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V. Das menschliche Handeln

Das Glücksproblem

Mit dem Glücksproblem sich zu befassen hat unsere Zeit besonders dringenden Anlaß. Denn sie zeigt einen merkwürdigen Kontrast zwischen der Größe der Leistungen der Zeit und der Unsicherheit ihres Glücksgefühles. In erfolgreicher Kulturarbeit übertreffen wir alle anderen Zeiten; wie weit sind wir voran in der Zerlegung der Natur, der Bewältigung und Benutzung ihrer Kräfte, der humanen Gestaltung des menschlichen Zusammenseins! Aber es läßt sich nicht leugnen, daß alle diese Leistungen uns nicht zu einem frohen und sicheren Lebensgefühle verhelfen, daß eine pessimistische Stimmung eine große Verbreitung gefunden hat und noch immer weiter um sich greift. Wie kommt es, daß bei uns sich Arbeit und Glück nicht zusammenfinden?

Wenn solcher Zwiespalt uns zwingt, das Wesen und die Bedingungen des Glücks zu erwägen, so begegnet uns sofort ein schweres Bedenken. Darf der Mensch überhaupt das Glück zum Ziel seines Strebens machen, bekundet es nicht eine Enge und Kleinheit der Gesinnung, alles Streben vornehmlich darauf zu richten, was es an Glück gewährt? Auch die Erfahrung scheint deutlich zu zeigen, daß nicht nur einzelne Menschen, sondern ganze Völker und Religionen auf Glück zu verzichten vermochten; auch Denker allerersten Ranges haben eine Erhebung über das Glücksstreben gefordert. Aber sehen wir genauer zu, so finden wir den Kampf weniger gegen das Glück überhaupt als gegen niedere Fassungen des Glücks gerichtet; auch in dem, wodurch man es zu ersetzen glaubte, ist schließlich immer wieder ein Verlangen nach Glück zu erkennen; man wollte etwas anderes als die Mehrzahl, immer aber hielt man dem vorgefundenen Stande des Lebens einen anderen als einen höheren und besseren entgegen und suchte dafür die Gesinnung und die Kraft des Menschen zu gewinnen; ist das nicht ein Verlangen nach Glück? So strebt nach Glück auch der indische Weise, wenn er das Leben möglichst verneinen, es in den Stand einer völligen Ruhe, ja Gleichgültigkeit versetzen möchte. Denn es scheint ihm dann das Aufgehen in das All oder gar die völlige Vernichtung ein besserer Zustand zu sein als das vorgefundene Leben mit seinen Mühen und Sorgen, seinen Aufregungen und Enttäuschungen. Auch braucht das Glücksstreben sich keineswegs an die Enge und Dürftigkeit des natürlichen Ich zu binden. Vielmehr kann es gerade dies erstreben, ein neues, reineres, edleres Wesen zu erreichen, ein Leben, das von jenem Ich ablöst und doch ein tätiges und kräftiges bleibt. So sehen wir, daß der Begriff des Glückes kein einfacher ist, und daß der Widerspruch weniger das Glück selbst als niedere und unzulängliche Fassungen des Glückes trifft. Ja es muß der Mensch sein Streben unter den Glücksgedanken stellen, weil er nur damit die ganze Kraft seines Lebens und die Innerlichkeit seiner Gesinnung in das Handeln hineinlegen kann; nichts vermag er mit voller Hingebung zu ergreifen, was ihm nicht eine volle Befriedigung seines Wesens verspricht. Grundverschiedenes verstehen wir unter Glück, aber nur ein mattes Denken kann schlechtweg auf Glück verzichten; alles wahrhaftige Leben ist selbsteignes Leben, zu diesem aber gehört notwendig das Glück.

Schon diese Betrachtung zeigt, daß das Glück nichts einfaches ist, daß wir darum uns bemühen und kämpfen müssen. Die materiellen Güter mit ihrer natürlichen Selbsterhaltung können dem Menschen nicht genügen, und was gewöhnlich als Zufriedenheit gepriesen wird, pflegt von kläglicher Flachheit zu sein. Die bloße Zufriedenheit entspricht der Stufe des Tieres, auch unsre Ziegen sind zufrieden, wenn sie zusagendes Futter erhalten; vergleichen wir aber die verschiedenen Stufen der menschlichen Lage, so finden wir leicht, daß je niedriger der Mensch steht, er desto leichter zu befriedigen ist. Je höher er steigt, desto mehr muß ihn nicht bloß das eigne Befinden, sondern der Gesamtstand der Wirklichkeit beschäftigen, desto enger verschlingt sich ihm das eigne Streben mit den Aufgaben und Geschicken des Ganzen. Das gibt auch hier der weltgeschichtlichen Betrachtung einen Wert. So wollen wir auch bei diesem Problem die Zeiten schleunig durchwandern, nicht um alle Fülle individueller Lösungen des Problems zu betrachten, sondern um nur die Haupttypen zu zeigen, die das Leben der Menschheit ausgebildet hat, und mit denen uns zu befassen wir nicht aufhören können. Wiederum beginnen wir mit der Höhe der antiken Kultur. Die Beantwortung der Frage nach dem Glück ruht hier auf einer eigentümlichen Stellung zu Leben und Welt, welche durch alle Entfaltung des Griechentums geht. Das Ganze der Welt erscheint hier als ein wohlgeordneter, von innerem Leben erfüllter Kosmos, innerhalb dieses steht auch der Mensch, und aus ihm schöpft er seine Kraft wie seine Freude; wohl wird hier auch ein Widerstand gegen die Vernunft anerkannt, aber er greift nicht in die Grundbestände zurück; das Böse erscheint mehr als ein Abzug von dem Guten, als ein minder Gutes, denn als eine selbständige, die Welt spaltende Macht. So ist hier die Grundstimmung bei allem Ernst positiver Art, die Bejahung des Lebens hat das entschiedene Übergewicht. Das menschliche Streben wird hier von der Überzeugung getragen, daß die Freude des Lebens vor allem in der Tätigkeit liege, daß es daher vornehmlich gelte, sich in den Stand der Tätigkeit zu versetzen, sich zu den Dingen nicht leidend, sondern handelnd zu verhalten. Im Lauf der griechischen Entwicklung hat freilich die Tätigkeit sich immer weiter von der Berührung mit der unmittelbaren Umgebung zurückgezogen und in das Innere des Menschen, ja schließlich in das Verhältnis zu einem weltüberlegenen Sein verlegt, immer aber verblieb der Glaube an die Tätigkeit und die Freude an der Tätigkeit. In dem Kampf, den schließlich Plotin gegen das Christentum führte, war das eine Haupterwägung, daß dieses zu sehr den Menschen auf fremde Hilfe hoffen und harren lasse, während das Gute nur siegen könne, wenn jeder selbst die Waffen ergreife und kämpfe. Nach griechischer Überzeugung bedarf die Tätigkeit keines Lohnes, um den Menschen zu gewinnen; sie erfreut und belohnt durch sich selbst, wie nach Aristoteles' Ausdruck alles Leben eine »natürliche Süßigkeit« hat.

Nun aber entsteht die Frage, worin die Tätigkeit liege, die das Leben zu beherrschen und zu erfüllen vermag; dabei mußten die Denker eigene Wege gehen. Sie suchen aber dasjenige, was die Tätigkeit auf ihre Höhe führt, in dem, was den Menschen von den übrigen Wesen unterscheidet und vor ihnen auszeichnet; dieses aber ist die Vernunft, die sich hier näher als das Denken bestimmt. Kraft seines Denkens kann der Mensch die Zerstreuung der sinnlichen Eindrücke und die Flüchtigkeit der äußeren Anregungen überwinden und beharrende Größen und Ziele ergreifen, ja kann er das ganze Gebiet des bürgerlichen Lebens mit seinen kleinen Zwecken hinter sich lassen und in der Anschauung des Alls mit seinen ewigen Ordnungen und seiner wunderbaren Schönheit ein wahrhaftiges und dauerhaftes Glück finden; von hier aus kann er zum Menschen und seiner Seele zurückkehren und auch hier einen höheren Stand erstreben, als ihn der Durchschnitt zeigt.

Eine individuelle Gestaltung und energische Durchbildung gibt diesem Streben zuerst Plato. Sein Glücksverlangen trägt in sich eine energische Verneinung und Abstoßung des gewöhnlichen menschlichen Daseins; flüchtig, äußerlich, scheinhaft dünkt ihm alles, was hier an Glück geboten und angepriesen wird. Aber dem Denker eröffnet die Wissenschaft einen Weg zur Anschauung einer ewigen Ordnung der Dinge, die sich seiner ins Große und Anschauliche strebenden Art zum Ganzen einer Welt der Gestalten zusammenschließt. Diese Ideenwelt bleibt bei aller Überlegenheit uns nicht innerlich fremd; dem, der mit voller Kraft zu ihr aufstrebt, vermag sie zu vollem Besitz, zu eignem Leben und Wesen zu werden. In solcher Aneignung einer wesenhaften und vollkommenen Welt findet der Denker ein Glück, mit dem sich nichts zu messen vermag, was sonst das Dasein enthält. Einer solchen Erschließung der wesenhaften Welt dient im besonderen die Verbindung wissenschaftlichen Denkens und künstlerischer Gestaltung. Die Wissenschaft wirkt dahin, allen bloßen Schein zu zerstören und überall ein Echtes herauszuheben; auch befreit sie ihren Jünger von aller Abhängigkeit nach außen und stellt ihn ganz auf sich selbst. Die künstlerische Gestaltung aber findet darin ein hohes Ziel, alle Anlagen und Kräfte zu entwickeln und miteinander auszugleichen, welche das menschliche Leben enthält. Von diesen Anlagen soll keine verneint und verkümmert werden, aber sie sollen sich in der Weise verbinden und zu gemeinsamer Leistung vereinen, daß Höheres und Niederes sich deutlich scheidet, jenes eine sichere Herrschaft erlangt, dieses sich willig unterordnet. Bei glücklicher Ausführung dessen, bei klarer Abgrenzung und Abstufung aller Mannigfaltigkeit gestaltet sich das menschliche Leben bei sich selbst zu einem vollendeten Kunstwerk; es ist die kräftige Vergegenwärtigung dieses Kunstwerks, die Selbstanschauung des Menschen, woraus wahrhaftiges Glück hervorgeht. Solche Verinnerlichung der Aufgabe macht zum Hauptziel, nicht andere Menschen, sondern sich selbst zu gefallen, gut nicht zu scheinen, sondern zu sein. Im Besitze eines solchen, in seinem eignen Wesen begründeten Glücks darf der Mensch sich allem Schicksal überlegen fühlen, denn jene innere Harmonie kann durch nichts, was von außen kommt, zerstört oder auch nur verringert werden. So entwirft Plato ein großartiges Bild vom leidenden Gerechten, der verkannt und bis zum Tode verfolgt wird, der aber durch alle Anfechtung an innerem Glück gewinnt. Auch bedarf bei solcher Fassung das Handeln keines äußeren Lohnes, denn jene Anschauung der inneren Harmonie trägt in sich selbst ein volles Glück. Nur muß der innere Zustand, wie er in Harmonie und Disharmonie sich ausnimmt, rein und ungetrübt empfunden und erlebt werden, es muß die Spieglung in unserem Bewußtsein eine volle Treue haben. Diese Lehre vom Glück ist namentlich dadurch groß, daß sie Gesinnung und Darstellung, Gutes und Schönes aufs engste verbindet, das Ganze aber unmittelbar durch sich selbst erfreuen und bewegen läßt. Tief unten liegt hier alle kleinliche Berechnung eignen Vorteils, alles Sinnen auf Lohn und Nutzen. Dabei ist ein Hauptpunkt der eigentümlich platonischen Weltanschauung, daß eine höhere Welt mit voller Sicherheit besteht, daß sie freilich mit dem niederen Dasein unablässig zusammenstößt, daß aber ihr in sich selbst begründetes Leben allen Angriffen weit überlegen ist.

Aristoteles teilt in der Hauptsache diese Überzeugung, aber er gibt ihr eine eigentümliche Färbung durch eine andere Art der Abgrenzung vom landläufigen Glück. Das gewöhnliche Glücksstreben ist nach ihm nur ein Jagen nach dem Besitz von äußeren Gütern; daran aber das ganze Streben und Leben zu setzen, das enthält einen inneren Widerspruch, ja eine tiefe Erniedrigung des Menschen. Denn diese äußeren Güter sind nur Mittel zum Leben, ein auf sie gerichtetes Streben kommt nie zur Ruhe und Befriedigung, es wird ins Endlose weitergetrieben und bleibt dabei von äußeren Dingen abhängig, es raubt dem Menschen alle innere Selbständigkeit. Eine wahre Befriedigung kann nur eine Betätigung bringen, die in sich selbst ihre Aufgabe findet und nichts über sich selbst hinaus erstrebt; eine solche Tätigkeit aber wird erreicht, wenn unter der Leitung der Vernunft sich alle Kräfte verbinden und einen großen Gehalt gewinnen, wenn ein tüchtiger Mensch sich selbst und seine Gesinnung in seinen Handlungen darstellt und anschaut. Wie aber die Empfindung des Glückes durchgängig dem Gehalt des Lebens folgt, so wird der Mensch ein um so größeres Glück erlangen, je bedeutender er sein Leben zu gestalten vermag; es gibt kein volles Glück ohne Seelengröße. Die Freude an der Tätigkeit muß aber zur Erhöhung der Tätigkeit wirken und damit den Gesamtstand des Lebens fördern. Mit Umsicht und Takt hat Aristoteles dabei das Verhältnis des menschlichen Handelns zum Schicksal erwogen und abgemessen. Die Tätigkeit, die über unser Glück entscheidet, bedarf sicherlich mancher Voraussetzungen und Hilfsmittel, ein verstümmelter und verkrüppelter Mensch kann keine volle Tätigkeit üben, überhaupt bedarf es eines gewissen Entgegenkommens der Verhältnisse, damit wir alle unsre Kräfte entfalten. Aber so sehr Aristoteles dies anerkennt, er macht nicht den Menschen zu einem Spielball des Schicksals. Denn die Hauptsache bei aller Tätigkeit bleibt die innere Kraft und Tüchtigkeit. Mag sie zu ihrer Vollendung der Aufführung auf der Bühne des Lebens bedürfen, sie ist auch ohne sie ebensowenig verloren, wie das Kunstwerk des dramatischen Dichters, das nicht zur Aufführung kommt; was durchschnittlich das Leben an Leid und Hemmung bietet, dem ist geistige Kraft gewachsen; übergroße Schicksalsschläge mögen allerdings das Glück des Lebens zerstören, aber einmal sind solche selten, und dann können selbst sie einen edlen Menschen nicht elend machen. Denn durch alles Unglück leuchtet bei ihm das Schöne der Gesinnung hindurch. Daß das Ganze der Welt einen festen Zusammenhang und ein Reich lauterer Vernunft bildet, davon ist auch Aristoteles fest überzeugt, aber wie er den Menschen dem Ganzen entschieden einordnet, so kann er nicht eine sittliche Ordnung der Welt und nicht das Walten einer Vorsehung anerkennen.

So haben die klassischen Denker ein Glücksideal entworfen, das die Menschheit bleibend beschäftigt hat als ein Vorbild kräftiger, freudiger, edler Lebensgestaltung. Aber daß dies Ideal bestimmte Voraussetzungen hat und an gewisse Schranken gebunden ist, das hat die weitere Bewegung der Geschichte bald deutlich erkennen lassen. Dieses Glücksideal verlangt eine hervorragende Kraft des geistigen Schaffens, sowie eine Richtung der Seele auf das Gute, auch setzt es voraus, daß das geistige Vermögen allen Widerständen gewachsen sei; es bedarf ferner der Überzeugung, daß der Mensch mit seinem Denken die volle Wahrheit erfassen und sein Leben in sie zu stellen vermöge. Nun kam die große Umwälzung mit dem Beginn des Hellenismus und verschob die Stellung des Menschen zur Wirklichkeit. Die Erschütterung des überkommenen Lebensstandes machte es vor allem notwendig, dem Menschen eine innere Selbständigkeit, eine völlige Unabhängigkeit und Überlegenheit gegen alles, was draußen liegt, zu erringen. Dieses aber kann nur geschehen, wenn er sein Interesse gänzlich davon ablöst, wenn er sich zu allen Erfahrungen äußeren Glücks oder Unglücks nicht empfindend und leidend verhält, sondern sie als völlig gleichgültig erachtet und sich ganz und gar auf sein Denken, auf die Vergegenwärtigung einer Weltvernunft, zugleich aber auf das Bewußtsein einer inneren Größe zurückzieht. Einen Menschen, dem durch sein Denken so das Ganze des Alls mit lebendiger Kraft gegenwärtig ist, kann nichts von dem erregen und bewegen, was in der Welt der Erfahrung vorgeht, auch ein Zusammenbruch dieser Welt könnte ihn nicht erschüttern. Aus der Entwicklung solcher geistigen Überlegenheit ist eine große Verstärkung der Innerlichkeit, eine Vertiefung des Menschen in sich selbst hervorgegangen und hat ihn durch Erweckung heldenhafter Gesinnung in trüben Zeiten aufrecht gehalten; wie viele Probleme aber dies Ganze enthält, kann nicht verborgen bleiben. Das Leben ist hier mehr verneinender als bejahender Art, es hebt die Gesinnung über die Welt hinaus, aber es führt nicht zu ihrer Durchdringung und Gestaltung; so kann alle Kraft des Antriebs hier leicht das Gefühl der Leere erzeugen. Ferner bedarf dies Lebensideal großer und kräftiger Seelen, es verlangt eine heroische Kraft zur Verfechtung der Grundüberzeugung gegenüber dem Widerspruch der gesamten Umgebung. Sobald daher Zweifel an dem geistigen Vermögen des Menschen erwuchsen und um sich griffen, mußte auch der Glaube an jenes Ideal verblassen.

Derartige Zweifel gewannen aber im Fortgang des Altertums immer mehr Boden, immer tiefer empfand der Mensch das Dunkel der Welt, immer weniger fühlte er sich ihren schroffen Gegensätzen gewachsen. Namentlich war es der Gegensatz von Geistigkeit und Sinnlichkeit, der vom Weltgedanken aus immer mehr die Gemüter beschäftigte und aufregte. Die alte Harmonie von Geistigem und Sinnlichem schlug in das Gegenteil um, je matter die geistige Kraft und je raffinierter die Sinnlichkeit wurde; schließlich steigerte sich das zu einem Widerwillen gegen alle Sinnlichkeit und zu einem leidenschaftlichen Verlangen, sich von ihr irgendwie zu befreien und an einem reineren Leben teilzugewinnen. Dabei fühlte sich der Mensch viel zu schwach, um aus eignem Vermögen jene Wandlung zu bewirken; so entstand eine Sehnsucht nach übernatürlicher Hilfe, und es ward die Gottheit herbeigerufen, um den Menschen in ein höheres Leben zu heben. Solche Wandlungen zerstören die alte Ruhe und Sicherheit, sie werfen das Leben unter widerstreitende Stimmungen und Strebungen, an die Stelle eines festen Besitzes treten Sehnsucht, Hoffnung und Traum, die festen Gestalten lösen sich auf, und der Zug geht ins Weite, Formlose, Unbegrenzte. Das Ganze erhält eine ungeheure Aufregung dadurch, daß der menschliche Bereich von dem Walten nicht bloß guter, sondern auch böser Geister, unheilvoller Dämonen, umfangen dünkt, und daß dabei ein Bewußtsein der Verantwortlichkeit, ja eine schwere Angst vor ewigen Strafen aufkommt. In solcher Lage läßt sich nur von dem Beistand einer überweltlichen Gottheit Rettung und Glück erhoffen, sie muß in wunderbarer Weise zu Hilfe kommen und dem Menschen an ihrer Vollkommenheit Anteil geben. Um dahin zu gelangen, muß der Mensch aus sich selbst heraustreten, und es wird zur Höhe des Lebens, ein reineres Lebens- und Glücksideal zu erringen; eine solche Wendung brachte aber Plotin.

Der Kern dieser Denkweise liegt darin, daß hier die Religion nicht mehr wie dem Durchschnitt ein bloßes Mittel zum Glück des Menschen bedeutet, sondern daß sie etwas wesentlich Neues aus dem Menschen zu machen und alle Kleinheit eines Sonderdaseins zu überwinden verspricht. Dieser Denkweise erscheint das ganze All als ein einziges Leben, das auch in der Entfaltung zur Vielheit stets bei sich selbst verbleibt; zugleich aber dünkt es möglich, durch das Denken sich in jene Einheit des Alls zu versetzen und das Leben ganz und gar aus ihr zu führen. Die Erringung solcher inneren Einheit mit dem All verheißt ein unvergleichlich größeres Leben und ein unvergleichlich höheres Glück. Denn die Vereinigung mit dem Grunde des Alls läßt den Menschen die ganze Unendlichkeit und Ewigkeit zu eignem Besitze gewinnen sowie alle Gegensätze umspannen; zugleich erreicht er damit eine reine Innerlichkeit, da hier aller Wert des Handelns in dem Verhältnis zu jener Welteinheit liegt, alle Leistung nach außen dagegen gleichgültig wird. Auch ergibt sich hier eine volle Unabhängigkeit gegen das Schicksal, da alle Erlebnisse in Freud und Leid an diese Höhe des Lebens nicht reichen. Wohl trägt ein solches Leben in der Richtung auf das unendliche Sein eine stete Bewegung, aber gegenüber dem hastigen Treiben der Welt erscheint es als selige Ruhe, als tiefer Friede. Es muß aber das Teilhaben an einer solchen weltüberlegenen Innerlichkeit das seelische Leben wesentlich fortbilden. Wie jene Ureinheit über aller besonderen Gestaltung liegt, so kann auch der Mensch zu ihr nur gelangen, wenn er sich über alle Mannigfaltigkeit seelischer Betätigungen zu erheben und sich selbst in eine aller Gestaltung überlegene Einheit zu fassen vermag. In Verfolgung dieses Weges entwickelt sich ein reines Gemüts- und Gefühlsleben, eine freischwebende, von aller Stofflichkeit befreite Stimmung. Das Leben entäußert sich hier aller Schwere und scheint gänzlich in den reinen Äther der Unendlichkeit versetzt. So ist es wohl zu begreifen, wenn Plotin in der Entwicklung eines solchen Lebens eine überschwengliche Seligkeit empfindet, und wenn ihn diese Seligkeit weit über alles hinaushebt, was das Leben sonst an Glück bieten mag. Auch ist es begreiflich, wenn hier allem menschlichen Beginnen eine Offenbarung des absoluten Lebens vorangehen muß, die es freudig zu erwarten hat. »Man muß in Ruhe bleiben, bis es erscheint, und sich zuschauend verhalten, wie das Auge den Aufgang der Sonne erwartet.« So vollzieht Plotin mit der Aneignung eines Allebens eine Zurückverlegung wie des Lebens, so auch des Glücks in die reine Innerlichkeit; hier zuerst erscheint in voller Klarheit die Macht, die der Gedanke einer völligen Einigung mit dem All über die menschliche Seele zu gewinnen vermag. Aber unleugbar findet sich von jener weltüberlegenen Innerlichkeit kein Weg zur Breite des Lebens zurück, der geistige Aufschwung vermag sich nicht in fruchtbare Arbeit umzusetzen und das ganze Leben zu durchdringen; so bleibt schließlich eine Spaltung zwischen der erhabenen Höhe des Innenlebens und dem übrigen Dasein, und es sind schließlich nur einzelne Augenblicke, wo der Gedanke des Alls in ekstatischer Verzückung den Menschen vollständig einnimmt, ihn an unbeschreiblicher Seligkeit teilnehmen und alles Übrige vergessen läßt.

Die weiteren Schranken der Leistung Plotins werden wir am besten ermessen, wenn wir seinen Zusammenhang mit der gesamten Antike im Auge halten. Denn auch bei der Wendung zur Religion und zur reinen Innerlichkeit verläßt er nicht die Zusammenhänge des antiken Lebens. Diesem Leben gilt der Mensch mit all seinem Streben als ein Stück einer gegebenen Welt, die in sich selbst vollendet und abgeschlossen ist; dieser Welt sich zu bemächtigen und in ihr seine Stellung zu finden, das wird die entscheidende Lebensaufgabe. Zur leitenden Kraft des geistigen Lebens wird damit das Denken, das ihn mit dem All verbindet; wie aber dieses Denken in der Seele jedes Einzelnen entspringt, so ist es auch jedes Einzelnen Sache, sich den Weg zum Glücke zu bahnen; der Mensch ist nicht abhängig von anderen, aber er wirkt auch nicht für die anderen, es entsteht hier keine Gemeinschaft innerer Art zwischen den Menschen, es vollzieht sich kein Aufnehmen des anderen oder des Ganzen in das eigne Gemüt, es wird nicht das Geschick der Menschheit an der einzelnen Stelle erlebt und ein Wirken für die Hebung des Gesamtstandes aufgenommen, sondern wie der Einzelne hier letzthin auf sich selber steht, so lebt er auch nur für sich selbst, auch in seinem Glücke ist er innerlich einsam, es fehlt hier eine die Menschen umfassende und innerlich verbindende Innenwelt. So ist es nicht zu verwundern, wenn die großen geistigen Unterschiede der Individuen, die das menschliche Leben unleugbar zeigt, als endgültig hingenommen werden und vollauf die Schätzung beherrschen; eine Aristokratie des Geistes wird scharf von der übrigen Menschheit abgehoben, nur sie hat mit ihrer geistigen Kraft und mit ihrer großen Gesinnung an wahrem Glück teil, den anderen ist es versagt, und diese Versagung erregt auf der Höhe keinen Schmerz. Eine Starrheit und Härte des Ganzen erscheint auch in der Schätzung und Behandlung des Leides. Die griechischen Denker haben das Leid keineswegs gering angeschlagen, wie man früher wohl dachte. Aber sie haben mit aller Kraft sich dagegen gesträubt, es in den Grundbestand des Lebens hineinzuziehen. Wie durchgängig hier das Denken bemüht war, die Welt trotz alles augenscheinlichen Leides als ein Reich der Vernunft zu erweisen, so schien es die höchste Aufgabe des Lebens, das Leid gar nicht an sich herankommen zu lassen, sich so dagegen zu umpanzern, daß es den Grund der Seele nicht berühren könne. Das mußte schwere Verwicklungen erzeugen, wenn der Eindruck des Leides stärker und stärker wurde, es sich nicht mehr als einen bloßen Schein behandeln und vom Innern des Lebens gänzlich fernhalten ließ. Dann konnte jene freudige Lebensstimmung leicht in eine tiefe Verstimmung umschlagen. Überhaupt setzt jenes Glücksideal einen starken Optimismus voraus. In der Tätigkeit ein vollendetes Glück zu finden, läßt sich nur bei der Überzeugung hoffen, daß sie sich von vornherein im Reich der Wahrheit befinde, und daß sie bei voller Anspannung ihrer Kraft ihr Ziel sicher erreiche. So herrscht hier die Meinung, daß alles tüchtige Wahrheitsstreben zur Wahrheit gelange, sowie daß alle geistige Kraft zweifellos zum Guten wirke; es fehlen erschütternde Zweifel und innere Zerwürfnisse im Geistesleben selbst, oder wo sie erscheinen, da werden sie zurückgeschoben und als Nebensachen behandelt. Das Glücksstreben der alten Denker setzt die Vernunft des Alls voraus, die Unvernunft des menschlichen Daseins wird weder voll gewürdigt noch mit ganzer Kraft bekämpft.

 

Diese Unvernunft des Daseins ist es, welche den Ausgangspunkt für das christliche Glücksstreben bietet; hier zuerst kommt sie voll zur Geltung. Denn hier erscheint nicht dieses oder jenes in der Welt als verfehlt, sondern der Gesamtstand ist voller Verwirrung und Zerrüttung, ihren Gipfel aber erreicht die Verkehrung in der ethischen Abwendung des Menschen von Gott; so hat auch die Wandlung hier einzusetzen. Wo aber der Schaden bis zur tiefsten Wurzel geht, und wo eine Erneuerung des gesamten Daseins erforderlich ist, da kann die Wendung nicht aus dem eignen Vermögen des Menschen kommen, sondern da muß sie durch göttliche Liebe und Gnade dargeboten werden; das ist aber die Grundüberzeugung des Christentums, daß die Erweisung einer solchen Liebe in Wahrheit erfolgt ist, und daß sie jedem Einzelnen eine Rettung verheißt. Wie alles Übel aus der Trennung von Gott hervorging, so kann das höchste Gut in nichts anderem bestehen als in der Wiedervereinigung mit Gott, dem Quell des Lebens; diese bietet eine allem anderen Glück unvergleichlich überlegene Seligkeit. Denn hier gewinnt der Mensch an der ganzen Fülle des göttlichen Lebens teil, hier wird er ganz und gar in ein Reich der Liebe, kindlichen Vertrauens, rettender Gnade versetzt. Sein Seelenstand erhält aber eine eigentümliche Spannung dadurch, daß die Anfangslage, über welche die Erhebung erfolgt, nicht einfach verschwindet, sondern daß sie durch das gegenwärtige Leben fortwirkt, und daß so das Leben zwischen schroffen Kontrasten verläuft: der Schmerz klingt in die Seligkeit hinein, er wird durch die Gegenwart des Höheren noch verstärkt; andererseits gibt der Gegensatz dem Glück mehr Innigkeit und Festigkeit. Zwischen solche Kontraste gestellt, verbleibt die Seele in unablässiger innerer Bewegung; das Glück kann hier nicht als ein fertiger Besitz und der Stand des Menschen nicht als ein solcher der Vollkommenheit erscheinen, wohl aber wird eine innere Überlegenheit gegen das Reich der Konflikte geboten, und der Mensch im tiefsten Grunde in göttliches Leben aufgenommen. Dies neue Leben und sein Glück ist aber dadurch allem überlegen, was das Griechentum auf dem Wege der Religion erreicht hat, daß hier eine wahrhaftige Innenwelt entsteht. Sie kann aber entstehen, weil hier das Göttliche an erster Stelle nicht als die unwandelbare Einheit, nicht als das wesenhafte Sein, sondern als das Ideal der Persönlichkeit, als sittliche Vollkommenheit, als allmächtige Liebe erscheint. Das Verhältnis zu einem solchen Wesen kann die höchste Kraft und Wärme gewinnen, die Innerlichkeit des Denkens sich zu einer Innigkeit des Gemütes steigern; hier darf sich der Mensch, und zwar jeder einzelne Mensch, als von ewiger Liebe getragen und behütet wissen. In diesem Reiche verschwinden alle Unterschiede geistigen Vermögens, und es liegt alles an der Kraft und der Treue der Gesinnung, an der Grundrichtung des Strebens, die jeder aufbringen kann. Die Eigentümlichkeit des Ganzen erscheint besonders in der Behandlung des Leides, die der griechischen geradezu widerspricht. Hier wo der Mensch erst durch eine gewaltige Erschütterung hindurch den Weg zur Höhe zu finden hat, und wo die schwersten Probleme die Seele selbst treffen, da läßt sich unmöglich das Leid mit den griechischen Denkern nach außen schieben und dem Innern vollständig fernhalten. Hier eröffnet sich ein tiefer Zwiespalt im Bestand der Welt, hier gibt es keine rationale Lösung des Problems, hier wird zugleich das Geschick des Menschen eng verbunden mit den Hemmungen, aber auch den Überwindungen des Ganzen, hier wird auch das Erlebnis des Menschen, jedes einzelnen Menschen, in einen Weltzusammenhang gestellt und dadurch in seiner Spannung unermeßlich erhöht. Hier wird das Leid unentbehrlich für die Vertiefung des Lebens und für die Bereitschaft zum Guten; ja die Behauptung steigert sich dahin, daß das Leid selbst eine Seligkeit enthalte, so daß die Leidtragenden selig gepriesen werden konnten. Eine äußerliche Fassung mochte dabei vornehmlich an den Gewinn eines jenseitigen Lebens denken, zu dem das Leid einen bloßen Durchgang bilde; innerlichere Geister haben zu zeigen gesucht, daß die seelische Wandlung, welche aus dem Leiden hervorgeht, unmittelbar eine Vertiefung und Befestigung des Lebens enthält. Nach Gregor von Nyssa wird im Schmerze selbst uns ein Gutes offenbar; wir könnten dies nicht so stark, so leidenschaftlich vermissen, wenn es nicht irgend zu unserem Wesen gehörte; so versichert uns eben die schwere Erschütterung einer Tiefe dieses Wesens. Dieser Gedankengang läßt als besonders unglücklich erscheinen, wer sich schon glücklich fühlt, denn damit wird sein Leben abgeschlossen und an weiterer Vertiefung gehindert. Ebenso ist für Augustin die tiefe Empfindung des unermeßlichen Leides des Daseins ein sicheres Zeichen dafür, daß dies Dasein nicht das Letzte und Ganze ist, daß wir vielmehr im Grunde unseres Wesens einer anderen und höheren Welt angehören. In ähnlicher Weise folgert er aus der aufregenden und erschütternden Gewalt des Zweifels das Bestehen einer Wahrheit, ja einen Zusammenhang unseres Wesens mit der Wahrheit; durchgängig verbürgt ihm das Nichthaben, aber schmerzliche Entbehren, die Unmöglichkeit eines Verzichtes, das Wirken eines höheren Lebens. So hat das Christentum beim Streben nach Glück die Verneinung in den Kern des Lebens aufgenommen und dies damit erst ihr vollauf überlegen gemacht. Der Gefahr aber, daß dies Leben zu sehr ins Weiche, Milde und Sanfte gerate, wirkt aus dem innersten Wesen des Christentums ein starker Zug zum Wirken entgegen; war es doch gekommen, um die Welt zu erneuern, die sinkende Menschheit wiederaufzurichten, ein Reich Gottes auch auf Erden zu erbauen. Daher verspricht es nicht bloß eine Befreiung von Leid und Schuld, sondern auch die Eröffnung eines neuen und höheren Lebens. Jedoch läßt es sich nicht leugnen, daß die geschichtlichen Verhältnisse dieses dem Christentum innewohnende ja weit weniger entfaltet haben als das Nein; wiederum war es der oft geschilderte Einfluß jener müden und matten Zeit, welcher der einen Seite ein ungebührliches Übergewicht gab. Völlige Befreiung vom Leide und allem wirren Getriebe der Welt, Ruhe und Friede des Gemütes, das wurde hier oft zum höchsten der Ziele. So gewiß diese weltflüchtige Gestaltung nicht in das innerste Wesen des Christentums zurückreicht, zunächst hat sie den Sieg davongetragen und lange Zeiten beherrscht. Das Bedenkliche dieser weltflüchtigen Art, das uns mannigfach entgegentrat, erscheint auch beim Glücksproblem deutlich. Denn sie sucht das Glück zu sehr in der Ablösung von der Welt, sie ist in Gefahr, ins Weichliche zu verfallen, indem sie die Dinge nicht herzhaft angreift, sondern sich nur in der Stimmung über ihren Widerstand hinaushebt. Da das Gefühl sich nicht genügend in Tat verwandelt, kann ein solches Glück unmöglich das ganze Leben durchdringen und verwandeln. Zugleich kann die Hervorkehrung des Leides leicht zu einem Verweilen beim bloßen Leide, ja einem sentimentalen Schwelgen im Schmerze führen, wie das namentlich die religiöse Poesie oft in unerquicklicher Weise zeigt. Auch muß ein Glück, das sich so vom übrigen Leben ablöst, unsicher werden, sobald das Ganze jener religiösen Lebensgestaltung irgendwie in Zweifel gerät; daß aber solche Zweifel kamen und um sich griffen, das wissen wir alle. Nun zeigt freilich in allen diesen Punkten die Geschichte des Christentums viel Mannigfaltigkeit, schon das mittelalterliche System des Katholizismus enthält recht verschiedene Färbungen, unverkennbar ist auch der weite Abstand der mehr passiven Art des Mittelalters und einer größeren Aktivität, wie sie aus der Reformation hervorging und auch auf den Katholizismus zurückgewirkt hat. Denn es konnte die Reformation die schroffen Kontraste des christlichen Lebens nicht wohl auf die Seele jedes Einzelnen legen, sie nicht in größere Erregung versetzen und zu kräftigerer Tätigkeit aufrufen, ohne daß auch das Ziel sich umgestaltete. Immerhin blieb auch hier das Glück vornehmlich eine Sache des weltüberlegenen Gemütes, es war mehr auf ein Glauben und Hoffen einer neuen Ordnung gestellt, als daß es das Heil von einem männlichen Angreifen und kräftigen Umwandeln der umgebenden Welt erwarten konnte. So behielt es etwas Weiches und Zartes; eine von einem stärkeren Lebenstriebe und von Lust am Wirken erfüllte Zeit mußte über solche Fassung hinausdrängen.

 

Dies ist in vollem Maße auf dem Boden der Neuzeit geschehen. Diese Zeit sucht das Glück nicht sowohl in einer Zurückziehung in das Heiligtum des Gemütes als in einem Heraustreten des Menschen aus sich selbst, in einem Entfalten und Verwerten seiner Kräfte, in einer Bewältigung des unermeßlichen Weltalls; dabei fällt die Überzeugung sehr ins Gewicht, daß dem Menschen nicht durch Natur und Geschick ein begrenztes Vermögen zugemessen sei, daß er vielmehr ins Unbegrenzte wachsen, sich immer neue Kräfte anbilden und immer höhere Ziele stecken könne. Nichts scheint mehr die Größe des Menschen, ja seine Verwandtschaft mit der Gottheit, zu erweisen als solches Vermögen eines Fortschreitens ins Unendliche. Gleich an der Schwelle der Neuzeit ist völlig klar, daß dieser Fortschrittsglaube ein wesentlich anderes Glücksgefühl, eine kräftigere und freudigere Seelenlage, mit sich bringt, als das Mittelalter sie kannte. So heißt es bei Nikolaus von Cues, dem ersten modernen Denker: »Immer mehr und mehr erkennen zu können ohne Ende, das ist die Ähnlichkeit mit der ewigen Weisheit. Immer möchte der Mensch, was er erkennt, mehr erkennen, und was er liebt, mehr lieben, und die ganze Welt genügt ihm nicht, weil sie sein Verlangen nach Erkenntnis nicht stillt.« Mit solchem Wachstum des Strebens muß der Geist bei sich selber wachsen: »Wie ein Feuer, das aus dem Kiesel erweckt ist, kann der Geist durch das Licht, das aus ihm strahlt, ohne Grenze wachsen.« Dieses Lebensgefühl wird auch in den folgenden Jahrhunderten besonders deutlich von den Denkern verkörpert, die das moderne Streben führen. So ist Leibniz von einem sicheren Fortschrittsglauben erfüllt und schöpft aus ihm ein freudiges Glücksgefühl. So trägt auch einen Hegel das Bewußtsein eines unablässigen Fortschreitens des Ganzen über alle Gegensätze und Schmerzen des Daseins hinaus. Es ist keineswegs der bloße Mensch, sondern das Ganze des Alls, das diese Bewegung vollzieht und damit alle Widerstände bricht. So hängt auch hier das Geschick des Menschen an dem Ergehen des Alls, weit über die bloße Erfahrung hinaus wirkt hier ein kosmisches Leben, wirkt ein metaphysischer Zug. Es gewinnt dieser Fortschrittsglaube vornehmlich dadurch an Wucht und Gehalt, daß die Bewegung nicht bloß die Kräfte des Einzelnen anschwellen läßt, sondern daß sie auch den Stand des Ganzen weiter führt und immer mehr Vernunft in die Wirklichkeit bringt. Eine leitende Stellung gewinnt hier die Arbeit. In der Arbeit wird eine Tätigkeit erkannt, die uns den Dingen aufs engste verbindet, indem sie ihre Art und ihre Notwendigkeit in sich aufzunehmen und ihnen zu folgen vermag. Indem sich so der Mensch durch die Arbeit der Weltumgebung enger verkettet, darf er hoffen, durch sein Bemühen auch den Stand der Wirklichkeit zu heben, er darf es um so mehr, weil die moderne Arbeit zu umfangreichen Komplexen zusammenschoß, die Kräfte der Individuen enger verband und sie in der Verbindung zu unvergleichlich höherer Leistung hob. Gewann aber so der Mensch in der Arbeit ein Mittel, den Weltstand zu fördern, so gab sie ihm zugleich eine Befestigung im eignen Wesen, und verlieh sie seinem Leben eine breitere Grundlage und eine gesichertere Stellung. So verbindet sich dem modernen Menschen das Glück aufs engste mit der Arbeit, hier zum ersten Male gelangt die von den früheren Lebensordnungen zurückgestellte Arbeit zur vollen Würdigung, das Glück aber wird durch die Verschmelzung mit ihr kräftiger, ruhiger, gesättigter, es vermag nun den ganzen Umfang des Lebens zu durchdringen.

Solche Gestaltung der Arbeit und des Glückes läßt sich nach verschiedenen Richtungen verfolgen. Wir sehen sie vor allem in dem Aufbau der Kultur, das heißt eines dem Menschen eigentümlichen Lebensstandes gegenüber der bloßen Natur, eines Standes der Selbsttätigkeit. In mannhaftem Ringen mit der Welt rückt der Mensch seine Grenzen vor und bildet er einen eigenen Lebenskreis. Vor allem ist es die Wissenschaft, welche diese Bewegung führt und sich dabei als eine den Dingen überlegene Macht erweist. Sie zeigt besonders deutlich, daß der Einzelne sich auf dem Boden der Neuzeit einem Ganzen einzufügen und in Reih und Glied sein Werk zu verrichten hat. Aber wenn dabei einem jeden bestimmte Grenzen gewiesen sind, so darf er das Bewußtsein haben, an seiner Stelle unentbehrlich zu sein und mit seinem Tun den Bau des Ganzen zu fördern, »viele werden vorbeiziehen und die Wissenschaft wird wachsen« (Bacon im Anschluß an eine Stelle des Daniel). In noch kühnerem Gedankenfluge spricht Leibniz es aus, daß wir Menschen kraft unserer Vernunft wie kleine Götter den Weltbaumeister nachahmen und das Wohl des Ganzen steigern können. Der Mensch ist »nicht ein Teil, sondern ein Ebenbild der Gottheit, eine Darstellung des Alls, ein Bürger des Gottesstaates«. Erscheint hier die Tätigkeit vornehmlich darauf gerichtet, dem Fortschritt des Weltalls zu dienen, so entwickelt sich zugleich auf modernem Boden ein eifriges Streben und Wirken, den Stand der Menschheit zu heben, aus den menschlichen Verhältnissen alle Unvernunft möglichst zu vertreiben, die Vernunft dagegen weiter und weiter zu steigern. Denn nicht mehr waltet hier die Überzeugung, daß der Stand der menschlichen Dinge durch den Willen Gottes ein für allemal festgelegt und von uns als ein unwandelbares Schicksal hinzunehmen sei, sondern auch hier scheint alles in Fluß und einer Steigerung fähig. So erhält hier die Tätigkeit hohe Aufgaben, um so mehr da alles zum Gegenstande der Teilnahme wird, »was Menschengesicht trägt«, ja ein wachsendes Gefühl der Zusammengehörigkeit jeden Einzelnen für alle Not und Unbill um ihn verantwortlich macht. Viel Dunkel und Leid wird damit erst recht empfunden, aber es kann den Menschen nicht niederdrücken, weil die Kraft der Überwindung sich ins Endlose steigern läßt. Das Kraft- und Glücksgefühl muß ins Unermeßliche wachsen, wenn der Mensch den Kampf mit den feindlichen Verhältnissen aufnehmen und einen neuen Weltstand herstellen kann.

Bei dem Ganzen dieser Bewegung fällt zunächst ins Auge die Wirkung ins Große und Weite, nicht minder bedeutend aber ist die Bewegung ins Kleine und Individuelle hinein. Das nämlich ist ein Hauptstück des modernen Lebens, jedem Individuum eine eigentümliche Aufgabe zuzuerkennen; Punkt für Punkt gilt es, die schlummernde Kraft zu wecken, die verschiedenen Antriebe miteinander auszugleichen und einer Einheit zu unterordnen, die alles zu erhöhen vermag. Die Entwicklung dieses Strebens gewährt dem Individuum bei aller Mühe der Arbeit ein hohes Glück. Wächst es doch zu einer eignen Welt, die eben in ihrer Einzigartigkeit einen Wert auch für das Ganze hat. Solche Individualisierung reicht in alle menschlichen Verhältnisse hinein, überall wird eine gleichförmige Gestaltung vermieden, durch die Ausbildung einer besonderen Art eine eigentümliche Aufgabe und Freude eröffnet.

In dem allen erscheint ein gewaltiger Lebensdrang, der sich gelegentlich bis zu stürmischer Leidenschaft steigert. Freilich wirkt in ihm auch ein Zwang und ein Recht der Sache und widersteht einem Verfallen in bloßsubjektive Erregung; auch fehlt es nicht an Entsagung, da im gegebenen Augenblick alle Leistung bemessene Grenzen hat, da ferner der Einzelne nicht für sich, sondern nur zusammen mit den anderen und in Unterordnung unter ein gemeinsames Ziel etwas leisten kann. Aber alle Schranken und Hemmungen an der einzelnen Stelle und im besonderen Zeitpunkt überwiegt der Glaube an eine bessere Zukunft und an die unerschöpfliche Kraft des Menschengeschlechtes. Dieser Glaube ist der Neuzeit ebenso unentbehrlich, wie es dem Altertum der an die Harmonie des Alls und dem Mittelalter der an eine hilfreiche Gottheit war. Jener Fortschrittsglaube läßt den modernen Menschen alle Mühen freudig ertragen und ein kräftiges Glücksgefühl inmitten aller Arbeit und Sorge bewahren. So scheint hier das Leben als Ganzes durchaus zur Bejahung gewandt und das Glück des Menschen sicher begründet.

 

Wir wissen, zu wie großartiger Lebensentfaltung diese Bewegung geführt hat, wir wissen aber auch, welche Verwicklungen sie erzeugte, und wie diese Verwicklungen das Bewußtsein der Gegenwart erfüllen. Jener Fortschrittsglaube konnte das ganze Leben nur bei der Überzeugung beherrschen, daß die menschliche Tätigkeit die Dinge bis zum Grunde durchdringen und sie dem Menschen ganz und gar aneignen könne; ob dieses aber zutrifft, das begegnet immer stärkeren Zweifeln. Solche Zweifel treffen zunächst die Wissenschaft, die führende Macht der modernen Kultur. War die Höhe der Aufklärung dessen völlig sicher, die letzte Tiefe der Dinge ergründen zu können, so hat uns Kant mit unwiderstehlicher Kraft die Schranken unseres Wissens vor Augen gerückt; weit über die Philosophie hinaus hat sich aber im 19. Jahrhundert die Überzeugung befestigt, daß hinter unserer Gedankenarbeit eine Welt der Dinge unzugänglich liegen bleibt, und daß wir uns auf die Ermittlung der Beziehungen der Dinge untereinander zu beschränken haben. Wir können, so scheint es, nicht erklären und begreifen, sondern nur feststellen und beschreiben. So bleibt uns eine Wahrheit in dem Sinne versagt, daß sie uns das Wesen der Dinge eröffnet und uns von der Enge einer bloßmenschlichen Welt befreit. Was aber von der Wahrheit, das gilt auch vom Ganzen der Kultur. Mehr und mehr hat sich uns erwiesen, daß so viel wir in den äußeren Verhältnissen der Dinge zu ändern und zu bessern vermögen, wir damit nicht ein wesentlich neues Leben und eine höhere Art erreichen; aller Fortschritt der Zivilisation hat wenig echte Kultur und wenig Weiterbildung des Seelenstandes ergeben; die Frage wird unabweisbar, ob ein solches Wirken an der Oberfläche des Lebens die unsägliche Mühe und Arbeit lohnt, die es kostet.

Ähnliche Bedenken erweckt unser Verhältnis zum Menschen. Die moderne Bewegung beruhte auf einem festen Glauben an die Tüchtigkeit und an die natürliche Güte des Menschen; wenn nur freier Raum für die volle Entwicklung der Kraft geschaffen würde, so schien sich alles aufs beste zu gestalten und ein Reich der Vernunft auf dem Boden der Menschheit sich zu erheben. Nun ist die mannigfachste Befreiung erfolgt und die Kräfte haben sich in einer Weise entfaltet wie nie zuvor, aber können wir das Auge verschließen vor den Verwicklungen, Kämpfen und Irrungen, die aus solcher Befreiung hervorgegangen sind? Der Aufklärungszeit galt das Menschsein wie ein hoher Wertbegriff; das Menschliche am Menschen zu entwickeln, das schien noch der Zeit unserer Klassiker das Leben auf eine stolze Höhe zu heben; jetzt empfinden wir mehr das Kleine und Niedrige am Menschen, wir gewahren schroffe Konflikte in seinem Wesen, wir sehen in weitem Umfang die freigewordenen geistigen Kräfte in den Dienst der Selbstsucht und überhaupt kleinmenschlicher Interessen gezogen und dadurch ihren wahren Zielen entfremdet; so ist es kein Wunder, wenn eine Sehnsucht nach Befreiung von der Kleinheit des Menschen, ein Verlangen nach Größe erwacht, das oft freilich wieder unter den Einfluß der Kleinheit und Eitelkeit gerät. Wie könnte das Streben zur Verbesserung der menschlichen Lage unter solchen Eindrücken uns mit sicherem Vertrauen erfüllen? Was hier an Widersprüchen liegt, das wird nur deshalb heute nicht voll empfunden, weil von älteren Lebensordnungen her noch Schätzungen des Menschen wirken, die in dem eignen Boden unserer Zeit keine Wurzel haben. Von der Religion her wirkt die Schätzung des Menschen als eines »Samenkorns der Ewigkeit« und eines Gegenstandes unendlicher Liebe, vom Vernunftglauben der Aufklärung her erscheint der Mensch als einem Vernunftreich angehörig und durch seine Freiheit aller Natur unvergleichlich überlegen; aber die Religion ist erschüttert und der Vernunftglaube verblaßt; so kann sich schließlich jene Schätzung unmöglich aufrechterhalten. Wird aber voller Ernst damit gemacht, den Menschen in ein bloßes Stück einer geschlossenen Welt und Natur zu verwandeln, so fällt alle Möglichkeit, jenem Stand des Daseins entgegenzuwirken, alle Möglichkeit einer inneren Erhöhung; auch sehen wir nicht, wie daran auch die Zukunft etwas Wesentliches ändern könnte.

Diese Verwicklungen reichen auch in das Dasein des Einzelnen hinein, dessen volle Anerkennung ein Hauptstück moderner Kulturbewegung war. Gewiß entspringt noch immer viel Anregung und Freude von der Betätigung der Individuen, aber es ist die Grundlage erschüttert, welche jenem Streben einen bedeutenden Gehalt und eine sichere Richtung gab. Das Individuum schien vordem wertvoll und die Arbeit an seiner Bildung erhöhend, weil in ihm unendliches Leben in einzigartiger Weise zur Gestaltung strebte, und weil daher jeder Einzelne hoffen durfte, mit der Entfaltung des eignen Wesens auch den Bestand des Weltalls zu fördern. Die Beschränkung des Lebens auf das sichtbare Dasein hat jene Grundlage immer unsicherer gemacht; die völlige Bindung des Individuums an jenes Dasein muß sowohl zu hartem Zusammenstoß untereinander und gegenseitiger Verfeindung als zu wilder Selbstsucht führen. Sobald das Denken dies alles überschaut und in einen Anblick zusammenfaßt, kann es die Leere und Unerquicklichkeit des Ganzen unmöglich verkennen; dann läßt sich nicht mehr eine befriedigende Lösung des Glücksproblems davon erwarten, daß alle Individuen möglichst zur vollen Entfaltung und Geltung gebracht werden.

Diese Bedenken steigern sich durch die Entwicklung der Arbeit im modernen Leben, sie treibt alle Probleme jener mit zwingender Kraft hervor. Zu Beginn stand die Arbeit der Seele des Menschen näher; indem der Einzelne in ihrem Fortgang sein eigenes Werk erblickte, konnte er dadurch zu stolzer Freude gehoben werden; zugleich hatte die Arbeit einen ruhigeren Charakter, die Bewegung, in die sie das Leben setzte, war noch keine stürmische Aufregung, sie gewährte noch Zeiten der Muße, die das Ganze zu überschauen und in freudigen Besitz zu verwandeln erlaubten. Wie hat sich das alles verändert! Indem die Arbeit riesenhafte Zusammenhänge bildete, hat sie sich immer weiter von der Seele des Einzelnen abgelöst und geht sie ihren Weg unbekümmert um sein Wohl oder Wehe; indem sie sich zugleich immer weiter verfeinerte und verästelte, wird kleiner und kleiner der Teil, den der Einzelne überschaut und den er in seiner Gewalt hat; so wird auch seine seelische Kraft nur in einer besonderen Richtung entfaltet, während das Übrige unergriffen und ungefördert liegen bleibt. Dazu kommt der reißende Lauf, den die Arbeit unter Führung der Technik mehr und mehr angenommen hat; er zwingt den Menschen, stets wachsam zu sein und seine Kräfte unablässig neuen Leistungen anzupassen; es muß dies den Menschen ganz und gar an die jeweilige Lage ketten, ihn in eine atemlose Spannung versetzen, ihn mehr und mehr in einen Kampf ums Dasein verstricken. Unleugbar sind mit dem allen glänzende Leistungen erreicht, aber es erweist sich zugleich immer deutlicher, daß der Mensch als Ganzes dabei kein Glück zu finden vermag. Wenn aber diese Arbeit ihn so aufs äußerste anstrengt, ohne ihn durch alle Mühe und Aufregung zu echtem Glücke zu führen, und wenn zugleich immer klarer wird, daß der Mensch bei hervorragender Ausbildung einzelner Fertigkeiten im Ganzen seines Wesens sinkt, so erhebt sich notwendig die Frage, ob alle diese Kulturarbeit, die den Menschen weder glücklich noch edel noch groß macht, nicht eine Selbsttäuschung der Menschheit bedeutet, ob es nicht ein greller Widerspruch ist, mit leidenschaftlichem Eifer alle Kraft in Bewegung zu setzen und dabei für das Ganze eher zu verlieren als zu gewinnen. Wofür arbeitet der Mensch, wenn er ein bloßes Mittel und Werkzeug eines seelenlosen Kulturprozesses wird? Daß er für sich dabei nicht zu seinem Glücke kommt, das sahen wir eben. Für wen aber arbeitet er dann? Für eine Zukunft, die ihm völlig verschleiert ist und die vielleicht durch alle Fortschritte nur noch in wachsende Verwicklung gerät? Oder für das Ganze der Menschheit, das doch von der bloßen Erfahrung aus ein blasses und leeres Gedankending ist, das als ein solches Abstraktum den Zwecken und Leidenschaften des Individuums nun und nimmer gewachsen ist? Alles bestärkt den Zweifel, ob der Weg der Neuzeit, ausschließlich verfolgt, den Menschen zum Glücke zu führen vermag. Die Überzeugung greift mehr und mehr um sich, daß wie jeder einzelne Mensch mehr ist als seine Arbeit, so auch das Ganze der Menschheit mehr sein muß als die Arbeitskultur. Es ist das Verlangen nach einem Beisichselbstsein des Lebens und nach einem wahrhaftigen Glück, das über die bloße Arbeitskultur hinausstrebt und Erweiterungen wie Vertiefungen des Lebens zu suchen zwingt. Wo aber können wir solche zu finden hoffen?

Das Verlangen nach einer mehr seelischen Kultur gegenüber der Arbeitskultur ist immer stärker geworden und treibt manche Gegenwirkung hervor. Eine Art dieser Gegenwirkungen ist die Ausbildung einer künstlerischen Kultur, womit sich oft eine ästhetische Lebensanschauung verbindet. Wertvolle Anregungen, ja Förderungen sind dieser Kulturbewegung nicht abzusprechen: sie hat das Recht der Individualität wieder stärker hervorgekehrt, sie hat dem Leben mehr Unmittelbarkeit und freie Bewegung, mehr Leichtigkeit und mehr Freudigkeit verliehen, sie mag mit dem allen als ein Weg zu echtem Glück erscheinen. Tatsächlich gewährt sie, auf ihr eignes Vermögen beschränkt, nicht ein Glück, welches das Leben innerlich durchdringt, erwärmt und erhöht, sondern nur eine bunte Fülle von einzelnen angenehmen Augenblicken, von gefälligen Anregungen, die sich untereinander nicht zu einem Ganzen zusammenfassen. Es wird hier meist nur ein verfeinerter Selbstgenuß des gebildeten, vielfach überbildeten Individuums geboten, es fehlt wie ein hohes Ziel so auch ein wesenhafter Lebensgehalt; beim Mangel eines solchen wird aber schließlich wie bei allen Arten des Epikureismus inmitten aller Genüsse ein Gefühl der inneren Leere hervorbrechen und alles dargebotene Glück als ungenügend verwerfen. Auf diesem Wege mag sich der Einzelne, ja es mögen sich ganze Kreise den Verwicklungen und Nöten der Zeit zu entziehen suchen, einen Weg zu ihrer Überwindung eröffnet ein solches Leben nicht.

In anderer Richtung sucht wahrhaftiges Glück ein Verlangen nach mehr Entwicklung und Persönlichkeit und nach einer persönlicheren Gestaltung des Daseins; die künstlerische Betätigung muß hier der ethischen Aufgabe weichen. Gewiß liegt darin eine unbestreitbare Wahrheit, nur dürfen wir nicht vergessen, daß dabei ein hohes und fernes Ziel in Frage steht, das sich nicht so leicht und bequem erreichen läßt, wie es oft scheint. Wir werden dadurch noch keineswegs zu Persönlichkeiten, daß wir dies Wort mit besonderem Nachdruck verwenden. Der Gedanke der Persönlichkeit hat einen Wert nur, sofern hinter dem Wort eine große Wendung, ja eine Umwälzung der vorgefundenen Wirklichkeit und der Aufbau einer neuen steht. Wie viel jener Gedanke fordert, das zeigt mit besonderer Klarheit die Welt Kants. Deutlich war ihm, daß es kein Persönlichwerden gibt ohne eine Erhebung des Lebens zur Freiheit, Selbständigkeit und Ursprünglichkeit, ebenso deutlich aber auch, daß für eine solche Freiheit und Ursprünglichkeit die Welt des natürlichen Daseins keinen Platz gewährt; so ward ihm eine völlige Umkehrung des ersten Weltbildes unerläßlich, an sie hat er seine ganze Kraft gesetzt. Heute aber sieht es oft aus, als sei ohne viele Mühe innerhalb der Welt der bloßen Erfahrung eine wesentliche Erhöhung des Lebens erreichbar, wenn dieses nur eifriger und direkter an die einzelnen Punkte gebracht werde. Das aber ist ein grober Irrtum. Verbinden wir die Lebenspunkte nicht mit einer neuen Art des Lebens, und geben wir ihnen nicht dadurch einen neuen Gehalt, so wird jene Wendung leicht mehr schaden als nützen, indem sie unberechtigtes Selbstbewußtsein weckt, ja einen bloßen Schein für die Sache gibt; auch insofern ist sie gefährlich, als sie das schwere Problem verschleiert, das hier in Frage steht. Wie die Zeiten besonders gern von dem sprechen und sich für das erwärmen, was ihnen am meisten fehlt, so geschieht es auch heute: wir entbehren aufs schmerzlichste kräftiger, selbstwüchsiger, ausgeprägter Persönlichkeiten, wir reden aber unablässig von Persönlichkeit, ihrem Wert und ihrer Größe.

Schwerer noch als solche Verwicklung wiegt die Unsicherheit über die gesamte Stellung des Menschen innerhalb der Wirklichkeit, die namentlich in den letzten Zeiten um sich gegriffen hat. Seit dem Beginn der Aufklärung ward die Selbständigkeit und die Eigengesetzlichkeit der Natur vollauf anerkannt, aber diese blieb bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts in einer Nebenstellung; nun aber ist sie mehr und mehr zur Führung gekommen und beherrscht sie immer stärker das Ganze des Lebens. Wir stehen jetzt unter dem überwältigenden Eindruck der Unendlichkeit der Natur, ihrer völligen Gleichgültigkeit gegen das menschliche Wohl und Wehe, der Gebundenheit unserer Lage an körperliche Zustände und Vorgänge, eines Überwiegens der sinnlichen Faktoren auch innerhalb unseres Seelenlebens; von hier aus liegt es nahe, uns ganz und gar als ein bloßes Stück der Natur zu verstehen. So hat der Materialismus und Naturalismus eine große Macht über uns gewonnen. Aber andererseits verbleibt die Tatsache, daß dies seelische Leben einen eigentümlichen Bereich erzeugt und ein der Natur überlegenes Leben bringt; dieses Leben beherrscht mit seinen Gütern und Zielen die menschliche Gemeinschaft und erhöht auch das Streben der Individuen. Nun aber haben wir die Tatsache anzuerkennen, daß dies der Natur überlegene Leben jetzt kein Gesamtziel und so auch keine leitenden Güter besitzt; wir befinden uns hier in einem Stande innerer Verwicklung und Verwirrung; die zahllosen Kräfte finden sich nicht zusammen; wir wissen nicht, was wir erstreben oder vermeiden sollen. Wer aber nicht in die unmittelbare Lage mit ihren Zuständen aufgeht, dem wird damit das Problem des Glückes eine große und schwere Aufgabe werden, der muß unbedingt darauf bestehen, daß aus dem wilden, oft wüsten Gebiete sich irgendwelches sinnvolles Leben aus den Tiefen der Wirklichkeit emporringt; wie das aber möglich ist, darüber waltet heute ein völliger Zweifel. Über das Nein mögen wir uns leidlich verständigen, aber zur Erreichung eines kräftigen und freudigen Ja versagt das Vermögen der Zeit. So liegt über allen ihrem Unternehmen eine lähmende Unsicherheit, die kein großes und erfolgreiches Streben des ganzen und inneren Menschen aufkommen läßt. Der Mensch der Gegenwart hat der unendlichen rätselhaften Natur kein gewachsenes Reich entgegenzusetzen, sein gesamter Lebenskreis droht damit nebensächlich und gleichgültig zu werden.

So bietet das, was früheren Zeiten eine feste Grundlage des Glücks und eine Hilfe zu seiner Entwicklung gewährte, uns heute keinen genügenden Halt, uns fehlt den mächtig auf uns eindringenden Wirkungen der Welt gegenüber der Besitz einer geschlossenen Gedankenwelt, welche die Zweifel und Nöte mildern, umwandeln, ins Förderliche wenden könnte; uns fehlt im besonderen eine einzige allesbeherrschende Wahrheit; so stehen wir einem allmächtigen Schicksal gegenüber wie wehrlos da. Ist es ein Wunder, wenn bei solcher Lage der Pessimismus kühn sein Haupt erhebt und weiter und weiter vordringt? Deutlich steht jetzt vor Augen, daß eben das, was den Menschen über die bloße Natur hinausführt, ihn in ungeheure Probleme verwickelt, denen er nicht gewachsen scheint. Unverkennbar erhebt sich bei ihm eine neue Art des Lebens und scheidet ihn von den anderen Wesen. Dies Leben aber scheint in der großen Welt keine Unterstützung und Förderung zu finden, es sieht sich an undurchsichtige Bedingungen gebunden und wird vom Lauf der Dinge als gleichgültig behandelt. Da es zugleich im Menschen selbst durchgängig matt und mit schroffen Widersprüchen behaftet ist, so scheint es sich nicht gegen das Ganze der vorgefundenen andersartigen Welt durchsetzen zu können. Aber trotz aller solchen Schwäche und Hemmung hält jenes neue Leben seine Maße aufrecht und zwingt den Menschen, sie an sein Tun und Ergehen zu legen. Das Behagen des natürlichen Daseins genügt ihm nach jener Wendung nicht mehr, die geweckte Kraft verlangt ein Ziel wie einen Gehalt, sie findet; aber nicht, was sie sucht und was sie unmöglich aufgeben kann. Das Denken des Menschen bringt die Idee der Unendlichkeit und der Ewigkeit mit sich und zerstört damit alle Befriedigung beim Zeitlichen und Endlichen. Vom Unendlichen aus muß alles Tun und Treiben des Menschen als unsäglich klein erscheinen, auch das Individuum kann als ein denkendes Wesen nicht umhin, seinen Sonderkreis als engbegrenzt, ja nichtig zu empfinden; der Gedanke der Ewigkeit aber setzt alle Ausdehnung unseres Lebens zu einer verschwindenden Spanne herab und droht ihm alle Lust und allen Mut zu rauben. Der Lauf der Geschichte steigert diese Verwicklungen mehr, als daß er sie mindert. Denn je mehr der Mensch sein Eigentümliches entfaltet, und je weiter ihn sein Denken über das nächste Dasein hinausträgt und ihm zugleich das Gefühl einer Freiheit gibt, desto härter scheint der Widerstand einer fremdartigen Welt, die jener Bewegung nicht folgt, desto schwerer der Druck der Verkettung der Dinge. Deutlich genug zeigt auch der unmittelbare Anblick der menschlichen Erfahrung, daß der Fortgang der Kultur den Menschen weit mehr in wachsende Verwicklung geführt, als ihm ein reines und volles Glück beschert hat.

Aber soll der Überblick alles dessen uns einen trostlosen Pessimismus überliefern? Deutlich ist uns auch bei der geschichtlichen Betrachtung geworden, wie fruchtbare Anregungen und Weiterbildungen uns der Verlauf der Geschichte gebracht hat und wie er vieles enthält, was übermenschlicher Willkür und Neigung liegt. Zugleich finden wir uns unter eindringlichen Forderungen der unmittelbaren Gegenwart. In zwei Hauptlinien verlief der Menschheit das Glücksproblem: einerseits wirkte das Verlangen nach einer festen Verbindung mit dem All, andererseits das nach einer vollen Entwicklung aller Beziehungen zu den Menschen; so schieden sich eine kosmische und eine soziale Lebensführung und kämpften um das höchste Ziel. Dabei verschob sich mehr das Verhältnis von Altem und Neuem. Die ältere Denkweise war bestrebt, den Menschen und sein Wohlergehen an das All zu binden; bei allen Unterschieden waren die antike, die christliche, früher auch die moderne Überzeugung über diesen Hauptpunkt einig: der Mensch hatte sich einzufügen und unterzuordnen, um seinem Leben einen Sinn und Wert zu erringen. Auch der Gegensatz einer rationalen und einer irrationalen Gestaltung des Lebens wurde dadurch nicht berührt. Nun aber ist im Verlauf der Neuzeit die kosmische Denkart mehr und mehr durch die soziale verdrängt, und es ist das Wohlergehen der Menschen durch die Entwicklung der menschlichen Verhältnisse zur Hauptsache geworden. Eine Bewegung nach dieser Richtung geht durch die Jahrtausende, aber sie wurde sonst als ein Nebenstrom behandelt. Nach und nach aber gewannen die Fragen dieses Lebenskreises mehr und mehr das Übergewicht; wir wissen, wie neuerdings die sozialistische Bewegung das allgemeinere Problem verschärft und damit das Glücksproblem eigentümlich gestaltet hat. Im ersten Anblick erscheint es als ein großer Gewinn, das Lebensproblem ganz und gar von den Verwicklungen des Weltproblems zu befreien und die Menschheit lediglich mit der Hebung des eignen Wohlseins zu befassen. Im besonderen wirkt dabei das Verlangen, die materiellen und die geistigen Güter möglichst allen Menschen gleichmäßig zuzuführen und durch eine neue Ordnung der gemeinsamen Angelegenheiten eine wesentlich höhere Art des Lebens hervorzubringen.

Welche bedeutenden Aufgaben daraus für das Glücksproblem entspringen, kann kein Unbefangener verkennen, aber zugleich bereitet die Lösung dieser Aufgaben schwerste Verwicklungen. Jene sozialistische Denkweise behandelt den Menschen als ein im wesentlichen wohlwollendes und arbeitsliebendes Wesen, sie enthält auch die Voraussetzung, daß die Befriedigung seiner Wünsche im gesellschaftlichen Zusammenleben ihm eine volle Zufriedenheit zu gewähren vermag. In Wahrheit kann der Philosoph von einer radikalen Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht schon eine innere Erhöhung der Menschen und vor dem Wegfall der Versuchungen aus Arbeitsdruck und materieller Not nicht schon eine Austreibung alles Bösen aus seiner Seele erwarten. Ebensowenig kann ein von Arbeit nur mäßig beschwertes, bequemes und genußreiches Leben dem Menschen genügen. Da er nun einmal auch ein geistiges Wesen ist, nicht bloß ein Exemplar einer zoologischen Gattung, so trägt er in sich größere Forderungen, so muß er auch irgendwelchen Lebensinhalt verlangen; ohne einen solchen müßte sich alles sinnliche Behagen rasch in eine innere Leere verkehren, die für die Dauer schwerer erträglich ist als Mühe und Not, als Kampf und Schmerz. So sind die Ziele des menschlichen Lebens hier zu niedrig gesteckt; aller hier waltender Fortschrittsdrang könnte nicht ein jähes Sinken verhüten. Auch das Weltproblem läßt den Menschen nicht so leicht los, wie es vielen heute scheint. Manche glauben es mit glatter Verneinung vollauf abschütteln zu können; entspricht aber dieser Verneinung keine Bejahung, so bleibt wiederum eine Leere und Öde. Verschließen wir uns keineswegs den Fragen, welche die Gegenwart auf diesem Gebiete an uns stellt, aber seien wir mit höchstem Eifer bemüht, eine drohende Verflachung des Lebens zu verhüten. Auch das Glücksproblem kommt schließlich auf die Frage zurück, ob alles die Natur überschreitende Leben, ob das Geistesleben, eine selbständige Wurzel hat, oder ob es ein bloßes Erzeugnis menschlicher Meinung und Begehrung ist; letztenfalls muß alle Hoffnung verschwinden, von ihm aus eine Welt von selbständigen Werten hervorzubringen und damit dem menschlichen Dasein einen Sinn, sowie ein würdiges Ziel zu erringen. Mit dem Verschwinden aller solchen Aussicht ist aber alle Arbeit und Mühe verloren, alles menschliche Unternehmen ein Irrtum, die ganze Menschheit ein unbegreiflicher Fehlgriff der Natur, dann bleibt uns nur eine stumme Ergebung unter ein zerstörendes Nein. Unsere Untersuchung steht zu der Überzeugung, daß trotz aller Zweifel und Hemmungen der letztgültige Sieg nicht dem Nein, sondern dem Ja gehört; es gilt nur dies Ja voll herauszuarbeiten.


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