Hermann Essig
Taifun
Hermann Essig

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Am folgenden Tage war Schellenhauer fast unzurechnungsfähig. Überall stieß er den Kopf an. War bald überglücklich, bald so traurig, daß man an ihm wie an einem Erbsensack rütteln mußte.

Er erhoffte alles von dem reichen Fräulein, und gleichzeitig fühlte er alles Errungene ebenso rasch wieder schwinden, wenn er an das Dienstmädchen des Fräuleins dachte, das er geküßt hatte aus lauter kommishafter Angewöhnung. Es kam ihm so vor, als ob alle Nachhilfe bei ihm vergeblich wäre, ihm den Flug zu den Wolken zu erleichtern.

Am liebsten hätte er diesem Zustand durch Selbstmord ein Ende bereitet. Glücklicherweise kam der Einuhrgeschäftsschluß. Nun mußte er das Bild hinbringen.

Susanne war in aller Frühe in den Taifun gefahren. Es war ihr über Nacht klar geworden, daß sie eine große Mission hatte. Das war alles kein blinder Zufall, daß ihr Weg in Berlin von der Kunst und gerade in dieser Weise bezeichnet wurde. Und sie war entschlossen, falls sich der Mensch als großer Meister erwiesen die äußersten Konsequenzen zu ziehen, und sich mit ihm gemeinsam durchzuringen. Die Frau eines Genies zu sein, war ihr Ideal.

Hermione lief im Morgenkleid herum und sprach anders als gewöhnlich. Ihre Zunge stieß in Zahnlücken, welche das Gebiß jetzt nicht ausfüllten, denn der Mund war zahnlos. Aber trotzdem war sie schon reizend, weil die Haarperücke mit den Ponys bereits aufgesetzt war. In einem kleinen Augenblick war sie vollends ausstaffiert. Vor Susanne bewegte sie sich ohne alle Scheu, weil auch ihre Unterrichtsstunden ohne Geheimnisse waren.

Susanne frug nach Ganswind.

»Ossi ist nicht hier. Was willst du von ihm?«

Susanne sah sie lange an und biß sich dabei auf die Lippen. »Darf ich denn damit herausrücken?«

»Vor mir kannst du alles sagen. Wenn ich sehe, daß es etwas ist, daß nur er dir raten kann, so will ich ganz schweigen. Ich will dann nichts sagen. Gar nichts. Oder bist du ein kleines Dummchen? Aber das bist du nicht. Du bist meine süße Schülerin.« Sie strich Susanne mehrere Male sanft über die Schläfen und lockte sie mit lächelnden Augen.

»Dann will ich es sagen.« Susanne schwang sich auf den Schaukelstuhl und schaukelte, während sie erzählte. »Du darfst aber nichts sagen. Also. Ich habe einen Künstler entdeckt. Er ist von Beruf Verkaufstechniker. Und nun denke dir, wie komisch. Ich habe noch kein Bild von ihm gesehen. Ich selber nicht. Nur Käterchen.«

»Wie kannst du dann wissen?« unterbrach sie Hermione.

»Du wolltest nichts sagen. Ich weiß nur, daß Käterchen sein Werk für ein Haus hält und er es für ein weidendes Schaf erklärt.«

»Das solltest du doch Ossi selbst sagen. Interessant. Interessant.«

»Das dachte ich auch. Wenn man einen Gegenstand nicht mit den gewöhnlichen Augen sehen kann, sondern nur geistig oder gefühlsmäßig... Und nun denke dir, der Künstler war bei mir.«

»Interessant.«

»In meiner Wohnung. Käterchen wurde durch Zufall mit ihm bekannt und lud ihn ein. Er will mir das Bild bringen.«

»Das ist die Hauptsache. Das wollte ich eben sagen.« Hermione blinzelte fast dauernd mit den Augen, um ihren Gesichtsausdruck rätselhaft zu machen. »Man kann es nicht wissen. Oh, in der Kunst ist es ganz eigentümlich. Oft sieht man etwas für herrlich an, und dabei ist es gar nichts. Nichts. Und umgekehrt. Genau so. Ich, ich selbst maße mir nicht so viel Urteil an. Nur Ossi. Was Ossi sagt, darauf darfst du dich verlassen.«

Susanne war eigentlich schon im voraus von ihrem Künstler überzeugt, und bereute fast, daß sie die Sache des Genies von einem Dritten abhängig machen sollte. »Ich war wahrscheinlich viel zu nervös«, sagte sie, »ich hätte nicht zu euch kommen sollen, ehe ich das Werk hatte.«

»Das verstehe ich sehr gut, Susanne. Es war ganz richtig, daß du gekommen bist.« Hermione nahm den Hörer vom Fernsprecher: »Ich will doch einmal versuchen, vielleicht ist Ossi doch...«, sie lauschte aufmerksam und sprach dann ins Mikrophon, nachdem sie zu dem ihr daraus Mitgeteilten herzlich gelacht hatte: »Hören Sie, sagen Sie meinem Manne, er soll, ehe er geht, hereinkommen; Susanne Flaubert, dringend.« Dann wieder, nachdem sie den Hörer zurückgelegt hatte, sprach sie zu Susanne: »Er ist da.«

»Das ist mir nicht recht. Nun störe ich.«

»Du störst ihn gar nicht. Im Gegenteil, es war sehr richtig. Und es ist mir so verständlich, daß du gleich gekommen bist. Wenn eine Sache einen so ganz beschäftigt, dann läßt sie einem keine Ruhe.«

Susanne kam sich wie festgehalten vor. Sie merkte, daß Hermione ihren Gedanken erraten hatte: mit dem Werke des Künstlers nicht in den Taifun kommen zu wollen. Sonst wäre Ganswind nicht plötzlich dagewesen. Sie sprang vom Schaukelstuhl auf: »Ich bitte dich, Hermi, sage deinem Manne, ich komme noch einmal wieder. So hat mein Besuch doch keinen Zweck.«

»Das kannst du doch nicht wissen, Susanne. Ossi wollte ja nur den Doktor abholen, die neuen Räume mit ihm anzusehen.« Hermione betrachtete Susanne genau, ob der Doktor noch eine Zugkraft auf sie ausübte.

Ganswind trat schon ein.

Susanne stand wie in eine dunkle Ecke gedrückt.

Hermione sprach: »Ossi. Susanne hat einen Künstler kennen gelernt. Grandios.«

»Wo ist sein Werk?« frug Ganswind sofort.

»Ich soll es erst bekommen«, brachte Susanne leise hervor.

Ganswind tat, als wollte er bereits zur Tagesordnung übergehen: »Der Doktor will heute abend da sein.«

Susanne war in Verlegenheit, weil man sie nicht beachtete. Sollte sie nicht am besten hinauslaufen? Sie bekam einen feuerroten Kopf und schritt plötzlich zur Türe.

Hermione rief: »Ossi! Ossi!«

Ossi lief Susanne nach: »Warum erzählst du uns nichts von ihm?«

Susanne antwortete in beleidigtem Tone: »Ihr wollt ja nichts von ihm wissen.«

Hermione hing auch schon an ihrem Arme. So mußte sie wieder umkehren. Hermione flötete ihr was vor. »Du sollst uns nur erzählen, wie süß er ist!«

»Süß ist er gar nicht. Er hat einen zu kurzen Fuß.«

Ganswind war plötzlich ganz Ohr. »Du scheinst den Müller kennen gelernt zu haben, den Großen, den Unerreichten, den Herrlichen.«

»Wäre es nicht das beste, er würde mit dem Werke selbst kommen? – Es macht sehr viel aus, Susanne, ob Ossi weiß, wer der Künstler ist«, bemerkte Hermione.

Susanne stand wegen der unerwarteten überraschenden Wendung etwas verwirrt da. »Ich kenne allerdings seinen Namen noch nicht«, sagte sie.

»Wenn es Müller wäre, so wäre die Sache allerdings für dich ein recht schönes Abenteuer.« Ganswind lachte wiehernd kurz auf.

»Ist Müller ein ganz Großer?«frug Susanne bescheiden.

Ganswind nahm sie stillschweigend an die Hand und deutete in der Privatgalerie auf seine Müller, die an den Wänden hingen. »Das ist er, der Unsterbliche.«

»Laßt mich schnell gehen«, sagte Susanne. Sie hoffte nicht mehr anders, als daß der von ihr Entdeckte der längst bekannte Müller war, und sie glaubte, daß er sich nur vor ihr verschleierte. So aufgeregt, wie sie zum Taifun gekommen war, ging sie jetzt wieder nach Hause.

Nachdem sie weg war, sahen sich Ganswind und Frau nicht lange verwundert an. Sie wußten, daß Eile am Platze war. Susanne war tatendurstig, sie mußte so schnell wie möglich mit dem Doktor zusammengebracht werden. Dieser aufgefundene Künstler, der natürlich nicht Müller war, mußte, wenn er kein ganz erdrückendes Genie war, kaltgemacht werden, wenigstens für Susanne, bis sie mit dem Doktor verlobt war. Oder waren unter den Damen, die sich bisher gezeigt hatten, passende Partien für ihn? Sie gingen sie nacheinander durch, aber keine hatte so wie Susanne das für eine Sensation geeignete Wesen. Am besten war es, den Künstler in den Taifun einzuladen, durch Susanne selbst. Und hier unter der Wucht der Groteske und Willkür stampfte man ihn vor Susannes Augen zu Boden. Das mußte sofort geschehen. Der Doktor, Susanne und der Künstler, vielleicht noch der Polizeirat und Frau wurden auf den Sonntag nachmittag gebeten.

Sie waren beide einig. Hermione schlug noch die Tochter des Fleischermeister Cäsar für diesen Tag vor. Sie wollte es wenigstens versuchen, ob der Künstler nicht für schwerere Luxemburger Liebe und Neigung hatte.

Und dann war am darauffolgenden Mittwoch Eröffnung der großen Ausstellung in den neuen Räumen, großer Empfang und anschließend Besuch der Weinstuben von Sallat. Hoffentlich auch Verlobung.

Die Liste der geladenen Herren war kaum ausreichend für den großen Tag. Man konnte jedoch nachhelfen. Der Dramaturg Sluzewski von der Schwarz-Weiß-Bühne verteilte Freikarten an die Vereinsmitglieder. Bedingung war, daß der Doktor klappte; dann war die Heiratsvermittlung im Programm des Taifun eingebürgert. Die geringe Provision von zwei Prozent der Vermögenswerte der Bräute war ein Mindestanspruch, nicht zur eigenen Bereicherung, sondern nur, um den Künstlern wieder die Wände zur Ausstellung verfügbar machen zu können, – denn das Leben kostete Geld. Und anstandshalber versahen aus Freude und Dank die meisten ihren Ehestand mit mindestens einem Taifunkünstler.

Wie schön mußte sich das Bild der leckenden Katze im Schlafraum einer verehelichten Katzenklubistin ausnehmen. Hermione bezeichnete schon lange voraus diejenigen Werke, welche in Frage kamen. Es waren vorzüglich Gemälde von trächtigen Eseln, in deren Inneres man hineinsehen konnte, wie bereits der zukünftige Fisch in ihrer Gebärmutter herumschwamm.

Wenn dieses Unternehmen erst die ganze Weltstadt ergriff, so konnte genügend geschmiert werden. Vielleicht konnte man dann auch dem von Susanne entdeckten Schafmaler seinen Platz am Himmel des Ruhmes zugestehen. Aber erst ganz spät.

Wie mußten diese Ärmsten gestaltet sein, die sich im Taifun um die Sonne des Ruhmes schlugen, ihr Blut verschwitzten, um zur Anerkennung zu gelangen!

Mußte denn das Streben in der Kunst notwendig einem Narrentum gleichen? Gewiß. Sie gaben es alle einmütig zur Antwort, denn, sagten sie, jede andere Art von Betätigung ist nicht weniger närrisch. Sie hatten recht, denn Justitia selbst war im Narrenhaus geboren.

Susanne prüfte denn auch wirklich, ob der Taifun eigentlich überhaupt das Närrischste war. Sie wahrte sich ihre Unabhängigkeit von der Leitung mit großem Geschick. Es war ihr bald der Gedanke gekommen, daß man im Taifun desto mehr galt, je mehr man auch außerhalb seiner Sphäre an Geltung gewann.

Ihr Weg nach Hause war darum selten der gerade. Erstaunlich blieb ihr, wie unbehelligt eine Dame in Berlin leben konnte. Sie saß häufig an den scheinbar exponiertesten Knotenpunkten des Verkehrs und glaubte, daß ihre erstaunten weiten Augen persönliche Freunde gewinnen konnten. Aber bald begann es ihr vor den unbekannten Massen zu grauen. Nicht ein einziges Menschenwesen war darunter, das ihr gefallen hätte. War das Leben aller dieser blickenden und sprechenden Fremden überhaupt etwas Tatsächliches? Wie mochten die Verhältnisse jenes Paares sein, wo sie kaum zu gehen verstand, und er neben ihr einherstieg wie ein Velozipedfahrer? Am liebsten hätte sie sich allen geschwind angehängt, hätte sie ausgefragt, hätte sie auf kurze Minuten in ihrer Wohnung besucht. Leider war es nicht möglich, denn sie hätte selbst dabei ungesehen sein müssen. Sie dachte, wie schön eigentlich der Engelberuf sein mußte, da allein konnte man seine Wißbegier befriedigen. Ungefähr auch die Heiligen hatten eine schöne Beschäftigung auf Erden, weil ihre Nasen bis in die Geheimfächer der Menschen reichten. Sie wünschte, eine Heilige zu sein. Und schon saß neben ihr ein Mann mit einem blau rasierten Gesicht, einem ganz zugeknöpften Rock und einem runden schwarzen steifen Hut.

»Finden Sie mich interessant?« frug sie ihn.

Er bejahte. Er stelle es sich zur Aufgabe, die Sittenlehre rein zu studieren, das heißt, nicht nach Berichten und Vorurteilen, sondern nach eigenem Schauen und durch Experimentalphysik.

Solche Geister führte Susanne natürlich an der Nase herum, indem sie vor ihren Augen Erfindungen machte und sich den Anschein gab, nach Gewohnheit zu handeln. Der blau Rasierte machte ein stoisches Gesicht zu allem, was sie ihm vorexerzierte und tat wie ein Kenner. Es war doch der elendeste Schwindel; in Extrapost gab es am wenigsten Sünde. Susanne merkte bald, daß die Sünde nur im sogenannten spießbürgerlichen Alltag zu Hause sein konnte, wo die Menschen einander das treue Gefühl vorheuchelten und sich dabei von hinten und von vorne betrogen.

Sie verfiel oft in große Melancholie, weil man sie wie etwas Lichtscheues ansah. Sie war gut. Aber der Schuster, der an der Krücke humpeln mußte, das war ein Teufelspriester. Er hinkte, da er ein Mündel hatte und dieses einen Prozeß führte, in dem er gegen Recht und Gerechtigkeit siegen mußte, weil es ihn sonst dem Verhöre preisgab. Mit ihm war sie zufällig zusammengestoßen, als er und sie die Zähltür des Café Klopotzig nach derselben Seite drehen wollten. Wie konnte dieser Mensch schon mit vierzig Jahren die Gicht haben!

Wie nüchtern waren Ganswind und Hermione gegen diese Würdenträger, von denen der eine sein Meßgewand, der andere sein Sohlleder trug. Ganswind und Hermione waren Menschen voll einfachster Klarheit, die mit solcher Konsequenz die andern nach einer Richtung treiben wollten und konnten. Sie handelten umgekehrt, als die Geltung war. Darum war es richtig, daß man im Taifun schlechtweg von Menschen sprach, diese waren fast alle Taifunkünstler. Was außerhalb sich befand und nicht im Kreis des Taifun wirbelte, das trug kein Menschenantlitz. Es war eine Art paradiesisches Bewußtsein und Sichfühlen, was die Taifunkinder zusammenhielt, eine Gemeinschaft der Heiligen in der Kunst. Die übrige Menschheit war die aus dem Garten verjagte Schar der Kopflosen und Toren, der Mörder und Totschläger. Mit jener bekannten Heiligengemeinschaft war es nicht identisch, und doch deckte es sich im Werte damit.

Susanne war mit dieser Bewertung innerlich einverstanden, und doch mochte sie sich nicht ausschließlich dem Taifun und seinen Zwecken weihen. Denn zunächst war sie noch klar im Geiste. Auch der Taifun war eine irdische Geburt.

Ganswind aber und Hermione taten, als ob alles, was der Taifun nicht durch sein Ventil riß, von vorneherein todgeweiht oder menschenunwürdig wäre. Ja, menschenwürdig war es in ironischem Sinne. Darum besudelte Ganswind alles, was er kritisch behandelte, tief mit Dreck, so daß wirklich jegliche andere Produktion sich vor dem Angesicht der Sonne zu schämen hatte und verkriechen mußte.

Dies war der Umstand, warum Susanne nicht mit Enthusiasmus zum Taifun hielt. Wahrlich, sie hatte zur Selbstgerechtigkeit und Alleinherrlichkeit keinen Grund. Und diese Bescheidenheit hätte sie gern bei Hermione gesehen. Allein sie, sie war stolz und hielt das Näschen stets schnippisch in die Luft.

Als Susanne nach Hause zurückkam, war sie aufsässig und ganz mit Widerspruch gegen die Ganswindschen geladen. Das Bild des Künstlers stand bei ihr auf dem Diwan, und Käterchen hatte ganz unordentliche Haare; einige lange Haarsträhnen hingen ihr wie Rattenschwänze herunter.

Das verbesserte ihre Laune nicht. Und Käterchen erhielt das Handtäschchen über den Kopf geschlagen, was diese zu dem Ausrufe veranlaßte, »er hat ja gar nichts mit mir gehabt, Fräulein!«

Diese Welt, dachte Susanne, wie lumpig sie war! Und nun sollte sie noch ein Bild für höchste Kunst erklären. War sie dazu eigentlich verpflichtet?

Das Erzeugnis, was vor ihr stand, war zunächst natürlich nicht als Hammel erkennbar, man konnte es als Hammel nur insofern bezeichnen, als der Beschauer, welcher dennoch einen Hammel sah, tatsächlich einem Hammel glich. Wahrscheinlich war es hohe Kunst.

Nach Susannes Ansicht war es den geschauten Müllereien vom Taifun ebenbürtig und wesensähnlich. Daß der Künstler nicht dageblieben war, um ihre Kritik abzuwarten, sprach sehr für ihn. Und den Ruhm der Entdeckung wollte sie sich einmal nicht nehmen lassen, also seufzte sie vor dem Werke: »Göttlich!«

Käterchen, die hinter ihr stand, sprach – »Schubladenrutscher.«

Susanne konnte ihr unmöglich schon wieder eine herunterlangen. Der Künstler schien auch gar keinen Verstand zu besitzen, wenn er mit der Dienenden verkehrte, als wäre sie der Weg zur Herrin. Das mußte sie ihm gelegentlich einschärfen.

Susanne konnte nicht ahnen, daß der Kommis die Dienstmädchenkrankheit besaß, und daß er vor knapp einer Stunde mit Käterchen auf dem Diwan einen Hochschulkursus durchgenommen hatte. Dabei hatte es beiden so wohl gefallen, daß sie sich vom Fleck weg geheiratet hätten, wenn Käterchen es gewagt hätte, Susanne untreu zu werden.

Mit Käterchen sprach er von einem feinen Kolonialwarengeschäft, das er sich kaufen würde. Und vor Susanne krümmte er sich wie ein Wurm um die Anerkennung seiner Kunst. Es war das ein hoher Künstlerzug an ihm, daß er sein Adam bleiben wollte in Zucker und Heringsgelee, während er als Künstler den Ruhm eines Rembrandt beanspruchte.

Käterchen höhnte darüber, daß Susanne auf den Schwindel einging. Das war doch kein Bild nicht! Wenn es Susanne bloß gewußt hätte, daß er mit ihr Schieber gemacht hatte. Von der Stunde ab galt für Käterchen das große Gerede ihrer Dame über den Taifun nichts mehr. Das mußte eine schöne Narrengesellschaft sein!

Sie lachte und schämte sich, daß sie mit dem Ölbilde auf dem Schoß durch die Stadt kutschieren mußte. Sie sah jedermann lachend ins Gesicht, als spräche sie: »Ich bin ja nur ein Vollstreckungszeuge, ich habe es gewiß nicht selber gemacht.«

Wenn sie gewußt hätte, daß in Berlin alles so verdreht war, da wäre sie von Brüssel nicht mit hierhergemacht. Allerdings, der Schellenhauer, der verstand es. Es wurde ihr ganz eng in der Brust, so drückte ihr die Erinnerung Wohlgefühl in die Scham.

Sie merkte schon, eine Persönlichkeit war sie hier nicht mehr. Da mußte schon ein Ereignis eintreten, daß das Fräulein heiratete oder sie selbst. Frau Kaufmann Schellenhauer, es wurde ihr siedeheiß, wenn sie das nach dem Schwarzwald mitteilte, dann staunten sie, was sie für Glück gemacht hatte. Das Fräulein fand schließlich auch ohne sie den Weg.

Endlich war sie am Franz Josephsdamm angekommen. Sie hörte Klaviermusik und bekam Herzklopfen.

Sie wurde mit großer Steifheit empfangen. Die waren aber steinvornehm und gar nicht so intim, wie das Fräulein sie geschildert hatte. Durch eine Türspalte sah sie ein Weib, das sich mit dem Höcker hatte porträtieren lassen. Die sah schlimmer aus als die Hanne von Reichenbach. Und daneben, was war das? Da hatte einer den Kopf verkehrt auf dem Halse und den leckte eine Katze am Hosenboden. Das war grausig, so wie sie die Folterkammer von Nürnberg einmal in einem Guckkasten gesehen hatte. Da paßte das Geschmiere von ihrem hinkenden Bocke gar nicht hin. Das waren doch so interessante Gruseligkeiten hinter der Türspalte. Wahrscheinlich lachte man das Fräulein Susanne recht aus.

Nachdem sie lange genug gestanden hatte, kam endlich die hochnäsige Dame wieder heraus und sagte mit einer vornehmen hinkenden Bewegung: »Sie können gehen.«

Nun rührte sich bei Käterchen das Selbstbewußtsein. Sie drehte sich kurz um und hob den Rock hintenan. Mit Wut wollte sie gehen, aber da wurde sie noch von einer langen dürren Spinne angehalten: »Der Herr Direktor läßt Sie bitten.«

Das war ja! dachte Käterchen. Die schmeißt mich hinaus, und die lädt mich ein. Sie saß bald in einem elektrisch erleuchteten Zimmer, wo das mitgebrachte Bild auf einer Staffelei stand und ein Herr mit einer arabischen Frisur es aufmerksam betrachtete. Sie trank eine Anzahl Schnäpse und erzählte alles, was sie überhaupt reden konnte. Von Susannes Geburt bis zur Entdeckung Schellenhauers.

»Schellenhauer?« Hermione und Ganswind stießen sich an. Jetzt wußten sie genug. Er hatte also bisher keinen Namen. Käterchens eigene Lebensgeschichte wurde kaum mehr mit Interesse angehört. Sie war ihrem Manne vor sieben Jahren ausgerückt und für tot erklärt worden, war jetzt dreiunddreißig Jahre alt, hatte einen guten Charakter, weil es ihre Mutter immer gesagt hatte.

Nur über des Fräuleins Landhaus wußte sie nichts, weil sie immer in Brüssel geblieben war, wenn es das Fräulein allein bewohnte. Aber es mußte eine herrliche Besitzung sein, die ihre fünfmalhunderttausend gern wert war.

Als sie endlich wieder ging, war ihr ganz schwindelig. Sie hatte wohl zuviel geschwätzt. Wahrscheinlich kriegte sie wieder Prügel dafür. Sie kam aber sehr vergnügt heim. Das Fräulein befand sich im verschlossenen Schlafzimmer. Das brachte ihr den Verstand wieder in Ordnung, und sie bereute ihre Offenherzigkeit.

Welcher Hut hing am Nagel?

Schellenhauers.

Jetzt war sie außer sich. Sollte sie die Türe einpoltern? Aber sie wagte nichts, sie stürzte verzweifelt in die Knie – und sah durchs Schlüsselloch. Aber um die Ecke hätte sie sehen müssen, das half nichts. Oh, was war das für ein Schuft und Verräter! Der hatte ja einen Riesenkaufladen! Sie fürchtete sich schon mehr vor ihm.

Oh, was war sie für ein armes Menschenkind geworden! Rache! An der Katze! Sie vergiftete sie!

Während sie kniete, kam plötzlich Susanne in ihrem Mückenschleier heraus, und Käterchen fiel in die aufgehende Türe platt auf den Boden, daß sie sich die Nase dabei aufschlug. Susanne lachte hellauf, um Käterchen auszuspotten. Da stand sie auf und wollte wütend herausfahren, aber die schmerzende Nase hinderte sie daran. Schellenhauer stand pomadisiert vor einer Staffelei und schmierte willkürlich Farben durcheinander. »Das ist mein Porträt«, sagte Susanne. Nun hatte also der Schwindler das Fräulein bis in den Mückenflor gebracht und gab vor, sie zu malen. Es war ein schwarzblonder Fleck, und drumherum wirre Linien.

»Was soll das sein?« schrie Käterchen entrüstet.

»Das ist das gnädige Fräulein«, antwortete der Künstler trocken.

»Fräulein, das sollen Sie sein?« Käterchen geriet außer sich. »Der Lump, der will nur's Nackige sehen. Malen, das kann er ja gar nicht.«

»Das mußt du mir sagen, was ich zu fühlen habe.« Susanne ging hin und strich sanft über den frisch pomadisierten Kopf. Also war's gewiß, daß dieser Mensch mit lauter Schwindel verhexte. Käterchen ballte die Fäuste nach ihm, drohend hinter des Fräuleins Rücken.

Schellenhauer zündete leichtsinnig eine Zigarette an, setzte sich auf einen Stuhl und ließ Susanne auf seinen Schoß niedergleiten, daß Käterchen blaß wurde wie Kreide. Sie war drauf und dran, auch so herumzuhopsen und auch ihm vollends die Hemdsärmel vom Leibe zu reißen. Da war ja alle Schamlosigkeit aus den Menschen gewichen. Sie begriff hauptsächlich Susanne nicht, daß sie diesem Halunken dieselbe Ehre antat, wie dem Grafen von Monapon.

»Was sagten sie im Taifun?« frug Susanne.

»Daß sie von einem namens Schellenhauer noch nichts gehört hätten.«

Susanne stand auf, wie versteinert sah sie auf Käterchen. Sie sprang nach ihren Kleidern, riß im Vorbeirennen das angefangene Gemälde mit sich, zerschlug es draußen über der Ecke vom Gaskocher, daß die Leinwand in Fetzen herabhing. Sie warf das Kleid über sich. Käterchen hatte ihr mit einem Kusse auf die Schulter aus dem Flore geholfen, voll Mitleid. Ihr Fräulein mußte sich, scheint's, versehen haben. »Was ist es denn, Fräulein?« frug sie endlich.

»Nichts. Wirf den Menschen hinaus. Wenn er nicht Müller heißt.«

Währenddem saß er noch ahnungslos im Schlafzimmer und rauchte gemütlich weiter. Bis Susanne wild hereinstürzte: »Heißen Sie nicht Müller?«

»Nein, Schellenhauer.«

»Pfui!« und ein großer runder Spuck saß ihm unter den Nase.

Diesmal war aber die Überraschung groß. Er ließ sich das nicht so ruhig gefallen wie das Betrommeltwerden von Käterchen. »W...as fällt Ihnen ein?« begehrte er auf.

Susanne hauchte stoßweise. »Wenn Sie... nicht Müller sind. dann sind Sie... ein Schwindler.«

»Ha!« stand jetzt der Künstler mit Entrüstung auf. »Glauben Sie? Meinen Sie?« Er fuhr durch die hingeklitschte Pomadefrisur und sträubte seine Haare zum Himmel. »Ich ließ mir die große Entstellung gefallen. Wenn ich nicht Müller bin, so bin ich Schellenhauer, und darum ein noch viel größeres Genie! Ich kenne Müller und verachte ihn als ein nur mittelmäßiges Talent.«

Susanne ballte die Fäuste und preßte sie sich in die weinenden Augen.

»Lassen Sie's Ihnen nicht leid werden, daß Sie das Bild zerknallt haben, Fräulein«, tröstete Käterchen.

»Was?! Mein Werk! Deine Nacktheit!« Schellenhauer klagte diese Worte mit großer Virtuosität.

»Durch dein wüstes, neidisches Benehmen kommt alles«, schalt jetzt Susanne auf Käterchen.

Käterchen ließ traurig die Arme und den Kopf hängen. »Durch mich? Ach! Wenn ich nur nicht mehr auf der Welt wäre!«

Die Post traf ein. Käterchen brachte sie ins Zimmer. Eine Rohrpost. Eine Einladung in den Taifun auf Sonntag nachmittag mit der Bitte, den großen Künstler mitzubringen.

Susanne zitterte durch den ganzen Leib und reichte die Karte Schellenhauer hin. »Da.«

Schellenhauer nahm die Karte, las sie, steckte sie zwischen die Lippen und machte einen Purzelbaum über den ganzen Teppich, daß sich Käterchen nicht mehr halten konnte vor Lachen. Dann stand er plötzlich wieder aufrecht. »Der große Künstler bin ich genannt. Ich bin erkannt.« Dann flog er Susanne an den Hals. »Susanne«, und wieder machte er Purzelbäume. Er war so ganz außer sich und wurde förmlich toll, bis er endlich Susanne in seine Tollheit mit hineinriß und sie ihm Gesellschaft beim Purzelbaumschlagen leistete. Die Katze verkroch sich unter das Bett. Und Käterchen lag am Boden und krümmte sich in Ängsten, vor Lachen zu zerbersten.

Endlich kam er auf die würzige Idee, sie sollten es Beide mit ihm tun. Es war ein heißer, schwüler Tag, und ein heftig niedergehendes Gewitter brachte die zertobten Glieder und Leiber spät um Mitternacht zu stärkender Ruhe. Susanne und Käterchen lagen nebeneinander in dem geöffneten Fenster und schnappten die kühle Ozonluft. Noch währenddem stand der verrückte Kommis zuerst hinter Susanne und dann hinter Käterchen. Aber dann flog er hinaus, nachdem sie ihm noch das Maul verschmiert hatten.

Er war nicht mehr imstande, auf den Sohlen aufzutreten. Das erste Mal war er in seinem Leben völlig zerbrochen. Daß er ein großer Künstler sei, war er nicht fähig gewesen, zu ertragen. Allen Halt hatte er verloren.

Morgens um zwei Uhr weckte er seinen Hammel und plagte ihn im Stalle umher, dann stieß er ihm das Messer in den Hals. Er verkaufte ihn andern Tags an seine Kunden im geheimen ohne Fleischmarken, die schönsten Teile kochte er für sich ein für den nächsten Kriegswinter. Die Zunge dedizierte er Susanne.

An diesem heißen Augusttage schlug Ganswind den Flügel beinahe die ganze Nacht in Trümmer. Hermione war in das Badekostüm gekleidet, das sie im andern Sommer am Nordseestrande getragen, was dieses Jahr nicht möglich gewesen war wegen der U-Boot-Gefahr. Sie hörte den Donner nicht neben den rasenden Akkorden seiner Kunst. Er spielte ohne Licht, denn die Blitze, welche nur zeitweise alles taghell erleuchteten, gaben einen besonderen Zauber um Ossi. Er war Gott Wotan und Hermione die dienende Walküre.

Der Doktor lag in Krämpfen vor Ungeduld in Erwartung der nahenden Entscheidung, den Magen voll Tee gießend und unablässig den Schweiß wischend, verzweifelt, angstvoll.

Die Frau Polizeirat schwamm mit ihm im Wasser. Dahin hatten sie sich vor der Hitze geflüchtet. Wie ein Zentaurus schnaubte er mit seiner Amphibie.

In einem weichen Asphalt versanken die irrenden Massen, von einer Hitze umdunstet wie Termiten im heißen Nadelboden eines glühenden Waldes. Viele Damen des Klubs lagen mit geschmückten Katzen im Arme mit neuen Blicken in das Leben, sie übten sich in farbenreichem Aufputz. Beim Taifun meldete sich nach der Gewitternacht auch der Direktor der Olymp-G.m.b.H.

Aus dem Ozonnebel stieg der Taifun buntschillernd empor wie ein Drache mit bronzefarbenem Reichtum.


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