Max Eyth
Der Waldteufel
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Akt.

1. Szene.

Eßzimmer in der Wohnung des Amtsrichters. Einfach bürgerliche Einrichtung.

Emilie. Gretchen (bringt die Tassen zum Frühstück herein).

Emilie. Geh in den Hof, Gretchen, und sieh nach den Hühnern. Ich will die Tassen schon besorgen. (Die Magd ab. Emilie legt den Tisch aus und singt dabei).

O dürft' ich sagen, wer mein Schatz,
Ihr Vögelein im Walde!
Mein Vater sitzt so stumm und still,
Meine Mutter es nicht hören will;
Ihr singt den lieben langen Tag,
Was jedes singen und sagen mag.
In eurem grünen Walde.

O dürft' ich fragen, wo mein Schatz,
Ihr Vögelein im Walde!
Er zog davon, er ist so fern;
Ich blieb daheim und wüßt's so gern;
Ihr fragt, solang die Sonne lacht,
Wo jedes ist, was jedes macht,
In eurem grünen Walde.

Doch denken darf ich, wie mein Schatz,
Ihr Vögelein im Walde!
Mich herzt' und küßte, als er kam,
Und Abschied nahm, und Abschied nahm;
So was zu denken habt ihr nicht,
Solang's auch scheint, das Sonnenlicht,
In eurem grünen Walde.

(Sie geht ans Fenster und sieht hinaus.)

Ich glaub', ich kann's nicht satt werden, so oft auch die liebe Sonne über unsere Berge heraufkommt, so oft auch das zerknitterte Blättchen unter meinem Kopfkissen geruht hat, ich muß es wieder lesen. (Holt aus der Tasche ein Zeitungsblatt, das sie entfaltet,.) – Du treuer, edler Mensch; o, ich sah's in deinen Augen, was du für ein Herz hattest, eh's den andern davon träumte! – Hier ist's! – Nur geschwind den Schluß, ehe sie kommen. Der Schluß ist doch das schönste: »Der Löwe« – nein, weiter unten: –

– »Der Prinz und Frank springen in demselben Augenblick auf ihre Füße. Ein stummer Händedruck über der Riesenleiche des erlegten Königs der Wüste sagt alles, was sich die kecken Jäger zu sagen haben. Aber der Held unserer Geschichte, mit Stolz sagen wir: unser Held, wird jenen Händedruck seines Fürsten so bald nicht vergessen.« –

O Heinrich, mein Heinrich! und du bist wieder zurück nach sechs langen Jahren und ich soll dich wiedersehen, reich, glücklich, geehrt als der Retter deines Fürsten! Ich kann's kaum fassen!

Ob er mich vergessen hat? Sechs Jahre sind lang und sein Leben war wild genug dazu. Vergessen? dumme Frage! Mein Heinrich kann nicht vergessen.

Und jetzt kommt er wieder, vielleicht morgen, vielleicht heut'!

Er fährt an, im Wagen seines Fürsten natürlich, der Jägerbursch von damals, und die Waldhäuser stecken die Köpfe aus den Fenstern und fragen sich: wer ist's? wer ist's? und auch mein Fenster soll auffliegen (sie reißt das Fenster auf, ziemlich lebhaft) und ich will ihnen sagen: es ist mein Heinrich, Waldhäuser! es ist der Jägerbursch von Scharfeck, Waldhäuser! es ist der Retter –

2. Szene.

Emilie. Amtsrichter Pflichterer (halb angekleidet, einen Stiefel in der Hand).

Pflichterer. Um Gottes willen, Emilie, wer ist denn drunten?

Emilie (dreht sich rasch um). Guten Morgen, lieber Papa! Ach, Gott Lob und Dank, daß diese Nacht vorbei ist! Wie hast du uns erschreckt! Die Tante sagte, sie habe gerade vom seligen Onkel geträumt, wie ihr den Räuber hereinbrachtet.

Pflichterer (macht langsame Bewegungen, erst mit dem linken, dann mit dem rechten Arm, drauf mit den Beinen). So: Gott Lob und Dank! – so! (zieht stöhnend den zweiten Stiefel an). Drin wär' ich! Und vorher fragst du nicht, ob dein Vater noch den Gebrauch all seiner Gliedmaßen besitzt, nach den gräßlichen Erlebnissen von gestern nacht?

Emilie. Aber ich seh's ja, lieber Vater.

Pflichterer. Siehst du's – ei, siehst du's? Kannst du sehen, was ich nicht einmal spüren kann, eh' ich alles sorgfältig untersucht habe? Du siehst's? So! kannst du deinem Vater in den Leib sehen, leichtsinniges Ding?

Emilie. Aber, bester Vater, dich hat doch niemand angerührt. Auch war nur ein Aufrührer oder zwei im Kampf und Ihr waret ja die ganze Stadt.

Pflichterer. Angerührt! Hab' ich dir von dem wilden Tier nichts gesagt, von der afrikanischen Bestie, die wir bekämpften? Ist es nicht genug für einen 66 jährigen Mann – 45 Jahre bin ich morgen im Dienst, Emilie –, auf einem Schreibtisch hinaufzuklettern ohne Beihilfe? Wenn du einmal 66 Jahre alt bist, wird dir's auch nimmer so leicht sein, auf einen Schreibtisch hinaufzuklettern ohne Beihilfe, oben hinauf, auf den zweiten Stock gewissermaßen.

Emilie. O, es würde mir jetzt schon schwer fallen.

Pflichterer. Siehst du! Und nachher wieder herunter! Der Starker war wieder einmal zu gar nichts zu brauchen. Ist die Tante auf?

Emilie. O ja, schon längst, und hat schon gefrühstückt. Sie hat eben den Schnell drunten, den Postillon, der die Gänse nicht gebracht hat.

Pflichterer. So, weiß sie's schon? Schön, schön! – Es ist mir lieb, daß ich's ihr nicht zu sagen brauche. Den Schnell hat sie drunten? – hm, der braucht kein Salz zu seiner Morgensuppe heute. Emilie, wo ist denn aber der Zucker?

Emilie. Ach verzeih, lieber Vater!

Pflichterer. Und meine Tasse steht an der Tante Platz. Ich weiß gar nicht, Emilie –

Emilie (geschäftig den Tisch ordnend). Es war auch eine so wilde, böse Nacht; man konnte kein Auge zutun! Erst brachtet Ihr den Kommunisten, oder was er ist, in die Herrenstube. Dann fiel der Starker die Treppe herunter; ihm sei's noch ganz schwach, sagte er zur Tante, nach der Schlacht. Dann kam das Gretchen von der Post und brachte die Gänse nicht.

Pflichterer (Kaffee trinkend). Ich bin nun neugierig, was wir jetzt mit den Gänsen tun, wenn die Tante hereinkommt. Ich glaube, sie wollte den Herrn von Blumenreich dazu einladen. Der ist doch ihr Liebling, – hm?

Emilie. Sie sind ja aber jetzt nicht da!

Pflichterer. Das ist's eben, Emilie, und ich glaub', der Herr von Blumenreich ist schon eingeladen. Jetzt bin ich nur begierig, was wir mit dem Herrn von Blumenreich anfangen, wenn er schon eingeladen ist. Ist das neue Intelligenzblatt noch nicht gekommen?

Emilie. Doch, lieber Vater; hier ist's. Soll ich dir wieder einschenken?

Pflichterer. Vergiß den Zucker nicht, Kind! Die Tante macht mir den Kaffee immer etwas zu bitter. – O – ho – – was ist denn das? – nein! – – –

Emilie. Ist ein Unglück passiert? –

Pflichterer (lesend mit steigender Aufregung). – Das kann doch kaum – wie? – hör' einmal: »Das Gerücht geht, daß Se. Durchlaucht, unser gnädigster Landesherr, binnen kürzester Frist Waldhausen mit Höchstihrer Anwesenheit beglücken dürften. Seine Durchlaucht sollen die Absicht haben, im strengsten Inkognito unter seinen Untertanen zu weilen. Eine echt fürstliche Idee, wie sie die Weltgeschichte nur bei Herrschern wie Karl dem Großen, Harun al Raschid und Kaiser Josef aufzuzeichnen Gelegenheit hatte. Wohl dem Lande, dessen Souverän sich in solcher Weise bemüht, dem Wohl und Wehe jedes einzelnen seiner Untertanen nahezutreten.« Ein hochwichtiger Artikel, das! Wohl und Wehe! – in kürzester Frist – inkognito – Wo sind meine Stiefel, Emilie?

Emilie. Du hast sie ja schon angezogen, lieber Vater! Du willst doch nicht ausgehen?

Pflichterer. Inkognito – in kürzester Frist! und gerade in diesem Augenblick, wo ich Kassensturz habe, wo gewissermaßen die Revolution uns nahe tritt, wo die Gefängnisse mit Kommunisten angefüllt sind, die meine ganze Amtsführung in Mißkredit bringen, – wo – wo – wo ein wildes Tier den Autoritäten (es klopft wiederholt) – meinen Staatsrock, Emilie! Er kommt, schnell, er kommt!

Emilie. Ich bitte dich, bester Vater, ich glaube, es ist nur der Starker.

Pflichterer (zurücksinkend). Ja, ja, du kannst recht haben; Gott sei Dank! Herein!

3. Szene.

Starker. Die Vorigen.

Pflichterer (faßt sich sehr rasch). Er kommt gerade wie gerufen, Starker! – Starker, ich hab' Ihm eine höchst wichtige Mitteilung zu machen. Hab' Er ein scharfes Auge auf alle Fremden, die nach Waldhausen kommen, ein sehr scharfes Auge; – im goldnen Hirsch und im roten Ochsen besonders. (Zu Emilie.) Ins Rößle geht er doch nicht, denk' ich. – Weiß Er, was inkognito ist, Starker? Reisende, die inkognito erscheinen?

Starker. Sind's Spitzbuben, Herr Amtsrichter?

Pflichterer. Manchmal, Starker, manchmal.

Starker. Ho, ho, ich merke! Unbekannte Landstreicher, Mausfallenhändler, Affentreiber.

Pflichterer. Manchmal, Starker, aber – –

Starker. Gut, schon gut, – verzeihen Euer Gnaden, – aber ich komme mit der wichtigsten Nachricht, der allerwichtigsten Nachricht in eben derselben Angelegenheit.

Pflichterer. Ich will nicht hoffen –

Starker. Wünschen der Herr Amtsrichter die wichtige Nachricht gleich zu vernehmen oder nach dem Kaffee?

Pflichterer. Immer zu, Starker –

Starker. Ich brachte heute früh dem Gefangenen in der Herrenstube die vorgeschriebene Morgensuppe. Verzeihen der Herr Amtsrichter, aber ich muß mit dem Anfang anfangen. Die Schüssel hatt' ich in beiden Händen und so konnt' ich natürlich die Türe nicht aufschließen. Na, denk' ich, ich schrei' meinem Hansel, der Bub' ist zu was zu brauchen; denn hinstellen konnt' ich die Schüssel nicht, ohne sie zu verschütten, und das geht gegen die Instruktion.

Pflichterer. Gut, Starker, gut. Mach' Er vorwärts!

Starker. Der Herr Amtsrichter sollen zufrieden sein. Wie ich so an meinen Hansel denke, hör' ich den Gefangenen sich regen und ein Gespräch mit sich selber anfangen, laut genug für eine kleine Volksversammlung. Halt, denk' ich, du schreist dem Hansel nachher, wenn der Herr drinnen fertig ist; man kann nie wissen, wer in der Herrenstube sitzt, bis man's weiß, und so wart' ich geduldig mit der Schüssel in den Händen meine fünf Minuten zum wenigsten.

Pflichterer. Ja, und was hörte Er denn da? Das war einmal klug von Ihm, Starker.

Starker. Ja, wenn ich's nur wieder sagen könnte, – o – hätt' ich's nur behalten können! Das ging über Freiheit und Asien und Luft und Löwen und Seine Durchlaucht wie ein Mühlrad aus einem Mostschlauch im Kopf herum. –

Pflichterer. Besinn' Er sich und red' Er nicht so konfus! Hat Er denn gar nichts behalten können?

Starker. Doch, doch, sehr viel. Einmal schrie er zum Exempel: »Alles ist zerschlagen und alles ist zerbrochen!« 's war aber, wie ich nachher sah, kein wahres Wort dran; denn der Krug und die Fensterscheiben sind noch ganz und der alte Stuhl hatte von jeher nur drei Beine. Dann ging's los über Freiheit und Gleichheit und Beduinen und Seiner Durchlaucht Name wurde mehreremal mißbraucht.

Pflichterer. Wie? wie? Starker, ich werde Seine Angaben zu Protokoll bringen. Besinn' Er sich, Starker! Ich werde Seine Angaben zu Protokoll nehmen!

Starker. Haben Euer Gnaden nur ein wenig Geduld. »Prinz Adolf«, sagte er einmal – »werde ich je deine Hand wieder drücken wie damals in der Wüste zu« – ja, den Namen behalt der Teufel!

Emilie (für sich, halblaut). Himmel, was war das?

Pflichterer. Ist's ein Komödiant?

Starker. So was muß er sein; denn später deklinierte er: »Wie werden des Fürsten edle Freiheitstriebe ersticken in dem Haufen von Aktenstaub, den er sein Land nennt!«

Pflichterer. Aktenstaub – Land nennt? Das ist ja barer Unsinn, Starker!

Starker. Ja, halten zu Gnaden, Herr Amtsrichter: meine Meinung ist, daß Kommunisten nie was andres sprechen. Und am Ende – aber ich kann's kaum sagen.

Pflichterer. 'raus damit, 'raus damit! Genier' Er sich gar nicht!

Starker (zu Emilie hinüberschielend). Da fing er an, von einem süßen Mädchen – süß, sagte er, Herr Amtsrichter –

Emilie (rasch, zitternd). Sagte er nichts mehr von Freiheit und Gleichheit und dergleichen?

Starker. Namen will ich keine nennen, aber ganz zerknirscht und weich wurde er, und die Suppe war fast kalt. Gefährlich ist's jetzt nicht mehr, dacht' ich, stelle die Schüssel auf den Boden und schließ' sachte auf.

Pflichterer. Höchst verdächtig, all das höchst bedenklich! Werde gleich heute das erste amtliche Verhör anstellen! Nächste Woche können wir dann vielleicht schon das zweite –

Starker. Aber ich bin noch nicht zu Ende, wenn der Herr Amtsrichter befehlen. Wie ich durch die Türspalte sehe, sitzt der Delinquent am Fenster und spielt mit einem goldenen Ding, just wie eine kleine Uhr. Nur waren auf dem Deckel Buchstaben. Und wie er mich gewahr wird, flugs verschwindet das Ding hinter seiner Weste. Ein Taschendieb also, sehr gut! denk' ich, aber eine Haussuchung in dieser Weise könnte nichts schaden, wenn der Herr Amtsrichter erlauben.

Emilie (leise). Waren die Buchstaben blau?

Starker. Wa – was, wissen Sie's denn auch schon?

Emilie (hinausstürzend und dabei die Tante fast umrennend). O himmlische Barmherzigkeit – er ist's!

4. Szene.

Die Vorigen ohne Emilie. Konstanze.

Konstanze (Emilien einen Augenblick nachsehend). Gispel! (auf Pflichterer zu). Ja, das nützt jetzt alles nichts: Du und Starker und ein paar Buben müssen diesen Augenblick hinaus ans Haidewiesle. Der Postillon sagt: er habe keine Zeit, er habe Dienst. Weit können sie nicht geflogen sein. Es sind eine Masse Pfützen dort herum, wo sie sich aufgehalten haben. Und ich sag' dir, Martin, daß mir der Starker die Gänse mit heimbringt!

Pflichterer. Aus Haidewiesle? – zwei volle Stunden? – heut' ? Ja, liebe Konstanze, das geht ja nicht, morgen vielleicht.

Konstanze. Ich bitt' dich, Martin, mach' mich nicht ärgerlich. Ich hab' heute schon genug mit deinem Leichtsinn durchgemacht. Verzeih mir, Martin, aber ich heiß' es Leichtsinn, einem Menschen, wie dem Schnell, drei Gänse anzuvertrauen. Weißt du, wie sie davonkamen? Endlich hab' ich's heraus. Der Kerl hatte von Münchingen an keine Passagiere mehr und da setzt er die Gänse ohne weiteres in den Wagen. Beim Haidewiesle muß der Schlag aufgegangen sein und da sind sie natürlich ausgestiegen. Er sagt: er habe angehalten und sie eine halbe Stunde in der Nacht im Wald herumgejagt. Er könnte mir ebensogut sagen, er habe sie gebraten und mit Haut und Haar aufgegessen, der Lump!

Pflichterer. Aber, liebe Konstanze, wie soll denn dann ich –

Konstanze. Gretchen, bring' Sie dem Herrn die Stiefel!

Pflichterer. Ich Hab' sie ja schon an. Sei nur auch ein wenig geduldiger! Wie soll denn ich die Gänse fangen, wenn der Postillon – ist's der Schnell?

Konstanze. Du – ganz einfach. Du nimmst zwei Buben. Die Buben treiben die Gänse, der Starker treibt die Buben und du treibst den Starker. Anders geht's nicht. Ich weiß, wie die Leute sind hier. Am Ende fangen sie die Gänse, nehmen sie heim und machen dir weis, daß man sie nicht gefunden habe. Bei jeder Bagatelle muß man selbst sein, 's ist ein Elend in diesem Waldhausen.

Starker. Wenn sie nur nicht nach Schlicklingen zurückgelaufen sind, verzeihen Sie, Frau Tante!

Konstanze. Dann läuft Er auch nach Schlicklingen und hält's Maul.

Pflichterer. Nein! wirklich nein, liebe Konstanze; es geht in der Tat nicht. Ich habe eine höchst wichtige Nachricht erhalten. Laß dir einmal vorlesen, beste Konstanze; hier ist's! – echt fürstliche Idee – Seine Durchlaucht – Mein Gott, mein Gott! wenn mich Se. Durchlaucht anträfen, wie ich auf dem Haidewiesle Gänse fange! Sr. Durchlaucht Amtsrichter von Waldhausen! es geht schlechterdings nicht!

Konstanze. Was nützt all das Geschwätz! Ihr könntet schon längst vor der Stadt sein!

Pflichterer. Was es nützt? Nützt's denn gar nichts?!

Starker. Und dann der Kommunist, der Affentreiber, Euer Gnaden!

Pflichterer. Freilich, freilich: das Verhör, das auf heute angesetzt ist –

Konstanze. Affentreiben und Gänsehüten! Affenhüten und Gänsetreiben! Ein rechter Absprung von deiner Würde!

Pflichterer. Aber bei dem Wetter, liebe Konstanze! Sieh nur einmal die Wolke, die dort hinter dem Wald herumschleicht – ganz weißlich – wie Hagel.

Konstanze. O Bruder, Bruder! willst du mich wirklich zur Verzweiflung bringen? Das Wetter! – das Wetter! – und weiter weißt du nichts? Starker, weiß Er noch was? Ihr zwei haltet doch immer zusammen, wenn's gilt; – du meine himmlische Güte! da kommt der Baron von Blumenreich angeritten und der Frühstückstisch ist noch nicht abgeräumt und die Läden im Salon sind noch zu; – Emilie! – Gretchen! – und du stehst noch immer da wie ein vergessener Regenschirm! – Fort mit euch! flink! Er ist schon am vordern Tor. Geht die Hintertreppe hinab, sonst dauert's eine Ewigkeit!

Pflichterer. Regenschirm. Ist doch eine vortreffliche Frau, Starker, meine Schwester. Hätt's, weiß Gott, vergessen. Wie leichtsinnig! (ruft zur Türe hinaus:) Emilie, meinen Regenschirm! Emilie, – wo ist denn mein Regenschirm?

5. Szene.

Emilie. Die Vorigen.

Emilie. Hier, lieber Vater. Und hier hast du deinen Hut.

Pflichterer. Ja, glaubst denn auch du, Emilie, daß –

Konstanze. Nun, wird's bald? Willst du nicht auch den Krämer vorher fragen und den Hansel im Hirsch? Hat Er keine Beine, Starker? Emilie, du gehst in den Keller und holst eine Flasche Malaga. Der Baron muß schon auf der Treppe sein.

Emilie. Auch das noch!

Pflichterer (gegen die Türe geschoben). Ja, muß ich denn? muß ich denn wirklich?

Emilie. Zu all meinem unaussprechlichen Elend auch den noch!

Konstanze. Nun, Emilie, soll ich dich zweimal bitten?

Emilie. Liebe Tante (von einem plötzlichen Gedanken erfaßt) – die Nacht war auch so – ich hab' schon das ganze Haus ausgesucht, aber ich kann meine Schlüssel nicht finden.

Konstanze. O du leichtsinnige Kreatur! was fang' ich an? Emilie (verlegen, aber mit fieberhafter Entschlossenheit). Einer der Schlüssel von Starkers Bund macht den Keller auf.

Konstanze. Starker, wo hat Er seine Schlüssel?

Starker. Hier, Frau Tante.

Konstanze. Hört Er nicht? Geb Er her! Mach Er, daß Er fortkommt!

Starker. Ich will ja den Keller aufschließen, wenn die Frau Tante befehlen.

Konstanze. Geb Er her, sag' ich! Braucht Er die Schlüssel zum Gänsefangen? Fort!

Emilie (abseits, mit den Schlüsseln klingelnd). Euer Kellerschlüssel schließt mein Paradies auf! – Sehen muß ich ihn und – und wenn mir's das Herz bricht!

(Alle ab außer Konstanze, die vor den Spiegel tritt und sich ihre falschen Locken aufsetzt, während Gretchen den Tisch abräumt.)

Konstanze. O diese Männer! diese Männer! Was wäre das ganze Pack, wenn sie uns nicht hätten! (Es klopft.) Herein!

6. Szene.

Blumenreich. Konstanze.

Blumenreich. Werden Sie mir verzeihen, Madame, daß ich mir so früh die Freiheit nehme?

Konstanze. Was verzeiht man nicht einem Dichter, Baron?

Blumenreich. Und der Liebe, meine Gnädigste. Beide kennen keine Zeiten. Früh und spät sind sie bereit, ihre Ideale anzubeten und ihren Göttern Opfer darzubringen.

Konstanze (geziert). Kommen Sie deshalb, Baron?

Blumenreich. Bin ich je aus andern Gründen zu Ihnen gekommen?

Konstanze. Um mich meiner Nichte zu opfern! Schön von Ihnen. O diese Jugend! diese Zeiten! Soll ich sie rufen?

Blumenreich. Im Gegenteil. Ich komme in der Tat zu Ihnen, hochgeschätzte Dame, diesmal ganz besonders zu Ihnen.

Konstanze. Spötter, – um Sie nichts Schlimmeres zu nennen.

Blumenreich. Ach, wenn Sie wüßten, wie fern mir in diesem Augenblick Spott und Scherz liegt, mit wie schwerem Herzen ich mich heute erhoben habe, welch gräßliche Träume meine schlaflosen Nächte –

Konstanze. Großer Gott, Sie erschrecken mich, Baron. Sind Sie krank? Was hat sich zugetragen? Ist am Ende – verzeihen Sie einer mütterlichen Freundin, – ist am Ende das Examen –

Blumenreich (wehmütig lächelnd). Schlimmer, schlimmer!

Konstanze. Schlimmer, schlimmer? – Sie spannen mich auf die Folter! schlimmer? – Haben Sie Erbarmen mit mir!

Blumenreich. Sei's denn! Ihr Mitgefühl macht mir die Eröffnung leichter und eine zweite Nacht, wie diese, würde ich nicht allein tragen. Sie erinnern sich vielleicht meines Onkels in Thüringen, von dem ich Ihnen wohl schon erzählte.

Konstanze. Ich kann mich im Augenblick wirklich nicht entsinnen. Großer Gott! Sie haben mich ganz aus der Fassung gebracht.

Blumenreich. Wir – ich meine die Blumenreich, die Familie, betrachten ihn gewissermaßen als das Haupt des ganzen weitverzweigten Stammes und das Wort des ehrwürdigen und liebenswürdigen Greises galt bisher stets als Gesetz in unsern Familienangelegenheiten. Seit ich, auf seinen Wunsch, die Universität bezogen, hatte ich keine nähere Verbindung mit ihm und so kam es, daß ich durch meine natürliche Neigung in eine Laufbahn getrieben wurde, die den Ansichten und Wünschen des stolzen Mannes vollständig entgegengesetzt ist.

Konstanze. Ich zittere, mein lieber Baron.

Blumenreich. Hören Sie weiter. Mein Examen, das glänzendste, das seit einer Reihe von Jahren gemacht worden ist, veranlaßte den Rektor der Universität, ein feierliches Gratulationsschreiben an meinen Onkel zu senden. Unglückliche Idee! Gestern abend erhalte ich ein Schreiben meines Onkels, das all meine Hoffnungen zu zertrümmern droht, »Wie, lieber Artur«, schreibt er nach einer kurzen Einleitung, »Du solltest Dich soweit vergessen haben, in den Dienst eines jener durch unser Eigentum groß gewordenen Fürsten treten und an einem Schreibtisch gewissermaßen Dein Brot verdienen zu wollen wie der Junge eines Gerichtsdieners oder der Neffe meines Stallknechts? Artur, ich schäme mich Deiner. Hast Du nicht Stolz genug, Deine Selbständigkeit allem vorzuziehen, was Dir ein Dienst bieten könnte, der, wenn ich recht weiß, der Kanaille förmlich offen steht?«

Konstanze. Ach, wie ich Sie um einen solchen Onkel beneide, Baron! Er hat bitter recht, Ihr Onkel!

Blumenreich. Wie, auch Sie vergessen die Gesinnungen Ihres Bruders? Vergessen die Bedingungen meines Glücks, meiner irdischen Seligkeit?

Konstanze. Meines Bruders? (nachdenklich) Meines Bruders? Allerdings, Sie haben recht, das muß überlegt werden.

Blumenreich. Was ist viel zu überlegen? Der Herr Amtsrichter schien sehr positiv, als wir die Sache verhandelten. Ach! Sie sehen in mir den unglücklichsten der Menschen. Auf der einen Seite der Unwille meines Onkels, auf der andern der Verlust von allem, was mir dieses Leben wert macht. Welch qualvolle Wahl!

Konstanze. Wäre denn der Onkel nicht vielleicht –

Blumenreich. Ha, wenn Sie ihn kennten! Ein Mann wie Feuerstein, der Funken gibt, wenn seine Lieblingsideen unsanft angeschlagen werden.

Konstanze. Und dann – mein Bruder! Aber so schnell räumen wir das Feld denn doch nicht. Sehen Sie! Sie wissen ja, daß mein Bruder mir gewöhnlich gern den Willen tut, selbst wenn es ihm sauer fällt. Hinter seinem Rücken muß ich ihm nachsagen, er hat mir nur einmal in seinem Leben ernstlich widersprochen, und das war in der Nacht nach der Verhandlung, auf die Sie anspielen. Ach, diese Szene! Zwei Nachtwächter verlangten wegen des Lärms eingelassen zu werden, aber er blieb fest. Schließlich gelang's ihm, sich in sein Schlafzimmer einzuschließen, das er zwei Tage lang nicht mehr verließ. Aber es half nichts. Ich hätte ihn aushungern müssen, er wäre fest geblieben.

Blumenreich. Unbegreiflich! Bei einem so guten Mann rein unbegreiflich!

Konstanze. Der beste Mann hat seinen Sparren, glauben Sie mir, Baron! Ihr Onkel hält's für eine Schande, in den Staatsdienst zu treten, mein Bruder kennt nichts anderes und haßt und verachtet alles, was drüber oder drunter liegt.

Blumenreich. Welch hingebende Vaterlandsliebe! Wie beneide ich Sie um einen solchen Bruder, Madame!

Konstanze. Nichts zu beneiden! Dazu liebt er seine Tochter kindisch.

Blumenreich. Wer verdiente es besser?

Konstanze. Nun, sehen Sie, lieber Baron, das ist im Augenblick Ihr Sparren. Und mit Gewalt soll Emilie reich und geehrt und geliebt werden, aber nur im Staatsdienst; das versteht sich! Eine musterhafte Aufführung auf der Universität ist Vorbedingung, ein gutes Staatsexamen unerläßlich. So waren die Artikel fertig, die er die Unverschämtheit hatte, Ihrer Bewerbung entgegenzusetzen. O, ich weinte Tränen in jener Nacht, – seit 15 Jahren preßte er mir die ersten Tränen ab – um Sie, Baron!

Blumenreich (zärtlich). Freundin! Mutter!

Konstanze. Aber büßen soll er's, büßen! Und mit Ihrem Staatsdienst machen Sie sich keinen Kummer. Lassen Sie mir nur Zeit, – nur drei Wochen Zeit. Weich soll er werden, daß er seine Tochter einem Postillon nicht mehr abschlägt!

Blumenreich. Das ist's eben, meine Gnädigste: Wir haben keine Zeit. Heute oder nie. Hören Sie, wie mein Onkel seinen Brief beschließt. »Unter allen Umständen komme augenblicklich zu mir nach Thüringen. Eine junge Dame, Deine Künftige, wenn das Wort Deines Onkels Dir noch etwas gilt, ist auf Besuch bei uns. Urteile, wenn Du sie gesehen hast, ob ich Geschmack mit meinem wohlüberlegten Plane verbinde, aber nimm Extrapost, weil den verfluchten Eisenbahnen nicht zu trauen ist. Dein Onkel Wolfram von Blumenreich.«

Konstanze (in ihren Stuhl zurücksinkend). Das geht über meine Nerven! Die Ochsen – die Ochsen stehen – am Berg – (lange Pause).

Blumenreich (Konstanze aufrichtend; leise). Wenn ich ihm nicht mit einer Verlobungskarte antworte, bin ich verloren.

Konstanze. Und wenn – was dann?

Blumenreich. Ach, Sie kennen meinen Onkel nicht. Er ist zu sehr Kavalier, um der Braut seines Neffen auch nur mit einem unzarten Worte zu begegnen.

Konstanze (auffahrend). So wäre also nur mein Bruder im Wege, nur mein Bruder!

Blumenreich. Nur Emiliens Vater, wenn Sie gewiß sind, daß die Heißgeliebte sich so schnell entschließen kann.

Konstanze. Sprechen Sie mir nicht von dem Kind! Mein Bruder! allein mein Bruder! Muß der Narr auch gerade diese Narrheit haben! Ist's nicht, um aus der Haut zu fahren? Wie viele Tage lassen Sie mir Zeit?

Blumenreich. Zwei, im äußersten Fall. Sie kennen meinen Onkel nicht.

Konstanze. Zwei? Ich weiß, wenn ich versuche, ihn auszuhungern: solange hält er's aus! – Nicht mehr, Baron?

Blumenreich. Nicht mehr!

Konstanze. So sind wir verloren. Gegen die Dummheit kämpfen – wie sagen Ihre Dichter? (lange Pause).

Blumenreich (geheimnisvoll, leis). Einer meiner Freunde gewann sein Glück in einem ähnlichen Fall – er heiratete die Prinzessin Pauline – auf eine eigentümliche Weise. Er ersuchte einen seiner Bekannten, im Hause seiner Braut den Fürsten von Ixkühl zu spielen und den Vater zu bitten, die junge Dame seinem Protégé zu geben. Der gute Vater tat's und das Ende war das Glück zweier Glücklichen.

Konstanze. Warum erzählen Sie mir das? Haben Sie Zeit zu scherzen?

Blumenreich. Ich weiß, Ihr Bruder achtet seinen Souverän über alles.

Konstanze. Wie ein Engländer, wie ein Chinese.

Blumenreich. Er hat ihn, soviel ich weiß, noch nie gesehen.

Konstanze. Wie könnte er? Der Fürst ist ja ein halber Wilder.

Blumenreich. Und ich habe einen Freund hier, – er gleicht dem Fürsten zwar nicht ganz –

Konstanze (aufspringend). Baron! – Baron! – (zurücksinkend) nein, es geht nicht.

Blumenreich. Warum, Gnädigste? Macht Ihnen Ihre strenge Rechtlichkeit Skrupel? Ach, Sie kennen das Hofleben zu gut! Was ist eine kleine Intrige? Alle die Prinzen und Prinzessinnen, für die Sie jeden Sonntag in der Kirche mit loyaler Inbrunst beten, spielen wahrend der Woche nichts als dergleichen Lustspielchen.

Konstanze. Aber wenn unser Fürst – ich meine unser Fürst entlarvt würde? Schließlich muß es ja doch an den Tag kommen.

Blumenreich. Dann bin ich längst glücklicher Bräutigam, vielleicht der glücklichste der Ehemänner. Tante, Freundin, Mutter! können Sie zwischen mich und mein Glück treten?

Konstanze. Mein Bruder – ich glaub', er würde mich vergiften.

Blumenreich. O natürlich, Sie brauchen dann eine kleine Luftveränderung. Sie gehen auf etliche Monate auf eines meiner Schlösser.

Konstanze (leidenschaftlich), Baron, lassen Sie sich umarmen! – Baron! Baron! Wir sind gerettet!

(Blumenreich ergibt sich mit einigem Widerstreben der Umarmung. Wählend der letzten Worte erscheint Emilie mit der Malagaflasche unter der Türe, wirft dieselbe mit einem Schrei mitten ins Zimmer und stürzt hinaus; der Baron und die Tante sehen sich verblüfft an.)

7. Szene.

»Herrenstube«, ärmlich möbliertes Zimmer mit einem Fenster.

Frank (allein).

Frank. Mittag! Es geht alles seinen ruhigen Gang wie vor Jahren, Vermutlich denkt man vor einer Woche nicht daran, sich nach mir umzusehen.

(Streckt und schüttelt sich). Wie oft war ich schon in schlimmeren Lagen als heute in dieser Rattenfalle! Ist's die Luft, die mir allen Mut aus den Knochen zieht? Sind's die verfluchten engen Wände, die einem bleischwer auf der Brust liegen? Ist mir doch in meinem Leben nie so erbärmlich zumute gewesen!

Schäme dich nicht, Frank, 's nützt doch nichts!

Denn wie soll ich herauskommen aus dem verdammten Loch, ohne daß sie es merkt? Kann ich ihr unter die Augen treten nach sechs Jahren des Hoffens und Harrens, eingesteckt wie ein Vagabund, herumgeschleppt wie ein Mausfallenhändler?

Und dann, wenn sie lange Umstände machen, – warum sollten sie's nicht? 's ist ja ihr Lebenselement! – und der Fürst kommt uns auf den Hals und hört die Geschichte? Sagte er mir nicht zum voraus haarklein, wie's kommen werde? Drückte er mir nicht ordentlich wehmütig die Hand, als die Berge von Triest am Horizont aufstiegen? »Lassen Sie Ihren Waldteufel in Afrika!« sprach er, auf den Affen deutend, der mit uns auf dem Verdeck herumspazierte. Ich verstand ihn nur zu gut. »Hoheit«, sagte ich, »ich glaube, der Waldteufel ist zahm.« »Will's Gott!« meinte er, ernster als ich's damals für nötig hielt: »Für Sie habe ich immer Platz in meinem Fürstentum; das wissen Sie wohl, lieber Frank; aber dem Waldteufel würde es zu eng werden. Werfen Sie das Vieh über Bord, mir zu Gefallen!« Ich tat's nicht. Das Herz hing mir an dem Tier und es war zahm. Aber kaum tu' ich den ersten Schritt in der alten Heimat, voll Sehnsucht, voll der süßesten Hoffnungen, voll der besten Entschlüsse– –

8. Szene.

Emilie (hat die Türe vorsichtig geöffnet, dann vorstürzend).

Emilie. Ja – er ist's! Heinrich! Nach sechs langen Jahren! Mein Heinrich!

Frank. Emilie, o, ich ahnte dich! (lange stumme Umarmung).

Emilie. Mein Heinrich! – und hier muß ich dich wiederfinden!

Frank (mit stolzer Freude). Hier, Emilie! Was kümmert mich der Ort, wenn ich dich in den Armen halte? Hier, Emilie!

Emilie. Mich kümmert er, Heinrich; mich kümmert mehr als das.

Frank. Willst du dir die erste Minute verderben, mein Schatz? Wielange haben wir uns nach dieser Minute gesehnt, du im stillen Waldhausen, in deinem Stübchen, unter Rosen und Gelbveigelein, ich unter Palmen und Sykomoren, auf dem brausenden Meer und in der schweigenden Wüste. – O auch du! auch du! du kannst's nicht leugnen.

Emilie. Aber hätt' ich ahnen können, wo wir sie feiern? O Heinrich!

Frank. Du hättest dich doch gesehnt wie ich. Wir können's nicht lassen.

Emilie (jubelnd ausbrechend). Und da bist du wieder und ich hab' dich und halt' dich und küss' dich! So ganz der Alte! – (mit komischer Verzweiflung). O, so ganz der Alte!

Frank. Wolltest du einen Neuen?

Emilie. Nein! nein! nein! Aber wissen sollst du's doch, wie weh du mir tust –

Frank. Emilie, – noch eine Minute zur ersten, nur noch eine! (will sie umarmen, Emilie zieht sich zurück).

Emilie. Wie oft du mir weh getan!

Frank. Oft?

Emilie. Mit deinem wilden, gleichgültigen Wesen, mit deiner unverzeihlichen Rücksichtslosigkeit. Sieh, wenn andre Mädchen mir ihre Schatzkammer zeigten, ihre Briefe, die sie bogenweise, jede Woche drei, erhielten: was konnte ich zeigen in sechs langen Jahren? Ich war das ärmste Mädchen in der Stadt, Heinrich.

Frank (lachend). Aber, mein Schatz, am Kongo gab's keine Tinte, und die Schwarzen ließen sich nicht abreiben.

Emilie. Nein! Du sollst jetzt nicht lachen! Da hatt' ich einen Brief mit dem Datum vor sechs Jahren aus Marseille. Das war bei deiner Abreise. Mit dem Brief schicktest du mir zwei große, garstige Schildkröten.

Frank. Garstig, Emilie?

Emilie. Ja, garstig, daß meine gute, selige Mutter einer Ohnmacht nahe war, als wir die Schachtel aufmachten. Sie laufen jetzt noch im Hof herum und erschrecken die Kinder. – Dann kam ein Brief aus Kairo und ein einbalsamierter Ibis. Der steht in meinem Stübchen und ist noch immer wohlerhalten. Manchmal, wenn eine meiner Freundinnen auf Besuch kam und wir von unsern Liebsten schwatzten, – dann mußt' ich den Ibis ansehen und denken: Ja, ja! der ist gerade wie seine Liebe. Der Vogel verdirbt nicht und wird nie mehr lebendig!

Frank. Du tust mir unrecht, Emilie, du tust mir bitter unrecht.

Emilie. Tatest du mir's nicht? – Denn das war, glaub' ich, alles.

Frank. Was, alles? – Und der Brief von Bagdad, den ich einem armenischen Juden nach Jaffa mitgab, kam nicht an und einer von Rangoun und der Papagei von Buenos Aires?

Emilie. O doch, doch! der Papagei kam. Erst hatte der Vater das Porto von Hamburg zu bezahlen. Wie dann die Tante im gerechten Zorn in mein Stübchen kommt, um mich's abverdienen zu lassen, und ich ihr zur Versöhnung mitteilen will, du schreibest, der Wundervogel spreche deutsch –

Frank (freudig). War auch ein Wundervogel! Drei Tage sucht' ich in allen Matrosenkneipcn der Stadt, bis ich einen deutschen Papagei auftreiben konnte. Keine Kleinigkeit in Buenos Aires! Was hätte dir's genützt, wenn ich einen geschickt hätte, der dir zuruft: How do you do, my dear fellow!

Emilie. Ja, was half mir sein Deutsch? Kaum war die Tante aufmerksam, – sie war damals erst zwei Wochen bei uns, und 's ist wahr, der Vogel hatte etwas Vornehmes zum Ansehen, – so schreit das Tier mit lauter Stimme: »Alte Schachtel, alte Schachtel!« Das Zwiegespräch solltest du gehört haben! »Was? Du impertinentes Tier!« fängt die Tante nach dem ersten Schrecken an. Der Lärm wurde gräßlich, der Vogel schlug mit den Flügeln, kreischte und schrie und die Tante war ganz außer sich. Das brachte den Vater die Treppe herauf, um zu sehen, was es gebe, und wie er die Türe öffnet, schreit der Vogel mit offenem Schnabel: »Du Spitzbub, du Spitzbub!« Da war's aus mit ihm.

Frank. Schlugen sie ihn tot?

Emilie. Sie wollten ihn schlachten und der Vater wollte sehen, ob man ihn essen könne. Aber ich litt's nicht und flüchtete ihn in den goldenen Hirsch. Da ging natürlich alles über mich.

Frank (mitleidig). Armes Mädchen, und das war alles für deine sechsjährige Treue?

Emilie (heftig). Nein, nicht alles! In den Zeitungen mußt' ich dann und wann finden, was der Herr Heinrich Frank, unser berühmter Landsmann, getan und gelassen habe. Ich ließ mich das Suchen nicht verdrießen. War's doch mein Heinrich, der berühmte Landsmann, und am Ende muß er ja wiederkommen, wenn's Gottes Wille ist. – Und er kommt, ja er kommt endlich, – aber wie!

Frank. Emilie, halt ein!

Emilie. Aber wie! Ich hatte wohl ein Recht, zu denken, er werde nach Waldhausen kommen, vielleicht im Wagen seines Fürsten, dem er das Leben gerettet, und werde vor der Vogtei anfahren und sich die kleine Mühe nicht verdrießen lassen, nach seinem alten Schatz zu sehen. Und richtig, er kommt nach Waldhausen, wann, weiß niemand, wie, weiß kein Mensch! Plötzlich ist er da und das erste, was man hört, – der erste Lohn für meine vergangene Mädchenjugend, die ich um dich verloren –

Frank. Noch nicht ganz, Schatz, noch nicht ganz!

Emilie. – das erste ist, daß er die ganze Kasinogesellschaft von Waldhausen zu ihrer eigenen Türe hinauswirft, und das zweite, daß er in der Herrenstube sitzt hinter Schloß und Riegel, – »der Affentreiber!« sagt der Starker. Für meine ganze geopferte Mädchenjugend, für meine gläubige, hoffnungslose, sechsjährige Treue, – (laut weinend) »der Affentreiber!«

Frank. (verzweifelt) Hab' ich mehr für die meine? Bin ich nicht zehnmal ärmer als du?

Emilie. (sich aufraffend) O nicht, als ob ich so ganz leer ausgegangen wäre, wie du vielleicht denkst, 's hat's mancher anderer versucht und sich's jämmerlich sauer werden lassen, die Stelle einzunehmen, die dir so gleichgültig ist. Ein Baron schickt mir seit einem Vierteljahr Broschen und Armbänder, ein Scheffelchen voll, und besingt mich bändeweis. Eins seiner Lieder ist länger als all deine Briefe zusammen. Vor drei Wochen bot er mir seine Schlösser und seine Hand an und alles, was er hat. Warum mußt' ich ihn fortschicken, als wär's ein Strohmann? O Gott, warum mußtest du mich strafen mit dieser unglückseligen Liebe?

Frank. (der bis jetzt mit allen Zeichen der Zerknirschung dagestanden, wild auffahrend, von ihr weg, gegen das Fenster gehend) So wollt' ich doch, ich lag' im Tschadsee, wo er am tiefsten ist, oder wäre geköpft und gekocht nach Landessitte in Timbuktu! So wollt' ich doch, ich hätte meine schwarze Prinzessin geheiratet hinterm weißen Nil und wäre jetzt König und Fürst und zwei liebevolle Arme empfingen mich, wenn ich heimkäme vom Elefantenschießen –

Emilie. (erschrocken) Heinrich!

Frank. O, sie konnte auch: Heinrich! sagen, fast so hübsch wie du, und wenn sie ihre schwarzen Feueraugen –

Emilie. Heinrich, du willst doch nicht im Ernst sagen, daß du dich in ein so garstiges, schwarzes Ding verlieben konntest?

Frank. Warum nicht? Ist dein Baron nicht schwarzer als alles, was auf der Welt schwarz ist?

Emilie. Welche Idee!

Frank. Das ist's eben. Auf die Idee kommt's an. Die Gewohnheit malt den Satan weiß. Sieht man jahrelang nichts als die dunkeln Kinder der Sonne, so fallen einem schließlich die europäischen Schuppen von den Augen. O, wenn ich an jenen Morgen denke! Ich hatte drei Vierteljahre mit dem wilden Stamm gelebt, erst als Gefangener, dann als Begleiter und schließlich als Freund ihres Fürsten. Meine Büchse, schon so oft mein einziges Hab und Gut, erwarb mir all das, selbst die Liebe des lieblichsten der Kinder Hams. Sie lehrte mich die tiefen Klänge ihrer Sprache, ich lehrte sie deutsch. Freilich brachte sie's nicht weiter als bis zum »Heinrich« und »guten Morgen«. Aber was tat's? Ich verstand das gute, sanfte Kind und sie mich, und an jenem Morgen, als ich zum alten König ins Zelt trat, traf ich die sechs Häuptlinge des Stammes bei ihm. Der König benachrichtigte uns mit feierlichem Ernste, daß er alt sei und des Herrschens müde. Alle Häupter des Stammes seien einig, mich zum König zu wählen, wenn ich sein einziges Kind zum Weibe nehme. Da trat sie herein, nach der Sitte jener Stämme, das liebliche Kind der Nilquellen, einen vollen Korb mit Datteln, Orangen und Blumen in den Händen. Durch ihre dunklen Wangen schlug das Rot, als sie vor mir niederkniete und wartete, daß ich sie aufhebe. Ja, sie fliegen einem dort nicht gleich an den Hals, um einem im nächsten Augenblick das Herz zu brechen!

Emilie. Heinrich, du bist ein entsetzlicher Mensch!

Frank. Konnte ich's tun? Könnte ich's lassen? – Ich hob sie auf. Die Häuptlinge begannen Ochsen und Schafe zu schlachten für die Feste. Aber während der ganzen Szene füllte nur ein Bild meine Seele und eine Stimme flüsterte mir zu: 's ist hohe Zeit!« In der folgenden Nacht schlich ich mit klopfendem Herzen an dem Zelt meiner schwarzen Braut vorbei. Aber ich hatte Mühe, eine andere Stimme zu betäuben, die mir noch monatelang zuraunte: »Das arme Kind! laß sie nicht sitzen, schlechter Kerl!« Doch der weiße Vogel war mächtiger als der schwarze Vogel, wie sie dort sagen. Ich band unbemerkt die Pferde los, um deretwillen ich beinahe König geworden wäre, schwang mich drauf und jagte hinaus in die öde, stille Nacht. – (Lange Pause.)

Ich hab' dir keine Armbänder und Juwelen geschenkt, Emilie, 's ist wahr. Bis heute dacht' ich kaum daran. Aber ich hatte keine. Du weißt es ja.

Als ich die Ringlein bezahlte, die unser ganzes Glück zu bedeuten schienen, blieben mir noch 15 Taler, um mich für Indien auszurüsten. Jahrelang hab' ich mich herumgebalgt mit Mühen und Gefahren, von denen du keine Ahnung hast: ich habe nichts errungen als ein kleines Geschrei über den berühmten Landsmann und die Liebe meines Fürsten. Vor dich tret' ich wie gewöhnlich, fast mit leeren Händen. Ich bring' dir dürre Blumen aus dem gelobten Land und Tigerfelle aus Indien, Kaisertee aus China und ein Klümpchen Gold aus Kalifornien; aber 's ist klein, sehr klein. Ja, und den Cäsar (plötzlich heiter werdend) und das ist ein Kapitalkerl!

Emilie. Den Cäsar? einen Mohren? einen Schwarzen? Ich will nicht hoffen.

Frank. Nicht ganz, nicht ganz –

Emilie. Ist er braun? Das ist mir schon lieber. Wie will ich ihn freundlich behandeln, den armen, unglücklichen Menschen!

Frank. Braun ist er zwar, aber ein Mensch ist's nicht, 's ist ein Affe. Erschrick nicht, Emilie. Er ist soviel wie ein Mensch; er ist mehr. Er kann Zeitungen austragen, Kaffee machen, Stiefel wichsen, wenn er seinen guten Tag hat. Und treu ist er wie ein Hund, und Mut hat das kleine Geschöpf wie ein Löwe, Gib ihm einen Stock in die Hand und er jagt dir ganz Waldhausen – (stockt, da sich Emilie rasch abwendet) 's ist ein gutes, treues, wildes Geschöpf und hat mir schon aus mancher Not geholfen, soweit sein Verstand reichte. Freilich, Armbänder und Broschen hat er nicht wie ich. In Versen kann er seinen Kummer nicht ausschütten wie ich, wenn er dir treuherzig in die Augen sieht. Und sieh – doch häng' ich an dem Tier!

Emilie, du hast recht. Stumm bin ich unter den fernen Palmen gelegen und auf dem stillen Deck des Schiffs, wenn's den Ozean durchschnitt, und habe an dich gedacht und von dir geträumt, – was hattest du davon? Arm bin ich durch den gelben Sand der Wüsten und die wogenden Halme der Prärien geritten, nur dich im Herzen, und machte keine Gedichte. Ob die Treue etwas gilt auf dem Markt der Welt, mußt du wissen. Ich habe nichts anderes. Gern will ich glauben, und nur zu gern, daß andere kommen und dir Geld bieten und Ehre und Schlösser und Lieder. Aber keiner kann sagen wie ich, daß er dich sechs Jahre lang im Herzen in aller Welt herumgetragen, ohne dein Bild zu verlieren, keiner, auch dein Baron nicht, kann vor dich hintreten und sprechen: »Ich hab' ein Königreich um dich gegeben, Emilie!« Und das kann ich, das kann ich!

Emilie (ihm an den Hals fliegend) Mein Heinrich! vergib mir, mein Heinrich!

(Während des pathetischen Teils von Franks Rede ist der Affe von außen am Fenster erschienen, und sucht durch Gebärden die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Offenbar die Geduld verlierend, schlägt er in diesem Augenblick eine Scheibe ein, wirft ein Billett ins Zimmer und verschwindet. – Emilie fährt mit einem Schrei aus der Umarmung und wird von Frank auf einen Stuhl niedergelassen.)

Emilie (tief Atem holend) Das Tier! – ich glaube, es war nur das Tier. Aber wie mich's erschreckt hat!

Frank. Fass' dich, Liebe! Du erschrecktest mich fast noch mehr.

Emilie (auf das Billett deutend). Dort! dort!

Frank. Ah, – das ist des Pudels Kern? (hebt es auf und liest). Sagt ich's nicht? Hätt' ihm das ein Mensch nachgemacht?

Emilie. Was – was ist's?

Frank. Willst du's hören? Wie ist dir? Ist dir wieder ganz wohl, mein kleiner Held?

Emilie. Ganz, ganz! Ich war ein rechtes Kind! Ach, bald soll mich die ganze Welt nicht mehr aus der Fassung bringen, wenn du mich ans Herz drückst.

Frank. Geb's Gott! Nur sieht gerade jetzt die Welt etwas knurrig aus. Der Zettel ist kurz: »Tu dein möglichstes, um auszubrechen, Frank! Die Feinde regen sich. Ein Tag kann alles entscheiden und verderben. Es gehen Gerüchte von dem früheren Kommen des Fürsten, bei denen ich nicht mehr weiß, was Wahrheit und was Dichtung ist. Um jeden Preis brich aus! Dein Weller.« – Es scheint ernst zu sein. Kannst du mir hinaushelfen, Schatz?

Emilie. Aber, erkläre doch –

Frank. Warum dich ängstigen? Ich weiß, unser Glück steht auf dem Spiel, aber die Hoffnung scheint mir wieder wie's lichte Sonnengold ins Herz. Willst du mir hinaushelfen?

Emilie. Laß ich dich jetzt hinaus, so bin ich verraten und verloren. Man weiß, daß ich die Schlüssel habe. (Nachdenkend.) Soll ich – ? Was soll ich tun? Sag! ich tu's.

Frank (nachdenkend) Das ginge nicht!

Emilie. Kannst du warten bis heute nacht?

Frank. Wenn ich muß, – wenn du willst.

Emilie (sehr eilig; man hört Schritte von außen) Vorn hinaus geht's nicht; Starkers Jungen liegen Tag und Nacht auf der Treppe. (Ans Fenster tretend.) Ist dir's zu hoch?

Frank. Hinauspringen? Vier Stock? Emilie, das kann selbst die Liebe nicht.

Emilie (lachend). An Leintüchern, natürlich an Leintüchern.

Frank (jubelnd). An einem Bindfaden für dich!

Emilie. Horch, es kommt! (Beide der Türe zu.) Geschwind noch einen Kuß! Die sechs Jahre waren so lang!

Frank. Tausend, wenn uns der Himmel Zeit gibt. O, Schatz, zehn schwarze Königreiche bezahlen dich nicht zu teuer.

Emilie. So gilt doch die Farbe, scheint's, noch was bei dir, du guter, treuer, herziger – Mohrenprinz! (rasch ab).

(Der Vorhang fällt.)


 << zurück weiter >>