E.T.A. Hoffmann
Das steinerne Herz
E.T.A. Hoffmann

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Clementine fand die ganze Geschichte sehr unzart, Nannette dachte gar nichts, aber Julie war sehr heiter geworden. Jetzt ermunterte Reutlinger die Gesellschaft zum Tanze. Sogleich spielten vier Theorbisten, unterstützt von ein paar Zinken, Violinen und Bässen, eine pathetische Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen schauten zu. Der Goldstoffne zeichnete sich aus durch zierliche und gewagte Sprünge. Der Abend ging ganz heiter hin, so auch der andere Morgen. Wie gestern sollte auch heute Konzert und Ball den festlichen Tag beschließen. Der General Rixendorf saß schon am Flügel, der Goldstoffne hatte die Theorbe im Arm, die Geheime Rätin Foerd die Partie in der Hand. Man wartete nur auf die Rückkehr des Hofrats Reutlinger. Da hörte man im Garten ängstlich rufen und sah die Bedienten herausrennen. Bald trugen sie den Hofrat mit geisterbleichem entstelltem Gesicht herein, der Gärtner hatte ihn unweit des Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. – Mit einem Schrei des Entsetzens sprang Rixendorf auf vom Flügel. Man eilte herbei mit spirituosen Mitteln, man fing an, dem Hofrat, der auf einem Kanapee lag, die Stirne mit Kölnischem Wasser zu reiben, der türkische Gesandte stieß aber alle zurück, indem er unaufhörlich rief. »Zurück, zurück, ihr unwissenden ungeschickten Leute! – ihr macht mir den kerngesunden, muntern Hofrat nur matt und elend!« – Damit schleuderte er seinen Turban über alle Köpfe weg in den Garten hinein, den Pelz hinterher. Nun beschrieb er mit der flachen Hand seltsame Kreise um den Hofrat, die enger und enger werdend, zuletzt beinahe Schläfe und Herzgrube berührten. Dann hauchte er den Hofrat an, der sogleich die Augen aufschlug und mit matter Stimme sprach: »Exter! Du hast nicht gut getan, mich zu wecken! – Die dunkle Macht hat mir den nahen Tod verkündet, und vielleicht war es mir vergönnt in dieser tiefen Ohnmacht hineinzuschlummern in den Tod.« – »Possen, Träumer«, rief Exter, »deine Zeit ist noch nicht gekommen. Schau dich nur um, Herr Bruder, wo du bist, und sei fein munter wie es sich schickt.« – Der Hofrat wurde nun gewahr, daß er sich im Saal in voller Gesellschaft befand. Er erhob sich rüstig vom Kanapee, trat in die Mitte des Saals, und sprach mit anmutigem Lächeln: »Ich gab Ihnen ein böses Schauspiel, Verehrte! aber an mir lag es nicht, daß das ungeschickte Volk mich gerade in den Saal trug. Lassen Sie uns über das störende Intermezzo schnell hinweggehen, lassen Sie uns tanzen!« – Die Musik begann sofort, aber als sich alles in der ersten Menuett pathetisch wandte und drehte, verschwand der Hofrat mit Exter und Rixendorf aus dem Saal. Als sie in ein entferntes Zimmer gekommen, warf sich Reutlinger erschöpft in einen Lehnsessel, hielt beide Hände vors Gesicht und sprach mit von Schmerz gepreßter Stimme: »Oh, meine Freunde! meine Freunde!« Exter und Rixendorf vermuteten mit Recht, daß irgend etwas Entsetzliches den Hofrat erfaßt haben müsse, und daß er sich jetzt darüber erklären werde. »Sag's nur heraus, alter Freund«, sprach Rixendorf, »sag's nur heraus, dir ist, Gott weiß auf welche Weise, Schlimmes im Garten begegnet.« – »Aber«, fiel Exter ein, »ich begreife gar nicht, wie dem Hofrat heute, und überhaupt in diesen Tagen Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt sein siderisches Prinzip reiner und herrlicher sich gestaltet als jemals.« – »Doch, doch!« fing der Hofrat mit dumpfer Stimme an, »Exter! es ist bald aus mit uns, der kecke Geisterseher klopfte nicht ungestraft an die dunklen Pforten. Ich wiederhole es dir, daß die geheimnisvolle Macht mich hinter den Schleier schauen ließ – der nahe, vielleicht gräßliche Tod ist mir verkündet.« – »So erzähle nur was dir geschah«, fiel Rixendorf ihm ungeduldig in die Rede, »ich wette, daß alles auf eine wunderliche Einbildung hinausläuft, ihr verderbt euch beide das Leben mit euern Fantastereien, du und Exter.«

»So vernehmt es denn«, fuhr der Hofrat fort, indem er aufstand von dem Lehnstuhl, und zwischen beide Freunde trat, »so vernehmt es denn, was mich vor Entsetzen und Graus in tiefe Ohnmacht warf. Ihr hattet euch schon alle in dem Saal versammelt, als ich, selbst weiß ich nicht wodurch, angetrieben wurde noch einsam einen Gang durch den Garten zu machen. Unwillkürlich lenkten sich meine Schritte nach dem Wäldchen. Es war mir, als höre ich ein leises, hohles Pochen und eine leise klagende Stimme. – Die Töne schienen aus dem Pavillon zu kommen – ich trete näher, die Tür des Pavillons steht offen – ich erblicke – mich selbst! – mich selbst! – aber so wie ich war vor dreißig Jahren, in demselben Kleide, das ich trug an jenem verhängnisvollen Tage, als ich in trostloser Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als Julie wie ein Engel des Lichts mir erschien im bräutlichen Schmuck – es war ihr Hochzeitstag – die Gestalt – ich – ich lag auf dem Boden vor dem Herzen, und darauf klopfend, daß es hohl widerhallte, murmelte ich: ›Nie – nie kannst du dich erweichen, du steinernes Herz!‹ – Regungslos starrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es durch meine Adern. Da trat Julie bräutlich geschmückt, in voller Pracht der blühendsten Jugend, aus den Gebüschen hervor, und streckte voll süßen Verlangens die Arme aus nach der Gestalt, nach mir – nach mir dem Jünglinge! Bewußtlos stürzte ich zu Boden!« Der Hofrat sank halb ohnmächtig in den Lehnstuhl zurück, aber Rixendorf faßte seine beiden Hände, rüttelte sie, und rief mit starker Stimme: »Das sahst du, das sahst du, Bruder, weiter nichts? – Viktoria laß ich schießen aus deinen japanischen Kanonen! – mit deinem nahen Tode, mit der Erscheinung ist es nichts, gar nichts! Ich rüttle dich auf aus deinen bösen Träumen, damit du genesen, und noch lange leben mögest auf Erden.« – Damit sprang Rixendorf schneller, als es sein Alter zuzulassen schien, zum Zimmer heraus. Der Hofrat hatte wohl wenig von Rixendorfs Worten vernommen, er saß da mit geschlossenen Augen. Exter ging mit großen Schritten auf und ab, runzelte mißmütig die Stirn und sprach: »Ich wette, der Mensch will wieder alles auf gewöhnliche Manier erklären, aber das soll ihm schwer werden, nicht wahr, Hofrätchen? wir verstehen uns auf Erscheinungen! – Ich wollt nur, ich hätte meinen Turban und meinen Pelz!« – Dies wünschend pfiff er sehr stark auf einer kleinen silbernen Pfeife, die er beständig bei sich trug, und sogleich brachte auch ein Mohr aus seinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf trat die Geheime Rätin Foerd hinein, ihr folgte der Geheime Rat mit Julien. Der Hofrat raffte sich auf, und in den Versicherungen, daß ihm wieder ganz wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen Vorfalls zu vergessen, und eben wollten alle bis auf Exter, der sich in seiner türkischen Kleidung aufs Sofa gestreckt, und aus einer übermäßig langen Pfeife, deren Kopf, auf Räder gestellt, am Boden hin und her schurrte, Tabak schmauchte und Kaffee trank, in den Saal zurückkehren, als die Tür aufging, und Rixendorf hastig hereintrat. An der Hand hielt er einen jungen Menschen in alttatarischer Kleidung. Es war Max, bei dessen Anblick der Hofrat erstarrte. »Sieh hier dein Ich, dein Traumbild«, hub Rixendorf an, »es ist mein Werk, daß mein trefflicher Max hier blieb und von deinem Kammerdiener aus deiner Garderobe Kleider empfing, um gehörig kostümiert erscheinen zu können. Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. – Ja, an deinem steinernen Herzen, du harter unempfindlicher Oheim! kniete der Neffe, den du unbarmherzig verstießest, einer träumerischen Einbildung halber! Verging sich der Bruder schwer gegen den Bruder, so hat er es längst gebüßt mit dem Tode im tiefsten Elend – da steht die vaterlose Waise, dein Neffe – Max, wie du geheißen, dir ähnlich an Leib und Seele, wie der Sohn dem Vater – tapfer hielt sich der Knabe, der Jüngling auf den Wellen des brausenden Lebensstroms empor – da – nimm ihn auf – erweiche dein hartes Herz! – reiche ihm die wohltätige Hand, daß er eine Stütze habe, wenn zu sehr der Sturm auf ihn einbricht.« – In demütiger gebeugter Stellung, heiße Tränen in den Augen, hatte sich der Jüngling dem Hofrat genähert. Der stand da geisterbleich, mit blitzenden Augen, den Kopf stolz in die Höhe geworfen, stumm und starr, aber sowie der Jüngling seine Hand erfassen wollte, wich er, ihn mit beiden Händen von sich abwehrend, zwei Schritte zurück, und rief mit fürchterlicher Stimme: »Verruchter – willst du mich morden? – Fort – aus meinen Augen, ja du spielst mit meinem Herzen, mit mir! – Und auch du Rixendorf verschworen zum läppischen Puppenspiel, das ihr mir auftischt? – fort – fort aus meinen Augen – du – du, der du zu meinem Untergange geboren – du Sohn des schändlichsten Ver...« – »Halt ein«, brach Max plötzlich los, indem Zorn und Verzweiflung glühende Blitze aus seinen Augen schossen, »halt ein, unnatürlicher Oheim – herzloser, unnatürlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und Schmach hast du auf meines armen unglücklichen Vaters Haupt gehäuft, der verderblichen Leichtsinn, aber nie Verbrechen in sich hegen konnte! – Ich wahnsinniger Tor, daß ich glaubte, jemals dein steinernes Herz rühren, jemals, mit Liebe dich umfangene, meines Vaters Vergehen sühnen zu können! – Elend – verlassen von aller Welt, aber an der Brust eines Sohnes hauchte mein Vater sein mühseliges Leben aus – ›Max! – sei brav! – sühne den unversöhnlichen Bruder – werde sein Sohn‹, das war das letzte, was er sprach. – Aber du verwirfst mich, so wie du alles verwirfst, was sich dir naht mit Liebe und Ergebung, während der Teufel selbst dich mit trügerischen Träumen umgaukelt. – Nun, so stirb denn einsam und verlassen! – Mögen habsüchtige Diener auf deinen Tod lauern und sich in die Beute teilen, wenn du kaum die lebensmüden Augen geschlossen – statt der Seufzer, statt der trostlosen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in den Tod anhängen wollten, magst du sterbend das Hohngelächter, die frechen Scherze der Unwürdigen hören, die dich pflegten, weil du sie bezahltest mit schnödem Golde! – Niemals, niemals siehst du mich wieder!« -


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