern und Karbollappen höre oder von dem Zwergenmaß der Freudensteiner-Beute. Immerhin bin ich noch klarsehend genug, zu erkennen, daß ich durch einen reinen Zufall zu meinem Glaubensbekenntnis gekommen bin. Hätte ich statt an einen Herrn Schuster an einen Herrn Schneider geschrieben, und wäre dieser Herr Schneider ein Verehrer des Blätterstocks Vollenda gewesen, so wäre ich heute Vollendist, statt eines Kuntzschickers. Über unsere wichtigsten Überzeugungen entscheiden wir nur selten selbst.

Es war gut, daß nach diesem Besuch des Herrn Schuster der Winter kam. So hatte ich Zeit, mich auf meine neue Aufgabe vorzubereiten. Ich tat es, indem ich eine Reihe von Büchern über Imkerei kaufte. Ich entsagte heroisch der schönen Literatur. Umsonst sandten mir Verleger und Autoren die verlockendsten Romane. Ich las jeden Abend eine Stunde lang im Bett nur über Imkerei. Es war ein großes Opfer, das ich Onkel Herbert und seinen Bienen brachte! Denn noch war ich kein Imker. Ich wollte erst einer werden ...

Aber die Bücher erhellten das Dunkel in meinem Hirn nur wenig. Rettungslos verbiesterte ich zwischen Honigraum, Brutraum, Dreierraum, Sechserraum ... Je mehr ich las, um so weniger verstand ich. Ich hoffte nun nur noch auf den Anschauungsunterricht durch die neuen Kästen ...

Sie kamen mit allem Gerät um die Weihnachtszeit herum, es war eine ganz stattliche Fuhre. Ich stürzte mich auf diese Kästen, aber meine Verwirrung wuchs nur. Überall waren Klappen und Türen und Schlitze und lose Bretter und Gitter und Holzrahmen und Keile – du lieber Himmel, ich würde nie ein perfekter Imker werden! Dies kapierte ich nie!

Um doch wenigstens etwas zu tun, bestellte ich einen Maler. Aus meinen Büchern hatte ich gelernt, daß die Bienen nur ein paar Farben unterscheiden können, nämlich Blau, Gelb, Schwarz und Braun. Und blau, gelb, schwarz und braun ließ ich nun die Beuten anpinseln, damit jede Biene auch ihre Wohnungstür wiederfand. Worauf ich meine Bücher beiseite legte und mit dem Gefühl: »Es wird schon schiefgehen«, das Frühjahr erwartete.

Das Frühjahr kam, und unter den wenigen Völkern, die in den schlechten Beuten den Winter überstanden hatten, brach die Ruhr aus! Es blieb nichts anderes übrig: ich schwefelte alles so teuer Erworbene ab, ich ließ die alten Beuten zerschlagen, ich mußte wirklich ganz von vorn anfangen. Als wir die neuen Beuten in mein schönes Bienenhaus setzen wollten, erwies es sich als zu eng! Tagelang probierten wir, bis wir auf eine brauchbare Lösung kamen, wieder wurde umgebaut. Es mußte ja sowieso gebaut werden, Fenster mußten ins Feldgestein, gerissen konstruierte Bienenfenster aus schönstem Autoglas! Dann setzte ich mich hin und bestellte bei einem wirklichen richtigen modernen Bienenzüchter sechs Völker Bienen der Rasse Sklenar, das Volk zu dreißig Mark.

Sie kamen mit der Bahn, auf dem Fuße folgte ihnen Herr Schuster, sie zogen ein in den Wolfenbütteler Kuntzsch-Zwilling, und nun begann meine Lehrzeit in der Imkerei. Häufiger als dreimal höchstens im Jahr durfte ich den kranken Herrn Schuster nicht bemühen, ich mußte mir selbst helfen! Und ich half mir auch selbst!

Ich sehe mich noch an einem schönen sonnigen Frühlingstage in meinem Bienenhaus stehen, es war noch in der frühen Zeit meines unangebrachten Heroismus, da ich wie Herr Schuster mit nackten Händen arbeitete. Ich habe eine Beute geöffnet, Wabe für Wabe hebe ich heraus, es ist meine Aufgabe, die Königin zu finden, die in einen neuen Brutraum wandern soll.

Das Volk ist noch nicht sehr groß, vielleicht zehntausend Bienen, von denen viele bei dem schönen Sommerwetter außerhalb auf Arbeit sind. Ich weiß schon, daß ich bei den Bienen nie hetzen darf. Von Naturell bin ich ein Hetzer: keine Arbeit kann mir schnell genug gehen. Aber auf dem Bienenstand muß ich mein Naturell bezwingen, arbeite ich hastig, hetze ich, so werden die Bienen sofort wild.

Bisher ist alles gutgegangen, keine Biene hat gestochen. Meine Augen suchen aufmerksam die von Bienen wimmelnden Wabenflächen ab. Für ein ungeübtes Auge ist es gar nicht einfach, die Königin zu finden, wohl ist sie viel größer als die Arbeitsbienen, ihr Leib glänzt stärker, auch sollen die Arbeitsbienen einen Hof um sie bilden.

Aber all das kann ich noch nicht sehen. Geduldig suche ich, aber ich finde die Königin nicht. Und doch muß ich sie finden. Das ist der Sinn, aber auch die Schwierigkeit der Kuntzsch-Imkerei: zu einer bestimmten Zeit muß die Königin gefunden und aus ihrem bisherigen großen Brutraum in einen kleineren gebracht werden. Sonst legt die Gute jeden Tag weiter ihre zweitausend Eier, das Volk würde riesengroß werden, kein Platz bliebe für Honig, das Volk ginge durch seine eigene Größe zugrunde.

Ich habe alle Waben durchgesehen, aber keine Königin gefunden. Die Waben stehen jetzt außerhalb des Stocks auf einem Arbeitstisch. Ich habe gelesen, daß die lichtscheue, ängstliche Königin manchmal von den Waben herunterläuft und sich in einem dunklen Winkel verbirgt. Ich leuchte mit einer Taschenlampe in das schwärzliche Gewimmel: soviel ich sehe, sie ist nicht dazwischen. Aber andere Autoren sagen auch, daß die (lichtscheue, ängstliche!) Königin manchmal hinaus auf das besonnte Flugbrett flieht. Ich verlasse das Bienenhaus und suche auf dem Flugbrett: nichts!

Unterdes erfüllen die von ihrer Honigsuche heimgekehrten Bienen ihre geöffnete Beute und meinen Arbeitsplatz mit ihrem zornigen Gesumm. Sie suchen die Waben, um ihren Honig ablegen zu können, sie haben es eilig, zu neuen Blüten zu fliegen. Sie umschwirren mich wütend, sie wittern in mir den Feind, den Störenfried, aber noch immer hat mich keine gestochen.

(Daß ich es hier beiwegelang sage: es ist natürlich ein Märchen, daß die Bienen ihren Imker kennen. Die Sommerbiene, mit der der Imker zu tun hat, wird etwa sieben, acht Wochen alt. Die längste Zeit davon verbringt sie im dunklen Stock, ohne je mit dem Imker in Berührung zu kommen. In der Hauptzeit hat der Stock zwanzig-, dreißigtausend Bienen, auch mehr. Die meisten von ihnen sehen den Bienenvater nie. Nein, wenn der Imker weniger gestochen wird als andere, so liegt es nur daran, daß er gelernt hat, jede Bewegung zu vermeiden, durch die er die Bienen reizt. Daß er sich vor dem Stich nicht fürchtet, nie nach den Bienen schlägt, nie zuckt.)

Ich muß noch immer meine Königin suchen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muß noch einmal sämtliche Waben nachsehen. Vorsichtig fange ich an. Ehe ich eine Wabe mit der Zange angreife, warte ich ab, bis irgendwo auf dem Rahmen ein freier Platz ist, damit ich auch keine Biene quetsche.

Diesmal habe ich Glück: auf der dritten Wabe schon entdecke ich die Königin. Eilig läuft sie mit ihren langen Beinen über die Zellen fort. Ich verfolge sie mit dem Auge, mein Herz freut sich. Dann setze ich diese Wabe behutsam beiseite. Ich muß nun nach zwei schönen Pollenwaben suchen, dazu eine gute Honigwabe und zwei leere Mittelwände, damit wird das neue Brutnest zusammengestellt.

Als ich die Waben beisammen habe, nehme ich die Wabe mit der Königin, um sie dazu zu setzen. Noch ein Blick darauf, ein Wiedersehen mit der Königin! Ich sehe die Königin nicht! Ich suche, ich suche zwischen dem Bienengewimmel jeden Zentimeter der Wabe ab, ich finde die Königin nicht! Eben war sie noch da, vor drei Minuten war sie noch da, und nun ist sie verschwunden!

Aber das ist doch nicht möglich! ›Ruhig Blut‹, mahne ich mich. ›Denke nach. Du hast die Königinwabe isoliert aufgestellt. Die Königin kann nicht wieder zu den anderen Waben hinübergelaufen sein – wo mußt du sie also suchen?‹

Aber ich bin schon nicht mehr ruhig, ich schwitze am ganzen Leibe! Ich bin nervös! Du lieber Gott, nun suche ich schon eine halbe Stunde nach der Königin! Ich muß sechs Königinnen suchen, und was mehr ist, finden – wie lange soll das denn dauern?! Meine Arbeit lauert auf mich, ich muß mein Tagespensum schaffen, ich kann doch wegen einer dammligen Königin nicht hier stundenlang stehen!

Sie muß gefunden werden, dies ist das eherne Gesetz des Kuntzsch-Imkers! Vielleicht sitzt sie doch auf der Wabe? Vielleicht habe ich sie eben übersehen?

Ich nehme die Wabe in die Zange. Ein zorniges, hohes, schrilles Gesumm: ich habe eine Biene gequetscht! Batsch! habe ich meinen ersten Stich weg! Batsch, meinen dritten, fünften, siebenten ...

Und nun wird es fürchterlich! Immer stärker schwillt das zornige Gesumm der Bienen an, sie stechen mich, daß mir die Tränen aus den Augen laufen. Ich kann nichts mehr sehen auf meiner Wabe. Jetzt sind auch welche unter meinen Schleier gekommen! Batsch! hat mich eine in die Lippe gestochen! Grade in die Innenseite der Unterlippe! Ich werde aussehen –! Batsch! Batsch!! Batsch!!

Nein, das halte ich nicht mehr aus! Dies ist menschenunwürdig, dies ist die pure Viecherei!

Ich setze die Wabe beiseite, lege die Zange hin und verlasse eilig das Bienenhaus. Ich gehe hinunter an den See und stecke meine schmerzenden Hände in das kühle Wasser. Gottlob erinnere ich mich an eine Mahnung Herrn Schusters und ziehe meine Ringe von den Fingern. In zehn Minuten bekäme ich sie nicht mehr herunter, in einer halben Stunde müßten sie mir abgefeilt werden. Heute abend werden meine Hände unförmige Gebilde sein, nicht einmal eine Gabel werde ich zwischen den Fingern halten können!

Mir ist sehr heiß, ich habe Fieber. Bestimmt habe ich vierzig oder fünfzig Stiche abbekommen. Am liebsten machte ich es wie der Maxe und spränge in den See. Aber dann erinnere ich mich des ausgehängten Bienenvolkes. Ich kann es unmöglich so stehen lassen, es wäre zum Tode verurteilt. Und was soll dann weiter aus meiner Imkerei werden, in die ich immerhin schon einige Tausende gesteckt habe? Überhaupt ist das keine Ordnung! Und seufzend gehe ich zurück zum Bienenhaus! Oh, Onkel Herbert! Oh, Maeterlinck. Oh, Gräfin in Hinterpommern! Ach, ihr lieben Bienchen!

Ich habe mir meinen Schleier sorgfältiger umgebunden, über die Hände habe ich Gummihandschuhe gezogen. Beschlossen habe ich, für heute auf die Königinnensuche zu verzichten. Heut' ist kein guter Tag. Ich werde das Volk einfach zurückhängen, Königin hin und Königin her, und morgen noch einmal mein Heil versuchen.

Ich hänge die Waben zurück, ich spare mir jede Suche nach der Königin. Jetzt stechen die Bienen auch schon durch die Hosen, so zornig sind sie, aber so ein paar Stiche sind mir ganz egal. Ich bin völlig abgeklärt, für heute habe ich mit den Bienen Schluß gemacht!

Die Waben wären zurückgehängt. Nun muß ich noch die Häufchen Bienen, die sich in allen möglichen Ecken, verflogen, angesiedelt haben, die an Brettkanten in kleinen Trauben hängen, mit dem Abkehrbesen in den Stock zurückbefördern. Ich bin dabei – und meine Augen weiten sich! Da sitzt ja Madame la Reine, umgeben von einem kleinen Hofstaat von zehn oder zwölf Getreuen! Keine zehn Zentimeter von der Stelle, wo die isolierte Wabe gestanden hat! Natürlich, die stand ihr zu hell, sie hat sich die dunkle Ecke gesucht und mir dadurch eine Musterkollektion von Bienenstichen verschafft!

Aber das ist schon halb vergessen! Neues Leben ist in mich gekommen. Nachgeben? Wir geben nie nach! In drei Minuten habe ich das neue Brutnest aus Pollen- und Honigwaben sowie Mittelwänden zusammengestellt. Einen Augenblick später ist die Königin darauf verschwunden. Aufatmend schiebe ich den Schlitten in den Sechserraum ...

So, das wäre fertig, ich kann mit gutem Gewissen zu meiner Schreiberei zurückkehren. Aber ich habe noch fünf Königinnen zu finden! Auf, mein Sohn, zur nächsten! Und leise seufzend öffne ich die zweite Beute ...

Es war gut, daß ich dabeigeblieben war, denn ein paar Tage lang konnte ich gar nichts tun, weder lesen noch schreiben, noch imkern. Ich konnte nicht einmal meine Hose mehr an- oder abknöpfen, meine dick geschwollenen Finger spürten nichts mehr – in solche Verlegenheiten bringen einen die Bienen! Und meine Unterlippe, ich hatte es ja gleich geahnt! Habe ich mich je über das mongolische Aussehen von Suse lustig gemacht? Meine Unterlippe stülpte sich nach außen, allmählich wurde sie lang und länger, bis sie über mein Kinn wie eine Schleppe fiel.

Welche von den Parzen ist es doch, die mit der Lippe den Schicksalsfaden näßt? Ist es Atropos? Ist es Klotho? Ist es Lachesis? Gleichviel, ich hatte eine Unterlippe, als hätte ich seit Jahrmillionen den Schicksalsfaden der Menschheit genäßt! Niemand konnte mich ansehen, ohne zu lachen! Ich war das Gespött meiner Kinder. Gab ich meinen Haustöchtern ernst besseres Staubwischen auf meinem Schreibtisch auf, so bogen sie sich beiseite, und Kichern wurde laut. Meine Mahlzeiten mußte ich separat nehmen, mit einer Hand hob ich dabei die Unterlippe, stützte sie – und sabberte doch wie ein Säugling! –

Damit der wahre Kuntzsch-Imker nach dem oft gedruckten Satz ›Kuntzsch bleibt Kuntzsch‹ (und wer's nicht glaubt, wird nicht selig), allen Heils der Kuntzsch-Imkerei teilhaftig werde, dürfen seine Bienen nicht schwärmen. Es ist seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, seine Bienen am Schwärmen zu hindern. Also war es auch meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit.

Warum schwärmen die Bienen? Weil sie ein neues Volk begründen wollen, weil die Bienen (wie alles Lebende) sich ausdehnen wollen über die Erde. Heimlich und still haben die Arbeitsbienen sich eine junge Königin herangezogen – darum so heimlich, weil die alte Königin überaus eifersüchtig ist und wissentlich nie eine Rivalin im Stock dulden würde.

Aber nun ist die junge Königin da, und das Unbegreifliche geschieht, statt mit der jungen Prätendentin zu kämpfen, statt sie aus dem Stock hinauszujagen, entschließt sich die alte Königin zum Auszug. Sie verläßt das Haus, in dem sie ihr ganzes Leben verbrachte, sie verläßt ihr Volk, das nur aus ihren Kindern besteht, sie verläßt die gefüllten Honig- und Pollenwaben, sie verläßt Tausende von Kindern, die als Eier, als Larven, als Nymphen noch in den kleinen sechseckigen Zellen der Waben ruhen, und die ihre Mutter nie sehen werden – sie überläßt das alles der gehaßten Nachfolgerin, begibt sich mit einem Teil des alten Volkes auf das Flugbrett und fliegt in die Welt hinaus, einer ungewissen Zukunft entgegen. Jeder Vogelflug gefährdet sie, Unwetter bedroht sie, vielleicht findet sie nie wieder eine so wohnliche, reiche Stätte wie jene, die sie nun verläßt – aber sie geht.

Und mehr noch: sie überläßt auch das alte Volk, das sie aufgibt, einem ungewissen Schicksal, denn ihre Nachfolgerin ist noch Jungfrau, unbefruchtet. Noch muß die Nachfolgerin den Hochzeitsflug unternehmen, bei dem sie nicht weniger Gefahren ausgesetzt ist als die alte Königin, die in die weite Welt fliegt. Vielleicht findet die Nachfolgerin nicht zurück in den Stock, ein Wind verweht sie, ein Vogelschnabel faßt sie – und auch das alte Volk ist mit Untergang bedroht.

Aber der Trieb, das Geschlecht der Bienen auszudehnen, ist mächtiger als alle Gefahren. Die alte Königin hebt sich und fliegt davon. Als sei eine Schleuse geöffnet, stürzen und fallen aus der Luke des Bienenhauses Tausende von Bienen, jene, die nach einem rätselhaften Plan bestimmt sind, der alten Gebieterin zu folgen. Ihre Honigmägen haben sie aus den Vorräten des alten Stocks mit Nahrung für drei Tage gefüllt. In drei Tagen muß das neue Gemeinwesen begründet sein, sonst heißt es wiederum Untergang.

Aber noch fliegt die Königin nicht weit, sie setzt sich auf einen Ast in der Nähe, und in einer dicken Traube sammelt sich ihr Volk um sie. So hängen sie, manchmal nur zwei, manchmal zehn oder zwölf Stunden. Niemand weiß genau, warum die Bienen dies tun. Die einen nehmen an, daß abgewartet wird, bis sich alle Nachzügler aus dem alten Volk herbeigefunden haben. Andere verfechten den Satz, daß jetzt Kundschafter ausgesandt werden, die eine Wohnstatt für das zu gründende Gemeinwesen suchen: einen hohlen Baum, die Ritze einer Felsmauer, eine leerstehende Beute.

Wie dem auch sei: nie würde der Mensch sich die Biene dienstbar gemacht haben, wenn ihr die Natur nicht diesen Trieb mitgegeben hätte, erst einige Stunden in der Nähe der alten Wohnung zu verharren. Dies Warten gab dem Menschen die Gelegenheit, den Schwarm wieder einzufangen, einen neuen Korb, eine neue Beute mit ihm zu füllen, die sonst verflogene Kraft sich dienstbar zu machen.

Denn mit diesem einen Schwarm ist es nicht abgetan, immer neue, jedesmal kleinere, ärmlichere Schwärme entsendet in den kommenden Wochen das alte Volk, in dem irren Triebe, die Biene auszubreiten über die Erde. Bis seine Kraft erschöpft ist, bis nur ein jämmerliches, verarmtes Völklein übriggeblieben ist, das kaum einen Winter überstehen kann.

Da sich nun aber die Bienen erst noch einmal verweilen, fängt der Mensch die Schwärme ein. Er füllt mit ihnen neue Körbe. Die später fallenden kleinen Schwärme steckt er in die Beute zurück, aus der sie gekommen, oder er macht aus drei kleinen Schwärmen ein mittleres Volk ... Gingen die Schwärme gleich viele Kilometer weit hoch in der Luft über das Land, in einen Wald, zu einem Steingeklüft, der Mensch hätte das Nachsehen, und nie würde die Biene sein Haustier geworden sein. Wie der Mensch der Urzeit würde er noch heute den zufällig im Walde entdeckten Schwarm ausräuchern, töten.

Es ist klar, daß solch Schwärmen viel Unruhe in das sonst so arbeitsame Volk bringt. Schon tagelang vorher laufen die Bienen unruhig umher, tragen nicht mehr recht ein – sie gleichen den Menschen, die vom Reisefieber erfaßt sind. Auch gelingt es dem Imker nicht, jeden Schwarm einzufangen. Der Imker kann nicht den ganzen Tag bei seinem Bienenhaus stehen und auf das Schwärmen warten. Oft zögern die Bienen tagelang damit, vielleicht gefällt ihnen das Wetter nicht, irgendwelche Vorbereitungen sind noch nicht getroffen – was weiß ich!

All dies ist unproduktiv, nicht wirtschaftlich, und so geht der Imker darauf aus, das Schwärmen überhaupt zu verhindern. Seine andern Haustiere hat der Mensch in Jahrtausenden einiges lehren können, was von Natur her nicht in ihnen lag: geduldig zieht das junge Pferd bald den Pflug, die Kuh duldet am Euter die melkende Hand.

Die Biene lernt nichts. Sie tut nur das, was die Natur in sie gelegt hat. Was der Mensch von ihr erreichen will, muß er durch List erreichen. Die Bienen sollen nicht schwärmen? Sie wollen es aber! Nun gut, so sollen sie es tun, aber nur dann, wann wir es wollen! Wir bilden künstliche Schwärme, wir machen Ableger und verkleinern so das Volk, das sonst riesengroß würde, das auch bald eine zu alte, unfruchtbare Königin hätte.

Wie der Imker das im einzelnen tut, das steht in dicken Büchern aufgeschrieben, auch hatte es mir Herr Schuster genau erzählt. Ich wußte, was ein ›Flugling‹ und ein ›Fegling‹ war, auch einen ›Trommelschwarm‹ kannte ich, alles Arten von künstlichen Schwärmen. In der Theorie natürlich, in der Praxis sollte ich es nun erproben.

Ich glaubte, alles ganz schön und richtig gemacht zu haben, als mich an einem schönen Junimittag Suse in meiner Schreibstube mit der Botschaft überraschte: »Du, Junge, deine Bienen schwärmen aber! Ein Volk bestimmt!«

»Unmöglich!« rief ich, unmutig aufsehend. »Ich habe doch alle Weiselzellen ausgebrochen!«

(Das sind die Zellen, in denen die Bienen sich junge Königinnen ziehen. Wenn man sie ausbricht, gibt es keine jungen Königinnen, also keine Nachfolgerin für die alte, also kein Schwärmen.)

»Geh man lieber runter und sieh selbst nach!« meinte Suse und verdrückte sich. Ihr gefiel das Aussehen meines Gesichtes nicht. Aber es ist doch wirklich ärgerlich, wenn man sich ein bestimmtes Arbeitspensum vorgenommen hat, und dann stört ein Bienenschwarm! Natürlich war es überhaupt kein Schwarm – alles Weibergeschwätz! Aber ich ging doch hinunter und sah nach.

Sie schwärmten, das heißt, das eigentliche Schwärmen war schon vorbei, sie hingen in einer dichten, sehr großen Traube beisammen – ein Bombenschwarm! Aber wo hingen sie?

Ja, liebe Leute, so geht es einem Schriftsteller, der immer zu viel vorhat und dem die Zeit stets knapp ist! Vor meinem Bienenhaus stehen an die zwanzig Obstbäume, Halbstämme, gut mannshoch, schon mit hübschen Kronen, weitläufig über eine grüne Graskoppel verteilt. Und das ganze Jahr, das Onkel Herbert die Bienen betreute (seine Bruchbienen!), hatte sich jeder seiner gesegneten Bienenschwärme ganz gehorsam an einen dieser Buschbäume gehängt.

Das war nun die einfachste Geschichte von der Welt. Man nahm einen leeren Bienenkorb, ging zu dem Buschbaum, hielt den Korb mit der offenen Seite unter die Traube, schlug mit der Faust ein paarmal kräftig gegen den Ast, an dem die Traube hing, und die Bienen stürzten nur so in den Korb! Nun setzte man ihn unter die Schwarmstelle, langsam sammelten sich im Lauf des Tages alle Schwarmbienen um ihre Königin in den Korb, abends in der Dämmerung trug man den vollen Korb ins Bienenhaus und schlug den ganzen Schwarm in die nächste Beute ein. Wirklich, die einfachste Sache von der Welt, grade die richtige Kost für einen Imkerlehrling! So war es immer bei Onkel Herbert gegangen – und wie ging es nun bei mir?

Hinter dem Bienenhaus, auf seiner anderen Seite, fern den Fluglöchern, gar nicht sichtbar von ihnen aus, stehen alte, gut vierzigjährige Obstbäume, Äpfel und Birnen, und zwar keine Halbstämme, sondern Hochstämme, stattliche Knaben. Aber der Riese unter ihnen ist ein alter Gravensteiner, ein wahrer Vater und Großvater der Äpfel, mit gewaltiger, hoher, dichtverzweigter Krone!

Und wo hatte sich mein Schwarm angesetzt? Natürlich nicht an den bequemen ebenerdigen Halbstämmchen, sondern an meinem Großvater Gravenstein, und auch da gleich mindestens im dritten Stock! Ich legte den Kopf in den Nacken und sagte: »Es ist ja wohl nicht möglich! Erstens schwärmen, wo ich jede Weiselzelle ausgebrochen habe! (Ich muß doch wohl eine übersehen haben!) Und dann gleich in den höchsten Baum. Und nun nicht etwa an einen kräftigen Ast, nee, ausgerechnet an so ein dünnes Dingsel, das schon ganz krumm gezogen ist von dem Gewicht der Traube – vier, fünf Pfund hat die bestimmt! Und da soll ich die runterholen – heiliger Herr Zebaoth, das ist auch eine Vormittagsbeschäftigung! Von mir aus kann die ganzen Bienen der Teufel holen – verdammter Onkel Herbert, mir solche Suppe einzubrocken!«

Aus der Ferne, von ihrem Wäscheplatz her, rief Suse mit all dieser verfluchten, triumphierenden, giftigen Weibersüße in der Stimme: »Na, schwärmen deine Bienen?«

»Weißt du, du kannst mir mal was!« schrie ich, plötzlich rasend vor Zorn. »Hältst du mich eigentlich für einen Idioten?! Was denkst du denn, was die Bienen machen? Schulausflug, ja? Kindergottesdienst, wie? Hilf mir lieber die Obstbaumleiter hoch!«

Aber Suse war längst verschwunden, ich mußte mir meinen Viehfütterer holen. Es ist schon keine Kleinigkeit, eine Zehn-Meter-Leiter an eine dichte Krone zu bringen, und nun auch noch genau an eine Stelle, von der aus ich den Schwarm erreichen konnte.

»Verdammt kipplig!« sagte ich und schüttelte an der Leiter, während mir der Schweiß von der Stirn triefte. »Daß auch nicht ein dicker Ast in der Nähe ist!«

»Ich werde die Leiter halten!« schlug der Mann vor.

»Ach was!« sagte ich. »Machen Sie bloß, daß Sie wegkommen! Sie wissen doch: das Bienchen ist kein Kaninchen – es sticht nämlich! Ich kann hier keinen Zukieker brauchen!«

Allein geblieben, legte ich meine Kriegsrüstung an. Ich band die Hosen unten zu, zog Gummihandschuhe an und setzte meinen Imkerhut auf. Ein Imkerhut ist so was wie ein sehr breitrandiger Sombrero aus Leinen. Man hängt den Gazeschleier über ihn, und der breite Rand macht es, daß einem die Gardine nicht direkt vor Nase und Augen hängt, sondern schön luftig weit ab – eine sehr praktische Einrichtung!

Erfahrene Imker werden natürlich lächeln, daß ich mich zum Einfangen eines Schwarms so ausrüstete. In allen Büchern steht's geschrieben, daß ein schwärmendes Volk friedlich ist und nur selten sticht, wahrscheinlich sind die Bienen an diesem Tage zu sehr mit Zukunftssorgen beschäftigt. Aber ich hatte angefangen, den Büchern zu mißtrauen. Bei mir machten die Bienen immer alles anders, als in den Büchern stand. Ich machte meine schlechten Erfahrungen lieber allein!

Gewappnet ergriff ich den Bienenkorb und setzte seufzend den Fuß auf die Leiter. All meine Jungensjahre bin ich vom Turnunterricht dispensiert gewesen, und heute, da ich ein Fünfziger bin, schwärme ich erst recht nicht für Turnen. Zehn Meter ist eine gewaltige Höhe, wenn man sie eine schwankende Leiter hochklettern soll, nur mit einer Hand als Stütze, denn in der anderen hielt ich ja den Bienenkorb! Und auch nicht einfach so eine glatte Leiter hochklettern, ach, kein Gedanke! Es ging ja mitten durch die Krone, ich mußte mich durch Geäst zwängen, und war ich glücklich durch, hing sicher mein Korb irgendwo fest!

Ich war die Leiter noch nicht halb hoch, da zitterten meine Knie, das Hemd klebte mir auf dem Buckel, und ich dachte: ›Ach, schöne Welt! In was für Gefahren bringst du deine Menschen! Sitzen sollte ich und Roman schreiben, der mir viel schönes Geld bringen wird, und hier steige ich für einen Bienenschwarm im Werte von zehn Mark in die Luft und gefährde dabei Glieder und Leben!‹

Weiter! Höher hinauf! Die Leiter wackelt bedenklich, und ich wackele noch viel bedenklicher mit! Wieder muß ich mich durch so ein Astgewirr zwängen, unten blitzt blau der See, über mir, schon nicht mehr sehr ferne, brausen die Bienen. Da erhascht es meinen Imkerhut, irgend so ein sperriger Ast reißt ihn mir halb vom Kopf!

Ganz so praktisch sind die Dinger also doch nicht – wenigstens nicht für diesen Zweck! Der Rand ist viel zu breit, man bleibt überall damit hängen. Aber jetzt noch einmal runtersteigen und statt des Hutes eine Kappe aufsetzen? Nicht zweimal klimme ich diese Leiter empor! In den dicksten Büchern steht es geschrieben: beim Schwärmen sind die Immen stechfaul. Also werde ich es wagen, wenn jetzt das Gesicht auch so gut wie ungeschützt ist!

Ich klimme weiter empor – der Mensch ist eben ein hartnäckiges Tier: ein Maulesel ist die verkörperte Sanftmut gegen mich!

Da hängt nun also die Traube! Groß und schwer, ein goldigschwarzes Gewimmel, ein schöner Anblick, doch, doch! Friedliches Brausen erfüllt sanft mein Ohr. Und so was soll ich wegfliegen lassen? Nie! Der Schwarm hat sich schon einigermaßen beruhigt, nur wenige Bienen fliegen noch aufgeregt um ihn, fast alle sitzen schon übereinander.

Nun kommt das Schwerste! Ich muß mit beiden Händen die Leiter Hosen unten zu, zog Gummihandschuhe an und setzte meinen Imkerhut auf. Ein Imkerhut ist so was wie ein sehr breitrandiger Sombrero aus Leinen. Man hängt den Gazeschleier über ihn, und der breite Rand macht es, daß einem die Gardine nicht direkt vor Nase und Augen hängt, sondern schön luftig weit ab – eine sehr praktische Einrichtung!

Erfahrene Imker werden natürlich lächeln, daß ich mich zum Einfangen eines Schwarms so ausrüstete. In allen Büchern steht's geschrieben, daß ein schwärmendes Volk friedlich ist und nur selten sticht, wahrscheinlich sind die Bienen an diesem Tage zu sehr mit Zukunftssorgen beschäftigt. Aber ich hatte angefangen, den Büchern zu mißtrauen. Bei mir machten die Bienen immer alles anders, als in den Büchern stand. Ich machte meine schlechten Erfahrungen lieber allein!

Gewappnet ergriff ich den Bienenkorb und setzte seufzend den Fuß auf die Leiter. All meine Jungensjahre bin ich vom Turnunterricht dispensiert gewesen, und heute, da ich ein Fünfziger bin, schwärme ich erst recht nicht für Turnen. Zehn Meter ist eine gewaltige Höhe, wenn man sie eine schwankende Leiter hochklettern soll, nur mit einer Hand als Stütze, denn in der anderen hielt ich ja den Bienenkorb! Und auch nicht einfach so eine glatte Leiter hochklettern, ach, kein Gedanke! Es ging ja mitten durch die Krone, ich mußte mich durch Geäst zwängen, und war ich glücklich durch, hing sicher mein Korb irgendwo fest!

Ich war die Leiter noch nicht halb hoch, da zitterten meine Knie, das Hemd klebte mir auf dem Buckel, und ich dachte: ›Ach, schöne Welt! In was für Gefahren bringst du deine Menschen! Sitzen sollte ich und Roman schreiben, der mir viel schönes Geld bringen wird, und hier steige ich für einen Bienenschwarm im Werte von zehn Mark in die Luft und gefährde dabei Glieder und Leben!‹

Weiter! Höher hinauf! Die Leiter wackelt bedenklich, und ich wackele noch viel bedenklicher mit! Wieder muß ich mich durch so ein Astgewirr zwängen, unten blitzt blau der See, über mir, schon nicht mehr sehr ferne, brausen die Bienen. Da erhascht es meinen Imkerhut, irgend so ein sperriger Ast reißt ihn mir halb vom Kopf!

Ganz so praktisch sind die Dinger also doch nicht – wenigstens nicht für diesen Zweck! Der Rand ist viel zu breit, man bleibt überall damit hängen. Aber jetzt noch einmal runtersteigen und statt des Hutes eine Kappe aufsetzen? Nicht zweimal klimme ich diese Leiter empor! In den dicksten Büchern steht es geschrieben: beim Schwärmen sind die Immen stechfaul. Also werde ich es wagen, wenn jetzt das Gesicht auch so gut wie ungeschützt ist!

Ich klimme weiter empor – der Mensch ist eben ein hartnäckiges Tier: ein Maulesel ist die verkörperte Sanftmut gegen mich!

Da hängt nun also die Traube! Groß und schwer, ein goldigschwarzes Gewimmel, ein schöner Anblick, doch, doch! Friedliches Brausen erfüllt sanft mein Ohr. Und so was soll ich wegfliegen lassen? Nie! Der Schwarm hat sich schon einigermaßen beruhigt, nur wenige Bienen fliegen noch aufgeregt um ihn, fast alle sitzen schon übereinander.

Nun kommt das Schwerste! Ich muß mit beiden Händen die Leiter Nach drei Minuten lege ich den Halter aus der Hand. Ich kann es einfach nicht verantworten, die Bienen da hängen zu lassen, einen so wunderbaren Schwarm, einem fast sicheren Untergang ausgeliefert. Wieder schleiche ich mich zum Bienenhaus. Jawohl, der Korb ist leer, oben an der alten Stelle hängt wieder die Traube. Die sind bequemer hochgekommen als ich! Ich rüste mich, diesmal aber mit enger Kappe, und steige wieder die Leiter hinauf.

Was soll ich noch viel erzählen? Dreimal bin ich in den Wipfel des Gravensteiners hinaufgestiegen und habe den Bombenschwarm heruntergeholt, und dreimal ist er mir wieder weggeflogen, das letztemal auf Nimmerwiedersehen! Und das war erst der Anfang in diesem Jahr! Lieber Leser, jetzt will ich dir etwas gestehen, was ich nicht einmal meinem treuen Berater, Herrn Schuster, gestanden habe: in diesem Jahr hatte ich bei der kuntzschischen schwarmfreien Betriebsweise einundzwanzig Schwärme, Vorschwärme, Nachschwärme. Ich hatte alle Arten von Schwärmen, die es gibt, und dann hatte ich noch die Schwärme, die es überhaupt nicht gibt, von denen kein Buch erzählt, von denen kein Imker weiß.

Und von all diesen einundzwanzig Schwärmen hat sich nicht einer an einen Halbstamm angelegt, sie alle gingen nur in die höchsten Baumwipfel! Immerzu zog ich mit der langen Baumleiter um. Fluchend, stöhnend, meine Hausgenossen bedrohend, aber beharrlich stieg ich in den Bäumen herum, bis sich schließlich meine Völker kahl und arm geschwärmt hatten, bis aus den Bombenschwärmen kleine Schwärmlein geworden waren, kaum größer als eine Kinderfaust.

Aber all dies, und manche Enttäuschung noch, hat mich nicht entmutigen können. Ich grübelte über den Fehler nach, den ich gemacht haben mußte, und ich fand meinen Fehler. Im nächsten Jahr würde ich es besser machen, und im nächsten Jahr machte ich es besser. Im nächsten Jahr erntete ich schon über zwei Zentner Honig!

Heute, da ich diese Zeilen schreibe, am 20. April des Kriegsjahres 1942, bin ich in das dritte Jahr meiner Imkerei eingetreten. Heute habe ich die Frühjahrsrevision meiner Bienen abgehalten. Ein schwerer, sehr langer Winter liegt hinter uns, oft habe ich mich sorgenvoll gefragt: werden meine Bienen auch nicht erfrieren? Werden sie auch nicht verhungert sein?

Beute für Beute habe ich geöffnet, Wabe für Wabe habe ich in die Zange genommen und betrachtet. Mein Herz ist von Glück erfüllt: alle meine Völker leben, sie haben Vorrat noch an Honig und Zucker, sie haben Vorrat genug an Honig und Zucker. Jetzt fangen sie schon an, Blütenstaub von dem Krokus und den Kätzchen einzutragen. Und mehr noch: ihre Königinnen sind gesund und stark, in jedem Volk fand ich Eier, Larven, Nymphen ... Ich sah schon verdeckelte Brut, ich sah auch junge Bienchen, die eben den Deckel ihrer sechseckigen Wiege zernagt hatten und nun hervorkrochen, noch grau und zerknittert ... Welch seltsames Glück! Was ist es denn, das einem das Herz schneller klopfen macht, wenn man das Gesicht über die von fremdem Leben wimmelnde Wabe neigt, dieses Gesicht, von dem die Tiere nichts wissen –? Wie ein bleicher Mond ist es über ihnen.

Es kann nicht die Freude darüber sein, daß solch starkes Volksgewimmel eine gute Honigernte verspricht, so materiell klopft mein Herz nicht. Und es kann nicht die Zärtlichkeit sein, die jeder Mensch für ein hilfloses Wesen hat, das er betreut, sei es nun ein Kind oder ein Tierjunges. Denn die Bienen sind nicht hilflos, nicht in dieser Art lassen sie sich betreuen.

Viel weiter her, aus viel tieferen Gründen des Seins muß dieses Glück kommen. Neigt vielleicht zu dieser Stunde Gott sein Antlitz über die Wabe Welt, sieht wimmelndes Leben, und lächelt – von ferne? Ach, es ist ein seltsam seliges Glück, ein bißchen Herrgott zu sein – über einer Bienenwabe!

Lieber Onkel Herbert, der du nun schon ein Jahr in griechischer Erde ruhst, du mein erster und einziger Gärtner – ich danke dir für die Bienen, die du mir aufgezwungen hast!


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