Max Eyth
Der Waldteufel
Max Eyth

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Erster Akt.

1. Szene.

Wirtsstube im Hirsch zu Waldhausen. Links im Vordergrund erhöhter Erkersitz, mit Tisch und zwei Stühlen, weiter hinten Kachelofen. Rechts im Vordergrund Türe nach der Hausflur, weiter hinten altertümlicher Geschirrschrank. Mittelgrund, diagonal durch die Bühne stehend, lange Wirtstafel. Im Hintergrund links Türe nach der Küche, rechts Schanktisch und Bierfäßchen, Gläser, Das Ganze behäbig, aber anspruchslos eingerichtet. Dämmerung.

Weller (sich im Sorgenstuhl oben am Tisch niederlassend). – Minchen (ab und zugehend und den großen Tisch zurichtend).

Weller. So! da wären die rauchgrauen Wände wieder und der lange Tisch und die alte Wanduhr! Alles, wie's ging und stand vor – laß einmal sehen! drei Jahre in Fürstenstein, anderthalb in Hengstenberg und nun wieder anderthalb in Fürstenstein, – tut volle sechs Jahre. Blind könnte ich noch die Zündhölzchen dort hinten unterm Handtuch finden! Nur die Menschen sind etwas größer geworden, (zu Minchen, die an den Tisch tritt) größer und runder.

Minchen (schnippisch). Die draußen sind, scheint's, um so viereckiger geblieben.

Weller. Sachte, mein Schatz, sachte! Die Glieder sind mir von der Fahrt noch zu steif, aber lassen Sie mich warm werden, Sie sollen erstaunen, wie ich mich abrunde. Haben Sie etwas zu trinken?

Minchen. Frisches Bier und Wein, Zwölfer und Achtzehner, Markgräfler in Flaschen und Niersteiner, – hier ist die Karte!

Weller. Ich glaub', ich brauch' etwas fürs Herz.

Minchen. O, kalt Wasser, soviel Sie wollen, – einen ganzen Brunnen voll.

Weller. Wunderliche Leute hier mit kuriosen Herzen im Leib! Brauchen Sie's auch manchmal?

Minchen. Nein; – nie, wenn Herren aus der Residenz kommen. (Geht.)

Weller (allein). Hübsch ist sie geworden und der alte Wildfang geblieben. Wie doch mein ganzes vetterliches Bewußtsein aufflammt! Wie all die Ohrfeigen, die sie mir vor sieben und acht Jahren mit so vielem Geschick applizierte, wieder zu brennen anfangen! Ich nahm sie schon damals ahnungsvoll von ihr als Pfandscheine künftigen Glücks. (Laut) Markgräfler, Fräulein!

Minchen (von der Schenkstube aus). Sogleich!

Weller (für sich). Sie tut, als habe sie mich vergessen. Ärgerlich! Sie sollte ihrem alten Spielkameraden an den Hals fliegen. Der Drang kann doch kaum so ganz einseitig sein. Statt dessen geht sie! – (Laut) Käs, Minchen! Emmentaler, liebes Fräulein!

2. Szene.

Weller. Frank (rasch eintretend).

Frank. Tu mir den einzigen Gefallen, Weller, und frag mich nichts. Gute Nacht für heute!

Weller. Ein bescheidenes »Beiseite« wirst du mir doch vielleicht gestatten, Sohn der Wildnis: – »Was des Kuckucks ist in den Kerl gefahren?«

Frank. Das ist und bleibt eine Frage und keine der bescheidensten. Doch – da du die Hauptsache kennst, muß ich dir die Einzelnheiten wohl in Kürze mitteilen. Aber halt mich nicht auf!

Weller. Fällt mir nicht ein, wenn du dich nicht bei den Einzelnheiten aufhältst.

Frank. Ich war oben in meinem Zimmer, um mir den Staub von der Reise abzuschütteln; da trat unser Wirtstöchterlein herein.

Weller. Ho, ho!

Frank. Scheint's ganz unversehens.

Weller. Ich will hoffen.

Frank. Du hast dabei nichts zu hoffen, Alter! Sie wollte nur ein vergessenes Handtuch bringen. Sie ist hübsch und ein gutes, treuherziges Kind.

Weller. Sehr schmeichelhaft! – Was hat das mit dem Handtuch zu schaffen?

Frank. Ein Wort gibt das andre. Die Waldhäuser Chronik der letzten sieben Jahre kommt wie von selber aufs Tapet. Ich frage – und weiß der Himmel, das Herz klopft mir dabei wie einem Schuljungen –, ich frage nach Emilie.

Weller. Wie klug und vernünftig selbst die unvernünftige Kreatur manchmal fragt. Es ist, etwas Herrliches um den Instinkt!

Frank. Ich höre, daß alle Donnerstage im Pfarrhaus ein Kränzchen gehalten wird, bei dem die hiesige Flora für die am Kongo Strümpfe strickt, und daß Emilie nie fehle.

Weller. Und daraus willst du schließen –? O heilige Einfalt, wie schlau die Liebe ist!

Frank. Heute ist Donnerstag.

Weller. Soviel ich weiß; laß sehen – vorgestern war Dienstag.

Frank. Das Kränzchen fängt um vier Uhr an und erreicht gegen neun ein seliges Ende. Du kennst doch die Allee vom Pfarrhaus nach der Vogtei?

Weller. Große, alte Kastanien, für Schweinsmast verpachtet, mitunter auch ein nutzbarer Holzbirnbaum.

Frank. Und kurz und gut, – dort werd' ich sie wiedersehen! Nach sieben langen Jahren! Dort muß ich sie wiederfinden! Und heute noch, Weller, heute!

Weller (ruhig). Ich rechne so: Vier Uhr Beginn, neun Uhr Ende des Strumpfkranzes. Wir haben jetzt Punkt 7. Weg zur Allee: drei Minuten, unter obwaltenden Umständen 35 Sekunden; – Länge der Allee 7 Minuten, durch die Verhältnisse auf 1 ¾ reduziert; – hm – du hast Ursache, sehr eilig zu sein! Laß mal sehen: wie oft kannst du die Allee auf- und abrennen? – 1 ¾ in zweimal sechzig – Kreide, Fräulein! –

Frank. Sei vernünftig, Weller! Unsre Bubenjahre sind vorbei, aber ein bißchen Unvernunft solltest du mir wohl hingehen lassen nach – nach – –

Weller. Mein Gott! Du bist ja weich wie Butter, Patagonier! Wenn ich ein schlechter Kerl wäre, würd' ich die Gelegenheit benützen und dir etliches heimzahlen aus früheren Zeiten. Aber ich bin von Natur edelmütig und kann deine Lage verstehen. Wenn man sieben Jahre lang mit schwarzen und braunen Schönen abgespeist wurde, muß notwendig die weiße Zivilisation im Unterrock verwirrend auf Kopf und Herz wirken. Liegt dann noch ein altes chronisches Leiden vor – –

Frank. Gute Nacht denn, Weller! Wenn's auch nicht um die Begegnung wäre – ich brauche Luft! 's ist alles so eng bei euch!

Weller (hält ihn am Rockknopf) – – so solltest du den Rat eines vernünftigen Hausdoktors mindestens anhören und du weißt ja, ich habe mein Vieh-, Pferde- und Hundsarztexamen hinter mir. Recipe: Man setze sich ruhig zu einem Glas Bier und trinke deren zwei, drei, vier in möglichst taktmäßiger Geschwindigkeit. –

Frank. Weller!

Weller. Frank!

Frank. Du bringst mich zur Verzweiflung!

Weller. Ein Zustand, der deinem gegenwärtigen vorzuziehen ist. – Man lege sich darauf zu Bett und ruhe unter dem Einfluß der genossenen Medizin 7 bis 8 Stunden bei mäßiger Transpiration. Ehe man hierauf am folgenden Morgen in Frack und Glacee seine Aufwartung macht bei dem wohllöblichen Magistrat von Waldhausen und seinem außeramtlichen Töchterlein, und sich mit der nötigen Bescheidenheit als vielgereisten, berühmten Landsmann, als Günstling des neuen Souveräns, als augenblicklichen Inspektor, späteren Jagd- und Forstverwalter, hochfürstlichen Fisch- und Vogelfänger von Waldeck – –

Frank. Unsinn!

Weller. – vorstellt, hat man sich das Gesicht und andere Teile des Körpers säuberlich mit Wasser abzuwaschen. Auch rasiere man sich, Frank!

Frank. Daß du den Nagel schließlich doch auf den Kopf triffst! Rasieren? Ja, rasieren muß ich mich, – heute noch, – lieber gleich! Man kann nicht wissen, was passiert!

Weller. Die Klugheit selbst könnte nichts Klügeres sagen. Aber halt! du bist auf der Stirne schwarz wie ein Mohr, – – halt, Frank (ihm nachrufend) – von deiner alten Mütze! Wasch dir auch den Kopf, Frank! Ganz kaltes Wasser, sagt Minchen. (Frank entfernt sich rasch, indem er mit den Fingern seinen Bart untersucht.)

3. Szene.

Weller (allein, sich setzend).

Weller. Er donnert die Treppe hinauf. Er ist noch immer der halbe Wilde und hat noch immer ein etwas zu großes Herz im Leib. Es konnte kaum anders werden. Mit Indianern und Beduinen hast du Bruderschaft getrunken; wie wird dir's eng werden in unsrer kleinen Welt!

Es gibt nur ein Mittel, dich zu retten, guter Kerl, und dein Schutzengel und dein Instinkt treiben dich den rechten Weg. Wenn ich dir einen Stein aus dem Weg räumen könnte?! – aber – aber! Soweit ich's verstehe, sieht die Sache bedenklich genug aus. Ein Haufen Geld, ein schwacher Vater, eine närrische Tante und wer weiß was noch in deinem Weg; auf deiner Seite ein wunderliches Renommee in dem alten Vaterstädtchen, eine bescheidene Herkunft, dein ganzes Hab und Gut Löwenfelle und Seehundszähne, Pfeile und Streitäxte und die verzweifelte Bestie, die uns in alle möglichen Verwicklungen bringt.

Hm – hm – – und vollends eine von den unglückseligen ersten Lieben, die stets in der Luft verknallen! Das ist das Schlimmste am ganzen Handel. Es nimmt einem vernünftigen Menschen vornweg den Glauben an die Möglichkeit eines brauchbaren Ausgangs – – (stockt und trinkt nachdenklich weiter).

4. Szene.

Artur v. Blumenreich (tritt ein, aufgeregt, Bleistift und Papier in der Hand, bemerkt Weller nicht, der sich in eine Zeitung vertieft).

Blumenreich (elegant, klein, Fistelstimme). Haben die Himmlischen keine Donnerkeile mehr, um diese verrückte Welt in Stücke zu schlagen? Wiegt ein moosgekrönter Stammbaum und die Ehre des ältesten Geschlechtes nicht schwerer als drei lumpige Nummern in einem philisterhaften Examen? O daß ich und die Weltgeschichte den Kraftfluch vergaßen, den einst mein 19. Ahnherr geflucht, als er von den Ungläubigen meuchlings aufs Haupt geschlagen ward! – Und doch, was kümmert mich das Narrenspiel? Muß doch das Unglück selbst dem Genius dienen, der mich über beides erhebt! (Er hat sich in die Erkernische zurückgezogen und fängt an zu deklamieren.)

Geschleudert hab' ich meine Speere
Ins Angesicht des Mißgeschicks,
Geschleudert hab' ich in die Meere
Den Becher meines jungen Glücks.

Es braust der Wind in Wolkenmassen,
Es heult der Sturm im Wogenschoß,
Ich stehe einsam und verlassen,
Doch steh' ich fest und riesengroß.

So weit wär's. Nun der Schluß, der Gedanke – hm! – (nachdenklich) »Doch steh' ich fest und stehe groß« – groß – groß – »riesengroß«. (Sich hoch aufrichtend, dann fortfahrend) »Blind für der Elemente Grollen, – taub für die Blitze« – nein, für die Donner! – »blind für der Blitze Wetterschein« – natürlich taub für die Elemente, – »blind für der Blitze Wetterschein« – blind – – (Reime suchend) Grollen, – rollen, – vollen, – wollen, – tollen – »ob sie mich auch verschlingen wollen«, – matt! – – »der Elemente Brüllen« – Brüllen, – stillen, – füllen, – erfüllen, – Willen, – »mit meinem Riesenfelsenwillen« – schon besser! – Willen, hüllen, Nebelhüllen, – ha, der Genius naht! – »gehüllt in heil'ge Nebelhüllen, ein altbemooster Runenstein!« Das ist's. Göttlich, göttlich! – »altbemoost?« – geht nicht, – Reminiszenz von Uhland oder Schwab, – »altersgrau?« – schwach! – »bespritzt?« – »salzbespritzt?« – »schaumbespritzt?« – realistisch! – »träumerisch?« – Lenauisch! – der Teufel hol den Lenau, daß er's zuerst gehabt! Das ist's! Also –:

»Taub für der Elemente Brüllen,
Blind für der Blitze Wetterschein,
Gefeit, in heil'gen Nebelhüllen
Ein träumerischer Runenstein.«

So! Da läge das göttergeborene Kind mit dem Funken der Unsterblichkeit im Leibe. Komme mir nun einer her von den plattgetretenen Heroen in Zopf und Puder – du ewig 16jähriger Schiller und du ewig 66jähriger Goethe, lächerlich! (kleine Pause des Nachdenkens).

Und doch durchgefallen! In der scheußlichen Prosa des Lebens doch durchgefallen! Wie eine Kotlawine reißt mir's Blumen und Blüten, Sonne und Sterne und alles hinunter, worauf ich meine Hoffnung gesetzt hatte, – mein Glück, – mein einziges Glück! Wo ist mein Bleistift? – Ich glaube, der Genius naht schon wieder, – süßer Engel! – mein einziges Glück! (Bleibt in sentimentaler Stellung für einige Momente stehen, – Papier und Bleistift in der Hand.)

5. Szene.

Roderich Raufeck (in Kanonenstiefeln mit Reitpeitsche). Die Vorigen.

Raufeck. Blumenreich! Wo steckt das Kamel? Weißt du's schon, daß du dich in diesen Winkel verkriechst?

Blumenreich. Raufeck!

Raufeck. Weißt du's schon, unglückseliges Gänseblümchen?

Blumenreich. Ist das dein Gruß in der Nacht des Unglücks?

Raufeck. Da soll doch gleich ein siedendes – –

Blumenreich. Das deinem Freund, wenn die Wetter sich drohend am Horizont erheben, wenn der schönste Stern an seinem Himmel versinkt? – –

Raufeck. Stern, Hagel und Kometen! Was soll die süße Simpelei? Der Boden wackelt dir unter den Füßen und meine 2000 Taler drohen zu verduften samt deiner ganzen Poesie. – Aber du hattest schon lichtere Augenblicke. Nimm dich zusammen, Kleiner, (ihm derb auf die Schulter klopfend) nimm dich zusammen!

Blumenreich. O Roderich, diese Worte, – diese Klänge aus längstvergangenen Tagen!

Raufeck. Beim Cerberus, den Menschen heimelt seine Fuchsenzeit an! Ja »o!« ja »o!« Daß ich ein solches weichherziges Schaf an meine Brust ziehen mußte, daß ich ein solches reimegebärendes Kamel großsäugen sollte!

Blumenreich. Halt ein! Wecke den Löwen nicht, der in dieser Brust schlummert!

Raufeck (lachend). Der Löwe in der Eselshaut! Und ihm vollends der Güter Höchstes zuzuwerfen, – teures, unersetzbares Blech!

Blumenreich. Du treibst es zu weit! – Verdiene ich das? und von dir?

Raufeck. Nein, Schläge verdienst du, ganz gewöhnliche Schläge!

Blumenreich (auffahrend). Halt, sag' ich, oder bring für die Schläge gleich die Schläger mit, mit denen wir die Rechnung berichtigen.

Raufeck (indem er ihn an den Ohren zieht). Besser, du bringst die 2000 Taler mit, die du an mich verspielt hast, wenn du Rechnungen berichtigen willst. Ich brauche sie eher als dein blaues Blut. Mach' dir's übrigens kommod! – (Laut) Bier, liebliche Kröte! (Sie setzen sich. Blumenreich legt den Kopf in die Hände, Raufeck sieht ihn einige Zeit schweigend an; endlich, mit großer Ruhe:) Er ist verrückt, er ist, weiß der Kuckuck, verrückt! Blumenreich, wie lang ist's her, seit du in besoffener Seligkeit gebrüllt hast: »Der Bursch ist König in der Welt«?

Blumenreich (ohne sich aufzurichten). Vierzehn Tage, wenn's viel ist; die Nacht vor dem verdammten Examen.

Raufeck. Das Lied war gut.

Blumenreich. Es ist aus meiner Fuchsenzeit. Ich glaubte bis heute, ich hätte mir einen Freund damit gewonnen.

Raufeck. Ja, ja, das Lied war gut. Es rührte mich ordentlich vor fünf Jahren; denn ich war schwer betrunken. Auch du, Kleiner. Aber das Lied war damals gut und der Katzenjammer von heute läßt nichts zu wünschen übrig. – (Laut) Bier, süße Mißgeburt!

Blumenreich. Willst du mich zu Tode martern?

Raufeck. Nur kühl! Betrachten wir die Situation ein wenig. Donnerwetter, sitz hin wie ein Mann! »Der Bursch ist König in der Welt« und dabei dieses Jammerbild! Pfui! 's kommt dir ein Schoppen! – Bier, Hebe, Bier!

Minchen (Weller passierend, der jedoch kaum aufsieht). Die Herren werden sich doch hier nicht betrinken wollen? 's ist Donnerstag heute.

Weller (zu Minchen). 's scheint kaum mehr nötig. Doch ist's besser, als wenn's Sonntag wäre, Schatz!

Minchen. O, wenn Sie's nur wüßten! Ich hätte nicht halb so viel gegen den Sonntag einzuwenden. Wollen Sie nicht dort hinüber sitzen? Ich mache hier den Tisch zurecht.

Weller. Mit nichten. Je näher, desto besser! Auf einen Rippenstoß, den ich zufällig erhalte, kommt mir's unter Umständen nicht an.

Minchen. Aber wissen Sie, 's ist heute Donnerstag und da – (geht verlegen ab, während sich Weller breit in seinen Stuhl zurücksetzt).

Raufeck (zu Blumenreich). So. Der Stoff hat dich gestärkt. Er könnte schlechter sein. Aber nun ans Geschäft und der Kuckuck soll mich holen, wenn's nicht schließlich doch heißt: »Der Bursch bleibt König in der Welt!« –

Gut also! Vor 14 Tagen lagen die Karten so: du hattest 10 fürstliche Semester hinter dir; dein Ahnenschloß war verjubelt, –

Blumenreich. Roderich!

Raufeck. Nun, versoffen also, wenn du's lieber hörst. Gefährliche Gestalten belagerten deine Schwelle und der göttliche Leichtsinn trieb deinen besten Freund, 2000 Taler von dir zu gewinnen, die er überdies sehr nötig hat.

Blumenreich. Die Götter sind meine Zeugen: ich weiß heute noch nicht, wo, wann und wie ich das Geld an dich verspielt habe.

Raufeck. Wetter, so bleib doch bei der Stange und greif nach dem Strohhalm, den ich dir hinhalte. Du trankst kürzlich mehr als nötig, und so erkläre dir dein schlechtes Gedächtnis. Doch weiter im Text –: dein bester Freund brauchte sein Geld und die gefährlichen Gestalten wurden unangenehm. Da zogst du sie sämtlich auf die Seite und schüttetest ihnen in der Angst deines Herzens dessen ganzen Inhalt zur Einsicht aus. Unpraktische Idee unter gewöhnlichen Umständen, aber nicht so übel im vorliegenden Fall!

»Ich habe (war der langen Rede kurzer Sinn), – ich habe einen Engel gefunden, zu Waldhausen, im Lande der Philister; sein Vater hat 50 000 Taler, seine Tante, wenn auch nicht selbst vom Geschlechte der Engel, hat 50 000 Taler. Ich aber liebe den Engel zum Wahnsinn, zum Sterben, ja bis zum Heiraten! Seid deshalb getrost und wartet noch eine Kürze. Der Vater ist ein gutes Kalb; die Tante ist alt.«

Es war annähernd richtig: Der Vater übertraf den besagten Vierfüßler, wie es höheren Beamten häufig gelingt, denen nichts über ihren Zopf geht, an dem ihr ganzes harmloses Dasein hängt. An dem Zopf freilich darf man nicht zu stark zupfen. Die Tante aber wurde ein kompletter Narr, sobald sie imstande war, die Idee einer Verbindung mit dem altadeligen und hochhoffähigen Geschlecht derer von Blumenreich in sich aufzunehmen; sie ist bereit, alles für diese Ehre zu zahlen. Endlich die Tochter – nun, darüber hast du zu berichten.

Blumenreich. Glaubst du, daß ein fühlendes Herz meinen Liedern auf die Länge –

Raufeck. Silentium! du wirst mir rückfällig. Da die Tante doch noch momentane Anfälle von Vernunft bekam, auch jede wichtige Lebensveränderung des Alten Zopf in heftige Erregung versetzte, so warst du genötigt, einen harmlosen Roman in den Operationsplan aufzunehmen – einen Roman, wie sie zu Dutzenden in den Wassern eines Poetenschädels vegetieren. »Neben meinem alten Adel (sagtest du zu Vater und Tante in deiner Blumensprache, die ich nicht kopiere), neben meinem alten Adel, neben meinen Gütern, Burgen und Schlössern habe ich es durch eine musterhaft verlebte Studienzeit und mein dem ganzen Geschlecht angeborenes Talent, wie Sie sehen, zu einem Stern erster Größe gebracht. Binnen kurzem werde ich nach einem glänzenden Examen, wie mir vom Hofe zugesagt ist, die Wahl haben, entweder der Gesandtschaft in St. Petersburg zugeteilt zu werden, oder als Assistent nach Michelsberg zu kommen, um nach einem halben Jahre die dortige Amtsrichterstelle definitiv zu übernehmen. Dann stehen mir selbstverständlich die Pforten zu den höchsten Ämtern – dort das Ministerium des Auswärtigen, hier das des Innern – flügelweit offen.« Die Alte ist hierüber in Ekstase und der Alte starrt mit offenem Munde der künftigen Herrlichkeit entgegen und kann sich nicht genug wundern, daß er selbst ein halbes Jahrhundert vor denselben offenen Pforten gestanden hat, ohne es zu merken. Du glaubst, gewonnen zu haben. O du Narr! Nach zehn glänzenden Semestern auch nur eine Haselnuß auf ein Examen zu wetten! Haben die Götter je einen Sterblichen schwerer mit Blindheit geschlagen?

Blumenreich. Mach's kurz, Roderich, mach's kurz!

Raufeck. Unter dem vorigen Fürsten wäre die Sache so unsinnig nicht gewesen. Deine Familienverbindungen hätten über Nacht die fehlenden Nummern voll gemacht. Aber, o Jammer! da muß der alte Fürst Ludwig sterben, und aus Timbuktu zurück kommt ein halbwildes Geschöpf als Regent eines zivilisierten Staates, läßt in roher Unwissenheit der höheren sozialen Algebra die Nummern des Examens zählen und – nicht genug! – er läßt sie sogar gelten. So sitz'st du heute 13 volle Grade unter dem Gefrierpunkt all deiner Träume zu Waldhausen, im Lande der Philister. O Blumenreich, Blumenreich! deine Rosen treiben ekle Dornen, und selbst ich werde an dir zum Poeten, wenn's so fortgeht.

Denn, um den Überblick zu vervollständigen – die Alte und der Alte kamen nach dem ersten Raptus wieder etwas zur Vernunft. Sie fühlen in ihrer Einfalt, daß zweimal 50 000 und ein Engel doch nicht gerade von Stroh sind. So schlägt also der Alte, dem ein Staatsexamen der Probierstein für alle Tugenden ist, vor, bis nach dem Examen mit der Verlobung zu warten, und die Alte, deine ganze Hoffnung und Stärke, gibt zum erstenmal in ihrem Leben nach. Dein Todesurteil ist unterzeichnet, dein Ahnenschloß bleibt ein Kuhstall, dein Geschlecht ein Kinderspott, und dein Engel, deine zweimal fünfzigtausend Taler sind unter die Sterne versetzt. Auch meine zweitausend, und das tut besonders weh, Artur!

Blumenreich. Bist du zu Ende, Raufeck?

Raufeck. Ich wollt', ich wär's nicht; denn hier ist die passende Stelle für einen Wendepunkt im Drama.

Blumenreich, Nun denn – hältst du mich für einen Spitzbuben?

Raufeck. Hm – dumme Frage! Das kommt zunächst auf die Tonart an, in der du fragst.

Blumenreich. So laß dir's ein- für allemal gesagt sein: ich liebe Emilie, 50 000 mehr oder weniger – –

Raufeck. Mehr, mehr! Blumenreich!

Blumenreich. Ist mir so gleichgültig als der Staub unter meinen Füßen.

Raufeck. Schmutziger Kerl!

Blumenreich. Ich schwärme für das Mädchen, ich bete sie an, ich muß sie haben!

Raufeck. Das sag' ich auch. Aber wie?

Blumenreich. Wie? Ich hab' ihr meine Lieder gewidmet seit sechs Monaten. Sie hat Stöße von Gedichten, in denen ich ihr mein volles Herz vor die Füße werfe. Mein ganzes Träumen und Trachten seit einem halben Jahr war sie. Erst vorgestern habe ich ihr 12 Lieder übersandt, die ich für das Beste halte, was die Liebe je gesungen hat; du weißt, Roderich, wie selten ich mir als Kritiker ein solches Lob erlaube. Sie mögen an Lenaus Schilflieder erinnern; doch nannte ich sie, da sie immerhin wesentlich verschieden sind von jenen Lenauischen Kleinigkeiten, – ich nannte sie Binsenlieder – »zwölf Binsenlieder, Fräulein Emilie Pflichterer gewidmet«.

Doch mit oder ohne Verse –: ich liebe sie, ich muß sie haben! Mit Gold wiege ich dich auf, wenn du mir den Weg zeigst, wie ich sie bekommen kann. In zweimal 24 Stunden weiß der Alte aus der Staatszeitung das Resultat meines Examens. Damit bin ich verloren.

Raufeck. Auf Cerevis! du wirst praktischer und auf eine kleine Spitzbüberei kommt dir's nicht an in dieser Stimmung. Wie?

Blumenreich. Ich muß sie haben, ich muß sie haben!

Raufeck. Gut denn! Bei der Nachricht von deinem Durchfall fuhr mir ein gelinder Schrecken in den Leib. Auch ich stöhnte: ich muß sie haben, ich muß sie haben! 2000 Taler können sogar mich zum Gefühlsmenschen machen und nüchtern, wie ich war, werfe ich mich aufs Pferd, um dir zu Hilfe zu eilen.

Blumenreich. Treue Seele!

Raufeck. Nicht wahr? Doch laß die Sentimentalität ein andermal duften und sperr Maul und Ohren auf, wenn du's imstande bist. Auf der ersten Station fror mich's wie einen Hund und ich trank ein Glas Schnaps. Auf der zweiten hatte ich schon Durst wie ein Schiff der Wüste, und trank abermals meinen Schnaps. Dieses Phänomen wiederholte sich zu deinem Heil auf allen fünf Stationen und der große Plan zu deiner Rettung dämmerte von Station zu Station heller und heller. Als ich über diese Schwelle trat, war er fertig und du gerettet!

Blumenreich. Leiser, leiser!

Raufeck. Ha, beim Cerberus! Kein nüchterner Schädel hätte ihn geboren.

Blumenreich. Komm zur Sache!

Raufeck. Da heißen sich manche Leute Poeten –

Blumenreich. Ich bitt' dich, mein Roderich.

Raufeck. Wir konfiszieren die Staatszeitung!

Blumenreich. Ich denke – das geht für 2, 3 Tage – natürlich nur die Waldhäuser Zeitungen – aber ich sehe einen Weg –

Raufeck. Ich sehe zwanzig. Dies ist der kleinste Teil des Schlachtplans. Der Fürst wird hier erwartet. Wir setzen in das Lokalblatt, daß er inkognito unter seinen geliebten Untertanen auszutreten wünscht. Hörst du?

Blumenreich. Weiter, weiter!

Raufeck. Mich kennt niemand. Zwei, drei Tage spiel' ich die Fürstenrolle.

Blumenreich. Was!?

Raufeck. Spitze nur die Ohren. So was hast du freilich noch nie gedichtet. Der Alte ist ein Narr und glaubt seinem Intelligenzblatt wie seiner Bibel. Die Alte überlass' ich dir. Ich führe dich nach den nötigen Vorbereitungen als meinen Schützling ein, natürlich alles inkognito, der Alte wird weich wie Butter, wenn ich ihm die Hand drücke, und der Engel ist dein, wenn ich winke.

Blumenreich. Göttlich, himmlisch! Mein Retter, mein Roderich, aber dann, – dann –

Raufeck. Dann schreit jemand im ganzen Nest herum »Feuerjo! Fräulein Emilie und Artur von Blumenreich sind verlobt!« Der Fürst verschwindet und – weiß der Kuckuck, es würde mir schwerer, einen Plan zu ersinnen, dir die zweimal 50000 Taler wieder abzuschwindeln und den alten Pedanten aus der Schlinge zu ziehen, in der ihn das Geschrei von Waldhausen gefangen hält.

Blumenreich. Roderich, laß mich – (will ihn umarmen).

Raufeck. Kamel! Das erste wäre nun, dem Kreis- und Intelligenzblatt ein kleines Artikelchen in betreff des Inkognitos zuzusenden.

Blumenreich. Ja, ja, – wir wollen auf mein Zimmer gehen.

Raufeck. Kommt das Spitzbubengefühl schon?

Blumenreich. 's ist alles oben, Papier, Tinte und Federn; (laut) zwei Flaschen Champagner, Minna!

Raufeck (hinausstolpernd). Wie heißt die braune Kartoffel? Hat zwei niedliche Ansätzchen, um drauf zu stehen. (Ab. Minchen mit den Flaschen ihnen nach.)

6. Szene.

Weller steht auf, streckt und schüttelt sich.

Braune Kartoffel! – so! – und dazu das ganze übrige Sündenregister, das ihr vor mir auskramt! – Hm – wenn ich dir nicht in die Haare gerate, du spitzbübischer Bierzipfel!

Euch belauscht zu haben nolens, volens, kann ich vor meinem Gewissen verantworten. Die einzige Frage bleibt: sag' ich's meinem Nimrod oder sag' ich's ihm nicht? Riskiere ich alsbaldigen Mord und Totschlag, oder zieh' ich einen stillen Selbstmord vor, wenn die Kanaillen ihr Spiel gewinnen sollten? – Eine erbauliche Wahl, fast ein wenig zu kitzlich für meine Fühlhörner! Er mag selbst wählen: ein Grab hinter der Kirchhofsmauer oder eines unter dem Galgen seines verehrten Landesherrn. Greif zu, Frank!

7. Szene.

Weller. Frank (tritt ein, ruhiger und heiter).

Frank. Rasiert wäre ich, wie der Heros eines Schäferspiels. Bin ich noch immer schwarz auf der Stirne, Weller?

Weller. Jedenfalls sind Leute da, die dich bald genug anpinseln werden.

Frank. Was meinst du damit?

Weller. Du bist etwas ruhiger. Laß mich deinen Puls fühlen.

Frank. Narrheiten! Aber ich bin ruhiger und will dir Gesellschaft leisten bis halb neun.

Weller. Welches Wunder hat dich mit einem Male zum Verstand gebracht? Die Wasserkur kann's allein nicht sein.

Frank. Sie war's auch nicht. Aber ich habe eine halbe Stunde zum Fenster hinausgesehen. Ich glaube, die Luft hat's gemacht.

Weller. Ja, ja, die Luft. Die Luft in Waldhausen ist wunderbar beruhigend. Sieh dir einmal die Leute recht an. Welch süßer Frieden! Und um halb neun geht Groß und Klein zu Bett.

Frank. Mach deine Witze, Alter! – Du hast kein Leben hinter dir wie ich. Seit Jahren treib' ich mich herum in allen fünf Weltteilen, schlimmer als Kain: Prairien und Wüsten hab' ich durchritten, Meere durchschifft, auf den Anden und auf dem Himalaya gejagt. Man wird das wilde Leben müde.

Weller. Hm, – wie lang wird's dauern?

Frank. Und auf all meinen krummen Wegen hat mich das stille, friedliche Bild begleitet: die Berge mit ihren Buchenwäldern, die grünen Halden, das einfache, trauliche Städtchen, mit einem Wort: die Heimat! Ich konnt's nicht vergessen.

Weller. Eine kuriose Gegenstrophe zum Gesang vor sechs Jahren.

Frank. Alles hat seine Zeit.

Weller. Das dacht' ich, als ich oben aus meinem Fenster dem Sonnenuntergang zusah. Ja, vor sechs Jahren, als ich mich wütend von allen Banden losriß, die mich an die Heimat fesselten, als mit dem Tod meiner armen Mutter das letzte Glied der Kette zwischen mir und ihr zu brechen schien und ich, unter Tränen jubelnd, der weiten Welt entgegenstürzte, –

Weller. Du warst ein wilder Kerl, Frank!

Frank. Konnt' ich anders, sag, konnt' ich anders? Weiß Gott, um meiner Mutter willen hätt' ich viel gekonnt.

Weller. Du warst ihre einzige Stütze und Hoffnung, nachdem du dem alten Jäger von Waldeck in die Lehre gegeben warst. Ich glaube, es kostete deiner Mutter manche Träne.

Frank. Der Himmel weiß es. Aber könnt' ich ein Schulmeister werden, Weller? Sag selbst!

Weller (lacht laut). In Timbuktu vielleicht. Doch hättest du nicht ein ordentlicher Jägerbursch werden, sein und bleiben können wie Tausende vor dir? Aber so oft man von dir hörte, war's ein dummer Streich: ob du einem Waldfrevler mit Lebensgefahr aus dem Loch halfest oder die höchste Magistratsperson in ihr eigenes Gartenhaus einschlossest; so oft man dich sah, stakst du in einer Schlinge.

Frank. Ja, ja. Das Gartenhaus brach meiner guten Mutter das Herz.

Weller. Und dir den Hals, so weit's die Waldhäuser Markung betraf. Unter uns gesagt: man munkelte etwas von der Ursache, die dem Oberhaupt der Stadt sechs Stunden Sommerhausarrest verschaffte.

Frank. So wahr die Sonne am Himmel steht: Emilie hatte keine Ahnung davon!

Weller. Hat je ein Jesuit mit einer ehrlicheren Miene geschworen? Die Sonne ist längst untergegangen, Freund! Übrigens liefest du weislich davon, die Büchse über der Schulter und zwölf Kreuzer in der Tasche.

Frank. Aber ich wußte, daß ich zu einem Preisscheibenschießen in der Residenz eintreffen konnte.

Weller. Wer zahlte dir den Einsatz?

Frank. O, ich verkaufte meine Uhr und hatte 3 Schüsse dafür. 's war der glücklichste Tag meines Lebens. Ein Herr in dunkler Uniform redete mich an, als ich lud. Die Kugeln schlugen ins Zentrum, eine um die andere. Ach! eine Büchse wie die vom alten Förster Franz bekomm' ich nie wieder. Heute liegt sie hinter Palmyra im Sand begraben.

Weller. Gut. Am folgenden Abend hatte deine Mutter 80 Dukaten und du eine Stelle bei dem Herrn in Uniform, unserm Fürsten Adolf. Der Prinz rüstete damals seine erste Expedition nach Syrien, Persien und Indien aus und konnte einen guten Schützen brauchen.

Frank. Ich war wie im Himmel.

Weller. O, ich erinnere mich noch wohl; du warfst mir beim Abschied ein Glas an den Kopf, um deine Gefühle für die teure Heimat auszudrücken.

Frank. Du weißt, es war Zufall.

Weller. Gott beschütze mich vor ähnlichen Zufällen!

Frank. Laß die Vergangenheit vergangen sein. Heute abend dacht' ich nur an die Zukunft. Sieh, wenn mir der eine große Wurf gelänge, wenn der alte, liebe Traum zur Wirklichkeit würde, dacht' ich, – laß es sein, was ich dachte, – ich bin kein Poet, – aber der Kuckuck soll mich holen, wenn sich mir das Herz nicht umdrehte vor lauter Freude und Wehmut. Ich sah, wie vor Jahren, den blauen Rauch aus den Schornsteinen an der grünen Bergwand hinaufsteigen und dachte: »Meine Emilie muß noch mein sein!«

Weller. Es scheint dir wirklich ernst zu sein. So konfus spricht kaum einer, dem's nicht ernst ist.

Frank. Und ich sah hinüber zur Vogtei, und es war mir –

Weller. Und dachte, daß sich derzeit noch ein großer Graben zwischen mir und ihr befinde und die Geschichte von einem gewissen Gartenhaus und vielleicht sonst noch das eine oder andere Wenn und Aber.

Frank. Weller! ehrlich und ernsthaft: ich habe mich so lang in der wilden Welt herumgetrieben, daß mir ein Rechnungsfehler in der zahmen schon zu verzeihen wäre. Darum ehrlich, Weller: denkst du, meine einzige Liebe sei hoffnungslos?

Weller. Hm –

Frank. Nein, halt, ehe du antwortest! Ich weiß, du kennst die Verhältnisse, du kennst mich und ihre Familie und all die verrückten Ideen der lieben Heimat. Antworte mir wie ein Freund dem Freund, wie ein ehrlicher Arzt dem Kranken. – Du weißt alles, nur weißt du nicht, wieviel an deiner Antwort hängt. Drum ehrlich, Weller, ehrlich! (ergreift seine Hand).

Weller. Laß mich los; du machst mir bang.

Frank. Nicht, eh' du mir antwortest.

Weller. Hm – du willst wirklich eine Antwort haben? Ich tu's ungern; ich tu's in der Tat ungern.

Frank. Tu's mir zulieb und sei ernsthaft!

Weller. Hm – (windet sich los, – dreht sich um. Langes Schweigen).

8. Szene.

Seifensieder (tritt ein). Die Vorigen.

Seifensieder. Herrje, Herrje, – die Herren! (hängt Überrock und Regenschirm an die Wand und nähert sich dem Tisch). Wissen die Herren, daß es heut' Donnerstag ist? (setzt sich ans untere Ende des langen Tisches, an dessen oberem Ende sich Weller und Frank befinden). Minchen, wissen die Herren, daß es Donnerstag ist? Die Herren können unmöglich wissen –

Minchen. Doch, doch (stellt ein Glas vor ihn), dem einen hab' ich's schon dreimal gesagt, Herr Mutschler; der Große weiß es, glaub' ich, noch nicht.

Seifensieder. Sagen Sie's auch dem andern, liebes Kind, sagen Sie's dem Großen. Herrje, wenn der Herr Amtsrichter kommen!

(Setzt sich und trinkt unruhig an seinem Glas, spielt mit den Zündhölzchen, wirft das Salzfaß um &c. &c.)

Weller (zu Frank). Nun denn, ernsthaft für zwei Minuten: – dein Fall ist höchst fatal.

Frank. Hoffnungslos?

Weller. Das hängt von dir ab und von ihr. Du kommst – ohne Vermögen, ohne Familie, – ein halber Wilder, aus dem Innern Afrikas; – schlimmer als das! du warst hier und ließest einen Namen zurück, den der Vater leider noch nicht vergessen hat. Du freist gegen Geld und Herkommen und Kastenstolz, und hast nichts für dich als dein armes Selbst und die Gunst – für den Augenblick die Gunst des Fürsten. Dein Fall ist höchst fatal, guter Kerl!

Frank. Nicht hoffnungslos also; nicht hoffnungslos!

Weller. Weißt du, daß du Rivalen hast?

Frank (ihn anstarrend). Rivalen?

Weller. Daran dachtest du wohl nicht, du himmlische Einfalt! Aber ich will dir den Deckel von der Schüssel tun ohne Erbarmen. Du sollst auf den Grund sehen und dir hinter den Ohren kratzen. Du wolltest's ja so.

Frank. Rivalen? Nein! – Wo? Wen?

Weller. Dachte mir's doch. Willst du nicht gleich eine deiner neuseeländischen Keulen auspacken und deinen Gegner auffressen, ungekocht? Man ist nicht im Feuerland, Freund. Aber rück etwas näher. Wir sind nicht mehr allein. (Sie sprechen leis und eifrig weiter.)

9. Szene.

Fleischer und Starker (im Gespräch eintretend); die Vorigen. Die neu Eintretenden sind sämtlich mit einiger Sorgfalt gekleidet und bewegen sich mit Wichtigkeit.

Starker. Ja, was ich sagen wollte: wenn Seine Durchlaucht, unser gnädigster Landesfürst, die Stadt wieder mit seiner eigenhändigen Gegenwart beehren wollten wie der vorvorige, – was denken der Herr Gevatter dazu?

Fleischer. Wäre so übel nicht. Wäre zum mindesten ein Ochs weiter.

Starker (zurückfahrend). Wa – was!?

Fleischer. Ein Ochs weiter, sag' ich, und zwei Kälber die Woche und eine Sau.

Starker (wird Frank und Weller gewahr; gegen diese). Wa – wa – was?

Seifensieder. Herrje, Herrje – wenn der Herr Amtsrichter kommen, das wird –

Fleischer (der bis jetzt am Hutstand beschäftigt war). Sapperment, man wird's Maul noch aufmachen dürfen, ihr Herren, wenn's ein ehrliches Handwerk gilt. Ich bin von Waldhausen, ihr Herren, und schlachte drei Kälber all ander Tag' und im Winter kommt's vor, meine vier; (dreht sich um, sieht Frank und Weller) da schlag doch gleich – wer sind die Herren –?

Starker. Werft sie zur Tür hinaus, Gevatter; ich will's verantworten.

Seifensieder. Ja, ja, du meine Güte, 's ist Donnerstag. Aber sagen könnte man's ihnen doch noch einmal.

Fleischer. Minchen!

Minchen. Gleich, Herr Fleischer, gleich.

Fleischer. Minchen!

Minchen. Er kommt, er kommt!

Fleischer. Minchen!

Minchen (herbeieilend). Was wollen Sie denn? Ihr Schoppen kommt ja gleich; 's wird frisch angestochen.

Fleischer (zu Minchen). Minchen, was trinken die Herren da drüben?

Minchen. Wein. Achtzehner.

Seifensieder. Wein! 6 Kreuzer mehr als der Herr Amtsrichter. O du meine Güte!

Fleischer. Da soll der Herr Amtsrichter selber zusehen; das ist mir zu hoch. (Setzt sich breit an seinen Platz vis à vis von Starker, der mit Minchen zu liebäugeln sucht.)

Fleischer. Ei, was man mit ansehen muß! Da schlag doch gleich – habt Ihr an Euren sieben Jungen nicht genug?

Starker. Was kümmert's Euch? Meine sieben sind dem Staat mehr wert als Euer einziger, der Postillon.

Fleischer. Nichts für ungut, ich wollt' Euch nur warnen: kommt ihm nicht ins Geheg!

Starker. Wa – was? Seid Ihr bei Trost? Nicht ins Geheg? Hier im goldenen Hirsch? Für was hält man mich? Und seit mein seliges Weib abging, bin ich so ledig wie Sein Erstgeborner! Ins Geheg!!

Fleischer. Da soll doch – 's ist mir nur, daß Ihr nicht sagen könnt, ich hab' Euch nicht gewarnt. Besser Vor- als Nachsicht. Leid sollte mir's tun, mit Euren sieben ungezogenen Jungen, eins kaum aus den Windeln, wenn Euch ein Unglück passierte!

Starker. 's ist also Ernst? Bei meinem Amt! Wenn der Windbeutel mir ins Geheg kommt, – wißt Ihr, was ich tu', Gevatter? Trotzdem daß er meines Gevatters Erstgeborener ist, ich tu's, ich arretier' ihn.

Seifensieder. Seien Sie ruhig, Herr Starker, ich bitt' Sie!

Starker. Maul halten! Und zum Arretieren hab' ich ein Recht, Gevatter. Steht nicht im Paragraphus Nummer 33 unsrer Stadtrechtspflege: »Der amtliche Gerichtsdiener ist befugt –«

10. Szene.

Präzeptor. Die Vorigen.

Präzeptor. Guten Abend, meine Herren!

Starker und Fleischer. Recht guten Abend, Herr Präzeptor!

Seifensieder. Besten guten Abend, Herr General-Sekretär des wöchentlichen Donnerstagkasinos! (Stößt den Fleischer an.) Haben Sie's gemerkt? Das hab' ich gut gemacht. Das sollten die da oben gemerkt haben, Herr Starker.

Starker. Maul halten, nachdem der Herr Präzeptor eingetreten ist! Herr Präzeptor, – ein kurioser Fall, ein schwieriger Fall! (winkt gegen Frank und Weller) Was denken der Herr Präzeptor?

Präzeptor (steht erstarrt). E-heu! Fremdlinge in des Herrn Amtsrichters eigenem Privat-Präsidentenstuhl, Fremdlinge – barbari! Wissen denn die Herren, daß es Donnerstag ist?

Fleischer (steht auf). Sie sollen's wissen, sie sollen's! Aber beistehen müssen Sie mir. (Gegen Weller und Frank:) Ihr Herren!

Starker. Recht so, Gevatter; drauf! sagt's ihnen!

Seifensieder. Was wollen Sie? Herrje, Sie wollen doch nicht –?

Präzeptor. Gut, Herr Fleischer, gut bis recht gut. Beginnt nur den Exorzismus! Ihr macht Euch um die Ruhe des Staats verdient. Eine Corona civica kann gar nicht ausbleiben.

Seifensieder. Corona – wahrscheinlich Krone, Kronentaler.

Fleischer. Sapperment! 's ist mir nicht ums Geld.

Seifensieder. Seid höflich, ich bitt' Euch, Fleischer! Achtzehner!

Fleischer (räuspert sich heftig, agiert und sagt nichts).

Frank (an seinem Platze). Noch eine Flasche, Fräulein!

Fleischer (sich setzend). Na, ich will, glaub' ich, lieber nicht! – Wenn die Herren denken, daß ich die Herren zur Tür 'nausschmeißen sollt', käm' mir's wahrhaft nicht drauf an. Aber so öffentlich eine Red' halten! Ich bin kein Studierter! – Ein verfluchtes Ding, das Redenhalten, Gevatter! Lieber einen wilden Stier an den Hörnern packen. Na – was denken die Herren? (schlägt die Ärmel hinauf).

Seifensieder. Beileibe nicht! Bleiben Sie sitzen! Wir denken ja gar nichts.

Präzeptor. Hinauswerfen, lieber Fleischer? Mit nichten; – so geht's schon gar nicht, oder nur schwer. Wer weiß, die Herren haben 'was Vornehmes! Halten Sie! Lassen Sie mich ein kleines Konzept entwerfen – nur 5 Minuten! (zieht Bleistift und Papier aus der Tasche und fährt sich in die Haare).

Seifensieder. Aber es geht schon gegen acht Uhr. Wenn der Herr Amtsrichter etwas bälder kämen!

11. Szene.

Krämer (aufgeregt, mit einer Zeitung in der Hand). Die Vorigen.

Krämer. Wünsche allseits wohl gespeist zu haben! Die Klößchen gestern waren wohl nicht übel, Herr Seifensieder? Besten guten Abend, Herr Präzeptor! Aber jetzt sag mir wieder einer: »Waldhausen könne keine Helden erzeugen und die Zeit der Heroen sei vorüber!« Waldhausen keine Heroen! Hier haben wir's, meine Herren, schwarz auf weiß und wenn mir wieder einer – – – ho ho! was der Kuckuck ist denn heute los?

Seifensieder. Die Herren wissen nicht –

Präzeptor. Sogleich, sogleich! ich mache soeben ein kleines Konzept.

Krämer. Was Konzept! Waldhausen erzeugt Heroen ohne Konzept. – Fremde im Stuhl des Herrn Amtsrichters! – Waldhausen keine Heroen! Sehen sollen Sie's noch diesen Augenblick. – – Meine Herren! – meine Herren! (sehr laut) meine Herren!

Frank (höflich). Sie wünschen? – Wünschen Sie vielleicht den Senf?

Krämer. Meine Herren, – wie es scheint, meine Herren, sind Sie fremd hier!

Frank. Man könnte fast so sagen.

Präzeptor (für sich). Fremd – Fremdling, barbarus, – etwas hart, – viator, Wanderer, ist milder. – Sagen Sie Wanderer, Wanderer!

Krämer. Wanderer, meine Herren, Wanderer.

Frank (lächelnd). Wollen Sie uns entschuldigen. Wir haben ein Gespräch zu beenden und werden Ihnen in drei Minuten zu Diensten stehen.

Krämer. Sie können deshalb unmöglich, meine Herren, wissen, meine Herren, daß heute – heute – –

Seifensieder. Donnerstag –

Krämer. – daß heute Donnerstag ist, meine Herren!

Frank. Doch, doch, mein Herr. – (leis) Was will denn der Kerl, Weller?

Weller. Das muß er am besten selbst wissen. Laß das Geziefer schwatzen.

(Lange Pause am untern Tisch, Frank und Weller sprechen emsig weiter.)

Seifensieder. Hilft alles nichts, hilft alles nichts! O, ich sah's von Anfang an. Achtzehner!

Starker. Mir kommt eine Idee, ein förmlicher Gedanke.

Präzeptor. 'raus damit, Starker, Geniere man sich gar nicht. Könnte man vielleicht von Amts wegen einschreiten?

Starker. Wenn die zwei Herren geheime Agenten der revolutionären Partei wären, –

Seifensieder. Die im Dunkeln schleicht, –

Starker. Barrikadier, – Jakobiner, – Kommunisten –

Seifensieder. Seien Sie still, o seien Sie still!

Starker. Kommunisten nehmen jedermanns Stuhl.

Präzeptor. Sehr gut, Starker; communis, gemein, gemeinschaftlich.

Starker. Jedermanns Geld und Brot und Wein, sind sozusagen Räuber und Diebe, Diebe sind straffällig.

Präzeptor. Logisch, sehr gut! Weiter. Ich sehe, wo's hinaus will!

Krämer. Ich bitt' Euch, Starker! Lassen Sie die Herren in Ruhe und haben Sie keine Furcht. Waldhausen keine Heroen? möcht' ich wiederholen. In einer Viertelstunde werde ich den Angriff erneuern. Da lesen Sie das Intelligenzblatt! Sie haben doch die Geschichte von dem Löwen gestern gelesen und wie unser berühmter Landsmann, der junge Frank, des Fürsten Leben gerettet hat?

Präzeptor. Ei der? – und hat gar nichts bei mir gelernt!

Fleischer. Der Spitzbub! stiehlt mir einmal ein halbes Schaf und gibt's einem kranken Lumpen in Herzach!

Starker. Heinrich Frank; ja, ja, Heinrich

Frank. Und wenn er den Daniel aus der Löwengrube gezogen hatte: der soll in unsre Markung kommen! Sind noch keine sieben Jahre, seit er unsern Herrn Amtsrichter lebendig in Ihren eigenen neuen Sommergartenpavillon eingesperrt hat.

Seifensieder. Aber hören möcht' ich die Geschichte doch.

Fleischer. Das ewige Gelese! Kein vernünftiges Wort kann man mehr sagen.

Krämer. Ja hören sollen Sie's, meine Herren. Sie werden mit mir die Heldentat bewundern, wenngleich der Held –

Starker. Held! – Bitte, beleidigen Sie uns nicht! Stroh ist Stroh und ein Spitzbub ist ein Spitzbub mit oder ohne Löwen. Ich hab' den Herrn Amtsrichter noch nie so wild gesehen wie damals. Und erst die Frau Tante! Aber der soll in unsre Markung kommen! Das ist alles, was ich sage!

Seifensieder. Nun, so lesen Sie, Herr Krämer! – Hier ist's – »Feuilleton« –

Krämer. Gut, meine Herren, da es allgemein verlangt wird, –

Fleischer. Von wem?

Krämer. »Wir haben«, schreibt das Blatt, »mit ungeteiltem Vergnügen in unsrer letzten Nummer eines der mannigfachen Abenteuer unseres berühmten Landsmanns mitgeteilt und können uns nicht enthalten, heute unsern Lesern eine Fortsetzung dieser fast fabelhaften Erlebnisse vorzulegen.«

Fleischer. Langsamer! – Was war das vom Vorlegen?

Krämer. Warten Sie nur. Es kommt erst. »Hier eine Episode aus der letzten Reise Seiner Durchlaucht.«

Präzeptor. Episode: Bruchstück, Teil.

Krämer. »Es war südlich von Kartum, auf dem westlichen Ufer des weißen Nils.«

Präzeptor. Minchen, willst du nicht deinen Schulatlas bringen, daß ich den Herren zeigen kann, wo dieses Kartum liegt? Weißer Nil, Bahr el abiad. Kartum, Stadt am weißen Nil; besitzt keine Universität, jedoch ausgedehnte Regierungsgebäude und einen lebhaften Handel mit – mit – mit Seehundsfellen und Nilpferden.

Krämer. Ich bitte Sie, Herr Präzeptor! (Fortfahrend) – »des weißen Nils. Seine Hoheit hatte zwei Pferde der besten arabischen Rasse aufgefunden«.

Präzeptor. Nun, meine Herren, Hab ich's nicht gesagt? –

Seifensieder. Silentium, im Donnerstagskasino, Silentium!

Krämer. – »und enorme Preise dafür bezahlt. Sie sollten nach Europa geschickt werden. Etliche Tage später waren die Pferde gestohlen. Nach langem Forschen ergab sich, daß vermutlich einer der Beduinenstämme weiter südlich sich der Pferde bemächtigt hatte und dann gegen Westen gezogen war.«

Starker. Schöne Polizei, das! Da sollt' ich dabei gewesen sein!

Präzeptor (den Atlas, den ihm Minchen gebracht, aufschlagend). Kartum – Kartum – (sucht emsig) »südlich« steht in dem Blatt. Hier wäre die Kapstadt, meine Herren. Südlich, weiter südlich sehe ich nur Wasser. Heißt es wirklich »südlich«, Herr Krämer?

Krämer. »Seine Durchlaucht, mit dem bekannten Mute und der stets wachen Lust an Abenteuern jeder Art, beschloß alsbald, dem Stamm zu folgen und die Pferde um jeden Preis zurückzubekommen. Als arabische Kaufleute verkleidet, machte sich der Fürst mit zwei seiner Begleiter und vier Dienern, alle wohlbewaffnet, auf den Weg gen Westen und erreichte nach zwei Tagen das Lager der Beduinen. Die Beduinen waren reich und wohlbewaffnet und der greise Fürst des Stammes, inmitten des patriarchalisch-kriegerischen Bildes, schien zu allem eher fähig als zum Pferdediebstahl. Nichtsdestoweniger standen die zwei weißen Stuten, an einer Lanze angebunden, vor seinem Zelte.

Unsere Kaufleute schlugen ihr kleines Lager in kurzer Entfernung von dem Zeltdorfe auf und waren alsbald umringt von dem neugierigen schwarzbraunen Volke. Die Maskerade ließ nichts zu wünschen übrig. Die Kamele wurden abgepackt und die Kisten, die allerdings nicht die gewöhnlichen Handelsartikel der Wüste enthielten, mit Ostentation aufgestellt. Dann begaben sich der Prinz und seine zwei Begleiter zum Beduinenhäuptling, um die gewöhnlichen Begrüßungsformeln auszutauschen, oder richtiger, um das Terrain zu rekognoszieren. Alles schien sich günstig anzulassen. Der Alte war die feierliche Höflichkeit selbst, und unterhielt sich mit Seiner Durchlaucht, die geläufig Arabisch spricht, aufs beste. Nur ein Umstand schien bedenklich. Einer ihrer arabischen Diener war, als sie zurückkamen, verschwunden und kam auch im Laufe der Nacht nicht zurück. Dies erregte Franks ernstliche Befürchtungen, während der Fürst für die folgende Nacht eines glücklichen Erfolgs gewiß zu sein schien. Doch auch er teilte Franks Vermutungen, als am nächsten Morgen eine Einladung kam:«Der erste der Kaufleute möchte sich in das Zelt des Wüstenkönigs begeben, aber keinen seiner Begleiter oder Diener mitbringen».

Die Lage war kritisch. An ein offenes Entrinnen war nicht zu denken. Man wußte nicht, wie weit die Araber in ihrer mißtrauischen und vielleicht offen feindlichen Gesinnung gehen würden, und so begab sich Frank nach einer jener Szenen, wie sie das wilde Leben in jenen Ländern schafft, wo selbst ein Fürst im Augenblick der Gefahr nur noch als Mensch und Mann fühlt, –«

Seifensieder. Herrje, Herrje! Nein, das ist zu toll! Du meine Güte, du meine Güte; jetzt hat aber meine Geduld ein Ende. –

Krämer. Ich bitt' Sie, Seifensieder, – Sie werden grob.

Seifensieder (aufgeregt, jedoch leis) Grob? Ein Lamm wird da zum Grobian. Haben Sie's denn nicht gesehen? Zerschlägt der Herr da droben seine Zigarrenspitze und greift mir nichts, dir nichts hinter sich an die Wand, wo die Kasinopfeifen hängen, nimmt des Herrn Amtsrichters Längste und – sehen Sie, sehen Sie! – er steckt sie sich an!

Starker. Schön, schön, schön! Wird sich finden. Warten wir nur, bis der Herr Amtsrichter kommen.

Fleischer (die Ärmel aufstülpend). Soll ich dran?

Präzeptor. Jetzt wär's Ihre Pflicht, Herr Starker.

Starker. Wird sich finden. Warte nur auf den Befehl meines Vorgesetzten. Der Fall ist schwierig –

Krämer. Kann ich weiter machen?

Starker. Immer zu, immer zu! Maul halten, Seifensieder!

Seifensieder (desperat). Wenn da die Steine nicht schreien!

Krämer. – »als Mann fühlt«.

Fleischer. Noch einmal das! Das kann kein Ochs verstehen.

Krämer (sehr laut). – »als Mann fühlt. Frank erbot sich, in den Kleidern des Fürsten und dessen Rolle spielend den gefährlichen Gang zu tun und nach langem Zögern nahm Seine Durchlaucht den edeln, mutigen Vorschlag an. Das Resultat war vollständig das erwartete. Frank wurde alsbald als Gefangener behandelt und wenn auch rücksichtsvoll, doch streng bewacht. Dem Prinzen wurde mitgeteilt, daß der Stand und die Absicht des vermeintlichen Kaufmanns kein Geheimnis mehr sei und daß nur gegen die alsbaldige Auszahlung eines hohen Lösegelds und die Abgabe sämtlicher Waffen der Gefangene seine Freiheit erhalten sollte. Wäre selbst das Lösegeld aufzutreiben gewesen, so hätte doch die Abgabe der Waffen unter den obwaltenden Umständen an förmlichen Wahnsinn gegrenzt. Frank wußte deshalb dem mit seinem Edelmut kämpfenden Fürsten einen Zettel zuzuspielen, worin er ihn bat, ohne Verzug unter dem Vorwand, das Lösegeld herbeizuschaffen, nach Norden zu fliehen und ihn vorderhand seinem Schicksal zu überlassen.

Es blieb keine andere Wahl. Se. Durchlaucht wendete sich gegen Abessinien, woselbst Höchstdieselben dreiviertel Jahre des interessantesten Reiselebens zubrachten, dessen Genuß einzig manchmal der Gedanke an Höchstihren verlorenen Begleiter trüben mochte. Nach Verfluß der angegebenen Zeit befand sich der Fürst noch drei Tagereisen von Kartum auf der Rückkehr nach Ägypten. Eine jener herrlichen Nächte, wie sie nur die Tropen kennen, lag über dem blauen Nil und seinen ruhigen Ufern. Seine Hoheit saß noch spät unter dem offenen Zelt, wir vermuten, in neuerwachten Gedanken an den fast zum Freunde gewordenen Reisegenossen so vieler Jahre, den er nicht weit von hier verloren hatte. Da zeigte sich ein weißer Fleck am dunkeln Rande des Sykomorenwaldes. Der Fleck bewegt sich, nähert sich. Der flüchtige Schall der Hufe ist deutlich zu hören. Die Tiere scheinen zu fliegen. Drei Minuten mehr und ein Reiter in reicher arabischer Tracht springt von der einen der Stuten und sinkt mit einem frohen: »Durchlaucht, die Pferde sind munter!« dem Fürsten in die ausgebreiteten Arme.«

Seifensieder. Was der Tausend! Ja, soll denn das wahr sein?

Fleischer. Da schlag doch gleich –

Starker. Ein Spitzbub war's von jeher. Ja, ja, Frank, – Heinrich Frank. O wir kennen uns! Aber trotz allem, in unsre Markung soll er kommen!

Fleischer. Aber wie war's denn, Sapperment, wie ging's denn zu?

Krämer. Nur Geduld. Die Erklärung gibt unser Blatt folgendermaßen: »Wir können auf das Erstaunen unsrer Leser – –«

12. Szene.

Amtsrichter. Die Vorigen.

Seifensieder Herrje, Herrje! der Herr Amtsrichter! Jetzt geht's los.

Pflichterer. Recht guten Abend, meine Herren! (Allseitiges Guten Abend. Pflichterer geht gegen den Hutstand, zieht den Überrock aus, stellt Hut und Regenschirm erst in die eine, dann in die andere Ecke; während dieser Operationen:) Starker! Ist Starker hier, meine Herren?

Starker. Zu dienen, Herr Amtsrichter.

Pflichterer (vertraulich). Geh Er doch gleich auf die Post, Starker! Ich habe bedenkliche Nachrichten erhalten, sehr fatale Nachrichten.

Seifensieder. Da haben wir's! Hab' ich's nicht gleich gedacht? Kommunisten im Land, Republikaner und auch noch mit der Post. Aufruhr, Mord –

Pflichterer. Erkundige Er sich, ob dem wirklich so sei, und wenn dem wirklich so ist: ganz fatale Nachrichten, – ganz fatal!

Starker. Sehr wohl, Herr Amtsrichter!

Pflichterer. Ja, ja, ganz fatal, Starker. Die drei Gänse, die meine Schwester von Schlicklingen durch den Postillon kommen lassen wollte, sollen beim Haidewieslein entwichen sein. Ganz fatal, Starker, ganz fatal. Sie weiß es noch nicht. (Tritt an den Tisch.) Recht guten Abend, Herr Präzeptor, guten Abend, Herr Krämer; immer mit dem Intelligenzblatt in der Hand, allgemeine Bildung verbreitend? – Aber das muß man ihm lassen, das Blatt ist eine Ehre für den Bezirk; Ihr Herr Vetter ist ein meisterhafter Redakteur und wenn man bedenkt, – (starrt Weller wild an und prallt einen Schritt zurück). Wa – wa – was? (Nimmt die Brille ab, putzt sie, setzt sie wieder auf.) – Keine Illusion? – Re – a – li – tät, – Fak – tum –

Weller. Donnerwetter! ist hier Fastnacht?

Pflichterer. In meinem Stuhl, Herr? – mit meiner Pfeife im – im Maul, Herr? Was der Tausend!

Weller (sich langsam erhebend). Wenn das Ihr Stuhl ist –

Pflichterer. Zum Kuckuck! Wenn das mein Stuhl ist? Und wenn's mein Stuhl nicht ist, ist's dann Ihr Stuhl, Herr? Und wenn der Knaster mein Knaster nicht ist, – he – he! Ist man vielleicht ein Kommunist? Glaubt man, daß in unserm Waldhausen –

Frank. Halten Sie, Herr! Wenn das wirklich Ihre Pfeife ist, so wird mein Freund Ihnen Ihr Eigentum mit Vergnügen zurückgeben. – Ist's aber Ihr Stuhl, so sollten Sie das Möbel nicht in eine öffentliche Wirtsstube stellen.

Pflichterer. Mit Vergnügen zurückgeben? In der Tat?

Weller. Weißt du, mit wem du sprichst, Frank?

Frank. Warum? Wir hatten nicht im Sinn, die Gesellschaft zu beleidigen und die Herren sollten so viel Einsicht und Verstand –

Pflichterer. Immer besser! – Wa – was – so viel Einsicht und Verstand? Meine Universitätspfeife mit dem silbernen Beschlag im Maul und »so viel Verstand«? Starker! Starker!

Starker (an der Türe). Ich gehe sogleich auf die Post!

Pflichterer. Bornierter Kerl! Dableiben, bei Seinem Amt, dableiben!

Frank. Der Skandal wird förmlich lächerlich, Herr! Nehmen Sie –

Pflichterer. Dableiben, Starker! Ist niemand hier, der mich vor diesen zwei wohlgekleideten Vagabunden zu beschützen im Sinn hat? Bin ich in meinen alten Tagen darauf angewiesen, selbst – selbst – (dringt auf Weller ein, während unter allgemeinem Tumult der Fleischer sich an Frank macht).

Frank. Zurück, Metzger, – es würde mir leid tun –

Fleischer. Hinaus, Vagabunden! Macht die Türe auf – jemand!

Starker (an der Türe). Sie sind arretiert. Sie sind alle arretiert!

Weller (der den zitternden Amtsrichter sanft in den Armen hält, aber vom Krämer wütend angegriffen wird). Noch nicht, soviel ich sehe. Aber komm hierher, Haselstock, wenn du Prügel willst!

Krämer. Was, Waldhausen keine Heroen? Drauf, drauf!

Präzeptor. Auch ich! auch ich! Durchbrecht den Feind! Formiert eine Phalanx, wie uns Philipp von Mazedonien lehrte, – au! – Fleischer, nehmt Euch doch in acht! Ihr haut ja auf meine Nase!

Frank. Halt dich, Weller, halt dich! Ich schlag' mich zu dir.

Weller. Keine Eile! Ich habe einen ledernen Schild wie dein bester Neuseeländer! Unterhalte dich nur auf eigene Rechnung. (Weller weiß den Amtsrichter immer zwischen sich und seine Gegner zu stellen, so daß derselbe zu öfterem von dem hitzigen Krämer getroffen wird.)

Krämer. Drauf Waldhäuser! – Bitte um Entschuldigung, Herr Amtsrichter, – drauf!

(Allgemeiner Tumult.)

13. Szene.

Die Vorigen. Minchen, und hinter ihr der Affe, zur Hinteren Türe hereinstürzend.

Minchen (mit Geschrei). Hilfe, Hilfe! Ein Wilder, ein Teufel! – Hilfe! – Um Gottes willen! (Der Affe, mit einem Stock bewaffnet, springt mit einem Satz in die Stube, wirft die Lichter um, und bearbeitet, von Schulter zu Schulter hüpfend, die Köpfe der Kämpfenden; es entsteht eine allgemeine Flucht.)

Frank. Drauf, Cäsar! Drauf, Junge! So ein Vieh ist drei Mann wert! (Krämer und Fleischer suchen sich einige Augenblicke zu halten. Der Tumult zieht sich gegen die Türe rechts im Vordergrund. Der Amtsrichter hat mit Behendigkeit den Sekretär, Starker den Kachelofen erstiegen. Während des Tumults:)

Pflichterer (schreiend). Arretier' Er den Affen! Bei Seinem Amt – arretier' Er den Affen! Starker, will Er vom Ofen herunter! (brüllend) Starker!

Starker. Sehr wohl, Herr Amtsrichter. Aber wie soll ich denn herunterkommen? Der Ofen ist furchtbar hoch. Ich seh's jetzt erst. Von oben herab ist er furchtbar hoch, Herr Amtsrichter.

Pflichterer. Setz Er sich hin und laß Er sich herunter.

Starker. Wenn jemand einen Tisch heranrücken wollte und einen Stuhl drauf stellen, – man sieht's von unten gar nicht, wie hoch es ist.

Pflichterer (desperat). Setz Er sich hin, bei Seinem Amt! Sieht Er nicht, wie die Bestie den Fleischer mißhandelt?

(Der Fleischer ist der letzte der Fliehenden, Er stolpert und fällt, ehe er die Türe erreicht. Der Affe setzt sich auf seinen Rücken fest und prügelt ihn mit Eifer; Starker läßt sich nieder und fährt schreiend wieder auf.)

Starker. Au! au! Der Ofen ist heiß und meine Amtshosen sind sehr dünn. Sie sind im fünften Jahr, Herr Amtsrichter!

Pflichterer. 'runter mit ihm, 'runter!

Frank (zu Weller). Ich denke, der Metzger hat sein Teil. Laß ihn laufen!

Weller (nimmt den Affen, am Halsband; der Fleischer kriecht behend zur Türe hinaus). Man sollte den Kleinen in Gold fassen.

Pflichterer (vom Sekretär herabsteigend). Vielen Dank, mein Herr, vielen Dank! Halten Sie das Tier fest, ja recht fest. Ich werde Ihr heldenmütiges Betragen – die Bestie kann sich doch nicht losreißen? – höheren Orts zu rühmen wissen. Der andere Herr, der der Eigentümer des Tiers zu sein scheint, wird vielleicht die Güte haben, meinen Diener zu begleiten.

Starker (der mittlerweile ebenfalls vom Ofen herabkommt, stellt sich hinter Frank).

Weller. Soll ich loslassen, Frank?

Pflichterer (mit rascher Bewegung gegen den Sekretär). Um Gottes willen nicht! Sie haben mich vollständig mißverstanden. Nur der Form wegen, versteht sich, nur der Form wegen, meine Herren! – Natürlich, Sie wissen, – wilde Tiere, aus Afrika – ohne Paß –

Stimmen von außen. Die Scharwacht kommt! Platz für die Scharwacht!

Pflichterer. Mit einem Wort, Verehrtester, ich bin es meiner Stellung schuldig, diesen Herrn, den ich in keiner Weise mit Ihnen in Verbindung bringe, – halten Sie doch ja fest, das Tier wird so unruhig, – diesen Herrn arretieren zu lassen.

Weller (zu Frank). Soll ich loslassen? Sag ja!

Pflichterer. Nein, nein, nein, nein! Beileibe nicht!

Starker. He, hat man verstanden? Will man sich rühren? Vorwärts!

Frank. Mir ist so wirr und wild im Kopf, als wär' alles nur ein Traum.

Weller. Ein verfluchter Spektakel!

Frank. Ein Lärm, als ginge die Welt entzwei, – meine Welt.

Starker. Vorwärts, Vagabund, Affentreiber! Soll ich ihn krumm schließen, – heute nacht wenigstens, Herr Amtsrichter?

Weller. Ich lasse los. Ein Wink, Frank, und die Bestie ist ihm am Hals.

Pflichterer. In die Herrenstube. Starker, natürlich in die Herrenstube! Sie haben doch das Tier ganz in Ihrer Gewalt, mein Wertester? (Die Scharwacht ist an der Tür.)

Frank. Laß es gehen, wie's will! Ich wollt', ich läg' im Tschadsee!

(Die Scharwacht dringt ein.)

Weller. So wären wir ja wieder in der Patsche wie vor Jahren. Anders ist's ihm gar nicht wohl. (Frank wird von Starker und der Scharwacht abgeführt.)


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