Hermann Essig
Taifun
Hermann Essig

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Susanne erwachte und sah Alfred neben sich. Sie erschrak und betrachtete ihn lange. Er hatte das Maul offen und eine dünne spitze Nase, selbst im Schlafe noch die zwei großen verlebten Falten neben dem Munde. Wie konnte sie diesen Menschen geheiratet haben? Sie hatte eine Torheit begangen, daß sie sich wieder ausgesöhnt hatte. Ein herzschwellendes Gefühl drängte sich in ihre Brust, an ihm Rache zu nehmen.

Wer konnte sie eigentlich hindern, ihn wie Luft zu betrachten. Ein üble Luft, die man mied, so weit es nur möglich war. Sie war von dem Taifun zu einer Sklavin gemacht worden, und war doch die freie, umherschweifende Susanne gewesen...

Das wollte sie wieder sein! Sie reckte die Glieder und verspürte großen Tatendrang. Sie klopfte leise an die Wand, hinter der Käterchen schlief. Dreimal, – da hörte sie die Sprungfedern von Käterchens Bettstelle knacken. Dann das viertemal. Sie vernahm, wie Käterchen redete, wie sie sich erhob und immer weiter leise murmelte. Wahrscheinlich dachte sie, sie hätte die Zeit verschlafen.

Susanne verließ ihren Mann sachte. Trotzdem bemerkte er etwas, denn er lallte: »Wa... was?« und griff neben sich. Aber er schien zu matt zu sein, und mit einem röchelnden Schnarchlaut schlief er weiter. Susanne machte sich leise fertig. Kätzi schnurrte um sie herum und erwartete auch für sich die Toilette mit der Parfümflasche.

Käterchen mußte das Frühstück für Susanne herrichten, dann ging sie los. Wohin gleichgültig. Bloß einmal hinaus. Freilich, es blühte draußen nicht wie im Maien, es war sogar düsteres Regenwetter. Aber irgendwo mußte sie hingelangen.

Als sie auf der Straße ging, ziellos, und neben ihr die Wagen fuhren, die Menschen rannten, da erschien ihr das Dasein der Welt völlig ohne Sinn. Entweder wußte nur sie nicht wohin, und alle anderen verfolgten Ziel und Zweck, oder auch deren Zweck und Ziel waren dumpf und dunkel. In dieser Lage fiel ihr stets ein großer Ameisenhaufen ein und die nutzlosen Versuche gelehrter Männer, das Treiben dieser Tiere in Parallele mit den menschlichen Verrichtungen zu bringen, – mit dem Ergebnis natürlich, daß all das Gekrabbel der Ameisen mit dem Zweck erklärt wurde. Das hielt sie für Unsinn, nichts krabbelte mit Zweck. Und wenn einer geradewegs in einen Beruf hinein lief, so tat er es gewiß nicht, weil er es wollte. Wenn je ein Mensch solches gewollt hätte, so wäre er einem verworfenen Hund vergleichbar. Wie trostlos war das Leben durch die Arbeit. Warum konnte sie jetzt nicht an der Nordküste Afrikas sein! Da brauchte sie nicht in dem häßlichen Regen herumzupatschen. Sie rief: »Pfui!«, als ihr ein Windstoß und klatschendes Naß die Kleider hob.

Hielt sie ihr weiter schnarchender Mann mit der schlaffen Hand an dieser Kette? Nun einmal energisch! dachte sie. Sie fuhr hinaus zur Baronin von Büxenstein. Eigentlich hatten ja die Beziehungen mit dieser edlen Dame aufgehört, aber sie hatte das Gefühl, bei ihr gut empfangen zu werden.

Sie kam hin, gerade recht, als die Baronin ihren Katzenkindern das zweite Frühstück reichte. Die Dame erschrak fast, begrüßte Susanne aber sehr freundlich. Ein Besuch, der die Katze als Symbol trug, war eben stets willkommen.

»Ach, die Vergißmeinnichte!« rief sie und streichelte Kätzi.

»Ja, Kätzi hat etwas Schweres durchgemacht!« klagte Susanne.

»Aber doch keine ansteckende Krankheit?« die Baronin pfiff, sofort kamen von allen Seiten die Bedienungen herbei und nahmen die Katzen fort.

»Oh nein! So taktlos wäre ich nicht, Sie dann zu besuchen«, beschwichtigte Susanne. »Kätzi hat sich nur gänzlich verbrannt, sie fiel in die dampfende Suppenschüssel.«

Die Baronin fiel beinahe in Ohnmacht, mit einem Aufschrei nahm sie auf einem Polstersessel Platz. »Sagen Sie, ist das möglich? Die Suppe konnte man ja noch essen. Aber das gute Kind! Es ist ja gerade, als wenn man uns in einen Hochofen stieße! Erzählen Sie mir das furchtbare Unglück, Frau Doktor. Vielleicht wird es nötig sein, sofort in unserer Zeitschrift eine Warnung ergehen zu lassen.«

»Es ist sehr traurig«, begann Susanne. »Ich lebe wegen Kätzi in unglücklicher Ehe.«

Die Baronin faßte ihre Hände – »Dacht ich mir's doch! Damals als wir im Taifun zusammen waren, begriff ich Sie nicht. Jetzt kann man's ja gestehen.« Sie liebkoste Susannes Wange. »Aber Sie entzückender Liebling, Sie wissen ja wenigstens, wo Sie Ihre Freunde haben.« Die Baronin küßte Susanne. »Ich will offen sein: als mein Mann starb, waren alle meine Lieblinge froh.«

»Mein Mann wollte Kätzi nachher ertränken.«

»Uh«, die Baronin stieß einen gellenden Schrei aus, als hätte ihr jemand einen Dolch in die Brust gestoßen. »Hören Sie, das ist ja der tragischste Tag meines Lebens!«

»Ich bin ganz trostlos, wo ich mit Kätzi hingehen soll.«

»Bleiben Sie bei mir, mein süßer Engel!« Die Baronin war ganz außer sich, voll Mitleid zu Susanne hingerissen wie wärmender Bratenduft. Dieser strömte aus der Küche.

»Wie könnte ich mich anders rächen, als daß ich ihn verlasse!«

»Vergiften Sie ihn! Er ist ein Mörder!«

Damit hatte die leidenschaftliche Baronin die Grenzen der Offenheit überschritten. Und im Verlaufe der nächsten halben Stunde erfuhr Susanne die fabelhaftesten Geheimnisse, Dinge, welche ihr bisher dunkel und verschlossen geblieben waren. Der Baron war durch einen ekligen Senf, den man ihm kredenzt hatte, in Wahnsinn verfallen. Nämlich es war von einer Katze gewesen. In diesem Wahnsinn hatte er sich aus der Dachluke herabgestürzt. Susanne sollte ebenso tun. Ein Katzenfeind muß am Ekel sterben!, hieß der Wahlspruch des Klubs. Susanne hegte die Befürchtung, daß Alfred ihr den Napf ins Gesicht werfen könnte. Dieser Vorschlag gefiel ihr nicht.

Die von der lahmen Zuge hatte den Kopf ihres Mannes, während er schlief, mit einem Sack umhüllt und ihren gefährlichsten Tiger mit hineingesperrt. Der Tiger tobte in dem Sacke und zerfleischte den Mann vollständig. Da man dem Tier vorher ein Quecksilberpräparat an die Krallen geschmiert hatte, vergifteten ihn die Hiebe des wütenden Tieres. Man band ihn nach zehn Minuten auf. Sein Gesicht war unkenntlich geworden, die Augen fehlten, und die Nase hing in blutigen Fetzen, der Schädel sah wie skalpiert aus. Er sprach mit dem Munde noch die furchtbarsten Verwünschungen gegen seine Frau aus, dann verschied er unter den qualvollsten Schmerzen. Susanne hatte so weite Augenfenster erhalten, daß sie nur noch auf halbem Stuhle sitzen konnte.

Die Baronin fuhr fort und erzählte die Geschichte der Frau Brandeisen, die ihren Mann ihrem Katzenzwinger überantwortete. Sie hatte ihre Katzen rasend gemacht, so daß sie den Mann zerfleischten, nachdem er in erbittertem Kampfe unterlegen war. Einige ihrer Tiere hatte sie dabei eingebüßt, aber der Mann war beseitigt. Und die hungrigen Lieblinge fraßen ihn auf.

Susanne hatte sich halb erhoben, sie fürchtete sich vor der Baronin. Diese Taten konnten unmöglich wahr sein. War die Baronin selbst wahnsinnig? Die Baronin küßte Susanne und erklärte ihr ihre Liebe, weinte und entblößte ihre Brust.

Susanne gab sich den Anschein inniger Zuneigung. Da lachte die seltsame Frau, zog sie an der Hand mit sich, streichelte sie und deutete ihr an, was sie vorhabe. Die Baronin verschwand in ein Nebenzimmer. Vor dem nahenden Abenteuer verspürte Susanne eine Angst, die wie ein Faden durch die ganze Länge ihres Leibes gezogen wurde. Als Katzenbesitzerin konnte die Baronin jedoch nichts Böses meinen, allein das Wissen von neuen Dingen fürchtete sie.

Ein kurzer Augenblick der Überlegung, dann ging sie zum Ausgang. Unter der Tür, die verschlossen war, wankten ihre Knie. Sie mußte zurück. Da stand nun die »Freundin« mit einem beleidigten Gesicht, körperlich wie eine parodierte Eva, legte sich auf einen Diwan, und zieselte ihren Katzen. Dann ging das Geschmalze los. Die Kater hatten feste dicke Köpfe, und wie sie dieselben immer wieder auf sie einrieben, stöhnte die Baronin immer stärker. Susanne verschluckte die Flüssigkeit, die sich in ihrem Munde bildete. Schließlich stieß die Liegende mit allen Extremitäten, und als sie das Lager nicht mehr aushalten konnte, sprang sie auf. Jetzt stürzten die Tiere an ihr in die Höhe, hingen mit ihren Krallen an ihrem Gesäß und anderen hervorragenden Gebirgsteilen. Es lief Blut. Die Baronin drehte sich wie ein surrendes Dampfkarussell. »Hamilkar! Hamilkar! Hamilkar!« rief sie dabei unausgesetzt. Da bemerkte Susanne, daß sie dasjenige Tier meinte, welches sich in sie festgebissen hatte. Die Baronin schien den Tanz nicht mehr zu ertragen und stürzte mit wilden Blicken zur Türe hinaus. Susanne wurde vor Spannung mitgerissen.

Es tat einen schweren Plumps, in ein großes Wasserbecken. Am Ufer standen Dienerinnen; zu diesen schwammen die Tiere hin, während sich die gnädige Frau auf die in der Mitte sich erhebende Sandinsel rettete, wo sie todesmatt liegen blieb. Susanne hätte eines Opernglases bedurft, um die dünnen Blutfäden zu sehen, die durch den Inselsand flossen. Die Baronin stöhnte noch leise: »Oh Hamilkar!«

Hamilkar hörte seinen Namen mit rollenden gelben Augen, groß wie Monde. Das schwarze, prächtige Tier schlug mit dem Schwanze. Man konnte sich vor ihm fürchten wie vor einem Tiger. Seine Wärterin nahm ihn mit großer Vorsicht, denn seine Leidenschaft war aufs Höchste herausgefordert. Er hätte jetzt die tollsten Streiche gemacht. – –

Susanne erhielt jetzt beinahe einen Wink, daß sie nun gehen könne. Der Ausgang war frei. Als sie durch den prachtvollen Garten ins Freie trat, schien die Sonne. Sie glaubte sich in einem verwunschenen Schlosse. Es drängte sie nun vorwärts... nur nach Hause, um auf ihren eigenen Diwan zu fallen und nachzugrübeln. Auf dem Hohenzollern-Damm überfuhr ihr Straßenbahnwagen ein kleines Kind.

Dieser Erdball! Susanne lag völlig todkrank zu Hause, sah zur Zimmerdecke, und in den farbigen Kreisen, Punkten, Flächen über ihr war das Bild Christi, das sie bisher noch nie entdeckt hatte. Immer wieder verschwand die Gruppe, und immer wieder wurde das Kreuz auf den Ölberg gestellt. Kätzi hatte sie von sich gestoßen. Der Doktor war unten im Taifun und sprach unwichtiges Blech von ordinären Kaufmannsgeschäften. Käterchen stand mit Schellenhauer unter der geöffneten Türe und flüsterte mit ihm. Sie machten sich sogar gegenseitig zu schaffen, gerade als wenn Susanne tot da läge.

Der Doktor kam gegen Nachmittag herauf und frug, ob Susanne heimgekommen wäre.

Da lag sie. Er erschrak über das wirre Gesicht. Er fühlte einen stechenden Schmerz, Eifersucht, quälende Gewißheit, daß sie sich an ihm vergangen hatte. Es war das Gesicht des offenen Verrates, das hier vor ihm starrte. Daß sie nichts sprach, war das Furchtbarste. Er ging endlich auf sie los und würgte sie: »Gestehe, wo warst du?«

»Bei Baronin von Büxenstein.«

Der Doktor stammelte undeutliche Laute: »O... o... i... da da.« Die Laute schienen aus den Versen eines Dadaisten zu stammen. Er wußte: diesmal belog sie ihn. Warum zaudern! Einfach durch den Fernsprecher anfragen, ob seine Frau draußen gewesen war! Was konnte es ihn noch angehen, daß er so seine Eifersucht deutlich verriet. »Grunewald 15 600.« »Jawohl bitte.« »Hier Doktor Bäumler. Entschuldigen sie gehorsamste ließ meine Frau nicht ihre Muffe bei Ihnen liegen?« – – – »Gnädige Frau ist gar nicht hiergewesen.«

»Hä. Hä.« Jetzt war sie überführt. Sie belog ihn. Susanne lachte vor Erregung. Warum belog man da draußen ihren Gatten? Sie faßte einen plötzlichen furchtbaren Entschluß. Sie schnellte vom Diwan hoch, drang auf den Doktor ein und zerdrückte ihm beide Augengläser bei der Umarmung. »Wirst du das dumme Vieh bleiben, wenn ich Kätzi beseitige?«

Den Doktor traf beinahe der Schlag. Wie? Was war das?

Susanne war schon zur Türe hinausgewitscht. Sie verriegelte sich bei Käterchen in der Küche, Kätzi hatte sie mit einem derben Fußtritt vorausgeschleudert.

Der Doktor schöpfte Verdacht. Dieser Entschluß konnte nur durch einen anderen, durch einen wahren Geliebten, in seine Frau hineingetragen worden sein. Ihm zuliebe hätte sie das nie getan. Eine Zeitlang stand er vor der geschlossenen Küchentür, die Hände in den Hosentaschen und den leeren Kneiferrahmen schräg auf dem Nasenbein. Dann lachte er, die geheime Freude unterdrückend, und schlüpfte in den Taifun hinab.

Hermione amüsierte sich sehr darüber, daß sich Alfred für betrogen hielt. Sie lachte ihn herzlich aus, und der Doktor starrte, während ihn Hermiones Spott im Genick kitzelte, auf die Katze des großen Müller vom Bilde des Mannes mit dem umgekehrten Kopf. Er fand eine fabelhafte Ähnlichkeit zwischen sich und dem dargestellten Menschen. Er wieherte rasch auf. Hermione lag auf dem zierlichen kleinen Sofa und wälzte sich. Nun kam Ossi herein, hoch begeistert von den lachend lüsternen Schwingungen Babys auf den phantastischen Mustern des Sofastoffes. Er kniete sich vor ihr hin. Hermione wurde stille, und sie liebkoste das Haupt Cheops, das sich in ihren Schoß bohrte. Ihre Augen glitten über das spiegelglatte Parkett, auf dessen Weite in einem entfernten Raum ein zweiter Mensch ging, dessen Schritte stachelten, weil es ihm verborgen war, was im Raum geschah.

Im Raume war Liebe, lief heiße Eifersucht, hingen wundervolle Bilder in schmelzender Wirrnis. Ossi frug in ihrem Schoße nach, ob der Taifun über die Klippe der tollsten Probe auf die Blindheit der Menschheit glücklich hinwegkommen würde. Hermione tröstete ihn und sagte: »Wenn wir nur reich werden, dann lassen wir den Taifun gerne scheitern. Du wirst dann mit mir an den dänischen Strand ziehen, ich werde dort malen und zur Laute singen, während du der Welt die endlich große Dichtung gibst. Aus meinem Schoße empfängst du dein Genie. Wir leben nicht wie Doktors, gleich Katze und Hund. Wir leben ganz eins; zwei sind eins, und eins sind die zwei. Diesen Spruch möchte ich auf unser Strandhaus geschrieben sehen. Einladen werden wir dorthin ganz neue Menschen. Susanne kann mit Alfred in den Berliner Höfen Konzert geben, oder wie sie sonst ihr Leben fristen mögen. Wir taten alles für sie, wenn sie aber nicht selbst die Kraft haben, ihre Ehe auszunutzen, um hochzukommen, so sollen sie nur fallen, wenn wir uns zurückziehen.«

»Oh, Süße!«

»Spiele.« Hermione sank mit bleichen Wangen zurück und verlor den Glanz ihrer Augen auf die Dauer von fünfundsiebenzig Minuten.


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