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5. Gutes Deutsch

Gutes Deutsch in welscher Sprache ist ein vollkommner Widerspruch, gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren. Gewisse Welscher, die kaum einen Satz ohne Welsch hinschreiben, nur wie durch Zufall einen wichtigen Begriff durch ein deutsches Wort ausdrücken, gehören nicht zum deutschen Schriftwesen, gehören auch zu keinem andern, führen ein Schreibereintagsleben nur für Welschdeutschland und versinken unfehlbar in die große Vergessenheit, die alles Unwahre und Naturwidrige verschlingt. Reines Deutsch – ohne Peinlichkeit und Schrullen, aber mit Strenge gegen jedes überflüssige, jedes schwammige, jedes dünkelhafte Fremdwort, ist die Grundbedingung alles Schreibens, das auf Dauer berechnet ist. Doch mit der selbstverständlichen Reinheit der Sprache ist der Begriff Gutes Deutsch nicht erschöpft; richtiges Deutsch und klarer Stil müssen hinzukommen, wenn wir mit der deutschen Prosa auf die Höhe gelangen wollen, die sich für jeden achtbaren Schreiber der andern großen Bildungsvölker von selbst versteht.

Richtiges Deutsch wird auf allen unsern Schulen gelehrt, aber nicht von allen Schülern so gelernt, wie unbedingt von einem Volke mit Achtung und Liebe für seine Muttersprache zu verlangen ist. Daß die Welscherei in Deutschland, mit ihrer unvermeidlichen Folge: der Abstumpfung des deutschen Sprachgefühls, die Hauptschuld an der schlampigen Behandlung deutscher Sprache und deutschen Stiles trägt, ist nicht zu bezweifeln. Man kann hierfür sogar den greifbaren Beweis führen: die ärgsten Mißhandler der deutschen Sprachlehre, von der Beugung der Haupt- und Zeitwörter bis zum Bau des einfachen Satzes, sind dieselben Schreiber, die grundsätzlich das Welschwort dem deutschen vorziehen. Der Leser achte darauf, ob seine Zeitung über den in Deutschland üblichen Durchschnitt hinaus welscht: wenn ja, so wird sie zugleich so ziemlich alle grobe Sprach- und Satzfehler begehen, vor denen auf den folgenden Seiten gewarnt wird.

Dringend empfehle ich jedem Schreiber, selbst wenn er nichts drucken läßt, sich eins der mancherlei nützlichen Sprachhilfsbücher anzuschaffen, durch die er befestigen kann, was er in der Schule gelernt, und hinzulernen, was er gar nicht oder nur mangelhaft gelernt hat. Es gibt sehr wenige deutsche Schreiber, bis hinauf zu den berühmtesten, die aus einem guten Leitfaden für richtiges Deutsch nichts mehr lernen können. Albert Heintzes ›Gut Deutsch‹ und Theodor Matthias' ›Sprachleben und Sprachschäden‹ gehören zu den Hilfsmitteln, die jeder deutsche Schreiber ohne Ausnahme gut tut allermindestens einmal langsam durchzublättern. Vor Wustmanns ›Sprachdummheiten‹ warne ich jeden Leser, der nicht die Freude an der deutschen Sprache und alle Sicherheit im Schreiben verlieren will. Das Gute jenes Buches steht in jedem brauchbaren und bescheidenen Hilfsbuch; vieles andre ist nur anmaßende Schulmeisterei; das Ganze vorgetragen im Ton der Unfehlbarkeit und maßlosen Überhebung eines Schreibers, der selbst keine einzige wertvolle Leistung hinter sich hatte.

Was es alles, trotz löblichem deutschem Sprachunterricht in Volks- und höheren Schulen, für den richtigen Gebrauch des Deutschen bei uns zu lernen gibt, wie brüchig selbst die einfachsten Grundlagen der Sprachlehre sind, dafür drei Beispielchen. Eine der größten deutschen Zeitungen überschreibt einen Aufsatz: Mit Weihnachtskisten des ›Berliner Tageblatt‹ nach Serbien. Der Schreiber ist einer unsrer großartigen Welscher in sechs Sprachen; aber er weiß nicht, daß der zweite Fall von Tageblatt unter allen Umständen Tageblatts heißt und daß noch so viele Anführungsstriche an dieser Grundregel einer Vorschulklasse nichts ändern. Es heißt nicht: in ›Die Bürgschaft‹ von Schiller, sondern: in Schillers Bürgschaft, oder: in der Bürgschaft von Schiller; auch nicht: aus ›Der Kaufmann von Venedig‹, sondern: aus dem ... – Sprache, auch geschriebene, ist fürs Ohr und daneben fürs Auge, nicht ausschließlich für Papier und Auge.

Das größte Berliner Warenhaus bittet seine Käufer, ›wegen Mangel an Bindfaden die Pakete uneingeschnürt mitzunehmen‹. Der große Herr im Zentralbureau oder der dirigierende Rayonchef, der dieses Plakat redigiert hat, erinnerte sich nicht, daß er einst in Quinta, oder war es in Sexta oder in der vorletzten Klasse der Volksschule?, gelernt hatte: nach wegen steht der zweite Fall, und der zweite Fall von Mangel heißt Mangels.

Gerhart Hauptmann, Deutschlands ›größter Dichter‹ – nach oder neben oder vor Goethe – schreibt unter anderm, ach unter vielem andern: ›Er nahm an Friedrichens Seite Platz.‹ Der zweite Fall von Friedrich heißt Friedrichs, hat niemals Friedrichens geheißen. Deutschlands größter Dichter weiß dies nicht; aber er weiß, wie Lesezimmer auf Englisch heißt (S. 56). – Er schreibt in Prosa: ›Als sänke sich von allen Seiten Finsternis.‹ Er weiß nicht, daß die Vergangenheit von senken ›senkte‹ heißt; aber er weiß, wie Erstes Zeichen zum Mittagessen auf Englisch, und er weiß, wie ein Musikstück im Berliner Französisch heißt.

 

Die deutsche Sprachlehre fordert: ich brauche zu tun; ich brauche das nicht tun ist falsch. Wenn ich dies oder andres falsch nenne, so treibe ich keine Sprachschulmeisterei, sondern erinnere den Leser nur an die Tatsache, daß jede Sprache unerschütterliche Gesetze kennt, die gröblich zu verletzen Unbildung genannt wird, allerdings nicht in Deutschland.

›Des Herrn Rechtsanwalts Schulze‹ schreibt der Deutsche, der sein Deutsch beherrscht; ›des Herrn Rechtsanwalt‹ beweist, daß der Schreiber sich hinsetzen und die deutsche Hauptwortbeugung noch einmal erlernen sollte.

›Er wohnt in einer Mansarde, ein Raum von minimalen Dimensionen.‹ Man kann dergleichen in mehr als einer Zeitung lesen, aber sicher sein, daß der Schreiber ein ungebildeter Mensch ist, wenngleich er meisterlich welscht.

Schriebe eine Töchterschülerin oder Lyzeistin: Je suis plus grand comme lui, so würde sie nicht versetzt und gälte als beklagenswert unwissend in den Anfangsgründen höherer deutscher und formaler Bildung, wozu bekanntlich unbedingt Französisch gehört. Schreibt sie, was nicht nur in Töchterschulen, sondern in mehr als einem wissenschaftlichen Buch, in den meisten Zeitungen, in vielen schwungvollen Reichstagsreden vorkommt: Ich bin größer wie er, so führt das in Deutschland zu gar keinen üblen Folgen, denn es ist nur ein grober deutscher Sprachfehler. Es muß heißen: so schwarz wie Tinte, aber: schwärzer als Tinte. Wenn Ranke schreibt: Mehr wie irgendeine andre Partei, so ist dies nur ein Beweis mehr für die sprachverderbende Wirkung der nachlässigen Welscherei: Ranke war leider einer der ärgsten Welscher, und sein gewichtiges Lebenswerk wird hieran ganz zugrunde gehen, wenn es nicht beizeiten durch eine Umarbeitung ins Deutsche gerettet wird. Von Ranke rührt das Wort voll reicher Erfahrung her: ›Es bleiben nur die schöngeschriebenen Geschichtswerke.‹ Rankes Werke sind welsch, also häßlich geschrieben.

Die persönlichen Fürwörter dritter Person heißen: Er Sie Es. Dies lernt jeder Deutsche mit 7 Jahren. Unzählige Deutsche schreiben trotzdem noch mit 30 Jahren nicht Er Sie Es, sondern Derselbe Dieselbe Dasselbe, z. B.: ›Herr S... hat über seine Reise Bericht erstattet, und ist derselbe soeben erschienen.‹ Diesen Satz habe ich nicht etwa erfunden, sondern gefunden, und zwar bei einem hochberühmten Welscher, der 1889 gegen den Deutschen Sprachverein energisch protestiert hatte.

In demselben Satze steht noch ein zweiter niedriger Fehler: nach und wenden nur sprachlich ungebildete Schreiber die Fragestellung des Satzes an. Der doppelt falsche Satz des großen Welschers müßte richtig heißen: ... und dieser, oder er, ist soeben erschienen.

Viele Schreiber, die sehr wohl wissen, daß das griechische ean oder ei (wenn) nur mit einer Möglichkeitsform, das französische si (wenn) nur in seltenen Ausnahmefällen mit solcher Form des Zeitwortes verbunden werden dürfen, wissen nicht, daß ein sprachgebildeter Deutscher sich schämen sollte, zu schreiben: Wenn ich wissen würde, statt: Wenn ich wüßte.

›Schiller siedelte nach Weimar über, um wenige Jahre darauf dort zu sterben.‹ Das ist Schillern natürlich gar nicht eingefallen; aber ich kenne mehr als einen Schreiber, der nicht merkt, welchen Unsinn er durch solchen grundfalschen Gebrauch des um zu begeht; dieses ist, wie der Leser sich selbst sagen kann, nur für eine absichtsvolle Handlung möglich. Mir ist kein neuzeitliches Beispiel dieser lächerlichen Schludrigkeit bei andern als welschenden Schreibern vorgekommen.

Die deutsche Sprache, wie übrigens alle ihr verwandten, kennt nur die richtige Ausdrucksweise: ›Die Darstellung war gut‹; falsche Reckung ist: ›...  eine gute‹.

Erster und Letzter genügen nicht nur, sondern sind die allein vernünftigen und richtigen Formen. Statt letzt steht sehr oft besser: dies. Ein Welscher schrieb: ›Bismarck begann, sich dem Zentrum zu nähern; dieses letztere ...‹ Der Leser begreift, welch Gestümper dies (nicht ›dies letztere‹!) ist.

›Das Wetter dieses Sommers war selten schön‹, ›Die Zigarren des Bremer Hauses sind selten gut.‹ Wie waren nun Wetter und Zigarren: meist unschön und meist schlecht, oder schön und gut wie nur selten? ›Selten‹ bedeutet nur: nicht oft; aber nicht: wie es selten der Fall ist. Man hüte sich vor einem ›selten zuverlässigen Wörterbuch‹, sondern kaufe sich ein ›in seltenem Grade zuverlässiges‹.

Es wäre an der Zeit, daß aus Deutschland verschwänden: Die reitende Artilleriekaserne, der wollene Strumpfwarenwirker, der ausgestopfte Tierhändler, der umgehackte Nußbaumbesitzer; aber sie kommen immer noch vor.

Her und hin, herauf und hinauf, heraus und hinaus werden in Nord- und Mitteldeutschland, aber fast nie in Süddeutschland und Österreich, als Wörter betrachtet, die man beliebig miteinander vertauschen dürfe. Man kann niemand aus einem Zimmer herauswerfen: her heißt heran zum Sprechenden, hin heißt irgendwo anders hin. Her und hin unterscheiden sich ähnlich wie dieser und jener. In Süddeutschland sagt man: ›naus mit dir!‹, in Norddeutschland ›raus ...!‹ Gut ist dies nicht, aber es muß als geltende Form nachsichtig beurteilt werden.

Wustmann und seine Anhänger betrachten welcher (statt: der) im bezüglichen Nebensatz (›Der Mann, welchen ich gesehen habe‹, statt ›... den ich ...‹) fast wie ein Schwerverbrechen, fordern sogar unbedingt: ›Die, die die Gesetze übertreten‹, und das alles nur aus herrischer Willkür. Zuzugeben ist, daß in der Regel der genügt und als kürzer und flüssiger dem ›welcher‹ vorzuziehen ist. In manchen Fällen jedoch bietet sich welcher grade des Wohlklangs wegen und zur Erleichterung sofortigen Verständnisses bequem dar. – Ganz allgemein: solange das Deutsche an der tödlichen Welschkrankheit leidet, darf jeder Verstoß gegen ein deutsches Sprachgesetz milder beurteilt werden. Es gibt nur eine Todsünde im Deutschen: das Undeutsche.

Ein trauriger Welscher schreibt: ›Zwischen Goethes heiterer Objektivität im Aufnehmen und Produzieren und zwischen Schillers leidenschaftlicher Subjektivität in beiden ...‹ und beweist wieder, daß bestes Welsch leichter ist als mittelmäßiges Deutsch: jenes kann man gedankenlos mittels der bekannten Gummistempel anfertigen; bei diesem muß man ein wenig nachdenken: zwischen steht nur einmal.

Laß dich in all diesen Fragen nicht beirren durch den Nachweis einer einsamen Stelle, wo Lessing oder Goethe oder Schiller versehentlich oder aus der Schreibweise ihres Zeitalters heraus einmal ähnliches geschrieben haben mögen. Der Sprachgebrauch ändert sich: wir dürfen nicht mehr in jedem Falle schreiben wie Luther oder Goethe; und nicht die Versehen unsrer Meister, sondern ihre Tugenden sollen unsre Vorbilder sein.

All dies ist nicht Sprachschulmeisterei, sondern nur heilsames Gesetz, ›und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben‹ (Goethe); Gesetzlosigkeit führt zum Sprachgeschlamp, dessen schauderhafte Entfaltung wir in der gesetzlosen Welscherei wüten sehen. Jeder Schreiber werde sein eigner strenger Schulmeister, denn Deutschschreiben ist oder sollte in jedem, auch dem einfachsten, Falle sein: Ausübung einer Kunst. Der Künstler wählt; der Welscher braucht nicht zu wählen, denn seine welschen Formeln liegen ihm wahllos zu Händen: es ist gleichgültig, ob er Moment, Element, Faktor, Koeffizient schreibt; ob er die Gummistempel sekkieren, molestieren, kujonieren, malträtieren, schikanieren in die Satzlücke drückt; ob er halb im Schlaf interessieren, funktionieren, arrangieren, organisieren hinschmiert.

Der deutsche Schreiber hat es weniger bequem: er muß sorgsam wägen und wählen und wagen; er darf, wenn er ein der deutschen Sprache würdiges Schriftstück zustande bringen will, sich nicht begnügen mit den abgegriffensten Wortstempeln, und er braucht es nicht; denn der echte Reichtum seiner reinen Sprache ist unendlich größer als die Scheinfülle der welschen Schmutzerei. Man meide abgedroschene Schlag- und Modewörter! Man erkennt sie ohne weiteres daran, daß jeder Sprachstümper sie mit Vorliebe gebraucht. Man schreibe nie: voll und ganz, denn dies sprechen und schreiben nur noch die gedankenärmsten Redner in Volksversammlungen und Volksvertretungen. ›Voll und ganz‹ macht ein großes Getöse, aber es ist nur das Dröhnen eines hohlen Bierfasses. Es steht auf der Höhe von energisch protestieren und vitalsten Interessen.

Alle Welt sagt seit zehn Jahren › ausgeschlossen‹ statt ›nein‹, wie alle Welt › kolossal ‹ sagt statt ›sehr‹. Was alle Welt gedankenlos nachspricht, vermeidet der sorgsame Schreiber eben darum. Wer durchaus auf der Höhe der Sprachmode stehen will, der schreibt: ausgeschlossen und kolossal, schneidig und tadellos (mit dem Ton auf der letzten Silbe!); aber Sprachmoden wie alle Moden versinken schnell, sie vermoden und vermodern, und was wird dann aus dem einst modischen Glanzwort, dem › Brillanten‹ Schmocks? Natürlich können deutsche Modewörter nie ganz so lächerlich werden wie welsche, wie z. B. Milieu, subjektiv und objektiv, Individualität und Synthese, denn jene bleiben an sich gute Wörter einer natürlichen Menschensprache; die welschen versinken für immer oder sie verwesen, und ihr Geruch ist dann nicht fein, wie wir an Goethes Particulier, prostituieren, turlupinieren gespürt haben.

Nichts Ab- und Ausgedroschenes; aber ebensowenig etwas Gesuchtes zum Erhaschen des Beifalls der Urteilslosen. Ein Schreiber, der statt ›König von Italien‹ sagt: ›Savoyerherrscher‹, statt ›Fürst Bismarck‹: ›der Kniephofer‹, statt ›Königin Luise‹: ›die Mirower Ahnfrau‹, statt ›Gerüchte täuschen‹: ›Schälle täuben‹, ist ein Schlangenmensch des Gedankens, ein Hanswurst der Sprache, ein Gesichterschneider des Stils, kann es aber mit solchen Affentheaterkünsten zum beneideten Ruhme von ›Deutschlands größtem Stilisten‹ bringen.

Willst du durchaus bildern – aber wer zwingt dich dazu? –, so bleibe ›im Bilde‹! Bilder, wie: ›Der Zahn der Zeit, der schon so viele Tränen getrocknet, wird auch über diesen Schmerz Gras wachsen lassen‹, – ›Die Universitäten sind wie die rohen Eier: tritt man ihnen zu nahe, so stellen sie sich auf die Hinterbeine und wehren sich‹, – ›Dies ist des Pudels Kern, der sich als roter Faden durch die stachlige Frage zieht‹ sind als Bilder, etwa des futuristischen Expressionismus, nicht übel, als Gedankenausdruck mehr verrückt als verständlich. Versuche nicht, den Strom der Geschichte an der Stirnlocke zu fassen, laß keinen Schwerpunkt in etwas gipfeln, lege keine warme Lanze für etwas ein und laß auch den Ärmsten nicht mit einem Fuß am Rande des Grabes stehen, mit dem andern am Hungertuche nagen.

Schreibe deinen Stil, nicht den eines noch so berühmten Andern. Alles Schreiben hat nur Zweck und Wert, wenn es Ausdruck einer Persönlichkeit ist. Reichen deine Schreiberkünste nicht hin zur Aufführung großartig verschlungener Satzbauten, so baue kurze Sätze und baue sie um so fester, klarer, schöner. Der Punkt ist das nützlichste, das wichtigste Satzzeichen: spare nicht damit! Die Gedankenreihe läuft nicht in endlos grader Linie zum Ziel, sondern in Biegungen oder ganz verschiedenen Richtungen. Mache Absätze, oft Absätze, wenn deine Gedanken oft absetzend die Richtung wechseln.

Baue deine Sätze nicht gleich gewissen Elfenbeinschnitzereien der Chinesen: Kügelchen in Küglein in Kugel. Unterbrich den Hauptsatz deines Hauptgedankens nicht durch Seitensprünge, Einschachtelungen, allzu viele Nebensätze und Nebennebensätze. Gib jedem wertvollen Gedanken sein selbständiges Recht und schmuggle ihn nicht als Füllsel und Stopfsel in einen andern ein.

Schreibe Leben, nicht Papier. Schreiben ist sichtbares Abbild des Sprechens, nicht ein nebelhaftes Ding für sich. Ein Satz, wie ihn der Gebildetste und Schreibgewandteste niemals sprechen würde noch könnte, ist nur beschriebenes Papier, nicht Menschensprache. Je ähnlicher das Geschriebene dem Gesprochenen eines gebildeten Mannes klingt, desto lebensvoller, verständlicher und wirksamer. Nur Lebendiges bleibt am Leben; totes Papier gewinnt niemals volles Leben.

Glaube nicht, daß Breite Kraft bedeutet, daß Doppelt oder Dreifach in der Sprache mehr ist als Einfach; sie sind weniger, sie schwächen ab statt zu verstärken. ›Getret'ner Quark wird breit, nicht stark‹, heißt es bei Goethe. Nur ein wichtigtuerischer Schreiber hält ›in Erfahrung bringen‹ für schöner, für bedeutsamer als ›erfahren‹, ›Mitteilung machen‹ als ›mitteilen‹, ›zum Zweck der ...‹ als ›zur‹. Dies ist der Gummistil, wie die Welscherei der Gummistempelstil.

Meide weder ängstlich das derbe, aber in guter Gesellschaft nicht anstößige Kraftwort, wo es deutlicher ist als das blasse papierne, noch scheue dich schamhaft vor einem treffenden Worte der Mundart (vgl. S. 153). Aber nicht jede Wendung einer Landschaft ist angemessen: ›man‹ statt ›nur‹ ist zu nachlässig, ›mang‹ statt ›darin‹ oder ›zwischen‹ zu hemdsärmlig, nach Dresden ›machen‹ gar zu ausschließlich bliemchensächsisch. Gemeiner als z. B. das welsche funktionieren für all und jede Wirktätigkeit ist es nicht; aber der Freund des Deutschen hütet sich vor gemeinem Deutsch. Für den richtigen Welscher gibt es überhaupt kein zu gemeines Welsch: funktionieren wird von keinem Welscher verschmäht.

Österreichische Leser werden es mir nicht verargen, wenn ich ihnen sage: auch ihre Mundart ist vollberechtigt, ja sie hat viele feine Reize; aber nicht gute Mundart, sondern schlechte Schreibgewohnheit ist: vergessen auf etwas (statt: etwas vergessen), über Antrag (statt: auf Antrag), nur mehr (statt: nur noch), beiläufig (statt: ungefähr).

Du hast gehört, daß man sich in Deutschland heftig gestritten hat und noch streitet über die beste Schrift- und Druckform fürs Deutsche: lateinische oder deutsche – auf Welsch: Antiqua oder Fraktur. Vielleicht möchtest du meine Ansicht über diese Frage kennen; hier ist sie: Die Frage der Schriftform ist überflüssig, ja lächerlich, so lange die Sprachform des allermeisten Gedruckten welsch ist. Man verschiebe die Entscheidung über Antiqua oder Fraktur bis zu dem Tage, hoffentlich nicht Nimmerstage, wo in Deutschland nur Deutschgeschriebenes gedruckt wird. Bis dahin aber drucke man, wie in diesem Buche geschieht, alles Welsche in der ihm zukommenden lateinischen Schrift. So haben es die ehrlicheren Welscher im 17. Jahrhundert gehalten. Vielleicht lernt der deutsche Leser durchs Auge, was die meisten durchs Ohr zu lernen unvermögend sind: daß das Sprachgewand der meisten deutschen Bücher und Zeitungen eine buntscheckige Narrenjacke ist.


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