Otto Ernst
Ortrun und Ilsebill
Otto Ernst

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Zweiter Aufzug.

Die Bühne stellt bis etwa zwei Drittel ihrer Höhe das Innere des Meeres dar. Über dem Meeresspiegel sieht man sonnenbeschienene, aus dem Meeresboden aufragende, höhlen- und klippenreiche Felsen. Das Sonnenlicht durchdringt auch den größeren Teil der Meerflut, das Übrige ist in Halbdunkel oder in vollkommenes Dunkel gehüllt. Durch den links oben einfallenden Sonnenschein sieht man Fische und anderes Getier des Meeres schwimmen. Die Felsen und der Meeresboden sind mit Gewächsen, Polypen, Schwämmen usw. bedeckt. Von den Felsen rechts stürzt ein Wasserfall, dessen Wasser dort, wo es sich mit dem Meere verbindet, einen silberglänzenden Staubvorhang inmitten der blauschimmernden Flut bildet.

1. Szene.

Irmeland und Lutz kommen von verschiedenen Seiten.

Irmeland (in einem langen roten Mantel, der seine Füße verhüllt).
Lutz, Lutz, wie steht's? Hat sie sich drein gefunden?

Lutz. Ach kein Gedanke! Schlimmer steht's denn je!
Ihr armes, liebes, gutes kleines Herzchen
Zerbangt sich nach der Heimat. Und nun muß
Auch das noch kommen!

Irmeland.                               Was, um Gottes willen!

Lutz. Als heute sie, dem Meeresspiegel nah
Und nah dem Ufer, sehnend und verlangend
Hinschwebte, die verlorne Heimat suchend,
Sah über sich auf der bewegten Fläche
Den Vater sie und das vertraute Boot.

Irmeland. O weh!

Lutz.                   Sie ruft und winkt und will ihm zeigen,
Daß sie es sei; er aber hört sie nicht;
Er sieht im dunkeltiefen Wasser nur
Ihr wankend, wiegend Bild – ein Seegespenst
Glaubt er zu sehn und wendet scheu sein Boot.

Irmeland. Das arme Kind! Doch warum schwang sie sich
Nicht rasch ins Schiff?

Lutz.                                   Prinz! Kennst du sie so wenig?
Hat sie mit ihrem Sprung ins Meer sich uns
Nicht angelobt? Die magst du wandern lassen
Zur Höhe, wo die Wasserjungfern spielen,
Zur Tiefe, wo die rote Nacht sich wälzt,
Das Meer ist nicht so tief wie ihre Treue.

Irmeland. Lutz, Lutz! Soll ich dir etwas sagen?

Lutz.                                                                 Nun?

Irmeland. Sie tut mir bitter leid. Wenn ich's so anseh,
Wie sie sich härmt, das süße Ding, am liebsten
Gäb ich sie wieder frei –

Lutz. (seufzend)                         Jaja!

Irmeland.                                           Und doch,
Ich kann's nicht! Ich – bei Gott, ich kann es nicht.
Es ist mir so, als wüßt' ich ganz gewiß,
Daß sie uns einst erlösen wird.

Lutz. (zweifelnd.)                               Meinst du?

Irmeland. Ja, Lutz, ja! Sieh (auf seine Stirn klopfend) hier oben glaub ich's nicht,
(aufs Herz deutend) Hier aber glaub ich's'. Manchmal wenigstens!
Ach Lutz, wenn man sie einfach bitten dürfte:
»Gib mir 'nen Kuß –

Lutz.                                 Um Gottes willen!

Irmeland.                                                       »Gib
Mir einen Kuß, und wir sind beid' erlöst,
Sind alle drei erlöst! Ich bin ein Prinz!
Dies ist mein Diener! Wir sind beide Menschen
Wie du! In Lust und Sonne liegt mein Reich,
Und du bist Königin, wenn du nur willst!«

Lutz. Prinz! Prinz! Ich bitt dich, wer soll dich nun küssen,
So wie du aussiehst!

Irmeland.                         Du wirst unverschämt.

Lutz. Nun sage, ist's denn anders?

Irmeland.                                       Nein, es ist so,
Du aber brauchtest mir das nicht zu sagen!
(Sentimental.) Du nicht! Ich finde das nicht hübsch von dir.

Lutz. Mein liebster Prinz –

Irmeland.                             Du hältst dich wohl für schöner?

Lutz. Für etwas schöner allerdings.

Irmeland.                                         Haha!

Lutz. Nun lache nur; ich freu mich, wenn du lachst.
Weiß ich denn nicht, daß Haß und Bosheit immer
Den Großen schwerer treffen als den Kleinen?
Mein teurer Prinz, ich will dich ja nur warnen
Vor allzu großer Offenherzigkeit.
Ich bitte, flehe, ich beschwöre dich,
Lern endlich Vorsicht, sei verschlossen, schweige!
Trag immerfort das Herz nicht auf der Zunge!
Schon zehnmal hast du alles uns verdorben,
Weil alles, was du fühlst und denkst und weißt,
Heraus gleich muß! Und sonderlich dein Singen!
Dein wunderherrliches – verwünschtes Singen!
Ich bitt dich tausendmal: halt Maß darin,
Halt an dich! Dir entwischt ja doch das Herz!
Du weißt wohl noch –

Irmeland.                             Ich weiß, ich weiß. Verlaß dich
Darauf! Ich singe keinen Ton! Nicht einen!
Die Nägel krall ich mir ins Fleisch, die Zähne
Beiß ich zusammen und verrate nichts!

Lutz. Wenn du's nur tust –!

Irmeland.                           Lutz, wenn ich's dir doch sage!
Weiß ich denn nicht, was auf dem Spiele steht!
Bin ich vor Sehnsucht nach der Welt der Menschen
Nicht halb verrückt? O Lutz, wer hätte das
Gedacht! Nun glaube einer noch den Müttern!
Noch heute seh ich auf der Mutter Antlitz
Das rote Licht der Herdesflamme spielen,
Hör ich sie aus dem warmen Dunkel raunen:
(Mit visionärer Erinnerung.)
»All sieben Jahre steigt aus Meeresfluten
Rungholt, die schönste der versunknen Städte.
Mit immergrünen Gärten, roten Dächern,
Mit Silberfenstern und mit goldnen Türmen,
Vom Dufte lichtgetränkten Taus umsponnen,
Steigt sie empor – gleich einem Märchenkind
Mit goldnem Haar, das in der Sonne träumt.
Wer dann vorüberfährt und sie erblickt
Und wer ihn wagt, den raschen Sprung ans Land,
Der löst vom tausendjährigen Tod die Stadt
Und zieht als König ein zu ihren Toren.«
Seit jener Stunde kannten Sinn und Seele
Nur einen Strand der Sehnsucht: Rungholts Strand,
Nur eine Rast der Träume: Rungholts Hafen!
Wir fuhren heimlich fort, wir suchten sie –
Wir sah'n sie, du und ich, so klar und hell,
Zum Greifen nah – wir wagten kühn den Sprung –
Und jählings stürzten wir in grause Tiefe,
Und Hohngelächter scholl herauf vom Grund.
Verzaubert nun in diese Mißgestalt
Hält Ole Bulemann mich hier gefangen,
Des Meeres böser Geist, der Länderfresser
Und meines Vaters nie versöhnter Feind!
Ach Lutz. Wie viele Jahre sinds wohl schon!

Lutz. Ich zähl' schon gar nicht mehr.

Irmeland.                                         Und niemals kommt
Die reine Jungfrau, deren mildes Herz
Den Abscheu überwindet, mich zu küssen!

Lutz. Nun übertreibst du! Das ist auch nicht richtig!
Du bist ja grad nicht schön –

Irmeland.                                       Verschon mich, ja?

Lutz. Doch wie du weißt, kann Ole Bulemann
Dir zweierlei nicht nehmen, nicht die Jugend
Und nicht den Adel fürstlicher Geburt.
Und da du nicht nur adlig von Geburt,
Nein von Gesinnung auch, so hast du etwas
In deinem Wesen –

Irmeland.                       Danke. Meinen Adel
Und meine Jugend gäb ich gern dahin
Für einen Atemzug im Heimatland!

Lutz. Still, Prinz, ich seh sie kommen. Ach, wie müde
Und traurig ist ihr Gang!

Irmeland.                               Laß uns allein.

Lutz. Behandle sie wie'n rohes Ei! Sie ist
Mitunter jetzt so gnittrig und so gnattrig –
Das Heimweh und dies Klima –

Irmeland.                                           Lieber Himmel!
Ein rohes Ei ist im Vergleich dazu
'ne Flintenkugel, wie ich sie behandle.
Ein Tröpfchen Tau, des Mohnes reife Blüte,
Das Atembläschen einer Zwergkoralle
Könnt' ich nicht zärtlicher als sie behandeln.
Und doch –

Lutz.                 Sie kommt!

Irmeland.                             Mach fort! – Doch bleib mir nah!

2. Szene.

Irmeland. Ortrun.

Ortrun (kommt langsamen Ganges von einer Klippe herab).

Irmeland. Gott grüß dich, Ortrun, o du schönes Mädchen!
So schön und ach, so traurig, ach, so blaß!
Wie kann's auch anders sein! Du ißt ja nichts.
Du ruhst dich nicht. Komm, setze dich, ich bitt dich!
Ich schaff dir einen Stuhl. (Eine riesige Schildkröte kommt gekrochen.) Schildkröte, sieh,
Du kommst mir wie gerufen. Wart ein Weilchen
Und laß das Fräulein sitzen. (Nähert sich Ortrun.) Darf ich bitten?

Ortrun (schaudernd). Rühr mich nicht an!

Irmeland (traurig).                                   Ach, bin ich dir noch immer
So widerwärtig?

Ortrun.                     Sei nicht bös, ich will dir
Gewiß nicht wehtun –

Irmeland.                           Oh – o sprich so weiter!
Dann weiß ich schon vor Glück nicht aus noch ein . . .
Willst du nicht sitzen –

Ortrun.                               Nun, wenn's dich erfreut . . . (sie setzt sich auf die Schildkröte)

Irmeland (freut sich wie ein Kind).
Sie sitzt! Sie sitzt! Ach Ortrun, süßes Mädchen,
Ich bitt dich – sage mir – doch werd nicht böse –
Könnt'st du dich wohl – wenn ich dich herzlichst bitte –
Könnt'st du dich dann vielleicht auch wohl entschließen,
Ein wenig – nur ein wenig erst – zu essen?

Ortrun. Nun meinetwegen.

Irmeland (aufschreiend).       Ortrun! Ach, ich möchte – (als wenn er sie umarmen möchte)
Nein, sei nicht bang – ich freu mich ja nur so!
Ich freu mich, daß du endlich essen willst!
(mit heißem Eifer) Nun sag mir, sprich, was soll es sein? Befiehl nur!
Zunächst natürlich Austern. Dann vielleicht
Ein Süppchen von Garneelen oder Krabben,
Hierauf ein zartes, saftiges Filet
Vom Tintenfisch, garniert mit Uferschnecken. –
Ist dir's so recht?

Ortrun.                     Ach mir ist's einerlei.

Irmeland. Oder vielleicht ein köstliches Ragout
Von Seeigeln und frisch gelegten Eiern
Des Katzenhais? Das reizt den Appetit –

Ortrun. Mir alles eins.

Irmeland.                       Was meinst du zu Croquettes
von Schildkrötenfleisch –
      (Die Schildkröte wird unruhig, und Ortrun springt mit einem leichten Schrei in die Höhe.)
                                          Nun nun, bleib du nur liegen!
Es gibt ja andre Kröten noch als du –
(zu Ortrun) Ich bitt dich, setz dich wieder – augenblicklich –
Ich winke nur – die Tafel steht bereit.

(Aus dem Boden steigt eine große Seeanemone, die sich auseinander tut und eine gedeckte Tafel zeigt. Geschuppte Diener schlüpfen aus Felsspalten hervor und servieren.)

Ortrun (macht Miene zu essen, legt aber das kaum Berührte wieder hin und sagt bekümmert):
Ich kann nicht essen.

Irmeland (bestürzt).           Ach – versuch's doch nur!

Ortrun (erhebt sich gequält).

Irmeland. Ach bitte, bitte, nur nicht böse sein!
Hinweg damit! (Die Tafel und die Diener verschwinden, die Schildkröte desgleichen.)
                        Wie kann ich dich erfreu'n!
Hast du an Kleidern Lust, an Putz und Tand?
An köstlichen Gewändern und Geschmeiden?

Ortrun. Vielleicht –!

Irmeland.                   O Tausend Dank! du machst mich glücklich!
He! Lutz! Schick uns sogleich die Kammerzofe.

Lutz. Sogleich. Hier kommt sie schon.

(Die Zofe erscheint mit mehreren Gehülfen, die kostbare Gewänder präsentieren.)

Zofe.                                                       Das gnäd'ge Fräulein
Befehlen? Wollen gnäd'ges Fräulein heute
Das Promenadenkleid von blauer Seide,
Garniert mit rotem Tang und Quallenfransen? –
Vielleicht das algengrüne mit dem Seestern-
Besatz und mit dem Silberschuppengürtel?
Das nicht? Nun, dann vielleicht das grün changeant,
Das mit den Muschelärmeln und Girlanden
Von Seerosen?

Ortrun (hat anfangs mit einigem Interesse zugeschaut, schüttelt jetzt den Kopf).

Zofe.                       Auch das nicht? Ah, ich weiß schon!
Das purpurrote Crèpe de Chine-Kostüm
Mit Seehundspelzbesatz und Stickerei
Von Perlenaugen?

Ortrun.                       Nun denn, meinetwegen.

Zofe. Das muß ich sagen: gnäd'ges Fräulein haben
Geschmack, den auserlesensten Geschmack!
Das wird zum Haar und Teint des gnäd'gen Fräuleins
Entzückend stehen. Wollen gnäd'ges Fräulein
Die Güte haben? (Will ihr das Kleid anlegen.)

Ortrun (ist schon wieder andern Sinnes geworden).
                            Laß nur! Laß nur gut sein;
Es ist ja alles gleich (sinkt auf einen Stein). Mir tut's so leid!
Doch alle eure Schätze freu'n mich nicht.
Das blinkt und prangt in lauter Glut und Farben –
Und ist doch nichts wie meiner Eltern Haus!

Irmeland. Verzeih – ich hoff', du nimmst es mir nicht übel –
Dein Elternhaus – das hast du wohl vergessen –
War – sozusagen – eine Heringstonne!

Ortrun. Ja, aber was für eine Heringstonne!

Irmeland (neugierig). Wieso? Was war's damit? War etwas drin,
War etwas dran – was Köstliches? was Schönes?

Ortrun. Und ob! Sie war – Es war darin – Ich war –
Nun, lieber Gott, ich kann's ja nicht beschreiben!
Es war die schönste Tonne von der Welt!

Irmeland (ernst). Ach so. Ach so. Ich – ich versteh dich schon.
Tragt weg den Plunder. Es hat keinen Sinn.
(ratlos) Was fang ich an, sie zu erheitern! – Soll ich
Dir von des Meers Bewohnern was erzählen?
Vom Großmaul Pottfisch mit dem kleinen Halsloch,
Vom Räuber Kabeljau und von dem dicken
Feinschmecker Walfisch? Soll ich dir erzählen
Vom Demokraten Hering oder warum
Die Scholle platt geworden ist?

Ortrun.                                             Was glaubst du
Von mir? Hältst du vielleicht mich für ein Klatschweib? –
(Näherrückend, neugierig): Wie ist das mit der Scholle denn gekommen?

Irmeland. Die Scholle war genau so spindelförmig
Wie jeder richtige, vernünft'ge Fisch.
Sie aber mußte ihre Nase immer
In alles stecken. Was auch vorgeh'n mochte,
Sie war nicht glücklich, wenn sie nicht dazu
Auch ihren Senf gegeben hatte. Frieden
Zu stiften, hielt sie für ihr Haupttalent
Und machte durch Geschwätz nur alles schlimmer.
Da muß sie eines Tags der Teufel reiten,
Sich dreinzumischen, als der Walfisch und
Der Pottfisch heftig miteinander streiten.
Sie will sie trennen, wirft sich zwischen beide;
Der eine von den beiden schnellt zur Seite,
Speckbauch prallt gegen Speckbauch – sie dazwischen:
Schwapp ist sie plattgedrückt wie'n Eierfladen,
Und schief sitzt ihr das Maul für ewige Zeiten! . . .
Du hast gelächelt, Ortrun! ganz gewiß!
Jetzt eben hast du mit dem Mund gelächelt!
O Ortrun, süße Ortrun, glaubst du's mir,
Daß du gelächelt hast?

Ortrun (freundlich-milde).     Es mag schon sein.

Irmeland. O ganz gewiß, du lächeltest ganz deutlich!
Wart, nun erzähl ich dir auch noch das Neu'ste
Vom Stichling.

Ortrun.                   Hier erzählt man sich wohl viel?

Irmeland. Mehr als du ahnst. Der Ozean, das glaub mir,
Das ist ein Klatschnest wie kein zweites. Freilich
Die Menschen halten das Getier des Meeres
Für stumm! Sie halten alles ja für stumm,
Was nicht in ihrer plumpen Sprache redet.
Ich glaubt' es früher auch, nun aber, da ich
Zur Hälfte meines Wesens diesem Reich
Der Meeresflut – (besinnt sich plötzlich und bricht ab)
                              verzeih, ich wollt' erzählen . . .

Ortrun. Nein, sprich erst weiter, was du sagen wolltest!

Irmeland. Nichts, nichts, es war Geschwätz. Laß dir erzählen.
Der Stichling also – ja, was wollt ich sagen –
Der Stichling lebte anfangs, wie es schien,
Mit seiner Frau, gebornen Stachelbarsch,
In schönster Eintracht. Friedsam bauten sie
Aus Halm und Faser sich ein traulich Nest,
Und die gesegnete Gemahlin schenkte
Dem Gatten hundertdreiundneunzig hübsche
Gesunde, dralle, allerliebste Eier.
Ein Weib jedoch und hundertdreiundneunzig
Nachkommen waren unserm Stichling lange
Noch nicht genug. Mit andern Weibern ließ er
Sich ein, um sein erlaucht Geschlecht zu mehren.
Da wandelt, als sie den Betrug bemerkt,
Des Weibes Sinn sich fürchterlich. Sie schleicht,
Medeenhafte Wut im grimmen Herzen,
Sich heimlich in der Kinder Schlafgemach
Und mordet, frißt sie, frißt sie dutzendweise,
Die eigne Brut. Eh sie das grause Werk
Vollenden und den hoffnungsvollen Nachwuchs
Vollends verzehren konnte, naht der Gatte.
Er sieht entsetzensstarr – Ortrun, was weinst du?
Um Gotteswillen, Ortrun, liebste Ortrun,
Sprich, warum weinst du?

Ortrun (schluchzt herzbrechend).

Irmeland.                                 Willst du mir's nicht sagen? –
So sprich doch!

Ortrun (stoßweise).     Bei der bösen – Stichlingsmutter –
Fiel meine Stiefmutter mir ein – hu–u! (weint wieder).

Irmeland. Nun, siehst du? Jetzt kann sie dir nichts mehr tun!
Sie kann dich nicht mehr schelten, nicht mehr kratzen,
Nun kannst du doch vergnügt und lustig sein!

Ortrun (zornig herausfahrend). Was du wohl glaubst! Und schlüge sie und kratzte
Sie mich noch hundertmal so viel wie sonst –
Das Weinen in der Heimat ist ja süßer
Als in der Fremde Lust und Fröhlichkeit!

Irmeland. Ja, Ortrun – ja – dann weiß ich keinen Rat –
Dann bleibt mir ja wohl doch nichts andres übrig –
Als – als – dich zieh'n zu lassen –

Ortrun.                                                 Ach vergieb –
Es ist nicht recht von mir, das fühl' ich wohl –
Aus freiem Trieb bin ich zu euch gekommen
Und muß nun treu sein – und ich will's ja sein –!
Wenn Treue murrt, so ist sie keine Treue,
Das weiß ich wohl. Ich wäre gern von Herzen
Auch treu – und kann doch nun einmal nicht lügen.

Irmeland. Ja ja, es ist so, wie ich sage. – Sieh
Ich hätte eigentlich ja gar nicht nötig
Es dir zu sagen – und wenn ich's dir sage,
Dann bin ich dumm! Doch macht es dich vielleicht
Ein wenig heitrer. Darum sag ich's dir.
Ortrun, kannst du von heut' ab in drei Tagen
Mir sagen, wie ich heiße, bist du frei.
Nicht hab ich dann Gewalt mehr über dich,
Und heimwärts kannst du ziehn ins Land des Lichts.

Ortrun (außer sich vor Freude). O du – du Guter, du – wie heißt du doch!
Ja so – das wär's ja eben! (Lustig lachend) Hahaha . . . .!
Ich möchte doch so gern, so gern dir danken –
Nenn' ich dich König? Eine Krone trägst du,
Und groß ist deine Macht in diesem Reich . . . .

Irmeland. Nennst du mich Prinz, so triffst du's ungefähr . . . .

Ortrun. Nun, guter Prinz, aus allertiefstem Herzen
Sag ich dir Dank! (sie reicht ihre Hand.)

Irmeland (fährt begierig drauf zu und drückt sie).

Ortrun (schaudernd).     Hu – hu – wie kalt und feucht!

Irmeland (in traurigster Verwirrung).
Ja ja – doch wart' ein wenig! (Er reibt heftig seine rechte Hand an seiner Lende)
                                              Ist sie jetzt
Nicht schon viel wärmer?

Ortrun (freundlich lächelnd).       Nun, es geht, es geht.
O Hoffnung, Hoffnung, mit der Heimat Glänzen
Durchstrahlst du plötzlich diese finstre Welt!
O Gott, nun darf ich hoffen, darf ich lachen,
Nun kann ich lieben, die mir Gutes tun!
(vertraulicher) Du guter Prinz, erzähl mir noch ein wenig!
Erzähl von dir; ich hör dich gern erzählen.
Hast du noch einen Vater, eine Mutter?

Irmeland (sehr traurig). Ich weiß es nicht!

Ortrun.                                                       Ach Armer – weißt es nicht?
Warum denn suchst du sie nicht auf?

Irmeland (wie oben).                                 Sie wohnen
In einem fernen, fernen Lande, das ich
Wohl niemals wiederseh.

Ortrun.                                     Du armer Prinz.
(Begierig) Sag – hast du deine Mutter noch gekannt?

Irmeland O freilich!

Ortrun (dringend begierig). Du! du, sag, wie ist es, wenn
Man eine Mutter hat, ich mein: 'ne richt'ge Mutter!

Irmeland (zurückdenkend). Mir ist's, sie wäre Heiterkeit am Tage
Und Frieden in der Nacht, im Hunger Speise,
Im Durste Trank, im Froste süße Wärme,
Im Sonnenbrande Tau. O ihre Hand
War mild und fest in jeder Lust und Angst,
Und wüßt' ich nur: sie lebt! – ich wär getrost.
Wer eine Mutter hat, sieh, der ist nie
Allein – und ob er fern und einsam wandert
In Lybiens Wüste, in Sibiriens Steppen,
Er wohnt in einem hellen, heitren Haus;
Denn seiner Mutter Herz ist solch ein Haus.

Ortrun (erstaunt). Wer war denn deine Mutter? War sie nicht
Wie du?

Irmeland.       Sie war so licht und schön wie du.
Sie stand am meinem Bett wie Morgensonne,
Wenn sie mich weckte, und sie leuchtete
Am Abend wie des Mondes Licht vom Söller,
Wenn sie mich rief zu Schlaf und Traum.

Ortrun (in höchster Spannung).                         Sie rief?
O sag es mir: wie rief sie? und was rief sie?

Irmeland. Ei nun, sie rief: – – – O, du bist eine Schlaue!
Ich soll dir meinen Namen selber nennen!
Doch laß dir sagen, Ortrun, bin ich dumm,
So bin ich's, weil ich's will, und Güte, glaub nur,
Ist nicht so ganz das Nämliche wie Dummheit . . . .

Ortrun (kann ihn zunächst nicht verstehen, dann):
O pfui! Du glaubst, daß ich dich fangen wollte,
Derweil du lieb von deiner Mutter sprachst?
O, das war bös von dir! O, das war bös! (Sie weint.)

Irmeland. O Gott – ich Narr! ich Tropf! Was tat ich da!
Ach Ortrun, süße Ortrun, bitte, bitte,
Sei wieder gut – was soll ich denn nur sagen!
Sieh, ich bin unglücklich, und Mißtraun ist
Des Unglücks unzertrennliches Geschwister.
Gewiß, gewiß, ich hätt' es wissen sollen;
Wer dich erblickt, den überströmt's wie Sonne,
Daß du ein Wunder bist von Treu und Güte –
Und doch – ich fiel so oft der List zum Opfer –
Ich war wohl blind vor Schreck und Furcht – nun sag mir,
Was soll ich tun? Wie kannst du mir verzeihen?
Sag irgend was, und du sollst seh'n, ich tu's,
Ich tu es gleich und gern – sag, was du willst,
Nur sei mir gut, daß ich nicht ganz verzweifle.

Ortrun (langsam): Du bist ein seltsam Ding. Du sprichst, wie Fische
Wohl sprechen müßten, wenn sie sprechen könnten;
Doch deine Stimme dringt ins tiefste Herz.
Auch damals, als ich aus der Meerestiefe
Dich singen hörte, rann es mir sogleich
Wie Glut und Kälte über 'n ganzen Leib . . .
Bist du ein Mensch?

Irmeland (gesenkten Blickes): Ich darf nicht sagen, was
Ich bin. Doch will es Gott und willst du's selbst,
So wirst du's einst erfahren.

Ortrun.                                       Wenn ich's will?
Ich will es ja?

Irmeland.                 Du mußt es anders wollen.

Ortrun. Wie denn?

Irmeland.                 Auch das darf ich dir nicht verraten.
Doch einst – wie eine Blume blüht das Herz
Mir auf, wenn ich's nur denke – einst wohl kommt
Die Stunde, da ich's darf. Denn du bist liebreich!
Zürnst du mir noch?

Ortrun.                           Ich zürne nicht.

Irmeland.                                                 O du,
Du Herrliche! Nun schwör ich dir bei Gott,
Kein Argwohn soll dich jemals wieder kränken;
Von nun an will ich –

3. Szene.

Lutz. Die Vorigen.

Irmeland.                           Lutz! Was gibt's?

Lutz.                                                               Mein Prinz!
Dein Feind ist nah. Auf blauem Eisestrone
Schwamm Ole Bulemann vom Norden her;
Er zürnt, daß du nicht würdig ihn empfangen;
Ich bitt dich, komm!

Irmeland.                       Er zürnt? Ei, was nicht gar!
Er hüte sich und achte seiner Schranken!
Ich bin ein Fürst wie er und bin's wohl mehr!
(zu Ortrun) Leb wohl! Ich kehre bald zurück. Mein Diener
Verkürze dir die Zeit. Tu alles, Lutz,
Was du ihr von den Augen abseh'n kannst!

Lutz. Bedarfs vor solchen Augen des Gebots?
Ihr stillster Blick beherrschte wohl die Welt.

Irmeland (zu Ortrun).
Leb wohl! (Er schwingt sich auf einen des Weges schwimmenden Delphin und fährt ab.)

Ortrun.             Du sprachst von einem Feind des Prinzen?
Hat er denn Feinde?

Lutz.                               Ach, hätt' er nicht Feinde,
Es stünde anders wohl um ihn.

Ortrun.                                           Wie das?

Lutz. Frag nicht.

Ortrun.               Hör, lieber Lutz, ich nennte gern
Mit Namen deinen Herrn. Wie heißt er denn?

Lutz (sieht sie starr an).
Das – sag ich nicht.

Ortrun.                           Warum nicht?

Lutz.                                                       Weil – weil ich's
Nicht will.

Ortrun.             Ei sieh, wie artig! Sagtest du
Nicht eben noch, ein Blick aus meinen Augen
Wär schon Befehl? Ich will ja nicht befehlen;
Ich bitte nur, sag mir den Namen –

Lutz.                                                     Herrin –
Ich bitt dich recht von Herzen – quäl mich nicht –
Sieh mich nicht an – ich darf ihn ja nicht nennen.

Ortrun. Warum nicht?

Lutz.                             Weil – weil ich's nicht darf!

Ortrun.                                                                       Befahl
Dein Herr dir nicht –

(Sie wird von einem eigentümlich monotonen, rufenden Gesange unterbrochen. Man hört aus der Höhe Munks Stimme rufen):

        Mantje, Mantje, Timpe Tee– – – –e!
        Buttje, Buttje in de See– – – –e!
        Mine Fru, de Ilsebill,
        Will nich so, als ick woll wi– – – –ll!

Ortrun. Mein Gott – war das nicht meines Vaters Stimme?
Gewiß! Gewiß, sie ist's! O lieber Vater!
O trauter Klang! Sag, warum ruft mein Vater?

Lutz. Sein Satansweib – entschuldige! – Deine Mutter
Ist schon mal wieder unzufrieden.

Ortrun.                                                 Wie?
So sind ihr Haus und Garten nicht genug?
Sie leben droben nicht in Lust und Frieden?

Lutz. Haha! Naja. Ich sage dir, der Drache –
Ich nehme darauf Rücksicht, daß sie deine
Stiefmutter ist, sonst würd' ich gröber werden –
Kurz: Dieser Sägefisch und Stachelrochen
Ist borstiger als je. Ei, Haus und Garten,
Das war ihr nach acht Tagen schon zu schlecht!
Ein großes Schloß von Stein verlangt' sie – ja?
Je nun, mein Prinz, gutmütig, wie er ist,
Gab ihr das Schloß, ihm kommt's ja nicht drauf an,
Ein Schloß von Marmor, Gold und Elfenbein.
Dann wollt' sie Gräfin werden – und sie ward's.
Nun ißt sie Caviar, Schnepfen, Vogelnester,
Trinkt aus krystallnen Bechern Sekt mit Porter.
Kutschiert mit Vieren, schläft in seidnen Betten,
Geht auf die Jagd – haha! und kann nicht schießen!
Jagt die Bedienten, Knechte, Kammerzofen,
Daß sie vor Angst empor die Wände rennen,
Läßt sich frisieren, schminken, Locken brennen
Und zweimal tags mit Mandelcrème rasieren.

Ortrun. Und Vater?

Lutz.                       Wie? – Dein Vater? – Nun – na ja –
Dein Vater – dja – was soll dein Vater tun?
Er läßt's gescheh'n und geht zum Fischefangen.

Ortrun. Und Ubbe? Sag, wie geht es meinem Bruder,
Dem lieben, süßen Jungen?

Lutz (verlegen).                           Hm. – – Ganz gut, . . .
Ja ja, ganz gut . . . . Sein Vater ist ja da –

Ortrun. Und seine Mutter achtet seiner nicht!
O weh – und ist doch seine rechte Mutter!
Um meines Vaters, meines Bruders willen
Sprang ich herab; sie sollten Frieden haben,
Und nun war's doch umsonst. Nun laßt mich zieh'n,
Nun habt Barmherzigkeit und laßt mich ziehn!

Lutz. Ortrun! Wie grausam müssen wir dir scheinen –
Und milder ist kein Herz als meines Herrn!
O hab Geduld nur eine kurze Weile,
Und bald wohl löst sich alles herrlich auf.

Ortrun (ist verzagend auf einen Felsen niedergesunken).

Lutz (ihr eifrig zuredend). Ist's denn so schwer, in dieser Welt zu weilen?
O glaub mir, sie ist schöner, als du ahnst.
In Traurigkeit verhockst du deine Tage –
Willst du's, ich führe dich und zeige dir
Die rätselvolle Schönheit dieser Welt.
Ich zeige Höhlen dir, verhüllt der Eingang
Von ewig rieselnden Demantenschleiern,
Darin der Strom geheimnistiefer Fluten
Auf wundersam gestimmten Säulen orgelt.
Ich führe dich hinaus auf rote Wiesen,
Wo tausendfarbiges Gewimmel spielt,
Und zeig dir Pflanzen, wie bewegtes Leben
Beseelt, und zeig dir Blumen, die da wandern,
Und Tiere, die den stillen Pflanzenleib
Mit zarten Zweigen leis und langsam wiegen,
Nur von der grün durchglänzten Flut bewegt.
Und sahst du je die »Meerlaternen« schimmern?
Medusen sind's, sie sind aus Licht gebaut
Und schweben, Licht verströmend, auf und nieder.
Sahst du den Seestern Hymenaster glüh'n,
Sahst du Brisinga, Freyas Halsschmuck, leuchten,
Vom Grund herauf Korallenwälder brennen,
Ja, sahst du, wie das Wasser Feuer wird?
O glaube mir, in diesem dunklen Reich
Wohnt überall geheimlebend'ges Licht;
Von Millionen Myriaden Sternen
Erglänzt die tiefste Flut, wenn du sie weckst;
Sieh, deinen Namen schreib ich an die Felswand
Mit diesem Finger (tut es) – schon beginnt's zu glühen,
Und deinen Namen ruft ein gastlich Licht! (Von den Felsen glüht Ortruns Name.)

Ortrun. O, gastlich nicht! O, euer Licht ist bang
Und scheu und stumm und schleicht wie ein Verbrechen,
Und es bezwingt dies große Grauen nicht.
Es spricht nicht laut wie meiner Lüfte Licht.
O meiner Sonne Licht, du singst wie Lerchen
Und fliegst wie Adler über blauen Höh'n!
Allüberallhin dringt dein Mutterauge,
Und alle Schrecken nimmst du leicht hinweg,
Und alles Bangen ziehst du sanft ans Herz!
Sahst du die Sonne nie? Gewißlich nicht!
Sonst wärst du vor Verlangen längst gestorben.
Wir Menschen, wisse, brauchen Sonnenlicht,
Und unsre Sehnsucht drängt zu ihm hinauf.
Drum liebt der Mensch nicht, was am Boden kriecht
Und was in dunkler Kluft und Höhle schleicht,
Doch eine wundersame Liebe zieht
Ihn zu des Vogels freier, froher Anmut,
Zu allem, was in leichten Lüften schwebt,
Das er beherrscht und das er tief beneidet.
Und weißt du, was ich glaube? Ach du lachst.

Lutz (der sein Gesicht in die Hand gedrückt hatte, ein Schluchzen unterdrückend).
Nein nein, ich lache nicht.

Ortrun (bemerkt Tränen in seinem Auge). Was ist denn das?
Ich glaube gar, du weinst!

Lutz (leugnet heftig).                 O nein, o nein!
Ich dachte nur – es fiel mir nur was ein
Aus längst vergangnen Tagen – sprich nur weiter!
Was glaubst du denn? Erzähl nur!

Ortrun (heimlich).                               Sieh, ich glaube,
Wie über Meer und Land, den dunklen Reichen,
Die dumpf und schwer in ihren Grenzen ruh'n,
Das lichte, leichte Meer der Luft sich dehnt,
So strömen jenseits auch des Luftbereiches
Noch immer freiere und hell're Meere,
Bis über Sonn' und Sterne weit hinaus.
Und weil's den Menschen von der Erde fort
Und stets empor und immer aufwärts drängt,
So mein ich, muß ihm wohl beschieden sein,
Von Reich zu Reich die Flügel einst zu heben,
Bis auch die letzte Last in Licht zerfließt!

Lutz. Du bist so klug wie schön, so fromm wie klug.
Wer lehrt' dich alles dies?

Ortrun.                                     Mein Vater fuhr,
Als er noch jung, zur See die langen Jahre,
Ach, wieviel Länder, wieviel Meere hat er
Gesehn! Wir saßen oft am stillen Strande
Und plauderten von Erde, Meer und Himmel.

Lutz. Sieh, hielte mich nicht meines Herrn Gebot,
Und hielte Treue mich nicht zehnmal fester –
Ich gäb dich frei –

Ortrun.                         Ach tu's!

Lutz.                                           Nein nein!

Ortrun.                                                         So laß
Mich einmal nur zurück zum Lande kehren,
Daß ich mein Brüderchen nur einmal sehe,
Ihm einmal die verweinten Augen küsse . . . .

Lutz (für sich). Den Bruder, hm.

Ortrun.                                         Was sagst du?

Lutz.                                                                     Nichts!

Ortrun.                                                                               Du zauderst . . .

Lutz. Nein nein, ich zaudre nicht. Es darf nicht sein.
Denn einmal aus des Meers Bereich entlassen,
Bist du für immer unsrer Macht entrückt . . .

Ortrun. Ich kehre ja zurück!

Lutz.                                     Wenn auf dem Rückweg
Zu uns du nicht vor Heimweh stirbst.

Ortrun (leise, zusammengesunken).               Das möchte
Wohl sein.

Lutz.                 Nein Herrin, besser ist's, du bleibst.
Dein milder Sinn wird sich zu uns gewöhnen –

(Man hört wieder des Fischers Stimme:)

        Mantje Mantje Timpe Tee . . . . . . e!
        Buttje Buttje in de See . . . . . . e!
        Mine Fru, de Ilsebill,
        Will nich so as ick wull wi . . . . . . ll!

Ortrun. Ich muß hinauf! Und darf ich nicht hinaus –
Dem Meeresspiegel nah, will ich versuchen,
Daß ich erhasche meines Vaters Anblick,
Und ach, vielleicht ist gar mein Bruder da!
Sein liebes, süßes Angesicht erspäh ich
Vielleicht und sehe, ob er viel geweint!

Lutz. Tu's nicht!

Ortrun.                 Ich muß! (Sie schüttelt ihr Röckchen, daß es sich ausbreitet und sie emporträgt.)

5. Szene.

Lutz. Irmeland.

Irmeland (kommt schnell von der andern Seite). Warum enteilt sie?

Lutz.                                                                                               Prinz!
Wenn wir nichts tun, ihr Herzchen zu ermuntern –
Ich steh für nichts! Drum höre meinen Rat!
Ihr Vater ruft nach dir –

Irmeland.                               Ich hört' es wohl.

Lutz. Die hochgeborne Fischersgattin, diese
Stranddistel, scheint's, hat frischen Appetit,
Und Gott im Himmel segne sie dafür.
Denn Ortrun nämlich, unser Hoffnungsstern,
Sie, unsre Seele, unser Abendtraum
Und Morgenlicht –

Irmeland.                       Ich bitt dich, komm zur Sache!

Lutz. Das arme Kind verblutet schier vor Sehnsucht
Nach seinem Brüderchen! Nun fordre du,
Wenn wieder sich mit einem neuen Wunsche
Der Fischer naht, das Söhnlein zum Entgelt!

Irmeland. Das Söhnlein? Bist du toll? Das tut er nicht!

Lutz. Er nicht, das weiß ich wohl. Sie aber tut's,
Die süße Ilsebill.

Irmeland.                     Ihr eignes Kind?
Ein Weib?

Lutz.               Sie ist kein Weib. Denn Herrschsucht macht
Den Mann zum Tiger, doch das Weib zum Teufel.

Irmeland. Ich mag's nicht fordern.

Lutz.                                               Nun, so stirbt uns Ortrun
In wenig Tagen unter'n Händen weg.

Irmeland. Das darf nicht sein, o Gott, das darf nicht sein,
Dann löst sich nie des Feindes Zauberfluch
Von unserm Haupt – denn nie, das fühl ich hier
Wie eines Gottes Mahnung, niemals finden
Wir eine Seele groß und rein wie sie.

Lutz. So tu's.

Irmeland.       Wohlan, ich tu's!

Stimme des Fischers (verhallend). Mantje, Mantje, Timpe Tee . . . . . e . . . ..

Irmeland.                                     Du siehst mich bald. (ab)

Lutz (allein, heimlich). Das will ich meinen, denn ich folge dir.
Laß ich mit deinem Herzen dich allein,
So drückt das Herz dir bald die Kehle zu;
Denn stärker ist dein weiches Herz als du! (Schnell ab.)

6. Szene.

Ortrun und Ole Bulemann (dieser von greulichem Ansehen eines Seeteufels) kommen von der andern Seite.

Ortrun. (Flüchtend vor Ole Bulemann, doch nicht übertrieben ängstlich):
Was willst du denn von mir – ich trau dir nicht!

Ole Bulemann. Da tust du unrecht, allerliebstes Mädchen.
Ich mein es gut mit dir, ich bin dein Freund!

Ortrun. Nun, einen Freund denk ich mir freilich anders!

Ole Bulemann. Für den beschränkten Schönheitssinn der Menschen
Bin ich nicht allzu schön, das geb ich zu.
Doch weiß ich was!

Ortrun.                           Was weißt du denn?

Ole Bulemann.                                                 Ich weiß,
Daß du wie toll dich härmst nach deiner Heimat
Und daß dich dieser Dummkopf, dieser Narr,
Der Schuft –

Ortrun.                 O je, o je!

Ole Bulemann.                       – gefangen hält.
Ich weiß, wenn du ihm seinen Namen nennst,
So bist du frei!

Ortrun (eifrig).         Und du – du weißt den Namen?

Ole Bulemann. Wohl weiß ich ihn, doch darf ich ihn nicht sagen,
Auch hilft's dir nichts – er selbst muß ihn verraten.

Ortrun. Er selbst? O wehe mir!

Ole Bulemann.                           Hör doch nur zu!
Der Einfaltspinsel leidet, mußt du wissen,
An einer närrischen Krankheit: er muß singen!
Was recht vom Grund ihn freut und was ihn schmerzt,
Das kann er schweigend nicht in sich vergraben,
Das muß heraus, sonst sprengt es ihm das Herz,
Er muß es singen, und er singt es heimlich!
Nun merke: tausend Schritt von hier, nicht ferne
Von Rungholt, der verfluchten Stadt, am Rande
Der Seegraswiese steigt ein Riff empor,
Das übers Meer hinaus die Stirn erhebt.
Auf diesen Felsen sitzt er einsam oft
In weißer Mondnacht, und zum Spiel der Harfe
Entlädt er singend das gerührte Herz.
Leicht, daß er seinen Namen so verrät,
Denn oft schon rief er klagend ihn hinaus,
Und fern ist jede kluge Vorsicht ihm,
Wenn dieser Wahnsinn ihn beim Wirbel packt.

Ortrun (nachdem sie ihn eine Weile sinnend angeblickt hat):
Du hassest ihn wohl sehr.

Ole Bulemann.                         Ich? Hassen? Ihn?
Oho, oho, hm hm, o nein – Ich sage
Dir das aus Liebe nur zu dir!

Ortrun (mit komischem Schreck).     Ei weh! –
Da müßtest du doch wünschen, daß ich bliebe
Und niemals wieder heimgelangte!

Ole Bulemann.                                       Ooooh!
Wie häßlich stünd mir solche Selbstsucht an!
Dein Glück geht über alles mir!

Ortrun.                                             Ach so!
Nun tausend Dank. Ich glaub, da kommt der Prinz!

Ole Bulemann. So geh ich schnell, daß er Verdacht nicht schöpft.
Folg meinem Rat! Du wirst es nicht bereu'n! (Er verschwindet mit großer Plötzlichkeit.)

Ortrun (allein). Wenn's wahr nun wäre –? Wenn es wirklich wahr –
Zwar: käme Gutes wohl von solchem Bösen?
Ei nun: es kommt ja Böses auch von Guten!
Und kann es schaden, wenn ich diese Nacht
Den Prinzen und sein heimlich Tun belausche?
Ich will's! Ich will's! Zwar horchen ist wohl Sünde –
Verzeih mir's Gott: so muß ich Sünde tun!
Ich will mein Herz so hart wie Felsen machen,
Daß sein Gesang nicht wieder mich verlockt.
Und hör' ich seinen Namen – Gott, mein Gott!
Wenn ich's nur denke, blendet mich ein Licht
Wie Sonne, die durch Regenwände bricht –
Vielleicht schon morgen werd' ich droben sein –
Ich komm', ich komme, süßes Brüderlein!

 
(Vorhang.)


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