E.T.A. Hoffmann
Das steinerne Herz
E.T.A. Hoffmann

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Die Freunde traten auf einen runden Rasenplatz, ringsumher saßen alte und junge Herren und Damen, in der Mitte sprang ein sehr bunt gekleidetes, kaum vier Fuß hohes Dämchen, mit einem etwas zu großen Apfelköpfchen umher, und schnappte mit den Fingerchen und sang mit einem ganz kleinen, dünnen Stimmchen: »Amenez vos troupeaux bergères!« – »Solltest du wohl glauben«, sprach Willibald, »daß dies putzige Figurchen, die so überaus naiv und scharmant tut, Juliens ältere Schwester ist? Du merkst, daß sie leider zu den Weibern gehört, die die Natur mit recht bittrer Ironie mystifiziert, indem sie trotz alles Sträubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermöge ihrer Figur und ihres ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen Naivität kokettierend sich und andern herzlich zur Last werden müssen, wobei es denn oft an gehöriger Verhöhnung nicht mangelt.« – Beiden Freunden wurde das Dämchen mit ihrer französischen Faselei recht fatal, sie schlichen daher fort wie sie gekommen und schlossen sich lieber an den türkischen Gesandten an, der sie fortführte in den Saal, wo eben, da die Sonne schon niedersank, alles zu der Musik vorbereitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Österleinische Flügel wurde geöffnet und jedes Pult für die Künstler an seinen Ort gestellt. Die Gesellschaft sammelte sich nach und nach, Erfrischungen wurden herumgereicht in altem reichen Porzellan; dann ergriff Reutlinger eine Geige und führte mit Geschicklichkeit und Kraft eine Sonate von Corelli aus, wozu ihn der General Rixendorf auf dem Flügel begleitete, dann bewährte sich der goldstoffne Harscher als Meister auf der Theorbe. Hierauf begann die Geheime Rätin Foerd eine große italienische Szene von Anfossi mit seltenem Ausdruck. Die Stimme war alt, tremulierend und ungleich, aber noch wurde alles dieses durch die ihr eigne Meisterschaft des Gesanges besiegt. In Reutlingers verklärtem Blick glänzte das Entzücken längst vergangener Jugend. Das Adagio war geendet, Rixendorf begann das Allegro, als plötzlich die Tür des Saals aufgerissen wurde und ein junger wohlgekleideter Mensch, von hübschem Ansehen, ganz erhitzt und atemlos hinein und zu Rixendorfs Füßen stürzte. »O Herr General! – Sie haben mich gerettet – Sie allein – es ist alles gut alles gut! O mein Gott, wie soll ich Ihnen denn danken.« So schrie der junge Mensch wie außer sich, der General schien verlegen, er hob den jungen Menschen sanft auf und führte ihn mit beschwichtigenden Worten heraus in den Garten. Die Gesellschaft war von dem Auftritt überrascht worden, jeder hatte in dem Jüngling den Schreiber des Geheimen Rates Foerd erkannt und schaute diesen mit neugierigen Blicken an. Der nahm aber eine Prise nach der andern und sprach mit seiner Frau französisch, bis er endlich, da ihm der türkische Gesandte näher auf den Leib rückte, rund heraus erklärte: »Ich weiß, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht zu erklären, welcher böse Geist meinen Max hier so plötzlich mit exaltierten Danksagungen hineingeschleudert hat, werde aber sogleich die Ehre haben.« – Damit schlüpfte er zur Türe heraus und Willibald folgte ihm auf dem Fuße. Das dreiblättrige Kleeblatt der Foerdschen Familie, nämlich die drei Schwestern, Nannette, Clementine und Julie, äußerten sich auf ganz verschiedene Weise. Nannette ließ den Fächer auf- und niederrauschen, sprach von Etourderie und wollte endlich wieder singen: Amenez vos troupeaux, worauf aber niemand achtete. Julie war abseits in den Winkel getreten und der Gesellschaft den Rücken zugewendet, war es, als wolle sie nicht allein ihr glühendes Gesicht, sondern auch einige Tränen verbergen, die ihr, wie man schon bemerkt, in die Augen getreten. »Freude und Schmerz verwunden mit gleichem Weh die Brust des armen Menschen, aber färbt der dem verletzenden Dorn nachquillende Blutstropfe nicht mit höherem Rot die verbleichende Rose?« So sprach mit vielem Pathos die jeanpaulisierende Clementine, indem sie verstohlen die Hand eines hübschen jungen, blonden Menschen faßte, der gar zu gern sich aus den Rosenbanden, womit ihn Clementine bedrohlich umstrickt und in denen er etwas zu spitze Dornen verspürt hatte, losgewickelt. Der lächelte aber etwas fade und sprach nur: »O ja, Beste!« – Dabei schielte er nach einem seitwärts stehenden Glase Wein, welches er gern auf Clementinens sentimentalen Spruch geleert. Das ging aber nicht, da Clementine seine linke Hand festhielt, er aber mit der Rechten soeben das Besitztum eines Stücks Kuchen ergriffen. In dem Augenblick trat Willibald zur Saaltür herein und alles stürzte auf ihn zu mit tausend Fragen, wie, was, warum und woher? Er wollte durchaus nichts wissen, zog aber ein verschmitzteres Gesicht als jemals. Man ließ nicht ab von ihm, weil man deutlich bemerkt, daß er im Garten sich mit dem Geheimen Rat Foerd zum General Rixendorf und zum Schreiber Max gesellt, und heftig mitgesprochen hatte. »Soll ich denn«, fing er endlich an, »soll ich denn in der Tat die wichtigste aller Begebenheiten vor der Zeit ausplaudern, so muß es mir vergönnt werden, zuvörderst an Sie, meine hochzuverehrenden Damen und Herren, einige Fragen zu richten.« – Man erlaubte das gern. »Ist Ihnen«, fuhr Willibald nun pathetisch fort, »ist Ihnen nicht allen der Schreiber des Herrn Geheimen Rat Foerd, Max geheißen, als ein wohlgebildeten, von der Natur reichlich ausgestatteter Jüngling bekannt?« – »Ja, ja, ja!« rief der Chor der Damen. »Ist Ihnen«, frug Willibald weiter, »ist Ihnen nicht sein Fleiß, seine wissenschaftliche Bildung, seine Geschicklichkeit im Geschäft bekannt?« – »Ja -ja!« rief der Chor der Herren, und wieder »Ja, ja, ja!« der vereinigte Chor der Herren und Damen, als Willibald noch frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteste Kopf, voller Possen und Schnurren, sowie endlich als solch geschickter Zeichner bekannt sei, daß Rixendorf, der als Dilettant in der Malerei Ungewöhnliches leiste, es nicht verschmäht habe, selbst ihm zweckmäßigen Unterricht zu erteilen. »Es begab sich«, erzählte nun Willibald, »daß vor einiger Zeit ein junges Meisterlein von der ehrsamen Schneiderzunft seine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch her, Bässe schnurrten, Trompeten schmetterten durch die Gasse. Mit rechter Wehmut sah des Herrn Geheimen Rats Bedienter, Johann, zu den erleuchteten Fenstern herauf, das Herz wollte ihm springen, wenn er unter den Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie er wußte, auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum Fenster herausguckte, da konnte er es nicht länger aushalten, er lief nach Hause, warf sich in seinen besten Staat und ging keck herauf in den Hochzeitsaal. Er wurde wirklich zugelassen, freilich unter der schmerzlichen Bedingung, daß im Tanz jeder Schneider vor ihm den Vorzug haben sollte, wodurch er freilich auf die Mädchen angewiesen wurde, mit denen ob ihrer Häßlichkeit oder sonstigen Untugenden, niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Tänze versagt, aber sowie sie den Geliebten sah, vergaß sie alles, was sie versprochen, und der beherzte Johann stieß das dünnleibige Schneiderlein, das ihm Jettchen abtrotzen wollte, zu Boden, daß es über und über purzelte. Dies gab das Signal zum allgemeinen Aufstande. Johann wehrte sich wie ein Löwe, Rippenstöße und Ohrfeigen nach allen Seiten austeilend, doch er mußte der Menge seiner Feinde erliegen und wurde auf schmähliche Weise von Schneidergesellen die Treppe herabgeworfen. Voll Wut und Verzweiflung wollte er die Fenster einwerfen, er schimpfte und fluchte, da kam Max, der nach Hause ging, des Weges und befreite den unglücklichen Johann aus den Händen der Scharwacht, die eben über ihn herzufallen im Begriff stand. Nun klagte Johann sein Unglück und wollte durchaus nicht abstehen von tumultuarischer Rache, doch gelang es endlich dem klügern Max, ihn zu beruhigen, wiewohl nur unter dem Versprechen, daß er sich seiner annehmen und die ihm geschehene Unbill so rächen wolle, daß er ganz gewiß zufrieden sein werde« – Willibald hielt plötzlich ein. – »Nun? – nun? Und weiter? – Eine Schneiderhochzeit – ein Liebespaar – Prügel – was soll das dann werden?« So rief es von allen Seiten. »Erlauben Sie«, fuhr Willibald fort, »erlauben Sie, Hochzuverehrende! zu bemerken, daß, um mit dem berühmten Weber Zettel zu reden, in dieser Komödie von Johann und Jettchen Dinge vorkommen, die nimmermehr gefallen werden. – Es könnte sogar wider den feinsten Anstand gesündigt werden.« – »Sie werden's schon einzurichten wissen, lieber Herr Willibald«, sprach die alte Stiftsrätin von Krain, indem sie ihn auf die Schulter klopfte, »ich für meinen Teil kann einen Puff vertragen.« – »Der Schreiber Max«, erzählte Willibald weiter, »setzte sich andern Tages hin, nahm ein großes schönes Blatt Velinpapier, Bleifeder und Tusche, und zeichnete mit der vollendetsten Wahrheit einen großen stattlichen Ziegenbock hin. Die Physiognomie dieses wunderbaren Tiers gab jedem Physiognomen reichlichen Stoff zum Studium. In dem Blick der geistreichen Augen lag etwas Überschwengliches, wiewohl um das Maul und um den Bart herum einige Konvulsionen zitternd zu spielen schienen. Das Ganze zeugte von innerer unaussprechlicher Qual. In der Tat war auch der gute Bock beschäftigt, auf eine sehr natürliche, wiewohl schmerzliche Weise ganz kleine allerliebste, mit Schere und Bügeleisen bewaffnete Schneiderlein zur Welt zu befördern, die in den wunderlichsten Gruppen ihre Lebenstätigkeit bewiesen. Unter dem Bilde stand ein Vers, den ich leider vergessen, doch irr ich nicht, so hieß die erste Zeile: ›Ei was hat der Bock – gegessen.‹ Ich kann übrigens versichern, daß dieser wunderbare Bock« – »Genug – genug«, riefen die Damen, »genug von dem garstigen Tier – von Max, von Max wollen wir hören.« – »Besagter Max«, nahm Willibald das Wort wieder auf, »besagter Max gab das wohlausgeführte und vollkommen geratene Tableau dem gekränkten Johann, der es so geschickt an die Schneiderherberge anzuheften wußte, daß einen ganzen Tag hindurch das müßige Volk nicht von dem Bildnis wegkam. Die Straßenjungen schwenkten jubelnd die Mützen und tanzten jedem Schneiderlein, das sich sehen ließ, hinterher, und sangen und kreischten gewaltig: ›Ei was hat der Bock gegessen.‹ – ›Niemand anders hat das Blatt gezeichnet, als des Geheimen Rats Max‹, sagten die Maler, ›niemand hat die Worte geschrieben, als des Geheimen Rats Max‹, riefen die Schreibmeister, als die ehrsame Schneiderzunft die nötigen Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und sah, da er nicht wohl leugnen konnte, einer empfindlichen Gefängnisstrafe entgegen. Da rannte er voll Verzweiflung zu seinem Gönner, dem General Rixendorf; bei allen Advokaten war er schon gewesen. Die runzelten die Stirn, schüttelten die Köpfe und sprachen von hartnäckigem Ableugnen usw., was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General sprach dagegen: ›Du hast einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten werden dich nicht retten, aber ich, und bloß darum, weil in deinem Bilde, das ich bereits gesehen, korrekte Zeichnung und verständige Anordnung ist. Der Bock, als Hauptfigur, hat Ausdruck und Haltung, sowie die bereits auf dem Boden liegenden Schneider eine gute Pyramidalgruppe bilden, die reich ist, ohne das Auge zu verwirren. Sehr weise hast du den im Schmerz der Quetschung sich hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe behandelt, in seinem Gesicht liegt laokoontisches Weh! Ebenso rühmlich ist es, daß die fallenden Schneider nicht etwa schweben, sondern wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu gewagte Verkürzungen sind recht hübsch durch die Bügeleisen maskiert, auch hast du mit reger Fantasie die Hoffnung neuer Geburten angedeutet.‹« – Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der Goldstoffne lispelte: »Aber Maxens Prozeß, Verehrter?« – »›Indessen nimm mir's nicht übel‹, sprach der General«, (so fuhr Willibald fort) »›die Idee des Bildes ist nicht die deinige, sondern uralt; doch das ist es eben, was dich rettet.‹ Mit diesen Worten kramte der General in seinem alten Schreibschranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem sich Maxens Gedanke sauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weise ausgeführt befand, überließ denselben seinem Liebling zum Gebrauch und nun war alles gut.« – »Wie das, wie das?« rief alles durcheinander, aber die Juristen, die sich in der Gesellschaft befanden, lachten laut, und der Geheime Rat Foerd, der unterdessen auch hineingetreten war, sprach lächelnd: »Er leugnete den animum injuriandi, die Absicht zu beleidigen, und wurde freigesprochen.«- »Will soviel heißen«, fiel Willibald ihm in die Rede, »als daß Max sprach: ›Ich kann nicht leugnen, daß das Bild von meiner Hand ist; absichtslos und ohne irgend die von mir so hochverehrte Schneiderzunft kränken zu wollen, kopierte ich das Blatt nach dem Original, das ich hier mit diesem Tabaksbeutel, der dem General Rixendorf, meinem Lehrer in der Zeichenkunst, gehört, überreiche. Einige Variationen habe ich meiner schaffenden Fantasie zu danken. Das Bild ist mir aus den Händen gekommen, ich habe es weder jemanden sonst gezeigt, noch gar etwa angeheftet. Über diesen Umstand, in dem allein die Injurie liegt, erwarte ich den Nachweis.‹ – Diesen Nachweis ist die ehrsame Schneiderzunft schuldig geblieben und Max heute freigesprochen worden. Daher sein Dank, seine unmäßige Freude.« – Man fand allgemein, daß doch die halb wahnsinnige Art und Weise, wie Max seinen Dank geäußert, durch die erzählten Umstände nicht ganz motiviert werde, nur die Geheime Rätin Foerd sprach mit bewegter Stimme: »Der Jüngling hat ein leicht verwundbares Gemüt und ein zarteres Ehrgefühl, als je ein anderer. Körperliche Strafe erdulden zu müssen hätte ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben.« – »Vielleicht«, fiel Willibald ein, »liegt hier noch etwas ganz Besonderes im Hintergrunde.« – »So ist es, lieber Willibald«, sprach Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der Geheimen Rätin vernommen hatte, »so ist es, und will es Gott, so soll sich bald alles recht hell und fröhlich aufklären.« -


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