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2. Was die Welscher sagen

Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, Man soll sie billig hören alle beede! – Hören wir also die Gegner, die welschenden Deutschen, die vom Welsch nicht lassen können, nicht lassen wollen, und die dieses Unvermögen und Nichtwollen zu verteidigen suchen.

Es gibt schwerlich eine der großen Streitfragen des deutschen Volkes, über die mit den Gegnern zu verhandeln so widerwärtig und so hoffnungslos unfruchtbar ist, wie die, ob Welsch oder Deutsch die Sprache Deutschlands sein soll. Ich führe den Streit an dieser Stelle auch nicht etwa, um einen Berufswelscher zu überzeugen und zu bekehren, denn das ist so gut wie unmöglich; sondern um den unbefangenen, dem Welsch noch nicht rettungslos verfallenen, besonders den jungen Leser zu belehren, gegen wen es Kampf gilt.

Widerwärtig ist dieser ganze Streit schon seinem Kerne nach: Deutsche sind gezwungen mit Deutschen zu streiten, ob in Deutschland die deutsche Sprache oder etwas andres gesprochen und geschrieben werden soll! Bedarf es der Worte, um das beschämende Ärgernis solches Streites verständlich zu machen? – Unfruchtbar ist er wegen der verblüffenden, oft fast entwaffnenden Unwissenheit des Gegners. Er weiß nichts von der Wissenschaft unsrer Frage; hat nie eins von den gründlichen Büchern über sie gelesen; kommt, gleichviel wie hoch sein Rang in andern Wissenszweigen, wie ein bildungsloser Stümper immer wieder mit kindlichen und kindischen Beweisgründen, deren Bodenlosigkeit seit einem Jahrhundert, besonders seit Campe, für jeden bewiesen ist, der lesen kann. Aber der Gegner liest nichts, weiß nichts, sondern schüttelt in der erleuchtenden Eingebung des Augenblicks Gründe aus dem Ärmel, die er, der Laie auf diesem Gebiet, für vernichtend hält und die den unterrichteten Fachmann nur zu mitleidigem Lachen zwingen oder ihn anöden. Als wollte ich, der nie eine kranke Lunge gesehen, mit einem Lungenarzt über sein Sonderfach streiten.

Hinzu kommt die verzweifelte Lage des mit einem Welscher streitenden Verteidigers deutscher Sprache, den Gegner selbst über diese deutsche Grundfrage welschen zu hören. Ein einzig Mal haben sich die Welscher den Streit in deutscher Sprache zu führen herabgelassen: die tolle ›Erklärung‹ der 41 vereinigten Welscher von 1889 gegen den Deutschen Sprachverein war ausnahmsweise mit listiger Absicht in fast reinem Deutsch abgefaßt, um den harmlosen Lesern vorzutäuschen, daß die Verfertiger und Unterzeichner selber Feinde der Verwelschung unsrer Sprache seien und nur aus reinsten wissenschaftlichen Gründen den vermeintlich ›puristischen‹ Sprachverein bekämpften. Es war in Wahrheit das erste und letzte Schriftstück in reindeutscher Sprache, das der Verfertiger und der Verbreiter, die Professoren Erich Schmidt und Hans Delbrück, je unter ihrem Namen in die Welt gesandt hatten.

Die Freunde deutscher Sprache führen eine Sache, die welschenden Gegner fechten für ihre Person. Auf Welsch: wir sind die Objektiven, die Desinteressierten; sie die Subjektiven, die Interessierten. Selbstlosigkeit kämpft gegen Eigennutz: so, nicht anders, steht der Kampf. Was in aller Welt erwartet der Verteidiger deutscher Sprache von seinem Siege für sich? Außer der sachlichen Befriedigung gar nichts. Für den schreibenden Welscher hingegen geht es in diesem Kampf um sein persönliches schriftstellerisches Dasein, und er fühlt das, er weiß das, sagt es aber nie. Er verteidigt seine Welschersprache, die einzige, die er schreiben kann, und er weiß, daß, wenn die deutsche Sprache aus diesem Kampf als Siegerin hervorgeht, alles Welschgeschriebene schon vom nächsten Geschlecht als unlesbar empfunden werden wird, es sei denn daß ein erlauchter Name und unsterbliche Werke dahinter stehen. So kämpft er verzweifelt für den Dauerbestand seines Welsch wie für sein Haupt und für sein Leben, und könnte unser Mitleid erregen, wenn nicht die Heiligkeit der von uns verfochtenen Sache uns hart machte gegen den Feind, der sein einziges Sprachgut zu retten sucht. Umlernen kann er nicht, will er nicht: zu tief haben sich Fremddenken und Fremdsprechen eingefressen, zu hoch bläht sich der Dünkel auf die größere Vornehmheit und Wissenschaftlichkeit der Ieren-, Ik- und Tät- Sprache. Die Quellkraft deutscher Rede ist ihm durch menschenaltriges Welschen versiegt. Im Unterbewußtsein aber lauert trotz aller Fremdgroßsprecherei die bange Sorge, ob ohne den Aufputz mit -ieren und -iken und -täten, mit individuell, Analyse und Synthese der bloße Inhalt seines Schriftwerkes Verstand und rechten Sinn genug besitze, um den vornehmlich nach dem Aufputz urteilenden gewohnheitsmäßigen Welschlesern ebenso ›wissenschaftlich‹ zu erscheinen. Dieser Aufputz war sein Stolz, das Insiegel auf seinen ›akademischen Bildungspapieren‹. Einen andern ›Stil‹ als den welschen kann er nicht schreiben; er müßte seine Feder zerbrechen, wenn diese Schreibweise der verdienten allgemeinen Lächerlichkeit und Verachtung verfiele. Begreifst du nun, mein Leser, warum die Welscher die Forderung reiner Menschenrede mit allen Mitteln, bis zum Geschimpf über die ›Puristen‹, bekämpfen?

Und wo blieben ihre welschgeschriebenen Bücher, wenn Deutsch die Schriftsprache Deutschlands würde? Der Gedanke ist für sie grausig: eine ganze Literatur mit all ihrer Großtuerei versunken, – versunken wie die des 17. Jahrhunderts, versunken aus demselben Grunde: durch den Wechsel der Sprachform. Unzweifelhaft werden künftige Geschlechter die Schriften der heutigen Welscher mit den gleichen Gefühlen, dem gleichen Spottgelächter lesen, womit heute ein Stil wie der Wallensteinsche (S. 8) gelesen wird.

Dazu kommt bei den Welschern von heute die krankhafte Selbsttäuschung, jedes ihrer einmal hingeschriebenen Welschwörter sei geheimer Kräfte voll, obwohl sie alle das ausgedroschenste Stroh der Sprache sind, worüber jeder Schmierer verfügt. Auf die zauberischen Nüankßen von Individualität, analysieren, synthethisch, Milieu, Interesse verzichten und sich mit plumpem Deutsch begnügen, das sich ja mit keinem noch so elenden Welschwort ›deckt‹ –? Unausdenkbar! Wo bliebe dabei die ›akademische Bildung‹?

 

Die Welscher in der Macht

Und die Welscher haben die Macht! Nicht die Macht der Gründe, aber schlichtweg die Macht. Sie sind Hochschullehrer, dürfen also die ihnen schutzlos preisgegebene, zu reinem Deutsch auf den Mittelschulen erzogene Jugend sprachlich in Grund und Boden verderben, immer neue Geschlechter von Welschern züchten, sich also ihre Sprachrichter selbst zurichten. Oder sie sind hochmögende Beamte, dürfen in einer Sprache ihres Gemäches zum Volke reden, das sie nur halb versteht, aber nicht etwa aufmucken darf: Wir haben zu fordern, daß unsre Beamten Deutsch zu uns Deutschen reden! Oder, was vielleicht das Gefährlichste ist: sie sind die Verfertiger der Druckschriften, die jeder, der Klügste wie der Dümmste, lesen muß, die Zeitungsschreiber, und sie zwingen ihre welsche Sprache durch die ständige Wiederkehr derselben Brocken den Millionen auf. Wer der Alltagsrede, sagen wir z. B. der Kannegießerei, aufmerksam lauscht, der kann in einer Stunde schon ein kleines Welschwörterbüchlein sammeln mit all den abgegriffenen, ausgefransten Ladenhütern wie: energisch protestieren, vitalste Interessen, frondieren, individualisieren, organisieren, zentralisieren.

Ja sie sind in der Macht; sie beherrschen den Tag, sie beherrschen die Stunde und sie halten die Zukunft deutscher Sprache zwischen ihren Schreibfingern, ohne eine Ahnung der ungeheuren geistigen Verantwortung, die auf ihnen ruht. Und weil sie in der Macht und Übermacht sind, ist der Kampf gegen sie bisher mit einer scheuen Lauheit und zarten Rücksicht geführt worden, durch die sie nur noch sicherer gemacht wurden. Mit demütigen Mahnungen und Bitten hat man Sprachverderber behandelt, die höchstens durch schroffstes Zurechtweisen und Anherrschen allenfalls zu einigem Nachdenken über ihr Tun gebracht werden könnten. Nur durch mein schonungsloses Aussprechen der Wahrheit in der ›Deutschen Stilkunst‹ habe ich den hochberühmten Führer der welschenden Gemeinde zur Einkehr und Umkehr gezwungen; habe ich einen andern Welscher bewogen, seine erste welsche Auflage in eine zweite deutsche zu übersetzen, und es wäre mir wohl auch mit ihnen nicht gelungen, wenn mir nicht ihre eigne Gescheitheit geholfen hätte. Gegen die sich im Rechte des Besitzes spreizende Unheilsmacht ist mit sanft liebreichem Zureden gar nichts auszurichten. Wie soll man höflich bleiben gegen einen berühmten Welscher, der sich erdreistet, die große Volksbewegung zu reiner Sprache ›Puristendummheit‹ zu schimpfen, ihn der noch für Deutsch, für Bildungssprache hält Sätze wie: ›Diogenes gerierte sich im Leben als ein potenzierter Sokrates‹, was heute schon ein besserer Handlungsreisender verschmähen würde –? Oder gegen den anmaßendsten und zugleich unbedeutendsten Germanisten, der sich hochnäsig über jede Sprachbewegung erhaben bläht, aber in einer Schrift über nationale Erziehung, wahrhaftig über nationale, ein Zeug verübt wie: ›Die Interessenpolitik des Territoriums oder des Standes atomisiert die Nation?‹ Oder gegen einen gradezu krankhaften Verfolger jeder völkischen Scham in Sprachfragen, der Gustav Freytag vorwarf, er habe sich von der ›Seuche der Sprachreinigung unterkriegen lassen‹? Freytag hatte nämlich in einer Neuausgabe seiner Werke über 500 überflüssige Fremdbrocken dahin geworfen, wohin sie gehören: auf den Müllhaufen der Sprache.

Man stelle sich vor, was doch nicht zu den naturwidrigen Unmöglichkeiten gehört: Ein junger Gelehrter, der gern Professor werden möchte, erklärte, ohne Welsch kann ich so wenig mündlich wie schriftlich lehren, und die Anstellungsbehörde erwiderte ihm: Dann kann ich dich nicht zum Jugendlehrer machen, denn ich stelle nur solche Männer an, die Deutsch sprechen und schreiben, und ich habe mehr als einen Bewerber mit gleichen Fähigkeiten wie den deinen, der Deutsch sprechen und schreiben kann und will. Hier sähen wir die Macht gegen die Macht, und was wäre das Ergebnis? Der unbelehrbarste Welscher würde sich fügen, sobald er durch einen heilsamen Lebenszwang angehalten würde, auch in sprachlichen Dingen Anstand zu wahren und Ehrgefühl zu bekunden. In allen Bildungsländern herrscht dieser durch kein Gesetz geübte Volksehrenzwang: ein französischer, englischer, italienischer Hochschullehrer mit roh verschmutzter Sprache wäre unmöglich bei Behörden und Schülern, gleichwie eine Zeitung jener Länder mit volkswidriger Sprache nicht ein Jahr leben könnte.

 

Nur keinen Zwang!

Verstehst du jetzt, mein Leser, das Angstgeschrei der Welscher: Nur keinen Zwang in sprachlichen Dingen!, nur keine Sprachpolizei!, nur festes Vertrauen auf die siegreiche ›Macht der Freiheit‹, oder wie es in der denkwürdigen Erklärung der Welscher von 1889, ihrem Glaubensbekenntnis, hieß: ›Unsere durch die Freiheit gedeihende Sprache –‹? O ja, sie ist durch die Vogelfreiheit der Sprache, durch die Freiheit der Welscher, jede Fremdwurzel ins Erdreich deutscher Sprache zu pflanzen, herrlich gediehen: bis zu den 100 000 Welschereien unsrer immer noch unvollständigen Fremdwörterbücher.

Und dann, Zwang gegen Zwang: unsre Hochschuljugend wird gezwungen, das Welsch ihrer Lehrer zu erdulden; der Staat schützt sie nicht. Völkisch und sauber empfindende Menschen werden gezwungen, sich durch das verwelschte Straßenbild beleidigen zu lassen; die Polizei, die Herrin der Straße, hat nichts gegen einen Burschen, der inmitten des Krieges in schreiend großen Buchstaben hinter seinen Schaufenstern anpreist: Rubans, douze mètres garantis. Aber das ganze Rasaunen gegen den verderblichen Zwang in der Frage reiner Sprache ist ja nur gedankenloses Wortemachen. Fast jede durchgreifende Säuberung unsrer besudelten Sprache verdanken wir dem Zwange. Zwang war's, wodurch die Postverwaltung unter Heinrich Stephan mehr als 600 Welschbrocken auf einmal vom Schwammleben zum Tode beförderte, gewaltsam eingreifend in die holde Freiheit, welche die Welscher meinen. Zwang war die Säuberung der Heeressprache von mehr als 400 widerwärtigen und überflüssigen Fremdbrocken. Zwang ist in unsern Tagen jede der mancherlei Säuberungen, die eine Staatsbehörde, eine Stadt, eine Erwerbsgesellschaft für ihre Geschäftskreise vornehmen. Fehlt leider nur der wichtigste und notwendigste Zwang. Nicht der eines Polizeimeisters, sondern eines tapfern Unterrichtsministers, der sich selbst vor welschenden Professoren – in Bonn heißen sie zutreffend Halbgötter – nicht fürchtet, sondern ihnen und dem ganzen Volke ebenso bestimmt wie höflich erklärt: ›Die Mengselsprache der jetzt zufällig lebenden mir unterstellten Männer der Wissenschaft gehört nicht zu den ewigen Heiligtümern des deutschen Volkes. Einer der Hauptgewinne dieses deutschen Krieges soll sein, daß unsre Jugend in Zukunft möglichst reines Deutsch als die selbstverständliche Sprache jedes Deutschen anzusehen erzogen wird. Aus dieser Jugend werden alsdann die neuen, gewiß nicht schlechteren, Professoren hervorgehen, die unser Volk durch Lehre und Beispiel davon überzeugen: Fremdwörterei ist das untrügliche Zeichen geistiger Unvornehmheit und zieht den Mann der Wissenschaft auf die Sprachstufe des Friseurs, Tailleurs, Masseurs hinab.‹

Unsre Haupt- und Überwelscher spiegeln den Unkundigen vor, die schändlichen Puristen wollten den welschenden Gelehrten, den ›Vertretern der freien Wissenschaft‹, gewaltsam reines Deutsch aufzwingen lassen. Da sei Gott vor! Gar nichts liegt an sich daran, in welcher Sprache oder Unsprache sie schreiben; die Vergeltung wird ja ohne alles Zutun der Freunde deutscher Sprache geübt: durch das unentrinnbare Versinken aller welschenden Schreiberei. Wie lange noch, und ein ganzes Geschlecht aufgeblasener Welscher ist dahin. Nur sollen sie nach Möglichkeit – wenn nicht anders, dann durch Zwang – verhindert werden, Unmündige zum Welsch zu erziehen, und solchen verhütenden Zwang zu üben hat der Unterrichtsstaat wie das Recht, so die Pflicht.

 

Weitere Gründe der Welscher

Was haben unsre Welscher außer ihrer leidenschaftlichen Liebe für die Freiheit – des Verwelschens der Sprache – sonst noch gegen die Verteidiger des Deutschen vorzubringen? Oh gar manches, und nichts soll hier ungerecht, aus Mangel an Objektivität, übergangen werden; in die Nebel jeder Phrase soll helles, ja grelles Licht dringen. ›Wir stehen wie in allem, so in der Sprache auf den Schultern der Vorfahren und dürfen die geschichtlichen Zusammenhänge nicht zerreißen.‹ So, aus dem Welsch übersetzt, lautet einer der Hauptgründe der Welscher für die Notwendigkeit, ihre geheiligte Mundart zu bewahren. Wollen wir nicht um der geschichtlichen Zusammenhänge willen gelegentlich ein Hexlein oder ein paar Juden verbrennen; die Spießruten und Stockprügel im Heer, wenigstens in einigen historischen Eliteregimentern, wieder einführen; die Zollschranke zwischen Preußen und Lippe wieder aufrichten; die Fronarbeit auf dem Lande, wenn auch nur in den Stammgebieten Preußens, erneuern? Aber wenn es wirklich etwas so Schönes um die geschichtlichen Überlieferungen – auf Welsch regelmäßig: historischen Traditionen – ist, was ich nicht leugne, ei wollen wir dann nicht doch lieber gleich anknüpfen an eine noch ehrwürdigere Tradition, nämlich an die Zeit Luthers, an die Jahrhunderte vor der Schlammflut des echten und des unechten Lateins im 16., vor der des Französischen im 17. Jahrhundert, also an eine Zeit, in der man in Deutschland Deutsch sprach und schrieb? Dafür, daß die Erinnerung an die welschen Jahrhunderte Deutschlands nicht ganz erlöschen wird, ist überreichlich gesorgt: Menschengeschlechter nach uns werden durch die sich noch lange forterbenden Halblehnwörter wie Natur, Poesie, Nation, Politik, Minister, regieren und ein halbes Hundert andrer stets gemahnt werden, wie es einst ums Deutsche bestellt war; dazu sind Komfortismus, tantifizieren, atomisieren, akribos ebensowenig nötig wie Milieu, Problem, Interesse, Psyche, Analyse, Synthese, Individualität.

Aber die reiche geschichtliche und sonstige Belehrung, die aus den fremden Wörtern zu uns spricht! Was kann man nicht alles aus ihnen lernen! Welche Fülle des Wissens gewinnen wir durch sie spielend, d. h. welschend! Man denke nur: indem man ein Wort wie lakonisch hört oder schreibt, gedenkt man mit frommen geschichtlichen Schauern der Lakonier, der Lakedämonier, der Spartiaten, der bekanntlich ewig unerreichbaren Vorbilder für deutsche Jünglinge, z. B. für die mit ›Deutschland über alles!‹ auf den Lippen singend in den Tod stürmenden Helden von Langemark. Wie sie zu schweigen verstanden, oder kurz angebunden waren, jene herrlichen, klassischen autochthonen Lakonen, das ist doch zum Entzücken gar. Wo bleiben gegen lakonisch solche primitiv deutschen Stümpereien wie: wortkarg, schweigsam, kurz angebunden, einsilbig, kurz und bündig, maulfaul? Und wie harmonisch würde die lapidare Synthese von Moderne und Antike, wenn es hieße: Moltke, der große Lakonier!

 

Noch einen schwereren Verlust befürchten die Welscher von der Ausmistung der welschen Ställe unsrer Sprache, – wir brauchen den ehrlichen alten Augias hierbei ebensowenig zu bemühen wie den göttlichen Herakles. Ja, es ist wahr, es ist wirklich wahr, man hat es geschrieben: Mit ihren Fremdwörtern würde die deutsche Sprache einen unersetzlichen Verlust an zartesten Feinheiten – den so allgemein beliebten Nüankßen – erleiden, sie würde › national verschleimen‹ (so Professor Hans Delbrück), sie wäre ›nicht mehr lebensfähig‹ (so Professor Theodor Birt). Jedes Fremdwort enthält irgendwelche Sonderfarbe, oder doch ein Sonderfärblein; ohne alle diese Färblein und Färbelchen würde das Deutsche verblassen, verschleimen, verarmen; es würde so arm, so farblos, so blaß werden wie – nun wie Goethes Gedichte, die, grausig zu denken, aller dieser Welschfarben entbehren, oder wie Luthers Bibel, die so deutsch ist wie kein zweites deutsches Buch. So landen wir immer wieder an derselben Sandbank: Die deutsche Sprak ist zu arm und plump für den Geistesreichtum von uns Welschern. Ruft man ihnen mit Hebbel zu:

Seien die Stempel uns heilig, die alle Jahrhunderte brauchten,
Sei es die Weise sogar, die sie bedächtig gewählt.

Fand ein Goethe doch Raum in diesen gemessenen Schranken,
Wären sie plötzlich zu eng für die Heroen von heut? –

so zucken sie überlegen die Achseln und schimpfen: Purist!

Aber die Welscher werden verkannt: das ist das Los des Schönen hier auf Erden. Sie welschen durchaus nicht aus Liebe zum Welsch, sondern – zum Deutsch. Grade durchs Welschen bewahrt man die wonnesame Muttersprache, den trauten Mutterlaut vor Entweihung. Du hältst solchen Unsinn nicht für menschenmöglich, mein Leser? Erinnere dich des tiefen Erfahrungswortes Goethes über gewisse Gelehrte, die im Stande seien, aus Rechthaberei ihre fünf Sinnen zu verleugnen, und glaube mir, es war möglich, tatsächlich, wirklich, und nicht einem einzelnen Dummkopf, sondern einer langen Reihe angesehener, berühmter toter und lebender Welscher, zu behaupten: Indem ich im Alltag des Lebens schmutzig welsche, bewahre ich die edlen deutschen Gleichworte rein. Ein Professor für Sprachen, und nicht ein erstbester, hat erklärt: Indem ich Terrain schreibe, bewahre ich dem edleren ›Gelände‹ seinen sprachlichen Adel. Dieser Tempelhüter des Deutschen steht an der Spitze einer Berliner Lehranstalt für deutsche Knaben. Ein andrer, noch berühmterer, verteidigt seine und seiner Berufsgenossen welsche Schriftensprache so: ›Die Sprache im Arbeitskittel – er meint die der wissenschaftlichen Arbeit! – ist eine andere als die des Festtags – er meint die schriftstellerische Arbeit. Im Tagewerk darf sich der (geistige!) Arbeiter vor Unsauberkeit (!) nicht scheuen und fragt nicht (ich frage!) nach den schmierigen (die Unterstreichung ist von mir) Flecken an Kleid und Händen; feiert er Sonntag, so säubert er sich (einmal in der Woche!) und erscheint mit strahlendem Gesicht und blanken Händen, in frischer Wäsche (einmal in der Woche) im Kreis der Seinen.‹ Holdrio!

Dies ist die Auffassung des Professors Theodor Birt von Schmierigkeit und Sauberkeit der deutschen Sprache, seiner Muttersprache! Ich halte es für Pflicht, solchem Ausspruch eines der neuesten Bekämpfer saubrer deutscher Sprache die kleine Unsterblichkeit durch mein Buch zu sichern, aus dem ja andre Bücher über den Gegenstand schöpfen werden. Also nach Herrn Birt ist das, was die Wissenschaft an Schriften leistet, schmierig und darf schmierig sein. Aber die Sonntagsarbeit muß sich gewaschen haben. Herr Birt liefert auch zuweilen Sonntagsarbeit, z. B. in seinen ›Griechischen Erinnerungen‹. Da ich mit dem Altern nur noch deutschgeschriebene Bücher ganz lese, so habe ich mich zur Prüfung der Birtschen Sonntags- und Festsprache auf eine zufällig aufgeschlagene Seite beschränkt und an strahlenden, blanken, frischgewaschenen Stellen gefunden: ›Von monotonen Bergen eingeschlossen‹, – ›seiner Priesterschaft und den Patienten‹ (des Gottes Asklepios!), – ›das aesthetische Moment wiegt vor‹ (beim Theater zu Epidaurus), – ›Ein Trichter hat überhaupt Talent zum Schönen‹, – ›Euripides muß hier wirklich agiert worden sein‹. – An diesem Tage las ich weiter nicht, auch an keinem andern, und die ›schmierigen Flecken an Kleid und Händen‹ dieses Wochentagsarbeiters lasse ich ›all in ihrer Unsauberkeit‹. Der Satz ist wertvoll, er enthält das ehrliche Bekenntnis dessen, was ich stets behauptet habe: Die Sprache des größten Teiles deutscher Wissenschaft ist schmierige Sudelei. Nur muß man diese Sudelköche ernstlich fragen: Möchten sie dann nicht lieber das verschmutzte Latein unwissender Mönche unvermischt schreiben und unsre Muttersprache unbetastet, unbeschmiert, unbesudelt lassen? Oder wollen sie uns unglückselige Deutsche mit zwei Sprachen beglücken, einer für den schmierigen Arbeitstag, einer andern für die Sonntagsweihe? Wobei zu bemerken bleibt, daß diese Tempelhüter keineswegs gelegentlich Sonntagsruhe im Welschen halten, sondern einen Tag wie alle gleichmäßig dieselbe Sprache schmieren.

Kam je ein andres Bildungsvolk auf einen so hirnverbrannten Gedanken? Haben die Griechen die Entadelung ihrer Wörter für Gott, Seele, Tugend, Tapferkeit, Freundschaft, Ehre, Vaterland befürchtet, wenn sie sie stets im Munde führten, anstatt sie durch Schutzkapseln aus Ägypten, Chaldäa, Phönizien, Persien vor der Abnutzung, vor Verschmutzung zu hüten? Fürwahr, die Welscher machen es einem nicht leicht, ernst oder nur höflich gegen sie zu bleiben, und sind doch sonst auf ihren Arbeitsgebieten, zu denen aber die deutsche Sprache nicht gehört, ernste und zuweilen umgängliche Männer.

Vom sorgsam zu achtenden ›Leben der Sprache‹ als einem redensartlichen Kampfmittel der Welscher war schon die Rede (S. 84); so gute Dinge aber vertragen es, von verschiedenen Seiten betrachtet zu werden. ›Fürchterlich modernstes Kunstdeutsch‹ nannte der gewaltige Sprachforscher Hans Delbrück den ›unlautern Wettbewerb‹, der vor etwa 25 Jahren die damals geltende › Concurrence illoyale‹ ersetzen sollte und seitdem zu Delbrücks tiefem Schmerz wirklich ersetzt hat. › Concurrence illoyale‹ war ihm edles altes Naturdeutsch, entsprossen aus den Wurzeln deutschen Sprachlebens. Derselbe, oder war's ein andrer?, Verfechter des lebensvollen Naturdeutsch eiferte gegen die ›erkünstelte Enteignung‹, es müsse schlicht und natürlich heißen Expropriation. Jedes in rohester Willkür irgendwoher gemauste Welschwort heißt ›Leben der Sprache‹; jedes gute deutsche Wort, das den fremden Wechselbalg verdrängen will, ist ›künstlicher Eingriff in Freiheit und Leben unsrer Sprache‹! Der Sportismus des Herrn Sombart ist Leben, die Sportfexerei ist Künstelei. In Welschdeutschland stehen die Dinge und wandeln die Menschen auf dem Kopf.

 

Fremdwörter andrer Völker

Wohl das Sinnloseste in diesem Meer des Welscherunsinns ist die aus tiefer Unwissenheit und – aus der Tiefe des schlechten Gewissens geschöpfte Entschuldigung: Andre Völker fremdwörteln gleichfalls. Ein Blick auf jede beliebige Seite eines wissenschaftlichen deutschen Buches, auf jede Spalte jeder deutschen Zeitung, und dann ein stundenlanges Lesen in französischen, englischen, italienischen Büchern und Zeitungen beweist, daß solche Entschuldigung ebenso dumm wie bewußt unwahr ist. Auf einer Seite jedes wissenschaftlichen deutschen Durchschnittsbuches stehen mehr Fremdwörter als auf 10 000 Seiten von 20 fremden Büchern, und jede Spalte einer deutschen Zeitung, allenfalls mit Ausnahme der Kölnischen, prunkt mit mehr Fremdbrocken als alle Zeitungsnummern in den drei genannten fremden Ländern. Für wie dumm und unwissend halten die Welscher, die solchen Unsinn behaupten, ihre Leser! Ein französischer Schreiber, ein untergeordneter Schmierer, der sich einfallen ließe, die seiner Muttersprache angeblich mangelnden Nüankßen in jedem Falle durch Anleihen bei Deutsch oder Englisch zu ersetzen, also etwa zu schreiben: C'est très gemutlique ici, – Je me sens awfully wohlique, – Il souffre du Heimwèhe, – Il a vortragé cela avec une grande Inniquète, – Je passe l'été dans une Sommerfriche, würde für den Esel oder Gecken oder beides zusammen erklärt werden, der er unzweifelhaft wäre. Dem Französischen gebricht's an der Unterscheidung zwischen Mann und Mensch ( homme): ist je einem Franzosen der Gedanke gekommen, diese Lücke durch ein deutsches Fremdwort auszufüllen? Es gibt kein einfaches französisches Zeitwort für Stehen ( être debout), Sitzen ( être assis), Reiten ( aller à cheval): war je ein Franzose so sprachkrank, es mit stéher, sitzer, reiter zu versuchen? Aber, hier muß es wiederholt werden: Hast du schon einen Vogel blärren und eine Kuh pfeifen hören? (Moscherosch). Und der Vollständigkeit wegen: in dem größten englischen Wörterbuch, dem Oxforder, stehen nur 80 deutsche Fremdwörter, von denen 60 so gut wie nie gebraucht werden. Im Weltkriege haben Engländer und Franzosen uns vorgeworfen, nur wir hätten ein Wort für Schadenfreude: hat je im Frieden ein englischer oder französischer Schreiber dieses in der Tat ihnen fehlende brauchbare Wort uns nachgeschrieben? Ist keinem eingefallen; denn alle andern Völker sind sprachgesund, wir leiden an einer Sprachkrankheit, für die sich aber höchst wissenschaftliche Welschnamen drechseln lassen, wodurch sie gar vornehm erscheint: Repetitis, Simiotis, Kleptomania linguistica, Polylalie, Heteroglossitis, Mezzofantismus.

Wo aber bliebe die ›weltbürgerliche Aneignungsfähigkeit‹ ohne die Fremdwörter? Nun wir haben im Weltkriege von den Völkern, deren Sprachen wir uns weltbürgerlich zum Welschen angeeignet, zu hören bekommen, wie sie diese unsre Fähigkeit bewerten: ›Le Boche tel qu'on le parle‹ hieß ihnen das von gestohlenen Nüankßen strotzende Deutsch, womit sie allerdings nicht die Sprache des deutschen Volkes, sondern nur die der deutschen Schreiber treffen wollten, zur Schmach für das unschuldige Volk, ohne Wirkung auf dessen Schreiber.

Selbst ein so deutschgesinnter Mann wie Jakob Grimm war sich über diese Kernfrage deutscher Sprache nicht völlig klar geworden. Er, der selbst sehr reines Deutsch schrieb und der Welscherei den Zutritt zu seinem Deutschen Wörterbuch versagte, hat die Fremdwörter doch zum Teil entschuldigt, weil ›der Verkehr mit Nachbarn sie unausbleiblich einführte‹. Unausbleiblich? Bei den Nachbarn, die doch auch mit uns verkehrten, sind sie ausgeblieben, weil die Nachbarn sprachgesund waren. Und nicht der Verkehr hat Deutschlands Sprach- und Schriftenwesen verwelscht; sondern 99 von 100 Fremdbrocken sind mit kaltem Blut von verkehrten, geschmacklos dünkelhaften deutschen Schreibern den Nachbarsprachen oder dem Küchenlatein äffisch am Schreibtisch nachgeschmiert worden.

 

Nur in Deutschland darf sich jeder schreibende Gelehrte für einen Schriftsteller halten und über eine Kunst, denn das ist die Prosa, mitreden, für die er nicht die kleinste Begabung hat. So erklärt es denn der gelehrte Welscher mit staunenswerter Anmaßung für unmöglich, reines Deutsch zu schreiben, weil er es nicht kann; erklärt durchwelschtes Deutsch für die einzig mögliche Schreibform, weil er von frühauf keine andre versucht, niemals die geringste Sprachzucht an sich geübt hat. Der richtige Welscher weiß natürlich nicht, denn was kümmert ihn in seiner Selbstbewunderung solche Nebensache?, daß es hervorragende deutsche Bücher in bewundernswert reiner Sprache gibt. Mit Luther allerdings darf man ihm nicht kommen, weder mit der ganz deutschen Bibel, noch mit seinen eignen Schriften, z. B. mit seinen drei herrlichen Sendschreiben: An den christlichen Adel, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, Von der Freiheit eines Christenmenschen; denn, nicht wahr, wie gering war Luthers Gedankenwelt im Vergleich mit der unsrer welschenden ›Heroen von heut‹? Und des Welschers Sprachsinn ist so vertaubt und verdumpft, daß er beim Lesen der Bücher von Brehm, Ratzel, Jähns, Moltke, Treitschte, R. Hildebrand, K. Wörmann, G. Freytag (in der von ihm selbst gereinigten Fassung) gar nicht merkt, daß diese deutschen Schriftsteller mit weniger Fremdwörtern in einem ganzen Bande, als unsre Heroen der welschenden Wissenschaft auf zwei Seiten auskommen.

›Unmöglich!‹ Man gebe mir die Macht, dem ärgsten Gewelscheschmierer das Gegenteil an seinem Leibe zu beweisen, und der Beweis wird mir gelingen. Ein sanfter Zwang – nur ›als Problema sozusagen‹ –, ein liebreiches Einsperren bei Wasser und Brot mit der Bedingung: Du wirft nicht eher entlassen, als bis du einen lesbaren Druckbogen über einen Gegenstand deines Faches in deutscher Sprache geschrieben, – was gilt die Wette, daß der Welscher diese Leistung zur vollen Zufriedenheit auf einen Sitz vollbringt? Nicht zu seiner Zufriedenheit, denn mit der welschen Durchsprenkelung wäre die Arbeit ›akademisch gebildeter‹, subtiler differenziert ausgefallen; aber darauf kommt für den Beweis der leichten Möglichkeit des Deutschschreibens nichts an.

Was an Sprachreinigung von dem welschenden Philister schon alles für unmöglich erklärt wurde, soll der Leser weiterhin durch die verblüffendsten Beispiele erfahren. Selbst jeder Welscher kennt ihrer viele, hat den deutschen Sprachsieg über Unmöglichkeiten wie den Ersatz von Kondukteur, Appellation, rekommandiert, Perron, Coupé, Insinuationsdokument, Exekution, Expropriation, Aktuar selbst erlebt; liest in den Tagen, wo ich dieses schreibe, die deutschen Heeresberichte in deutscher Sprache. Nichts aber vermag einen Schreiber zu überzeugen, der nur zu deutlich fühlt, daß sein Geschreibsel ohne den welschen Flitterputz als das erscheinen müßte, was es wirklich ist: Gedankenkitsch. Das Einzige, wozu sich unter dem Druck der großen deutschen Zeit die unverbesserlichen Welscher aufschwingen, ist die Albernheit, irgendeinen abgedroschenen Fremdbrocken nach wie vor hinzuschmieren und dummdreist in Klammern hinzuzufügen: ›Ich bitte um ein deutsches Wort hierfür‹, – was doch jedesmal nur bedeutet: Die deutsche Sprache versagt selbst für den Ausdruck der gewöhnlichsten Begriffe. Man stelle sich vor, ein französischer Schmock unterstände sich, seinen Lesern erst ein deutsches Wort zuzumuten und sie dann mit der frechen Bitte um ein französisches herauszufordern!

 

Unentbehrlichkeit der Fremdwörter

›Die Fremdwörter sind der deutschen Sprache unentbehrlich‹, sagt der Welscher, ohne den Satz je der Goldprobe eines ehrlichen Versuches unterzogen zu haben. Nicht alle, sagt er, sind unentbehrlich, nicht die Zehntausende der Andern; aber meine ›paar Fremdwörter‹ – es sind je nachdem ein paar hundert oder ein paar tausend – sind ›unübersetzbar‹, also unentbehrlich, denn Deutschschreiben heißt für ihn: eine Welschvorlage ins Deutsche übersetzen, und was ich nicht auf den ersten Hieb so übersetzen kann, daß Deutsch und Welsch sich vollkommen ›decken‹, das hat für unentbehrlich zu gelten. Was ich nicht übersetzen kann, sieht man für unersetzlich an. Goethe war ganz andrer Meinung; sein stärkster Ausspruch zu unsrer Frage lautet: ›Wir geben gerne zu, daß jeder Deutsche seine vollkommene Ausbildung innerhalb unsrer Sprache ohne irgendeine fremde Beihilfe gewinnen kann.‹ Nur auf deutsche Leser kann dieser Satz nahezu verblüffend wirken; für die alten Griechen, die Franzosen, Engländer, Italiener spricht er nur das Selbstverständliche aus.

Unentbehrliche, unersetzliche Fremdwörter gibt es überhaupt nicht. Die Sprache jedes Volkes vermag jeden Begriff ihres Volkes mit ihren eignen Mitteln auszudrücken. Dieser Satz ist einer der grundlegenden aller Wissenschaft von der Sprache. Nicht als ›Fremdwörter‹ in diesem Sinne haben zu gelten Namen für Erzeugnisse fremder Länder, die mit den Erzeugnissen zu uns gedrungen sind. Wörter wie Kaffe, Tee, Kakao, Tabak, Kola, Zebra, Lama, Elefant sind keine Fremdwörter, denn: sie verdrängen kein deutsches Wort. Das wahre Fremdwort wird daran erkannt, daß es überflüssig ist, weil wir ein deutsches Wort haben, das also durch das Fremdwort nur verdrängt wird. In Zweifelsfällen entscheidet selbstverständlich nicht der unheilbar sprachkranke Welscher, für den es eigentlich gar kein Fremdwort gibt, sondern Ohr und Geschmack und Wissenschaft des sprachgesunden Deutschen, der sich deutsch zu denken und zu schreiben erzogen hat.

Es gibt keine unentbehrlichen, unersetzlichen Fremdwörter; aber es gibt eine Anzahl solcher, die nicht beliebig von jedermann verdeutscht werden dürfen, weil sie nicht freier Wortschatz des Einzelnen sind, sondern gesetzlicher Sprach- oder doch Benennungsbesitz der Gesamtheit. Amtstitel wie Minister, Staatssekretär, General, selbst sprachlich so widerwärtige wie Ministerialdirektor, Lyzealdirektor, Gymnasialdirektor, Katasterkontrolleur müssen wir widerwillig so lange dulden, bis geläuterter Geschmack und verfeinerter Sinn für die Sprachlehre unsers Volkes all jenes Küchenlatein ausgekehrt haben. Ähnliches gilt von Fachwörtern, aber nur von sehr wenigen, wie Elektrizität, Telegraphie, Turbine, die um der allgemeinen Verständlichkeit willen nur durch Beschluß der Fachmänner mit Gefühl für völkische Sprachwürde durch ein feststehendes deutsches Wort ersetzt werden können. Blieben aber diese paar Fremdwörter unverdeutscht, so wär's kein großes Unglück: als vereinsamte Fremdzellen im reinen deutschen Sprachleibe könnten sie für späte Geschlechter die › historische Tradition‹ der Sprache darstellen, auf die ja der Welscher so großen Wert legt. Alles, was darüber, ist vom Übel, zudem ganz überflüssig.

Ich habe wiederholt ausgezeichnete deutsche Schreiber mit reinem Deutsch als Eideshelfer aufgerufen. Darf ich nicht einmal mit geziemender Bescheidenheit von mir sprechen als einem nicht ganz erfolglos gebliebenen Schreiber, der ein Menschenalter hindurch nur deutsch geschrieben hat? Brave freuen sich der Tat, ich mich der meinen. Ich darf mich mit Fug und ohne Vorwurf der Überhebung einen erfolgreichen Schreiber nennen, nicht weil meine reindeutsch geschriebenen Bücher viele Auflagen erlebt haben, sondern weil mir grade auf dem Gebiete, von dem dieses Buch handelt, ein von mir selbst nie für möglich gehaltener Erfolg zuteil geworden: den, leider hingeschiedenen, stolzesten Anführer der welschenden Germanisten zu überzeugen und zu bekehren, und einen glücklicherweise noch lebenden Germanisten sogar zum Deutschschreiben zu bewegen. Und diese zwei Riesentaten habe ich mit reinem Deutsch vollbracht! Nun wohl, soweit die Welt von mir weiß, kennt sie mich als einen, der mancher Völkerzungen mächtig ist, der z B. die Sprachen, aus denen die allermeisten Welscher nur Bröcklein mausen können, welche andre ihnen langst vorgemaust haben, leidlich beherrscht, d. h. spricht und zur Not schreibt. Auch wird man mir ohne besondere Beteuerung glauben, daß mir am wirksamsten Ausdruck, an der allerallerfeinsten Nüankße ebensoviel liegt wie dem Welscher, der sie auf dem fertigen Gummistempel als fertiges welsches Formelwort findet. Endlich weiß niemand besser als ich, daß Welsch in Deutschland für überaus wissenschaftlich und vornehm gilt. Warum also wohl verzichte ich, der ich alle bequemen Hilfsmittelchen der feinsten Nüankße, der gefeierten Wissenschaft, der unbezweifelten Vornehmheit genau kenne, auf alle diese Herrlichkeiten? Ein großer Welscher vor dem Herrn hat mir einst öffentlich sanft, fast mitleidsvoll vorgeworfen, daß ich ›sogar die brauchbaren Fremdwörter verschmähte‹. Wie wenn ich diese für mich eben nicht brauchbar fände? Wie wenn ich sie verschwommen, also unredlich fände? Und wie wenn mich alle diese abgenutzten Gummistempelformeln ebenso sprachlich gemein wie künstlerisch unvornehm dünkten? Und wie endlich, wenn ein langes Schriftstellerleben mir und meinen nicht wenigen Lesern den greifbaren Beweis geboten hätte, daß man über alles, worüber andre nur auf Welsch schreiben zu können vermeinen, auf Schlichtdeutsch verständlich und wirksam schreiben kann? Ich habe mein Lebtag nur über sehr interessante Menschen und Dinge geschrieben; mich bestrebt, meine Interessenten dafür zu interessieren und ihr Interesse so wachzurufen, daß die dadurch gewonnene Kenntnis ein Faktor, ein Element, ein Koeffizient ihrer intellektuellen Entwicklung würde, und habe dies in manchen gar dicken Büchern getan, ohne je ein einziges jener ›brauchbaren Fremdwörter‹ zu gebrauchen. Und was das Merkwürdigste: noch nie hat sich ein Leser beklagt, ja noch nie einer von meinen nicht wenigen und nicht gelinden Widersachern mit Grund gerügt, daß ich alle jene Schätze deutscher Bildungssprache verachtungsvoll verschmähe.

Ich schreibe wie jeder Schreiber für ein Publikum; aber meiner Feder ist dieses ›Ding, das man itzo (1760) in Berlin so nennt‹ (Gottsched), so fremd, wie es meinem Ohr ein Greuel, meinem Hirn eine sprachliche Gemeinheit ist. Luther hat sozusagen auch für ein Publikum geschrieben, aber er hat das Wort nicht gekannt. Darf er noch zu den einigermaßen beachtenswerten deutschen Schreibern gezählt werden?

Lessing, der Zweifler, kam ohne Skepsis, skeptisch und Skeptiker aus: der › national verschleimte‹ Lessing, nicht wahr? – Lessing, Goethe, Schiller hatten in all ihrer idealistischen Klassizität hin und wieder mit leidigen Geldsachen zu tun, aber ihrem Wörterbuche fehlten pekuniär und finanziell. Wer von den Hunderten unsrer lebenden Intellektuellen kann sich ein Leben ohne jene Unentbehrlichkeiten deutscher Kultursprache denken? Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Mörike, Storm, Keller haben Milieu, suggerieren und Suggestion nicht gekannt; aber die waren eben sprachlich nicht so zart differenziert wie unsre Fortbildner der armen Muttersprak.

Kann sich ein deutscher Welscher vorstellen, daß man ohne Genre leben, ja sogar über Kunst schreiben kann? Lessing hat das fertiggebracht. Oder gar ohne Grazie? Erst Winckelmann hat es 1759 gebraucht. Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts dürfte es schon Triebe gegeben haben, aber erst lange nach der Mitte tauchten die Instinkte auf. Wie mögen die armen Deutschen vor 1750 ohne dieses unersetzliche Welschwort menschenwürdig hingelebt haben? Erst seit 1800 gibt es in Deutschland Gêne, gênant. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Erotik, von der noch Goethe, der erotische Erotiker, der Dichter der Römischen Elegien, nichts wußte. Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt der Wucherschwamm Interesse im Sinne von Anteilnahme, erst im letzten Viertel desselben Welschjahrhunderts interessant sich auszubreiten. Hunderte von ähnlichen Beweisen für die verhältnismäßige Jugend der heute ›unentbehrlichen‹ Welschereien findet der Leser in meinem Fremdwörterbuch ›Entwelschung‹. Es ist nicht auszudenken, in welcher sprachlichen Verelendung die Millionen deutscher Menschen, die Tausende deutscher Schriftsteller hindämmern mußten, bevor kühne Bahnbrecher unsre Sprache mit solchen unentbehrlichen Nüankßen bereicherten. Aber haben doch Lessing und Schiller sogar ganz ohne Nüankße auskommen müssen!

Kann man heutigen Tags ein einziges deutsches Blatt in die Hand nehmen, ohne fünfmal, zehnmal auf die uns bekanntlich allein vor dem Untergang im Weltkrieg rettende Organisation zu stoßen? Wie krankhaft verschroben muß ein Schreiber sein, der keine Organisation kennt, nichts organisiert, auf jede organisatorische Tätigkeit verzichtet und um keinen Preis ein Organ werden oder haben will! Ich bin dieser abnorm, unnormal, anomal, anormal, abnormal organisierte Schreiber und befinde mich bis jetzt ganz wohl, sogar ganz normal dabei. Oder findet der Leser etwas zu bemängeln an folgendem Satz, den ich einer der größten deutschen Zeitungen entnehme: ›Für die gleichmäßige Butterversorgung hat der Rat der Stadt Leipzig eine sicher wirkende Vorsorge getroffen‹? Gewiß nicht, vielleicht steht ihm die im voraus wirkende Sorge eines wohlmeinenden Stadtrates anschaulich vor Augen. Was aber schauen seine Augen, was lebt in seiner deutschen Seele, wenn es geheißen hätte: ›eine sicher wirkende Organisation‹? Im besten Fall ein Stück Papier, kreuz und quer bedruckt mit › Organisation‹. – Ich habe mir einen kleinen Scherz erlaubt: so hatte es natürlich in jener Zeitung nicht geheißen, denn die deutsche Sprache unsrer Tage kennt nicht Vorsorge, Obsorge, Wirkordnung usw., sondern einzig Organisation. Der Unterschied zwischen Organisation und Vorsorge ist für den sprachgesunden Deutschen der zwischen einer europäischen Redensart auf dem Gummistempel und einem Bildwort, das obendrein um die Hälfte kürzer, freilich leider nur deutsch ist. Über den sprachwissenschaftlichen Greuel einer Wortform Organisation brauche ich einem Sprachkenner mit Sprachsinn und Geschmack nichts zu sagen.

 

Unsre Klassiker

Jawohl, erwidert der Überwelscher, ich schreibe hier und da ein Fremdwort, ganz vereinzelt, nur wo es durchaus nicht anders geht, nur wo das Deutsche im Ausnahmefall versagt – er denkt dabei: mit seiner Wortarmut gegenüber meinem Gedankenreichtum; aber Lessing, Goethe, Schiller, ›meine Vorgänger‹, haben es ebenso gemacht wie ich, also ›Wir stehen in diesen Fragen da, wo die freien Meister der Sprache, unsere Klassiker, standen‹ (Erich Schmidts Erklärung von 1889). Mit den gelegentlichen Fremdwörtern beim Dichter des Faust rechtfertigt jeder nichtige Dutzendschreiber seine lächerlichste Welscherei. Ein für allemal: unsre Klassiker sind uns leuchtende Vorbilder in allem Großen und Schönen, das ihnen ureigen; aber nicht im Kleinen und Unerfreulichen, das ihnen die Ungunst des deutschen Schicksals als trauriges Erbe aufgeladen. Keinem Freunde reiner deutscher Sprache kommt es bei, mit Goethe hinterher zu hadern, weil seine Prosaschriften die deutsche Sprache des 18. Jahrhunderts aufweisen, des Jahrhunderts vereinigter Welscherei von Küchenlatein und Französisch; aber man verschone uns endlich mit der unbeschämten Entschuldigung des Gewelsches im 20. Jahrhundert durch die leider nicht abzuleugnende Fremdwörterei unsrer Klassiker. Auch Friedrich der Große ist uns bis heute in mehr als einer Mannestugend das hochragende Vorbild: will man sich darum auf sein französisches Deutsch berufen, für das er so wenig konnte wie Goethe für seine ererbten Fremdwörter? Nicht daß unsre Klassiker Spuren der allgemeinen Sprachverderbnis ihres Zeitalters zeigen, dessen Kinder sie waren, ist für uns Nachgeborene das Wichtige; sondern daß sie als Enkel eines Geschlechtes ohne Vaterland, als Erben einer mehr lateinfranzösischen als deutschen Geistesbildung grade in den führenden Schichten, dennoch ihrem Volke aus wüster Barbarei eine edle Sprache und eine unsterbliche Dichtung geschaffen haben. Unser heutiges Gewelsch dagegen ist ein kläglicher Rückfall ins 17. Jahrhundert mit seiner ebenso lächerlichen wie rohen und geschmacklosen Verschmutzung unsrer Sprache. Ähnliches ist denen zu erwidern, die sich der Berufung auf Bismarcks Staats- und Gesandtenfachdeutsch erdreisten.

Wie unsre Klassiker da, wo sie sich über das Gewohnheitserbe ihres Jahrhunderts bewußt emporschwangen, über die Fremdwörterei gedacht und gesprochen haben, kann hier nur mit wenigen Beispielsätzen angedeutet werden. Der Leser findet in meiner ›Deutschen Stilkunst‹ auf den Seiten 157 bis 158 und 243 bis 248 die schlagenden Beweise dafür, daß unsre Klassiker in Lehre und Leben überzeugte Verteidiger der Forderung gewesen: Sprich Deutsch! Da fährt Lessing gegen Wieland, den echtesten Sohn des deutschen Franzosenzeitalters, los: ›Alle Augenblicke läßt er seine Leser über ein französisches Wort stolpern; Lizenz, visieren, Edukation, Disziplin, Moderation, Eleganz, Ämulation, Jalousie, Korruption, Dexterität und noch hundert solche Wörter, die nicht das geringste mehr sagen als die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Purist ist.‹

Da streicht Goethe in der ersten Gesamtausgabe seiner Werke von 1787 die Fremdwörter dutzendweise; lernt von dem größten deutschen Sprachreiniger und Wortschöpfer Campe in mehr als hundert Fällen, wie man eingefressene fremde Schädlinge der Sprache kurzerhand ausreißt und durch kerndeutsche Ausdrücke ersetzt; überbietet ihn noch an Kühnheit der Sprachschöpfung im Verdeutschen; gibt 1813 dem Fremdwortfeinde Riemer für den Druck von Dichtung und Wahrheit die Vollmacht: ›Ausländische Worte zu verdeutschen, sei Ihnen ganz überlassen‹; eifert gegen solche Sprachroheiten wie Komposition für künstlerische Leistungen: ›ein ganz niederträchtiges Wort, das wir den Franzosen verdanken und das wir so bald als möglich wieder loszuwerden suchen sollten‹; ersetzt das damalige Modewelschwort › polierte (heute zivilisierte) Völker‹ durch ›gesittete Völker‹ und beteiligte sich im Hause der Mutter Schopenhauers eifrig an der geselligen Arbeit kühnen Verdeutschens der Welschereien.

Da säubert Schiller seine zuerst in den Horen erschienenen Gedichte für die Buchausgabe sogar von nicht besonders anstößigen Fremdwörtern, ersetzt › majestätisch‹ durch ›prangend‹, › Elemente‹ durch ›Stoffe‹, › sympathetische Triebe‹ durch ›Flammentriebe‹. Kurz, er und alle Großen seines Jahrhunderts erweisen ihrer Sprache die geziemende Ehre; nicht einer hat spitzfindig tiftelnd aus der überkommenen Not und Schmach der deutschen Vergangenheit eine Tugend und schmückende Verfeinerung unsrer Sprache zu machen versucht, wie das unsre wissenschaftlichen Welscher bis auf diesen Tag unternehmen.

Noch eines unterscheidet unsre nicht ganz rein schreibenden Klassiker von unsern heutigen welschenden Heroen. Lessing, Goethe, auch Schiller sprachen fließend das Französische, damals die feinste Hof- und Gesellschaftssprache in Deutschland; wie viele heutige Überwelscher beherrschen das Französische? Von einer Reihe der bekanntesten weiß ich bestimmt, daß sie ein französisches Buch lesen, aber keinem ernsten französischen Gespräch zwei Minuten lang gewachsen sind. Welschend naschen und stehlen ist um ein Beträchtliches leichter, und an der Geschmack- und Würdelosigkeit des Nachplapperns fremder Brocken hat sich ein richtiger Welscher noch nie gestoßen.

Täuschen wir uns aber nicht über die ernste Gefahr der Fremdwörter sogar für den Dauerbestand der Prosaschriften unsrer Klassiker! Viele viele Stellen, viel zu viele, in Goethes Werken sind schon heute den Mittelgebildeten ganz, den Höchstgebildeten halb unverständlich nur wegen der Fremdwörter. In dem einen 10. Briefbande der großen Weimarer Gesamtausgabe stehen Wörter wie ajustieren, augurieren, coincidieren, repliieren, Effiziationen, Prolifikationen und ein paar Dutzend ähnlicher Schreckgebilde, die selbst im Zusammenhang nicht klarer werden. Dürfen wir solch Zeug schreiben, weil Goethe es getreu im Stil des 18. Jahrhunderts zu schreiben für gut gefunden? Dürfen wir von Spinoza als von einem ›ruhigen Particulier‹ sprechen, weil Goethe es getan? Wagt der ärgste Welscher, allenfalls Simmel ausgenommen, heute zu schreiben, wie Goethe über Winckelmann schreiben durfte: ›Wir finden bei ihm das unnachlassende Streben nach Ästimation und Konsideration‹? Soll Goethe uns ein Sprachmuster sein auch mit Wörtern wie: Chromagenesie, styptisch, Adiaphorie, anastomosiert, Acheminement, equestre Statue? Darf man heute schreiben, wie Goethe arglos durfte: ›Ich habe mich greulich prostituiert‹ –? Der gemeine Welscher von heute schreibt: blamiert, der feinere: kompromittiert. Die Fremdwörter wechseln, ihre sprachliche Roheit bleibt die gleiche. Weiß selbst jeder unsrer Heimpariser, ohne im Sachs-Villatte nachzuschlagen, was des jungen Goethe häufiges Turlupinieren bedeutet? Wollen, ja müssen wir das nicht alsbald nachschreiben, weil uns ein Goethe damit vorangegangen? Und endlich: als Erich Schmidt eine Auswahl von Goethes Werken fürs Volk herausgab, sah er, der Anführer der Welschergemeinde von 1889, sich gezwungen, seiner Ausgabe ein umfangreiches Fremdwörterbuch beizufügen, solchermaßen selbst bekennend, daß Goethes Prosa wegen ihrer fremden Beimengungen schon heute dem deutschen Volke nicht mehr vollverständlich ist! Gibt es einen schlagenderen Beweis für die Gefährdung eines großen Kunstbesitzes durch die unselige Welscherei? Es lebt kein zweites Volk mit einer so schnell sprachlich vermuffenden und versinkenden Prosaliteratur, wie das deutsche. Was das zerstäubende Holzpapier nicht vollbringt, das besorgt die vergängliche welsche Sprache aufs sicherste.

 

Es deckt sich nicht

O wie leidenschaftlich gern schriebe ich Deutsch, sagt der Welscher, wenn die deutsche Sprache nur nicht so oft an dem bedauerlichen Gebrechen litte, sich mit einer fremden nicht zu › decken‹! Und man begreift: erste Forderung an ein deutsches Wort, um den durch ein Welschwort angemaßten Platz zu erobern, ist, daß es sich mit dem Welschwort decke; denn diesem gebührt in der Sprache der Deutschen das Herrenrecht, dem deutschen Wort das Recht des Bettlers.

Es deckt sich nicht!: so lautet der Kerngrund der Welscher gegen die untadligsten deutschen Ausdrücke. Man horche nur hin, oder lese nur: wo immer zwischen den Verteidigern der Zehntausende von Fremdbrocken und den Freunden deutscher Sprache gestritten und für die überflüssigste Welscherei ein gutes deutsches Wort vorgeschlagen wird, da erklingt von der Walze des Welschers: Es deckt sich nicht. Nämlich: es deckt sich nicht das vollverständliche, weil gefühlte, deutsche Wort mit dem unbestimmten, weil nichtgefühlten, Fremdwort. Und die gutmütigen Verteidiger des Grundsatzes, ein Deutscher habe Deutsch zu reden, fallen fast durchweg auf die Trugforderung hinein: Das beste deutsche Wort muß, um Gnade zu finden, sich mit dem sprachlich schlampigsten, begrifflich unklarsten Fremdwort ›decken‹. Die verkehrteste umgekehrte Welt! Schüchtern klopft ein gutgebildetes, allgemein verständliches, vollwichtiges deutsches Wort an die Ehrenpforte der deutschen Sprache, sagen wir z. B. das Wort Abteil, und begehrt, nein erbittet, Einlaß. Herrisch und überlegen schnauzt das Coupé grob daher: Was, du, ein gewöhnliches nur deutsches Wort willst dich hier auf oktroyieren? Hier bin ich im Besitze, also im Recht, denn beati possidentes. – Verzeihen Sie gütigst, flüstert das deutsche Abteil, ich dachte, halten zu Gnaden, in den Hallen deutscher Sprache sollte für mich anständiges deutsches Wort wohl ein Plätzchen sein; ich begnüge mich vorerst gern mit der Anwendung für die dritte Klasse. – Da könnte ja das ganze Grimmsche Wörterbuch um Entrée bitten und unsre Plätze okkupieren. Zeig deine Legitimationen vor, deine Dokumente über Indigenat, Etymologie, Konstruktion, Flexion, Nomenklatur! – Und nun muß das sprachsaubre Abteil sich von dem lächerlichen Wechselbalg Coupé gefallen lassen, daß an ihm geschnüffelt, genörgelt, gekrittelt, gespöttelt wird, wie dies im Tempel deutscher Sprache mit keinem noch so zigeunerisch verluderten Fremdwort jemals geschieht. Da wird es dem deutschmichelhaft geduldigen Abteil schließlich zu dumm, und es begehrt gegen das französisch freche Coupé auf: Wer und was bist du denn? Hast du überhaupt ein gültiges Zeugnis? Ein Franzos willst du sein? Dein Zeugnis ist gefälscht: es gibt ja auf der französischen Eisenbahn gar keine Coupés, allenfalls im berlinischen Frankreich, wo man ganze Rudel solches falschfranzösischen Gesindels geduldet oder gezüchtet hat. – Aber Sie Abteil decken sich nicht mit mir, Sie sind ja bloß deutsch, auch haben Sie nicht mal einen Akßang! Sie sind mir kaum analog, jedenfalls nicht adäquat, geschweige denn äquivalent, und sicher nicht kongruent. – Ich soll mich mit einem hergelaufenen Berlinfranzosen auch noch decken? Fällt mir nicht ein; meine Aufgabe ist nur, mich mit dem deutschen Begriff eines abgeteilten Wagenstückes zu decken; das tu ich, das tust du nicht, also hinaus mit dir! – Worauf sich das stolze Coupé sogleich feige drückt, denn sowie man kräftig deutsch zu solchem Zigeunervolke spricht, verliert es Kurage, Toupet, Aplomb, Arroganz, Insolenz, Impudenz und verduftet; höfliches Verhandeln mit ihm und seinen deutschen Beschützern bleibt erfolglos.

Ja, es ist die verkehrte Welt! Deutschgeschriebenes muß, um gleiche Geltung zu erlangen wie die welschende Mengselsprache, eine sich peinlich genau deckende Verdeutschung, also einwandfreie Übersetzung aus dem Welsch sein. Und so mühen sich denn Tausende von wackern deutschen Schreibern, besonders die Mitglieder des Deutschen Sprachvereins, löblich ab, aus einer maßgebenden Unsprache zu übersetzen, zu verdeutschen, und fühlen kaum, welcher ungeheuerlichen Anforderung sie sich damit fügsam unterwerfen.

Für den eingefleischten Welscher steht fest: kein noch so gutes deutsches Wort deckt sich mit dem abgedroschensten Welschwort. Da ist die Gegenfrage geboten: Warum deckt sich niemals ein noch so gutes Fremdwort mit einem der in deutschen Gedichten auszudrückenden Dinge und Gefühle? Dem Welscher ist die selbstverständliche Antwort unverständlich: Weil jedes Fremdwort minderwertig ist. In Deutschland stellt man an die Dichtung die strengsten Forderungen, für die Prosa begnügt man sich mit jeder beliebigen Schlamperei: dies ist die tiefste Quelle des deutschen Schlammstromes.

Zum Schluß dieses Abschnittes noch ein Wort über den angeblichen ›Verlust‹ beim Verzicht aufs genaue Decken von Welsch und Deutsch. Ich selbst gebe zu, daß durch die lange Gewöhnung an ein Welschwort – nur durch sie, nicht durch die eignen Tugenden des Welsch – aus den früher entwickelten Gründen gewisse Gefühlswerte künstlich erzeugt werden können, alle auf Kosten der Gefühlswelt und der Lebenskraft des Deutschen. Trotzdem habe ich beim Schreiben nie gezögert, auf den ›Gefühlswert‹ eines Welschwortes zu verzichten, weil mir der dafür eingetauschte Stilgewinn des reinen Kunstmittels unvergleichlich höher steht. Von diesem Kunstgeheimnis reiner Sprache hat der durch und durch unkünstlerische Welscher keine Ahnung; darum ist er im tiefsten Grunde, mit seiner eignen Sprache benannt, ein Banause des Stils, ein Unkunstschreiber. Auch der Marmorbildner könnte vielleicht durch Benutzung wirklicher Menschenhaare, Porzellanzähne, Glasaugen auf Kunstrohlinge einen gewissen Eindruck machen; warum wohl verzichtet er auf solche ›Kunstgefühlswerte‹ –? Ist diese Seite der Welscherei einmal richtig erkannt, dann wird kein gebildeter Schreiber, der mit der Feder so etwas wie Kunst schaffen will, sich jemals wieder zu Wirkungsmitteln erniedrigen, die außerhalb aller Kunst, ja außerhalb alles saubern Handwerks liegen.

 

Das Gerede vom Purismus

Ein Tag wird kommen, meine Augen werden ihn nicht schauen, wo man in Deutschland kaum glauben wird, daß die Besudler und Verderber reiner deutscher Sprache die Stirn gehabt und die Duldung genossen haben, die Verteidiger der Muttersprache zu verhöhnen, ja zu beschimpfen. Die Schmutzigen verhöhnen die Saubern ob ihrer allzu großen Sauberkeit und schimpfen sie in einer schmutzigen Unsprache: Puristen! Ein Schimpfwort, ersonnen zur Täuschung der Urteilslosen und als Ersatz für den Mangel der Schimpfer an vernünftigen Gründen. Weiß der Leser, was ein Purist ist? Er weiß es bestimmt nicht; aber die Welscher reden ihm vor, es gebe in Deutschland Puristen, ganze Vereine von Puristen, die ein verrücktes Deutsch fordern und selbst schreiben: Gesichtserker statt Nase, Dachnase statt Schornstein, Windfang statt Mantel, Gebärerin statt Natur, Allgemeiner statt General, Mitstreit für Konzert. Kein Leser hat solche Narren je gesehen; aber es muß ihrer doch eine Menge geben, denn – es hat ja so in der Zeitung gestanden. Dem Leser kann geholfen werden: er kennt mindestens einen Puristen, den zurzeit entschiedensten, den von den Welschern gehaßtesten oder gefürchtetsten, also den schlimmsten: den Verfasser dieses Buches und mancher andrer Werke in ebenso lächerlicher Puristik, und nun möge er selbst urteilen, wie es um das Deutsch der Puristen bestellt ist.

Purist ist das kindisch böswillige Schimpfwort des Welschers mit dem schlechten Gewissen für die dummen deutschen Kerle, die verlangen, in Deutschland solle Deutsch gesprochen werden. Alles Abern gegen diese Erklärung ist hohles Gerede. Es gibt keinen Puristen, der festgewurzelte, wirklich eingedeutschte Wörter fremden Ursprungs, fremdbürtige Titel, nun gar deutschgewordene Lehnwörter, viele alte und manche neue, gewaltsam ausmerzen will. Wie der schlimmste aller Puristen in diesem Punkte denkt und schreibt, weiß der Leser dieses Buches; aber noch kein Welscher, selbst kein von mir mit Namen genannter und bekämpfter, hat sich unterstanden, zum Beweise für seine Puristenhatz etwa mein ›lächerliches Puristendeutsch‹ anzuziehen.

Mit dem läppischen Schimpfwort Purist wollen die Welscher nicht etwa rechtfertigen, daß sie ein paar schwer ersetzbare, sondern daß sie zehntausend überflüssige Fremdwörter gebrauchen. Sie beschimpfen die, welche in engsten Grenzen die uns geschichtlich leider aufgezwungenen fremden Eindringlinge dulden müssen, um sich selber ihr Willkürrecht unbegrenzter Welscherei zu sichern. Eine der uneigennützigsten, edelsten Bestrebungen zur Stärkung deutschen Volkstums wird verhöhnt, als ob es je gelingen könnte, einem großen klugen Volke einen so ausgemachten Unsinn aufzureden, wie sich ihn die unwissenden oder unwahrhaftigen Welscher in ihrem Truggebilde Purismus erfunden haben. Unsre traurige Sprachgeschichte lehrt uns doch auf jeder gedruckten Blattseite, daß es tausendfach leichter ist, dem deutschen Volk tausendfachen noch so elenden Auslandsschund aufzuhalsen, als es zu einem Schritt ins reindeutsche Leben zu bewegen.

Dem Fremdwörtler heißt jeder, der reines, ja nur ein wenig reineres Deutsch fordert, Purist. Wie aber nennt sich und seinesgleichen der Fremdwörtler? Sich selbst hat noch kein Fremdwörtler mit diesem Namen genannt; denn hört man jeden, so gebraucht jeder nur genau soviel Fremdwörter, wie bei seiner Gedankenüberfülle und beim traurigen Versagen des Deutschen unbedingt notwendig sind, nicht eines zuviel. Wer also ist der Fremdwörtler, dessen Vorkommen in Deutschland kein Fremdwörtler bestreitet, das er mitunter sogar in edler Entrüstung beklagt? Der Andre, der böse Andre! Nämlich jedes ihm zufällig nicht geläufige Fremdwort ist ihm ein Greuel, eine Schändung der ach so heiß geliebten Muttersprache; wehe aber dem, der eines seiner Fremdwörter anzutasten wagt: nur ein ›dummer Purist‹ ist zu solcher Missetat fähig. Schont man nur dieses einen Welschers Fremdwörterbuch, so darf man ungescheut das jedes andern verwerfen. Der Welscher treibt seine Phrasenliebe fürs Deutsche sogar so weit, daß er sich für einen Freund der Sprachreinigung erklärt. Wirklich, der Fall ist nicht ganz selten. Aber er stellt zwei Bedingungen: Man wage sich nicht an seine Fremdwörter und – ›man halte Maß‹! Mit rührender Sorge warnt der Welscher, z. B. ein Herr Vietor, Phonetiker, Germanist, und Anglist in Marburg, davor, ›alles fremde Sprachgesindel hereinzulassen und zu dulden‹; aber hübsch mit Maß, also ›keine Auslieferung unsrer – unsrer! – Fremdwörter an Sprachreiniger‹; wohl aber, nicht wahr?, die Auslieferung unsrer deutschen Sprache an die Welscher. Denn wer sonst die Sprache vom Sprachgesindel reinigen soll als die Sprachreiniger, das haben uns die Welscher der letzten drei Jahrhunderte nie gesagt.

Also immer ›mit Maß‹; dann besteht vielleicht doch eine leise Hoffnung, daß von den 150 000 gebräuchlichen Fremdwörtern in 100 Jahren etwa 10 000 beseitigt sind, so daß man im Jahr 2017 nur noch armselige 140 000 hätte, wenn nicht bis dahin durch die rastlos weiter schaffende Welscherei für die 10 000 beseitigten 20 000 neue unsrer trauten Muttersprache einverleibt sein sollten.

 

Vom Maß und von den Auswüchsen

Immer mit Maß! Wüßten wir nur, wer das Maß in seinen gerecht abwägenden Händen hält? Der Mensch ist das Maß aller Dinge, sagte ein weiser alter Grieche; ich bin das Maß für reines Deutsch, sagt jeder Welscher. Wo ich mit Welschen aufhöre, da fängt das Übermaß, das Unmaß des Welschens an; wo ich mit Welschen anfange, da hört das Maß der erlaubten Sprachreinigung auf. Wer's nicht glaube, der erinnere sich der köstlichen Beispiele zweier der größten Welscher unsrer Tage auf Seite 42.

In keiner der liebreichen Warnungen unsrer Welscher vor der übergroßen Sprachreinlichkeit und ihren Gefahren, wie sie z. B. Herr Theodort Birt so erschreckend ausmalt (S. 99), in keiner dieser unwissenschaftlichen Salbadereien fehlen zwei redensartliche Gummistempel: Man hüte sich vor den ›Auswüchsen der Sprachreinigung‹!, und: ›Man schütte das Kind nicht mit dem Bade aus!‹ Wo in Wahrheit die Auswüchse, die Geschwülste, die Schwammgewächse der Verschmutzung am Leibe unsrer Sprache wuchern, das wurde eingehend aufgewiesen. Wo die verderblichen Auswüchse der Reinlichkeit sitzen, die zur ›Dienstunfähigkeit‹, ja, entsetzlich zu sagen, zur › Primitivität‹ führen, das sollten uns die getreuen welschenden Eckarte des Deutschen endlich einmal zeigen. Es läuft mit solchen hohlen Warnereien bei ernster Prüfung doch hinaus auf die entsetzte Frage jenes polnischen Juden vor der befohlenen Waschung des ganzen Leibes für eine ärztliche Untersuchung –: ›Auch die Fieß?!‹, oder auf eine Beanstandung der ›Lausoleen‹ im Felde mit dem Hinweis, daß dann ja womöglich keine Laus am Leben bliebe. Und was das Gewäsch vom Kinde und Bade betrifft, so ist das Kind doch wohl die deutsche Sprache, und das Bad der Unrat, in dem das arme Kind bis zum Halse steckt. Ich habe längst das ganze Schmutzbad ausgeschüttet, habe aber nicht bemerkt, daß das Kind den geringsten Schaden dadurch erlitten.

Jeder vernünftige Grundsatz muß die Probe vertragen, auf die Spitze getrieben zu werden, und jeder verträgt sie. Die sprachgesunden Völker alle, von den Griechen zu den Franzosen, haben von dem Grundsatz reiner Sprache keine Ausnahmen geduldet, die Verschmutzung selbst nicht im leidlichsten Maß erlaubt. Daß die Reinlichkeit ›Auswüchse‹ erzeuge, daß man das schmierigste Wasser beileibe nicht ausschütten dürfe, diese Entdeckungen blieben unsern Welschern vorbehalten.

Zwei sich von selbst aufzwingende Fragen: Was wird aus der deutschen Sprache, wenn ihre Durchsetzung mit Welsch unbegrenzt so weiter geht wie bisher und wie zur Stunde, wo ich dies schreibe? – Was aber würde aus ihr, wenn die deutschen Schreiber allesamt Deutsch schrieben, wenn auch z. B. nur so kümmerliches wie ich, der ich eben schreibe, ›als ich kann‹? Ernsthaft: Kann man sich die rein deutsche Sprache eines vernünftigen Schreibers je so lächerlich, so alfanzig, so ekelhaft vorstellen wie die mit den Proben auf Seite 40?

Der von mir nicht mit Sammethandschuhen angefaßte Welscher sage aus berechtigtem Unmut sein Ärgstes über mein Deutsch, er sage es meinethalben in seinem grimmigsten Welsch, – wenn er nicht ein böswilliger Rechthaber oder gar Lügner ist, so mag er meine Sprache tadeln, geringschätzen, verachten, weil er eine viel buntere, reizvollere, nüankßenreichere schreibe; aber deutsch und verständlich ist meine Sprache, und soviel Scham traue ich noch dem letzten Welscher zu, daß er das Deutsche nicht öffentlich zu belachen wagt, weil es nur deutsch ist.

Und wem schaden die angeblichen ›Auswüchse‹ der Sprachreinigung? Etwa dem Welscher? Kann er nicht, wird er nicht ruhig weiter welschen? Oder der edlen deutschen Sprache selbst? Wie denkt man sich einen Schaden für sie durch die ›Auswüchse‹? In der Tat, es könnte dahin kommen, daß durch ähnliche Machtgebote deutschgesinnter Behörden, wie einst durch das des schöpferischen Reichspostmeisters Stephan, einige Hundert überflüssiger Fremdbrocken durch gute deutsche Wörter ersetzt würden; aber wo wäre der Schaden für die deutsche Sprache? Die Welscher würden genau wie dazumal gegen Eingeschrieben für Rekommandiert, Behändigungsschein für Insinuationsdokument, Abschnitt für Coupon ihr ödes Gezeter erheben; aber schon nach einem Jahr hätte sich das ganze deutsche Volk, einschließlich der Zeterer, an die guten deutschen Wörter gewöhnt, und das Bad des Kindes wäre einigen Schmutz losgeworden.

Will man aber mit dem Gerede von den ›Auswüchsen‹ solche unberufenen Sprachreiniger treffen, die gelegentlich ein etwas ungeschicktes deutsches Wort an die Stelle eines ganz elenden Fremdbrockens setzen möchten, so gibt es hierbei keinen schlimmeren Schaden, als daß dieser vereinzelte Ungeschickte keinen Erfolg hat und sich höchstens selbst ein wenig lächerlich macht. Einen Schaden aber für die deutsche Sprache? Keine Spur davon. Hingegen stellt jedes neue willkürlich erdrechselte Welschwort eine sichere neue Beschmutzung unsrer Sprache dar; denn alle deutsche Sprachgeschichte lehrt, daß jeder neue noch so verrückte Welscherunfug wie ein Lauffeuer durch die ganze deutsche Schreiberwelt flammt und nicht mehr auszutreten ist, während die Heldentat jenes puristischen Halbgottes in den Mistställen des Augias ein Kinderspiel war gegen jeden Sprachreinigungsversuch in Deutschland. Herakles brauchte nur die Stalltore aufzusperren und einem reinigenden Wasserschwall den Weg zu öffnen, so war der ganze Mist etlicher Jahre auf einmal weggespült. In Deutschland darf der bergehohe Sprachmist dreier Jahrhunderte nur ›mit Maß‹, mit dem Fingerhutmaß ausgeräumt werden; und dieweilen dies von den geschmähten Puristen, den Freunden der Reinlichkeit, mühsam unter dem Spott der Mistbeschützer vom Stamme des Augias versucht wird, kommt immer neuer Mist in Kübeln und Karren hinzu.

Dem Freunde deutscher Sprache ist weniges so nützlich, wie der Blick in die Sprachseele des Welschers; nichts so erfreulich, wie die daraus bestärkte Überzeugung von der Bodenlosigkeit der Welscherei. In einem Aufsatz des 5. Jahrbuchs des Schwäbischen Bundes für Heimatschutz(!) beschäftigt sich Professor Theobald Ziegler u. a. mit dem Kampf gegen die Fremdwörterei. Vortrefflich, nicht wahr? Es gibt in der Tat keinen sichrern Heimatschutz als diesen Kampf. Aber so meint Herr Ziegler das nicht, sondern – umgekehrt: Der Kampf muß geführt werden gegen die Sprachreiniger! Man greift sich an den Kopf; aber es steht so da, und entsetzt denkt man wieder einmal an Goethes tiefen Spruch über rechthaberische ›Gelehrte, die imstande sind, ihre fünf Sinnen zu verleugnen‹. ›Neben der Reinheit stehen als weitere Vorzüge der deutschen Sprache ihr Reichtum – (an Fremdwörtern!) – und ihre Fülle – (an Fremdwörtern!) –, ihre Biegsamkeit – (mit ation, ition, ution, ik, ist, istik, isieren, ifizieren, isation und 200 andern Biegsamkeiten) – und Anpassungsfähigkeit (an 5–6 verluderte Fremdsprachen)‹. Daß Herr Ziegler nicht deutsch schreiben kann, ist bekannt. Er hat sogar das Welschwörterbuch noch um eine Reihe von nagelneuen Biegsamkeiten bereichert, z. B. um die Egoität, luxurieren und das einzig dastehende individuallos, ein Eigenschaftswort mit ›los‹! Aber wenn er selber nicht anders als reinlos schreiben kann, warum bekämpft er die Männer, die aus deutscher Gesinnung und mit nichtbestrittenem Können schmutziglos schreiben? Besonders gefährlich erscheinen ihm solche Deutschverderber wie ›Herr S. oder Herr E.‹ und das, was diese Schädlinge ›als Ersatz erfinden‹. S. ist Otto Sarrazin, E. ist wohl Eduard Engel, und gegen beide Feinde muß die schwerbedrohte traute deutsche Heimat geschützt werden. Denn bekanntlich verfügen diese beiden Hauptfeinde der deutschen Sprache, welche die Ziegler und Genossen einzig beherrschen, nämlich des Welsch, über die unumschränkte Staatsgewalt im Deutschen Reich und können ganz nach ihrer ›Willkür hinter dem Schreibtisch‹ (wörtlich so Herr Ziegler) dem ganzen deutschen Volke ihre ›künstlichen und gesuchten und lächerlichen Ersatzmittel‹ aufzwingen. Wiederum greift man sich an den Kopf: mit solchen Gegnern muß man sich abgeben – man muß, denn sie haben die Macht –, wenn man die Verschmutzung deutscher Sprache vom ärgsten Unrate säubern will! Daß Herr Theobald Ziegler keine Ahnung von dem Gegenstande hat, über den er schreibt, nichts von der Geschichte der erfolgreichen Sprachreiniger weiß, denen er selber Hunderte von unentbehrlichen Wörtern verdankt, daß er z. B. Engel für einen ›Erfinder von Ersatz‹ hält, nimmt allerdings niemand Wunder, der die Streitschriften der Verteidiger der deutschen Sprachverschmutzung kennt.

Lasse sich doch keiner, dem der welsche Unflat in unsrer Sprache die deutsche Luft verpestet und den Atem deutscher Seele versetzt, durch das Gespött oder Geschimpf unsrer Welscher einschüchtern! Der deutsche Purist weiß gar nicht, zu welcher erlauchten Gesellschaft er gehört. ›Dummen Purismus‹, wie z. B. Wilamowitz-Möllendorff, einer unsrer Meisterwelscher, zu schimpfen beliebt, haben Luther, Lessing, Goethe, Schiller, Moltke getrieben. Dummen Purismus weist jede bedeutsame geschichtliche Urkunde Deutschlands auf. Man lese nur den Aufruf An mein Volk vom März 1813, Fichtes Reden an die deutsche Nation, König Wilhelms I. erste Thronrede an den Norddeutschen Reichstag, seine Schlußrede nach der ersten Tagung; prüfe die mächtige Kundgebung des Reichstags an den Bundesfeldherrn beim Ausbruch des Krieges von 1870 mit Frankreich; genieße die edle Reinheit des kaiserlichen Erlasses vom 18. Januar 1871 über die Begründung des Deutschen Reiches; würdige die Weihe der puristischen Gedenkrede Bismarcks im Reichstag auf den Tod des alten Kaisers vom 9. März 1888; die Aufrufe des Kaisers Wilhelms II. an Volk und Heer beim Ausbruch des Weltkrieges und zu Beginn des dritten Kriegsjahres! Wollen die Welscher auch den deutschen Helden Hindenburg als ›dummen Puristen‹ bemakeln, der einem sächsischen Speisewirt die Erlaubnis, sein Haus mit dem Namen Hindenburg zu schmücken, nur unter der Bedingung erteilte, daß es ›Gasthaus zum Hindenburg‹ benannt würde, ›denn Restaurant ist eine undeutsche Bezeichnung‹?

Und endlich, was haben unsre über Purismus höhnenden Welscher zu sagen gegen den mit schärfster Absicht geübten Purismus unsrer Obersten Heeresleitung in ihren bald tausend täglichen langen Berichten über die Großtaten unsrer grauen Helden? Hier handelt es sich fürwahr um die höchsten Ziele eines Weltvolkes in der Weltgeschichte; hier wäre die schönste Gelegenheit für Aktion und Alliierte, für Disposition und disponieren, System und systematisch, enorm und kolossal und katastrophal, Okkupation und okkupieren, Protest und energisch protestieren, Terrain und Territorium, Material und Objekte und Apparate, für Funktion und funktionieren; für all die Hunderte, nein Tausende von Welschwörtern, ohne die der durchschnittliche deutsche Schreiber nichts über die Lebensweise der Blattläuse, die Vorvergangenheitsform eines Zeitwortes, die Zubereitung der eßbaren Saatkrähe, den Stoff einer Posse, die Wirkung eines Geigenvortrages sagen kann, sintemalen sich nur das ganze Welschwörterbuch mit seinem unermeßlich reichen Gedankenschatze über alle jene Probleme, Sujets und Materien ›deckt‹. Unsre weltgeschichtlichen Heerführer dagegen melden und beschreiben die umwälzenden Taten, deren Nachklang durch die Jahrhunderte hallen wird, mit voller Verständlichkeit in einer Sprache, die der ärmste deutsche Tagelöhner, der bescheidenste deutsche Schipper versteht. Wer aber dieses puristische Sprachwunder nicht fassen kann, dem sei es hiermit erklärt: die Führer unsrer Heldenheere stehen an Gesinnung und Leistung so hoch, daß sie erhaben sind über die armselige Eitelkeit gelehrter oder gelehrttuender Schreiber, die ihren zu allermeist schon eine Woche nach dem Druck in alle Winde zerstiebenden Plunder wichtigtuerisch aufputzen möchten mit dem glitzernden Sprachkatzengold aus aller unsrer Feinde Ländern. Nie zuvor hat die deutsche Völkerwelt Jahre hindurch Tag für Tag solch reinigendes Sprachbad genossen, nie solchen Sieg des Purismus über die Welscherei erlebt wie im deutschen Weltkriege. Aber, auch dieses muß gesagt werden: ohne sichtbare Frucht für die allgemeine Reinigung deutscher Sprache von der welschen Schmutzkruste; denn rund um die deutschgeschriebenen Berichte unsrer deutsch denkenden und sprechenden Feldherren stehen in jeder deutschen Zeitung die welschgeschriebenen Kakeleien über jene Musterstücke echtdeutscher, durch und durch ›puristischer‹ Edelsprache.

 

Campe und die schöpferische Sprachreinigung

Was wäre aus der deutschen Sprache geworden ohne die verspotteten Puristen , die nach deutscher Art ihre Sache um ihrer selbst willen betrieben und, nicht Spott noch Hohn achtend, sich vor der stärksten aller Mächte, der Dummheit, nicht fürchtend, Schritt vor Schritt ihren dornenvollen Weg dahinzogen? Die unsterblichen Verdienste der großen Meister unsrer Dichtung und Prosa um Kraft und Fülle, Schwung und Anmut, Tiefe und Glanz der deutschen Sprache in den höchsten Ehren, – an unmittelbarer Bereicherung des deutschen Wortschatzes stehen sie allesamt hinter unsern verlästerten Puristen, d. h. hinter den ebenso glücklichen wie kühnen Wägern und Wagern der deutschen Sprachreinigung. Nur die tiefe Finsternis der Unwissenheit im verwelschten Deutschland über diese Glanzleistungen unsrer Sprachgeschichte erklärt den frechen Spott der Welscher über Sprachreiniger wie die Fruchtbringende Gesellschaft und Philipp von Zesen. Doch selbst in den Kreisen wahrer deutscher Sprachwissenschaft wird der volle Umfang der dauernden Bereicherung an bester deutscher Sprache durch Joachim Heinrich Campe (1746 bis 1818) nicht allgemein gewürdigt.

Ein überaus merkwürdiger Fall: ein unschöpferischer Schriftsteller, der belehrsame Verwässerer des Robinson, selbst als Sprachgelehrter nur mittelmäßig, hat dieser eine Mann das Neuhochdeutsche um mehr glückliche Neuprägungen oder dauernde Belebungen guter alter Ausdrücke bereichert, als irgendein deutscher Schreiber, ja um mehr als unsre drei größten Klassiker zusammengenommen. Ein enggedruckter voller Bogen dieses Buches würde nicht hinreichen, den reichen Campeschen Neuwortschatz einfach abzudrucken. Alle Germanisten seit Jakob Grimm haben vereint nicht den hundertsten Teil neuen, unentbehrlichen Sprachgutes zum Deutschen beigesteuert, den wir dem einen Campe verdanken. Was hat z. B. Jakob Grimm selber für die Mehrung deutscher Sprache geleistet? Außer einigen kinderleicht zu formenden platten Fachwörtern der Sprachlehre wie Anlaut, Ablaut, Inlaut, Umlaut, Lautverschiebung noch den einen gründlich mißlungenen Versuch einer Verdeutschung: Auslauf für Exkurs, eine Geschmacklosigkeit, derengleichen sich keine bei Campe findet. Fast noch schlimmer steht es mit Grimms andern Verdeutschungen: Renaissance durch Wiederanfachung, Regierung – die kaum einer Verdeutschung bedarf – durch öffentliche Lenkung, Uniformierung durch Einförmigmachung. Allerdings hat auch Jakob Grimm leider zu denen gehört, die ohne Verständnis für Campes unvergleichlichen Schöpfungsreichtum sich kleinlich und, es muß einmal gesagt werden, neidvoll an diesem fruchtbarsten und glücklichsten Bereicherer des Deutschen gerieben haben. Jakob Grimms Nörgeleien gegen Campe, z. B. seine unhaltbare Behauptung, appetitlich sei unverdeutschbar, weil das, nach seiner Ansicht einzig in Frage kommende, althochdeutsche lustîc(h) veraltet sei, – all das ist versunken; urlebendig aber sind geblieben die Hunderte ausgezeichneter, aus unserer Sprache nicht mehr wegzudenkender Neuschöpfungen Campes.

Läse man sie nicht in seinen verschiedenen Verdeutschungsbüchern, so könnte man kaum glauben, daß wir Campen verdanken: Zerrbild ( Karikatur), Beweggrund ( Motiv), Öffentlichkeit ( Publizität), geeignet ( qualifiziert), prickelnd ( pikant), Dienstalter ( Anciennität), Tondichter ( Komponist), Sterblichkeit ( Mortalität), verlacht und bekämpft von der ganzen damaligen Welscherschaft; Zartgefühl ( Delikatesse); gegenständlich ( objektiv), nicht von Heinroth, wie Goethe, der Bewunderer von ›gegenständlich‹, geglaubt hat. Von Campe rührt das Wort Bannware ( Konterbande) her; von Campe: Schnittwaren, Modekrankheit, schlechterdings ( partout), ursächlich ( kausal), verwirklichen ( realisieren), Tageblatt ( Journal), Ersatzmittel ( Surrogat), Molkenkur, mittellos, Mißernte, Mißerfolg ( Fiasko), Treibeis, Treibjagd, Triebkraft ( Energie), trübsinnig ( melancholisch), Zwielicht ( Clair-obscur), unumwunden, Hochschule ( Universität), Umwelt (1811, von Goethe 1816 nachgeschrieben), lecker ( appetitlich), vervollständigen ( kompletieren), höhnisch bekämpft; Eilbote ( Expresser), Umschlag ( Couvert), unausstehlich, unentgeltlich, ungeschminkt, örtlich ( lokal), Selbander ( Tête à tête), Rentner ( Rentier), Söller (zuerst von Campe für Balkon vorgeschlagen), übernächtig, übersichtlich, zweifellos ( evident), wortkarg ( lakonisch), Laube für Loge, also nicht erst seit der Wormser Festbühne; Übertreibung ( Hyperbel), Finsterling ( Obskurant), Walze ( Zylinder), Wortschwall ( Deklamation), Selbstsucht und selbstsüchtig ( Egoismus, egoistisch), prall ( elastisch), Vorzeichen ( Omen), Ureigenheit ( Originalität); volksmäßig, gemeinverständlich, volksverständlich, leutselig (alle von Campe für populär); Gemeinwesen und Leserwelt für Publikum, Empfänglichkeit ( Rezeptivität), Stelldichein und Sammelplatz ( Rendez-vous), Freistaat ( Republik). Scheinwerfer für Réverbère ist eine Neubildung Campes; Haft ( Arrest), Farbengebung ( Kolorit), abstechen ( kontrastieren), Lehrgang ( Kursus), gefallsüchtig ( kokett) – alle von Campe. Geisteskrank geistesabwesend – von Campe. Genußsucht, Gewaltstreich, Guthaben, Gutsbesitzer, Lohndiener, luftdicht ( hermetisch), Altmeister, anspruchsvoll ( prätentiös), aufbauschen, auffällig, Bekanntmachung, einschließlich, Einzelheit ( Detail), Eßlust ( Appetit), bewahrheiten (Adelung: ›Albernes Wort einiger Neulinge‹) – von Campe dem Puristen. Folgerecht ( konsequent), Zuckungen ( Konvulsionen), Schnellpost ( Diligence), belegen ( dokumentieren), Ehrensold ( Honorar), Kunstfleiß ( Industrie), mündig und volljährig ( majorenn), Gegenstück ( Pendant), Ergebnis ( Resultat) – alle von dem verspotteten Sprachreiniger Campe. Ein Neunmalweiser in der damals maßgebenden Allgemeinen Literaturzeitung machte sich lustig über Campes Umwälzung für Revolution, fand sie ›schwerfällig‹, – schwerfälliger als die um zwei Silben längere Revolution!

So könnte ich seitenlang fortfahren; doch mir sind diese Beispiele genug, dem Leser wohl übergenug. Bei mehr als einem Hundert der Campeschen Schöpfungen greift man sich an den Kopf und fragt sich: Ist denn die deutsche Bildungswelt blind und taub, daß sie angesichts solcher Ruhmestaten schon eines Sprachreinigers den Welschern erlaubt, nur den Mund aufzutun gegen die Puristen? Ganz auf Welsch kann ja der weltbürgerlichste Aneigner seine Offenbarungen nicht kundtun, eine gewisse Zahl deutscher Begriffswörter muß auch er anwenden – nicht weil sein Welschwörterbuch nicht ausreicht, sondern weil es bei den verwelschtesten deutschen Lesern sprachliche Grenzen gibt; da sollte man ihm sagen oder ins Ohr schreien, denn er ahnt nichts davon, daß ein ansehnlicher Teil der selbst von ihm der Zulassung gewürdigten deutschen Wörter von einem Puristen herrühren.

›In dieser Schöpfung (glücklicher Neuworte) kann sich kein Autor mit ihm messen‹, hatte schon Jean Paul gerecht erkannt und bekannt. Goethe hat Campen so ungerecht, oder noch ungerechter, behandelt wie Heinrich von Kleist. Wir mögen zu verstehen suchen, warum; mögen Goethes allgemeine Abneigung gegen Sprachkrittler teilen, die in läppischer Weise an des Meisters edelstem Deutsch herumstöberten, – Ungerechtigkeit bleibt auch bei Goethe Ungerechtigkeit, bleibt sie um so mehr, als er über Campe spottete, aber in Dutzenden von Fällen die Campeschen Neuschöpfungen nachschrieb. Mit edler Höflichkeit hat Campe diesen Vorgang gekennzeichnet: ›Was unsern Glauben, daß die Benennungen Purist usw. keine beschimpfende, sondern vielmehr eine schmeichelhafte Bedeutung haben müssen, bis zur Gewißheit erhöht, ist die Bemerkung, daß der Herr Geheimrat von Goethe oft selbst kühn und glücklich genug dem Geschäfte der Verdeutschung obliegt, daß er statt der unsrer Sprache aufgebürdeten Fremdwörter neue deutsche bildet, daß er ferner auch von Andern vorgeschlagenen Verdeutschungen einen Platz in seinen Schriften gönnt.‹ Goethe hatte den nicht sonderlich tiefen und neuen, aber unbezweifelbaren Ausspruch getan: › Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern, ist das Geschäft der besten Köpfe‹ (in dem Aufsatz ›Die deutsche Sprache‹). Auf die Frage, wer von seinen Zeitgenossen alsdann den Ruhmeskranz für Sprachreinigung und -bereicherung zugleich verdiene, hätte Goethe nur den einen Campe nennen müssen, wenn ihn nicht voreinnehmende Verärgerung durch Andre befangen gemacht hätte. Uns aber dürfte niemand verübeln, wenn uns bei der dummdreisten Verspottung des Purismus durch die elendesten Sprachverschmutzer die Galle überliefe, und wir ihnen den großen Reiniger Campe nennend zuriefen: Habt Respekt, ihr Buben!

 

Zesen und andre Sprachreiniger

Campe war nicht der erste glückliche Purist: zwei Jahrhunderte hindurch hatte das Bestreben der besten Köpfe gewährt, die Sprache zu reinigen und zugleich zu bereichern, ehe Campe auf den Plan trat. In gewissen kindischen Fibeln, die sich Literaturgeschichten für höhere Schulen nennen, so namentlich in der verbreitetsten eines gewissen Hermann Kluge, nicht etwa des bedeutenden Forschers in Freiburg, wird – oh wie deutsch! – unter Vorbringung der blödesten Ammenmärchen die Tätigkeit Derer verspottet, die inmitten des Dreißigjährigen Krieges die deutsche Sprachehre blank zu halten trachteten: der Fruchtbringenden Gesellschaft und ihres schriftstellerisch, besonders deutschsprachlich, hervorragendsten Mitgliedes Philipps von Zesen. Außer Campe hat kein Deutscher so kühn und so glücklich gedeutscht wie Zesen, wofür ihm das von den Welschern über Sprache belehrte deutsche Volk gedankt hat durch solche bis auf diesen Tag verbreitete Kindereien: Zesen habe Mantel, Nase, Natur und andre Wörter so lächerlich verdeutschen wollen, wie auf S. 117 verzeichnet steht. Es war nicht zu grob, daß der verlästerte Streiter für saubres Deutsch solche schon damals gegen ihn erfundene Dummheiten ›unverschämte, grobe, ehrlose Schand- und Landlügen‹ nannte. Hoch über Jakob Grimm, hoch über der gesamten Germanistik einer germanistischen-seminaristischen Aera steht an Sprachbildnerkraft der eine Philipp von Zesen. Das Verzeichnis seiner glücklichen, bis heute fortlebenden Neugebilde würde mindestens eine enggedruckte Seite füllen. Von Zesen rühren her: Vollmacht ( Plenipotenz), Vertrag ( Kontrakt), Ausübung ( Praxis), Letzter Wille ( Testament), Gotteshaus ( Tempel), Urwesen ( Element), Gottestisch ( Altar), Tierkreis ( Zodiakus), Liebreiz ( Grazie), Zweikampf ( Duell), Lehrsatz ( Axiom), Gesichtskreis ( Horizont). Von Zesen zuerst wurden gewagt und durchgesetzt: Völkerrecht, Liebesbrief, kunterbunt, himmelhoch (dazu himmelweit von Opitz).

Neben Zesen stehen die Puristen Schottel, Opitz, Logau, weiterhin Gottsched (Jahrhundert!), Spalding, Jahn (Volkstum!) – mit zusammen reichlich 200 heute unentbehrlichen Neuschöpfungen. Man nenne mir nur bescheidene zehn gleich wertvolle Bereicherungen des deutschen Wortschatzes durch die gesamte zur Stunde lebende Welscherschar, von dem Gräkologen Wilamowitz-Möllendorff, dem Verhöhner des ›dummen Purismus‹, dem Meister des Satzes vom ›sich gerierenden Diogenes und dem potenzierten Sokrates‹, zu dem Germanisten Roethe, dem Entdecker des ethischen Pathos des deutschen Helden Siegfried! Ihrer Gräkologie und Germanistik alle Ehren, die ihnen gebühren; in Fragen deutscher Sprache verbitten wir Deutschschreiber uns jedes Mitreden solcher unberufenen Vertreter des Welschdeutsch, und das von Rechts wegen.

 

Du bekämpfest, so wirft vielleicht ein vereinzelter Leser ein, den Spott der Welscher, empörst dich über ihr Schimpfwort Purist, und bist doch selbst der Sünde bloß: du schiltst sie Welscher, und an Spott lassest du's wahrlich nicht fehlen. – Zunächst steht fest, wer angefangen hat: die Welscherei ist um Jahrhunderte älter als der Purismus. Und dann Schimpf gegen Schimpf, Spott gegen Spott: wo in aller Welt ist Raum zum mildesten Schimpf, zum leisesten Spott gegen Männer, die für deutsche Schreiber die deutsche Sprache verlangen und für sich selbst dieses Verlangen befriedigen? Und ist es denn überhaupt menschenmöglich, gleichmütig, ohne einen Ausbruch des Zornes oder des Spottes, vorüberzugehen an der tausendfachen Schändung der Muttersprache durch die Welscher? Ist etwa der Leser gleichgültig geblieben bei den wenigen Proben des Gewelsches, die ein Büchlein wie dieses ja nur darbieten kann, die aber jeder Blick in eins der zehntausend Welschbücher und Welschblätter vermehrt? Was in Sonderheit meinen Spott über die Welscher angeht, so sei am Schlusse dieses Abschnittes einmal für immer gesagt: der Spott ist ja mein einziger Selbstschutz, meine gelindeste Abwehr gegen die schonungslose eigne Grobheit, die den Welschern gegenüber von Rechtswegen geboten wäre. Ich ziehe den Spott vor, weil ich ihn besser beherrsche als die Grobheit und weil ich, vielleicht mit Unrecht, glaube, daß der wohlbegründete Spott auf die Leser des Gewelsches stärker wirkt als die ebenso wohlverdiente saftigste Grobheit.

 


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