Otto Ernst
Ortrun und Ilsebill
Otto Ernst

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Vierter Aufzug.

Die Dekoration des 2. Aktes.

1. Szene.

Ortrun. Ubbe.

Ubbe (auf Ortruns Schultern reitend). Hü! Hü, Gaul, willst du laufen!? – Hüh! – Nu muß du auch »hü – ü – ü – ü –!« machen, nicht?

Ortrun (wiehert). Hühühühühühühü!

Ubbe. Un denn muß du mitunter »prr – prr!« machen.

Ortrun (schnaubend). Prr – prrr –!

Ubbe. Brr, halt! Brr, Gaul! (Er steigt ab.) So, nu komms du in'n Stall! Dies muß mal dein Stall sein, nicht? O, und hier muß deine Krippe sein, wo du aus frißt, nich?

Ortrun. O ja! – Da ist ja aber garnichts zu fressen!

Ubbe. Ach Ortrun, das mußt du nicht sagen! – Und denn mußt du Lise heißen, un denn ruf ich dich immer »Lise«! un denn muß du kommen nich?

Ortrun. Ja, aber erst muß ich dir einen Kuß geben.

Ubbe (streckt willig sein Mäulchen vor).

Ortrun. Du süßer Fratz! (küßt ihn).

Ubbe. So, nu muß du fressen.

Ortrun (tut so, wirft sich dann erschöpft auf den Rücken). Mm, nun kann ich nicht mehr!

        »Ich bin so satt,
        Ich mag kein Blatt.«

Ubbe. Komm, Lise, komm!

Ortrun (kommt auf allen Vieren zu ihm) Paß auf, nun beißt das Pferd: Happ! Happ!

Ubbe. O ja, denn muß du mich beißen un denn muß ich dich fix hauen. Das macht Spaß!

Ortrun. Nööööö! Das tut ja weh.

Ubbe. Ach nein, ich hau dich ja man so ganz leise!

Ortrun. Na ja.

Ubbe. O nein, weiß Du was? Ich weiß viel was Besseres! Du muß mal 'n großes Schiff sein, un denn fahr ich auf dir ganz weit weg.

Ortrun. O ja! Wie weit?

Ubbe. Tausend Millionen Meilen. Bis Amerika!

Ortrun. Uuha!

Ubbe. Wo is eigenlich Amerika?

Ortrun. Da ganz hinten!

Ubbe. Ich seh nix.

Ortrun. Nein, das kannst du auch nicht sehen. Dahin muß man viele Wochen lang fahren und auf dem Schiff essen und trinken und wohnen und schlafen – viele Male schlafen!

Ubbe. Uuha! Wenn ich groß bin, denn fahr ich nach Amerika.

Ortrun. Was willst du denn da?

Ubbe. Da will ich mich mit den Indianers kämpfen!

Ortrun. Hahaha, den ganzen Tag?

Ubbe. Nei–n, ich will natürlich auch was essen!

Ortrun. Na natürlich: essen!

2. Szene.

Die Vorigen. Lutz mit mehreren geschuppten Dienern, die mancherlei Spielzeug tragen.

Lutz. Hier, liebe Herrin, sendet dir mein Prinz
Manch artig Spielzeug für den jungen Herrn,
Das Teuerste und Neuste, was es gibt.
Aus eines Schooners Bauche stammts, der gestern
An unsrer Klippe Schiffbruch litt.

Ortrun.                                                 Ach Gott!
Und aus dem Schiff die Menschen – sind ertrunken?

Lutz. Nein nein, mein edler Herr hat sie gerettet!
Hach, Ole Bulemann ist krank vor Wut!
Denk dir, gerettet alle! Und mit Freuden,
Das glaub mir, gönnen sie euch diesen Schatz.
Schaut her. Ein zierlich Fräulein am Klavier.
Dreht man das Uhrwerk auf, so spielt sie, trillert
Und harpeggiert, greift richtig falsche Töne,
Tritt das Pedal, schlägt selbst die Noten um
Und singt. Und drückt man hier auf diesen Knopf,
So singt sie mit Gefühl.

Ortrun.                                 Haha! Schau, Ubbe!

Ubbe (kühl). Hm.

Ortrun.               Was ist das?

Lutz.                                       Ein Schulhaus! Aufgezogen,
Hält der Magister einen schönen Vortrag;
Er fragt die Schüler: Antwort geben sie,
Bald richtig, meist verkehrt, grad wie im Leben;
Die Glocke tönt; sie stürmen in den Garten
Und tummeln sich, die eine Hälfte sittsam,
Die andre ungezogen, und dem einen
Fließt aus der Nase echtes Menschenblut.

Ortrun. Schau, Ubbe, schau!

Ubbe (wie oben).                     Hm.

Lutz.                                             Hier ein ganzer Wald
Mit bunten Vögeln. Eier legen sie,
Und aus den Eiern kommen neue Vögel.
Sie singen, springen, fressen auch und zeigen,
Daß sie, was sie gefressen, auch verdau'n,
Sobald man hier die kleine Kurbel dreht.
Nun, kleiner Freund, willst du damit nicht spielen?

Ubbe. Nee, ich spiel lieber mit mei'm Ammi.

Ortrun (lachend). Haha, sein Ammi! Er hat keinen Schwanz mehr
Und hat nur noch drei Beine; aber nichts
Geht über seinen Ammi! Festumklammert
Hielt er den Freund mit seinen beiden Ärmchen,
Als er hier unten ankam.

Lutz.                                     Holde Herrin!
Wie plötzlich du so ganz verwandelt bist!
Aus deinen Augen strömt nach allen Seiten
Ein Licht, das dich umfließt wie ein Gewand!

Ortrun. Ist's so, so dank ich's deinem güt'gen Herrn,
Der zarten Sinns den Bruder mir gesellte.
Wie gern vergölt ich's ihm, wenn ich's nur könnte!

Lutz (jubelnd). Ja, Ortrun? Ja? Dies Wort bring ich dem Prinzen,
Ich eile, fliege! Ach, das wird ihn freuen
Wie eine erste Blüt' im Märzenschnee! (Eiligst ab.)

3. Szene.

Ortrun, Ubbe, später Irmeland und Lutz.

Ortrun (sinnend). Wie eine erste Blüt' im Märzenschnee?
Was weiß denn der von Schnee und ersten Blüten?
Hat er den Erdenfrühling je geseh'n?

Ubbe. Ortrun!

Ortrun. Ja, Liebling?

Ubbe. Wann werd' ich eigentlich groß?

Ortrun. Ach, das dauert noch lange!

Ubbe. Wie lange?

Ortrun. Ei nun – zwölf Jahre wohl!

Ubbe. Wann is zwölf Jahre?

Ortrun. Ja – das kann ich dir nicht sagen. Das ist noch lange hin!

Ubbe. Bis übermorgen?

Ortrun (lacht herzlich). Ach nein, viel, viel länger.

Ubbe. Ach man zu, laß es man mal übermorgen sein!

Ortrun (wieder lachend). Ja, wenn ich das könnte! Was willst du denn, wenn du groß bist?

(Irmeland und Lutz erscheinen im Hintergrunde und betrachten die beiden).

Ubbe. Och, wenn ich groß bin, denn bis du doch meine Frau, nich?

Ortrun. Haha, das glaub ich nicht!

Ubbe (unwillig). Doch! Du solls aber meine Frau sein!

Ortrun. Na ja, gut! Abgemacht!

Ubbe. Un weiß, was wir denn tun? Denn geh'n wir aus, un denn muß Ammi immer vor uns her laufen.

Ortrun. Kann er denn laufen? Er hat ja doch ein Bein verloren!

Ubbe. Och, das macht nix. Das wächst wieder an. Wir binden da was drum, und denn wird es wieder besser.

Ortrun. Na ja.

Ubbe (plötzlich sehr eifrig). O nein, weiß du was? Ammi muß mal krank sein, un denn muß er im Bett liegen!

Ortrun. O ja! Was fehlt ihm denn?

Ubbe (kühl). Och, er hat 'n Keuchhusten.

Ortrun. O weh, o weh! (Zieht ein Tuch hervor, wickelt es Ammin um den Hals und spielt weiter mit ihrem Brüderchen.)

Lutz (leise). Hat man wohl je so Liebliches geseh'n?

Irmeland (ebenso). Beim Himmel, nein! Ich hätt' es nie geglaubt,
Daß sie noch höh'rer Reiz umfangen könnte!
Doch Güte, die zum Kinde sie erniedrigt,
Erhöht zum Engel sie. Ist's denn auch wahr?
Und täuschtest du dich nicht? Hat von Vergeltung
Im Ernste sie gesprochen?

Lutz.                                         Zweifle nicht,
Sie tat's.

Irmeland.       Und glaubst du, daß ich's wagen dürfte,
Sie – (stockt)

Lutz.         Was?

Irmeland.           Um die Erlaubnis sie zu bitten,
Ihr – nur ein einzig mal – die Hand zu küssen?

Lutz. Um Gotteswillen! Nein! Du wagst zu viel!

Irmeland. Ich wag es doch!

Lutz.                                   Tu's nicht!

Irmeland.                                             Ich muß! Nicht länger
Bezwing ich mich. Und weigert sie mir dies,
So weiß ich, daß mir keine Hoffnung bleibt.

Lutz. Drum warte noch! Es ist zu früh –

Irmeland.                                                 Ortrun!
Verzeih, du lieblich Licht, mein guter Lutz
Bringt mir die Freudenkunde, du sei'st fröhlich
Und wollest mir vergelten, daß ich dir
Den Bruder hergerufen. Willst du's wirklich?

Ortrun. Wie gerne wollt' ich's! Könnt' ich nur!

Irmeland.                                                           Du kannst.
Sieh, weder Dank noch Lohn hab ich verdient.
Doch weil die Quelle deines Herzens sprudelt,
Dräng ich mich zu und stehl' mir einen Trunk.
Willst du nicht zürnen, Ortrun, wenn ich bitte,
Sei's, was es sei?

Ortrun.                       Gewiß nicht!

Irmeland.                                         Nun, so bitt ich:
Vergönne mir, daß ich – auf deine Hand –
Ein einzig Mal nur! – meine Lippen drücke!

Ortrun. Auf meine Hand? Was ist denn meine Hand,
Daß du sie küssen willst?

Irmeland.                                 Nun, Ortrun, du,
Du weißt es freilich nicht, wie schön sie ist,
Und wüßtest du's, sie wäre minder schön.
Ich aber, hätt' ich sie auch nie betrachtet,
Von deinen Augen wüßt' ich, daß sie schön ist.
Nun? – Darf ich? Sieh, ich reibe meinen Mund
So heftig und so lange, bis er warm wird. (Tut es.)

Ortrun. Wenn ich's geschehen lasse, ist's wohl Hochmut.
Doch wenn es dich erfreut – (bietet langsam ihre Hand dar)

Irmeland (stammelnd).                   O Ortrun – Dank –
        (Er küßt ihr zaghaft und leise die Hand. Noch knieend, leise):
O süße Wärme, die dem Menschenleib
Entströmt! O heil'ge Glut, die mich sogleich
Mit himmlischer Beschwichtigung umfängt!
Der Sonne Flammen selbst, mit ihr verglichen,
Sind kalt und tot. Aus Rätselnächten kommt sie,
Von einem Herd, wo Gottes Feuer brennen.
(Aufspringend) Sieh, Ortrun, nun – für sieben Tage hast du –
Ach! – sieben Jahre glücklich mich gemacht!
Verzeih – nun muß ich geh'n – o mißversteh
Mich nicht und halt mich nicht für undankbar!
Sieh – wie allein sein muß, wer beten will,
So muß ich einsam sein mit meinem Glück –
Mir nimmt's den Atem – sterben würd' ich hier –
Verzeih – verzeih – (stürzt eilends davon.)

Ortrun (sieht ihm, langsam den Kopf wiegend, nach):
                                Verstehst du deinen Herrn?
Ein Kuß auf meine Hand – kann ihn so wenig
So tief beglücken? Mich ergriff sein Glück
So schmerzlich schier, als wär's ein Leid –

Lutz.                                                                   O Herrin!
Wer dich geseh'n, dem wandelt sich die Welt.
Viel wird ihm wenig; wenig wird ihm viel,
Und Lust und Leid wird Eins in deiner Hand!
Doch gib auch mir nun Urlaub. Folgen muß ich.
Darf er mich schon nicht seh'n und darf er's schon
Nicht wissen – hüten muß ich ihn. Leb wohl!

4. Szene.

Ortrun. Ubbe.

Ubbe. Ortrun!

Ortrun. Ja, Liebling?

Ubbe. Was soll ich nu mal spielen?

Ortrun. Magst du denn nicht mit den schönen Sachen spielen, die der gute Prinz dir geschenkt hat?

Ubbe. Nöö, das 's mir zu langweilig.

Ortrun. Soll ich wieder Pferd sein?

Ubbe. Nöö, das is auch langweilig.

Ortrun. Was willst du denn, lieb Herz?

Ubbe. Ich will wieder bei Vater sein.

Ortrun (erschrickt). Ach! – (Leise zu sich selbst): Daran hab ich nicht gedacht! – Das Heimweh faßt ihn – Und der Vater entbehrt ihn gewiß mit Schmerzen – (laut) Du sollst ja wieder hinauf zu Vater und Mutter – nur ein wenig bleib noch bei mir!

Ubbe. Ich mag hier aber nicht mehr sein!

Ortrun. Ach nur ein kurzes Weilchen noch, bitte bitte – tu's mir zu lieb.

Ubbe. Denn muß du aber auch mit mir spielen!

Ortrun (freudig). Ja, ja!

Ubbe. Immerzu!

Ortrun. Ja, ja!

Ubbe. Den ganzen Tag.

Ortrun. Ja ja, den ganzen Tag. – Wollen wir Mutter und Kind spielen?

Ubbe. Nöö, das is auch langweilig.

Ortrun. O je! Ich weiß schon was! Wir geh'n spazieren,
Und wunderfeine Dinge zeig ich dir!
Die Höhle Tidian, wo das Echo klingt!
Und das Korallenriff, wo aus und ein
Die regenbogenfarbnen Fischlein spielen –
O nein! Ich weiß ja doch noch viel was Schön'res!
Ich zeig dir Rungholt, die versunkne Stadt!

Ubbe. Was is das?

Ortrun.                 Viele Jahre sind es schon,
Da gab es eine Stadt, die Rungholt hieß.
Die war so reich: die Bürger wuschen sich
Und badeten im allerschönsten Wein.
So vornehm, sagt man, waren sie. so reich,
Daß nichts sie selber taten, ausgenommen
Das Essen und das Trinken. Selbst zu gehen,
Das galt für unfein. Sie bewegten sich
In Sänften nur und Wagen. Auch das Lernen
Und Denken mußten andre für sie tun;
Sie zahlten nur. Ja gar, sich selbst zu freuen,
Galt für gemein; sie überließen's andern.
(Für sich): Nur eins, so sagt man, konnte niemand tun
An ihrer Statt: sie mußten selber leiden.
Und ach, sie litten viel bei allem Hochmut
Und meinten doch, vom Golde käm das Glück.
(Wieder zu Ubbe): Nun machten eines Tags sie ein Gesetz,
Daß die allein die Stadt beherrschen sollten,
Die eine weite Wiese vor der Stadt
Mit Golddukaten ganz bedecken könnten.
Da kam die Meerflut, die in einem Atem
Die Stadt und ihren Übermut verschlang.
Nun liegt sie viele hundert Jahre schon
Am Meeresgrund – komm mit, du sollst sie sehn;
Willst du?

Ubbe.               O ja, man zu.

Ortrun (schildernd).               Die Häuser schlafen,
Und Markt und Gassen ruh'n in tiefem Schlaf.
Durch Tür und Fensterbogen ziehn die Fische
Gar still und stumm, und aus den Türmen wachsen
Seeanemon' und roter Tang. Doch sagt man,
Daß manchmal auch die tote Stadt erwache.
Dann – – – (die übrigen Worte verklingen hinter der Szene. Die Bühne verdunkelt sich, und eine sanfte Musik ertönt, die zuletzt in Orgelton und anschwellendes Glockengeläute übergeht. Als die Bühne sich wieder erhellt, sieht man Rungholt, die versunkene Stadt, am Meeresgrunde. Die Szene stellt den Marktplatz dar, in dessen Mitte ein Brunnen mit einer Brunnenfigur steht. Von der erhellten Kirche fällt ein schwacher Schein auf Markt und Gassen, durch die man Bürger und Bürgerinnen lautlos und langsam zur Kirche wandeln sieht.)

5. Szene.

Ortrun und Ubbe kommen von rechts.

Ortrun (scheu und leise). Schau, Ubbe, schau. Die Stadt ist aufgewacht –
Es ist wohl Sonntag heut; die Glocken läuten –
Zur Kirche gehn die Leute, schau –

Ubbe.                                                     Ich mag nich
Mehr laufen.

Ortrun.               Ach, mein Schäfchen, bist du müde?
Ach, warte nur – ei, weißt du was? Wir setzen
Uns auf den Brunnenrand und schauen zu,
Was wohl geschieht.

(Orgel und Glocken sind verstummt, und der Zug der Bürger ist zu Ende. Die Stadt liegt schweigend da.)

Ortrun (hebt ihr Brüderchen auf den Brunnenrand).
                                Sieh da, ist das nicht fein?

Ubbe. O ja!

Ortrun.       Und holla hops! bin ich dabei!

(Hat sich ebenfalls auf den Brunnenrand geschwungen. Sobald sie dies getan, beginnt der Brunnen in drei verschiedenfarbigen Strahlen zu fließen und im Dreiklang zu singen):

        Segensstunde, Segensstunde!
        Rieselt Licht aus Tageshöh'n?
        Welch ein Atem, erdenschön,
        Weckt uns auf mit warmem Munde?

Ortrun. Brunnen, was singst du?

Die Brunnenfrau.                       Mädchen, was bringst du?

Ortrun. Ich habe ja nichts; was soll ich bringen?

Die Brunnenfrau. Du hast in der Stimm' ein selig Klingen,
Du hast um Stirn und Wangen
Das Licht, nach dem wir bangen;
Aus deinem Herzen strömt ein Hauch,
Davon ein toter Rosenstrauch
Aufs neu erblühen mag!
O wundersamer Tag,
Geheimnisvolle Stunde!
Aus tiefem Todesgrunde
Wacht längst gestorbnes Hoffen auf
Und langt nach Tag und Licht hinauf –
In diesen Gründen schlief ein Wort
Viel' hundert Jahre – nun klingt es fort:
    »Liebe, die des Todes Blick bestand,
    Hebt aus tiefer Flut versunknes Land« –
Sage mir, Mägdlein, ob du liebst!

Ortrun. Wie sollt' ich denn nicht! Ich liebe den Vater,
Mein Brüderlein lieb ich – ein wenig wohl auch
Die Mutter –

Brunnenfrau.       Und kennst nicht die andere Liebe?

Ortrun. Welch andere Liebe?

Brunnenfrau.                           Sie spannte dir nicht
Die Brust bei webendem Mondenlicht?
Die Liebe, der des Lebens zu viel,
Die mit Einem, mit Einem es teilen will,
Die Liebe, die nicht sanft erglüht,
Die lodernd brennt und Flammen sprüht,
Sie wohnt dir im Herzen,
Sie will hinaus,
Mit jauchzenden Schmerzen
Sprengen ihr Haus,
Die Liebe, die . . . .
                                Weh, die Stunde schwindet
(mit ersterbender Stimme). Mägdlein, erlös' uns – erlöse –

(Alles Licht erlischt mit einem Schlage, und vollkommene Finsternis liegt auf der Szene.)

Ortrun. Wie ist's auf einmal schaurig hier und still,
So still, als ob in hunderttausend Jahren
An dieser Statt kein Laut erklungen wäre!
Und ist mir doch, als rief's: »Erlös', erlöse!«
Nur eben jetzt. Ach, wen kann ich erlösen!
Mir ist ja selbst so weh, als wäre nun
Das letzte Glück gestorben und auf Erden
Wär keine Freude mehr.

Ubbe.                                     Ich bin so bange!

Ortrun (faßt sich). Ei was denn gar! Ein Bube fürcht' sich nicht!
Schau, schmieg dich nur so ganz, ganz fest an mich!
Mein Röcklein schlag ich um dich – so ist's warm
Und traulich, gelt? Nun gehn wir still nach Hause,
Da soll das Ubbchen schlafen, schlafen, ei,
So süß, wie Englein auf der Himmelswiese
In Gras und Blumen schlafen . . . .

(Ihre Worte verklingen wieder hinter der Szene.)

6. Szene.

Ortrun. Ubbe. Irmeland. Später Lutz.

(Unter einer sanften Musik wandelt sich abermals der Schauplatz; nachdem die Musik in präludierende Harfentöne übergegangen ist, erhellt sich die Bühne, und man erblickt auf einer über den Meeresspiegel hinausragenden Klippe im hellen Mondschein Irmeland, die Harfe spielend. Das Licht des Mondes umgibt ihn mit einem Regenbogen).

Ortrun (tief erschrocken).
O Gott – der Prinz!

Ubbe (leise).                   Schau Ortrun –

Ortrun (ebenso).                                     Still! Hör zu
Und horche wohl, ob er vielleicht im Singen
Den eignen Namen nennt –

Irmeland (singt).

        O Sternenaufgang, mehr
        Als Erdenschein!
        Ein Morgen kommt und nimmt
        Von uns die Pein!

        O balde schon, bald
        Mein Brautlied schallt,
        Weil sie nicht weiß,
        Daß ich Irmeland heiß!

Ubbe (leise). Er sagte eben –

Ortrun.                                 Still – o still –!

Irmeland (singt).

        Ich hab es gewußt:
        Aus fernem Dust
        Hebt einst sich ein Land,
        Ein seliger Strand!

        Du Glaubensruh der Nacht,
        Erkling' und tön'!
        Erwachte Hoffnung singt
        Von Wolkenhöh'n . . .

Lutz (erscheint gegen Ende der Strophe auf der Szene).

Ubbe (leise). Hast du gehört –

Ortrun.                                   Sei still – ich hab gehört.

Lutz (bemerkt die beiden, schreit auf):
Mein Prinz, du wirst belauscht! Um Gotteswillen
Hör auf, mein Prinz! Ortrun hat dich belauscht!

Irmeland (erhebt sich langsam, wie im Traum, und bleibt aufgerichtet stehen.)

Lutz. Mein Prinz, so höre doch: Ortrun ist hier!

Irmeland (langsam aus seiner Verzückung zurückkehrend):
Ortrun?

Lutz.           Ja ja! Sag, riefst du deinen Namen?

Irmeland (wie oben).
Ich weiß es nicht. Doch scheint mir, daß ich's tat.

Lutz (zu Ortrun). Du hörtest ihn?

Ortrun (nickt wiederholt langsam und stumm).

Lutz (sinkt auf einen Stein).           Dann ist's vorbei – vorbei.

Irmeland (ist langsam herabgestiegen und steht vor ihr. Mild):
So hast du einen Dolch in deiner Hand –
Stoß zu. – – Wie grausam bist du, daß du zauderst.

Ortrun (nach einem Schweigen, an dem Prinzen vorbei und mehr zu sich selber als zu den andern):
Wer kann den Vogel töten, wenn er singt?
Wer kann sein jubilierend Herz durchbohren,
Wenn es sich jauchzend aufgetan vor Gott
Gleich einer Blume, die vor Lust gesprungen?
Und wer, wenn er es könnte, wäre froh?!

Irmeland (ringt mühsam nach Worten).
Ortrun – sollt' ich – sollt' ich verstanden haben –
Was du soeben sprachest – Wär es möglich,
Daß ich – dich recht verstanden hätte – Lutz,
Hast du gehört, was sie gesagt – und wie
Verstehst du sie?

Lutz.                           Sag, Herrin, sag – du wüßtest
Den Namen nun – und wolltest ihn nicht nennen?

Ortrun. Ich wollte wohl – doch kann ich nicht. Ich höre
Ja eure Herzen klopfen, und ich sehe
Ja eure bangen, dunklen Augen glühn.
Das fühl ich wohl in dieser Stunde: Über
Zertretne Herzen führt kein Weg zum Glück.

Irmeland (steht aufgerichtet vor ihr und spricht nach einem tiefen Schweigen):
Über zertretne Herzen führt kein Weg
Zum Glück! Doch dieses Wort führt dich zum Licht.
Von nun an würde jedes Lächeln, das
Um deine Wangen huschte, mir im Herzen
Wie Nattern wühlen; jeder warme Blick,
Der redlichste und lieblichste, er müßte
Wie schartig Eisen mir die Brust durchbohren.
Dieweil mir deine Stimme süß erklänge,
In bittrer Reu' ertränke mir das Herz,
So würde Freude Qual, Gewinn Verlust,
Sieg würde Niederlage nun und Schmach.
Ein Schachrer wär' ich, der für schlechtes Blei
Ein gleich Gewicht von Gold erwuchern möchte –
        (Auf eine Bewegung Ortruns.)
Und wär es auch ein frei Geschenk – so große
Geschenke geben, ziemt der Fürstin wohl;
Sie anzunehmen, ziemt dem Fürsten nicht.
Ortrun, nun bist du frei, und nie mehr soll
Von meinem Mund ein bittend Wort dich quälen,
Nie mehr ein töricht Hoffen mich verleiten,
Den Tag zu fesseln, der der Nacht entflieht.

Ortrun. Prinz! – Nein es ist wohl Traum! – Du gibst – Du wolltest –
Du gibst – mich frei –

Irmeland.                           Du bist's, sobald du willst,
Nein, früher noch; denn wolltest nicht du, bät ich
Von Herzen dich: Kehr heim zu deinem Glück.

Ortrun. Mein Ubbe, wir sind frei, mein Ubbe, frei!
Frei, frei! Zurück zum Vater geht's, zur Mutter,
Nach Hause geht's, nach Dünen, Strand und Sonne,
Zur hellen Luft voll Licht und Mövenschrei!
Verzeiht, daß ich mich freu! Ich komme gern
Zu häufigem Besuch, wenn ihr's erlaubt.
Doch heut, heut laßt mich lachen, laßt mich weinen –
O Gott, wie bin ich froh, o Gott, wie glücklich,
Wie glücklich bin ich – ach, ich halt's nicht aus –
Ich möchte wohl die ganze Welt umarmen
Und küssen!

Lutz.                   Was!

Irmeland.                     Wie! – Hast du das gehört?
Sie sagte: küssen möchte sie –

Lutz.                                               Die ganze Welt!
Sprich, Ortrun ist das wahr?

Ortrun.                                         Was denn?

Lutz.                                                               Du sagtest,
Du könnt'st die ganze Welt jetzt küssen!

Ortrun.                                                           Freilich!

Lutz. (vorsichtig). Ich glaub dir's nicht! Zum Beispiel: denke dir,
Du solltest einem Dorsch die Nase küssen,
Die kalte Nase!

Ortrun (in übermütigster Lustigkeit). Ha, mit tausend Freuden!

Lutz. Doch eine Kröte, siehst du, eine Kröte,
Die küßt du nicht, da wett ich drauf.

Ortrun.                                                     Warum nicht?

Lutz. Ist's wahr? – Jetzt aber, Ortrun, weiß ich einen,
Den küßt du nicht! Das ist mein Herr, der Prinz!

Ortrun (plötzlich schamhaft).
Dein hoher Herr? – er würde sich bedanken.

Irmeland (eifrig, indem er sich ihr nähert).
Nein, Ortrun, nein, ich nehm' es an, bei Gott!
Ich nehm' es an – wenn du's – nur gerne tust . . .

Ortrun. Von ganzem Herzen gern, du guter Prinz.
(Sie schickt sich an, ihn zu küssen, und zaudert plötzlich.)

Irmeland. Nun bangt dir doch –?

Lutz.                                           Mein Prinz, es ist der Mond!
Sieh doch nur, sieh, wie er die Augen aufreißt
Und Mund und Nas' dazu, um das zu seh'n!

Irmeland. Komm in den Schatten dieser Felsen, komm,
Wo dich des Mondes Neugier nicht beleidigt,
O komm!

(Sie verschwinden hinter einem Felsen, und eine sanfte Musik beginnt, die bis zum Schluß der Szene währt.)

Ubbe (ängstlich). Ortrun, wo bist du?

Lutz.                                                   Komm, wir geh'n
Ihr nach! Nicht bange sein! Du kannst mir's glauben:
Was unser Prinz der süßen Ortrun tut,
Ist ganz gewiß nicht bös. Im Gegenteil! (Beide ab.)

7. Szene.

Ortrun. Irmeland. Lutz. Ubbe.

Ortrun (noch hinter der Szene).
Prinz! – Nein – Wer bist du? – Gott! Mein Prinz! – Wer bist du?
Bist du's denn wirklich? – Nein – (Sie ist inzwischen aufgetreten.)

Irmeland (in menschlicher Gestalt).       Bei Gott, ich bin's!
Bin, der ich bin, mehr als ich's vorher war!
Frei darf ich's sagen, darf es jauchzen, jubeln,
Laut darf ich's rufen jetzt: Prinz Irmeland
Bin ich, der Sohn des großen Nordlandkönigs,
Der weite Länder abgetrotzt dem Meer
Und dem die Rache Ole Bulemanns
Den Sohn geraubt durch schlaubedachten Trug.
        (Er zieht Lutz heran, der ebenfalls zurückverwandelt ist.)
Des treusten Dieners tiefste Treue trug
In langer Qual mit mir die Last des Leids;
Du aber auf den weichen Engelsschwingen
Der Güte nahmst sie lösend mir hinweg.
Ja du – o, wer bist du? (Er kniet in tiefer Ehrfurcht nieder.)

Lutz (tut dasselbe).

Irmeland.                             Prinzessin Ortrun,
Aus tiefster Gnade Irmelands Gemahl –
Wenn's deinem edlen Herzen so gefällt –
Und einst die große Königin im Nordland,
Wo frische, helle, starke Menschen wohnen
Und klarer Himmel blickt aus dunklen See'n.

Ortrun. O weh – warum verspottest du mich nun?
Ein Fischerkind wird keines Prinzen Weib.

Irmeland. Du bist durch adlichste Geburt gefürstet;
Wo du bist, ist ein heimlich Königreich,
Ein stilles, das ans Land der Sterne grenzt.
        (Aufspringend, zu Lutz.)
Auf, teurer Freund, lös' unser Schiff vom Ufer
Und mach es fertig zur beglückten Fahrt!

Lutz (ab).

Irmeland (hebt Ubbe hoch).
Hei, liebes Ubbelein, nun geht's nach Hause!
Freust du dich denn?

Ubbe.                               Ja! aber wenn ich mich
So ganz, ganz furchtbar freuen tu, dann stößt es
Hier immer so (zeigt nach dem Herzen) das schad't doch nix, was, du?

Irmeland. Haha, nein nein, das schadet nichts, Du Wichtlein!
Sag, süßes Mägdlein, stößt dir's auch im Herzen?
Und schau mich an und sag, ob dir es schadet?

Ortrun (in seinem Arm). Ist alles dies nicht Traum? – Wie bist du schön!

Irmeland. Das ist der Wiederschein von deinen Augen.
Was liebend sie bestrahlen, das wird schön,
Wie Sonne Diamanten macht aus Tau
Und einen goldnen Wald aus welkem Laub.

Lutz (kommt auf der Oberfläche des Wassers in einem Schiff mit weißen Segeln gefahren).
Die Segel sind gespannt!

Irmeland.                               Hojo! An Bord!
        (Während sie in das Schiff steigen)
Schon küßt der Mond das Meer mit bleichen Lippen,
Und Ahnung rieselt durch des Ostens Grau. –
Nun Sturm des Herzens, greif in alle Segel
Und trag uns mit der Schnelle des Verlangens
Zur alten Heimat und zum jungen Licht.

(Unter einer leisen, seligen Musik fährt das Schiff durch die Spur des Mondes.
 
Der Vorhang fällt.)


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