Max Eyth
Der Waldteufel
Max Eyth

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Fünfter Akt.

1. Szene.

Salon in der Vogtei. Die Haupteingangstür befindet sich auf der rechten Seite, links und im Hintergrund Nebentüren.

Emilie, ängstlich, aufgeregt, zieht Minchen ins Zimmer.

Minchen. Sind wir sicher hier?

Emilie. Sicherer als im Gang draußen. Aber ich kann's fast nicht glauben!

Minchen. Ich bin nur herübergeflogen. Es wäre nicht gut, wenn mich deine Tante hier fände.

Emilie. Bleib nur einen Augenblick! Sie ist zu Starkers hinunter und der Vater kleidet sich an. Sie ist wie Quecksilber heut': sie kann keinen Augenblick auf einem Platz bleiben. Jetzt begreif' ich, warum. O, wenn nur der Tag vorbei wäre!

Minchen. Mut, Mädchen, Mut! Du bist doch sonst nicht so verzagt. Heut' gilt's unser Höchstes!

Emilie. Ich kann nicht helfen, daß mir das Herz im Leibe zittert. Er will also kommen und dem Vetter mit ihm?

Minchen. In einer Stunde, – so früh als nur möglich. Unser Hansel ist nach Waldeck gerannt, um die alte Staatskarosse zu holen, die vom vorigen Fürsten noch dort steht. Wenn er nur den Verwalter gleich findet!

Emilie. Und er wollte nicht? Er dachte, es sei nicht ehrlich?

Minchen. O, er wollte geschwind genug, wie ich's ihm explizierte.

Emilie (nachdenklich, dann heftig). Es ist nicht recht! – Er fühlte es und ich soll Ja dazu sagen? – Es ist nicht recht!

Minchen. Aber 's ist recht, daß wir alte Jungfern werden?

Emilie. Du? Um dich handelt sich's ja gar nicht. Da Hab' gute Ruh'! Du wirst deiner Lebtag keine!

Minchen. Oder daß wir ihn versauern lassen als einen langweiligen Hagestolz, und meinen Vetter dazu?

Emilie. Aber er wollte nicht; o, ich versteh' ihn so ganz!

Minchen. Ja, Schatz, wenn wir mit dieser Art Männer warten wollen, bis sie uns heiraten, da können wir lang warten. Die müssen wir heiraten.

Emilie. O Minchen!

Minchen. Wart nur bis heut' abend! Da machen wir andere Gesichter! 's ist alles im schönsten Zug und der liebe Gott wird schon ein Auge zudrücken und seinen Segen dazu geben. Eins nur versteh' ich nicht: wie der Starker noch gestern nacht nach deinem Heinrich fragen mochte.

Emilie. Das kann ich begreifen und erklären. Aber wo ist er denn? Es ist ihm doch kein Unglück zugestoßen?

Minchen. Er könnte nicht besser aufgehoben sein. Aber erklär einmal –

Emilie. Du weißt, wie ich meinem Heinrich hinaushalf – (plötzlich betroffen) um Gottes willen, die Leintücher!

Minchen. Was hast du?

Emilie. Ums Himmels willen, – wenn sie jemand findet! Sie hängen noch am Fensterkreuz im Herrenstübchen!

Minchen. Du gehst doch alle Donnerstage in den Missionskranz und hast auch gar kein Gottvertrauen, Mädchen! Aber weiter!

Emilie. Nun unten fingen die andern mit ihm Händel an, daß ich in meiner Angst alles Wasser in der Stube auf sie hinunterschüttete.

Minchen. Das half nichts, gutes Kind! Das glaub' ich wohl.

Emilie. Ich hätte die Waschschüssel und den Stuhl und alles auf sie hinabgeworfen, aber da hört' ich Starker kommen und hatte gerad' noch Zeit, mich ungesehen davon zu machen. Was könnt' ich tun? Ich hatte gehört, wie der Baron meinen Heinrich heute früh totschießen wollte, und wie mein Heinrich natürlich verspricht, präzis zu kommen. – O, in manchen Dingen ist mein Heinrich so dumm!

Minchen. Es war ganz recht; so soll ein Mann sein.

Emilie. Dann schick deinen Vetter das nächste Mal! Aber ich wußte mir nicht anders zu helfen und schrieb einen Brief an den Vater – natürlich inkognito, wie er sagt –, und schrieb: er solle den Blumenreich arretieren lassen. Aber die Tante merkte was.

Minchen. Ah, so war's, und da gerieten sie dir an den Falschen! Da hast du etwas Schönes angestellt! Ja, wenn man nicht für euch sorgt, wird aus euch zweien nie Eins, Kind! Aber sei ruhig, ich will sorgen und denken und schaffen; der Starker ist wohl aufgehoben, und eh' die Staatskarosse mit unsrem Fürsten vor der Vogtei steht, lass' ich den dummen Tölpel nicht los. – Es kommt jemand.

Emilie. Was sind wir dir nicht schuldig!

Minchen. Das wollen wir am Hochzeitstag ausrechnen. Schnell einen Kuß für deinen Heinrich! Sei tapfer!

Emilie. Dort hinaus! O, wenn ich dein Herz im Leib hätte!

Minchen. Das deine ist gut genug, mein Liebling! Besonders wenn dein Heinrich in manchen Dingen so dumm ist!

Emilie. Er soll ums Himmels willen nicht zu spät kommen, Minchen!

Minchen. Aber – »'s ist ja nicht recht!«

Emilie. O du gottloses Geschöpf! Dir geht's gewiß noch recht schlecht.

Minchen. 's geschäh' meinem Weller recht. Er hat mich auch eine Ewigkeit warten lassen!

(Beide eilig ab durch eine Seitentüre.)

2. Szene.

Pflichterer (in Staatsuniform, den Degen an der Seite).

Pflichterer. Emilie! – Emilie! – Draußen ist sie! Läuft denn heute alles davon? Vom Starker läßt sich keine Spur finden, die Tante fegt im Haus herum, als seien wir im Türkenkrieg, und mich läßt jedermann allein.

Ei – sieh doch! Da hat die Tante eine Flasche Malaga stehen lassen; die Himmel bewegen sich! O Gott, wenn die Not am größten ist, – (er trinkt und leert die Flasche während des folgenden Monologs)

Na, wer weiß! Wenn's zum Schlimmsten kommt, – er kommt vielleicht heute gar nicht. Ich muß sagen, nach dem Malaga ist mir doch viel besser. Noch ein Gläschen! – Die Tante ist doch eine vortreffliche Frau und heute merkt sie's nicht. – Und wenn er kommt, – ich habe 45 Jahre – ja, ja, heut' sind's 45 Jahre – mein Amt treu und redlich verwaltet, das muß mir selbst der rote Rohmätsch nachsagen, der den badischen Feldzug mitgemacht hat, der Narr!

's ist die Uniform, ich glaub', 's ist die Uniform! Ich fühle mich jünger als vor fünf Jahren an Seiner höchstseligen Durchlaucht Namenstag nach dem Kasinoessen. Riechen kann er's nicht, das Defizit, denkt die Tante, und wenn's heut abend noch nicht gefunden ist, lass' ich's den Federleicht am Ende doch drauflegen; – hm, ich denk', ich tu's; einmal ist keinmal. Mir wird so leicht; 's muß die Uniform sein! (Trinkt wieder.)

Da ist nun freilich der Affentreiber und das Tier! Aber wenn's nur halbwegs wahr ist, was man von Seiner Durchlaucht sagt, machen sie sich wenig aus wilden Tieren, und wenn sie vollends hören, wie mutig seine Behörden in Waldhausen dem Unfug gesteuert, – wer weiß? – in der Uniform nehm' ich mich stattlich genug aus. – Hm – was sagt Herr von Blumenreich? »Einem Amtsrichter stehen die Pforten zu den höchsten Ehren offen«, – ah, – (ruft) Emilie! – da fällt mir ein, – ja, ja, jetzt oder nie! – Wenn ich's jetzt nicht tu', geht mir's wieder wie mit den Gänsen; – Emilie!

3. Szene.

Pflichterer. Stolz auf sein Amt, das er 45 Jahre lang ehrlich verwaltet! stolz auf seine Uniform, die er mit Ehren getragen! stolz auf seinen Fürsten, dem er rühmlich gedient, – (plötzlich Emilie zärtlich umschließend) stolz auf sein Kind, sein einziges Kind!

Emilie. Mein bester Vater!

Pflichterer. Sieh, wir werden älter!

Emilie. Gewiß, mit jedem Tag, aber –

Pflichterer. Ich werde älter.

Emilie. O denke nicht daran! Was sind 45 Jahre, wenn du noch dein gutes Herz für dein Kind hast?

Pflichterer. Du wirst älter, Kind, und wirst bald merken, was 45 Jahre sind. Freilich, daran denkt so ein Mädchen nicht. Aber die Tante sagt: ich soll mit dir sprechen.

Emilie. Das versteht die Tante besser. Warum sollst du denn mit mir darüber reden?

Pflichterer. Du kindliches Gemüt, merkst du denn gar nichts? – Aber sie sagt, es müsse sein, und sie muß es wohl wissen; denn deine Tante, Emilie, ist eine treffliche Frau. Hast du je schon über die Bestimmung der Frau nachgedacht?

Emilie. Der Tante? O, schon sehr oft.

Pflichterer. Ach nein! – des Weibes, die Bestimmung des Weibes, Ich will dir doch gleich heute nachmittag ein Buch geben: die Bestimmung des Weibes. – (Für sich.) Du meine Güte, wie soll ich's ihr beibringen?

Emilie. Interessant kann das kaum sein.

Pflichterer. O sehr! – ich hab's oft und viel gelesen und hab's auch deiner seligen Mutter gekauft. Ach, wenn wir die jetzt dahätten!

Emilie (wehmütig). Ja, dann wäre vieles anders!

Pflichterer. Sie war dir so ähnlich; sie war so sanft. Gar nicht wie manche andere treffliche Frau.

Emilie. O, ich weiß, – es träumt mir manchmal von ihr. Besonders, wenn ich bekümmert bin; besonders gegenwärtig.

Pflichterer. Aber du kannst dich doch kaum erinnern, wie sie aussah, als ich sie heiratete.

Emilie. Aber, bester Vater, damals war ich ja noch gar nicht auf der Welt!

Pflichterer. Natürlich! Aber damals heiratete ich sie und sie war ungefähr in deinem Alter.

Emilie. Sie war, glaub' ich, ein Jahr oder zwei älter, als ich jetzt bin, die Tante sagte mir's neulich.

Pflichterer. Nun ja, das macht aber nichts aus. Sieh, liebes Kind, die Tante will nun durchaus, daß ich mit dir sprechen soll, und ich sehe es ein und du wirst es später auch einsehen. – Du bist, wenn du willst, nur noch ein Jahr jünger als deine gute Mutter –

Emilie. Aber, bester Vater, was willst du denn eigentlich?

Pflichterer (mit überströmender Innigkeit). Nein, laß dir einen Kuß geben, – ich will mit dir sprechen, wie mir's ums Herz ist, an dem nur noch du einen Teil hast, seitdem sie tot ist, – und ich bin reich und glücklich gewesen mit dir und durch dich, Kind, und du hast mich nie, – nie betrübt und warst immer mein liebstes – einziges – – Hab – – und Gut – –

4. Szene.

Konstanze (die Türe aufsprengend, vier aneinandergebundene Leintücher Nach sich ziehend, aufgeregt und nach Worten ringend. Geht etlichemal um Emilie, die sich das Gesicht mit den Händen bedeckt, herum und wickelt sie dadurch förmlich in die Leintücher ein). Die Vorigen.

Pflichterer. Aber Konstanze, – gerechter Gott, – was machst du denn? Ich wollte ja eben –

Konstanze. Was kann man erwarten? Wie ist's anders möglich? Wenn der leibhaftige Brüder seiner eigenen Schwester falsche Gänse unterschiebt, was kann da herauskommen?

Pflichterer. Ich begreif' aber gar nicht –!

Konstanze. Wer behauptet, daß du's begreifst? Aber ich begreif's, ich hab's endlich herausgewurmt, was du und der Starker und dein ganzes Pack zu finden zehnmal zu tappig sind. Und sie begreift's, – da, dein Liebling, dein Herzblatt, – sieh sie nur an, tu mir den Gefallen und sieh sie an!

Pflichterer. Und was soll denn schon das Bettzeug? Ich wollte ja eben erst –

Konstanze. Was das Bettzeug soll? Hat man je in einem anständigen Haus so etwas erlebt? Weißt du, wo ich das Bettzeug fand? Am Fensterkreuz in der Herrenstube hing's, so lang es ist, und hing in den Graben hinunter und ein Schwärm Buben standen unten und lachten's an! Und wie ich's heraufzog, tanzten die Bengel im Graben herum wie besessen. Wenn du mir nicht ein Billett an den alten Präzeptor schreibst, heut' noch – das ist eine Zucht in dem Waldhausen!

Pflichterer. Ich will ja, Schwester, ich will ja; hast du einen erkannt?

Konstanze. Das ist eine Zucht! Und weißt du, wem die Leinentücher gehören, an denen dein Affentreiber ins Weite ist? (hält ihm die Ecken der Tücher unter die Nase). Kennst du das M. P. in dieser Ecke? Kennst du das Emilie P. in diesem Zipfel? Jetzt sag mir, Mädchen – willst du mich ansehen?

Pflichterer. Ich begreif' aber gar nicht, – ich kann's gar nicht fassen! Waren denn alle Leintücher – eins – zwei – drei –

Konstanze. O Mensch, Mensch, Mensch! Das sieht dir jedermann an der Nase an, daß du nicht in dem Komplott warst, – (plötzlich stumm werdend und lauschend)

Emilie (die Hände sinken lassend). Ich glaube – ich höre – ein Gefährt!

Konstanze (ans Fenster eilend). Ein Wagen, ein vornehmer Wagen.

Pflichterer. Er wird doch nicht? Um Gottes willen, es ist doch nicht er?

Konstanze (mit völlig veränderter Miene, ihre Locken zurecht streichend). Wer, mein bester Bruder?

Pflichterer. Emilie, Konstanze, in diesem Augenblick, gerade in diesem!

Emilie. O Gott, jetzt gib mir Kraft!

Pflichterer. Aber die Leintücher, Emilie?

Konstanze. Geh ihm jemand entgegen, – nein, bleibt! ich will –

Pflichterer. Verlaß mich nicht, Schwester, nur jetzt verlaß mich nicht! (Hält sie, Emilie wirft die Leintücher hinter eine Kommode. Die Türe öffnet sich feierlich.)

5. Szene.

Raufeck. Blumenreich. Die Vorigen.

(Raufeck, sehr gewählt gekleidet, die Hand in der Brusttasche, tritt feierlich ein, grüßt mit einer kleinen Kopfbewegung und benimmt sich mit vornehmer Herablassung; Blumenreich hinter ihm, lebhaft, aufgeregt, gegen Raufeck sehr ehrerbietig, Konstanze macht einen feierlichen Knix, während sich Pflichterer, den Degen zwischen den Beinen, mit tiefen Verbeugungen nähert.)

Emilie (im Hintergrund auf einen Stuhl sinkend). Barmherziger Himmel, es sind die Falschen!

Blumenreich. Ich habe das unendliche Vergnügen, meine Damen, ich habe die hohe Ehre, Herr Amtsrichter, Ihnen den Herrn Grafen von Falkental vorzustellen, der seit kurzem die Gewogenheit hat, Waldhausen mit seiner Gegenwart zu beehren. (Pflichterer fährt lebhaft in seinen Bücklingen fort.) Der Herr Graf, mein hochgeschätzter Freund, – wenn Sie mir erlauben. Sie so zu nennen – hat den ausdrücklichen Wunsch ausgesprochen, vor allem mit Ihnen und Ihrer weiten Familie bekannt gemacht zu werden.

Pflichterer. Glauben Sie mir, Herr von Blumenreich, seien Sie überzeugt, Herr – Herr Graf – von – von –?

Blumenreich. – von Falkental.

Pflichterer (leis). O Gott, ohne allen Zweifel! es ist das F – ich erwartete gar nichts anderes. (Laut.) Ich weiß, Herr Graf, die allerhöchste Ehre Ihrer gnädigsten Herablassung, welche Sie auf die echt fürstliche Idee brachte, bis in mein bescheidenes Haus herabzusteigen, zu schätzen wie kaum ein andrer Ihrer – Ihrer Untertanen.

Blumenreich (leis). Bitte, nehmen Sie sich zusammen, mein lieber Herr Amtsrichter; er hat's nicht gern, wenn man ihn erkennt.

Pflichterer. Bitte demütigst um Verzeihung, Ihrer – Ihrer Standesgenossen, wollt' ich sagen.

Raufeck. Man wohnt hier sehr hübsch, es freut mich, ich sehe das gern.

Pflichterer. Das heißt: meiner Standesgenossen, wollt' ich sagen. Wenn der Herr Graf im geringsten ahnten, wie tief –

Raufeck. Das ist wohl Ihre Familie?

Pflichterer (die beiden Damen verwechselnd). Dies hier ist meine Tochter und dies meine Schwester, zu dienen Eure Durchlaucht, – das heißt Herr Graf; – ach Gott, ich kann's nicht vermeiden –

Raufeck. Legen Sie sich durchaus keinen Zwang auf. Ich sehe das nicht gern. Aber das kann kaum Ihre Schwester sein.

Pflichterer. Eine vortreffliche Frau, Herr Graf. Ich glaube sagen zu dürfen, daß Sie in Ihrem ganzen Fürstentum kaum –

Blumenreich (leis, heftig). Sie bringen mich in die größte Verlegenheit.

Pflichterer. Grafschaft, Grafschaft, Euer Durchlaucht! – kaum einer zweiten Frau begegnen dürften, die ihr an geistiger Kraft und Energie, (bemerkt die Verwechslung). Das heißt, ich meine die andere, – dieses ist die eine, diese ist die andere, Herr Graf; – die eine ist meine Tochter, wenn der Herr Graf gnädigst erlauben. –

Raufeck. Ich dachte mir's halb und halb und es freut mich. Ich sehe so was gerne.

Blumenreich. Und wenn ich es wagen darf, Herr Graf, Ihnen ein Muster weiblicher Liebenswürdigkeit vorzustellen (geht auf Emilie zu, ihre Hand ergreifend, die sie ihm unwillig entzieht).

Raufeck. Ah, ich erinnere mich! Wir – wir sind Konnaisseur; aber ich muß gestehen, ich sehe so etwas gerne, mein lieber Amtmann!

Emilie (wendet sich ab). Der impertinente Mensch! Was tu' ich? Was fang' ich an?

Raufeck (sich nähernd). Ich habe, seitdem ich in diesem Winkel der Welt bin, kaum etwas Hübscheres gesehen, mein Fräulein!

Pflichterer. Der Herr Graf sind allzu gütig. Laß dich sehen, Kind! Sie ist ziemlich groß für ihr Alter. Euer Durch – ja so! – Herr Graf!

Blumenreich (zu Konstanze abseits). Das geht ja über alle Maßen gut. Gnädigste.

Konstanze. Beim Alten hat's keine Not; darauf konnte ich rechnen.

Blumenreich. Ich denke, wir lassen die Mine springen.

Konstanze. Warten Sie noch ein wenig. Lassen Sie ihn etwas ruhiger werden.

Blumenreich. Die Minuten sind kostbar. Unser Fürst fällt sonst aus der Rolle.

Konstanze. Und mein Bruder in Ohnmacht, wenn Sie zu rasch sind.

Raufeck. Wer hätte gedacht, daß dieses Waldhausen solche Blumen treibt!

Pflichterer. Ganz richtig, ganz richtig! Ich war selbst erstaunt.

Emilie (immer abgewendet). O Gott im Himmel, schickst du mir keinen Engel zu Hilfe?

Raufeck (Pflichterer von oben herab betrachtend). – Wenn man den Schlag Leute anficht, – ein förmlicher Lusus naturae!

Pflichterer (verlegen werdend) – das heißt gewissermaßen, – wir könnten es so nennen, wenn Euer Durchlaucht die Sache scherzhaft aufzufassen belieben; auf der andern Seite –

Raufeck (gegen Emilie, die ihm den Rücken kehrt). Von der andern Seite bekommen wir ja gar nichts zu sehen.

Pflichterer. Auf der andern Seite ist die Natur von Waldhausen nicht so stiefmütterlich bedacht, wie der Herr Graf zu glauben scheinen. Die Waldkultur figuriert in unsern Büchern zu einem beträchtlichen Betrag; die Weinproduktion ist nicht unbedeutend und die Erdäpfel –

Raufeck. Ohne Zweifel. Der Ertrag der Domänen ist, wie ich weiß, beträchtlich, und die Verwaltung – –

Pflichterer (lebhafter und sicherer werdend). Gewiß, wie der Herr Graf bemerken, – die Verwaltung! Die Verwaltung ist der Kern des Ganzen. Die Verwaltung unterscheidet die Wildnis von der Kultur, die Barbarei von der Zivilisation. Ganz richtig. Euer Durchlaucht, ganz richtig. Mittelst einer besseren Verwaltung könnte man aus der sogenannten Wüste Sahara die schönste Staatsdomäne machen; diese Überzeugung habe ich längst gewonnen; aber es fehlt an der richtigen Verwaltung.

Raufeck. Schwierig ist es immer, die tüchtigsten und passendsten Beamten für den richtigen Platz zu finden.

Pflichterer. Außerordentlich schwierig, wie der Herr Graf bemerken.

Raufeck. Doch –

Pflichterer. Ganz richtig! Doch gibt es gewisse Regeln, mittelst deren man nie ganz fehlgehen kann. Das Alter z. B. – ein gereiftes Alter ist eine Bedingung, sine qua non. Nur ein gereiftes vorgerückteres Alter kann die Erfahrungen garantieren, die für Regierung und Verwaltung größerer staatlicher oder finanzieller Komplexe – –

Blumenreich (stößt ihn in die Rippen). Sehen Sie denn nicht, wie jung der Herr Graf ist?

Pflichterer. – d. h. für die eigentlichen Regierungszwecke haben jüngere Kräfte den Vorteil größerer Energie, und wenn auch die nötige Erfahrung –

Blumenreich. Welche Verlegenheit Sie mir bereiten!

Pflichterer. – kaum nötig, – sozusagen unnötig –

Blumenreich. Mein bester Amtsrichter, ziehen Sie sich aus dieser Schlinge, und wär's nur mir zulieb!

Pflichterer (nach Luft schnappend) – ja sogar – ich darf wohl sagen, schädlich ist, – vollständig verderblich wirken kann, –

Raufeck (kalt). Man geniere sich durchaus nicht! Ein freimütiges Wort eines alten Mannes, Herr Amtsrichter, kann einem jungen Manne kaum schaden.

Pflichterer. Durchaus nicht, wie Euer Durchlaucht bemerken, – nichts schaden, im Gegenteil nützen, äußerst nützlich sein, –

Blumenreich (stößt Pflichterer abermals, der still wird).

Konstanze (leise). Jetzt wär's Zeit, wenn Ihr Freund einlenkte.

Blumenreich (zu Raufeck leis). Zünd den Schwefelfaden an, Roderich!

Pflichterer. – d.h. solange demselben kein Gewicht beigelegt wird, da natürlich junge Kräfte –

Raufeck. Eine Anzahl junger Kräfte sehe ich gerne im Staatsdienst.

Pflichterer. Sie können demselben sicherlich nur zum Heil und Segen gereichen, und besonders da die gegenwärtigen Examina ein so scharfer Prüfstein für den Wert des Beamten sind.

Raufeck. Gut! – da haben wir z.B. Ihren Freund, den Baron von Blumenreich!

Pflichterer. Zu viel Ehre!

Raufeck. Er hat ein exzellentes Examen gemacht, der junge Mann!

Pflichterer. Ah, mein teuerster junger Herr Baron, ich gratuliere! Ich gratuliere tausendmal!

Raufeck. Ja, ich hab' ihn gerne, lieber Amtsrichter, und hab' im Sinn, ihn in Michelsberg als Amtsrichter zu installieren, wenn ihm der Dienst nicht zu gering ist.

Pflichterer. Michelsberg, Herr Graf, die beste Vogtei im Land!

Raufeck. Hm – wir wollen sehen; lebhaft ist die Stadt nicht.

Pflichterer. 1 800 Taler, Amtswohnung und 40 Klafter Besoldungsholz – und das Holz steigt jedes Jahr! – Gratuliere, gratuliere, mein bester Herr Baron!

Blumenreich. Mäßigen Sie sich, mein teuerster Kollega!

Pflichterer. Kollega, allerdings! Aber wie das so kurios klingt!

Raufeck. Wie gesagt; lebhaft ist's in dem Ort nicht und Blumenreich wird sich einsam fühlen.

Blumenreich. Es gäbe vielleicht ein Mittel, Herr Graf!

Raufeck (blinzelnd). A – ha! Aber ich sehe so was gerne.

Blumenreich. Ihr Scharfblick, Herr Graf, sieht auf den Grund meines Herzens!

Raufeck. Nun, Amtsrichter, was sagen Sie dazu? (klopft ihm auf die Schulter).

Pflichterer (verlegen) Ja, wenn der Herr Graf gnädigst entschuldigen wollten, – in der Tat, – ich sehe der Sache noch nicht ganz auf den Grund. Jedoch, was immer der Herr Graf anzudeuten die Gewogenheit haben sollten –

Raufeck Die Sache ist klar wie Kristall, mein lieber Amtsrichter, und wenn mein Wort bei Ihnen etwas gilt, so sind wir in drei Minuten im Reinen. Sehen Sie, da – mein Baron möchte –

Blumenreich (mit Begeisterung) Ich liebe sie! In diesem feierlichen Augenblick darf ich es vor Ihnen aussprechen, mein verehrtester Amtsbruder, was ich seit Monden auf dem Herzen trage. Lassen Sie sich nicht bloß Amtsbruder nennen! Lassen Sie sich an dieses Herz drücken! Ich liebe sie!

Pflichterer Ja, – ich liebe Sie ja auch, darüber kann nicht der geringste Zweifel obwalten, aber –

Blumenreich Ich liebe sie, an der auch Ihr Herz hing, seitdem sie unter ihr gesegnetes Dach trat, die mit ihrer milden Macht durch Jahre der Einsamkeit und des Kummers leitend –

Pflichterer (erschrocken) Meine Schwester? Ja, lieber Himmel, und wenn Kaiser und Papst kommen, da kann ich nicht –

Blumenreich Ihre Tochter! Ihre göttliche Emilie!

Pflichterer Ach, Emilie! Ja, das ist ja ganz einfach. Emilie, Emilie! Komm hierher, Kind! der Herr von Blumenreich –

Emilie (nach dem Fenster stürzend) Gott sei Dank, ein Wagen! – ein Staatswagen!

Pflichterer (ihr nach) Was ist dem Mädchen?!

Konstanze Ist sie verrückt? (Ein Wagen rollt an. Alle an die Fenster, Emilie und Pflichterer an dem einen, Konstanze, Blumenreich und Raufeck am andern).

Emilie Bester Vater! Zwei Bediente und das fürstliche Wappen!

Pflichterer Die holen ihn vielleicht ab. Was für ein Tag, Mädchen! was für ein Tag!

Raufeck (leise) Alle Wetter! Das sieht aus, als ob's ernst würde. Es wird doch nicht?

Konstanze Verlieren Sie den Kopf nicht! – Sie steigen aus.

Pflichterer Mir schwimmt's vor den Augen, – mir ist – mir ist – es kann doch ganz unmöglich –

Emilie Der eine – der Kleine – hat etwas so Vornehmes wie ein geborener Fürst.

Raufeck Hol' mich der Teufel, Blumenreich; der Lange ist Frank. Der wird dir saubere Satisfaktion geben, wenn er dich hier findet.

Blumenreich Der andere – den andern kenn' ich nicht.

Raufeck Ich sah ihn gestern nacht – nur einen Augenblick, er hatte was verflucht Nobles.

Konstanze Sie wollen doch nicht sagen –?

Raufeck Sie haben den Salon und die besten Zimmer im Hirsch. Schloß Waldeck ist noch nicht bewohnbar.

Blumenreich Mein Hut! Ich will mich verabschieden.

Konstanze O Männer! Ich weiß nicht – ich glaub' nicht dran. Sind alle Männer solche Hasenfüße?

Raufeck Soll mich der Kuckuck holen, wenn ich mir das von einem Weib sagen lasse!

Konstanze 's steckt eine Spitzbüberei dahinter.

Raufeck Ja, von Anfang an.

Konstanze Dem Mädchen trau' ich alles zu.

Raufeck Aber er muß es sein. Der Wagen, das Wappen, die Haltung – wollen wir trotz allem weiterspielen, Frau Tante?

Konstanze (bewundernd) Wenn ich jung genug wäre. Sie wären mein Mann, Raufeck! Aber nur schlau! Ich glaub' nicht, daß er's ist.

Blumenreich Wer kann's denn aber sein.

Raufeck Mir ist's klar genug: der Teufel oder der Fürst. Aber von einem Weib lass' ich mir nicht sagen, sie habe meine Fersen gesehen.

6. Szene.

Ein Bedienter öffnet die Türe. Weller und Frank treten ein. Die Vorigen.

Weller (freimütig, zutraulich, jedoch nicht ohne Haltung). Wir müssen uns wohl selbst erlauben, mein lieber Herr Amtsrichter, – Pflichterer heißen Sie, wie man mir sagt? – uns bei Ihnen einzuführen. (Will ihm auf die Schulter klopfen)

Pflichterer (durch das ganze Zimmer zurücktaumelnd). Der A – A – Affentreiber!

Weller (lacht laut). Na haben Sie mir allerdings einen schönen Streich gespielt. Aber macht nichts, macht nichts! Ich kann nicht erwarten, daß Sie hier in Waldhausen wissen, wie man mit Leuten umgeht, die direkt aus dem Innern Afrikas kommen. – Affen hat er getrieben, Sie haben vollständig recht, aber ein Affentreiber ist er deshalb immer noch nicht.

Pflichterer (betäubt). Nicht?

Blumenreich. In Afrika zusammen? Donnerwetter, das stimmt!

Raufeck (keck im alten Ton). Der Unterschied ist mir nicht klar! Doch man geniere sich durchaus nicht. Ich sehe so was nicht gern.

Weller. Um's kurz zu machen: ich stelle mich Ihnen hiermit als Graf von Falkenberg vor.

Pflichterer (mit neuem Schrecken). Graf von –?

Weller (blinzelnd). Falkenberg, lieber Pflichterer. Macht nichts, wenn Sie den Namen nicht behalten sollten! Ihnen gegenüber, einem guten, ehrlichen, alten Mann, der seine Tüchtigkeit und Treue 45 Jahre lang bewährt hat, bin ich, wer ich bin.

Pflichterer (leis). Ja, wär's denn möglich? – das F! – das F!

Emilie (zu Pflichterer). Und wie gütig und herablassend er ist!

Konstanze (zu Pflichterer). Lass' deinen Fürsten nicht so lange stehen. Willst du dich um dein Amt bringen?

Pflichterer. Ja welchen? – welchen? (fängt an, unter Bücklingen nach beiden Seiten wieder in den Vordergrund zu kommen).

Weller. Hat aber doch alles seine Grenzen, lieber Herr! Meinem Frank haben Sie etwas hart mitgespielt. Macht nichts. Er ist's gewohnt. Und Sie haben, scheint's, rasch den Fehlgriff erkannt und ihn wieder laufen lassen.

Pflichterer. Ich ihn laufen lassen, – den Frank? – Ja, ist denn der Herr –?

Weller. Heinrich Frank, der Reisebegleiter Ihres Fürsten, von dem Sie wohl hie und da gelesen haben, einer Ihrer Landsleute und Mitbürger.

Pflichterer (auftauend). Ja, ist denn das der Frank? – der Frank? – der Frank, der in Waldeck war, der mich einmal in mein eigenes Gartenhaus eingesperrt hat?

Weller (fröhlich). Richtig! Wie gut Ihr Gedächtnis noch ist! Das ist der Mann und die alte Geschichte. – Ah, meine Damen: ich habe die Ehre. Sie müssen einem Jäger verzeihen, wenn er ein Stückchen Wald in Ihren hübschen Salon bringt. Und wem habe ich das Vergnügen, in diesen Herren zu begegnen?

Raufeck. Dies hier, Herr, ist mein Freund, der Baron von Blumenreich, und ich – ich, Herr Graf, – ich bin der Graf von Falkental.

Weller. Falkental – in der Tat? Wie kommen Sie denn zu dem Namen?

Pflichterer (Weller heftig anstoßend). Er reist inkognito. Sie sprechen höchstwahrscheinlich mit dem Fürsten – dem Fürsten von Fürstenstein.

Weller (lachend). Ja, mein bester Herr, merken Sie denn noch immer nicht, mit wem Sie sprechen?

Emilie. Vater, du sprichst mit dem Fürsten!

Pflichterer (auf Raufecks Seite gehend). 's wird mit jeder Minute deutlicher, daß ich gar nicht mehr weiß, wie ich dran bin!

Raufeck (stolz). Darf ich vielleicht die Frage zurückgeben, Herr Graf von – wie sagen Sie? – Falkenberg? Ich gestehe, ich sehe es nicht gern –

Pflichterer (Raufeck anstoßend). Ich habe mich vollständig überzeugt, bester Herr Graf, Sie sprechen mit dem Fürsten von Fürstenstein.

Raufeck. Alter Mann, Sie sind kaum mehr fähig –

Konstanze (Pflichterer heftig anfassend). Willst du eine Majestätsbeleidigung auf dein Gewissen laden? Spricht man so mit seinem Landesherrn?

Pflichterer. Wenn sich aber jetzt der Boden nicht auftut, um uns alle zu verschlingen, weiß ich nicht, was heute mit dem Boden ist!

Frank (leis zu Emilie). Engel, wer hat dir den Mut gegeben?

Emilie. Nicht jetzt, nicht jetzt! Alles steht auf dem Spiel!

Konstanze (zu Raufeck). Verlieren Sie nur den Kopf nicht!

Raufeck. Aber er ist's, soll mich der Kuckuck holen, er ist's!

Konstanze. Wollen Sie auch die Memme spielen?

Raufeck (wütend gegen Weller). Dieses Falkenberg, Herr –

Weller. Und wenn's in der Nähe von Falkental läge?! Lassen wir's für einen Augenblick liegen. Ich werde mir nachher das Vergnügen verschaffen, die geographische Lage unserer Grafschaften zu erörtern. Ich will nicht umsonst nach Waldhausen gekommen sein. Ich habe etwas mit meinem Amtsrichter zu tun.

Pflichterer (sehr kleinlaut) Durchlaucht wünschen? Jeder Wink genügt!

Weller So geben Sie einmal meinem Frank die Hand? Ihr Waldhausen hat mir den besten Schützen gezogen. Geben Sie! Ich schätze diese Hand.

Frank (einschlagend) Von Herzen! (Pflichterer macht ein ziemlich saures Gesicht.)

Konstanze (wütend) Ich sagt's ja! 's ist Spitzbüberei!

Raufeck Herr, Sie unterbrachen uns! – Um Vergebung, Herr Graf, wenn Sie nun einmal Graf sein wollen: Sie unterbrachen uns.

Weller Bitte, Herr, Sie unterbrechen uns soeben auch. – Ja, ich kam nicht ohne Absicht. Mein bestes Fräulein: erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß ich Sie längst im Innern Afrikas kennen gelernt habe.

Emilie Eurer Durchlaucht ist alles möglich.

Weller Nicht alles, aber doch etwas, wir wollen hoffen. Sehen Sie, lieber Pflichterer, ein alter Jäger ist gewohnt, geradaus zu schießen; Sie werden mir das zugute halten; die zwei Leutchen da –

Konstanze Höllische Spitzbüberei! Raufeck!

Raufeck Ja, Herr, Sie unterbrachen uns in einem feierlichen Akt. In diesem Augenblick war hier Fräulein Emilie im Begriff, ihre niedliche Hand in die meines Begleiters zu legen, den ihr Vater – –

Emilie Nein, nein, nein!

Konstanze Ja, Herr Graf, es ist so! Wollen Sie gestatten, daß wir diese feierliche Handlung zu Ende führen?

Pflichterer Jetzt fängt sie an, gottlob! – jetzt wird sich's aufhellen. Aber es rollt wieder! (taumelt dem Fenster zu) Kann denn noch was kommen?

Weller Ich erlaube Ihnen alles. Gnädigste; nur denk' ich, dürften Sie mir gleichfalls gestatten. Ihnen wenigstens eine Bitte vorzulegen. Ich bitte Sie um die Hand Ihrer liebenswürdigen Nichte für meinen Freund hier!

Raufeck Und diese Bitte war mir gewährt, – es tut mir unendlich leid, – schon ehe Sie ins Zimmer traten.

Frank (leis) Er wird zu frech, Spiel Trumpf!

Weller (leis) Sei's denn! (Mit Würde gegen Pflichterer) Sie werden dem Fürsten in seinem eigenen Lande die erste Bitte nicht abschlagen, die er an Sie tut, Herr Amtsrichter Pflichterer!

Raufeck Va banque!(imponierend) Wenn Sie Ihren Souverän auf einen Augenblick verkannt haben, Herr Amtsrichter, –

7. Szene

Fürst von Fürstenstein. Die Vorigen.

Ein Adjutant (die Türe öffnend) Der Fürst von Fürstenstein.

Blumenreich Mein Hut! mein Hut! mein Hut!

Konstanze Das ist der wahre. Jetzt hat's ein Ende.

Raufeck Prrr! Soll mich der Kuckuck holen, wenn ich noch an mich selber glaube.

Pflichterer Ich glaub's, ich glaub's! Ich will ja an alles glauben. Nur in Ruh' soll man mich lassen. Schwester, beste Schwester –

Fürst Na find' ich endlich meine Leute!

Frank (vortretend) Durchlaucht!

Fürst Auf Ehre, es ist nicht so gefährlich. Sie in den Pampas zu verlieren, als in meiner löblichen Stadt Waldhausen. Was soll denn das heißen? Ich fahre heute früh von Hengstenberg herüber, um zu sehen, wie weit Sie mit den Vorarbeiten in Waldeck gediehen sind. Keine Spur! Man sagt mir, daß einer der Wagen nach Waldhausen geholt worden sei. Das führt mich hierher. Ah – Sie auch da, Stallmeister?

Pflichterer. Sie sprechen ja mit Seiner Durchlaucht! (da ihn der Fürst betroffen ansieht). O, wenn Sie nur mich in Ruh' ließen, – drei! drei! drei!

Fürst (zu Weller) Auch Sie suchte ich. Das Hengstenberg gefällt mir. Das alte Gestüte dort sollte einen neuen Aufschwung nehmen. Sie scheinen mir der Mann dazu. Sind Sie verheiratet?

Weller Nahezu, Durchlaucht!

Fürst. Das ist mir lieb. Hübsches Haus und Garten, lieber Weller. Richten Sie sich wohnlich ein. 's wird Ihnen für die ersten Wochen etwas einsam vorkommen. Aber das gibt sich.

Weller O, Durchlaucht, für die ersten Wochen ist mir's am wenigsten bang.

Fürst Und nun, meine Damen, Ihnen bin ich etwas unerwartet in Ihr Heiligtum eingebrochen. Wenn man mit einem so unverbesserlichen Wildfang zu tun hat, muß alles entschuldigt werden. Ich habe das Vergnügen, eine größere Gesellschaft zu finden, als ich mir vermuten konnte.

Pflichterer Ich auch – ich auch. Ja, ist er's denn, Konstanze? Ist's denn der letzte nun wirklich?

Konstanze (mit tiefer Verbeugung) Die Ehre, die Eure Durchlaucht unserm Hause erweist, wird uns allen unvergeßlich sein.

Pflichterer Ja, meiner Lebtage will ich diesen Tag nicht vergessen. Sehen Sie, Herr Graf, – Sie sind doch vermutlich auch ein Graf? –

Fürst Frank, ich verstehe in der Tat nicht, was das alles zu bedeuten hat!

Pflichterer O, lassen Sie sich erklären! Dies hier, Herr Graf, ist der Herr Graf von Falkenthal, der mir inkognito die allerhöchste Ehre schenkt, und dieser Herr Graf, den Sie soeben zum Stallmeister machten, ist der Herr Graf von Falkenberg. Sie, wenn ich mir die untertänigste Vermutung erlauben darf, sind ohne allen Zweifel (macht etliche tiefe Bücklinge und sieht ihm dann neugierig ins Gesicht) der Herr Graf von F – F – F –?

(Außen entsteht ein großes Gepolter und Gefluche) Starkers Stimme: 'nauf muß ich! Wo sind der Herr Amtsrichter? Es ist alles entdeckt; Hochverrat, Verschwörung! 'nauf will ich!

Fürst (zu Frank) Ist der gute alte Mann wirklich manchmal – (deutet an den Kopf)

Pflichterer Wie kann's denn aber anders sein? O wenn sie nur mich in Ruhe ließen! Nach 45 jähriger treuer Amtsführung!

Frank Einen Augenblick, Durchlaucht, und es wird Ihnen alles erklärlich sein. Ich ergebe mich meinem Fürsten auf Gnade und Ungnade!

Fürst. Hoho, wieder einer Ihrer Streiche? Aber, Frank, auf Ehre, Sie vergessen –

(Der Lärm hat sich genähert, Konstanze geht gegen die Türe, wo sie auf der Schwelle mit Starker zusammentrifft, der den toten Affen in der Hand hält.)

8. Szene.

Starker. Die Vorigen.

Konstanze (an der Türe, im Handgemenge mit Starker). Will Er fortgehen! Will Er still sein!

Starker (schreit). Komplott! Verschwörung! Aber alles ist entdeckt. Im Hirsch hat man die Obrigkeit eingekerkert!

Konstanze. Fort! Fort mit Ihm! Gretchen! Johann!

Starker. Aber im Hirsch hab' ich den ganzen Schwindel erlauscht und es ist mir alles gleich. Die Frau Tante steckt mit dem einen und die Fräulein Emilie mit dem andern unter einer Decke. Herr Amtsrichter, Sie sind betrogen!

Konstanze. Er schreit sich an den Galgen! Der Fürst ist da!

Starker. Der Teufel ist Fürst! Spitzbuben sind's, Spitzbuben, einer wie der andere! (Hat sich durchgeschlagen, steht plötzlich stumm vor der aufgeregten Versammlung.) A – a – ah! da ist einer zuviel! (Zieht sich, noch immer den Affen in der Hand, in den Hintergrund.)

Fürst. Es scheint mir, ich hätte nicht in den Orient zu gehen gebraucht, um tolle Abenteuer aufzusuchen.

Frank. Durchlaucht!

Fürst. Es scheint, man hat von meinem Namen einen höchst eigentümlichen Gebrauch gemacht.

Frank. Niemand ist hier zu tadeln als ich, Durchlaucht! Nur, wenn Sie die Umstände kennen lernen –

Weller. Nein, Durchlaucht! – Alles hat seine Grenzen, Frank! – Ich bin der Schuldige. Ich habe mir erlaubt –

Raufeck. Donnerwetter! Ich bin nicht schlechter als ihr, wenn man mich am rechten Ende packt! Nein, Durchlaucht! Ich heiße Raufeck und habe den Fürsten gespielt, und besser als die andern; darauf will ich Gift nehmen!

Konstanze (für sich). Er ist ein Engel. Die Courage! Die Courage!

Pflichterer (heftig). Ja – jawohl! Ich hab' ihm von Anfang an geglaubt und ich glaub' ihm eigentlich jetzt noch, wenn Euer Durchlaucht gnädigst erlauben wollten.

Fürst Beruhigen Sie sich, bester Mann! Wie mir scheint, waren Sie und ich die einzigen Opfer dieser Komödie. Ich muß gestehen, –

Emilie (sich schüchtern nähernd) O, Eure Durchlaucht –

Fürst Haben Sie mich denn auch gespielt, schönes Kind?

Emilie O Gott, nein! Aber wir wußten nicht, daß es ein so großes Verbrechen ist, und die Herren haben es um mich begangen.

Fürst Ah! um Sie? Jetzt wird mir die Sache etwas klarer.

Emilie (in Tränen ausbrechend) Wir sahen kein anderes Mittel, – um – um –

Fürst Und der Zweck, dachten Sie, heiligt das Mittel?

Frank Durchlaucht! Erinnern Sie sich, als wir. Sie und ich, in den Anden verirrt, auf einer Felsplatte die Nacht zubrachten? Damals nahm ich mir die Freiheit, Ihnen von Emilie zu erzählen –

Fürst Von Ihrer Braut?

Frank Hier steht sie vor Ihnen.

Fürst Und in Tränen! Mein Gott, trocknen Sie ihr die schönen Augen, Frank! Sie erinnern mich nicht umsonst an jene Nacht.

Raufeck (zu Konstanze, kleinlaut). Soll ich noch einmal dran? Schlagen Sie Sturm; winken Sie, ich bin bereit.

Konstanze Die Courage, die Courage! Lassen Sie die Gans heiraten, wen sie will. Der Baron ist ein Schaf.

Pflichterer Ja, was ist denn das? Die Sachen fangen ja an, sich aufzuklaren!

Raufeck Wenn Eure Durchlaucht mir gestatten wollten, meinen Freund, Baron v. Blumenreich, als zweiten Prätendenten vorzustellen.

Fürst Blumenreich? – Blumenreich? – Den Namen las ich gestern.

Raufeck Es ist ein Name von literarischer Berühmtheit.

Fürst Ah – sind Sie der Canditus juris, der seit 30 Jahren das schlechteste Examen zustandegebracht hat?

Pflichterer Nein – was! Ja, ist's denn möglich? Und von einem solchen Menschen hab' ich mich gewissermaßen hinters Licht führen lassen? Nein, nein, es ist ja gar nicht möglich!

Fürst. Das dachte ich auch, als man mir mitteilte, daß Ihr junger Freund –

Pflichterer. Mitnichten, Durchlaucht, mitnichten. Der Mensch, – Emilie, du wirst doch nicht darauf bestehen?

Fürst. – daß Ihr junger Freund eines der schönsten Vermögen in zehn Semestern durchgebracht. Wir sehen uns in einem ungünstigen Augenblick, Baron!

Blumenreich. Des Schicksals Schläge, Durchlaucht!

Fürst. Mögen Sie dieselben fühlen! Ich bin kein Dichter. Ich hoffe, Sie verstehen mehr von der poetischen Gerechtigkeit als von unserem landesüblichen jus.

Raufeck. Auch ich, Durchlaucht, scheine wenig Talent für dieses schöne Studium zu besitzen, wenn Sie die Zahl der Semester gnädigst in Betracht ziehen wollen, die ich demselben mit seltener Ausdauer gewidmet habe. Wenn aber Eure Durchlaucht einen Husarenleutnant brauchten, der für Euer Durchlaucht durch Feuer und Wasser ginge –

Konstanze (packt ihn und zieht ihn zurück). Halt! halt! Die Courage! Aber das geht zu weit!

Raufeck. Hm? Was befiehlt mein Kommandant? (Konstanze zieht Raufeck in den Hintergrund, wo beide eine lebhafte Pantomime abspielen.)

Fürst. Werde Sie für einen verlorenen Posten vormerken. Ein drolliger Junge, mein lieber Pflichterer!

Pflichterer. Sehr! Äußerst, wenn Eure Durchlaucht befehlen.

Fürst. Lassen wir die ganze Geschichte auf sich beruhen!

Pflichterer. O ja, recht gern! Lassen wir alles auf sich beruhen! – Ach, wenn man nur auch mich in Ruhe ließe!

Fürst. Sie haben lange und treu an unserm Staatsschiffe mitgezogen, –

Pflichterer. 45 Jahre! Heute sind's 45 Jahre, Durchlaucht!

Fürst. Ich habe mir's sagen lassen. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, Frank! Dies ist's, was man bei uns lohnt. Wissen Sie was, mein lieber Pflichterer? Ich habe einen Plan mit Ihnen.

Pflichterer. O Durchlaucht, wenn man nur mich in Ruhe ließe. 45 Jahre! Bedenken Euer Durchlaucht!

Fürst. Gewiß! Das soll geschehen. Lassen sie den alten, ledernen Bureausorgenstuhl einer jüngeren Kraft! Geben Sie die Plackerei auf!

Pflichterer. Das kommt vom Himmel, das kommt vom Himmel!

Fürst. 45 Jahre dient man seinem Fürsten nicht ohne Ehre. (Er heftet einen Orden von seiner Brust los und steckt ihn an Pflichterers Rock, der auf die Knie sinken will, jedoch von Frank aufgehalten wird). Es ist nicht, was Ihnen eigentlich zukommt, Amtsrichter. Ich bekam den Stern vom Maharadscha von Delhi. Es ist der Orden des ehernen Schimpanse, aber bis wir ihn umtauschen, tragen Sie ihn getrost, mein Freund. Ihr Fürst hat ihn nicht auf unehrenvolle Weise errungen.

Starker. Daß mich der Blitz treffe! Ein Affe auf dem Orden, – ein leibhaftiger Affe! Wenn's aber jetzt nicht an mich kommt!

Pflichterer. Durchlaucht – Durchlaucht – Durchlaucht! (sinkt weinend auf die Knie),.

Fürst. Unsinn, Pflichterer, Unsinn! Kommen wir jetzt an das heitere Geschäft des Tages. (Zu Emilie.) Haben wir noch immer Tränen zu trocknen?

Emilie. O Durchlaucht, schonen Sie mich!

Fürst. Mein teuerstes Fräulein, so gern ich wollte, ich kann es nicht. Sehen Sie, dieser Mensch, den ich unglücklicherweise lieb habe, macht mir unangenehm viele Sorgen. Er hat trotz all meiner Bitten an sich selbst nicht genug und schleppt einen Waldteufel aus Darfur, die gefährlichste Sorte, die ich kenne, in unsere geordneten Staaten ein, –

Frank (gegen Starker weisend). Der Waldteufel, Durchlaucht, ist nicht mehr gefährlich. Dem armen Tier scheint ein Unglück passiert zu sein.

Fürst (sehr heiter). Welches Glück für Sie! Dieses Omen lass' ich gelten! Wer schlug den Affen? Zehn Dukaten für den Helden! Hier, Freund, hier! (Starker unter tiefen Bücklingen empfängt das Geld.) Aber wer schlägt den Waldteufel? (Frank auf die Brust klopfend.)

Frank Durchlaucht, wenn die ehrerbietigste Anhänglichkeit, wenn der ehrlichste Wille –

Fürst Damit ist uns nicht geholfen, mein Bester! Mit Ihrer ehrerbietigsten Anhänglichkeit haben Sie in meiner ehrsamen Stadt Waldhausen hübsch für mich gewirtschaftet! Sie wissen, was ich aus Waldes und seinen herrlichen Wäldern machen will. Sie sind der Mann dazu; wenn ich nur jemand hätte, der mir den Waldteufel hütete!

Emilie O Durchlaucht!

Fürst Ich denke, wir verstehen uns, schönstes Fräulein! Sie, mein lieber Pflichterer, müssen den Ausschlag geben. Tun Sie mir einen Gefallen?

Pflichterer (aus der innigen Betrachtung seines Ordens aufgeschreckt) Alles – alles – alles, Durchlaucht!

(Pflichterer und der Fürst verhandeln leis, links im Proszenium. Emilie, Frank und Weller rechts. Rechts im Hintergrund steht Blumenreich, mit Bleistift und Papier, dichtend. Die Pantomimen links im Hintergrund zwischen Konstanze und Raufeck sind bis zu zärtlichen Annäherungen gediehen, die hie und da durch auf Geldangelegenheiten bezügliche Andeutungen unterbrochen werden. Starker hat hinter der Kommode mit Zeichen des Erstaunens die Leintücher hervorgezogen, und wickelt, den ganzen Mittelgrund einnehmend, den Affen in dieselben.)

9. Szene.

Minchen. Die Vorigen

Minchen (zur Türe hereinschlüpfend, zu Weller). Ich kann's nicht mehr aushalten. Wie geht's, wie geht's?

Weller Schatz, wie gerufen! Wir werden sogleich eine Gruppe bilden.

Minchen Wer ist der Herr dort?

Weller Glaube und frag nichts! Wir sind Verwalter von Hengstenberg; Haus, Garten, Vieh und Menschen, alles ist unser!

Minchen (freudig) Nein, Schatz –

Weller Ja, Schatz, vorausgesetzt, daß wir schnell heiraten. (Minchen geht zu Emilie.) Frank, wann kann unser Doppelfreudenschuß losgehen?

Frank Hollah! sieh dort hinüber! (Konstanze umarmt Raufeck.)

Weller Himmel, deine Gerichte sind schwer! Der hat sein Teil!

Fürst Nun denn, Frank, da es eben nicht anders geht, – auch mein Pflichterer sieht kein anderes Mittel –

Emilie Durchlaucht, wenn meine innigsten Bitten –

Pflichterer Ja, willst du denn jetzt den Blumenreich mit Gewalt? Ich dachte –

Fürst Ich kann Sie nicht schonen, mein bestes Kind; heute, an dem Tag, an dem Ihr geschätzter Vater den Staatsdienst verläßt, muß ich Sie auffordern, dafür in unsere Dienste zu treten. Wollen Sie für diesen Wildfang verantwortlich werden?

Emilie/Frank (beide zugleich, sich umarmend) Heinrich!/Endlich, Emilie!

Pflichterer (der in einiger Entfernung gestanden, herbeieilend) Meinen Segen. Haltet, meine lieben Kinder! meinen Segen!

(Krämer erscheint auf der Schwelle und winkt Starker heftig, der es endlich bemerkt und auf den Zehen hinausgeht.)

Fürst Ihren Vater nehmen Sie mit nach Waldeck, wenn ich recht vermute.

Pflichterer Und wenn die Tante wünscht –

Konstanze (vortretend und den etwas widerstrebenden Raufeck nach sich ziehend) Ich, mein lieber Bruder, siedele mit der Erlaubnis Seiner Durchlaucht und meinem Bräutigam in vier Wochen nach der Residenz über.

Fürst Ich werde mich unendlich geschmeichelt fühlen, meine Gnädigste!

Pflichterer (entsetzt) Ja, was ist denn das? Die Sache verwickelt sich ja wieder!

Fürst Beruhigen Sie sich, mein bester Mann! Ich wollte, ich wäre imstande, jede Verwicklung so leicht zu lösen.

10. Szene.

Krämer. Die Vorigen.

Blumenreich (vor den Fürsten tretend, mit Pathos) Euer Durchlaucht sprachen ein fürstliches Wort. (Während des folgenden Intermezzos spricht Blumenreich, der der Türe den Rücken kehrt, weiter. Eine Blechmusik spielt außen einen Marsch. Krämer aufs Beste gekleidet, einen hohen Hut in der Hand und eine Binde über dem Auge, tritt durch die Türe und geht, ohne jemand zu grüßen, langsam gegen Frank. In der Mitte des Zimmers angelangt, wendet er sich rasch um, die Blechmusik bricht plötzlich ab und man hört ein Gepolter)

Krämer (halblaut, zur Türe hinaussprechend.) Was ist's? Warum kommen denn die Herren nicht?

Starker (Stimme von außen). Der Plunder ist die Trepp' hinuntergefallen!

(Krämer geht eiligst ab.)

Blumenreich (ohne Unterbrechung). Möge es mir vergönnt sein, dieses fürstliche Wort teilweise wahr zu machen! Auch um mich schlangen sich die Verwicklungen des heutigen Tages. Ich fühle, daß ich unverstanden bin. Gestatten Sie mir, Ihnen das Rätsel meines Daseins zu lösen.

Raufeck (ihn am Rock packend). Blamier dich nicht weiter! Wir haben das Unsrige geleistet.

Blumenreich. Erlauben Sie mir, den Gefühlen dieser Stunde –

Weller. Ihr Freund scheint entschlossen –

Blumenreich (fortfahrend). – die mein überquellendes Herz nicht zurückzudrängen imstande ist, in einem längeren Gedicht Ausdruck zu geben.

(Die Blechmusik beginnt wieder.)

11. Szene.

Krämer, ganz wie zuvor, auf Frank zugehend, hinter ihm Starker, dann Präzeptor, Seifensieder, Fleischer und zwei Jungen, die einen kastenförmigen Gegenstand, in grünes Tuch eingeschlagen, an zwei Stangen tragen. Alle im Sonntagsstaat; der Fleischer hat sein dickgeschwollenes Gesicht verbunden, der Präzeptor ein Pflaster auf der Nase. Alle stehen einen Augenblick wartend hinter Blumenreich. Der Seifensieder nimmt die große Schleife des Umschlagtuchs in die Hand. Die Lade wird niedergesetzt.

Blumenreich. Im Auge Tränen, sah ich's bis zu End'
Der Liebe Ringen, Eurer Liebe Segen,
Da göttergleich, im richtigen Moment,
Drei Fürsten aus den Wolken niederstiegen:
Die Wolke schwand; im klaren Firmament
Seht Ihr des Glückes Sonnenstrahl sich wiegen:
Vorbei ist Haß und Streit, es ist geblieben
Von dreien nur der wahre Fürst: das Lieben.
Ja, wenn –

Starker (ihn wegschiebend). Das ist jetzt genug! Machen Sie uns Platz!

Krämer (gegen Pflichterer). Sie entschuldigen, Herr Amtsrichter! (Stellt sich vor Frank, räuspert sich und sieht starr in seinen Hut hinein. Unmittelbar hinter ihm der Präzeptor, ihn scharf beobachtend; diese auf der einen Seite der Lade, der Seifensieder auf der andern, das Umschlagtuch erfassend und die Augen auf den Präzeptor gerichtet. Starker und der Fleischer bieten sich Schnupftabak an und geben Zeichen von Ungeduld.)

Krämer (liest). Als die Abgeordneten der hiesigen Bürgerschaft, hochgeehrter Herr Frank, erlauben wir uns, Ihnen in cor – cor –

Präzeptor (einflüsternd). In corpore.

Krämer. – in corpore unsere Aufwartung zu machen. Ein Ereignis, auf das wir nur mit Wehmut anzuspielen wagen (der Fleischer reibt sich brummend den Rücken, der Seifensieder macht lebhafte Zeichen des Einverständnisses), das aber mit der vollständigen Unkenntnis der Verhältnisse entschuldigt werden dürfte, veranlaßt uns hauptsächlich zu diesem außerordentlichen Schritt. Unser Zweck ist ein einfacher, – –

Präzeptor (grimmig). Ein dreifacher; lesen Sie doch wenigstens richtig!

Krämer (wirft ihm einen wütenden Blick zu und hält den Hut näher vors Gesicht) – ein dreifacher. Erstens gilt es, dem berühmten Europa-, Asia-, Afrika-, Amerika- und Australiareisenden ein donnerndes Willkommen in Waldhausen zuzurufen! (beiseite, zu Frank:) ich schlug das vor!

Seifensieder (schreit). Willkommen!

Starker. Halten Sie 's Maul! Erst nachher!

Krämer. Zweitens haben wir die Ehre, dem hochgeehrten Begleiter unseres Souveräns mitzuteilen, daß derselbe, der Begleiter, heute früh um 8 Uhr in einer außerordentlichen Sitzung des Komitees zum ersten Ehrenmitglied unseres wöchentlichen Donnerstagkasinos ernannt worden ist. (Leis zu Frank.) Das war auch mein Vorschlag! – Drittens, und hiermit stehen wir an einem Punkt, den wir alle nur mit der tiefsten Rührung erörtern können – (Starker spricht leis mit dem Präzeptor).

Präzeptor (zum Krämer). Der Herr Amtsrichter sind eben pensioniert worden. Nehmen Sie Rücksicht darauf!

Krämer. Wie denn? Wo? (Laut.) Wie wir hören, sind Sie seit einigen Stunden in den Kreis der geachtetsten Familie unserer Stadt eingetreten.

Frank. Das weiß ich ja selbst erst seit 15 Minuten.

Minchen (zu Weller). Ja, die Waldhäuser sind nicht so dumm, als sie aussehen.

Krämer. Sie sind jetzt doppelt der Unsere! Ein Band umschlingt Sie und unsern hochverehrten, gegenwärtigen –

Präzeptor. Hier – hier! – Aber delikat!

Krämer. Unseren hochverehrten seligen Amtsrichter.

Pflichterer. Noch nicht ganz, lieber Herr Krämer, aber beinahe, beinahe, –

Krämer. – unsern beinahe seligen Amtsrichter. Nehmen Sie von Ihren Mitbürgern als einen tatsächlichen Beweis unserer tiefsten Hochachtung diese kleine Gabe. (Leise zu Frank.) Dies war mein Hauptvorschlag, der einstimmig durchging. (Laut.) Nehmen Sie das Symbol dessen, wonach jeder wackere Mann ringt, bis er's hat und nicht mehr los wird, und vor Ihren erstaunten Blicken erscheine ein – (theatralisch beiseite tretend. Der Seifensieder zieht krampfhaft an der Schleife des Umschlagstuchs aus der ein Knoten wird. Der Präzeptor hat einen Arm erhoben und sieht ihn strafend an).

Krämer (leis, heftig) . Jetzt! jetzt! Sind Sie noch nicht fertig?

Präzeptor (leis) . Ich gebe das Zeichen, ich gebe das Zeichen, Seifensieder!

Seifensieder (krampfhaft zerrend). Herrje, herrje, er wird immer fester!

Krämer (laut) – erscheine ein – ein –

Präzeptor (erhebt beide Arme). Sehen Sie denn nicht, ich gebe das Zeichen!

Fleischer (breit). Wunder und Zeichen tun's nicht. Da muß schon ein Metzger her! (Schneidet den Knoten behaglich ab, die Hülle sinkt und es erscheint ein kleiner gußeiserner Kunstherd; allgemeine Zeichen heiterer Freude.)

Krämer (mit gesteigertem Pathos). – erscheine ein Herd! Mögen die Lehrer –

Präzeptor. Laren! Laren!

Krämer (ihn ungläubig ansehend). Mögen die Laren und Pe – Pe – Pe – Prälaten! Lehrer und Prälaten heißt's!

Präzeptor (wütend). Geben Sie her! Kein Schuljunge liest schlechter.

Krämer (wütend in den Hut greifend und ein Blatt Papier hervorholend, das er dem Präzeptor übergibt). Lesen Sie Ihr Gesudel selber! Mein Lausbub schreibt besser!

Präzeptor (feierlich). Mögen die Laren und Penaten Ihres neuzubegründenden Hauses eine warme Stätte auf dem finden, was die Freundschaft, die Liebe, die Achtung und Verehrung Ihrer Mitbürger Ihnen bietet. Möge es Gott gefallen, – (dreht das Blatt um) gefallen, daß derselbe, der Begleiter, heute um 8 Uhr in einer außerordentlichen Sitzung zum – (hält erstarrt) das war ja schon einmal da! –

Krämer (jubelnd). Sagt' ich's nicht, sagt' ich's nicht?

Präzeptor (dreht das Blatt mit fieberhafter Hast mehrmals um). Ah! Krämer, schnell! Pagina 3 muß noch im Hut sein!

Seifensieder. Vivat! vivat! (Starker schlägt ihn aufs Maul.)

Frank. Meine Herren, – meine Freunde, wenn ich Sie so nennen darf, –

Weller (zu Frank). Wenn irgend möglich, bleib nicht stecken!

Frank. Glauben Sie mir, meine Herren!

Seifensieder und Krämer. Bravo! Bravo!

Frank. Ich habe ein schönes Stück der Welt gesehen.

Präzeptor. Brav, sehr gut, über zwei hinauf!

Frank. Und die Welt hat mir manche ihrer Schätze gezeigt.

Alle. Bravo! Bravo!

Frank. Waldhausen hat mir seine Schätze nicht bloß gezeigt, es hat sie mir gegeben. (Das Schreien und der Tumult nimmt überhand.) Waldhausen hat mir mehr gegeben, als mir die ganze Welt gezeigt hat!

(Weller, Pflichterer und Raufeck schreien jetzt mit.)

Frank. Nehmen Sie von einem Mann, der das Leben von allen vier Seiten kennen gelernt hat, nehmen Sie von mir den Dank für das Schönste, was der Mensch besitzen kann: einen eigenen Herd und ein teures Weib! (Umarmt Emilie zärtlich und gibt dem Fleischer die Hand. Minchen schreit in Wellers stürmischer Umarmung um Hilfe. Pflichterer und Starker schluchzen, sich gegenseitig umhalsend, der Krämer springt auf den Herd, schreit vivat! und verteidigt seinen Standpunkt gegen den Seifensieder, der auch hinauf will; unter allgemeinem Tumult fällt der Vorhang.)


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