Zur Jugendgeschichte des Johannes von der Ostsee
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NEUNTER BRIEF

Danzig an der Lestadia, Weihnachten 1784

Nunmehr geht es immer besser mit mir. Ich mache gute Fortschritte im Englischen, und neulich hat mir Herr Drommert eine Übersetzung aufgegeben. Das Buch heißt “Ossian”,Die 1761-1765 veröffentlichten Werke des schottischen Dichters James Macpherson (1736-1796), die dieser als Übersetzungen von Gesängen des sagenhaften keltischen Barden Ossian ausgab., war auch leicht zu verstehen; aber ich besitze es nicht selbst. Indes hab ich es abgeschrieben und so mein Glück daran versucht. So soll mir meine Arbeit auch ziemlich geraten sein; denn, wie sie daran gekommen, hat mich Herr Drommert so dafür gelobt, daß ich darüber fast rot geworden bin. Vollends, wie er versichert’, ich hätt in Versen geschrieben und so, daß keiner von den übrigen es ebenso gut zu machen imstande wäre: da sind mir fast vor Freuden die Augen übergegangen; die Patriziersöhne aber haben geguckt, nicht anders, als ob sie mich mit ihren Blicken durchbohren wollten. Und dabei hat es mein Lehrer keineswegs bewenden lassen, sondern er ist auch spornstreichs und mit dem Aufsatz in der Hand zu Herrn M., dem ersten Pastor von St. Petri-Kirche, gelaufen; der hat mit meinen Eltern gesprochen, und nun heißt es für ganz gewiß, daß ich künftigen Johannis zu St. Peter in die Schule gehen und Theologie studieren soll.

ZEHNTER BRIEF

Lestadia, den 1. August 1785

Liebster Herr Vetter!

Ich gehe nun schon ein Vierteljahr zu St. Peter, beim Herrn Rektor Payne, in die Schule. Es ist ein guter Mann, nur ein bißchen akkurat, besonders wenn das Schulgeld nicht auf dem Punkt da ist. Da rumort er auf dem Katheder wie nichts Guts und wirft die Bücher durcheinander, daß ich immer denke, er wird mir noch eins an den Kopf werfen. Für den überschickten Dukaten danke dem Herrn Vetter ergebenst. Er kommt mir recht zupaß. Johannis ist nicht weit und das große Examen zu St. Peter vor der Tür. Da müssen wir nun die Schule mit rotem Scharlachtuch ausschlagen lassen, auf unsere Kosten, und jeder Primaner muß sich noch einen blauen Mantel anschaffen, mit gesticktem Kragen und goldenen Lützen. Mir stehen die Haare auf dem Kopfe zu Berge, wenn ich daran denke, wo ich all das Geld dazu hernehmen soll. Apropos! jetzt hab ich schon selbst drei Informationen. Was ich bei Tag versäume, das hole ich bei Nacht wieder ein. Da trink ich Kaffee und stelle, um wach zu bleiben, die Füße in kalt Wasser, und da muß ich sagen, daß das ein recht probat Mittel ist, um wach zu bleiben.

Der ich die Ehre habe usw.

EILFTER BRIEF

Lestadia 1785, am Tage Simon Judä

Neulich begegnete ich auf dem großen Kirchsteig von St. Peter unserm Herrn Kirchvorsteher. Es war Sonnabend nachmittag, und die Herren von der Gemeinde sollten eben auf der Schule zusammenkommen. Da mein Vater nun, wie sie es nennen, Besucher ist, und was arme Kinder von der Gemeinde sind, für deren Kleidung zu sorgen hat, so kennt ihn der Herr Kirchvorsteher gar genau. Deswegen rief er mich an und tat die Frage an mich, ob es denn wahr sei, daß mich mein Vater Theologie studieren lasse. Und ich erwiderte ihm darauf geziemend, mit einem höflichen Bückling, auch mit entblößtem Haupte: “Ja, mit Ewr. gestrengen Herrlichkeit Wohlvernehmen.” Darauf fuhr er fort: “Wie? ohne Geld?” Und dann, nach einer Pause, setzte er vor Erstaunen und wie jemand, dem, weil er dick ist, das Reden sauer wird, die Worte hinzu: “Und nachher?” – “Da gedenk ich, mit Ewr. gestrengen Herrlichkeit Wohlvernehmen auf das hiesige Gymnasium zu gehen.” – “Und nachher?” – “Da will ich die Universität besuchen.” – “Und nachher?” – “Da will ich Kandidat werden.” – “Er ist ein einfältiger Mensch!” – “Ja, mit Ewr. gestrengen Herrlichkeit Wohlvernehmen; aber eben deshalb will ich studieren, um es nicht zu bleiben.” Ich konnte merken, daß den Herrn Kirchenvorsteher diese Antwort verdroß; denn er wandte mir alsbald den Rücken und ging davon. Ich aber blieb ganz verwirrt stehen und sah ihm mit betrübten Augen nach. Und der Junge des Totengräbers Balthasar, der am Kirchsteige wohnt, und, weil er über der Tür lag, alles mit angehört hatte, lachte mich laut aus, Und ich wußte nicht, vor Scham und Verdruß, wo ich mein Gesicht verbergen sollte. Aber, liebster Herr Vetter, wie kann man nur gegen jemanden, dem man nichts gibt, bloß deshalb, weil man selbst viel Geld und er keins hat, so übermütig sein? Dies Gespräch hat mich so in mich gekehrt, daß ich darüber, als ich zu Hause gekommen bin, die bittersten Tränen vergossen habe.

Der ich die Ehre habe usw;

ZWÖLFTER BRIEF

Klosterhof von Grau-München 1785,
am Tage der Heiligen Drei Könige

Gestern, liebster Herr Vetter, kam der Famulus die Treppe vom Pilatium herunter und teilte unter Sekundanern und Primanern, im Kreuzgang, gedruckte ZetteI aus. Da ich mir auch einen ausbat und ihn auch erhielt, sah ich, daß es ein Lektions-Katalogus war. Darauf stand die Zahl der Kollegien, die Professoren, die sie lesen würden; wie, wo, wann; kurz, alles haarklein. Unter andern kündigte auch ein Herr Professor K, der sich als Professor poeseos unterschrieben hatte, für das künftige halbe Jahr ein Collegium Stili an. Das freuete mich nun über die Maßen, daß ich doch wieder was von der Dichtkunst hören sollte, auf die ich mich immer mit so großem Eifer gelegt hatte, besonders, da, wie es schien, Philosophie und Vernunftlehre in einem und dem andern Stücke mir wohl noch zu schwer sein möchte. Denn wie ich tags zuvor in Erfahrung gebracht, so hatte sich dem Herrn Professor S. die Kantische Philosophie, die er las, auf die Nerven geworfen, und die Ärzte versichern im ganzen Ernst, daß er daran gestorben sei. Wenn das nun dem Professor selber begegnet, so läßt sich an den Fingern abnehmen, was wir als Studenten zu erwarten haben. Doch wieder auf den Professor der Poesie zu kommen, so ging ich den andern Tag, früh um zehn Uhr, wie er die erste Stunde las, hin und hospitierte bei ihm. Ich hatte vor Freuden die Nacht kaum schlafen können; aber mir war wunderlich genug zumute, als mein Traum nun in Erfüllung ging und ein langer, hagerer Mann, während ich dasaß, in einem blauen Plüschrock ins Auditorium trat, sich aufs Katheder setzte und mit hohlen Augen und einer noch hohlern Stimme einiges aus seinem Hefte vorlas, wobei er beständig an seinem Stockknopfe sog. Schon hier dachte ich bei mir selbst: der sieht gar nicht aus wie ein Professor der Dichtkunst; aber ich faßte mir jedoch ein Herz und ging, da die Stunde aus war, zu ihm. Er bewohnt ein Haus auf dem Klosterhof, ganz zuletzt, und dem Wall zu. Nach einem höflichen, aber sehr trockenen und ernsten Empfang von seiner Seite entdeckte ich ihm von der meinigen erst die Freude meines Herzens, die ich darüber verspürte, daß er Professor der Dichtkunst sei, und dann die Hoffnung, der ich Raum gab, weil ich selbst einige Stärke in diesem Fach fühlte, unter seinen Auspizien gute Fortschritte darin zu machen. Aber hilf Himmel! was für ein Gesicht, das er bei diesen Worten aufzog! Er versicherte mich, daß er schon fünfzehn oder achtzehn volle Jahre Professor der Dichtkunst sei, aber Gott solle ihn bewahren, daß er je in seinem Leben einen Vers gemacht. Auch habe er seine Herren Zuhörer immer davor gewarnt, weil eine lange und vieljährige Erfahrung ihn gelehrt, daß aus Menschen, die sich dem Versemachen ergäben, in der Regel nichts als Taugenichtse würden.

Ich stand vor ihm, wie vom Blitz gerührt, und seitdem ist es mir immer, wenn mich jemand frägt, ab ich auch Verse mache, nicht anders zumut, als ob ich ihm antworten müßte: “Gott behüte, so gemein habe ich mich nie gemacht!” Aber sagen Sie selbst, liebster Herr Vetter, ob es nicht kurios ist, ein Professor der Vernunftlehre, dem sich die Philosophie auf die Nerven wirft, und ein Professor der Dichtkunst, der die jungen Leute warnt, daß sie keine Verse machen!

Der ich die Ehre habe usw.


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