E.T.A. Hoffmann
Das steinerne Herz
E.T.A. Hoffmann

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Der Jüngling wollte zur Türe hinausstürzen, da sank Julie laut schluchzend nieder, schnell sprang Max zurück, fing sie in seinen Armen auf, und heftig sie an seine Brust drückend, rief er mit dem herzzerreißenden Ton des trostlosesten Jammers: »O Julie, Julie, alle Hoffnung ist verloren!« – Der Hofrat hatte dagestanden, zitternd an allen Gliedern, sprachlos – kein Wort konnte sich entwinden den bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Armen sah, schrie er laut auf, wie ein Wahnsinniger. Er ging mit starkem kräftigen Schritt auf sie los, er riß sie von Maxens Brust hinweg, hob sie hoch in die Höhe und frug kaum vernehmbar: »Liebst du diesen Max, Julie?« – »Wie mein Leben«, erwiderte Julie voll tiefen Schmerzes, »wie mein Leben. Der Dolch, den Sie in sein Herz stoßen, trifft auch das meine!« – Da ließ sie der Hofrat langsam herab, und setzte sie behutsam nieder in einen Lehnstuhl. Dann blieb er stehen, die gefalteten Hände an die Stirn gedrückt. – Es war totenstill ringsumher. Kein Laut – keine Bewegung der Anwesenden! – Dann sank der Hofrat auf beide Knie. Lebensröte im Gesicht, helle Tränen in den Augen hob er das Haupt empor, beide Arme hoch ausgestreckt zum Himmel, sprach er leise und feierlich: »Ewig wartende unerforschliche Macht dort oben, das war dein Wille – mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schoß der Erde ruhend, den frischen Baum emportreibt mit herrlichen Blüten und Früchten? – O Julie, Julie! – o ich armer verblendeter Tor!« – Der Hofrat verhüllte sein Gesicht, man vernahm sein Weinen. – So dauerte es einige Sekunden, dann sprang der Hofrat plötzlich auf, stürzte auf Max, der wie betäubt dastand, los, riß ihn an seine Brust, und schrie, wie außer sich: »Du liebst Julien, du bist mein Sohn – nein mehr als das, du bist ich ich selbst – alles gehört dir – du bist reich, sehr reich – du hast ein Landgut – Häuser, bares Geld – laß mich bei dir bleiben, du sollst mir das Gnadenbrot geben in meinen alten Tagen – nicht wahr, du tust das? – Du liebst mich ja! – nicht wahr, du mußt mich ja lieben, du bist ja ich selbst – scheue dich nicht vor meinem steinernen Herzen, drücke mich nur fest an deine Brust, deine Lebenspulse erweichen es ja! – Max – Max mein Sohn – mein Freund, mein Wohltäter!« – So ging es fort, daß allen vor diesen Ausbrüchen des überreizten Gefühls bange wurde. Rixendorf, dem besonnenen Freunde, gelang es endlich, den Hofrat zu beschwichtigen, der, ruhiger geworden, nun erst ganz einsah, was er an dem herrlichen Jünglinge gewonnen, und mit tiefer Rührung gewahrte, wie auch die Geheime Rätin Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit Reutlingers Neffen das neue Aufkeimen einer alten verlornen Zeit erblickte. Großes Wohlgefallen äußerte der Geheime Rat, der viel Tabak schnupfte und sich in wohlgestelltem nationell ausgesprochenem Französisch darüber ausließ. Zuvörderst sollten nun Juliens Schwestern von dem Ereignis benachrichtigt werden, die waren aber nirgends aufzufinden. Nannettens halber hatte man schon in allen großen japanischen Vasen, die in dem Vestibule herumstanden, nachgesehen, ob sie, zu sehr sich über den Rand beugend, vielleicht hineingefallen, aber vergebens, endlich fand man die Kleine unter einem Rosenbüschchen eingeschlafen, wo man sie nur nicht gleich bemerkt, und ebenso holte man Clementinen in einer entfernteren Allee ein, wo sie dem entfliehenden blonden Jüngling, dem sie vergebens nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief. »O der Mensch sieht es oft spät ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz!« – Beide Schwestern waren etwas mißmütig über die Heirat der jüngern, wiewohl viel schöneren und reizenderen Schwester, und vorzüglich rümpfte die schmähsüchtige Nannette das kleine Stülpnäschen; Rixendorf nahm sie aber auf den Arm und meinte, sie könnte wohl einmal einen viel vornehmeren Mann mit einem noch schöneren Gute bekommen. Da wurde sie vergnügt und sang wieder: »Amenez vos troupeaux bergères!« Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: »In der häuslichen Glückseligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Wänden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandteil: ihr Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphthaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen ineinanderspringen.« – Die Gesellschaft im Saal, die schon Kunde bekommen von den wunderlichen aber fröhlichen Ereignissen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit den gehörigen Glückwünschen losfahren zu können. Der Goldstoffne, der am Fenster alles angehört und angeschaut, bemerkte schlau: »Nun weiß ich, warum der Ziegenbock dem armen Max so wichtig war. Hätte er einmal im Gefängnis gesteckt, so war durchaus an keine Aussöhnung zu denken.« Alles applaudierte dieser Meinung, wozu Willibald die Losung gab. Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als der türkische Gesandte, der so lange auf dem Sofa geblieben, nichts gesprochen, sondern nur durch Hin- und Herrutschen und durch die seltsamsten Grimassen seine Teilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie toll aufsprang und zwischen die Brautleute fuhr: »Was was«, rief er, »nun gleich heiraten, gleich heiraten? – Deine Geschicklichkeit, deinen Fleiß in Ehren, Max! aber du bist ein Kiek-in-die-Welt, ohne Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du setzest deine Füße einwärts und bist grob in deinen Redensarten wie ich vorhin vernommen, als du deinen Oheim den Hofrat Reutlinger Du nanntest. Fort in die Welt! nach Konstantinopel! – da lernst du alles was du brauchst fürs Leben – dann kehre wieder und heirate getrost mein liebes holdes Kind, das schöne Julchen.« Alle waren ganz erstaunt über Exters seltsames Begehren. Der nahm aber den Hofrat auf die Seite; beide stellten sich gegenüber, legten einander die Hände auf die Achseln und wechselten einige arabische Worte. Darauf kam Reutlinger zurück, nahm Maxens Hand und sprach sehr mild und freundlich: »Mein lieber guter Sohn, mein teurer Max, tue mir den Gefallen und reise nach Konstantinopel, es kann höchstens sechs Monate dauern, dann richte ich hier die Hochzeit aus!« – Aller Protestationen der Braut unerachtet mußte Max fort nach Konstantinopel.

 

Nun könnte ich, sehr geliebter Leser! wohl füglich meine Erzählung schließen, denn du magst es dir vorstellen, daß Max, nachdem er aus Konstantinopel, wo er die Marmorstufe, wohin der Seehund Extern das Kind apportiert, nebst vielem andern Merkwürdigen geschaut hatte, zurückgekehrt war, wirklich Julien heiratete, und verlangst wohl nicht noch zu wissen, wie die Braut geputzt war und wieviel Kinder das Paar bis jetzt erzeugt hat. Hinzusetzen will ich nur noch, daß am Tage Mariä Geburt des Jahres 18- Max und Julie einander gegenüber im Pavillon bei dem roten Herzen knieten. Häufige Tränen fielen auf den kalten Stein, denn unter ihm lag das ach! nur zu oft blutende Herz des wohltätigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen, sondern weil er des armen Onkels ganze Lebens- und Leidensgeschichte darin angedeutet fand, hatte Max mit eignet Hand die Worte in den Stein gegraben:

Es ruht!


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