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Warren fand seinen Weg ohne fremde Hilfe zur realen Welt zurück. Als er seiner Sinne wieder Meister wurde, fühlte er sich am Boden liegen, den Kopf dicht neben einem dunklen und muffigen Gegenstand. Benommen von der Finsternis um ihn her, versuchte er sich zu erheben. Er streckte die Hand aus und faßte einen feuchtkalten Besen, fuhr auf, schwankte und griff nach irgendeiner Stütze. Es war der Metallrahmen eines Ausgusses aus Porzellan.
Warren fand ein Streichholz und zündete es vorsichtig an. Er befand sich in einer Besenkammer. Die Tür war verschlossen. Wie er hier hineingekommen war, wußte er nicht. Der Kopf hämmerte ihm. Er griff mit der Hand danach. Seine Finger klebten. Seine Wunde blutete also noch. Im gleichen Augenblick kam ihm die Erinnerung wieder. Er sah sich mit den Verbrechern wieder im Ringkampf in dem dunklen Flur. Er drehte den Wasserhahn auf und kühlte sich den Kopf. Dann sah er nach der Uhr.
Er war ungefähr eine Stunde »weg« gewesen. In aller Hast trocknete er sich Gesicht und Hände mit seinem Taschentuch, trank ein paar Schluck Wasser, setzte sich den Hut auf und öffnete mit aller Vorsicht die Kammertür.
Er befand sich in dem hinteren Teil des Etagenflurs. Die Marmorstufen und die Biegung der Treppe riefen halb und halb die Erinnerung an einen Fall in ihm wach. Aber das hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Er hatte zwar Beulen und war wund geschlagen; aber wenn etwas von Bedeutung für ihn war, so war es einzig und allein die Tatsache, daß es ihm mißlungen war, auch nur einen von den Kerlen zu packen, die Edith Winthrops Safe ausgeraubt hatten. Er sah sich auf dem Flur um. Kein Zweifel, er befand sich auf dem zweiten Stockwerk des Hauses, also eine Etage unter dem Tatort. Er wollte gerade die Treppe emporsteigen, als er von unten her die Stimmen von Harry Gregory und Edith Winthrop vernahm. Er kroch ganz vorsichtig zu der Treppenbiegung zurück und hielt Ausschau. In diesem Augenblick sah er, wie sich eine Tür auftat und ein Mann im Schlafrock, Pyjama und in Hausschuhen erschien.
Die Silhouette dieses Mannes zeichnete sich ziemlich scharf gegen die Flurfenster ab. Einzelheiten seines Gesichts konnte Warren in dem Zwielicht nicht erkennen; aber er war sich nicht eine Sekunde im Zweifel, daß diese Gestalt der »Salpeter-Ede« war, es sei denn, daß ihm sein zerschlagener Schädel einen Streich spielte.
Warren stand unbeweglich und horchte in den Flur hinaus. Genau so stand der Mann im Pyjama. Die ersten matten Streifen der Morgendämmerung flogen über den mächtigen Himmel. Die Umrisse der gebeugten und doch schlanken Gestalt traten noch ein wenig mehr aus dem Dunkel.
Die Unterhaltung unten war für die beiden Lauscher gleich deutlich verständlich.
»Selbstverständlich, Verehrtester,« sagte Harry Gregory, »das haben Sie ja schon gesagt. Wenn Kommissar Raynor auch Anweisung gegeben hat, daß niemand hier herein darf, er kann doch der Dame nicht verbieten, in ihre eigene Wohnung zu gehen. Sie wohnt im dritten Stock. Kommissar Raynor kann doch nur Fremde gemeint haben und nicht Leute, die hier wohnen.«
»W–w–er ist denn überhaupt dieser Mensch, wer ist denn das?« Mrs. Winthrops Stimme klang schwer geladen, aber nicht mit Zorn. »Da–as ist m–meine W–Wohnung. Ich w–will in meine Wohnung. Wozu habe ich denn m–meine Wohnung, was? Bez–zahlt dieser Mensch meine M–m–miete o–oder ich? L–los, Harry!«
»Einen Augenblick, Edith. Wir müssen dem Beamten folgen. Er wird dir schon die Erlaubnis besorgen, in deine Wohnung zu gehen. Die Polizei kann es manchmal nicht anders machen.«
»Ich kann es wirklich nicht ändern«, erklärte der Schutzmann, der den Eingang zu bewachen hatte. »Es ist nämlich hier ein Einbruch gewesen. Schutzleute erschossen und zwei Einbrecher tot.«
»Ein Einbruch?« Gregorys Überraschung war bewundernswert gemacht.
»Im dritten Stock. Bei Mrs. Winthrop. Einer von den Kerlen ist entwischt.«
»Herr, du lieber Gott! Die Dame hier ist Mrs. Winthrop. Mein Name ist – bitte, hier ist meine Karte. Wir kommen gerade vom Abendessen nach Hause. Sie sind wohl so liebenswürdig und rufen Kommissar Raynor an, damit Mrs. Winthrop in ihre Wohnung kann. Sagen Sie ihm, daß es, Gott, daß es für die Dame doch höchst unangenehm ist, irgendwo anders die Nacht zu verbringen. Sie verstehen doch?«
»Gewiß. Und schönen Dank auch.« Warren konnte zwar den Dollarschein nicht sehen, den Gregory dem Schutzmann reichte, aber er wußte Bescheid. Diese Sache war wieder typisch für Gregory.
Als Warren sich wieder dem Flur zuwandte, sah er den »Salpeter-Ede« gerade wieder in seiner Wohnung verschwinden. Er schloß die Tür ohne den geringsten Laut. Die Angeln waren gut geölt, und der alte erfahrene Geldschrankknacker verstand es, das Schloß so sanft zu drehen und zu schließen, als wenn es sich um die kunstvollste Arbeit der Feinmechanik gehandelt hätte.
»Wenn ich mir die Geschichte überlege,« sagte Gregory mit einschmeichelnder Liebenswürdigkeit, »ist es denn überhaupt notwendig, daß Sie Kommissar Raynor erst lange behelligen? Führen Sie doch die Dame in ihre Wohnung. Ich wäre Ihnen wirklich außerordentlich verbunden, und sie ganz gewiß auch. Ich werde hier inzwischen warten.«
»Du bist m–m–ein Freund, Harry. D–du mußt mit. Was geht mich d–der Kommiss–aar an«, erklärte die Witwe weinerlich. »Ei–ein Sch–schutzmann, w–wie alle andern. Audrey ist m–m–mit ihrem Sch–schutzmann l–los. W–warum s–soll ich nicht auch?«
»Du mußt nicht so von der Polizei reden, Edith. Sie tut ihr Bestes.«
»H–hat man bei mir ei–eingebrochen?«
»Das ist es ja eben.« Gregory wandte sich wieder an den Mann in Uniform. »Was ist denn gestohlen worden?«
»Ich weiß bloß, daß der Safe aufgebrochen ist.«
»Hast du gehört, Edith? Dein Safe ist ausgeraubt worden. Die Polizei ist hinter den Verbrechern her«, erklärte Gregory besänftigend. »Nun sei lieb, mein Kind, sei lieb und geh mit dem Herrn in deine Wohnung hinauf. Er kann ja nachher mit Kommissar Raynor telephonieren.«
»Wenn ich d–dein liebes Kind bin,« sagte sie protestierend, »d–dann soll die Po–olizei mich dich, mich dir, dich m–mir nicht auch noch w–wegnehmen. D–du bist doch mein L–liebling, nicht w–wahr?«
»Aber natürlich«, sagte Gregory und machte dem Polizisten ein Zeichen. »Ich rufe nachher bei dir an. Jetzt muß ich nach Hause und ein bißchen schlafen. Und du auch. Reg' dich nicht auf wegen der Einbruchsgeschichte. Die Polizei wird sie schon in Ordnung bringen. Auf Wiedersehen.«
Warren konnte von seinem Posten aus jedes Wort hören. Jetzt wollte er gern wissen, was Gregory wohl weiter tun würde. Auf Zehenspitzen schlich er sich also die Treppe zum ersten Stock, der in Wirklichkeit das Erdgeschoß war, hinab. Er vermied auch das leiseste Geräusch und duckte sich in einen marmorgetäfelten Winkel. Die verworrenen Fäden des Verbrechens, das zu lösen er sich zur Aufgabe gemacht hatte, schienen sich zu entknoten. Die rückwärtige Tür von »Salpeter-Edes« Wohnung öffnete sich zu Warrens Häupten, gerade als Gregory im Schlendergang sein Versteck passierte.
Warren sah Murdocks Kompagnon sich eine Zigarette anstecken. Der wahre Grund, weswegen er Edith Winthrop mit dem Schutzmann in ihre Wohnung hinaufgeschickt hatte, dämmerte ihm auf. Vermutlich wollte Gregory die Treppe hinaufgehen, die Beute in Empfang nehmen und dann verschwinden.
Warren fragte sich, ob er wohl von Gregory unbemerkt bleiben würde. Er zweifelte stark daran. Aber Gregory zögerte, und was er auch im Sinne gehabt haben mochte, er kam nicht mehr zur Ausführung seiner Gedanken. Von der Haustür her rief eine strenge Stimme:
»He! Wer sind Sie, und was haben Sie hier zu suchen?«
Es war also ein neuer Polizeibeamter dazwischengeplatzt. Warren hatte das verzweifelte Gefühl, daß er kurz vor dem endgültigen Sieg geschlagen worden war. Aber er verhielt sich still, während Gregory mit großer Zungenfertigkeit dem Beamten erklärte, wie er hierher gekommen sei, und daß er nur auf den anderen Schutzmann wartete, der Mrs. Winthrop in ihre Wohnung begleitet hätte. Das genügte. Im gleichen Augenblick erschien denn auch bereits der Polizist im Fahrstuhl, und Gregory bot den beiden Beamten ein höfliches »Gute Nacht!«
Die Tür oben hatte sich wieder geschlossen. Warren war im Nu unten in der Halle des Hauses. Er wies dem Polizisten sein Legitimationsschild. Dann wandte er sich zu dem Fahrstuhlführer und musterte ihn mit einem langen, durchdringenden Blick. Der Bursche wurde kreidebleich. Warren riß ihn aus dem Fahrstuhl, ließ sich von dem anderen Polizeimann die Handschellen geben und gab Anweisung, den Kerl in den Keller zu sperren.
»Lassen Sie zwei Mann die Feuertreppe im Hof und die Fenster der Wohnung im zweiten Stock beobachten«, flüsterte er. »Dann kommen Sie mit zwei weiteren Leuten zu mir hinauf in den zweiten Stock.«
Im Nu war sein Befehl erfüllt. Warren postierte den einen Polizisten an der hinteren Tür von »Salpeter-Edes« Wohnung, begab sich zu der Haupttür zurück und befahl:
»Die Tür einschlagen! Mir den Rücken decken! Ich muß hinein!«
Die Polizisten warfen sich mit aller Gewalt gegen die Tür. Sie flog aus den Angeln. Warren war mit einem Satze in der Wohnung. Die anderen folgten. Der »Salpeter-Ede« lag in seinem Bett und tat, als ob er fest schliefe. Er wurde mit Handschellen gefesselt und aus seiner Wohnung entfernt.
»Liefern Sie den Fahrstuhlführer ab wegen versuchten Totschlags«, wandte sich Warren an den Polizisten, »und wegen verbrecherischen Eindringens in eine Wohnung, verbunden mit beabsichtigtem Einbruch, und den ›Salpeter-Ede‹ wegen Einbruch, Raub und Totschlag. Spätestens um 9 Uhr erwarte ich Sie mit den Verbrechern in der Hauptpolizei. Ich werde selber dort sein. Ist Kommissar Raynor in der 86. Straße?«
»Nein. Kommissar Roxey hat ihn zur Hauptpolizei beordert, nachdem wir die beiden anderen Vögel gefaßt hatten.« Im Anschluß an diese Worte erfuhr Warren, was sich ereignet hatte.
Er begab sich zurück in die Wohnung des »Salpeter-Ede« und unterwarf sie einer gründlichen Durchsuchung. Aber es fand sich keine Spur von den Juwelen. Warren war verstimmt, aber durchaus nicht entmutigt. Es gibt im Polizeiberuf seltsame Situationen, und es bedarf mitunter noch viel seltsamerer Mittel, um gestohlenes Eigentum wieder zur Stelle zu schaffen. Warren studierte mit mikroskopischer Genauigkeit jede Kleinigkeit in der Wohnung. Darauf telephonierte er an Kommissar Roxey. Es war sein Anruf, der Audreys Verhör für ein Weilchen unterbrochen hatte.