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1. Der Zustand der deutschen Sprache

Sprich Deutsch!‹ – Welch ein paradoxer Titel! Das soll offenbar Effekt machen, soll sensationell wirken. – ›Sprich Deutsch!‹ Damit soll dem Leser wohl suggeriert werden, daß man in Deutschland nicht Deutsch spricht, also wieder einmal eine jener fanatischen, zelotischen Fremdwörterhetzen, die in ihrer outrierten Methode zu den extremsten Argumenten greifen, aus der Mücke einen Elefanten machen und die sporadische Einstreuung eines gelegentlichen Fremdwortes gleich als undeutsch stigmatisieren. Dagegen muß doch energisch protestiert werden. Diese Extravaganzen ja Exzesse chauvinistischer Nationalisten und Puristen fallen nachgrade auf die Nerven, diskreditieren eine an sich und gewissermaßen und mit den praktisch gebotenen Kautelen und Restriktionen ganz löbliche oder doch unschädliche theoretische Bewegung, können aber de facto nichts an dem aktuellen Stadium der historischen Entwicklung deutscher Kultur und an der Konsequenz ändern, daß die Welt der Intellektuellen praktisch nun einmal nicht ohne die subtiler differenzierende Nuance eines sorgfältig ausgewählten Fremdwortes in einigen ganz vereinzelten, seltenen, nicht der Rede werten Fällen auskommen kann.

Mit solchen Gedanken in solcher Sprache wird mein Büchlein von manchen Lesern, zumal von den gelehrtesten, empfangen werden, besonders von solchen, die nur einen Blick auf den Titel geworfen und nicht weiter gelesen haben. Ich habe ihre Sprache in den Eingangszeilen so getreu wiedergegeben, daß jeder Kenner sie für echt erklären wird. So und nicht anders wird von der deutschen Bildungswelt, den Intellektuellen in ihrer Sprache, gedacht, gesprochen, geschrieben, nur daß ich mich bei der gebotenen Knappheit mit 34 Fremdwörtern auf 19 Druckzeilen begnügen und die in jeder, wirklich in jeder längeren angeblich deutschen, vorgeblich gebildeten Auseinandersetzung – sagen wir von 100 Druckzeilen – unentbehrlichen, unvermeidlichen, unersetzlichen Sprachkleinode: Moment, Element, Koeffizient, Faktor, interessant, individuell, Individualität, Material, Organisation, subjektiv, objektiv, Synthese, Analyse, System verzichten mußte.

Sprich Deutsch! Die weltgeschichtliche Stunde hat geschlagen, von der ab alle Leisetreterei in dieser höchsten Frage deutschen Volkstumes endlich aufhören und der rücksichtslos laute Ruf erschallen muß: Sprich Deutsch! Sprache ist Volk, Volk ist Sprache, und mit der Besudelung und Verluderung der deutschen Sprache, wie sie jetzt in Alldeutschland verübt wird, läuft der Dauerbestand des wundersamen Volksgebildes, welches Deutschtum heißt, seine äußerste, seine tödliche Gefahr. Was immer die um Beschönigungen, Vertuschungen, Bemäntelungen nie verlegenen Intellektuellen Deutschlands gegen die Anklage vorzubringen wissen, daß sie Welscher und Fälscher des höchsten deutschen Heiligtumes, der deutschen Sprache, sind, – unbeirrt durch scheingelehrtes Wortgeflunker muß ihnen fortan von dem ganzen noch nicht sprachlich verbildeten deutschen Volke zugeherrscht werden: Sprecht Deutsch! Gleichviel wie hochgestellt, gleichviel wie tiefgelehrt, gleichviel wie weltbürgerlich gebildet, – ihr seid Deutsche, also: Sprecht Deutsch! Drückt euch nicht mit scheingeschichtlichen, scheingelehrten, scheingebildeten Spiegelfechtereien um die schlichte Forderung herum: Sprecht Deutsch!; denn ihr seid Deutsche, seid weder Römer noch Griechen, weder Franzosen noch Engländer, ohne deren Sprachkrücken nicht je zwei eurer gesprochenen oder geschriebenen Sätze stehen und gehen können. Von allen gebildeten, von allen nichtgebildeten Völkern der Erde wird die Urforderung jedes lebensstarken Volkstumes: Sprecht die Sprache eures Volkes! erfüllt, triebmäßig, ohne Tifteleien, mit der Selbstverständlichkeit alles gesunden Volkslebens. Einzig in Deutschland, vornehmlich in seinen gebildetsten Schichten, wird die Mahnung: Sprecht Deutsch! nicht beachtet, meist mißachtet, oft verhöhnt.

Ich kenne jede Erwiderung Derer, die Deutsch nicht schreiben wollen, aus überreicher Erfahrung. Keine der vielen Ausreden der zahllosen Welscher sagt mir etwas Neues. Der Leser wird die scheintriftigsten Verteidigungen der Unentbehrlichkeit des Welschens weiterhin kennen und würdigen lernen. Wichtiger jedoch als aller Streit für und wider die Welscherei ist die Erforschung der Tatsachen, die Feststellung des zurzeit in Deutschland herrschenden Sprachzustandes. Wissen wollen wir, wie in Deutschland, zumal in den geistig führenden Schichten unsers Vaterlandes, wirklich gesprochen wird; erst wenn wir dies im unerbittlich grellen Lichte der Wahrheit erkannt, hat die Frage einen Sinn: Darf ohne schwere Gefahr für deutsches Volkstum die deutsche Sprache in Deutschland länger so behandelt werden wie bisher?

 

Deutsche Mengselsprache

In der deutschen Bildungswelt und weit über sie hinaus, bis in die Tiefen des deutschen Volkes hinunter, allenfalls mit Ausnahme der wenigstgebildeten, wenigstverbildeten Grundschicht, wird eine Sprache gesprochen und geschrieben, die nach allen Begriffen von lebendiger, gesunder Volkssprache nicht mehr deutsche Sprache zu heißen verdient. Insonderheit die geschriebene und gedruckte Sprache Deutschlands mag immerhin noch als eine seltsame Mundart, Abart, Entartung des Germanischen so mitgehen, – deutsche Sprache ist das nicht mehr, was uns in jedem Zeitungsblatt, in fast jedem Buche wissenschaftlichen Inhalts, in zahllosen amtlichen, halbamtlichen, unamtlichen Kundgebungen und Anzeigen täglich, stündlich, minutlich entgegentritt.

Die Sprache der deutschen Wissenschaft aller Grade muß nach strenger rechnerischer Prüfung für eine ebensolche Mengselsprache wie das Englische erklärt werden: sie ist eine romanisch-griechische Mundart mit starker Deutschfärbung. Prüft man nur die Begriffswörter, also die Haupt-, Eigenschafts-, Umstands-, Zeitwörter, so ist das Deutsch der Wissenschaft romanisch-griechisch-germanisches Missingsch. Was ich hier nach reiflicher Prüfung als eine Tatsache, nicht als eine Meinung ausspreche, kann nur durch gleichgewichtige Tatsachen, nicht durch Meinungen widerlegt werden. Ich schreibe nicht einer › Sensation‹ halber, sondern ich will nach dem endlosen Hin- und Hergerede der Sprachwelscher und ihrer Gegner die zwei Fragen: Welche Sprache wird in Deutschland wirklich gesprochen und geschrieben? – Welche Sprache soll in Deutschland gesprochen und geschrieben werden? vom unerschütterlichen Boden der Wirklichkeit aus betrachten. Ich habe zu dieser Art der Betrachtung ein stärkeres Recht als die meisten Derer, die über Welscherei oder Deutsch geschrieben haben, denn ich habe ein volles Menschenleben hindurch Welscherei beruflich, amtlich an einer der Hauptquellen einschlürfen müssen: im Dienste des Deutschen Reichstags, dem beherrschenden Mittelpunkte welschender Beredsamkeit. Ich habe daneben ein Menschenleben hindurch als sprachlich prüfender Leser deutscher Bücher, deutscher Zeitungen und deutscher Zeitschriften den Stoff gesammelt für die Behauptung, die endlich ausgesprochen werden muß, bevor es besser werden kann: In Deutschland wird nicht Deutsch gesprochen, wird erst recht nicht Deutsch geschrieben. Ein deutschfeindliches Blatt eines der vielen deutschfeindlichen, bisher noch nicht in den Krieg gegen Deutschland verwickelten Länder schrieb nach dem deutschen Seesiege im Skagerrak aus unfreiwilliger Bewunderung: Das Wort ›Unmöglich‹ scheint es in Deutschland nicht zu geben; was können denn die Deutschen nicht? – Der Weltkrieg ums deutsche Dasein hat in der Tat den, uns Deutsche nicht zum wenigsten, überraschenden Beweis geliefert, daß wir so ziemlich alles können, was in Menschenmacht liegt; daß wir vieles trefflicher können als andre Völker; daß wir jedoch selbst in diesem Tod- oder Lebenkampf ums Fortbestehen deutschen Volkstumes nicht das vermögen, was die niedrigsten unsrer vielfarbigen Feinde mühelos vollbringen: den festesten Grundbau alles Volkstumes unerschütterlich zu bewahren, die unverfälschte, unverwelschte Muttersprache. Ein Beweis aus Hunderten, aus Tausenden: in neun Fällen von zehn bezeichnet der deutsche Mensch, besonders der schreibende, das höchste aller Hochgefühle mit einem elend erdrechselten Fremdwort: Vaterlandsliebe mit Patriotismus. Ich weiß, der gelehrte deutsche Welscher, der nie um eine Bemäntelung seiner Welscherei verlegen ist, wird auch mit beredtem, überaus gelehrtem, lateinisch-griechisch-französischem Wortschwall unwiderleglich beweisen, daß der gebildete Deutsche in vielen Fällen mit der gemeinen, bloß deutschen Vaterlandsliebe nicht ausreicht, daß der Patriotismus mit seinen wundersamen zarten Begriffs nuancen, seinen subtilen und imponderabeln Vibrationen unentbehrlich, unübersetzlich ist, daß nur chauvinistisch-nationalistischer Purismus ein so herrliches Wort wie Patriotismus beanstanden, wohl gar verpönen kann. Auf dergleichen mir verschlossene subtile Differenzierungen der linguistischen Ästhetik lasse ich mich grundsätzlich, schon aus Bescheidenheit, nicht ein; mir genügt die Feststellung der unbestreitbaren Tatsache, daß der deutsche Welscher sich ohne Patriotismus zusamt Patriot und patriotisch sprachlich nicht ›ausleben‹ kann.

Noch aus einem andern Grunde halte ich mich für besonders berechtigt, ja berufen, vielleicht sogar auserwählt, dieses Büchlein zu schreiben und einiges Gewicht für mein Urteil über die Welscherei in Deutschland zu beanspruchen. Ich kenne nämlich nicht bloß die Sprache der deutschen Welscher so genau, wie das nur eine lebenslange Erfahrung und Durchforschung ermöglicht; sondern ich bin, ohne mich dessen zu berühmen, einer der bald gezählten deutschen Schriftsteller, die ihre Bücher in reinem Deutsch schreiben, wiewohl dies in deutschen Landen nur geringen Ruhm erwirbt, ja von den meisten Lesern kaum beachtet wird. Immerhin beweist meine eigne Schreibsprache die von den Welschern grundsätzlich bestrittene Möglichkeit, daß ein Deutscher seine Bücher in der unverwelschten Muttersprache schreiben kann, ohne ein halbes Dutzend fremder Sprachen anzubetteln. Mir liegt wahrhaftig daran, mit allen meinen Schriften, vornehmlich mit dieser, so überzeugend wie nur möglich zu wirken, und jedes erdenkliche saubre sprachliche Mittel zu diesem Hauptzweck meines Schreibens ist mir hochwillkommen. Jede sprachlich darzustellende Farbe meines Willens, jeder wirksame Ausdruck meines Wissens, Fühlens, Könnens ist mir heiß erwünschtes Werkzeug. Dennoch, oder grade darum, verschmähe ich verachtungsvoll alle die Kostbarkeiten, die in dem erbettelten und gestohlenen fremden Sprachplunder stecken sollen. Dieses Büchlein wird die sehr geringe Zahl der in nichtwelscher Sprache abgefaßten deutschen Schriften um eine vermehren. Mir genügt die arme Sprak, die plumpe Sprak meines Volkes für alles, was ich ihm zu sagen habe, und ich überlasse es getrost den Lesern, zu entscheiden, ob die gewiß aufzuweisenden Gebrechen dieses Büchleins meinem Denkvermögen oder meiner Sprache, der deutschen, zur Last zu schreiben sind.

 

Sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht. Über den wahren Zustand der in Deutschland herrschenden Sprech- und Drucksprache besteht eine fast allgemeine vollkommne Täuschung oder Selbsttäuschung. Ich will aussprechen, was ist, und ich will es ohne Menschenfurcht, ohne irgendwelche scheue Rücksicht aussprechen. Ist überhaupt noch eine Rettung aus der grenzenlosen ausländernden Sprachsudelei denkbar – was von den besten Kennern bezweifelt wird –, dann nur durch schonungslose Offenheit. Bei dieser geht es nicht immer mit zarter Mäßigung und glatter Höflichkeit ab. ›Mit Seide näht man keinen groben Sack‹, hat der Meister edler Sitte, Goethe, gelehrt, und aus ihm schöpfe ich noch die andre Berechtigung für den Ton dieses Büchleins: ›Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muß derb auftreten. Ein höfliches Recht will gar nichts heißen.‹ Auf meiner Seite ist das Recht, nämlich das, zu fordern, daß in Deutschland Deutsch gesprochen werde.

Die herrschende Auffassung vom Zustand unsrer gesprochenen und geschriebenen Sprache ist etwa diese. Der Freund deutscher Zunge klagt über die allbekannte ›Fremdwörterei‹, wie er sie nach allgemeinem Sprachgebrauche nennt, und meint damit, daß sich in unsre Rede und unsre Druckwerke eine beträchtliche Zahl fremder Wörter eindränge. Diese Auffassung entspricht bei weitem nicht der vollen Wahrheit. Der Welscher aller Abstufungen, von dem Abgeordneten, der keinen Satz ohne ein Fremdwort sprechen kann, über den Zeitungsschreiber, der zum Ausschöpfen seines Gedankenreichtums auf je zwei Druckzeilen mindestens ein Fremdwort braucht, bis zum berühmten Hochschullehrer, in dessen Sprache die vereinzelten deutschen Begriffswörter stillos zwischen der Fremdbrockensprache wirken, – der Welscher spricht bei passenden feierlichen Gelegenheiten begeistert von der ›unvergleichlich edlen und reichen deutschen Sprache‹; erklärt sich für ihren geweihten Hüter; rügt schmerzerfüllt ›die zunehmende Sprachverwilderung‹, das Übermaß der Fremdwörterei – bei den Andern, besonders bei den bösen Zeitungsschreibern; ist empört, wenn man ihn, milde genug, einen Fremdwörtler nennt, und verkündet ein für allemal und in jedem besondern Falle besonders, daß jeder seiner Fremdbrocken, auch der lächerlichste, der tollste, der von ihm soeben neu erdrechselte, ganz unentbehrlich sei zur Übermittelung seines abgrundtiefen, farbenüppigen, nickelnagelneuen Weisheitschatzes an die weisheitdurstige Menschheit. Daß die sonst um ihres Reichtums willen von Deutschen und Fremden gepriesene deutsche Sprache auch seiner Gedankenüberfülle genügen müsse, – absurdes, phantastisches, irreales, puristisches Postulat.

Nehmen wir mit übertriebener Vorsicht an, der durchschnittliche Bedarf der Anleihen bei fremden Sprachen betrage für einen deutschen Schreiber nur 10 Welschbrocken auf je eine mittlere Druckseite, so bedeutet dies ohne gelehrttuende Redensarten unwiderleglich: der Schreiber war auf 100 Druckseiten 1000 mal außerstande, seine erlauchten Gedanken mit den beschränkten Mitteln seiner gemeinen Muttersprache auszudrücken. Selbstverständlich verschleiert jeder Welscher diese sonnenklare Wahrheit, die seiner Welscherei zugrunde liegt. Noch keiner der Welscher, die für die einfachsten menschlichen Begriffe die Sprachen fremder Völker anbetteln, die also z. B. Psyche statt Seele, Milieu statt Umwelt, Material statt Stoff schreiben zu müssen glauben, noch keiner dieser in 6–7 Zungen redenden und schreibenden Meister deutscher Bildung hat jemals zugegeben: Ich, Wilhelm Schulze oder August Piefke, kann dies und das und jenes und tausend andres nicht vollkommen verständlich und treffend auf Deutsch ausdrücken; sondern jeder, auch der elendeste Schreiber, erklärt in jedem Falle, wo er seine Muttersprache nicht beherrscht, oder sich mit allerlei Fremdbrocken brüsten will, mit einer in keinem andern Lande geduldeten Anmaßung: Im Deutschen kann ›man‹ dies nicht so kurz, so scharf, so fein, so treffend, so bezeichnend, so erschöpfend, mit einem Wort so adäquat sagen wie in verdorbenem Latein, verhunztem Griechisch, berlinischem Französisch, falschgesprochenem Stallknechtenglisch, stümperndem Leierkastenitalienisch. Daß dieser ›man‹ kein andrer ist als eben dieser welschende Mann, wird durch das verschleiernde ›man‹ wegzuschwindeln versucht.

 

Sprachliche Entvolkung Deutschlands

Die Wahrheit über den Sprachzustand in Deutschland ist allerdings so erschreckend, so fürchterlich, daß sie von den Welschern verschleiert, verschwindelt werden muß. Würde man sich im deutschgesinnten Deutschland der blanken Wahrheit voll bewußt, so wäre es trotz der schier unausrottbaren deutschen Ausländerei vielleicht um das Welschen und die Welscher geschehen. Selbst die Bestbestrebten in Deutschland gestehen sich nicht, daß wir längst mitten auf dem Wege zur Sprachverwelschung sind und immer weiter fortschreiten. Der Allgemeine Deutsche Sprachverein bekämpft seit 31 Jahren das, was auch er irrtümlich milde ›die Fremdwörterei‹ nennt, anstatt unverhüllt von der zunehmenden sprachlichen Entvolkung Deutschlands zu reden. Der gutdeutsch gesinnte Anton Fendrich meint in seiner Schrift ›Der Krieg und die Sozialdemokratie‹ aus demselben Irrtum heraus: ›Wer innen deutsch ist, kann schadlos ein ganzes Schock Fremdwörter vertragen.‹ Ein Schock erscheint ihm als das äußerste zulässige Maß. Der sonst so helläugige Mann hat offenbar keine Ahnung von der Wirklichkeit der deutschen Sprache in Deutschland. Ein Schock Fremdwörter! Du lieber Himmel, als ob ein Mensch über Fremdwörterei reden, als ob ich die Verwelschung Deutschlands anklagen würde um ein elendes Schock Fremdwörter! Nicht um 10 Schock, nicht um 20 Schock – also um 1200 Fremdbrocken – geht der Kampf; sondern um 100 Schock, um 1000 Schock, um 2000 Schock, wie ich beweisen werde. Den deutschen Redner oder Schreiber möchte ich sehen, der nicht schon in halbstündiger Rede auf 10 Druckseiten sein volles Schock Welschwörter los würde!

Die Wirklichkeit, die schmerzliche, die schmachvolle, sieht so aus: Es gibt kein Gebiet menschlichen Lebens und Strebens; kein Gefühl der Freude, des Schmerzes; nicht Wunsch noch Sehnsucht noch Klage; nicht Jubel noch Verzweiflung; kein Tun, kein Lassen; kein Vorbereiten, Ausführen, Vollbringen; keine Wissenschaft, keine Kunst, keine Tätigkeit fürs Gemeinwohl im Staat, in der Stadt, im Dorf, im Verein; nicht Essen noch Trinken noch Spielen; keine hohe oder niedre Belustigung; keinen Groß- oder Kleinbetrieb im Gewerbe; nicht Handel noch Schiffahrt auf dem Wasser oder in den Lüften; nichts im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, was der Deutsche, zumal der sich gebildet nennende, mit den Mitteln seiner Muttersprache ausdrücken kann oder will.

Von Zeit zu Zeit läuft durch die Blätter ein Pröbchen der welschenden Sprachverluderung Deutschlands im Dreißigjährigen Kriege, etwa im Stil dieses Berichtes Wallensteins an den Kaiser Ferdinand nach der Schlacht bei Nürnberg: ›Das Combat hat von frühe angefangen und den ganzen Tag caldissimamente gewährt, alle Soldaten Eurer kaiserlichen Armee haben sich so tapfer gehalten, als ich's in einiger occasion mein lebenlang gesehen, und niemand hat einen fallo in valor gezeigt. Der König hat sein Volk über die Maßen tief diskuragiert; Eurer Majestät Armee aber, indem sie gesehen, wie der König repussiert wurde, ist mehr denn zuvor assekuriert worden.‹ Die Herren in der abdruckenden Zeitung dünken sich sprachlich hocherhaben über solches Gewelsche, und die Leser schmunzeln selbstgerecht über solche Entartung. Ist unter den Zeitungslesern eine Leuchte deutscher Gelehrsamkeit im 20. Jahrhundert, etwa ein › Germanist‹ genannter Hochschullehrer der Deutschkunde, so rümpft er die Nase über solch ein ›glücklicherweise längst überwundenes antiquiertes Stadium deutscher Sprach evolution‹. Das Gleichnis vom Splitter und Balken im fremden und im eignen Auge paßt nicht, denn Splitter ist der Zustand des 17. Jahrhunderts, klobiger Balken das Gewächs unsrer Tage, in denen es die Welscher so herrlich weit gebracht. Die höchste Bildung, d. h. was sich so nennt, schreibt im lichten Ruhmesglanze des 20. Jahrhunderts in Deutschland folgende Sprache: ›Man kann dem deutschen Publikum nichts Distinguiertes spenden, was es nicht sofort seiner gewohnten Trivialität assimiliert. – Das Absolute und der Inhalt des analogischen Denkens, das fiktiv Absolute oder die absolut gedachte Relativität. – Der von der Koalition beherrschten Fraktion fehlten die Instruktionen der Machthaber. – Werther ist ein Gemisch von dramatischer Objektivität und lyrischer Subjektivität. Es ist ein erlesener Genuß, die Intensität und die Diskretion zu erkennen, mit der auf wichtige Situationen vorgedeutet wird. – Eine Biographie Schillers, deren Motive sich auf dem Niveau des populären Interesses bewegen. – Die Arbeitsteilung reduziert den Arbeiter auf eine degradierende Funktion; dieser degradierenden Funktion entspricht eine depravierte Seele.‹

Die Namen der namhaften Welscher, die solch grauenhaftes Zeug für feinstes Deutsch gehalten und jeden andonnern würden, der ihnen von undeutscher Sprache zu reden wagte, nenne ich absichtlich nicht, denn nicht mit den großen Namen sehr schlechter Schreiber, sondern mit der sehr guten Sache deutscher Sprache hab' ich zu tun. Der Leser darf mir glauben, daß ich meine Beispiele für die Welscherei auf den Arbeitsfeldern deutschen Geistes nicht dem Geschreibsel irgendwelcher Schmierer, sondern grundsätzlich nur den Schriften der Zierden deutscher Wissenschaft entnehme. Und nicht etwa mühsam, böswillig herausgeklaubte, sondern beim wahllosen Blättern überall ins Gesicht starrende Greuel. Wer allerdings schon, wie die meisten Leser, solches Gewelsche für die natürliche Bildungssprache in Deutschland hält, dem fallen die tollsten Beweise für unsre Sprachverluderung gar nicht mehr auf. Mir fallen sie auf, weil ich solche Sprachform überhaupt nicht als Deutsch, sondern als eine fremde wüste Mundart empfinde. Diese Empfindung auf meine Leser zu übertragen, ist einer der Hauptzwecke dieses Büchleins.

 

Zweisprachiges Deutschland

Man höre auf, von deutscher ›Fremdwörterei‹ zu reden! Es handelt sich längst nicht mehr um ein größeres oder geringeres Maß des Einstreuens fremder Wörter in deutsche Rede und Schrift, sondern um eine bis ins Mark, bis ins Herz der deutschen Sprache vorgedrungene krankhafte Entartung. In Deutschland wird nicht mehr Deutsch gesprochen. Kein Stand, kein Geschlecht, kein Alter in Deutschland spricht mehr Deutsch, sondern Welsch in seinen verschiedenen Abstufungen. Was die Welscher zu diesem Aussprechen der Wahrheit sagen, habe ich ihnen auf der ersten Seite vorweggenommen. Sie müssen mir widersprechen, denn sonst –? Deutschland wird ein zweisprachiges Land; seine Entwicklung zur offenbaren Zweisprachigkeit setzt sich vor sehenden Augen und hörenden Ohren unaufhaltsam fort. Hin und wieder durchflammt ein erbarmungsloser Blitz das bemäntelnde Dunkel, worein die Welscher sei's aus Selbsttäuschung, sei's aus Scham die Wirklichkeit unsers Sprachelends gehüllt haben. Im währenden Weltkriege geschah an einem staatlichen Berliner Gymnasium, das vielen für das ›vornehmste Berlins‹ gilt, folgendes: Ein Oberlehrer rügte bei der Abgangsprüfung als ›schweren Fehler‹, daß der deutschfühlende Jüngling und statt plus , Rechnungsart statt System sagte, sich überhaupt deutscher Ausdrücke an Stelle lateinischer bediente, und tat dabei den unsterblichen Ausspruch: ›Wir können uns ja gar nicht verstehen, wenn Sie immer deutsche Ausdrücke gebrauchen‹.

›Eine Anekdote! sagt der Welscher; ein Spezialfall, wie er bei der Individualität eines eigenwilligen Pädagogen einmal passiert, den man aber nicht generalisieren darf‹. Der allgemeine Zustand einer Sprache setzt sich aus unzähligen ›Spezialfällen‹ zusammen, und in Deutschland wird in unzähligen Einzelfällen eben nicht Deutsch, sondern Undeutsch gesprochen. Der Zustand, den vor 200 Jahren Leibniz warnend vorausgesehen, ist jetzt eingetreten: ›Es will fast das Ansehn gewinnen, wann man so fortfährt und nichts dagegen tut, es werde Deutsch in Deutschland selbst nicht weniger verloren gehen, als das Engelsächsische in Engeland.‹ Wir haben in Deutschland in den letzten zehn Jahren Schreiber am Werke gesehen, z. B. die beiden jüngst Verstorbenen Felix Poppenberg und Karl Lamprecht, einen Kunstschreiber und einen Geschichtschreiber; die beiden Lebenden Simmel und Sombart, einen Seelenforscher und einen Volkswirt, deren sogenanntes Deutsch sich äußerlich in nichts von der germanisch-romanischen Mengselsprache Englisch unterscheidet. Der innerliche Unterschied allerdings ist gewaltig: das noch so mengselige Englisch ist eine gebildete Sprache, das Welsch der vier genannten deutschen Schreiber ist wüste Unsprache.

Keine Übertreibung, nein herbe Wahrheit war der Satz in einer auch in Deutschland geachteten französischen Zeitschrift: ›Die deutschen Männer der Wissenschaft machen ernstliche Anstrengungen, durch eine Verschmelzung der deutschen und der romanisch-französischen Sprache zur Weltsprache zu gelangen. Das Esperanto wird durch sie überflüssig.‹ Hierin steckt eine Ungerechtigkeit gegen das Esperanto, denn dieses ist in all seiner Dürftigkeit eine wohlgeordnete, die Deutschwelscherei eine liederliche Kunstsprache. Zwitterdeutsche nannte Rückert die Deutschgebornen, die sich geistig ihres deutschen Adelgeburtsrechtes entkleidet hatten.

 

Nicht mehr gefremdwörtelt wird in Deutschland, sondern gewelscht, das heißt: die deutsche Bildungswelt, und ihr nacheifernd die der Ungebildeten, redet eine grauenvolle besondere Sprache, die ich Welsch nenne. ›Fremdwörtler‹ und ›Fremdwörterei‹ schreibe ich daher nur noch ausnahmsweise, sondern ich sage Welscher und weiß, warum ich es sage. Ein Fremdwörtler möchte allenfalls der überwiegend Deutsch schreibende Mann heißen, der nur hin und wieder, in seltenen Ausnahmefällen, ein vereinzeltes besonders schlagkräftiges Fremdwort zum vermeintlichen Aufhöhen und Abtönen seines Stiles gebrauchte. Die Fremdwörtler dieser erträglichen Art lassen sich leicht zählen. Nein, die Regel ist die, daß für jeden einzigen Begriff, zumal für jeden aus dem höheren Geistesleben, ein deutsches Wort wie ein armes verirrtes Kind erscheint, während sich der Fremdling fast in jedem Satze an den gewichtigsten Stellen breit hinpflanzt. Natürlich sagt jeder Welscher: ›Pah, meine paar Fremdwörter!‹ – Dies ist Selbstbelügen; es gibt keinen Welscher mit ›ein paar Fremdwörtern‹, es gibt keinen mit ein paar hundert. Unter 1000 Fremdbrocken fängt das Welsch nicht an, aber meist geht es in die paar tausend, bis zu 5000 und darüber, weit darüber.

Die Deutschverderber unter uns nenne ich Welscher und ich hoffe, dieses ins Herz der Sache treffende Wort an die Stelle des irreführenden Fremdwörtlers setzen zu helfen. Welscher ist nicht meine Schöpfung; Luther und seine deutschgesinnten Zeitgenossen nannten so die verkehrten Geister, die aus krankhaftem Dünkel in unverständlichen Zungen zu den einfältigen Gemütern redeten. Und wer in meiner Bezeichnung Welscher einen ›Mangel an Achtung‹ für diese Klasse von Schreibern erblickt, der sei gefragt: Welche Achtung gebührt Denen, die unsre Muttersprache verachten? Jawohl, ich verabscheue die Welscherei und ich wünsche mein Gefühl allen Lesern einzuflößen. Erfrechen sich unsre Welscher nicht gar, die Freunde reiner deutscher Sprache mit einem Hohnwort, natürlich einem lateinisch-griechischen, Puristen zu schimpfen? Wie in aller Welt soll ich denn die Verschmutzer deutscher Sprache richtig und nicht übergrob benennen? Wäre Schmutziane als Gegenwort zu Puristen unhöflich? Jean Paul schlug für die Sprachbemakler das Wort Makulisten vor; indessen auch dieses Fremdwort ist zu mild, bezeichnet nicht scharf genug, denn es handelt sich beim Welsch unsrer Welscher nicht um vereinzelte Makel, seltene Schmutzflecke. Die Griechen mit ihrem überfeinerten Sprachkunstsinn nannten jeden nicht Griechisch sprechenden Menschen Barbar. Ein Wort für die Griechen, die nicht Griechisch sprechen wollten, haben sie nicht geschaffen, denn solche Ungeheuerlichkeit war ihnen unausdenkbar.

 

Doch, eine Klasse deutscher Schreiber ist ihrer Muttersprache – bis jetzt! – treu geblieben: noch schreiben die deutschen Dichter mit seltenen Ausnahmen Deutsch, wenigstens wenn sie in Versen dichten oder in künstlerischer Prosa schaffen. Sie sind die einzigen Vertreter deutscher Bildung mit nur einer Sprache. Ihr Vorbild ist aber völlig wirkungslos, die andern Schreiber lernen von den Dichtern sprachlich nicht das geringste. Der deutsche Dichter, es klingt wie Wunder, vermag bis auf diesen Tag ausschließlich mit den Mitteln seiner Muttersprache die zartesten Regungen der Menschenbrust, die feinsten Farbentöne der Sinnenwelt auszudrücken, und jeder seiner Leser hält es für selbstverständlich, daß die deutsche Sprache ihm hierbei überall treulich zu Willen ist. Diese selbe unerschöpflich reiche Sprache jedoch versagt unsern tausenden von Welschern in der Prosa der Rede und Schrift in jeder Minute den Dienst.

 

Fremdwörterbücher

Pah, unsre paar Fremdwörter, oder doch meine paar Fremdwörter! sagt der Welscher. Ich hab' hier nur ein Amt und keine Meinung; ich streite nicht mit allgemeinen Redensarten, sondern mit unantastbaren Tatsachen, die sich in unerbittlichen Zahlen aussprechen. Deutschland ist das einzige Land der Welt mit Fremdwörterbüchern. Wir nehmen dies wie etwas Selbstverständliches hin, ohne zu bedenken, welche furchtbare Anklage in dem bloßen Vorhandensein solcher Bücher liegt. Um zu verstehen, was seine Volksgenossen ihm zu sagen haben, muß im eignen Vaterlande selbst ein leidlich gebildeter Deutscher ohne umfassende Kenntnis fremder Sprachen, müssen alle nicht fremdsprachlich gebildete Deutsche, müssen fast alle Frauen ein besonderes dickes Wörterbuch nachschlagen. Und was für Bücher sind das! In dem scheinbar vollständigsten Fremdwörterbuch, dem von Heyse, stehen gegen 125 000 Fremdwörter. In dem großen Fremdwörterbuch von Kehrein stehen auf 770 doppelspaltigen Riesenseiten über 80 000; in dem zweibändigen von Sanders über 100 000. Das ›gedrängte‹ Fremdwörterbuch von P. T. L. Hoffmann, neu bearbeitet und ergänzt von Th. Matthias, enthält mindestens 30 000 und nennt sich bescheiden ›Wörterbuch der gebräuchlichen Fremdwörter‹. Diese vier vollständigsten deutschen Fremdwörterbücher und alle übrigen sind durchaus unvollständig, denn sie enthalten nur wenige von den zehntausenden fremder Wörter, die sich aus Zusammensetzungen von Fremdwörtern mit deutschen Vorsilben – man denke z. B. nur an die zahllosen mit un- – oder mit deutschen Endungen ergeben. Ferner ›bereichert‹ der echte und gerechte Welscher sein Wunderwörterbuch beliebig durch lateinisches in oder griechisches a für un, unbekümmert, ob sich die Römer und Griechen in solchen Fällen dieser verneinenden Vorsilben wirklich bedient haben oder nicht. Der gewaltige Sprachschöpfer des Welsch beglückt mit seinen bequemen Wortbildungsmittelchen alle Wörterbücher der Welt, mit besonderer Vorliebe das französische, wie wir weiterhin sehen werden.

Ich selbst arbeite seit Jahren an einem kleinen Fremdwörterbuch, einem der wenigst dicken, zugleich insofern dem annähernd vollständigsten seiner Art, als ich ausschließlich solche Fremdwörter aufnehme, die ich in meinem erfahrungsreichen Leben als Reichstagsbeamter und Leser ungezählter Zeitungen und Bücher wirklich als gesprochen und geschrieben kennengelernt habe. Ich schätze die von mir aufgespießten gebräuchlichsten Fremdwörter auf 8000; indessen diese bescheidene Zahl verdoppelt sich durch Hinzurechnung der vorhin bezeichneten Zusammensetzungen und der von mir nur aufgeführten, aber nicht besonders erklärten selbstverständlichen Ableitungen.

Alle obengenannten Zahlen geben immer noch ein falsches Bild der in Deutschland herrschenden Zwittersprache. Zieht man in Rechnung, daß in jedem brauchbaren Fremdwörterbuch dem einzelnen Fremdwort durchschnittlich 3, 4 und mehr deutsche Gleichwörter gegenüberstehen, so ergibt sich selbst aus den kleinsten Fremdwörterbüchern ein wahrhaft grausiges Gesamtbild der Sprachverluderung in Deutschland, Deutschland über alles. Ich darf die Zahl der deutschen Ersatzwörter zu jedem Fremdwort in meinem demnächst erscheinenden Fremdwörterbuch auf durchschnittlich mindestens 5 schätzen. Was bedeutet diese Rechnung? Daß schon die gebräuchlichsten, die alltäglichsten Fremdbrocken, also mit Ausnahme der unzähligen Fachfremdwörter, in 5 × 8000, also in 40 000 Fällen die deutschen Ausdrücke verdrängt haben. Ist dies noch Fremdwörterei, oder ist dies nicht eine ausgebildete Fremdsprache neben der deutschen, inmitten der deutschen, ja vor der deutschen Sprache?

 

Ich bin mit meiner zahlenmäßigen Untersuchung der sprachlichen Zweizüngigkeit in Deutschland nicht zu Ende. Ich habe durch langsames Blättern in lateinischen, griechischen, französischen, englischen Wörterbüchern festgestellt, daß die Zahl der vom deutschen Welsch noch nicht aufgeschnappten fremden Wurzeln bei weitem geringer, ja schon in eine Ausnahmestellung gedrängt ist gegenüber dem Heer der eingewelschten wildfremden Wortkörper. Ich schlage z. B. das lateinische Wörterbuch unter C auf und setze der Reihe nach die auf einer Seite stehenden Lateinstämme her, die zu den Zierden des deutschen Welsch gehören: Comitium, comitor, commendabilis, commendator, commentarius, commentor, commentum, commercium, commilito, commissum, committo, commoditas, commodus. Ich schlage beliebig im P auf und schreibe ab: Praecipio, praecipito, praecipuus, praecisus, praecludo, praeconius. Ich schlage aufs Geratewohl im lateinischen R auf und setze her: Renitor, renovo, renuntio, reparo, repello, repercutio, repertor, repetitio, repeto, replico, repono, reporto, repraesento.

Soll ich aus dem griechischen Wörterbuch eine Seite mit ana-, eine andere mit kata-, eine dritte mit peri- hersetzen? Oder aus dem Französischen eine Seite mit re-? Mich nimmt Wunder, daß noch keinem jungen Sprachgelehrten der Gedanke gekommen ist, den deutschen Welschsüchtigen mit einem Verzeichnis solcher Fremdbrocken zu Hilfe zu kommen, die von der Welscherei bisher unbegreiflicherweise übersehen worden sind. Die ganze Sammlung würde ja in einem dünnen Heft Platz finden. Die Fremdwörterbücher von Heyse, Kehrein, Sanders, Hoffmann-Matthias sind zugleich ziemlich vollständige Wörterbücher der notwendigsten lateinischen, besonders küchenlateinischen, der griechischen, französischen, besonders der berlinfranzösischen Wörter, und sie erschließen tiefe Einblicke noch in ein halbes Dutzend andrer Sprachen.

Die von den deutschen Welschern geläufig gebrauchten zusammengesetzten Welschwörter mit lateinischem con ( com-, co-, coll-, corr-) füllen in dem vor 40 Jahren erschienenen Kehrein 43 große Spalten. Diese Masse hat sich seitdem noch ansehnlich vermehrt. Es gibt mindestens fünfmal soviel Welschwörter mit lateinischem re- wie deutsche mit rück- und wieder-. Der Welscher gebraucht bei weitem mehr Fremdbrocken mit lateinischem inter als deutsche mit zwischen. Das Welsch hat mindestens ebenso viele Welschereien mit lateinischem de-, wie deutsche Zusammensetzungen mit ab-; mindestens zehnmal so reichliches Gewelsche mit lateinischem dis-, wie deutsche Bildungen mit ent-, ant-, emp- zusammengenommen. Des deutschen Welschers anmutreiche Sprache kennt allein mehr Welschwörter mit lateinischem in- ( ill-, imm-, irr-), als sich in manchem deutschen Wörterbuch in dem ganzen Buchstaben I finden. Was sagt der Leser dazu, daß ich in mein sorgfältig ausgesuchtes kleines Fremdwörterbuch, das nur die wirklich und regelmäßig gebrauchten Welschereien enthält, 294 Fremdwörter mit in, ( ill-, imm-, irr-), 107 mit ex, 314 mit re, 75 mit prä, 153 mit pro, 372 mit kon, ( komm-, koll-, korr-, ko-), 205 mit de, 61 mit sub, ( suk-, suff-, supp-, sus-), zusammen 1581, aufnehmen mußte?

 

Noch darin wird fast allgemein geirrt, daß man sich die Welscherei als das Eindringen vieler, zu vieler einzelner Fremdwörter vorstellt. Die Zahl der vereinzelten, verwaisten Welschbrocken ohne Familienanhang ist sehr gering. Nein, sie rücken an in ganzen großen Sippen; sie kommen mit Kind und Kegel, was wörtlich zutrifft, denn ›Kind und Kegel‹ bedeutet die echt- und unechtbürtigen Kinder, Sie kommen in Herden und Horden; sie vermehren sich, wie es allem Ungeziefer eigen, von heut auf morgen ins Haufenhafte, Massenhafte. Sie nisten sich ein in alle wärmsten Lebensteile deutscher Sprache, deutschen Gedankens, deutscher Empfindung und saugen den eingeborenen Kindern deutscher Muttersprache das Lebensblut aus dem Wortgeäder. Kein Redeteil mehr ohne Gewelsche; nicht das Geschlechtswort, denn der Welscher wirft z. B. mit à la um sich, ein großer Germanist in Berlin mit › à la Karl der Große‹, ein Kunstschmock mit › à la Siegfried‹. Selbst in die Reihen der Ausrufswörter ist das Gewelsche seit mehr als hundert Jahren eingedrungen: bravo! da capo! pardon! allons! adieu!

Und nun sehe man sich die Hunderte von Welschwörtern an, die, einmal in irgendeinen Redeteil eingedrungen, sich wie ein fauliger Schwamm, wie ein krebsiges Geschwür über alle benachbarten Lebenszellen des deutschen Sprachleibes wuchernd ausstrahlen. Schüchtern hat sich zuerst das spätlateinische specialis in der verstümmelten Form special eingeschlichen. Schnell klebt sich dieser Geschwürskern fest und fester, saugt den deutschen Wörtern ›sonder, besonder, sonderlich, eigen, enger, fachlich, artlich, einzel‹ die Lebenssäfte aus, und bald gibt es nur noch special als Bandwurmkopf unzähliger Gebilde: Specialgeschäft, Specialhandel, Specialfrage, Specialidee usw. usw.

Die Geschwürzelle, der Schwammkern spaltet sich, er › differenziert‹ sich, denn es gilt, auch das Sprachgewebe des Umstandswortes ›besonders‹ zu verzehren. Aus special, das wenigstens noch küchenlateinisch war, spaltet sich ein keiner Menschensprache angehörendes speciell ab, und fortan ist alles Besondere ein Specielles, denn das Umstandswort speciell erzeugt aus sich ein nie dagewesenes Hauptwort: das Specielle.

Weiter geht die Wucherung, die Verschwammung, die Durchkrebsung des lebendigen Sprachgefüges. Es gab die Besonderheit, Sonderart, Sonderheit, das Sonderfach, Eigenfach, Leibfach, Hauptfach, Lieblingsfach, Sondergebiet, Leibgebiet, Hauptgebiet, Sonderfeld, den Sonderzweig, Sonderbetrieb, Hauptbetrieb, das Hauptgeschäft, Sondergeschäft, Steckenpferd, die Liebhaberei; – die ganz unklassisch lateinische, sprachlich verlumpte und verluderte Spezialität spreizt sich an ihrer Stelle, frißt sie auf und versperrt jeder Neuschöpfung den Weg. In den Schriften eigensinniger › Puristen‹ müssen sie ihr kümmerliches Leben zu fristen suchen. Immer weiter und breiter wuchert der Sprachschwamm und erzeugt, gespeist aus griechischen Welscherquellen, neue Herrlichkeiten: Spezialist, spezialistisch, spezialisieren. Nur einen Seitenblick werfen wir auf die näheren und ferneren Seitenlinien, auf spezifisch, spezifizieren, Spezifikation, Spezimen. Weiter reicht meine Herrschaft übers Küchenlatein nicht, und besondere Nachforschungen in Lamprechts, Sombarts, Simmels gesammeltem Gesudel zur Erweiterung meiner Kenntnisse anzustellen, muß ich mir bei der Kürze menschlichen Lebens versagen.

Mein Beispiel ist keines der reichsten; es gibt Wurzelschwämme und Wortkrebse von viel breiterer Verästelung des Stammbaumes, mit einem Heer von deutschen und welschen Vorsilben und Endungen, mit so zahlreichen und feinen Zwischenformen, daß man schon ein Spezialist der Welschkunde – oder Welschistik nach dem edlen Muster der Germanistik? – sein muß, um sie mit gebührender Achtsamkeit auseinanderzuhalten.

›Ist denn die deutsche Sprache vogelfrei, als eine Kleinigkeit, die nicht des Schutzes der Gesetze wert ist, den doch jeder Misthaufen genießt? Wie würde ein solches willkürliches, ja freches Umspringen mit der Sprache, wie heutzutage in Deutschland jeder Tintenklexer es sich erlaubt, in England, Frankreich, Italien aufgenommen werden?‹ Schopenhauer hat diese durchaus ungehörige Frage schon vor Menschenaltern gestellt, – ungehörig, denn der tiefe Denker hatte eben nicht bedacht, daß in Deutschland die deutsche Sprache seit Jahrhunderten in der Tat vogelfrei ist, keinerlei Schutz von irgend welcher zum Schutze berufenen Stelle genießt und in mehr als einer Hinsicht den neidvollen Vergleich mit dem gesetzlich geschützten Misthaufen nahelegt.

 

Das Welsch der Geistigen

In allen Ländern mit Feinbildung sind die geistigen Führer die Hüter und Vorbilder edler Muttersprache. Ein französischer Gelehrter, der nicht Französisch schreiben kann, wird unmöglich; einen französischen Gelehrten, der seine französische Muttersprache für unzulänglich zum Ausdruck seiner Gelehrsamkeit zu erklären gewagt, durch Wort und Tat, hat es in Frankreich nie gegeben. Die Französische Akademie ist der lebendige Ausdruck des Gedankens, daß die reine, aufs feinste ausgebildete Muttersprache das höchste geistige Besitztum des ganzen Volkes ist. In der von Leibniz verfaßten Stiftungsurkunde der Berliner Akademie der Wissenschaften heißt es über deren Aufgaben: › Was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen Reinigkeit gereichet, absonderlich zu besorgen.‹ In der schroffen Erklärung eines jüngst verstorbenen Mitgliedes der Berliner Akademie gegen die Bestrebungen des Deutschen Sprachvereins hieß es im Jahre 1889: ›Pflege der Sprache beruht nicht vornehmlich auf Abwehr der Fremdwörter, die jetzt zum Gebot des Nationalstolzes erhoben wird.‹ Hier haben wir Geist und Sprache der deutschen Wissenschaft von heute über eine der tiefsten Fragen deutschen Volkstumes. Nicht gerüttelt werden dürfe an dem ragenden Babelturm der Welscherei, vor allem nicht etwa aus verächtlichem ›Nationalstolz‹, der nur so, nicht etwa deutscher Stolz, Vaterlandsstolz, vaterländischer Stolz, völkischer Stolz, Stolz aufs Deutsche heißen darf. In allen andern Ländern mit alten oder jungen Bildungssprachen fühlen sich alle Geistigen, also die Schriftsteller, die Gelehrten, die Redner, die Zeitungsschreiber, die Staatsmänner als Tempelhüter ihrer Sprachen; in Deutschland, allein in Deutschland, sind die geistigen Führer in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl die Tempelschänder und die Verführer. Nie würde der großen Masse des unverbildeten deutschen Volkes der aberwitzige Gedanke kommen, daß man nur mit Hilfe von vielen fremden Sprachen die Gegenstände und Einrichtungen des deutschen Lebens, die Gedanken und Gefühle der deutschen Seele erschöpfend und treffend ausdrücken könne, wenn solcher Aberwitz nicht durch Lehre und Beispiel der Geistigen über ganz Deutschland immerfort ausgestreut würde. Deutschland ist zwar der Hochsitz neuzeitlicher Sprachwissenschaft; vom innersten Kern jedoch aller Sprachweisheit: von der Sprache als einem lebendigen Gewächs, nicht einer gelehrttuenden Leimerei, hat selbst die Wissenschaft von deutscher Sprache, Germanistik geheißen, keine Ahnung. Wie dürften sonst deutsche Sprachforscher in einer Sprache schreiben, deren gleichen es in der 3000jährigen Geschichte menschlicher Zungen nie gegeben hat: in einer durch Tausende roh verstümmelter und vermanschter Fremdbrocken verunstalteten Unsprache?

 

Ich habe durch umfangreiche Untersuchungen, besonders durch die lange Arbeit an meinem Fremdwörterbuch, festgestellt, daß es in der Sprache deutscher Wissenschaft nicht einen einzigen Begriff mehr ohne sein Fremdwort gibt, und daß dieses Fremdwort bei weitem häufiger gebraucht wird als das deutsche. Ich habe auf einer mittleren Druckseite deutscher Gelehrsamkeit, wohlgemerkt nichtfachlichen Inhalts, z. B. in Büchern über deutsche Dichtung, deutsche Sitten, deutsches Volkstum, bis zu 40 Welschwörtern gefunden. Und so, nur wenig auf und ab schwankend, Seite für Seite. Ich habe Zeitungsblätter beliebig herausgegriffene, auf ihre Sprache geprüft, und habe z. B. in einem großen Berliner Blatte, das allerdings mit schnödem Hohn ›angebrachtermaßen‹ jedes völkische Streben nach reiner deutscher Sprache begeifert, in dem Herausgeberteil des vierseitigen Hauptblattes einer einzigen Morgennummer von 12 Spalten 257 Welschwörter gezählt, wobei solche, die leider einstweilen für unentbehrlich gelten müssen, wie Minister, Politik, politisch, liberal, Staatssekretär, nicht mitgerechnet wurden. Ich habe in dem amtlichen Bericht des Reichstags in einer einzigen zweistündigen Rede eines unsrer Staatslenker 292 Fremdbrocken gezählt, wiederum die sogenannten unentbehrlichsten nicht mitgerechnet. Nicht eines seiner Welschwörter sagte ein Jota mehr als jedes der vielen für jedes zahlreich zu Gebote stehenden ehrlichen deutschen Wörter. Démarche ist nicht mehr als Schritt; › absolut nicht aktuell‹ heißt auf deutsch: durchaus, ganz und gar, schlechterdings, überhaupt, unbedingt – nicht dringend, dringlich, brennend, eilig, zeitgemäß, an der Zeit, an der Tagesordnung, tagfällig, Tagesfrage, geht uns heute gar nichts an, nicht wichtig.

So, dies ist in einigen einleitenden Umrissen das Bild von Muttersprache, Mutterlaut, wie so wonnesam, so traut! Und nun zur Ausmalung dieses flüchtigen Bildes.

 

Das Welsch des deutschen Alltags

Ich will den Leser aus dem Bann eines ihn und alle Welt umnebelnden Irrtumes reißen: In der Drucksprache, besonders der gelehrten, herrsche freilich eine gewisse Fremdwörterei; im großen und ganzen aber spreche man doch in Deutschland ›bis auf einige Fremdwörter‹ Deutsch. Wir wollen einander nichts vortäuschen, auch ich dem Leser nichts durch mein Buch; denn alles Schreiben, nicht bloß das Dichten, ist Gerichtstag über uns selbst. Aus der Sprachlüge müssen und wollen wir endlich hinaus; der Wahrheit, so abstoßend sie sein mag, wollen wir mit ehrlichem Mut ins Gesicht blicken. Es ist nicht wahr, daß in Deutschland Deutsch gesprochen wird, so wie man in Frankreich Französisch, in England und Amerika, ja noch in dem sprachlich verlottertsten Neste Pennsylvanias, Englisch spricht. Ich gehe auf Grund meiner sorgsamen Forschungen noch einen Schritt weiter: die scheinbar verludertste deutsche Mundart, das Jiddisch der polnisch-russischen Juden, ist nicht so stark mit hebräischen und polnischen Fremdbrocken durchflickt wie die deutsche Durchschnittsrede in Deutschland mit Welschereien aus mindestens 4 Sprachen. Die Rede des deutschen Alltags ist verwelscht, je nach der Bildungsschicht mehr oder weniger, nämlich je ›gebildeter‹, desto verwelschter; aber ein Gespräch deutscher Menschen in reiner deutscher Sprache gibt es nicht. Die paar Ausnahmen, z. B. die meines Hauses, kommen gegenüber dem Millionengewelsche nicht in Betracht. Allerdings das deutsche Ohr ist durch die Gewöhnung von der Kinderstube her aufs Welsch, als die eigentliche deutsche Muttersprache, so fest eingestellt, daß es über die unaufhörliche Fremdstammelei wie über etwas Natürliches hinweghört. Man mache aber die kleinste Probe, wenn man sie zur Nachprüfung des Satzes: Die deutsche Alltagssprache der Gebildeten und Halbgebildeten ist Welsch, noch für nötig hält! Je ein Satz von Rede und Gegenrede mit zusammen etwa 5 Druckzeilen ohne ein Welschwort kommt im praktischen Leben nicht vor, allenfalls in der Theorie. Der Leser muß mir schon gestatten, daß ich ein Weilchen leutselig selber in der Sprache rede, die er und ich tagein tagaus um uns herum vernehmen. Ich exemplifiziere nicht nach alphabetischer Ordnung, sondern pêle-mêle. Ich halte mich auch nicht speziell an dieses oder jenes Metier, Profession, Fakultät, behandle meine Exemplifikationen ganz objektiv, kritisiere sie auch nicht im Detail, wobei einem doch immer eine gewisse Subjektivität passieren kann; abstrahiere von jeder historischen oder genetischen oder retrospektiven Analyse, sondern konstatiere nur die Fakten und schließe mit einer exakten Synthese.

Ich beginne prinzipiell und methodisch mit der Kinderstube, die merkwürdigerweise noch so und nicht Nursery heißt, wohl aber schon in den höheren sozialen Regionen Babyzimmer genannt wird, worin sich für einige Jahre, bis zum obligatorischen Schulbesuch, die Existenz des deutschen Baby abspielt. – Triumphierend unterbricht mich der Welscher mit einer frappanten Digression: Wie wollen Sie Baby vollkommen analog, homogen, adäquat, äquivalent, kongruent ›verdeutschen‹?, denn ihm ist es unfaßbar, wie deutsche Mütter all die 1900 Jahre seit den Tagen der Thusnelda ohne Baby auskommen konnten. Schüchtern nenne ich ihm einige deutsche Koseworte für Baby; aber keines ›deckt sich‹, keines ist inhaltlich identisch mit diesem Unikum voll intimster Prägnanz oder prägnantester Intimität, so daß unsre Diskussion oder Debatte oder Disput oder Colloquium in keinem Resultat kulminiert.

Im Babyzimmer sehen wir einen Milchkocher in Tätigkeit, aber das vornehme Ding heißt Soxhlet-Apparat und funktioniert. Oder es funktioniert nicht, weil es ramponiert, lädiert und nicht mehr intakt ist, also muß es prompt repariert werden. Ja solche kleine Malheurs passieren gelegentlich, und wenn nicht Remedur eintritt, so können sie sich eventuell zu einer wahren Kalamität auswachsen. Das Kindermädchen nämlich, – in gewissen sozialen Sphären die Bonnehantiert und manipuliert den subtilen Apparat nicht akkurat und penibel genug, so oft man es ihr schon energisch expliziert hat. Man muß sie direkt mit der Nase drauf stoßen, denn sie ist wenig intelligent, ja sogar etwas borniert und obendrein, wie das bei solchen Individuen mit inferiorer Intelligenz passiert, arrogant, prätentiös, obstinat. Wäre sie nicht sonst ganz respektabel, so wäre effektiv mit ihr kein modus vivendi möglich. Indessen kleine Differenzen und Dissense gibt es überall, die tägliche Existenz in jedem Milieu ist au fond nur ein System von Kompromissen, kleine Dissonanzen oder Diskrepanzen und Divergenzen oder Disharmonien sind nicht ganz zu umgehen; man applaniert sie so diskret, kulant und konziliatorisch wie möglich, um nicht ein noch viel ärgeres Dilemma zu riskieren. Auf alle Fälle ist die Situation nicht beneidenswert; aber das ist eben der Revers der Medaille in allen sozialen Institutionen.

Trautes Heim, Glück allein! – aber bitte, nicht ohne Latein, nicht ohne Französisch und, schon des Comforts wegen, nicht ohne Englisch. Das traute Heim basiert auf einem soliden Fundament, hat mehre Etagen, deren eine in Berlin, dem Zentrum der Intelligenz und der Intellektuellen, Belletage heißt; hat eine pompöse Fassade, deren Konstruktion auf der Skizze eines Architekten, einer Autorität, einer Kapazität, ja einer Koryphäe seines Faches beruht. Die Risalite zeigen ein energisches Profil, die Balkone und Loggien kontrastieren frappant mit den wuchtigen Pilastern; indessen der ästhetische Totaleffekt ist doch der einer architektonischen Harmonie, und das ist das Punctum saliens aller Fassadenästhetik.

An der Portierloge vorbei gelangen wir zum Vestibül im Parterre, von dort ins Entree des Hoch parterres und durch einen kurzen Korridor in den Salon, dessen Plafond in Kassettenform durch sehr diskret installierte und kaschierte Transparentlampen beleuchtet wird. – –

Ich unterbreche dieses Gewäsch, das ja nur dadurch so unerträglich öde und blöde wirkt, wirken soll, weil ich den sonst über einen etwas größern Raum verstreuten Sprachkehricht hier auf einen kleinen Hümpel fegen muß. Ich unterbreche mich aus Objektivität, um dem Welscher die Möglichkeit eines energischen Protestes und eines prägnanten Gegen argumentes zu geben. Es lautet: Alle von dir in maliziös subjektiver Akkumulierung herausgesuchte ›vereinzelte Anleihen bei der internationalen Kultursprache‹ werden doch nur in ganz exzeptionellen Fällen angewendet, um der Konversation die Nuance eines kosmopolitischen Kolorits zu geben; das Normale ist doch das deutsche Wort.

Wie soll man höflich bleiben und dennoch dem Welscher der Wirklichkeit gemäß erwidern: Das ist nicht wahr!? Es ist nämlich ganz und gar nicht wahr; vielmehr hat die Wahrheit zu lauten: in Hunderten, in Tausenden, jawohl in Tausenden von Fällen des alltäglichen Lebens, um gar nicht von der Sprache der Wissenschaft zu reden, hat längst das Welschwort sich den Vorrang vor dem Deutschen erobert. Zehnmal so oft wird Resultat gesagt wie: Ergebnis, Endergebnis, Folge, Erfolg, Ertrag, Ernte, Frucht, Wirkung, Ausbeute, Gewinn, Errungenschaft, Ausfluß, Ausgang, Ende, Ende vom Liede, Endzahl usw.; Stadium (in diesem Stadium, die Sache befindet sich in dem Stadium) wie: Stufe, Staffel, Zeitpunkt, Lage, Sachlage, Abschnitt, Stand, Zustand, Verfassung usw.; Transport wie Versand, Beförderung, Ladung, Fahrt, Reise, Fahren, Abfahren, Fracht, Schub, Fuhre, Ladung, Verkehr, Verbringen, Überführung, Rollgeld, Verschiffung, Zufuhr, Abfuhr usw.; Transit statt Durchgang; Export für Ausfuhr, Import für Einfuhr; informieren für unterrichten, belehren und 20 andre; eruieren für ermitteln, erforschen und 30 andre; Illusion für Täuschung, Einbildung, leere Hoffnung und 40 andre. Zehnmal öfter ist man au fait oder au courant, als mit einem der mindestens 10 guten deutschen Ausdrücke gesagt werden kann. Zehnmal so oft ist eine Sache fatal wie unangenehm, peinlich, Pech. Zehnmal so oft wie vor einer vollendeten Tatsache steht man vor einem fait accompli. Zehnmal so oft sagt und druckt man Lokal wie Ort, Raum, Räumlichkeit, Örtlichkeit, Saal, Zimmer und unendlich viel andres. Wie selten liest man das Wort Staatsmann im Vergleich mit Politiker; staatmännisch, klug, vorsichtig, vorausschauend, und was nicht sonst, im Vergleich mit politisch? Es gibt fast nur noch eine Initiative, vereinzelt nur die Entschlußkraft, Anregung, den Anstoß, Antrieb, das Vorgehen, Anbahnen; und die meisten menschlichen Unternehmungen werden energisch entriert, inauguriert und lanciert, selten nur kraftvoll ins Werk gesetzt.

 

Wie verhält sich der Welscher sprachlich zu etwas Neuem? Natürlich welschend, denn die armselige deutsche Sprache reicht ja nicht einmal entfernt hin zur Bezeichnung der uralten Urbegriffe. Was soll man mit einem so mangelhaften Gedanken vehikel anfangen gegenüber der Fülle der täglich auf uns, besonders auf das sozial und intellektuell feiner differenzierte Individuum eindringenden neuen Produkte menschlicher Theorie und Praxis und Technik? Zunächst ist der Begriff des Neuen an sich für den Welscher etwas nur auf Latein, Küchenlatein, Apothekergriechisch und Französisch völlig ›deckend‹ Wiederzugebendes. Der gelehrte Welscher sagt Novum (›Lessing mußte mit einem Novum kommen‹, ›Diese Verordnung ist ein Novum‹); der welschende Buchhändler oder Theatermann sagt Novität; der welschende Kommis für Modes, Manteaux, Konfektion, Lingerie kennt nur Nouveautés, in feierlichen Fällen Hautes Nouveautés. Das Drollige hierbei ist, daß der gelehrttuende Welscher sein Novum für äußerst vornehm hält, naserümpfend auf die Novität, verachtungsvoll auf die Nouveauté hinabblickt.

Aber, wendet mir der bescheidnere Welscher, der harmlose Gewohnheitswelscher ein, das Fremdwort ist gewiß nicht besser als das deutsche, jedoch es kommt mir als das bequemere in den Mund und in die Feder. Mit solch einem verhältnismäßig unschädlichen Fremdbröckler in Wort und Schrift läßt sich gemütlich reden, denn er versteift sich nicht bockig auf sein ›unersetzliches‹ Gewelsche, bildet sich nichts drauf ein, schwafelt nichts vom ›nicht decken‹; sondern bekennt freimütig, oft reumütig, daß er sich seiner Welscherei schämt, aber nicht Herr über eine allzu lange schlechte Gewöhnung ist. Mit dem gelehrten oder scheingelehrten Welscher ist jeder Streit fruchtlos, sintemalen jedes einmal von ihm hingeschmierte Welschwort für das Resultat sorgsamster Auswahl nach stilistischen Prinzipien erklärt wird, mit dem sich keins von den 20 guten deutschen Wörtern ganz kongruent ›deckt‹. Nämlich das deutsche Wort muß sich mit dem Welschwort, dem Erstgeburtswort des Welschers, decken, um in der deutschen Sprache zugelassen zu werden!

Dem bescheidenen Welscher sage ich: Das ist ja das Elend, daß deine geistigen Erzieher und Führer dich sprachlich so früh und so lange verwildert haben, bis dir das Welschwort zuerst und bequemst in den Sinn und in die Feder kommt. Du bist ein lebender Beweis für die Doppelsprachigkeit Deutschlands, ein vernichtender Ankläger aller Derer, die dich und deinesgleichen sprachlich in Grund und Boden verderbt haben.

 

Doch nun zurück ins traute deutsche Heim! Wir sehen uns, bis die Dame erscheint und die Honneurs des deutschen Hauses macht, ein wenig im Salon um, wobei wir uns sehr gebildet erinnern, daß ein gemalter Salon noch vornehmer Intérieur heißt. Wir denken dabei an die Schwierigkeit, solch vornehmes Ding als Mehrzahl zu behandeln, und schwanken zwischen Änkteriöhr mit stummem s und Änkteriöhrß mit gesprochenem s. Doch ehe wir noch dieses komplizierte Problem der deutschen Psyche gelöst haben, und während wir noch in die Betrachtung der Bibelots auf Etagèren und in Vitrinen, auf der Kommode, über der Causeuse versunken sind, wird die graziöse Figur der Dame des Hauses zwischen den Stores der Portière vom Boudoir zum Salon sichtbar. Sie nötigt mich nach einem kordialem Shakehand auf ein Tabouret, setzt sich selbst in einen der Fotöllchß, und die Konversation beginnt. Mir werden Elogen und Komplimente wegen meines Talentes als Causeur gemacht; unsre Konversation dreht sich zuerst um den braven Onkel, der sich so gut konserviert hat, geht über auf die interessante, elegante, scharmante, zuweilen medisante, pikante Tante, die in allerlei poetischen Experimenten und Velleitäten dilettiert; auf den patenten, aber trotzdem profund gelehrten Cousin, der demnächst promovieren, sich alsdann habilitieren und komparative Philologie dozieren will; kommt dann diskret und mehr indirekt, sub rosa, auf eine entfernte Cousine, von der die Médisance eine ganze Chronique scandaleuse kolportiert, – aber man darf auf solches On-dit nichts geben –, und landen instinktiv bei der letzten Première im Cines, oder im mondänen artistischen Spezialitätenkabarett.

Die Dame des Hauses war auf der Höhe der Situation, kannte das ganze Repertoire der Saison, durfte sich mit Recht zum Stamm publikum, zu den Habituées rechnen, war firm und versiert in den Mysterien der dramatischen Clique, eingeweiht in die Dessous der Claque; war überdies intim mit dem Theaterpersonal, kannte die Agenten, Agenturen, Autoren, Direktoren, Dramaturgen, Regisseure, Inspektoren, Inspizienten, Kassierer, Billeteure, Bureauchefs, Dirigenten, Dekorateure, Garderobièren; verkehrte mit der Heroine des Königlichen, der Soubrette des National-Theaters, den Koryphäen des Reinhardt- Konzerns, sah oft die Naive, die Altistin und den Mezzosopran, den Bonvivant, den Intriganten, kurz das ganze Personal des Ankßangbels bei sich, hatte sogar Konnexionen mit der Generalintendantur, kannte jeden gastierenden Star, wußte espritvoll und intelligent mit femininem Charme zu ästhetisieren über die großartige Mise en scène der neuesten Feerie, über das ganze Programm und Repertoire, enthusiasmierte sich aber besonders für das allerneuste, das aktuellste Genre: den Sketch, vorausgesetzt daß der Dialog pikant, die Lokalfarbe original und originell, die Katastrophe nach einer lakonischen Exposition ohne Episoden abrupt hereinbreche. Nein, dieses szenische Arrangement! Von einer Eleganz, ich sage Ihnen: exquisit, tiptop, durchweg chic und dernier cri. Das wird ein Clou! Der Applaus war denn auch enorm, abnorm, frenetisch, phänomenal, mit einem Wort ko-loss-al!

Zum Abschied gab mir diese perfekte Mondäne ein paar Rezensionen mit, aus denen ich mir bei der Autotour die prägnantesten Zitate notierte, die, wie mir der Leser aufs Wort glauben darf, nicht aus dem Straßenwust der Welscherei von mir selbst zusammengeklaubt, sondern wirklich auf dem Mistbeet der so allgemein beliebten deutschen Bildungssprache der allerjüngsten Zeit erblüht sind. Hier die eine als leckres Vorkosthäppchen, als Hors d'œuvre oder Entrée oder Ballon d'essai: ›Ein ganz superbes Ensemble produzierte sich gestern vor der Elite des Dresdener Publikums mit dem uns längst an ihm vertrauten Charme‹ (aus einer großen Dresdener Zeitung, aus seinem Fölljetong).

Und jetzt meine Pièce de résistance aus dem Fölljetong einer großen Münchener Zeitung (im ersten Jahre des Weltkrieges): ›Die Energie der rhythmischen Pointierung und der dynamischen Steigerungen und die Feinfühligkeit [wirklich nur so, statt Delikatesse] der Temponuancen in der Beethovenschen Symphonie, das alles wurde nur noch von der dynamischen und agogischen [der Leser suche, ob er dies in irgendeinem Fremdwörterbuch findet!] Elastizität übertroffen, mit der Hausegger die Schubertsche Musik interpretierte.‹

 

Die Sprache deutscher Fortschritte

Es ist aber doch evident, wendet mir ein gelehrter Welscher ein, daß es sich hier nur um einige Neologismen handelt, deren Kausalprinzip in neuen konkreten oder abstrakten Produkten menschlicher Intelligenz basiert; obendrein um Resultate und Resultanten oder doch Komponenten der internationalen Kultursynthese, so daß also uns Intellektuellen nichts übrig bleibt, als sie mit einer kosmopolitischen Nomenklatur zu versehen.

Wenn ich mir Ihr überaus gelehrtes Kulturwelsch in mein geliebtes, aber ungelehrtes und kulturloses Deutsch übersetze, was mir mit Hilfe eines Fremdwörterbuches leidlich gelingt, so wollten Sie sagen: Für neue Dinge und neue Begriffe reicht die deutsche Sprache nicht aus, da kann nur das mindestens siebensprachige Regenbogenwelsch helfen.

Oh pardon, cum grano salis!

Grano hin, salis her, – Sie sind nicht der erste, der die tiefsinnige Behauptung aufstellt, daß die deutsche Sprache diesem Jahrhundert nicht reif ist, und daß man ihr mit Neubildungen zu Hilfe kommen muß, die natürlich nur aus Mönchslatein und Tertianergriechisch zusammengeleimt werden können. Mit seiner bedientenhaften Michelei in allen geistigen Herrenfragen horcht der Deutsche, auch der kühnste deutsche Erneuerer und Schöpfer, auf die sprachlichen Befehle, die aus Frankreich, England, Amerika an ihn ergehen. Der Vorgang ist regelmäßig dieser. Eine Entdeckung, Erfindung wird irgendwo gemacht, wird in Deutschland gemacht, – ein für allemal steht fest, daß der Deutsche, und wäre er ein umwälzend schaffender Geist, kein Recht hat, seine oder irgendwelche Schöpfung mit Worten seiner Muttersprache zu bezeichnen. Sprachlicher Herr ist der Fremde; der Deutsche des Fremden demütiger Diener. So war es die Jahrhunderte deutscher Ohnmacht hindurch, so ist es in den Zeiten deutscher Macht geblieben. Auf Deutsch kann man kein neues Werkzeug, keine Maschine, kein Flugschiff, keinerlei neue menschliche Einrichtung und Verrichtung benennen. Philipp Reiß erfindet als Schöpfergeist den Fernsprecher. Wie nennt er ihn? Der selbstverständlichste, der natürlichste Gedanke kommt ihm gar nicht, daß er als Deutscher zunächst deutsch zu sprechen habe; sondern nach dem Vorgang eines halbgebildeten Engländers, der den gleichfalls von Deutschen erfundenen Drahtschreiber oder Drahter Telegraph genannt, muß jene großartige deutsche Erfindung in unmöglichem und noch dazu verstümmeltem Griechisch Telephon heißen, und erst ein späteres Geschlecht muß sich abquälen, dieses sprachlich elende Zeug durch ein jedermann verständliches deutsches Wort zu ersetzen: Fernsprecher.

Die Lichtbilderei wird erfunden; der französische Erfinder nennt sie nach seinem Namen und französischen Wortmustern: Daguerrotypie; folglich heißt sie im gehorsamen Deutschland Daguerrotypie, bis ein halbgebildeter Engländer das von ihm verbesserte Verfahren Photographie benamst; folglich heißt sie sogleich und bis zur Stunde in Deutschland Photographie, was für jeden des Griechischen nicht Kundigen ein genau so leeres Gebimmel ist, wie wenn es Vitzliputzli hieße, aber für den Sprachkenner Lichtschrift bedeutet. Wagt dann ein verwegener ›Purist‹ – aber so verwegen ist keiner –, Lichtbilderei vorzuschlagen, so wird er ausgehöhnt als ein extremer nationalistischer Chauvinist, obgleich gegen Lichtbilderei und Lichtbild nur eines eingewandt werden kann: sie sind deutsch.

Es bilden sich Vereine der Markensammler; sie brauchen einen Namen für sich und ihre Liebhaberei. Markensammler? Markensammeln? – pfui, wie niedrig, wie bildungslos! Das wäre ja nur deutsch! Folglich erdrechseln sie sich die kindischen Wortbasteleien Karlchen Mießniks: Philatelisten und Philatelie, was, wenn überhaupt etwas, allenfalls Steuerbefreier und Steuerfreiheitsliebe bedeutet. Aber es klingt so, als sei es griechisch, und blödestes Halbgriechisch ist vornehmer als untadliges Deutsch. Aus dem Jahr 1530 haben wir den trotz seinem Latein echtdeutschen Ausspruch eines Lateinlehrers: Melius malum Latinum quam bonum Teutonicum (Besser schlechtes Latein als gutes Deutsch).

So durfte nicht Krafter, sondern nur Automobil und Auto; so nicht Kreiseltrieb oder Kreisler, sondern nur Turbine; nicht Uhrdroschke, sondern nur Taxameter; nicht Kunstfett, sondern nur vornehm, schwungvoll, viersilbig Margarine gesagt werden. Längst sind die Engländer in ihrer Eisenbahnsprache zum einfachen englischen Engine übergegangen; in Deutschland herrscht amtlich ganz, nichtamtlich überwiegend noch immer die Lokomotive . Wie lange wird es noch dauern, ehe sich das kühne Wagnis unsrer Postverwaltung: Geber für Automat (Markengeber) durchgesetzt haben wird, denn Geber ist nur deutsch, ›deckt‹ sich überdies nicht mit dem griechischen Automat.

Trieb, Triebwerk, Antrieb, Treiber, Trieber – undenkbar, denn sie sind deutsch und besagen, was sie sind. Motor muß man in Deutschland sagen; streiten muß man sich, ob Mótor oder Motór, was beides eben nur Beweger heißt. Aber natürlich dürfte man auch nicht Beweger sagen, denn dies ist ebenfalls deutsch und verständlich, und Latein ist die Werksprache des deutschen Werkmeisters und Arbeiters.

Deutsche junge Mädchen erlernen die Kurzschrift und das Maschinenschreiben; sie wollen einen scharfbezeichnenden Namen haben. Vom Griechischen haben sie keinen Dunst; tut nichts, der ganze ehrsame Stand wäre bemakelt, wenn man ihn deutsch, verständlich, schlagkräftig benennte. Also wird ein unmögliches, sinnloses Wort zurechtgegriechelt: Stenotypistin , und schlüge ich vor: Kurzmaschinerin, so würde ich von der gesamten Welscherwelt ausgelacht.

So ist es zugegangen mit der Hypnose , mit der gesamten Fachsprache der Luftschiffahrt, mit Bewegungen wie der zur Pflanzenkost, zum Gemein(schafts)unterricht für beide Geschlechter, mit der Enthaltung vom Schnaps, kurz mit jeder einzigen Wandlung, Erneuerung, Bereicherung des öffentlichen oder häuslichen Lebens, Aviatik, Vegetarismus, Koedukation, Abstinenz müssen diese Dinge deutschen Lebens heißen, wenn sie in Deutschland etwas gelten sollen; denn die Sprache der deutschen Bildungswelt hat längst aufgehört, Deutsch zu sein.

Ein Verein für sittliche Läuterung, Hebung, Adelung, für Sittlichung, Sittenadel, Seelenadel, höheres Menschentum darf sich unter keinen Umständen so ungebildet benennen, sondern muß unbedingt Verein für ethische Kultur heißen. Daß dies auf Deutsch nicht um ein Haar mehr bedeutet als sittliche Bildung, spielt hierbei keine Rolle; denn nicht die unzweideutige, mithin deutsche Benennung einer Sache ist in Deutschland die Hauptsache, sondern das vornehmtuerische Gaukelspiel mit einer nur den Sprachkundigsten halbverständlichen Welscherei.

Wie bezeichnend für die sprachliche Verwelschung Deutschlands, daß die geistigen Führer, die ja fast alle nur noch Welsch sprechen und schreiben, nicht einmal ein deutsches Wort gefunden haben – sie haben allerdings gar keins gesucht – für die Erneuerung des öffentlichen Lebens in Deutschland nach dem Weltkriege. Nur zu einem so elenden Schwammwort wie Neu orientierung hat ihr verwelschter Sprachsinn gereicht. Unsre Feldgrauen verulken das lächerliche Orientieren durch das, übrigens gar nicht so üble, ›Vermorgenländern‹; und in der Tat bedeutet Neu orientierung sprachlich nur die Neuvermorgenländerung Deutschlands.

 

Welsches Straßenbild und Gewerbe

So unerquicklich es für mich und den Leser ist, das Bild der Sprachverwelschung Deutschlands weiter auszumalen, die Sache will's: einmal muß, auch für die kommenden Geschlechter, rückhaltlos diese deutsche Schande aller verschleiernden Heuchelei und Selbstbelügerei entkleidet werden, und das ist nur durch Beispiele, durch immer mehr Beispiele möglich, die ja zusammen noch nicht den tausendsten Teil der vollen Wirklichkeit bilden. Meine trotz ihrer Fülle winzig geringen Proben sollen den Leser antreiben, das Riesenwörterbuch des deutschen Welsch zum Verstärken des Eindrucks für sich selbst zu vervollständigen.

Das Straßenbild in Deutschland ist sprachwelsch, so überwiegend französisch, daß noch jeder in Deutschland reisende Franzose erklärt hat, er fühle sich so behaglich wie in seiner französischen Sprachheimat. Der Leser stelle einmal bei einem längeren Gange durch die Straßen seiner Stadt, besonders einer größeren, fest, wieviel Ladenschilder- und Schaufensterinschriften in deutscher Sprache abgefaßt sind! Schwerlich die Hälfte, in den Hauptgeschäftsvierteln der Großstädte kaum ein Drittel. Wir, besonders unsre Frauen, werden auf Französisch oder Deutschfranzösisch eingeladen, uns zu bekleiden oder sonst zu versorgen je nachdem en gros oder en détail, mit Artikeln aller Genres, mit Kostümen, Robes, Modes, Konfektion, Manteaux, Jupons, Jaquettes, Capes, Pelerinen, Lingeries, Chemiseries, Dentelles, Galanteriewaren, Bijouterien, Fabrikaten, Importen, Konserven, Manufakturen, Produkten, Parfumeries, Passementeries, Tapisseries, Plissees, in den feinsten Spezialitäten und Prima Qualitäten. In Francfort sur le Mein, ehedem einer deutschen Stadt, gibt es in der Kaiserstraße, die noch nicht Rue de l'Empereur heißt, einen von der Polizei geduldeten großen Laden ›Au Corset Royal‹, in dessen Schaufenstern seidene Bänder mit den Bezeichnungen Bleu, Rouge, Cerise usw. liegen, da die farbenblinden Citoyennes de Francfort keine deutschen Farbennamen kennen, und mit der beruhigenden Versicherung: ›Douze mètres garantis‹. Und dies mitten im Kriege um den Fortbestand des Deutschen Reiches und als Sprache eines deutschen Händlers mit Krefelder Bändern für deutsche Käufer.

Daß der deutsche Handwerker mit Vorliebe ein Métier betreibt, einer Profession und Branche angehört, nimmt keinen Deutschen Wunder. Auch die Stukkateure, Installateure, Dekorateure, Friseure, Bandagisten, Konfektionäre, Droguisten, Modisten; die Ateliers, Salons, Institute, Zentralen, die verschiedenen Filialen, Kommanditen, Expeditionen benennen sich ausschließlich mit dieser in Deutschland selbstverständlich gewordenen, für Deutsch gehaltenen Sprache. Der Lehrherr, z. B. der in einem Frisiersalon, ist zumeist ein Prinzipal, denn warum sollte er sich sprachlich erniedrigen unter den deutschen Handelsherrn, der selbst im kleinsten Kramladen nie anders als Chef heißt? Und darf man sich wundern über Wertheims vornehme Rayonchefs und nicht minder vornehme Direktricen?

Im Buchdruckgewerbe wird fast nur Welsch gesprochen, obgleich Gutenberg ein Deutscher gewesen sein soll. Die Seite heißt Kolumne, Zwischenräume heißen Spatien, die beiden Hauptschriftformen sind Fraktur und Antiqua, daneben noch Kursiv. Die Schriftgrößen kann die armselige deutsche Sprache nicht unterscheiden, sondern deutsche Setzer, Metteurs und Faktoren müssen mit Nonpareil, Colonel, Petit, Borgis, Corpus, Cicero welschen oder gar lateinern. Ebenso kann der deutsche Buchhandel, der großartigste und bestgeordnete der Welt, sich und seinen Innenbetrieb nicht auf Deutsch benennen, sondern nur auf Welsch. Der Buchhandel heißt Sortiment, der Buchhändler Sortimenter; die Preise werden ihm ordinair, netto, mit dem und dem Rabatt vorgeschrieben; er bezieht die meisten Bücher à Condition und behandelt sie je nachdem als Remittenden. Der deutsche Buchhandel hat soeben, mitten im Kriege, eine bewundernswerte Hochleistung deutscher Kraft vollbracht, die Deutsche Bücherei in Leipzig; er ist aber ohnmächtig, oder hält es für eine Nebensache – wofür man in Deutschland meist quantité négligeable sagt –, sich eine deutsche Geschäftssprache zu geben.

 

Welsch in Handel und Wandel

Im deutschen Handel, groß und klein, gilt die deutsche Sprache für niedrig oder doch geschäftswidrig. Der deutsche Kaufmann, vom ›königlichen‹ bis zum Krämer, bezeichnet mehr als die Hälfte aller geschäftlichen Begriffe französisch, berlin-französisch, englisch, italienisch, lateinisch. Die folgende winzige Auswahl ist bei weitem nicht der hundertste Teil des kaufmännischen Welschwörterbuches: à, per, pro, en gros, en détail, spedieren, notieren, akkreditieren, akquirieren, Aktiva, Passiva, Bilanz, balancieren, Akzept, akzeptieren, Appoint, arbitragieren, Associé, assortieren, avisieren, – mit einem Sprunge zum C und Z: Courtage, Coupon, Code, compant, Comptoir, zedieren, Zentrale, Zertifikat.

Gewelscht muß werden selbst in den seltenen Fällen, wo Hauptbegriffe deutsch benannt werden oder wurden: der Lieferer heißt Lieferant , der Lagerverwalter Lagerist , der Blumenhändler Blumist , der Drogenkrämer Droguist usw. Warum auch nicht? Gibt ihm der sich Germanist nennende Tempelhüter deutscher Sprache nicht das anfeuernde Vorbild?

Da ist ein deutscher Kaufmann in Amerika gewesen, hat dort das ganz und gar nicht absonderliche Wort Concern für Geschäftsgruppe gehört, sogleich aufgeschnappt, bringt es nach Deutschland über alles in der Welt, und wie eine Riesenpulvermine flammt das elende amerikanische Dollarrafferwort durch ganz Deutschland: mit vereinzelten löblichen Ausnahmen, z. B. der Kölnischen Zeitung, wird es von der gesamten deutschen Presse begeistert aufgenommen.

Gibt es ein einziges Feindesland, worin folgendes möglich wäre? Vor Jahren gründete die Londoner Sunlight Soap Company eine Niederlassung ( Filiale, Centrale, Succursale, Kommandite) in Mannheim. Selbstverständlich denkt eine englische Gesellschaft nicht daran, sich sprachlich dem Lande anzubequemen, mit dem sie Geschäfte machen will. Wozu auch? Unter dem Druck des Weltkrieges, unter dem berauschenden Hochschwung deutschen Geistes im August 1914 ›verdeutschte‹ sie den Namen ihres Mannheimer Geschäftes in: › Sunlichtseife‹! In Deutschland ›wohnen gute Leute‹, also duldete die Mannheimer Polizei diese Schändung deutscher Sprache, die ja kein polizeilich geschützter Misthaufen ist, und die deutschen Seifenhändler finden nicht das geringste daran auszusetzen; ebensowenig die zahlreichen deutschen Käufer der Sunlichtseife. Aber, nicht wahr, Gott straf' England! Im Fenster eines Verkäufers der unvergleichlichen Sunlichtseife hing ein Anschlag: ›Deutscher, sei stolz, daß du ein Deutscher bist! kaufe nur deutsche Erzeugnisse! Der Verband deutscher Parfumerie-Fabrikanten.‹

 

Leib und Seele, und alles, was beide zusammenhält, also Essen und Trinken, sind zum großen Teil verwelscht. Die Seele, als die vornehmere, ganz stilgerecht weit mehr als der noch leidlich deutsche gemeinere Leib. Indessen auch dieser hat sich sprachlich schon ansehnlich verfeinert. Er hat eine Konstitution, Statur, Figur, Positur, einen Habitus, Teint und ein imposantes physisches Exterieur; ist je nachdem robust oder kadük, malad, morbid (so bei Nietzsche) oder rekonvaleszent, nervös, exaltiert (oder gehört dies schon ins Psychische?), dekadent, degeneriert, marode, normal, abnormal, abstinent oder exzessiv, ist allerlei Affektionen exponiert, akuten oder chronischen, denen man am besten prophylaktisch begegnet, die aber trotzdem oft mit einem letalen Ausgang, nach langem Vegetieren, endigen. Arme und Beine hat er einstweilen noch, aber synthetisch oder abstrakt heißen sie Extremitäten, und wer nicht kolossales Embonpoint hat, darf sich einer Taille rühmen. Übrigens heißt der männliche Oberarm, besonders der muskulöse, auf Gebildet: Biceps.

Von der Psyche braucht hier kaum etwas gesagt zu werden. Die deutsche Seele schwinget sich in allen ihren Regungen, allen ihren psychischen Affekten, Emotionen und Emotivitäten auf die höchsten Höhen des Welsch, auf die Akme und den Comble, und stellt ein Maximum, einen Klimax dar. Ein Intellektueller mit einigem Pathos der Distanz vor sich und seinesgleichen degradiert sich nicht zum plebejischen Deutsch, wenn er vom Komplex der Psyche und den verwandten, Problemen spricht, als da sind: Psychoanalyse, Psychopathie, Psychopathologie, Psychologie, Psychose, Psychoneurose, Psychiatrie, Psychographie, Psychometrie, Psychophysik, Psychonomie. Denn: soll etwa auch die Wissenschaft ›national verschleimt‹ werden, wie Hans Delbrück schaudernd befürchtet?

Wie es um die Speisekarten in Deutschland bestellt ist weiß jeder Leser, der je in Gasthöfen oder Speisehäusern verkehrt hat. Die Verteidigung des französisch-englischen Menus durch die welschenden Grand-Hôteliers kennen wir bis zum Ekel. Auf den großen deutschen Überseedampfern gibt es vernünftigerweise doppelsprachige Karten, nämlich in der unverfälschten Fremdsprache, Englisch oder Spanisch oder Portugiesisch, und in wirklich deutscher, nicht welscher Sprache. Auf dem Lande aber legt der Propriétaire des Grand Hôtel Continental & Métropole zu Flachsenfingen seinen deutschen Gästen eine Speisekarte vor, worauf prangen: Din de fassée, Consumé, Sup à la prentenié, Bœufsteek à la dadar, Hemetex, Pouléori, Vollovan, Tourle d'eau. Man begreift die Notwendigkeit solcher Blüten deutscher Hochbildung um der internationalen Kulturgemeinschaft willen, die uns Deutschen bekanntlich die begeisterte Liebe der holden Kulturwelt von Japan übers Dollarland und Senegal bis Portugal, Rumänien und Norwegen gewonnen hat.

Einige Lichtblicke sind allerdings zu vermerken; so hat z. B. die sächsische Staatsbahnverwaltung für alle ihre Bahnhofswirtschaften die deutsche Speisekarte vorgeschrieben, nur daß sie sich selbst als Generaldirektion obendrüber setzt. Ich möchte ihre, zweifellos unwiderleglichen, Gründe gegen den Namen Hauptverwaltung hören.

Die deutschen Urteile über das Essen, die sich schon mehr ins Geistige erheben, können nur auf Welsch gefällt werden. Es ist je nachdem famos oder frugal, mehr substantiell als delikat und deliziös, opulent oder exquisit, oder gar luxuriös, wobei es dem deutschen Welscher nichts ausmacht, daß luxuriös in Frankreich wollüstig bedeutet. Aber der Welscher hält sich ja für berufen, das Französische zu überfranzöseln.

 

Die deutsche Gesellschaft ist sprachwelsch, mit einem allerneusten nicht ganz kleinen Schuß Englisch. Höchstes Ziel ist das Amusement, Bedingung die Eleganz. Die Wirte sind sehr gentil, liberal, generös, fashionable und tip top. Ist man besonders liiert, so sieht man sich en petit comité und entre nous, woraus eo ipso die Familiarität und die Intimität resultieren. Die Herren sind je nachdem galant, elegant, amusant, mancher hat esprit und qualifiziert sich, wenn er nicht allzu frivol, speziell zum maître de plaisir. Der eine und andre ist ein Gourmand, ja sogar ein Gourmet, bis zum Extrem, ja zum Exzess, goutiert also nicht alles und jedes auf dem Menu oder gar à la fortune du pot. Gekleidet sind sie natürlich patent, chic, elegant; nur daß ein etwas extravagantes und bizarres Original gegen alle moderne Etikette einen Smoking statt des Sakko trägt, was sich aber kolossal originell, vielleicht sogar hypermodern macht und schließlich keinen geniert, vielen imponiert. Die Damen sind meist in full dress, in grand gala, und selbstverständlich im Décolleté, im dezenten natürlich; überwiegend graziös, einige mit gradezu phantastischen Coiffuren; fast alle, jedenfalls die Frauen der Kriegslieferanten, mit kostbaren Solitaires à jour gefaßt, mit Colliers und Bracelets, die der splendide Herr Gemahl spontan spendiert hat; – kurz, die ganze Soirée präsentiert sich als der Clou der Saison. Und dann die deliziöse Bereicherung der Geselligkeit unsrer Salons, die unsre Mütter und Väter in ihrer patriarchalischen Primitivität nicht gekannt oder mit antiquierten Worten bezeichnet haben, die jetzt entschieden passé und vieux jeu sind: sie machten einander, man denke, die Cour; die Damen kokettierten mit den Herren, während die neueste Fashion, die mondäne Aktualität einzig den Flirt zulassen. Man begreift, daß solche Triumphe sozialen Hyperraffinements nicht auf Deutsch, ja kaum noch auf Französisch ›deckend‹ bezeichnet werden können. Nun sollte mal ein dummer Purist für flirten vorschlagen: miseln! Hohngelächter in ganz Deutschwelschland. Entschuldigt er sich: Goethe schreibt hundertmal ›miseln‹, so schweigt vielleicht das Hohngelächter; dafür aber setzt die feinfühlige Tiftelei ein: miseln ›deckt‹ sich nicht ganz mit flirten; wo sich aber ein deutsches Wort, und wär's von Goethe, mit einem welschen nicht deckt, nicht ganz deckt, da – usw.

Gesellige Vereinigungen müssen in Deutschland, um den Honoratioren, den Upper ten Genüge zu tun, mindestens Concordia, Reunion, Ressource, Casino heißen. Im Weltkriege ist in einer deutschen Stadt ein unerhörter atavistischer Kulturrückschlag geschehen: beflügelt von dem so allgemein beliebten Aufschwung echtdeutschen Geistes hat eine Ressource sich zum Jungbrunnen modifiziert. Der Vorfall gilt aber in der ganzen Stadt notorisch für so burlesk, grotesk, um nicht zu sagen bizarr, ja selbst absurd, daß man nur den Friedensschluß abwartet, um wieder zu dem anständigen deutschen Namen Ressource zurückzukehren. Habeat sibi! sagt der klassisch gebildete Deutsche in solchen Fällen, oder: Sapienti sat!

 

Die Sprache des deutschen Geisteslebens

Bis hierher haben wir uns trotz aller Eleganz, Opulenz, Grazie und Fashion immerhin doch nur in den mittleren Sphären des physischen und psychischen Organismus bewegt und haben konstatiert, daß der feinste Charme unsrer sozialen Existenz auf dem Welsch basiert. Ihr Non plus ultra erreicht diese Kultursprache doch erst im Intellektuellen und Spiritualistischen, um von der Psyche nicht immer zu reden. Gibt es überhaupt in Deutschland irgendeinen Begriff des Geisteslebens, für den ein für allemal ein deutsches Wort gebraucht wird? Ich kenne keinen. Nicht das Sein, also die Existenz, das Existieren, das Positive; noch das Nichtsein, die Negation oder Negative der Existenz. Nicht das innerste Wesen des Menschen, der Charakter; noch das angenommene Wesen, die Simulation, die Hypokrisie, die Tartüfferie, die Pseudonatur, die Pose. Nicht die Wirklichkeit: das Reale, der Realismus und die Realität; noch die Unwirklichkeit: das Ideal und Ideale und Ideelle, der Idealismus, die Idealität, das Irreale, die Irrealität, die Metaphysik, die Illusion, die bis zum Phantom, zur Phantasmagorie, ja zur Halluzination degenerieren kann. Nicht die höchste Geisteskraft: das Genie, die Genialität, das Geniale, der Genius, die Originalität; noch die hohe Begabung: das Talent, die Kapazität, die Intelligenz, die Intellektualität; am allerwenigsten natürlich die längst überholte gemeine deutsche Seele – ich komme doch auf sie zurück –: die Psyche (z. B. die ›gelbe Psyche‹ der Mongolen). Nichts, rein nichts von dem, was jedes andre gebildete oder ungebildete Volk mit den Mitteln seiner Sprache selbstverständlich und spielend bezeichnet, kann in Deutschland ohne Hilfe des Welsch ›deckend‹ benannt werden. Der Leser achte nur darauf, wie selten er heute noch ›körperlich‹ und ›seelisch‹ zu hören bekommt, wie oft hingegen physisch und psychisch. – Lebensbedingungen? Was ist das? Was soll ein gebildeter Mensch im deutschen Welschland oder welschen Deutschland sich bei einem so platten Worte denken? Vitalste Interessen heißt es in der welschen Bildungssprache. He? das hat Schwung!

Höchste Mannestugenden, Mut und Kühnheit, heißen mindestens ebenso oft Courage und Bravour. Festigkeit? Na ja, so kann man wohl zur Not auch sagen; jedoch der deutsche Kulturgemeinschaftler und weltbürgerliche Aneigner weiß, daß es Konsequenz heißt. Kraft, Willenskraft, Tatkraft, Beharrlichkeit, Ausdauer, Willensstärke, Entschlossenheit, Wucht, Feuer, Schneid – hm, auch zulässige Wörter, die man schon der Abwechslung wegen nicht ganz verschmähen sollte; bequemer jedoch und allgemeiner verständlich ist Energie, in allen Zweifelfällen jedenfalls Energie. Und wie sollte man im Gespräch oder im öffentlichen Leben, als Redner, Zeitungsmann, streitender Wissenschafter zu etwas, noch mehr gegen irgend etwas Stellung nehmen ohne das Allerweltswelschwort energisch? Kann der normale Kulturdeutsche überhaupt ein menschenwürdiges Dasein führen ohne energisch und, selbstverständlich, kolossal?

›Das Wesen des Genies ist Penetration und Konzentration‹ (Dilthey): dies ist die Alltagssprache der deutschen Geisteswissenschaften. Wie von jedem gebildeten Japaner die vollständige Kenntnis des Chinesischen verlangt wird, so von jedem gebildeten oder nach Bildung strebenden Deutschen die Kenntnis des Küchenlatein. Man glaube doch nicht, daß Penetration und Konzentration lateinisch sind; sie klingen nur so. Cicero hätte sich von solchem Latein hyperboräischer Barbaren entsetzt mit Pheu! und Eheu! abgewandt.

Die am häufigsten in Deutschwelschland gebrauchten Eigenschaftswörter für Tugenden, Fähigkeiten, Laster und Gebrechen sind welsch. Dem deutschen Dichter war, und wäre es wohl noch heute, erlaubt, vom Menschen, also vom Individuum, zu fordern, edel, hilfreich und gut zu sein; der wissenschaftliche Welscher in Prosa schätzt nur eine Individualität, die nobel, sozial-altruistisch, ethisch, und human oder humanitär prädisponiert ist. Das höchste Lob eines Mannes lautet in Deutschland nicht: Ehrenmann und ehrenhaft, sondern Gentleman, gentlemanlike, fair, loyal, integer. Der Gentleman allerdings ist durch die Gentlemen des Baralong einigermaßen, natürlich nur für die Dauer des Krieges, in Miß kredit geraten, also diskreditiert. Sonst noch ist im germanischen Welschland der Bildungsmensch je nachdem konsequent oder inkonsequent, naiv oder raffiniert, moralisch und ethisch, oder unmoralisch und amoralisch, frivol, dezent oder indezent, solid oder leger, ja dissolut, chevaleresk und voll feinster Courtoisie, oder massiv, arrogant bis zur Insolenz, und egoistisch im prononcierten Kontrast gegen den Altruismus. Die Sentimentalität allerdings haben wir notorisch total und effektiv verlernt.

Seinem Temperament nach ist der deutsche Kultur athlet fast nur sprachwelsch. Er ist sanguinisch oder phlegmatisch bis zur Indolenz, ja bis zur Lethargie; ist cholerisch oder melancholisch, jovial oder desperat, optimistisch bis zum Illusionismus, Hedonismus und zur Utopie, oder pessimistisch bis zur uninteressierten Resignation. Liebt er, so riskiert er, erotisch zu werden; haßt er, so chikaniert, kujoniert, sekkiert, molestiert und malträtiert er sein Milieu, zeigt Ranküne, intrigiert, frondiert, konterkarriert, wo er nur kann. Er behandelt seine eignen Interessen mit Elan, Verve, Konsequenz, Egoismus, selbstverständlich mit kolossaler Energie; die Interessen der andern dilatorisch, indifferent, mit Désintéressement, skeptisch, meskin, mit einem Wort smart und realpolitisch. Enthusiastisch wird er nicht so leicht, noch seltener gerät er in Ekstase, dazu ist er viel zu sehr blasierter Routinier. Als Staatsbürger ist er, wenigstens ostensibel und ostentativ, höchst patriotisch und national; nur darf man ihn nicht ›völkisch‹ nennen, denn dies nimmt leicht die Nuance des bornierten chauvinistischen Nationalismus, wenn nicht gar Antisemitismus an. Dem Monarchen gegenüber ist er unbedingt devot, loyal, royalistisch und scheut nicht die injuriöse Stigmatisierung des Servilismus, ja des Byzantinismus. So ist er denn auch entschieden moderiert und opportunistisch, vor allem aber korrekt. Wer kann ihm etwas anhaben? Ist er nicht honett, honorig, integer? Sind ihm nicht die vitalsten Interessen der Monarchie und der Religion, ohne Unterschied der Konfession, solidarisch?

Und da wir bei der Religion, der auf Deutsch nicht auszudrückenden, angelangt sind – Glauben, Gläubigkeit, Gottglauben, Gottgefühl, Frommgefühl, Frommsein (Goethe!) und 10 andre gehaltvolle, aber leider nur deutsche Wörter ›decken‹ sich alle nicht mit der unausschöpflich inhaltreichen Religion, die von 999 unter 1000 Menschen rein formelhaft gebraucht wird –, nun, so wollen wir der Vollständigkeit wegen kurz feststellen, daß auch die Sprache des Glaubens, nicht minder die des Unglaubens, fast durchweg welsch ist. Es gibt Deisten, Monotheisten, Polytheisten, Atheisten, Rationalisten, Materialisten, Monisten, Dissidenten, Sektierer, Indifferentisten, und sie alle streiten miteinander über ihre Religionen, Konfessionen, Doktrinen, Dogmen, Theorien, Maximen mit raffinierter, sophistischer, rabulistischer Polemik und Dialektik; disputieren, diskutieren, argumentieren, polemisieren mit zelotischer, fanatischer, rein subjektiver Intoleranz, und doch machen sie meist Fiasko, und das effektive Resultat an Proselyten ist › numerisch minimal‹.

Dinge und Menschen in den deutschen Kirchen sind überwiegend welsch, denn die Kirche ist etwas sehr Vornehmes, und Vornehmheit kann sich nur welsch aussprechen. Die Diözese, die Synode, die Generalsynode, das Presbyterium, das Konsistorium, die Konsistorialräte, die Pastoren, darunter der Primarius, die Superintendenten, hier und da die Präpositi, die Generalsuperintendenten, und hoch über ihnen thronend der Kultusminister als Exekutive des Summepiskopats des Monarchen. Von dem Katechismus, der Katachese, dem katechetischen Konfirmandenunterricht, der Konfirmation, Kommunion, Liturgie braucht nicht geredet zu werden.

 

Daß der Unterricht im Deutschen jetzt schon den Mittelpunkt der deutschen Schule bilde, wird von manchen radikalen Reformatoren der deutschen Pädagogik subjektiv bestritten; objektiv unbestreitbar ist, daß die deutsche Schule, Gott sei Dank mit Ausnahme der Volksschule, die schon darum die unterste Stufe des deutschen Bildungswesens darstellt, sich des Welsch als ihrer Betriebssprache bedient. Vor kurzem klagte mir die Mutter eines achtjährigen Knaben in Deutsch-Wilmersdorf bei Berlin, daß ihrem Kinde, das noch ganz unsicher in deutscher Sprache ist, in der Vorschulklasse seines Realgymnasiums alle Ausdrücke der Sprachlehre auf Latein beigebracht würden, daß ihr Junge solche ihm unverständliche Wörter wie Plusquamperfektum, Futurum, Singular, Plural, Nominativ, Akkusativ papageienhaft nachsprechen müsse. Ob das nicht schrecklich sei? Ich versuchte, sie zu trösten: Da die Sprache der › formalen Bildung‹ für die Schüler von der Sexta bis zur Prima jedes deutschen Realgymnasiums außer dem Latein und dem Französisch das Welsch sei, so fordre die richtige propädeutische Methode der modernen Pädagogik die möglichst frühe Akkommodierung und Assimilierung an die technische Nomenklatur, ohne welche die Kalamität zu befürchten sei, daß ein Deutschsprechender Schüler und sein Welsch-sprechender Lehrer einander nicht verstehen. Ich exemplifizierte auf den exzeptionellen Fall am Berliner Wilhelms gymnasium (vgl. S. 10), dessen genereller Usus die ganze höhere Bildung Deutschlands vor das delikateste Dilemma stellen würde: Deutsch oder Welsch? Die Gute war nicht zu überzeugen, sondern verharrte in ihrer naiven Inferiorität bei dem primitiven Wahnglauben nationalistischer Beschränktheit, daß deutsche Lehrer zu ihren deutschen Schülern die Sprache des deutschen Volkes zu sprechen hätten. Das tun sie ja, replizierte ich, sie sprechen Welsch, und Welsch ist die Sprache der Bildungs sphäre, die in Deutschland präponderiert, ja prädominiert. – Aber Deutsch soll doch ›der Mittelpunkt des Unterrichts‹ sein? – Verehrte Freundin, Sie vergessen immer wieder die › formale Bildung‹, und außerdem bewegen Sie sich in einem Circulus vitiosus. – Dagegen konnte sie nicht an: gegen so schöne Phrasen auf Welsch kann keiner an.

Du übertreibst! – Nein ich untertreibe, denn ich habe nur ein paar Brosämlein von der welschen Schulbank, der humanistischen wie der realgymnasialen Subsellie, aufgelesen. Hier ist eine, immer noch sehr winzige, Auswahl, von der vollen Tafel. Die deutschen Schüler addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren und bringen damit eine Addition, Subtraktion usw. zustande. Sie haben mit Quadrat- und Kubikwurzeln zu tun, treiben Algebra, Arithmetik, Geometrie, Planimetrie, Trigonometrie, Stereometrie, wirtschaften mit Hypotenuse und Katheten, mit Substantiven, Adjektiven, Pronomina (personalia, demonstrativa, reflexiva, relativa, possessiva) usw., mit Indikativ, Konjunktiv, Optativ, daneben mit Subjonctif, mit Präsens, Imperfektum usw., Affixen, Suffixen, Akzenten, Spiritus, Augment, Reduplikation, Enklitika, Proklitika usw. usw.

Mehr gefällig? Druckseitenlang kann ich so fortfahren. Von den entweder obligatorischen oder fakultativen Disziplinen, von deren einigen der Schüler eventuell – alles im welschen Leben ist eventuell, vieles eventualiter, einiges eventualissime – auf Grund eines Attestes dispensiert werden kann; doch hat darüber nicht der Ordinarius, sondern der Direktor definitiv zu entscheiden. Bis zum Tage des Abituriums, wo der deutsche Jüngling auf seine Maturität, z. B. im Deutschen, von einer Kommission examiniert wird, deren Präsidium ein königlicher Kommissar, Mitglied des Provinzialschul kollegiums, führt. Das Examen ist sehr rigoros, und die Zensur 1 eine Rarität oder rara avis.

Das Fremdwörterbuch, das jeder deutsche Primaner im Kopf trägt, tragen muß, ist auf mindestens 1200 Welschereien zu schätzen. Das Verdeutschungswörterbuch ›Die Schule‹, von Karl Scheffler, das nur die ›hauptsächlichsten entbehrlichen Fremdwörter der Schulsprache‹ enthält, birgt auf seinen 80 Druckseiten etwa 2500 Welschereien! Aber Deutsch soll der Mittelpunkt des Unterrichts sein, nicht wahr?

Deutsche Jünglinge, die nur die Volksschule absolviert haben und Lehrer werden, also die pädagogische Carrière einschlagen wollen, müssen sich mit einem viel dünneren welschen Firnis begnügen, entbehren deshalb fast aller › formalen Bildung‹, kommen aber immerhin auf eine Präparandenanstalt, von dort auf ein Seminar, machen ihr Examen mit der und der Zensur, müssen sich zeitlebens mit dem nur deutschen Prädikat Lehrer begnügen, werden nicht einmal Probandus, geschweige Doktor oder Professor gar, können es aber nach einem speziellen Examen – oder Tentamen? oder Colloquium? – später zum Rektor bringen. Geschieht ihnen recht, suum cuique: warum haben sie kein humanistisches Gymnasium absolviert und Humaniora studiert?

 

Ehret die Frauen! Die deutsche Frau wird doch wenigstens von den Mysterien des undeutschen Welsch verschont bleiben? Das deutsche Mädchen, die spätere Hüterin des deutschen Hauses, wird doch von der ersten bis zur letzten Klasse nur deutsche Schulsprache hören, freilich auf die entsetzliche Gefahr, nahezu ohne › formale Bildung‹ ihren schweren Lebensweg zu wandeln? Nein, das geht nicht an, den Mädchen, bloß ihrer Sexualität wegen, alle Weihen des allein gebildetmachenden Welsch vorzuenthalten; wo bliebe da die Parität und besonders die nie nie zu übersehende › formale Bildung‹? Einen Coetus kennt auch die deutsche Mädchenschule, allerdings ohne zu lehren, was dieses Wort allereigentlichst bedeutet, denn das wird wohl erst im Ober lyzeum ›aufgeklärt‹; und wo der Knabe Exercitien oder Extemporalien schreibt, da macht das echt deutsche Mädchen seine Exercices und Exercises. Auf den Mädchen gymnasien mit Latein herrscht selbstverständlich die gesamte Terminologie des Substantivums und Verbums, gibt es nur Artikel, Pronomina, Adjektiva, Adverbien usw. Viele Mädchenschulen ohne Latein krönt tröstend wenigstens eine stolze Selekta. Und als vor einem halben Menschenalter eine Reform des weiblichen Unterrichts, mit neuen Disziplinen, erhöhten Pensen und mit noch mehr, immer mehr › formaler Bildung‹ projektiert und mit energischer Initiative konsequent realisiert wurde, da geschah endlich, was längst ein pium desiderium gewesen: der erniedrigende platte deutsche Name Mädchenschule oder Höhere Mädchenschule ward ausgetilgt und durch ein so vornehmes Wort ersetzt, daß es keine der Schülerinnen, nicht alle Lehrer, wenige Leiter – ich meine Direktoren –, zum Glück aber wenigstens alle Kultusminister genau verstehen: Lyzeum, was einst im Griechenland des vierten Jahrhunderts v. Chr. so etwas wie Wolfsschlucht bedeutet haben soll. Vornehmeres als das Unverständliche gibt es in Deutschwelschland nicht.

Die vertrauliche Verkehrssprache – das esoterische Idiom – des deutschen Hochschülers ist Welsch, ein ausnehmend widerwärtiges Welsch, im wesentlichen zusammengerührt aus etwas Latein, mehr Küchenlatein und ebenso viel lächerlichem Deutschfranzösisch. Friedrich Kluge in Freiburg hat das Wörterbuch dieses der deutschen Studentenschaft durchaus unwürdigen Missingsch gesammelt; Beispiele seiner sprachlichen Ruppigkeit sind überflüssig. Jeder eng in sich zusammengeschlossene und sich nach außen ein wenig abschließende Stand erzeugt sich eine Standessprache, und niemand hat hiergegen ernstlich etwas einzuwenden. Auch das läßt sich entschuldigen, daß der studentische Comment – welch ein Wort für deutsche Hochschüler! – aus dem Sprachschlamm der zwei Roheitsjahrhunderte deutschen Studentenlebens, dem 17. und 18., soviel sprachlichen Unflat mitgeschleppt hat. Unverzeihlich jedoch und unerträglich wäre es, wenn die deutsche Studentenschaft nach dem Seelenbade dieses ungeheuren Krieges nicht aus sich heraus Antrieb, Kraft und Sprachkunst genug schöpfen sollte zu einer mindestens ebenso jugendfrohen, aber geistreicheren und saubreren Brüdersprache.

 

Aus den deutschen Schulen gehen die deutschen Schriftsteller und Künstler hervor, und wie sie dort sprechen gelernt haben, so sprechen und schreiben sie als Männer, als Bildungsführer ihres Volkes. In Frankreich ist ein teutschender oder britender Schreiber undenkbar. Man stelle sich vor: ein Professor der Sorbonne oder der Ecole Supérieure mischte das Boche in sein Französisch! Es hat nie einen französischen Schreiber, einen französischen Lehrer solcher Art gegeben, es kann keinen geben: die französische Schule, wie immer wir sonst über sie urteilen mögen, stellt wirklich, nicht bloß redensartlich, die Muttersprache in den Mittelpunkt alles Unterrichts. Ein französischer König des 16. Jahrhunderts, Franz I., hat 1539 verfügt: ›Weil oftmals durch lateinische Wörter Dunkelheiten in der Amtssprache entstehen, so wollen Wir, daß alle Schriftstücke, gleichviel ob der hohen oder mittleren oder niederen Behörden, in der französischen Muttersprache abgefaßt werden und nicht anders ( en langage maternel français, et non autrement).‹ Und nur ein Menschenalter nach dem Französisch sprechenden Großen Friedrich von Preußen hat ein andrer französischer König, Ludwig XVIII., ausgesprochen: ›Man muß die Sprachlehre und die Wortfeinheiten des Französischen kennen, wenn man König von Frankreich sein will‹, womit er nicht die landläufige Sprachlehre und Wortkunde, sondern die Kunstform und Reinheit des Französischen meinte.

Der größte Teil der Fachsprache des deutschen Schriftstellers ist Welsch. Mit Müh und Not ist im 18. Jahrhundert der Autor – nicht etwa ausgemerzt, aber doch zurückgedrängt worden hinter den von den damaligen Welschern, drolligerweise auch von dem urteutschen Klopstock, wütend bekämpften ›Schriftsteller‹. Daneben fristet der Literat noch sein bescheidenes Leben, aber schon in mehr vegetativer Existenz. Der Belletrist samt der Belletristik stehen auf dem Aussterbe etat; zum Ersatz dafür wird neusterdings der erzählende Dichter im heimparisischen Schmockwelsch Romancier genannt, der gelegentlich sogar als Conférencier auftritt. Seine Tätigkeit ist literarisch; die an seinen Schöpfungen geübte kritisch. Er bringt hervor: Skizzen, Humoresken, Novelletten, Romanetten (so Hermann Bahr), ein Epos, Melodrama, Monodrama, Idyll, oder ein Feuilleton (sprich: Fölljetong!), einen Essai (vornehmer: Essay, mit Akßang auf der Pänultima!), eine Diatribe, einen Kommentar, ein Kompendium, eine Enzyklopädie; manchmal leider nur ein wertloses Opus, Elaborat, oder gar eine Kompilation ohne jede Originalität. – Vom Roman und vom Drama spreche ich nicht: der sprachgebildete Leser weiß, daß wir es hier mit sehr alten berechtigten, nicht angefochtenen Lehnwörtern zu tun haben. Auch Novelle darf als Lehnwort gelten; doch wie bezeichnend: der romanische Klang läßt sie dem deutschen Dichter vornehmer erscheinen als die Erzählung, die denn auch viel seltener als Gattungsname gewählt wird.

Begonnen wird die Arbeit, nach der Konzeption der Idee, mit einem Konzept auf Konzeptpapier; wissenschaftliche Werke beruhen auf Notizen, Exzerpten, Extrakten, Kollektaneen. Hat man sich genügend präpariert und konzentriert, hat man das ganze Material beisammen, so beginnt die Redaktion eines Manuskriptes. Oder man bedient sich des eignen Stenogramms, wenn man nicht einem Amanuensis oder einem Sekretär, manchmal einer Sekretärin oder Stenotypistin in die Maschine diktiert. Das erste Brouillon wird einer sehr akkuraten, ja akribosen und peniblen Revision unterzogen, die oft mit einer neuen Redaktion identisch ist. Natürlich reserviert sich der Autor kontraktlich seine Autorrechte, schließt mit dem Verleger (drolliger nur deutscher Ausdruck!) über soundso viel Exemplare ab, stipuliert ein fixes Honorar, zahlbar in zwei Quartalsraten, respektive eine prozentuale Tantième für dramatische Werke, verpflichtet sich zum Lesen einer ersten Korrektur und zweiten Revision, nimmt für alle Eventualitäten eine Kopie seines Manuskripts und expediert dann sein Opus je nachdem an das Bibliographische Institut, an die Union, die Concordia oder, wenn es nicht anders geht, an einen Verlag mit deutschem Namen, aber natürlich nur an einen gut renommierten, potenten, honorigen, kulanten. Kleinere Elaborate sendet er an eine Redaktion, etwa die einer Revue, wohl gar an den Herrn Chefredakteur, und bittet eventuell, immer hübsch eventuell, um einige Beleg exemplare.

 

Brauche ich dem Leser ins Gedächtnis zu rufen, daß fast die ganze Kunstsprache des deutschen Dichters, besonders des Roman- und des Dramendichters, griechisch, lateinisch, französisch ist, daß es eine Exposition, Episoden, Motive, Motivierung, Charakteristik, Peripetie, eine Krise, Analyse, zuletzt eine Katastrophe, in manchen Fällen einen Epilog, in andern einen Prolog gibt? Muß ich noch an allerlei Untergattungen der Schriftstellerei erinnern, an das Libell, Pasquill, Pamphlet, die Satire, Parodie, Travestie, wozu der Graphiker Karikaturen zeichnet, die der Graveur radiert, worauf ein Klischee oder ein stereotypischer Abdruck genommen wird zur Reproduktion auf der Rotationspresse? Könnte ich nicht auch in diesem Falle seitenlang, nein bogenlang zu welschen fortfahren, wie von denen gewelscht wird, die das heilige Amt übernommen, Diener und Hüter des Wortes zu sein? Muß ich mich nicht, vom Raume beengt, mit einigen, mit ganz wenigen Beispielen begnügen, die der Leser selbst aus seiner täglichen reichen Erfahrung verhundert-, vertausendfachen kann? Erinnert er sich nicht selbst an eine ganze Sammlung › Deutsche Chansons‹, herausgegeben von einer Vereinigung deutscher Dichter, die man nicht durchweg Schmierer nennen dürfte? Haben wir nicht ein vorgeblich besonders die Kunst wartendes und pflegendes › Organ für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten‹ (mit Ausnahme des reinen deutschen Ausdrucks!), dessen Herausgeber sich alle zwei Wochen als Praeceptor Germaniae geriert und uns z. B. diese Proben der Ausdruckskultur vorsetzt: ›Israels ist der ›Künstler vom visuellen Typ‹ im Gegensatz zu den › idealistischen Arrangements‹ andrer. – Manches seiner Urteile war mehr dogmatisch als zertitudinal [bitte im dicksten Fremdwörterbuch nachzusuchen!] gedacht.‹

Hat nicht in der deutschen Kunstschreiberei unsrer Tage das Geckenwelsch einen Grad erreicht, der an Albernheit und frecher Heimpariserei die ärgste Sprachverluderung im Dreißigjährigen Kriege weit hinter sich läßt? Wir werden dieser Schamlosigkeit noch mehrfach begegnen, die sich kein andres Volk von einem seiner niedrigsten Sudler bieten lassen würde. Hier nur vorweg ein Pröbchen, von mir nicht gesucht, sondern mir aus der Riesensammlung eines Liebhabers sprachlicher Tollheiten mitgeteilt: ›Tanzende Farben, gebannt von der nervösen Hand eines preziosen Ästheten, lassen die Kunstblätter aufleuchten. In buntem Wechsel führt die burschikose Sprudellaune des begabten Künstlers Bilder aus der grande [!] et demimonde voll vornehmer Grazie vor uns auf. Die an Decadence streifende Hyperkultur unsrer Tage weiß er mit unübertrefflicher Verve und seiner Satire, einen leisen Einschlag in Wildesches Dorian Graytum nicht verleugnend, zu zeigen.‹

Über Kunst und Kunstgewerbe kann die deutsche Sprache nicht mitreden. Es gibt zwei deutsche Kunstschreiber, C. Gurlitt und K. Wörmann, die Deutsch schreiben; sonst ist mir kein einziger begegnet. Sie welschen alle ›brecherisch‹, und ich kenne noch tolleres Gewelsche als das obige. Man wäge: im Lande Lessings, Goethes, Schillers wird von elenden Kunstsudlern das Deutsche für ungeeignet zum Urteil über Kunst erklärt! Der Leser prüfe selbst nach, was ich hier behaupte: ein Bericht über eine Musikaufführung, eine Gemäldeausstellung, einen Theaterabend mit nur einem Welschwort auf jeden Satz ist seltener als das hohe C. Die Regel wird eines auf jede Zeile sein. ›Nur ein auf sublimste Farben vibrationen eingestelltes seelisches Prisma konnte mit so überzeugender suggestiver Gewalt diese koloristische Fanfare blasen.‹ Dies ist das Welschgewäsch eines übergeschnappten, aber trotzdem, oder grade darum, sehr angesehenen Kunstschmierers, welcher harmlose Leser durch Frechheit verblüffen will und in den meisten Fällen wirklich verblüfft.

Indessen auch die Fachsprache der ernsten Kunstschreiber, inhaltlich vernünftiger, ist bis ins innerste Gefüge undeutsch, ein Gemisch aus Latein, Italienisch, Französisch, sehr viel Französisch, und dem unerläßlichen griechischen Einschlag – mit so viel Deutsch, wie sich notwendig daraus ergibt, daß die Schreiber keine einzige der Fremdsprachen wirklich beherrschen, sondern sie eben nur um allerlei ausgefranzte, zerschlissene und entfärbte Buntflicken bemausen können.

Da gibt es Kolorit, Inkarnat, Pleinair, Pointillismus, Impressionismus, Expressionismus, Realismus, Naturalismus, Symbolismus, Dekadismus oder Dekadenz ( ismus ist vornehmer als enz!), Verismus, Illusionismus bis zum Trompe l'œil, Futurismus, Neoromantismus usw. Die Kunstzeitalter werden durch den Primitivismus, das Trecento, Quattrocento, Cinquecento usw. bis zur neuesten von der Sezession abgezweigten juryfreien Sezession bezeichnet. Dürer kannte kein einziges Welschwort für seine Kunst, nicht einmal die Palette. In der Skulptur oder Plastik genau wie in der Malerei und in der Graphik. Das gemeine deutsche Wort Zeichner wird unter unsern Augen von dem welschen Graphiker abgelöst. Sicherlich ist der Meisterwelscher schon geboren, der uns auch von dem rückständigen ›Maler‹ befreien und seinem aufwärts strebenden Volke den Zographiker schenken wird, auf daß erfüllet werde das Wort des edlen Sängers:

Will noch tiefer mich vertiefen
In den Reichtum, in die Pracht,
Ist mir's doch, als ob mich riefen
Väter aus des Grabes Nacht.

Merkwürdig hieran ist mir nur eines: seit einem vollen Menschenalter hat sich in Deutschland, nach schmerzlichen Erfahrungen in geschmacklosen Zeiten der › garantiert echten Imitation‹, die Überzeugung durchgesetzt, daß wahre Kunst und tüchtiges Kunstgewerbe unbedingt den echten Stoff – auf Welsch: das echte Material – zur Voraussetzung haben. Zinkguß, Cuivre poli, Massenöldruck sind verpönt, und der letzte Kunstschreiber hastet schaudernd an solchem Kitsch oder Schund vorbei. Daß eine Kunstschreiberei in Welsch der elendeste Sprachkitsch ist, fühlen die Hyperästheten nicht, die in Deutschland über Kunst in dem Talmi- und Simili-Missingsch schreiben.

 

Das Welsch des Verkehrs und des Staates

Die Sprache des deutschen Verkehrslebens ist welsch, des amtlichen weniger als des nichtamtlichen, seitdem Post- und Eisenbahnverwaltungen den gröbsten Unrat ausgekehrt haben. Wie tief aber die Welscherei sich eingefressen hatte, sieht man an dem noch immer nicht ganz verklungenen lächerlichen Kupé, das selbst gebildete Menschen zuweilen noch sprechen, obgleich sie wissen, daß Kupé weder französisch noch deutsch, sondern eben welsch ist. Die Post ist schon leidlich stubenrein; die Eisenbahn kann es werden, sobald ihre Leiter es wollen. Noch wollen sie es nicht, denn mit der deutschen Speisekarte allein (vgl. S. 26) ist es nicht getan, solange es noch Generaldirektionen, Eisenbahn präsidenten und Inspektionen gibt. Der verschmutzte Pelz muß bei gründlicher Waschung gründlich naß werden, und natürlich dürfen deutschbestrebte Verwaltungen nicht auf das Geschrei der Welscher hören. Diese haben geschrien, als man den rekommandierten Brief, das Insinuationsdokument, den Coupon bei Paketen und 500 andre Kleinode aus der Schatzkammer der Welscherei fegte und auf den Sprachmüllhaufen warf. Das Billet ist fast ganz verschwunden, das Retourbillet schon dadurch, das keins mehr verkauft wird; aber geblieben sind noch die Lokomotive, die Station, die Expedition, der Transport, die Spedition samt dem Spediteur, seinen Spesen und seinem überwiegend welschen Frachtbrief oder Konossement.

 

Wie es um das deutsche Gasthofswesen bestellt ist, weiß jeder Reisende. Der französische Gasthof ist französisch, der englische englisch, der deutsche ist welsch, überwiegend französisch oder doch deutschfranzösisch. Die Verteidigungen der Herren Hôteliers, zumal die mitten im Kriege, sind eigentlich noch toller als der aus alter Auslandsknechtseligkeit und Kellnerwelscherei überkommene Zustand selbst. In Deutschland müssen tiefsinnige Streitereien geführt werden, ob unser ausgezeichnetes Gasthofswesen, das beste der Welt, sich nach wie vor durch französische Benennungen den Anspruch auf Güte, Feinheit, Vornehmheit erobern soll. Die Güte besteht für den Welschergeschmack in Hôtel, die Feinheit in Grand Hôtel, die Vornehmheit in Bristol, Savoy, Carlton oder sonst welchen für einen guten deutschen Gasthof gradezu blödsinnigen Namen. Während des Krieges sind einige der widerwärtigsten Welschereien aus dem Straßenbild der Großstädte verschwunden; man frage aber wen man wolle: jeder Deutsche kennt sein Welschdeutschland so gut, daß er die Wiederkehr aller jener Erbärmlichkeiten nach dem Kriege mit verzeihendem Lächeln schon jetzt voraussagt. Die deutsche Polizei hat nicht den Mut, solchen Würdelosigkeiten entgegenzutreten. Für die größere Vornehmheit von Gasthof, Hof, Fremdenhof, Haus gegenüber dem gemeinen Hôtel und meist schwindelprotzigen Grand Hôtel hat der verwelschte Hôtelier kein Verständnis.

 

Unser öffentliches Leben ist welsch, ganz welsch, und wird an Undeutschheit nur noch durch das Welsch der deutschen Wissenschaft überboten. Presse, Gemeinden, Staatsbehörden, Volksvertretungen wetteifern, Deutschland sprachlich zu verlateinern und verfranzöseln. Während der ersten zwei Weltkriegsjahre ist mir ein einziges behördliches Schriftstück in rein deutscher Sprache zu Gesicht gekommen: der Aufruf des Ernährungsbeherrschers von Batocki an die deutschen Landfrauen. Es gehört um seiner Sprache willen an eine glasbedeckte Ehrenstelle des zukünftigen National-Organisationsmuseums. Nicht einmal die allmächtige deutsche Tugend der vorsorgenden Wirkordnung – oder einfach der Ordnung, der Vorsorge, – um die uns die Feinde beneiden, kann man in Welschdeutschland deutsch benennen; sondern, wohin wir in amtlichen Verordnungen, Zeitungen, Reichstagsreden blicken, überall orgelt und schnarrt und zischt uns die sechssilbige Organisation entgegen. Es gibt in Deutschland nicht mehr Ordnung noch Vorsorge, sondern nur noch Organisation; Leben ist nicht nötig, Organisation ist nötig. Ohne Organisation kein Deutschland, kein Sieg, kein inneres Gedeihen. Und wie immer: Frau Organisation spreizt sich nicht allein, sondern mit ihr blüht ihre ganze feine Familie, wuchert der Riesenschwamm aller nur erdenkbaren Abwandlungen der herrlichen Wurzelform Organ(is) mit ihren Scheingebilden organisieren, ein organisieren, um organisieren, Organisierung, Neu organisierung, Organisator, organisatorisch, und alle diese fressenden Schwämme eines fremden Organismus erfreuen sich ihrer Organe und wachsen nicht etwa un organisch, sondern organisch. Wo sie aber wachsen, da vertilgen sie die Dutzende wahrhaft organischer deutscher Sprach organismen, bis daß den Deutschen seine gesunden reichen eignen Sprachschätze seltsam, altfränkisch, minderwert dünken. Was für ein desorganisiertes Gehirn muß das meine sein, in dem es das Wort Organisation und Gelichter nie gegeben hat. Wo du nicht bist, Herr Organist –. Aber seltsam, ich lebe, ich wirke, für mich und mit andern, ohne Organisation. Der Welscher faßt solche Ungeheuerlichkeit nicht und bemitleidet mich.

Unser öffentliches Leben ist in den guten Fällen national, in der extremen Steigerung nationalistisch, in den üblen, aber zum Glück exzeptionellen Ausnahmefällen antinational. Daneben steht unser Staats- und Bürgerleben ›im Zeichen‹ von Zentral, vom Zentralausschuß und Zentralkomité und Zentraldépôt des Roten Kreuzes, der deutschen Frauenvereine, der Reichsbuchwoche, über das Zentralorgan für die Interessen der Textilindustrie, Metallurgie, Friseure bis zur Zentral-Milchhalle, deren es in jeder Straße Berlins mindestens eine gibt, im Parterre oder im Souterrain. Den Rang machen ihm streitig Lokal, Spezial, General, in einem gewissen Abstande Universal und International. Kaum hat sich irgendein größerer Komplex oder Konzern von Interessenten aufgetan, so schafft er sich stilgemäß einen Generalsekretär an. Man kann diesen Vorgang getrost generalisieren, er ist das Generelle, der Geschäftsführer das Exzeptionelle.

Was wäre die Folge, wenn plötzlich von uns verlangt würde, nichts im Staatsleben solle fürder offiziell, geschweige offiziös sein, sondern amtlich und halbamtlich? Das Staatsgetriebe müßte eine Weile stillstehen, bis der Deutsche sich an die tolle Zumutung gewöhnt hätte, Deutsch zu sprechen, und bis sich die kümmerlichen nur deutschen Ausdrücke mit dem welschen Plunder ›deckten‹. Allerdings könnte bis dahin der Staat aus den Fugen gegangen sein.

Jede zufällig deutsche Bezeichnung eines deutschen Würdenträgers muß als befremdende Seltsamkeit gelten. Im Reich ist der Reichskanzler der einzige unter den höchsten Beamten mit einem deutschen Titel. Die Welscherei kommt dabei nicht zu schaden, denn neben ihm gibt es einen Chef der Reichskanzlei und Dutzende von Staats sekretären, Unterstaats sekretären, Legationsräten, nicht zu sprechen vom Finanzminister, Justizminister, Kultusminister mit ihren Direktoren, geheimen expedierenden Sekretären, Supernumeraren, Subalternbeamten. Daß die Staats sekretäre und Unterstaats sekretäre den englischen Bezeichnungen nachgeengländert sind, nur nebenbei. Dieser welsche Zustand unsrer offiziellen Terminologie und Nomenklatur gilt längst bei uns für so natürlich, daß ich fürchten muß, für einen Ultraradikalen, Erz revolutionär, Anarchisten, zum mindesten aber für einen bizarren Querulanten zu gelten, wenn ich, halten zu Gnaden, mein submisses Sentiment dahin resümiere und rekapituliere, daß die Träger der hohen und niederen Ämter im Deutschen Reich deutsch benannt sein sollten. Halten zu Gnaden!

Beinah hätte ich vergessen, gebührend zu verzeichnen, daß es in Berlin eine Maison militaire gibt. Ich entnehme diesen Fund einer Zeitung vom 10. März 1913, dem amtlich festgesetzten 100. Gedenktage des Beginnes der Befreiungskriege – zur Befreiung vom Franzosenjoche, so hat man mir als Knaben am 50. Gedenktage 1863 auf meiner Schule gesagt. ›Um 12 Uhr legten die drei früheren Flügel adjutanten Kaiser Wilhelms I. einen Lorbeerkranz am Sarge des Kaisers [des Deutschen Kaisers!] nieder, dessen Schleife die Inschrift trug: Die Maison militaire.‹ Allons, enfants de la patrie!

In der Belehrung eines Reichsamtes über die wichtigsten Anforderungen an ein Warenzeichen hieß es vor kurzem: ›Es muß distinktiv, darf aber weder einerseits deskriptiv, noch anderseits dezeptiv sein.‹ Hoffentlich wird sich die Fachwelt angemessen rezeptiv zu dieser instruktiven Information verhalten.

Nicht einmal die Bestrebungen zur Ausbreitung des Deutschtums können anders als auf Welsch bezeichnet werden. Man germanisiert, man treibt Germanisation, wie man ja kolonisiert und Kolonisation treibt; und will man übertriebene Deutschgesinnung – als ob Vaterlandsliebe je ›übertrieben‹ werden könnte! – verhöhnen, so muß man auf Griechisch welschen: Teutomanie. Noch sonst stammen alle Schimpfwörter für entschlossenes Deutschgefühl aus dem Welsch: Purist, Chauvinist, Annexionist; aber auch der Mann, der das Deutsche angeblich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, ist etwas auf griechisches ist: ein Germanist. Er ist denn auch oft genug danach.

 

Die deutsche Gemeindeverwaltung ist sprachlich mindestens ebenso sehr welsch wie deutsch, und ihre Sitzungssprache so welsch wie die aller öffentlichen Reden in Deutschland. Man bedenke: die weitaus meisten deutschen Städte stehen unter einem Magistrat, einige unter einem Senat, eine Minderzahl unter einem Rat. Ein Heer von Kommissionen, Deputationen, Dezernaten, Dezernenten, Kommissaren, Deputierten, Sekretären mit Bureaus sorgen für das Wohl, will sagen für die Interessen der deutschen Bürger. Das Ganze heißt Kommunalverwaltung, und alles ist kommunal. Im menschenalterlangen Dienst der größten Kommune des Reiches habe ich das ruppigdeutsche ›gemeindlich‹ kaum je, das welsche, kaum nur küchenlateinische, kommunal gewiß 50 000mal gehört oder gelesen. Wörter wie Bürgermeister, Stadtrat, Stadtverordneter stechen stilwidrig von dem allgemeinen Gewelsche ab. Als unter dem Hochschwung deutschen Geistes im Lübecker Senat der Antrag gestellt wurde, Senator durch Ratsherr zu ersetzen, erhob das Organ der Heimpariser in Berlin durch seinen Chefredakteur energisch Protest ›gegen die Abschaffung der alten vornehmen Dignität eines Senators‹. Ratsherr ist in Deutschland, auch in den Hansestädten, älter als Senator; aber er ist nur deutsch, also minder vornehm.

 

Die Geschäfts- und Redensprache aller deutscher Volksvertretungen, obenan des Reichstags, ist welsch, überwelsch. Wie schade, daß noch kein strebsamer junger Germanist das Spezialfremdwörterbuch des Reichstags gesammelt hat; ich schätze es auf 10 000 Wurzelwörter, ohne die dazu gehörigen 30 000 Ableitungen. Wagt jemand mir zu widersprechen? Ich habe 34 Jahre lang im Reichstag Reden von Männern aller gebildeten und halbgebildeten Stände anhören müssen und stelle fest, daß ich Reden in ziemlich deutscher Sprache ganz vereinzelt zu hören bekam, die eine und andre von Moltke, gelegentlich eine von Bennigsen, die Gedenkrede Bismarcks auf den Tod des alten Kaisers, – so, damit bin ich fertig. Wie sollte es anders sein? Stellt doch der Reichstag die Auslese des deutschen öffentlichen Sprachlebens dar, und da dieses durchweg welsch ist, so muß die Sprache der deutschen Volksvertretung auserlesenes Welsch sein. Daß der Reichstag einen Präsidenten und zwei Vizepräsidenten hat, ist weniger verwunderlich, als daß er Schriftführer und nicht Sekretäre hat. Dafür hat er aber einen Quästor und einen Seniorenkonvent; sein Plenum hält Plenarsitzungen; er wählt Kommissionen, läßt Kommissare des Bundesrats zu, führt Diskussionen und Debatten, zerfällt in Fraktionen, hat eine Tribüne für seine Redner, andre Tribünen für Zuhörer, eine Hof loge, eine Diplomatenloge, eine Präsidentenloge, ein Stenographenbureau, aber seltsamerweise nur eine gemeine Bücherei, doch mit einem Direktor und einem Ober bibliothekar an der Spitze. Mit Ausnahme einer einzigen Partei, der des Fortschritts oder der Volkspartei, führen alle Fraktionen welsche Namen. Amtlich soll man zwar einen Haushalt beraten; aber kein Redner spricht so, vielmehr gibt es nur einen Etat, der in ein Ordinarium und ein Extraordinarium zerfällt und in dem die Einnahmen und Ausgaben etatisiert sind. Zur Abwechselung wird Budget gesagt, was in mindestens 6 verschiedenen Aussprachen geschieht. Hin und wieder wird eine Etatposition ohne General- und Spezialdiskussion en bloc pure angenommen. Es gibt Amendements und Unter amendements, die wohl auch reinwelsch Subamendements heißen. Im allgemeinen benimmt man sich parlamentarisch; doch ist es schon vorgekommen, daß irgendein Extremer, ein Exaltierter, ein Desperado, ein Ultra, ein Intransigent sich in unparlamentarischen Exzessen erging, sei es bei Interpellationen als Interpellant, sei es gar als Referent oder Korreferent, oder als einfacher Diskussionsredner, der eine aktuelle Frage ›anschnitt‹ und sehr energisch ventilierte.

Unerklärlich bleibt, daß wir im Reichstag Abgeordnete haben; Deputierte wäre das Natürlichere. In der Diskussion ist für die wichtigsten Begriffe das Welschwort die Regel, das deutsche die befremdende Ausnahme. Der normale Reichstagsredner sagt zehnmal so oft energisch, wie: entschieden, kräftig, kraftvoll, tatkräftig, fest, ausdauernd, wirksam, nachdrücklich, aus allen Kräften, gehörig, markig, entschlossen zusammengenommen; zehnmal so oft definitiv wie endgültig, absolut wie durchaus. Eine der entzückendsten Blüten parlamentarischer Diktion ist das Diktum eines verstorbenen preußischen Landwirtschaftsministers: ›Meine Herren, wenn ich absolut sage, so meine ich das natürlich relativ.‹

 

Eine Kleinigkeit aus der Sprachwelt des Welsch bleibt zu ergänzen. Otto Gildemeister, sonst ein milder Verteidiger der Fremdwörterei, nicht etwa der Welscherei, hat über die äußerste Verrohung deutscher Sprache einst geschrieben: ›Durchaus verwerflich, ja gradezu scheußlich ist es, wenn das Fremdwort in die lediglich konstruktiven Teile des Satzbaues eindringt‹. Er meinte Wendungen wie ›eine Politik à la Bismarck, – vis à vis von Mainz, – eine Million per Woche‹, und nannte dies ›die Sprache eines Musterreiters, eines Oberkellners oder eines Feldwebels‹. Du lieber Himmel, es gibt sehr hochmögende und hochmütige Schreiber in Deutschland, die solche Scheußlichkeiten verüben. Ich kenne einen aufgeblasenen Germanisten in Berlin, dessen Germanisch nicht errötet vor › à la Harun Alraschid‹; und der Name Derer, die schreiben oder sprechen: pro Jahr, pro Monat, pro Kopf, per Jahr, per 1. April, per sofort, per bald, per Post, per Dampf, per Taille, per Adresse, zwei à 10, heißt Legion. Längst ist der Krebs der Welscherei auch in die › konstruktiven‹ Teile unsrer Sprache eingedrungen, also in die Formwörter; längst schreibt man und spricht man: zirka eine Million; dies tut er qua Mitglied; so präter propter; er handelt quasi als Bevollmächtigter; sic! in Klammern statt so!, und was dieser Verwischungen des sprachlichen Knochengerüstes mehr sind.

 

Die welschende Wissenschaft

Was aber sind alle bisher gegebenen Proben und Pröbchen der sprachlichen Verwelschung Deutschlands gegen die nachfolgenden wenigen aus der Riesensammlung des Gewelsches einer Bildungsschicht, die ich dem Leser zunächst zu erraten überlasse. Sie sind alle im Überwelsch geschrieben, in jener Mundart, durch die nach dem nicht einmal boshaften Wort eines Franzosen das Esperanto überflüssig gemacht wird. Ich habe die paar Beispiele nur aus den Werken sehr berühmter Welscher gewählt, und nur solcher, die nicht etwa zufällig einmal solch Zeug verübt haben, was schon toll genug wäre, sondern deren Alltagssprache solches Überwelsch ist. Auch hier nenne ich keine Namen – Welscher sagt: Nomina sunt odiosa –, bitte aber den Leser, mir zu glauben, daß ich grundsätzlich keinem unbekannten Schmierer die Ehre erweise, hier mit einer Probe seines gemeinen Welsch zu prangen. Es sind lauter Lumina, Autoritäten, Koryphäen, Zelebritäten par excellence und kat'exochen, wie sich's für mein Büchlein geziemt.

Aus einem Vortrag über den ›Lohn dieses Krieges‹: ›Wir erwarten nach den vielen Antithesen die Synthese, nach den Peripetien des Krieges die Katharsis.‹ Synthese ist das allerneueste Modewort schmockischer Wissenschaftelei, bedeutet nicht einen Hauch mehr als Zusammenfassung, und Katharsis bedeutet Reinigung. Der Wisch gehört in die besonderen Anstalten für gründliche Katharsis. Aus einem Aufsatz vom Anfang des Krieges zur › Analyse der deutschen Psyche‹: ›Ich meine die Transformation des Bewußtseins in eine kollektive Erscheinung, in ein soziologisches, nicht mehr individuelles Phänomen. Das Mirakel dieser Wochen bestand darin, daß die scheinbar undurchdringliche dichte Schicht, die die vitale und intellektuelle Sphäre des einzelnen voneinander scheidet, gleichsam porös ward, daß die isolierten Centren unseres individuell zersplitterten Lebens zusammenschossen, zusammenwuchsen zu einem Gebilde von unendlich höherer als einzelmenschlicher Individualität.‹ Der Schreiber, der allerdings nicht um sein Leben zu retten einen einzigen Satz anders als im Welsch schreiben könnte, ist von einer deutschen Regierung in Straßburg als Hochschullehrer deutscher Jünglinge bestallt worden.

›Ich merkte, daß ich beim erstenmal mit allzu dramatischem Gehör auf die momentan metrischen Dissonanzen der sensuellen Affekte geachtet und so die lyrisch-perpetuelle Rhythmik der sentimentellen Motive überhört hatte.‹ Der sehr berühmte, sich selbst für noch berühmter haltende Mann hatte auch einiges andre überhört: z. B. daß solch Zeug sich vollkommen wie der wildeste Hohn auf die Welscherei liest. Vielleicht verlangt mancher Leser mein großes Ehrenwort, daß ich den Satz nicht boshaft selbst verfertigt habe? Ich gebe es hiermit feierlich.

Aus einer ›Zeitschrift für den deutschen (wirklich für den deutschen) Unterricht‹: ›Auch die bekannte kleine Erzählung Sulamith mit ihrem sentimental-ethischen Grundgedanken, mit ihrem faszinierenden, plastischen Stil, mit ihrem markanten klugen Pathos, operiert mit Symbolen und Personifikationen des Pessimismus, obwohl hier die ethische Stimmung die Oberhand gewinnt.‹ Nichts auf Erden ist vollkommen: der ganz perfekte Welscher müßte schließen: präponderiert.

Eine Schicksalsfrage: ›Sind Edukte das Wesen einer Substanz, sie sei nun organisch oder kryptobiot?‹ Wird sie je beantwortet werden?

›Die Bestätigung, daß hier das Punktum saliens zu suchen ist, gibt die Antithese, welche unsre eigne Ära darstellt.‹ Von einem Geschichtschreiber, der keine Ahnung von Sprachwissenschaft hat, den Deutschen Sprachverein giftig bekämpft, das Welsch für die einzig würdige Sprache gebildeter Deutscher erklärt und gleich jedermann in Deutschland das Recht beansprucht, über Sprachfragen anmaßend mitzureden.

›Diese Welt- Potenz besitzt an sich die plastische Expansions-Fähigkeit einer endlosen evolutionistischen Diversifikation im Detail ihrer Erscheinungen‹, was aus dem Zigeunerwelsch ins Deutsche übersetzt bedeutet: ›Die Natur ist endlos im Hervorbringen mannigfaltigster Einzelerscheinungen.‹ Die Minderwertigkeit des Deutschen ergibt sich schon daraus, daß man es versteht.

›Erweitert erscheint die Suggestibilität der Anfänge der zweiten subjektivistischen Periode: auf kirchlichem Gebiete der Klerikalism, auf staatlichem und nationalem der Chauvinism, zu geschweigen der politischen wirtschaftlichen Egoismen.‹ Von einem jüngst verstorbenen hochberühmten Manne, der in ähnlicher Sprache sich während des Weltkrieges um ›die Zukunft der deutschen Psyche‹ seinen Welscherkopf zerbrach.

›Ihr Ornament ist nicht harmonisch-symmetrisch, also architektonisch, sondern graphologisch-charakteristisch, ist dekorativ, nicht tektonisch motivierend.‹ Von einem berühmten Schreiber, der deutsche Menschen über Kunst belehrt.

›Dazu kommt die raffinierte Intelligenz des Groß spekulanten, ein logisch strategisch operierendes Gehirn, das in Diplomatik und Politik die kompliziertesten Gespinste in glänzender Präzision webt und löst.‹ Von einem andern seinesgleichen.

Endlich ein paar Sätzchen von einem so berühmten Schreiber, daß ich ihn vorerst nicht zu nennen wage: ›Man übersetze sich solchen physiologischem Habitus in seine letzte Logik.‹ – ›Ich nenne dies eine sublime Weiterentwicklung des Hedonismus auf durchaus morbider Grundlage.‹ – ›Die Philologie ist die Ephexis in der Interpretation.‹ Dieser unerhört berühmte Welscher heißt Nietzsche; er stellt insofern eine ganz vereinzelte Ausnahme dar, als er zwei durchaus verschiedene Stile schrieb: einen unausstehlichen Welscherstil, der sich nicht von dem Gewelsch der Dutzendschreiber unterscheidet, und einen bezaubernden deutschen Kunststil, dessen Reiz grade in seiner kristallnen Sprachreinheit besteht. Nebenbei: Nietzsche war › klassischer Philologe‹, schrieb aber in einem seiner Anfälle toller Welscherei, da doch durchaus gewelscht werden sollte, die fast für jeden Leser unverständliche Ephexis nieder. Dieses griechische Wort steht nicht einmal in jedem griechischen Wörterbuch, kommt ganz vereinzelt bei Aristophanes vor, bedeutet an dieser Stelle nichts, was zu Nietzsches Ephexis der Interpretation paßt; – was alles natürlich nicht hindert, daß die Nietzsche-Bewunderer auch die Ephexis bewundern, die sie nicht verstehen, und weil sie sie nicht verstehen.

 

So sieht die Sprache der deutschen Wissenschaft aus; daß ich nicht im mindesten mit › subjektiver Ekletik‹ übertreibe, weiß jeder Leser wissenschaftlicher Werke. Ich enthalte mich des Urteils über den innern Wertgehalt und die Weltgeltung deutscher Forschung; es bedarf meines Urteils nicht, denn selbst die gehässigsten Feinde Deutschlands wissen und gestehen zähneknirschend zu, was sie der deutschen Wissenschaft schulden. Je hoher aber das Werturteil über sie zu greifen hat, desto rückhaltloser muß die Verwerfung der Sprache lauten, in der sie sich dem deutschen Volk und der ganzen Bildungswelt darzustellen wagt. Die Sprache der deutschen Wissenschaft ist eine Schmach für sie selbst und eine Schändung deutschen Volkstums. Unsre wissenschaftlichen Forscher und Schreiber erklären durch ihre Sprachform die deutsche Sprache für unfähig, Ausdruck des Forschergeistes zu sein. Viele von ihnen haben diese Unfähigkeit der deutschen Sprache ausdrücklich verkündet. Nie hat die Wissenschaft irgendeines Volkes, irgendeines Menschenalters solche an die Verrücktheit grenzende Überhebung und zugleich solchen Mangel an einfachem völkischem Ehrgefühl bekundet. Alles spitzfindig bemäntelnde Gerede über die Unentbehrlichkeit des lateinisch-griechisch-französischen Welsch für den Mann der deutschen Wissenschaft verschiebt nicht den wahren Sinn ihres Tuns und Redens: Deutsch ist minderwertig, Deutsch ist ungeeignet zur wissenschaftlichen Darstellung. Oder doch, was der tiefste Grund solches Geredes ist, den zwar die meisten denken, doch keiner auszusprechen wagt: Meine wissenschaftlichen Gedanken sind so abgrundtief, so verwickelt, zugleich so unendlich mannigfaltig in dem für ihre Ausschöpfung erforderlichen Ausdruck, daß ich mit dem armseligen Werkzeug genannt Deutsche Sprache beim besten Willen und bei meiner oft laut bekundeten Begeisterung für Muttersprache, Mutterlaut, wie so wonnesam so traut, nicht denken, nicht sprechen, nicht schreiben, nicht atmen kann. Jedes einzige der von mir aus mindestens 6 Sprachen aufgestöberten Fremdwörter ist unentbehrlich, unersetzlich, ›deckt‹ sich mit keinem der von den lächerlichen Puristen vorgeschlagenen deutschen Wörter. Die deutsche Wissenschaft wäre vinkuliert, gefesselt, gelähmt, paralysiert, vernichtet, zur Sterilität verurteilt, wenn ich bei der enormen, sich progressiv potenzierenden Differenzierung der Spezialforschung, nun gar bei ihrer Synthese, mich nicht jeder Nüancierung des Ausdrucks bedienen dürfte, wie sie nur durch die klassischen Sprachen mit Zuhilfenahme von Französisch möglich ist. Freilich, freilich gibt es einige wenige Kollegen, wie z. B. – hier folgt jedesmal der Name des zur Zeit für den ärgsten Welscher geltenden Nüancierungskünstlers; das ändert aber nichts daran, daß jedes meiner Fremdwörter durch kein deutsches Wort vollkommen adäquat und kongruent, vollkommen ›deckend‹ wiedergegeben werden kann. Noch jeder wissenschaftliche Überwelscher hat sich mit wahrer Leidenschaft gegen die abscheuliche Welscherei – der Andern ausgesprochen. So nannte der Erzwelscher Richard Meyer ›das Häufen fremdsprachlicher Ausdrücke barbarisch wie die Tracht eines mit Zylinder, Cotillonorden und Stulpenstiefeln ausgestatteten nackten Negers‹. So tadelte Karl Lamprecht, bei Lebzeiten, neben Simmel, der ärgste Welscher der deutschen Wissenschaft, und das wollte etwas sagen, den ziemlich maßvollen Fremdwörtler Max Lenz, seinen wissenschaftlichen Widersacher, ob seiner ›niedlichen, gar zu häufigen Fremdwörter kolonien‹. So drollig, ja possenhaft, wär's nur nicht zugleich so jammervoll, geht es in den Reihen unsrer welschenden Wissenschafter zu.

Noch mehr ausführliche Satzbeispiele als die schon gegebenen würden den Leser ermüden und anwidern; ich begnüge mich mit einigen Einzelstücklein, die zum Beweise dessen genügen, was ich behaupte: die deutsche Wissenschaft hält die deutsche Sprache für tief unter ihrer erhabenen Höhe. Sie will nicht Deutsch schreiben; sie will es selbst dann nicht, wenn auch die verbohrteste Rechthaberei nicht zu behaupten wagt: das Welschwort sagt mehr oder Besseres, ja nur Andres als das deutsche. Ein hochangesehener Volkswirtschaftslehrer will Bismarck schildern, also Bismarcks Bild festhalten, festlegen; so aber will er's nicht, weil es nur Deutsch ist und nach der Auffassung deutscher Wissenschaft nicht wissenschaftlich klingt, – demnach welscht er: ›Bismarcks Porträt fixieren‹. Ein andrer Wissenschafter, ein Germanist, will von einem Rundblick über zeitgenössische Dichtung sprechen, darf das aber nicht, denn Rundblick könnte ja jeder schreiben, Rundblick ist ja deutsch, also unwissenschaftlich, obendrein verständlich, – was bleibt dem Ärmsten, der zum Hochschullehrer für Deutschkunde bestellt ist, übrig, als Welsch, wissenschaftliches, den meisten Lesern unverständliches Welsch zu schreiben: Teichoskopie, ein von den späten Erklärern der Ilias zurechtgebasteltes griechelndes, also sehr vornehmes Wort.

Ein wegen seiner krankhaften Rechthaberei berüchtigter Todfeind reiner deutscher Sprache verlangte, verlangt noch heute eifervoll Terrain statt Gelände; verlangte von einem französischen Gegner Loyalität, die es nur in der welschen, nicht in der französischen Sprache gibt, und erklärte ›unlautern Wettbewerb‹ für ›fürchterliches modernstes Kunstdeutsch‹, verlangte statt dessen › Concurrence illoyale‹, weil er dies für feines Französisch hielt, während es nur sein eignes Berlinfranzösisch war.

Endlich noch ein Stücklein aus allerneuester Zeit, aus der des herrlichen Aufschwungs deutschen Geistes im Weltkriege. Ein Herr Professor Sombart ist davon durchdrungen, daß selbst das deutsche Fremdwörterbuch mit seinem zwischen 8 und 125 Tausend schwankenden Bestande nicht hinreicht, um die sprudelnde Fülle seines Geistes in dem Gefäß des Ausdrucks ohne traurige Verluste aufzufangen. Sein Fremdwörterbuch muß größer, immer größer sein, – wo bliebe er sonst mit der Riesen palette seiner Nüankßen? In einem wilden Werk gegen die Engländer, als die niedrigen, bildungslosen ›Händler‹, und für die hochherrlichen deutschen ›Helden‹ überschlägt er sich in wüster Welscherei. Ihm genügt nicht die Komfort-Sucht der Engländer, – Komfortismus muß dieser Erzdeutsche sich neu bilden, sintemalen in dem geheimnisvollen ismus sprachliche Wunderkräfte walten. Sportfexerei, Sportsucht, Sportherrschaft und viele ähnliche Wörter sind nur deutsch, taugen also nicht für den großen Mann der Wissenschaft, – der Verherrlicher deutschen Heldentums muß unbedingt Sportismus schreiben. Und man kann sicher sein, er wird uns mit einem Schwall von Scheingründen in einem Schwall von Scheinworten, also von Welsch, beweisen, daß kein andres Wort sich für die Exuberanz seiner Diktion qualifiziert. Qualifizieren hatten wir längst; es ist natürlich ganz überflüssig, aber die Welscher, die durchaus nicht ›eignen, befähigen, taugen‹ sagen dürfen, weil alles dies deutsch, also unwissenschaftlich und unvornehm ist, hatten doch, was sie unbedingt brauchten. Sehr schön; aber wie vereinsamt stand qualifizieren da! Der Englandfresser und Deutschlandpreiser Sombart gesellt zum Qualifizieren das Tantifizieren, was zunächst niemand versteht, was also um so wissenschaftlicher und vornehmer ist. Fehlen aber immer noch talifizieren und quantifizieren! Getrost, Herr Sombart ist noch in der Blüte seiner Welscherkraft und wird uns im Laufe des Krieges auch diese Bereicherungen unsrer hehren Muttersprache bescheren. Will noch tiefer mich vertiefen in den Reichtum, in die Pracht!

Wir haben eine lange Reihe ähnlicher wissenschaftlicher Schreiber, die nur scheinbar noch in deutscher Sprache schreiben. Sie beherrschen keine einzige Sprache, weder die deutsche noch eine fremde, auch nicht die lateinische, die Goethe den Worte machenden Gelehrten empfahl, wenn sie nichts Rechtes zu sagen hätten. Sie können aber sehr geschickt Bröcklein, verstandene und halbverstandene, aus einem halben Dutzend fremder Sprachen herausklauben und sie mit soviel Deutsch zusammenleimen, daß das Erzeugnis eine gewisse Ähnlichkeit mit Sprache hat, nur daß man nicht weiß, wie man solche Leimerei ›deckend‹ nennen soll. Ich hoffe, daß man Gewelsch am deckendsten finden wird.

Längst findet man es in Deutschland ganz in der Ordnung, daß der Name jeder Wissenschaft welsch ist. Die deutsche Sprache ist zu gemein, um so erhabene Begriffe wie Theologie, Philosophie, Philologie, Jurisprudenz, Medizin, Nationalökonomie, Physik, Botanik, Physiologie, Ethnologie, Entomologie, Archäologie, Geographie, Geodäsie, Geologie, Orologie, Astronomie usw. usw. würdig zu benennen. Ist es nicht ein Zeichen edlen Strebens zur Höhe, daß sich auch eine Hühnerologie aufgetan hat, gleichwie es längst eine Blumistik gibt?

Oh ich weiß, was mir die fürs Deutsche schwärmenden Welscher der Wissenschaft erwidern werden: Für alle von dir genannte Wissenschaften und ihre Hauptbegriffe gibt es treffliche deutsche oder doch verdeutschte Ausdrücke. Denen sage ich nur: Plummen un Speck sünd ein sihr gaudes Gericht, blot wi krigen dat nich. Oder hat schon jemand eine wissenschaftliche oder wissenschaftelnde Abhandlung gleichviel worüber gelesen, deren Gegenstand, Aufgabe, Vorwurf, Frage anders als Problem genannt wurde? Das Problem der eßbaren Saatkrähe, das Problem des Kleistschen Versbaus, das Problem der rationellen Kartoffelaufbewahrung, das Problem des Tannhäuser, das Problem der lukrativen Schweinezüchtung, das Problem der Fettgewinnung aus den Abwässern. Und wie mit dem Problem, so mit jedem andern geistigen Begriffswort. Welsch ist die Sprache deutschen Geisteslebens, durchweg welsch in ihren Fachausdrücken. Welcher Wissenschafter erniedrigt sich so tief, wie Goethe sich erniedrigt hat, und schreibt: Lehre und Leben? So vollkommen verwelscht ist die Sprache des deutschen Denkens, daß die meisten Leser schwerlich auf den ersten Blick wissen werden, was Goethe, sozusagen doch auch ein Mann der deutschen Wissenschaft, mit Lehre und Leben gemeint hat. Theorie und Praxis, einzig Theorie und Praxis heißt Lehre und Leben in der wahren Muttersprache deutscher Wissenschaft, dem Welsch, der ›Sprache schön und wunderbar‹.

Die welschenden Wissenschafter sind mit der fertigen Entgegnung zur Hand: Man kann bei der Entwicklung, welche die deutsche Bildungssprache nun einmal genommen hat, nicht ohne eine ziemlich große Zahl von Fremdwörtern schreiben. Ziemlich große Zahl! Sind 200 eine ziemlich große Zahl? Man sollte es meinen. Nun nenne man mir den reinlichsten der Welscher mit weniger als 1000 Welschwörtern! Zum Glück gibt es einen vernichtenden Beweis für den Unsinn der Behauptung, daß ein wissenschaftlicher deutscher Schreiber durchaus nicht ohne einige Hundert Fremdbrocken auskommen könne: die nicht unbeträchtliche Zahl ausgezeichneter, meisterlicher deutscher Forscher, die ausgezeichnetes, meisterliches Deutsch mit einer verschwindenden Zahl von Welschwörtern geschrieben haben und noch schreiben. Unter den saubern deutschen Werken der Wissenschaft sind einige von Weltruhm: Brehms großes Tierbuch, dieses Grundwerk seines Gebietes – Welscher sagt: Standard-Werk, Überwelscher: Standard-Work – ist von einer für deutsche Sprachzustände unerhörten Reinheit, und das nächste Geschlecht mag entscheiden, wer länger lebt, Brehm der Meisterdeutsche, oder Lamprecht und Simmel, die zwei Meisterwelscher unsrer Zeit. In dem ganzen Bande Moltkes mit der kurzen Geschichte des 70er Krieges stehen nicht annähernd so viele Fremdwörter – die amtlichen des Heeres zählen nicht mit – wie auf 10 Seiten Hans Delbrücks, auf 2 Seiten Simmels. Es ist keine zu kühne Voraussage, daß Moltkes Schriften die Karl Lamprechts, Delbrücks und Simmels überleben werden. Daß man über jede Wissenschaft in gutdeutscher Sprache schreiben kann, beweisen ferner die Werke von Clausewitz, Treitschke, Marcks, Dietrich Schäfer; von Eyth, Riehl, Cornelius Gurlitt, Karl Wörmann, Ratzel, Roßmäßler, Helmholtz. Dieses Verzeichnis ließe sich verzehnfachen, aber es genügt zu Widerlegung des aus Anmaßung, Unkenntnis und schlechtem Gewissen zusammenfließenden Satzes der Welscher von der Notwendigkeit des Gewelsches in der Wissenschaft. Die Fremdwörter der engsten Fachsprache in der Heilkunde, der Mathematik, der Chemie haben mit dieser Frage nichts zu schaffen, denn sie dringen nicht hinaus über die Fachkreise, helfen nicht die Sprache allgemeiner deutscher Bildung verschmutzen, wie es das Gewelsch solcher Wissenschaften tut, die nicht auf die welschenden Fachkreise beschränkt bleiben.

 

Das Welsch der Germanisten

Doch getrost, meine Brüder, ein wissenschaftliches Gebiet wird es geben, das gewiß wie ein granitner deutscher Sprachfels im Meer des allgemeinen wissenschaftlichen Gewelsches gen Himmel ragt und uns schützen wird vor dem nicht auszudenkenden Unglück des Unterganges reiner deutscher Sprache. Haben wir in Deutschland nicht den edlen Beruf der begeisterten Erforscher und Pfleger deutscher Sprache, deutscher Dichtung, deutscher Sage, deutscher Sitten? An jeder Hochschule walten ihrer etliche und sind jahraus jahrein eifrig beflissen, Tausenden von Schülern die Liebe zur unentweihten deutschen Sprache, diesem kostbaren Werkzeug einer großartigen Dichtung, wie eine brennende Leuchte im edelsten Fackellaufe völkischer Wissenschaft in die Hand zu vertrauen. Sie, an die einst Uhlands Ruf ergangen:

Ja, gib ihr du die Reinheit,
Die Klarheit und die Feinheit,
Die aus dem Herzen stammt!
Gib ihr den Schwung, die Stärke,
Die Glut, an der man merke,
Daß sie vom Geiste flammt!

An deiner Sprache rüge
Du schärfer nichts, denn Lüge,
Die Wahrheit sei ihr Hort!
Verpflanz' auf deine Jugend
Die deutsche Treu' und Tugend
Zugleich mit deutschem Wort! –

sie, die von einem Meister deutscher Zunge, Paul Heyse, ermahnt worden:

Doch ihr, die Geistesmacht entflammt,
O haltet den Tempel rein!
Ist heiliger doch kein Priesteramt,
Als Hüter des Worts zu sein
 –

sie werden der Welscherwelt in Deutschland brennender Vorwurf und leuchtendes Vorbild sein. Der gemeine deutsche Menschenverstand könnte sogar auf den gewiß nicht verstiegenen Gedanken kommen, alle Hochschullehrer deutscher Sprache hätten so einigermaßen die Ehrenpflicht, wenn nicht schon die durch den Eid übernommene Amtspflicht, darüber zu wachen, daß der deutsche Sprachstaat keinen Schaden nehme. Ein wenig stutzig macht den harmlosen Betrachter zunächst die befremdliche Benamsung, die dieser deutschesten aller Wissenschaften anhaftet: Germanistik und Germanisten, also sprachlich auf der Höhe des Detaillisten, Grossisten, Lageristen, Blumisten mit seiner Blumistik, Bandagisten, Probisten, Harfenisten, Hornisten, Flötisten, Zinkenisten. Indessen diese alfanzige, sprachwissenschaftlich gemeine Bezeichnung stammt wahrscheinlich noch aus den Zeiten völkischer Zerfahrenheit und sprachlicher Roheit unsrer Wissenschaften. Was liegt am Namen? läßt Shakespeare fragen; nur handelt sich's bei ihm um die Rose, deren Duft in der Tat nicht am Namen haftet. Die Germanisten beklagen gewiß selbst, daß die geschichtliche Überlieferung sie mit einem solchen undeutschen Ekelnamen bedacht hat, und als geweihte Hüter des Worts werden sie demnächst ihre deutsche Wissenschaft mit einem anständigen deutschen Namen versehen. Freilich, als ich vor zehn Jahren in meiner Deutschen Literaturgeschichte die Kunde vom Deutschen Deutschkunde nannte, fiel ein angesehener Lehrer der Germanistik, Professor Franz Muncker, im Nebenamt Vorsitzender eines deutschen Sprachvereins, über mich her und erklärte mein nur deutsches Wort Deutschkunde für ›scheußlich‹. Es hat also bei der Germanistik zu bewenden, und da ich mir auf meine Sprachform Deutschkunde nichts einbilde, ist sie doch nur das sich von selbst ergebende Seitenstück zur Lateinkunde, Erdkunde, Naturkunde, Heilkunde –, so mag diese Deutschtumshüterin meinethalben Germanistik heißen, wenn sie nur ein unerschütterlicher Damm gegen die Welscherei in Deutschland ist. Das ist sie doch auf alle Fälle; das muß sie sein; welchen höchsten Daseinszweck hätte sie sonst? Alles schweige, jeder neige Germanisten nun sein Ohr!

›Sie [die störenden Elemente] muß der Dichter eliminieren, um dadurch die Gefühlserreger in ihrer vollen Intimität zu isolieren, konzentrieren, prononzieren.‹ (Von dem ordentlichen Germanisten an einer norddeutschen Hochschule.)

›Es ist ein Genuß, die Intensität und die Diskretion zu erkennen, mit der (in Goethes Werther) auf wichtige Situationen vorgedeutet wird.‹ (Jedes Begriffswort welsch; von einem außerordentlichen Germanisten in Berlin.)

›Der Text des Faustpuppenspiels ist nicht genuin.‹ – ›Das Gemisch aus Poesie und Prosa, also das Genre mêlé.‹ (Von einem der allerberühmtesten ordentlichen Germanisten in Berlin.)

›Goethe intime‹ überschreibt ein außerordentlicher Berliner Germanist seinen Aufsatz über Goethes häusliches Leben; ›Goethes Psyche‹ nennt er die Seele, ›Goethes Oeuvre‹ das Lebenswerk des großen – wie schreibe ich nur? – des poète allemand.

Jerusalems Tod war für Goethe nach einem andern Außerordentlichen: ›das pragmatische Resultat seiner Reflexionen.‹

Schiller nennt seine Jugendarbeit: ›Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit der geistigen‹; einer der berühmtesten Ordentlichen veredelt dies in: › Connex der physischen und geistigen Natur des Menschen‹, und jetzt erst steht Schiller auf der Akme moderner Sprachkultur.

Ein rheinischer Germanist schildert den Zustand unsrer neusten Literatur: › Krassester Materialismus, mystischer Spiritismus, demokratischer Anarchismus, aristokratischer Individualismus, pandemische Erotik, sinnabtötende Askese‹. Gibt es wirklich für ›sinnabtötend‹ kein Welsch? Welche Wissensblöße für einen Germanisten!

Der zurzeit Ordentlichste in Berlin faßt seine Weisheit über den Helden der deutschen Sage, also z. B. Held Siegfried, zusammen: ›Dieser Held, der immer ethisches Pathos besitzt –.‹ Man male sich dieses Bild aus: Der ordentliche Germanist steht vor dem außerordentlichen Helden Siegfried, wird von diesem gefragt: ›Wer bist du?‹, antwortet: › Professor ordinarius der Germanistik‹, und sagt nachdrücklich zu Siegfried: ›Du, o lobebärer Held, hast ethisches Pathos!‹ Ich möchte nicht in des Ordentlichen Haut stecken.

Der Ober germanist neuerer Zeit, der Begründer einer ganzen Schule welschender Germanisten, ihr Koryphäe Wilhelm Scherer, konnte überhaupt keine andre Sprache schreiben als Welsch. Ich kann bei der Knappheit des Raumes nur Pröbchen seiner germanistischen Sprache geben und verweise den Leser an Scherer selbst. – ›Die wahre Methode literarhistorischer Forschung steigt zu einem realen Allgemeinen auf und stellt dieses als bewegende Kraft hin, deren Entstehung aus einer Summe individueller Leistungen ein weiteres Objekt der Forschung, ein vorausgehendes Moment der Darstellung bildet.‹ Schon in diesem einen Sätzchen haben wir vier der gemeinsten Plunderworte des üblichen wissenschaftlichen Welsch.

Weiter von Scherer (über Faust!): ›Die Charaktere sind oberflächlich skizziert, Dialog und Motivierung sehr leicht genommen und nicht einmal der naheliegende Effekt erreicht. Drei begnadigte Sünderinnen stehen neben Gretchen, um das völlig individuelle und exzeptionelle Bild in eine typische Reihe zu rücken.‹ Hier haben wir das nur zu wohlbekannte Fölljetonistenwelsch, wie es uns in der ganzen Kunstschreiberei alltäglich entgegentritt, in Rein kultur, wie man wohl auf Gebildet sagen muß. Man macht sich bis in die Welscherkreise hinein lustig über den blühenden Blödsinn des größten Teiles der deutschen Kunstschreiberei, ohne zu erwägen, daß die meisten Kunstschreiber aus germanistischen Seminaren hervorgegangen sind; die bekanntesten, weil in den größten Zeitungen wirkenden, alle, und sie alle im ersten oder zweiten Geschlecht aus der Sprachschule Wilhelm Scherers.

Will ich etwa mit diesen Ausführungen und Proben behaupten und beweisen, daß es in Deutschland nur Deutschforscher mit verludertem Welsch gibt? Kommt mir nicht in den Sinn, würde den Tatsachen nicht entsprechen. Es gibt eine Reihe germanistischer Lehrer und Darsteller, die sich der jedem Deutschforscher obliegenden Hüterpflicht wohl bewußt sind und nach Möglichkeit über deutsche Dinge deutsch schreiben. Ich nenne, weil mir solche Ehrennamen hier aufzuführen eine Freude ist: Friedrich Kluge und Ludwig Sütterlin in Freiburg, Behaghel in Gießen, Bremer in Halle, Elster in Marburg, Maync in Bern, Trautmann in Bonn, Th. Matthias in Plauen, von der Leyen in München, Paul Pietsch in Greifswald, R. Palleske in Landeshut, Wackernell in Innsbruck. Aber es gibt ihrer gewiß noch andre. In Berlin gibt es keinen: dafür haben Scherer und seine Schule noch auf ein Menschenalter hinaus gesorgt. Ist es aber nicht Schimpf und Schande für den ganzen Stand, daß mehr als ein Drittel seiner Angehörigen über deutsche Dinge nur auf Welsch schreiben? Wäre nicht schon ein germanistischer Welscher zuviel, und müßte sich nicht gegen diesen einen Gecken die Empörung des ganzen Standes bis zur Unschädlichmachung wenden? Man vergegenwärtige sich nur die tiefe innere Unwahrhaftigkeit: ein Mann widmet sein Leben, alle seine höchsten Geisteskräfte freiwillig der Erforschung deutscher Sprache, deutscher Kunst und ihrer Vermittlung an Schüler, ist aber selbst nicht imstande, auch nicht willens, sich in deutscher Sprache auszudrücken! Noch mehr, wir haben es erleben müssen, daß bestallte Germanisten mit hohnvoller Überhebung die Männer bekämpften, die, beim völligen Versagen der meisten amtlichen Germanisten, in uneigennütziger Begeisterung deren verwaistes Amt übernommen hatten: die deutsche Sprache vor Verwelschung zu bewahren. Kommenden Geschlechtern wird diese Erscheinung noch viel unbegreiflicher sein als Friedrichs des Großen, des französisch erzogenen, Verhalten zur deutschen Dichtung seiner Zeit.

Von dem ausgezeichneten Germanisten Moritz Heyne, nicht etwa von einem › Puristen‹, geschweige von mir, rührt der Ausspruch her: ›Unsre Sprache geht, wenn sie auf dem jetzt betretenen Wege weiter wandelt, nicht nur einer Verschlechterung, sondern selbst der Zerrüttung unausbleiblich entgegen.‹ Zerrüttung ist noch zu mild, Zerstörung muß es heißen; denn eine Sprache, die mit ihren eignen Mitteln nicht mehr die wichtigsten Begriffe des Geisteslebens ausdrücken kann, ist mitten in der Zerstörung, in der Auflösung begriffen. Mögen die Männer aller andern Wissenschaften welschen, so weit sie es vor ihrem, in dieser Hinsicht allerdings dickhäutigen, deutschen Gewissen verantworten können; mögen sie unbeschämt selbst Simmels Sammelsurium nachschmieren, – ein Lehrer des Deutschen hat, schon aus Gründen des öffentlichen Anstandes, Deutsch zu schreiben, unbedingt Deutsch zu schreiben, nicht puristisch oder sonst irgend etwas auf istisch, sondern schlankweg Deutsch zu schreiben, und wer's nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund! Hier hat jede Duldung, alles Redensartenmachen und um den Kern Herumreden zu verstummen. Hier ist auch für die Höflichkeit kein Raum, sondern mit äußerster Entschiedenheit, ja mit den wirksamsten Zwangsmitteln ist zu fordern und durchzusetzen, daß eine Stelle in Deutschland bleibe, an der Deutsch gesprochen und Deutsch gelehrt wird. Mir ist nicht bange darum, daß in der amtlichen Germanistenwelt in weniger als einem Menschenalter Deutsch gesprochen und geschrieben werden wird, sobald die Herren germanistischen Welscher wissen, daß das Welschen sie ebenso ungeeignet für ihr Amt macht wie etwa das öffentliche Bekenntnis zur Glaubens- oder Regierungslosigkeit.

Die Gerechtigkeit gebietet, zweier bemerkenswerter Vorgänge in der Germanistik zu gedenken. Professor Harry Maync hat vollbracht, was ich von einem germanistischen Welscher nie erwartet hätte: er hat jüngst – ob durch meine Deutsche Stilkunst bewogen oder nicht, ist gleichgültig – sein inhaltlich lesenswertes, aber im Allerweltswelsch geschriebenes Buch über Mörike in neubearbeiteter Auflage herausgegeben und es bei dieser Gelegenheit ins Deutsche übersetzt. Im Vorwort seiner Erich Schmidt zugeeigneten deutschen Übersetzung schreibt dieser weiße Rabe unter den Germanisten: er sei jetzt ›durchdrungen von dem Gefühl, daß es Pflicht jedes Deutschen und also auch des gelehrten Schriftstellers ist, seine Sprache nach Möglichkeit zu reinigen und zu pflegen.‹ Diese Möglichkeit ist so gut wie unbegrenzt.

Der zweite Vorfall ist um des Mannes und seines Schicksals willen wahrhaft ergreifend. Erich Schmidt, der Verfasser der ›Erklärung‹ von 1889 gegen die Bestrebungen des Deutschen Sprachvereins, war durch meine Deutsche Stilkunst mit ihren 15 Abschnitten über und gegen die Fremdwörterei so erschüttert worden, daß er, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, beim Herannahen seines allzufrühen Todes jene Erklärung bereute, sich zu Freunden im Sinne meines Buches aussprach und aus einer dritten Auflage seines Sammelwerkes › Charakteristiken‹ jene früher darin prangende ›Erklärung‹, auf die er einst stolz gewesen, wegließ. Der Tod hat den hervorragenden Forscher und geschmackvollen Kenner der Sprachkunst, den nur die altgewohnte Welscherei des deutschen Wissenschaftsbetriebes verwirrt hatte, leider verhindert, seinen Lebensirrtum auch öffentlich zu bekennen.

 

Die Heimpariserei

Auf dem Gipfel des allerfeinsten Welsch, des Französischen, oder doch einer Brockensammlung dieser Zaubersprache für den deutschen Welscher, thront der Heimpariser. Mitleidig verachtungsvoll schaut er von seinem Bildungshochsitz auf den gemeinen Wald- und Wiesen-Welscher hinab, der sein Franzosendeutsch oder Deutschfranzösisch nur aus der Tertia und Umgegend, nicht aus Paris geschöpft hat. Früher nannte ich ihn den ›Gebildeten Hausknecht‹ oder ›Habakuk‹, nach der prächtigen Spottgestalt in Raimunds ›Bauer als Millionär‹, und ›Alpenkönig und Menschenfeind‹, welche beide lustige Stücke ich den Leser dringend bitte aufzuschlagen, wär's auch nur wegen der Habakukauftritte. Er war angeblich ›zwei Jahre in Paris‹ und lebt von der dorther mitgebrachten Bildung, die im Französischen oder doch in französischen Bröcklein besteht, etwa in dieser Art: ›Ich versicher Euer Gnaden, ich war zwei Jahre in Paris, aber ein Herz wie Euer Gnaden zu haben belieben, das ist wirklich nouveau.‹ Es ist die Sprache unsrer meisten Kunstschreiber geworden, seitdem eine Rückfahrkarte nach Paris und ein achttägiges Saugen an den Brüsten der Welscherhochbildung zu den bezahlbaren Opfern gehören, die der deutsche Welscher für seine Vervollkommnung im Welsch so gern bringt. Er lernt dort nicht etwa Französisch, dazu reichen nicht 8 Tage, selbst nicht 8 Wochen hin; aber das wäre ja noch schöner, wenn man alle Fremdsprachen, aus denen man seine Bröcklein fürs Welsch zusammenhamstert, wirklich beherrschen müßte. Zur Heimpariserei, ja zum verblüffenden Meisterwelschen gehört nur, irgendeinmal in Paris gewesen zu sein. In seinen niederdeutschen Scherzgedichten von 1652 hat der Rostocker Professor Johann Lauremberg diese sehr alte Sippe der Heimpariser treffend beschrieben:

Veel reisen na Paris und andere fremde Steden,
Alleen darum dat se hernamals können reden:
Ick bin in Frankrik ok gewesen dre, veer Jahr.

Es brauchen nicht drei, vier Jahr gewesen zu sein; ja der geborne Welscher braucht eigentlich gar nicht in Paris geweilt zu haben, so wenig wie Raimunds Habakuk; er braucht sich nur mühselig durch ein paar Bände von Zola, Daudet, Maupassant, Prévost hindurchgestümpert zu haben, um als perfekter Heimpariser in einem seiner Fölljetongs zu schreiben: ›Dieses Je ne sais quoi besteht in dem Chic und Charme und Pli der Pariserin.‹ Ich erfinde nicht, – etwas so Einziges, Espritvolles erfindet man nicht, sondern das bietet uns nur das Document humain der Aktualität, mir ein Berliner Fölljetong. Hat man, was nicht über Menschenkräfte geht, den Griff – in die französische Tasche – einmal weg, so gehört man zur heimparisischen Fremden legion Deutschlands und ist sozusagen ein Mensch von höherem Orden. An der Spitze steht meist irgendein Berliner Chefredakteur, der seine geknickte deutsche Sekundanerbildung in Paris ergänzt, verfeinert, vervollkommnet hat und sich nach der Heimkehr ins plumpe Deutschland ein politischer und intellektueller Roi en exil dünkt. Jeder völkischen Bestrebung, nun gar einer, die vom Welsch zum Deutsch führen will, steht er gehässig höhnend gegenüber und von der ›großen Zeit‹, die Deutschland im Weltkriege durchlebt, spricht er nur mit spöttischen Anführungszeichen.

Dieser Heimpariserei verdankt das Gewelsch ein gutes Hundert neuer Bereicherungen. Fortan wird in Deutschland noch öfter von einem Clou als von einem oder einer Klimax gefaselt, und die mildherzige Berliner Polizei hat nichts gegen die alberne Würdelosigkeit einzuwenden, daß eine große Musikbude im Herzen der Stadt sich Clou nennt, so wenig wie sie trotz den Gesetzen und Verordnungen gegen die absichtliche Verschmutzung von Straßen und Plätzen gegen einen Bierpalast Piccadilly an einem der Glanzpunkte Berlins einzuwenden gefunden. Seit der Blüte der Heimpariserei, die begreiflicherweise vornehmlich von Berlin aus ihre Düfte verbreitet, haben wir kein Schauhaus, sondern eine Morgue, weil Paris eine hat; heißt das Gesamtwerk eines Dichters oder Künstlers sein Oeuvre, weil man in Paris so sagt; wird eine unhäusliche, bei jedem öffentlichen Quark dabei sein müssende Gans mit Spatzenhirn eine Mondäne und ihr ganzes Milieu mondän genannt, weil man in Paris so spricht; wird eine neue Rolle nicht zum erstenmal gespielt, oder verlebendigt, oder verkörpert, oder nachgeschaffen, sondern kreiert, weil man in Paris so spricht; heißt ein Reifenschaden, Unfall, Bruch, Versagen, Pech eine Panne, dessen wahre Bedeutung selbst von hundert Heimparisern kaum einer kennt, aber in Frankreich heißt nun einmal jedes Pech mit einem Kraftwagen Panne, also –. Der Vortragende macht ehrerbietig dem Conférencier Platz, der Romanschreiber demütig dem Romancier. Nippsachen, die doch französischen Ursprunges sind, werden zu Bibelots, weil sich der Sprachgebrauch in Frankreich geändert hat. Die Zigeunerei der lockeren jungen deutschen Künstlerschaft muß plötzlich Bohême heißen, weil sich die lockere Pariser Künstlerschaft so nennt, obgleich Murger in seinem bekannten Buch über die Bohême ausdrücklich erklärt, eine Bohême könne es nur in Paris geben. Ist dem Heimpariser ganz gleichgültig, denn wie leicht könnte man vergessen, daß er in Paris gewesen, wo die einfachsten Dinge, verklärt vom Zauberglanz des Französischen, das in Paris schon die kleinen Kinder fließend sprechen, so etwas wie einen Heiligenschein bekommen. Wirksame Farben heißen in den Bilderbeschreibungen des Heimparisers Valeurs, denn so heißen sie in den Ateliers der Pariser Künstler. Veränderungen unter den Beamten einer Regierung, auch in einer deutschen, heißen Revirement, wobei es dem Heimpariser pur sang und copurchic, dem Neutomischler Boulevardier, nicht das geringste ausmacht, daß dergleichen nur in heimparisischen deutschen Zeitungen, nicht aber in französischen Revirement heißt, sondern anders. Aber dieses andre dünkt den Heimpariser zu gewöhnlich, zu sehr vieux jeu im Vergleich mit dem sehr falschen, aber sehr französisch klingenden Revirement.

 

Das Berlinfranzösisch

Denn – die Hauptsache ist, daß gewelscht werde; ob richtig oder falsch, ist Nebensache, auf Welsch: Cura posterior oder Quantité négligeable. Die gute Hälfte alles in Deutschland, besonders in Berlin üblichen Französisch ist eine in Deutschland, wiederum besonders in Berlin, verfertigte Mundart des Französischen, über die sich die republikanischen Franzosen königlich belustigen. Ich nenne diese Mundart Berlinfranzösisch, wenngleich nicht jedes Wort aus Berlin stammt. Die ›janze Richtung‹ aber ist berlinisch, denn den Berlinern vor allen andern Deutschen erschien von jeher das Französische, oder wie Französisch Klingende, unübertrefflich vornehm. Ein Wörterbuch des Berlinfranzösischen würde bei leidlicher Vollständigkeit einige Bogen dieses Büchleins füllen, und die sind mir für solchen Welscherunsinn zu kostbar. Berlinfranzösisch ist der Portier samt dem Souterrain, dem Parterre und der Belletage; Berlinfranzösisch der Privatier, der Restaurateur samt seinen Delikatessen. Nur in Deutschland rasiert ein Friseur; nur in Deutschland gibt es ein Séparé, ein Chantant mit Chansonetten und ein Variété. Nur in deutschen Theatern gibt es eine Garderobe, die in dem Lande, wo wirkliches Französisch gesprochen wird, Abtritt bedeutet. Wie entzückend klingt z. B. einem französischen Besucher diese deutsche Theaterunterhaltung: Wohin so schnell, mein Fräulein? – Ich muß noch einmal in die Garderobe gehen.

Berlinfranzösisch sind die Emallje und Tallje, der Perron und das Coupé, die Debatte und das Debattieren, die Ménage für Salz und Pfeffer, die Poussade und die Rétirade. Nur in Deutschland gibt es Brief couverts, Lorgnetten, Galanteriewaren, Rouleaux, die Pikanterie, die Kulanz, das Blamieren, die Blamage und die Kontrahage. Nur in Deutschland gibt man sich ein Air oder verliert die Balance; nur in Deutschland kondoliert und porträtiert man, nur dort alteriert man jemand, den man in Zorn versetzt. Es gibt im Französischen kein Portépée und keine Parade, so wenig wie eine Charge, eine Gage und eine Serviszulage.

Die Gardine samt den Lambrequins sind › garantiert echte Imitation‹ aus Berlin. In Frankreich kann man sich beim besten Willen nicht mit einem Plumeau zudecken, denn dieses bedeutet im französischen Französisch Flederwisch. Ja selbst das Lavoir, für dessen ewiges Fortbestehen jüngst Herr Hugo von Hofmannsthal, einer der Hochmeister des Welsch um jeden Preis, eine ›warme Lanze eingelegt‹, mag österreichisches Französisch sein, die Franzosen kennen es nicht. An der Mosel heißt es lustig: Waschlawarche.

Aber trotz solchen kleinen Verstößen gegen das im allgemeinen tadellose Heimparisisch werden die Herren Franzosen sich gewiß sehr geschmeichelt fühlen, daß die Deutschen sie mit solcher Beflissenheit, nein Gier, nachäffen. Seltsam, seltsam, das Gegenteil ist der Fall. Der Franzose ist ein viel zu feiner Sprachkünstler, als daß ihm das Verhalten unsrer Welscher etwas andres einflöße als Ekel und Verachtung. Wirkte der Hohn der Feinde auf den französelnden Deutschverderber, so stände zu hoffen, daß namentlich die ihm verabreichten Ohrfeigen seiner vielgeliebten Franzosen ihn zur Besinnung brächten; aber an dem dicken Fell eines welschenden Heimparisers prallt jede Züchtigung wirkungslos ab. Er ahnt gar nicht, wie viel von der geifernden Verachtung unsrer Feinde gegen die deutsche Bildung, deren ausschließlich welschende Bezeichnung ›Kultur‹ ihnen die willkommne Zielscheibe giftiger Spottpfeile ist, sein Werk, des Welschers Werk ist. Allerdings unterschlagen dem deutschen Volke fast alle seine Zeitungen aus einleuchtenden Gründen den Hohn der Feinde über die welschende Knechtschaffenheit unsrer Heimpariser. Wer aber wie ich von berufswegen regelmäßig feindliche Zeitungen, besonders französische, im Weltkriege zu lesen gezwungen ist, dem läuft die Galle über, wenn er als Volksgenosse der deutschen Welscher sich mitanspritzen lassen muß aus den Unflatkübeln des Hohnes der Fremden, des nicht unverdienten Hohnes. Einige der französischen Urteile über die deutsche Welscherei habe ich schon angeführt; ich ergänze sie mit erklärlicher Entrüstung. Aus der bedeutendsten wissenschaftlichen Wochenschrift vor dem Kriege: ›Dieser halbfranzösische Stil, der heute für Deutsch gilt.‹ – Aus der Feder des verstorbenen Sarcey, der anknüpfte an die Sprachschöpfung › bravourös‹ in einer heimparisischen Zeitung Berlins: ›Frankreich kann es durchaus nicht als eine stillschweigende Ehrenerklärung für seine Sprache betrachten, wenn ein Volk, dessen Sprachreichtum so bedeutend ist wie der deutsche, die französische Sprache so mörderisch entstellt, wie dies in Deutschland durch die Nachäffung französischer Ausdrücke geschieht‹.

Dies war der Ton der Franzosen vor dem Kriege; heute klingt er weniger zurückhaltend, aber selbst in den gehässigsten Ausbrüchen nicht unverdient. Die Franzosen haben seit 1870 Deutsch gelernt; sie lesen ja unsre Zeitungen, unsre Reichstagsreden, unsre hochbegeisterten Bücher über die deutsche Psyche, über die Synthese nach den Antithesen als Lohn des Krieges, über den tantifizierenden Sportismus und Komfortismus bei Sombart, dem Wortführer deutschen Heldentums. Sie lesen von diesem Vernichter Englands und englischen Geistes Sätze wie: ›Ihre (der Engländer) Ethik ist durchgängig utilitarisch orientiert, also notwendig soziologisch fundamentiert‹. Sie lesen, soweit das menschenmöglich ist, die in Welsch geschriebenen Bücher des deutschen Professors Simmel, und ihnen wird übel dabei. Sie lesen bei einem deutschen Lieblingsschriftsteller: ›Dann blieben wir daheim au coin du feu, nachdem wir noch ein leidliches Diner à la fortune du pot eingenommen hatten‹, und ihnen drehen sich die Eingeweide um. Sie lesen bei einem unsrer berühmtesten Romandichter: ›Er ridikülisierte sie, worauf sie ihre bekannte hautaine Miene annahm‹, und finden dies ekelhaft. Und nun legen sie los! Das Lügenlumpenblatt Matin bringt einen großen Aufsatz: › Le Boche tel qu'on le parle‹, also ›Das wirklich gesprochene Bosch‹ (oder Schweinedeutsch), worin die Roheit und Gemeinheit des deutschen Welsch mit Beispielen belegt wird, die wir alle alle kennen, bei denen sich aber kaum ein Deutscher, sicher kein Welscher, das geringste denkt. Die Beispiele könnten wirken, wenn bei der Übermacht der Welscher irgend etwas wirkte. Für das Roheste hält der Schreiber im Matin eine Welschwendung, die bei uns für besonders vornehm gilt, wenigstens wird sie nur von den Gebildetsten, also von der Elite, der Crème deutscher Bildung gebraucht: Menschen material!

Und möcht' ich ihn zusammenschmeißen,
Könnt' ich ihn doch nicht Lügner heißen!

In der Tat, wie roh ist das Gerede vom Menschen material! Und doch sind außergewöhnlichste, vielmehr allerfeinste, Bildungssprache in Deutschland: Offizier material statt Offiziere, Richter material statt Richter, ›dieser Stadtteil liefert nicht mehr genügendes Material (Schüler!) für die Oberrealschule‹ (mit eignen Ohren aus dem Munde eines klassischgebildeten Schulrats vernommen). Natürlich schließt der Matin aus solcher Sprachroheit, daß der deutsche Mensch aller Gattungen nur Rohstoff in den Händen einer Gewaltherrschaft sei, die alles höhere Menschentum zertrete.

Im Echo de Paris die erfundene, aber überaus lebensecht klingende Geschichte von einem kriegsgefangenen deutschen Privatdozenten, den der gallische Höhner albernes Zeug in den verrücktesten, aber sehr vornehm klingenden Fremdwörtern rasaunen läßt: ›deutsche Konzeptualisation, Agglutinationen der Psyche‹ und ähnlichen Blödsinn.

Abermals im Matin: ›Die Deutschen sind mächtig genug, uns den Krieg zu erklären und ihn zu führen; sie sind nicht mächtig genug, sich des Französischsprechens zu enthalten, wenn sie sich verständlich ausdrücken wollen. Wenn die Deutschen von Wissenschaft und Kunst sprechen wollen, müssen sie sich bettelnd an die Franzosen wenden‹. Dies stimmt nicht ganz, denn mit dem Französischen allein, selbst mit Zuhilfenahme des Berlinfranzösischen, kommt der schreibende Welscher bei weitem nicht aus; für den unermeßlichen Reichtum seines Geistes, für das farbige Feuerwerk, die Kalospinthechromokrene seiner Nüankßen muß das ganze Latein, samt Mönchs- und Küchenlatein, dazu mehr als die Hälfte aller griechischen Wurzeln heran. Doch auch das Englische ist ihm unentbehrlich geworden, und in Notfällen verschmäht er nicht verquatschtes Italienisch und nur ihm spanisch vorkommendes Spanisch. – Im Gaulois: ›Mag das Deutsche immerhin mehr Wörter besitzen als das Französische, so ist sein Reichtum nur bettelhaft, da es bei der ärmeren Sprache Anleihen macht.‹ Es nicht, sondern Er, nämlich der Welscher, der Verächter der deutschen Sprache. Das ist nicht ganz dasselbe.

Wir wollen nicht lange darüber streiten, ob es einem Deutschen im Kriege oder im Frieden besonders wohlansteht, die Franzosen aufdringlich zu lieben und den Engländern äffend nachzulaufen. Dessen aber kann jeder Deutsche sicher sein: der gebildete Franzose hält jeden französelnden Deutschen für einen lächerlichen Boche, und der Engländer jeden britenden für einen damned German fool.

 

Die deutsche Engländerei

Ein echter deutscher Mann, zum Beispiel oder insonderheit der an unsrer Waterkant, steht morgens auf mit dem frommen Wunsche: Gott straf' England! und legt sich mit selbigem Wunsche beruhigt zu Bett; wenn aber der Hamburger z. B. sein großes Sommerrennen veranstaltet, so nennt er es mit überwältigender Drolligkeit Deutsches Derby. Hier haben wir – in a nutshell (in einer Nußschale) sagt der britende Welscher – den bis zum Kriege und selbst während des Krieges herrschenden Zustand. Die deutsche Engländerei hat in den letzten 25 Jahren einen Umfang erreicht, der dem Unwesen der Französelei den Rang abzulaufen beginnt. Im Anfang dieser neuen sprachlichen Schlammflut freute ich mich verstohlen darüber, weil ich hoffte, der englische Beelzebub könne vielleicht den französischen Urian austreiben helfen. Unverzeihlicher Irrtum eines Kenners der Welscherseele, für den ich mich gehalten hatte. Es ist mit der Engländerei in Welschdeutschland genau so zugegangen wie mit allen neuen Bereicherungen des Welsch: gierig wird jede neue Flut fremden Sprachspülichts aufgefangen und in das Geäder des deutschen Sprachleibes ergossen; aber nichts von dem alten Schmutz wird darum aufgegeben. Auch andre Völker lernen fremde Sprachen, ohne dadurch Schaden zu nehmen an der Seele der Muttersprache. Einzig für Deutschland wird die Beschäftigung mit jeder neuen Fremdsprache zu einem neuen Verhängnis. Ich zweifle nicht, daß durch eine nähere Bekanntschaft mit dem jetzt in Mode kommenden Türkisch das Deutsche im nächsten Menschenalter auch die Vertürkung über sich ergehen lassen muß. Alles in allem bevorzugt der deutsche Welscher das Küchenlateinische und Apothekergriechische. Zumal für den humanistisch und akademisch gebildeten Welscher sind die beiden klassischen Sprachen noch in ihrer äußersten Verschandelung von einem Zauberhauch höherer Weihe umwittert und gelten selbst für vornehmer als die sehr vornehme Französelei. Der strenge Wissenschafter alter Schule französelt verhältnismäßig wenig; er überläßt dies der neuen Abart des deutschen Gelehrten, wie sie namentlich in Berlin gedeiht dem ›Dandyprofessor‹, der ebensowohl mit der Teichoskopie wie dem Coin de la nature, dem Milieu, der Note personelle um sich wirft. Das Englische ist doch mehr das Kennzeichen des weltmännischen Welschers, des Kaufmanns, des Sportfexen, des Weltbummlers, der sich denn auch gern Globetrotter nennen hört. Und so tief wie die humanistelnde und französelnde Welscherei ist die engländernde noch nicht in die Schriftsprache eingedrungen; sie hält sich, wenigstens bis jetzt, mehr in den Grenzen der Umgangs- und der Zeitungssprache, ist allerdings in die Rede des Deutschen Reichstags schon fast ebenso fest hineingefilzt wie die Französelei. Wer sich von der verblüffenden Ausbreitung der Engländerei gründlich überzeugen will, der lese die vortreffliche Schrift von Hermann Dunger: ›Engländerei in der deutschen Sprache‹; sie erspart mir die Ausführlichkeit, die den Rahmen meines Büchleins sprengen würde. Wiederum ist festzustellen, daß es kaum noch ein Gebiet des Alltags oder des höheren Geisteslebens gibt ohne englisches Welsch. Allenfalls läßt sich sagen, daß die reinen Geisteswissenschaften noch nicht so verbritelt sind wie verfranzöselt, verlateinert und vergriechelt; indessen das deutsche Welsch hat unbegrenzte Möglichkeiten weiterer Ausbildung.

Im Anfang des 19. Jahrhunderts wurde festgestellt, daß nur etwa 12 englische Fremdwörter ins Deutsche eingedrungen waren, wovon solche Lehnwörter wie Dogge, Frack, Mops, Park, Quäker eigentlich nicht mitzählen. Für das Jahr 1880 stellte Dunger gegen 150 Engländereien im Deutschen fest, sicher zu wenig. Zurzeit beläuft sich der Anteil des Englischen am deutschen Welsch auf allermindestens 1000; und wer da gutmütig glauben sollte, der Krieg werde hieran das geringste ändern, der kennt die tiefen und dunkeln Winkel in der Psyche des deutschen Welschers nicht. Nicht einmal der Gentleman und seine erprobte fairness werden durch die Erinnerung an die Mörder auf dem Baralong und die schurkischen Feiglinge auf dem König Stephan in Zukunft verdrängt werden. So wenig wie eine deutsche Zeitung inmitten des Weltkrieges ohne das Derby mit seinen Meeting, Handicap, Start, Record, Odds, Pace, Turf, Box, Trainer, Favorit, Outsider, Pedigree, Canter, Spurt, Pull, Finish, Walkover über deutsche Rennen berichten kann; so wenig wie das Tennis in Deutschland ohne englische Zahlwörter und den gesamten übrigen englischen Sprachzauber gespielt werden kann, also nur mit Play, advantage, out, fault, game, set, love – wozu natürlich die Kenntnis des Englischen selbst unnötig ist –, so wenig wird auch die scheue Bewunderung vor dem fairen gentlemanliken Gentleman aussterben. Sie wird dauern bis ans Ende der Tage, jedenfalls bis ans Ende der deutschen Sprache und – darüber hinaus. ›Kaiser Wilhelm hat sein Bedauern ausgesprochen. Das war gentlemanlike, und diese faire Erledigung bringt die Person des Kaisers aus dem Spiel‹ (aus einer Berliner Mittagszeitung).

Was ist nicht schon für Tinte verschrieben worden über die Engländerei für deutsche Schiffe! Mit Begeisterung, mit Wonne plantschen alle deutsche Zeitungen und ihre gesamte deutsche Leserschaft in der ewigen englischen Weiblichkeit für männliche und sächliche deutsche Schiffsnamen. Die Emden, die Deutschland, die Vaterland, unbedingt nur so, denn – der Engländer spricht von jedem Schiff mit she. Ich, und der Leser zweifellos ebenfalls, habe auch schon gelesen: die Bismarck, die Moltke, die Kaiser, die Gneisenau. Man hat aus einem gewissen Schamgefühl spitzfindige Entschuldigungen dieser Engländerei versucht, hat von ›altem deutschem Seemannsbrauch‹ geredet, während geschichtlich feststeht, daß einzig die Englandäfferei uns die Sinnlosigkeit bescheert hat, gepanzerte Berserker wie den Emden, den Göben in sanfte Ehrenjungfräulein umzuzärteln. Vielleicht beweisen die Welscher demnächst, daß auch die deutschen Zahlwörter im Tennis sich nicht ganz mit den englischen ›decken‹. Bild und Witz im Simplizissimus mit der Überschrift: ›Deutscher Sport‹ und der Unterschrift: ›Zählen Sie doch nicht deutsch, Sie blamieren ja unsern ganzen Club!‹ können nicht für besonders witzig gelten, denn sie sind mehr: witzlose Wirklichkeit.

Die Seelenverfassung des britenden Welschers ist die gleiche wie bei allen andern Gattungen der Welschersippe: das englische Wort ist unter allen Umständen vornehmer, verleiht seinem Aussprecher oder Schreiber eine höhere Weihe, als das edelste, kernigste, farbigste Deutsch. Mob ist vornehmer als Pöbel, der Rowdy feiner als der Lümmel, nun gar der Hooligan gradezu ein erhabenes Wesen gegenüber dem Strolch oder Messerstecher. Selbst der ärmste Teufel bekommt einen andern Anstrich, einen volkswirtschaftlich wissenschaftlichen, sobald man ihn Pauper nennt. Wer etwas auf sich hält, oder wer gar einmal den Fuß auf britische Erde gesetzt, spricht nicht mehr von Versammlungen, sondern von Meetings, nennt die Selbstverwaltung nur noch Selfgovernment, ein Gesetz wird zur Bill, der englische Unterhauspräsident heißt grundsätzlich in Deutschland nur Speaker, Ausschüsse sind Committees, und jede Schreibstube wird zum Office. Wer nichts ist, nichts hat, nichts heißt, ist immerhin noch ein Nobody, und der letzte Angestellte besitzt die höhere Würde eines Clerk. Bringt er's aus eigner Kraft zu etwas Bedeutendem, so legt ihm der Welscher den hohen Rang eines Selfmademan bei. Unterredung, Begegnung, Besprechung, Ausfragung, Fragbesuch – nichts von dieser deutschen Dutzendware ›deckt‹ sich mit einem Interview, und der Held eines solchen Abenteuers ist je nachdem ein Pennyaliner, Reporter oder Interviewer. Harmlosen deutschen Lesern, die keine Ahnung von den Geheimnissen englischer Rechtschreibung haben, wird als eine Selbstverständlichkeit zugemutet, daß sie dergleichen peinlich genau aussprechen. Ein ungelehrter Deutscher, der den in jeder Zeitung prangenden Interviewer harmlos ausspricht: Interfiewer, wie ich das von gescheiten Arbeitern mehr als einmal gehört, wird von dem Manne mit der Büldung hochüberlegen ausgelacht.

Sport ist ein urdeutsches, schon bei Ulfilas vorkommendes Wort, das in Deutschland versunken, im Englischen gerettet und zu uns mit dem Wert eines Lehnwortes herübergetragen wurde. Daß nun aber mit ihm ein ganzes Wörterbuch des Sports über uns ausgeschüttet worden, verdanken wir dem Englisch welschenden Fex und dem Schmock. Vor einiger Zeit hielt einer unsrer verhältnismäßig sanft welschenden Wissenschafter in einer kraftvoll völkisch gesinnten Zeitung einen jener sattsam bekannten Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-ihn-nicht-naß-Vorträge gegen die bösen, bösen Fremdwörter – der Andern, kämpfte jedoch, gleichfalls nach sattsam bekannter Art, für den unentbehrlichen, unersetzlichen Snob . Als ich ihm den längst vorhandenen, unvergleichlich treffenderen, allerdings nur deutschen Schmock zum Ersatz darbot, lautete die bis zum Überdruß bekannte Antwort: Der ›deckt‹ sich nicht; und natürlich in jedem Falle, in dem sich etwas Deutsches mit etwas Fremdem ›nicht deckt‹, hat das Deutsche sich zu ducken vor dem fremden Herrenwort. Der Snob ist nach Thackerays feiner Erklärung ein Mensch, ›der gemeine Dinge gemein bewundert‹, und eben dies tut auf Deutsch der Schmock. Obendrein ist Schmock in Deutschland durch eine deutsche Dichtung ebenso berühmt, wie Snob in England durch ein englisches Buch. Tut nichts, das deutsche Wort wird verpönt und soll dem englischen weichen.

Wie stolz war der engländernde deutsche Schmock, der Gent, zwei Jahrzehnte hindurch auf seinen Smoking, bis endlich die Kunde über das nasse Dreieck zu unsrer engländernden Schmockwelt drang, daß kein Mensch in England einen Gesellschaftsrock Smoking nennt. Aus war's mit Smokings Herrlichkeit, und Schmock wäre untröstlich, in a fix, krank gewesen, wenn ihm nicht der Cutaway zu Hilfe gekommen wäre. Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank! Natürlich muß der Cutaway real English fashion und tip top sein.

Schreibt eine deutsche Zeitung vom Sturm auf eine Bank, so sagt sie unfehlbar: Run. 99 Leser von 100 verstehen das nicht; aber um wieviel höher steht grade darum der Schreiber!

Hemdhose? Shocking sagt die deutsche Miss und schlüpft schamvoll in ihre Combinations. – Gemeine deutsche Schrauben an einem vornehmen Luftschiff? Bei dem, der so ›zweitklassig‹ spräche, würde man eher eine Schraube los vermuten. Propellers sagt der engländernde Welscher; Propellers sagt Herr Gerhart Hauptmann sogar von dem › Steamer‹, auf dem er fährt, obgleich dieser Steamer ein deutscher Dampfer ist, und obgleich die Dampferschraube im wirklichen Englisch nicht Propeller heißt. Und da ich bei Herrn Gerhart Hauptmann halte, so sei berichtet, wie sich dieser ›größte deutsche Dichter‹ sprachlich zu England und zum Welsch verhält. Ob er überhaupt Englisch kann und wieviel, weiß ich nicht, geht auch niemand etwas an. Hingegen darf in keiner Naturgeschichte des Welschers der Anteil dieses deutschen Dichters an der Engländerei fehlen. In seinem Roman Atlantis heißt also der deutsche Dampfer Steamer, wird das Lesezimmer des deutschen Dampfers in allen Fällen zum Reading-room, gibt es einen › First call for dinner‹, und ähnliche Beweise – nicht für des Dichters Kenntnis des Englischen, denn die ist dazu nicht vonnöten, aber für seine Überzeugung, daß ein deutscher Dichter bei einer so vornehmen Gelegenheit, wie einer Fahrt nach Amerika, selbst auf einem deutschen Dampfer engländern muß. Er kann nicht anders, er muß; denn wie sollten wir uns sein sprachliches Verhalten anders erklären als durch eine kosmische Notwendigkeit? Kosmisch nennt dieser deutsche Dichter nämlich den Sonnenuntergang, und auf dem deutschen Dampfer läßt er einen Begrüßungsmarsch konzertieren, zum Mittagsmahl auf dem deutschen Dampfer werden bei ihm nicht 5 Stücke, sondern 5 Piècen gespielt, wie dieses deutschen Dichters feinstes Französisch lautet, während die dummen Franzosen Morceaux sagen. Mir ist es stets als eines der unerklärlichsten Seelenrätsel erschienen, wie ein Mensch, der auf wahre Bildung Anspruch macht, ohne fremde Sprachen zu wissen – was keineswegs unvereinbar ist –, in allen von ihm nicht gewußten Sprachen munter umherplätschern kann. Die deutsche Welscherei aber birgt mehr Rätsel, als unsre Weltweisheit sich träumen läßt. Was für ein Wurmzeug, für eine Made, mag wohl eine Tailormade sein? Der Wurm wird, wie immer im Englischen, ganz anders gesprochen als geschrieben und bedeutet etwas unaussprechlich Vornehmes: Schneiderkleid.

Man berichtet uns von Doppelsprachigkeit auf einigen Südseeinseln, nicht etwa mit einer eingebornen saubern Sprache und einer fremden Brockensprache wie in Deutschland, sondern mit einem vornehmen Wörterschatz für die Männer, einem niedrigen für die Frauen. Fast dasselbe Verhältnis besteht in Deutschland für nicht unwichtige Lebensgebiete. Der vornehme deutsche Gasthof gründet seine Vornehmheit weit weniger auf seine in der ganzen Welt anerkannte, gerühmte Güte, als darauf, daß in ihm die deutsche Sprache das Aschenbrödel ist. Mit dem Namen fängt es an, mit dem Hammelkohl hört es noch lange nicht auf. Gibt es einen einzigen Manager eines first class Grand Hôtel Palace, Esplanade, Bristol, Savoy, Carlton, Westminster, der nicht lieber dem ganzen Concern den Rücken kehrte, als Hammelkohl für Irish stew zu schreiben? Irish stew ist Hammelkohl, Irish stew heißt nichts weiter als irisches Gestovtes oder Gedünstetes; aber Hammelkohl, der beiläufig meist besser schmeckt als Irish stew, ist gemein; Irish stew, bestehend aus Kohl und Hammel und Kümmel, ist selbst für ein deutsches Grand Hôtel Carlton vornehm genug. Ihr Völkerseelenforscher, geht nicht vorüber an diesen wertvollen Offenbarungen der sonst so sensitiv scheuen deutschen Psyche! Vertieft euch, so sehr ihr nur könnt, in die Abgründe, die euch solch einzelnes, scheinbar unbedeutendes Document als Matter of fact erschließt.

Und welche Welten tun sich auf bei Mock turtle für Kalbskopf, Real turtle für Schildkröte, Ham and eggs, selbst in der ›Rechtschreibung‹ Hemetex, für Schinken und Eier, Quaker oats für Haferflocken! Schon der Common sense, dieser unendlich verfeinerte gesunde Menschenverstand, sagt doch jedem, daß er es hier mit einer ›echten Importe‹ zu tun hat; wie es an Moral insanity grenzen würde, in Deutschland nicht mehr von Cakes zu sprechen, mögen diese auch in England gar nicht Cakes, sondern Biscuits heißen. Oh und der Grillroom! Oh die unübersetzbaren Sandwiches, mit denen sich kein noch so feinbedecktes Fleischbrötchen zu ›decken‹ erkühnen darf! Nun gar der Toast, dem einige lächerliche Puristen das gemeine Röstbrot an die Seite zu stellen gewagt haben! Kann man ebenso vornehm ›zu Hause‹ sein und Besuch empfangen wie beim At home? Und kann jemals der Tee um 5 Uhr oder einfach am Nachmittag so delicious und exquisite schmecken wie um five (sprich welschgetreu: feif!) o'clock? Bis in welche Höhen hebt uns ein Liftboy im Vergleich mit einem niedrigen Fahrstift! Und über was für Gelder verfügt der Mieter eines Safe gegenüber dem eines Schließfaches, zumal wenn er Consols und Shares darin birgt, statt der elenden Staatsanleihen und Anteile!

Deutsche Maschinenbauer rechnen wie alle Welt nach Pferdekräften; aber sie kürzen sie nicht P. K., sondern HP., was jedoch nicht etwa Hundedemutspack oder Hirnpech bedeuten soll, sondern Horsepower, obwohl auch dieses nur Pferdekraft heißt, aber den Schreiber zu einem Vorkämpfer des expansivsten Kosmopolitismus macht.

Soll ich noch an die entzückenden Messenger boys in Berlin mit ihren echtenglischen Affenkappen erinnern? Der Leser wird diesen vorübergehend verschwundenen Vertretern des deutschen Merry old England in Berlin alsbald nach dem Kriege wieder begegnen.

Endlich noch eine scheinbare Kleinigkeit, die aber ›Bände spricht‹. Ein deutscher Seeheld Mücke erobert ein englisches Schiff und gewinnt in kühner Fahrt eine befreundete Küste. Seine Beute heißt nach englischer Rechtschreibung Ayesha, weil die Engländer den Jot-Laut nicht anders als durch y, das sch durch sh bezeichnen. Die gesamte deutsche Presse fühlt sich in ihrem Gewissen verpflichtet, dieses deutschgewordene Schiff Ajescha nach wie vor mit der weltbeherrschenden englischen Rechtschreibung zu schmücken, und setzen voraus – ach und mit wieviel Recht! –, daß ihre Leser sich willig unter Englands Schriftgesetze beugen werden. Aus den gleichen seelischen Gründen, der scheuen Ehrfurcht vor der Gebieterin der Meere, schreibt fast jeder Deutsche das gutdeutsche Wort Jacht: Yacht, denn das y ist der gebildetste Auslandsbuchstabe, mithin wesentlich vornehmer als gemeines deutsches j. Und um Himmels willen nicht ungebildet: Himalaja, denn die Engländer müssen Himalaya schreiben, also wir gehorsam hinterher, gegen unsre Lautgesetze. Aber nicht wahr, Gott straf' England! –?

 

Ludersprachen

Die Machtstellung der Welscher – sie sitzen ja in allen beherrschenden Ämtern: der Behörden, der Wissenschaften, der Presse – und die lammsgeduldige Sanftmut Derer, die fordern, ach nein nur wünschen, ach nein nur bitten, daß in Deutschland die deutsche Sprache, nicht das Welsch herrsche, zu denen z. B. der Deutsche Sprachverein gehört –, diese beiden in Wechselwirkung haben bisher verhindert, daß in das Welsch sprachwissenschaftlich hineingeleuchtet werde. Solange man von beiden Seiten in der Täuschung – bei den Welschern in der absichtlichen des schlechten Gewissens, bei den Deutschschreibern in der gutmütig gewährenlassenden befangen war, Welsch sei Deutsch mit einem größeren oder geringeren Einschlag von Fremdwörtern; solange man überhaupt nur von ›Fremdwörterei‹ sprach, nicht von der absonderlichen Kunstsprache Welsch, war eine wissenschaftliche Erforschung ihres wahren Sprachwesens unmöglich. Das Welsch gehört zu einer ziemlich großen Sprachfamilie, deren gemeinsamer Name Ludersprachen ist. Sie sind durch ein lockeres Band der Verwandtschaft verknüpft: dieses Band ist zumeist die deutsche Sprache; aber mit welchen wundersamen Verzweigungen! Die zu dieser Familie gehörenden Einzelsprachen sind: Zigeunerisch, Jiddisch, Gaunerrotwelsch, Pennsylvanisch, oder Deutsch-Amerikanisch, Welsch. Das niederhochdeutsche Missingsch darf als eine Nebenranke, das Pidgin( Business) -Englisch in Ostasien als reizvolles Seitenstück auf einer andern Grundlage als dem Deutschen gelten.

Die armen Zigeuner haben auf ihren Weltwanderungen aus den Sprachen aller ihrer Wirtsvölker aufgegabelt, was ihnen bequem anflog; aber fürwahr nicht aus Gelehrtendünkel, noch um einer bereichernden Nüankße willen, haben sie in Ungarn, Deutschland, England, Spanien einige Hundert fremde Bestandteile aufgenommen. Zigeunerisch ist eine Sprache bewegtesten Wanderlebens, nicht eine aus Eitelkeit und Ungeschmack zusammengerührte Kunstersatzsprache wie das Welsch.

Das Jiddisch oder russisch-polnische Judendeutsch ist gleichfalls eine Lebenssprache: Deutsch mit einem zahlenmäßig meist stark überschätzten Zusatz von Hebräisch und sehr wenig Polnisch und Russisch. Jeder wirkliche Kenner dieser Sprache eines Millionenvolkes weiß, daß das Jiddisch bei weitem deutscher ist als das Welsch solcher Meister dieser Sprache, wie aus älteren Zeiten des Fürsten Pückler und der Gräfin Ida Hahn-Hahn, aus der Gegenwart Karl Lamprechts, Richard Meyers, Poppenbergs, Sombarts, Simmels. Man zeige mir die Besprechung einer › Prèmiere‹ in einer großstädtischen deutschen Zeitung, nun gar in einem Berliner oder Wiener Weltblatt, mit so wenig Fremdbrocken, wie diese im Warschauer Tagblatt vom Juni 1916:

Das klassische Werk ›Nathan der Weise‹ ün ihr Hauptheld Nathan hobben auf die Bretter vün deitschen Theater gefünnen an nemunes (wahrhaft) kinstlerische Verkerperung ( Personifizierung, Inkarnation). Siegmund Lautenburg hat mit san Art ( Genre, Individualität) Spielen, Denken ün Iberlegen beschaffen den scheinen kligsten Jid in ganz Jeruscholajim (Jerusalem), bei welchem jede klennste Bewegung ( Geste) schmeckt (gefällt), mit Überlebung (Belebung), Ausgehaltenheit (?) und Jischuw Hadaaß (Erfassen des Dinges; stilgerecht, auf Welsch: Realismus). Und so ist gewesen wirklich a geistiges Vergniegen, zu sitzen im Theater ün zü sehen den Jiden fün Mendelssohn Zaten, welcher red't sich obenauf, ün ist bekauach (imstande, auf Welsch: kapabel), zü bezaubern ( faszinieren) mit seinem klaren Denken den eisernen Tempelherrn der Christen ün den frümmen Sultan der Muselmänner. An' herrlech ( grandioses) Bild is gewe'en die Szene, wen Nathan derzeihlt ( rezitiert) dem Sultan san Muschel (Beispiel, auf Welsch: Parabel, Legende, Allegorie) mit'n König ün sane 3 Sihn.

Der mit der welschenden Kunstschreiberei vertraute Leser übersetze sich dies ins vornehme Zeitungswelsch, in die echtdeutsche ästhetische Rezensentensprache eines Intellektuellen!

Das Gaunerrotwelsch ist Deutsch, durchsetzt mit verludertem Hebräisch; aber keinem Gauner ist es je eingefallen, diese Sprache für etwas andres zu halten als für ein nützliches Täuschungswerkzeug. Das Rotwelsch soll nicht höhere Bildung, verborgene Geistesschätze, duftige Nüankßen vortäuschen, wie das deutsche Bildungswelsch; sondern es soll nur von den Eingeweihten verstanden werden, nicht die saubre Sprache der ehrlichen Leute verschmutzen, – kurz, es ist, welsch gesprochen, ein ganz intimes, ganz esoterisches, ganz exklusives Adeptenidiom, wohingegen das Bildungswelsch leider nicht innerhalb der Zunft bleibt, sondern die ganze saubre Sprachwelt überschlämmt. Im Mischungsverhältnis seiner zwei Bestandteile kommt das Rotwelsch dem Bildungswelsch sehr nahe, bleibt jedoch in der Unreinheit hinter den Meisterleistungen unsrer gelehrtesten Welscher zurück.

Pennsylvanisch ist die lebendige Umgangssprache der armen nach Amerika versprengten, wenig oder gar nicht gebildeten Deutschen, die, gelöst vom Mutterboden der Heimatsprache, als Splitter inmitten eines anderssprachigen großen Volkes eine ansehnliche Zahl englischer Wörter aufgenommen und mit einer gewissen gewalttätigen Rücksichtslosigkeit eingedeutscht haben. Ich entnehme einer mir zugehenden Saintlouiser Zeitung ein paar höchstgebildete Beispiele dieses Deutsch-Amerikanisch: ›Während Lucille, Worth, Georgette und Arnold ihre unbedingte Sanktion dem Hoop und verschiedenen graziösen Evolutionen des ›Bustle‹ gegeben haben, wollen andere nichts mit diesen zu tun haben und halten sich an die einfacheren Linien. Aber ein gemeinsames Ziel aller ist die enge, fast gepreßte, Taille, entweder in normaler Höhe oder ein klein wenig höher, und das umfangreiche Skirt. – – Für Beleuchtung irgendeines Zimmers, das gedämpftes Licht erfordert, ist diese Lampe vollkommen. Paß an irgendeinen Socket. Badezimmer, Halle, Kinderzimmer, Pantry und Schlafzimmer, sie alle sollten eins besitzen.‹

Ein zum Ulk besonders zusammengeklaubtes Beispielsätzchen lautet: ›Die Kau ( cow: Kuh) is iwwer de Fenz ( fence: Zaun) gedschumbt ( jump: springen) un hot de Wiet ( wheat: Weizen) gedämädscht‹ ( damage: schädigen).

Von Zeit zu Zeit laufen Pröbchen wie diese durch die deutsche Presse, deren Fachleute samt den Lesern darob schmunzeln und selbstzufrieden denken: Nein, wie das Deutsche doch entarten kann! Die Kölnische Zeitung, nahezu die einzige in Deutschland, die sich mit festem Willen und nicht erlahmender Ausdauer um reines Deutsch bemüht, hat an den Abdruck solches Amerikanerdeutsch einmal die Klage geknüpft: Dieses sogenannte Deutsch muß in jedem ein Gefühl der Beschämung erwecken. Die Angehörigen keines einzigen andern Volkes sündigen auch nur annähernd derartig gegen ihre Muttersprache, wie ein großer Teil der im Auslande lebenden Deutschen. Leider geht unsern Stammesgenossen fern von der Heimat vielfach das Gefühl dafür ab, daß sie sich selbst und das Deutschtum durch eine solche Verballhornung der deutschen Sprache bei den andern Nationen lächerlich machen und unserm Ansehen empfindlich schaden.‹ Gemach, gemach! Der Leser vergleiche: ›Der Leutnant von heute evolutioniert sich nicht zur Dekadenz. – Der Genius Goethes ist ohne Reticenz in seinem Faust enthalten. – Der Mystizismus nahm das orthodoxe System nur faute de mieux aus Indifferentismus an. – Solche Zeiten sind stets von hoher Suggestibilität, wie Zeiten neuer Dominanten und Idealismen nach ihrem Moment der Synthese, der Konzentration zu sein pflegen. – Goethes ethische Anschauung ist ein teleologischer Energismus mit perfektibilistischer Tendenz. – Die Juden sind ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition. – Die Musik des Novalis ist nicht die der transzendentalen Pneumatologen und Theurgen.‹

Alle diese ›deutschen‹ Sätze, und ich könnte Bände mit ähnlichen füllen, rühren von deutschen Schreibern im Deutschen Reiche her, aber nicht von ungebildeten Ackersleuten und Handwerkern, sondern von Zierden deutscher Wissenschaft, deren Namen ich aus einem ›Gefühl der Beschämung‹ verschweige. Der Leser kann sich diese Verballhorner der deutschen Sprache gar nicht berühmt genug vorstellen. Gewiß, eine Sache wird in Amerika gemänädscht; aber wird sie das in Berlin und Hamburg etwa nicht, und außerdem poussiert, dirigiert? Ein Grundstück wird drüben gepurtschäst ( purchase: kaufen); in Deutschland wird es akquiriert, hypothekarisch registriert, katastriert je nachdem melioriert und arrondiert, separiert, zuletzt lukrativ realisiert. Ich finde nicht, daß wir Ursache haben, unsern verlornen deutschen Bruder in Amerika zu verhöhnen oder auch nur anzuklagen. Sagt man drüben: ›Ich habe gemuwt‹, so sagt man hüben: ›Ich habe mein Domizil gewechselt.‹ Mir fehlt die leichtvergnügte Splitterrichterei, die sich lustigmacht über ›Er hat es getreit ( try: versuchen), aber nichts auszusetzen hat an ›Er hat es probiert, riskiert, entriert, arrangiert, organisiert, inauguriert‹.

Man wird durch solche ›Sprache‹ in Amerika und Deutschland lebhaft erinnert an die sogenannten Makkaroni-Gedichte des späteren Mittelalters von ähnlicher Beschaffenheit: deutsche Wörter mit lateinischen Beugeendungen. Früher wirkten sie überaus belustigend, jetzt erscheinen sie uns reizlos. Warum? Weil die heutige Bildungs-, besonders die Gelehrtensprache denselben Bau zeigt, nur ein bißchen umgekehrt: lateinische Wurzeln mit deutschen Endungen. Übrigens war das Missingsch der Makkaroni-Verse harmlos, nur ulkig gemeint, während sich die heutige Gelehrsamkeit mit ihrem bitterernsten Kunstwelsch ins Großartige aufzublasen bemüht ist.

Im Kern ihres Sprachbaues sind alle Ludersprachen gleich; ihr gemeinsames Merkmal ist die Vermanschung des Unmischbaren, also die Verschmutzung. Am widerwärtigsten von allen wirkt auf den Betrachter mit einigem Reinlichkeitssinn und Sprachkunstgefühl das deutsche Welsch, denn ihm mangelt es an jedem Humor, es ist nur sprachlich roh und obendrein maßlos dünkelhaft. Dazu kommt, daß alle andern Mengselsprachen das Erzeugnis eines natürlichen Wachstums, ein trotz allem lebensvoller Notbehelf unbefangener, ungelehrter Menschen sind; das deutsche Welsch hingegen ein sich eitel bespiegelndes Gemäch von Gebildeten, die dadurch noch viel gebildeter erscheinen wollen. In Deutschland gibt es wohl keine verächtlichere Benennung einer Sprachgemeinheit als Mauschelei. So sage man mir, welcher sprachwissenschaftliche Unterschied zwischen Mauscheln und Welschen ist! Der hochdeutsche oder jiddische Mauschler durchsetzt sein deutsches Gemauschel mit hebräischen Brocken: ist etwa Hebräisch, die Sprache der Bibel, weniger vornehm als Mönchslatein und Berlinfranzösisch? Und was die vielgerühmte unentbehrliche Nüankßierung der bekanntlich nüankßenarmen deutschen Sprache betrifft, so erkundige man sich bei den Kennern des jiddischen Gemauschels, ob sich mit solchen Knoblauchsblüten im Rosenstrauß wie Nebbich, Chuzpe, Stike irgendein Wort selbst in dem grenzenlos reichen Welsch völlig ›deckt‹? Die Ekelhaftigkeit der Mauschelei besteht in der Verschmutzung, die sie in das von ihr verschleimte Deutsch bringt. Dem gesunden, nun gar dem feinhörigen Sprachgefühl klingt jede regelmäßige Sprachverschmuddelung wie Mauscheln, und ich empfehle alles Ernstes, schon der Abwechslung wegen, so oft wie tunlich statt Fremdwörteln zu sagen: Mauscheln. Es klingt nicht schön, es soll nicht schön klingen; aber es klingt wahr und ist wahr.

Sprachroheit des Welsch

Solange es ein gebildetes Sprachbewußtsein gibt, hat die Beflickung einer edlen Sprache mit fremden buntscheckigen Lappen bei allen Völkern für das gegolten, was sie ist: eine Roheit. Die römischen Sprachlehrer nannten jeden nicht unbedingt notwendigen Fremdbrocken Barbarismus; wir erkennen an der schrankenlosen Häufung fremder Wörter die › klassische, die akademische, die humanistische Bildung‹. Unvergeßlich wird mir die in ihrer unschuldsvollen Seelennacktheit unvergleichliche Erwiderung eines Museumsleiters auf meine sanft vorwurfsvolle Frage bleiben, warum sein Jahresbericht von so vielen überflüssigen Fremdwörtern wimmle –: ›Soll ich denn meine akademische Bildung ganz verleugnen?‹ Und wie verdutzt war der Edle durch meine schüchterne Gegenfrage, ob sich die akademische Bildung eines Mannes nicht durch den Inhalt einer Schrift selbst in der schlichtesten, also der deutschen, Fassung offenbaren müsse?

›Wenn die deutschen Zeitgenossen Ludwigs XIV. eine Menge altmodischer Fremdwörter gebrauchten, so meinten sie doch ein gutes Werk zu tun, ihre rauhe Sprache lieblich zu schmücken; die heutigen Barbarismen entspringen einfach der Mißachtung, einer Roheit des Gemüts, die gar nicht weiß, was der Deutsche seiner Muttersprache schuldet‹ (Treitschke). Er schuldete ihr in den Zeiten der staatlichen Vaterlandslosigkeit seine seelische Heimat. Indessen von dieser Gemütsroheit mag ich nicht sprechen, da sie, noch mehr als der Geschmack, strittig ist und ich in gewisse Gemüter lieber nicht hineinschauen mag. Die für gemütsroh Gehaltenen werden entgegnen: ›Gott siehet mein gutdeutsches Herz‹, und gleichgültig bleiben gegen den Einwurf:

Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht,
Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn!

Was sprachliche Roheit ist, läßt sich dem Tiefverrohten, der an seine Roheit gewöhnt ist, nicht klarmachen, wohl aber den andern. Diese frage ich, wie sonst man das sprachliche Knotentum bezeichnen soll, das sich in Wörtern offenbart wie Lieferant, Probist, Lagerist, retournieren, zwei à 10, à Stück, per Stück, pro Stück, pro Kopf, per Post, per sofort, Menschen material, luxuriös (vgl. S. 26). Oh ich weiß, was der vornehmtuende Welscher hierzu sagt. ›Scheußlich‹ sagt Otto Gildemeister (S. 39); ›Fremdwörter kolonien‹ sagt Karl Lamprecht über einen viel harmloseren Welscher als er selbst; ›nackter Neger‹ heißt es bei dem Meisterwelscher Richard Meyer. Keiner jedoch vermag den Schatten eines Grundes beizubringen, warum jene Welschereien der Andern scheußlich und alles Üble sein sollen, seine Fremdwörter dagegen ein Kennzeichen › akademischer Bildung‹. Sprachwissenschaftlich ( philologisch) sind Gebilde wie reell, ideell, generell, individuell, Individualität, Privatier, zentralisieren, germanistisch und viele hundert andre unsagbar gemein und dumm zugleich, was der gelehrte Welscher sofort erkennen würde, wenn ihm etwa sein ewiger Quartaner Karlchen Mießnick – oder sitzt der jetzt in Tertia? – mit ähnlichen Schöpfungen freischweifender Sprachkunst in der lateinischen oder griechischen Stunde aufzuwarten wagte, etwa mit einer Mehrzahl hominen von homo, einem vierten Fall ðüëåì (nach urbem) von ðüëéò. Aber vielleicht findet sich ein Gegner, der mich mit einem Dutzend, einem einzigen Dutzend, Welschwörter widerlegt, die ein wahrer Philologe, ich meine einen mit Sprachsinn, mit Achtung vor Lateinisch, Griechisch, Französisch, anständige Gebilde nennen kann. Ich sehe eine Zeit in fern ferner Zukunft über Deutschland heraufziehen, wo jeder Gebildete, nun gar der Sprachgelehrte die Hände übern Kopf zusammenschlagen wird, wenn er bei den heutigen Zierden grade der Sprachwissenschaft, z. B. bei einem Wilamowitz-Möllendorff, einen Satz von solcher Sprachroheit findet wie: ›Diogenes gerierte sich wie ein potenzierter Sokrates.‹

Wie mit den notgedrungen nur wenigen obigen Beispielen steht es mit 9999 von jedem Zehntausend Fremdwörter; nur muß man Sprachgefühl, Sprachachtung, inneres Ohr dafür haben. Es mag Ohren geben, die bei Menschen material, Novellen produktion (›Produkten, Lumpen und Knochen‹), Interessenten, arrivieren (bei Heine!), Effekt ( Effekten = Kleidungsstücke, Effekten = Wertpapiere), effektiv, reell, germanistisch, Lagerist gar nichts empfinden. Aber es gibt wohl auch Ohren, die das Quietschen des Griffels auf der Schiefertafel nicht als eine Marter fühlen; wie es Geschmäcker gibt, denen gemeine Massenöldrucke der Sixtinischen Jungfrau, rohe Zinkabgüsse der Venus von Milo Kunstgenüsse bereiten. Über Geschmäcker steht nichts geschrieben, sagt der weise Ritter aus der Mancha, und fügt noch weiser hinzu: Doch gibt es Geschmäcker, die Prügel verdienen.

Man bedenke nur den tiefen Unterschied zwischen der Welscherei des 16., des 17. Jahrhunderts und der unsrer Tage: der kindliche Nachäffer Ciceros in jenen Zeiten sprach es offen aus, daß die deutsche Sprache zu roh sei, um seinem sich über den nicht lateinisch Gebildeten emporblähenden Dünkel zu genügen, und er verquatschte wenigstens die in sein Deutsch hineingeflickten lateinischen Zierate nicht, sondern ließ sie, aus Ehrerbietung vor der edlen reinen Form des Römers, unverschmutzt. Der Welscher von heute hält Lobreden auf die deutsche Sprache, rühmt die alleinseligmachende › formale Bildung‹, die nur durch das wunderbare Latein gewonnen werden könne, besudelt das Deutsche und verquatscht das Latein, ja selbst das schon genügend verquatschte Küchenlatein. Das Ganze nennt Hans Delbrück: weltbürgerliche Aneignungsfähigkeit. Vischer nannte es etwas gröber: Allerweltsanpumperei.

Aber der ›edle Wohlklang‹, der aus der Denkmalsprache Latein, aus der griechischen Götterrede in unser deutsches Alltagsgeplapper veredelnd herübertönt! Man lausche nur andachtsvoll, lasse auf der Feinschmeckerzunge die Musik solcher Sprachbereicherungen zerfließen wie: Rezepisse, Kakophonie, Schisma, Arsis, Eklektizismus, populär, mystifizieren, Reziprozität, Assoziation, Exzentrizität, Inkompatibilität, Identifikation, Exemplifikation, Periodizität. Man stelle sich übrigens das Gesicht Ciceros, Quintilians, Platons vor beim Erklingen solcher Wörter wie Periodizität, von einem angeblichen Hauptwort Periodicitas!, oder Emotivität (Lamprecht), Individualität (bei 999 von je 1000 Schreibern)! Mir klingt die Wuppdizität in Stindes Frau Buchholz bei weitem schöner und jedenfalls lustiger.

Noch in einem wichtigen Punkte zeigt sich die Sprachroheit des Welsch: seine Verfertigung – denn von Sprachleben ist bei dieser Unsprache keine Rede – ist ganz unabhängig von irgendwelchen Wortbildungsgesetzen. Jeder schmierende Welscher, gleichviel mit welcher Kenntnis der von ihm geplünderten Fremdsprachen, kann seine geduldigen Leser verblüffen durch beliebige Leimereien, eine frecher, verrückter, roher als die andre. Jedes Welschwort ist ein Kautschukwort, das sich jede noch so tolle Reckung und Verrenkung gefallen lassen muß. Nie habe ich gegen eine noch so lächerliche Verdrechselung eines vorhandenen Welschwortes den leisesten Einspruch gebildeter Leser, etwa eines Sprachforschers, vernommen, während jede gute, aber etwas kühne, also dem Philister unerträgliche deutsche Neubildung voll Hohn durch die ganze deutsche Presse geschleift wird. Seit anderthalb Jahrhunderten gab es historisch, ein völlig entbehrliches Welschwort, da es nicht um einen Schatten andres oder mehr bedeutet als geschichtlich. Dies hindert nicht, daß in Deutschland reichlich fünfmal so oft historisch geschrieben wird wie geschichtlich. Da fällt einem welschenden Historiker ein, durch die willkürliche Reckung historistisch den Schwindelschein einer neuen Nüankße zu erwecken. Alsbald schnappt der größte Teil der deutschen Geschichtschreibung – Historik – das neue Schwindelwelschwort auf, und historisch, weil zu schlicht, muß ein wenig in den Hintergrund treten. So geht es ein Weilchen mit historisch und historistisch, bis es dem Überwelscher Karl Lamprecht in den Sinn kommt, daß nunmehr selbst mit historistisch kein besondrer Ruhm mehr einzulegen sei. Hurtig begibt sich der große Sprachschöpfer ans Werk und klabastert ein in allen Fremdwörterbüchern noch fehlendes, also dringend nötiges Neuwelschwort historizistisch zusammen, worin eine unnachahmliche neue Nüankße der historischen und historistischen Wissenschaft schlummern soll. Buchstäblich so geschehen in der Heimat der ›wahrhaftigen, voraussetzungslosen deutschen Wissenschaft‹.

Man prüfe ein Unwort wie zentralisieren! Gibt es eine größere sprachliche Gemeinheit? An ein verstümmeltes zentral aus küchenlateinischem centralis – nach griechischem kentron – wird die griechische Wortbildungssilbe is geklebt, hieran wieder das keiner Menschensprache zugehörige ier und als letztes sprachliches Bandwurmglied die deutsche Endung en. Noch nie ist es einem Welscher eingefallen, gegen zentralisieren ein Wort zu sagen; es gefällt jedem dieser Sprachkünstler ausnehmend. Nun hat jüngst ein Tollkühner gewagt, vermittelpunkten vorzuschlagen, und ist mutig mit dessen Anwendung selbst vorangegangen. Allsogleich ein langes Hohngeschwätz in dem Berliner Hauptblatt der Heimpariser. Dabei weiß der Höhner nicht einen einzigen sachlichen Grund gegen ›vermittelpunkten‹ vorzubringen, sondern er faselt nur das zum vielhundertsten Male nach, was gegen jede noch so glänzende Verdeutschung Schottels, der Fruchtbringenden, Zesens, Campes, Jahns, Stephans zu ihren Zeiten gefaselt worden. Nichts ist gegen ›vermittelpunkten‹ – oder ›vermitten‹ – aus sprachlichen Gründen zu sagen, wie einst nichts zu sagen war gegen Campes ›bewahrheiten‹ für verifizieren, ›vervollständigen‹ für kompletieren, aber um so mehr dummes Zeug gesagt wurde.

Ähnlich wie in diesen Fällen geht es jahraus, jahrein vielhundertmal in dem Lande zu, wo man begeistert singt: ›Sprache schön und wunderbar, Ach wie klingest du so klar!‹ Es gab schon lange das äußerst vornehme Welschwort Akribie (Genauigkeit). Einsam stand es da in seiner Größe, groß in seiner Einsamkeit. Fällt ein sinnreicher Welscher darüber her, stopft die klaffende Lücke im welschen Wortschatze zu, der, man denke!, noch kein Eigenschaftswort zu Akribie aufweist, und sogleich prangt es in allen Zeitschriften, die auf Wissenschaft halten: akribos . Dies ist bisher die Grenze; nichts aber hindert einen andern ebenso sinnreichen Welscher, akribund, akribal, akribistisch, akribabel zu bilden; einen dritten, sich mit akribieren in die wissenschaftliche Phalanx einzureihen; einen vierten, durch akribisieren ein neues Spezimen subtil differenzierender Terminologie zur gefälligen Praxis zu offerieren.

Aber das Welschwort hat doch in manchen Fällen den Vorzug größerer Kürze, und Kürze verdient ceteris paribus die Priorität, nicht wahr? An andrer Stelle wird über Kurz oder Lang im Welsch oder Deutsch zu reden sein (vgl. S. 151): Hier genüge der Hinweis auf die unzähligen Fälle, in denen der Welscher das Welschwort eben darum liebt, weil es sich durch seine anspruchsvolle Länge so recht fürs Vortäuschen größerer Bedeutsamkeit aufdrängt. Im allgemeinen läßt sich nämlich als einer der seelischen Grundzüge des Welschers feststellen, daß er das Welschwort wegen seiner hohlen Gespreiztheit, also je länger je lieber, vorzieht. Majorität und Minorität sind um eine Silbe oder zwei länger als Mehrheit und Minderheit, also hinein ins Wörterbuch des alltäglichen Welsch. Mit welchem Entzücken schreibt der Welscher epistolographische Literatur statt Briefsammlungen, hypsometrische Daten statt Höhenzahlen, finanzielle Situation statt Geldlage, Amortisation statt Tilgung oder Abschreibung, Ventilation statt Lüftung, konsolidieren statt festigen, Material statt Stoff. Hiermit nicht voll befriedigt, reckt er breitspurig durch Anleimung überflüssiger Welschwörter die schlichten, aber durchaus hinreichenden deutschen Ausdrücke, bis diese die Schwammform des wissenschaftelnden Welsch erreicht haben. An Hunderte von anständigen deutschen Wörtern werden z. B. Material und Apparat roh angeklebt: aus Heizung wird Heiz material, Schüler werden zum Schüler material, Feurung wird in Brenn material verwandelt, ein Filter wird großartig zum Filtrationsapparat, der Bildwerfer wird in den Projektionsapparat umgewelscht. Auch Arrangement, (Blumen arrangement für Strauß), Installation (Beleuchtungs installation für Licht) und ähnliche Wurmfortsatzgebilde sind im vollkommnen Welsch nicht zu entbehren.

 

Die gerechte Strafe für die pöbelhafte Roheit der Welscherei ist die Vergänglichkeit, die Vermuffung, die Verlächerlichung der stolzesten Welschwörter. Es gibt keine hundert Fremdbrocken, die auch nur seit 200 Jahren im lebendigen Gebrauch der Höhergebildeten geblieben sind. Welsch ist Spreu oder Kaff: die Probe aus Wallensteins Bericht (S. 8) beweist dies schlagend. Es gibt in den wertvollsten Schriften und Briefen Goethes und Schillers Dutzende von Stellen, die nur durch ihre vermufften Welschwörter entweder unverständlich oder gar drollig geworden sind. Wer versteht, ohne in Wörterbüchern zu suchen, diese Stelle aus dem herrlichen Briefe Schillers vom 23. August 1794 an Goethe: ›Alle Ihre denkenden Kräfte scheinen auf die Imagination, als ihre gemeinschaftliche Repräsentation, kompromittiert zu haben‹, und in einer andern Briefstelle Schillers: ›Der Pivot des ganzen Stücks‹? Und wer liest ohne ein Lächeln der Belustigung Goethes sehr ernstgemeintes Urteil über Spinoza: ›Er war ein guter Staatsbürger, ein mitteilender Mensch, ein ruhiger Particulier‹?

Jedes überwiegend welsch geschriebene Buch ist dem sichern Untergange verfallen; seine Welschwörter klingen meist schon dem nächsten Geschlecht lächerlich, und nur die paar Meisterwerke dauern trotz etlichem Welsch: man verzeiht es ihnen um des inhaltlichen Wertes willen. Da nun der Ewigkeitswert aller nichtdichterischen, zumal aller wissenschaftlichen Werke ganz gering ist, da die noch so bedeutenden Schriften der Wissenschaft von heute meist schon der nahen Zukunft wertlos, ›überwundener Standpunkt‹ sind, so vermag einzig die ewige Kunst, in unserm Falle die Kunst der Sprache, sie über den allverschlingenden Abgrund der Zeit hinwegzuretten. Man lasse sich durch den heutigen Glanz des Namens keines nichtdichterischen Schreibers täuschen: sein Name lebt vielleicht in der Geschichte seiner Wissenschaft fort; sein Buch aber versinkt, wenn es kein Sprachkunstwerk ist, und keines Welschers Buch ist eins (vgl. Rankes Ausspruch auf S. 103).

Selbst der Gewohnheitswelscher fühlt, daß sein Welsch niedrig, unedel ist. Zwingt ihn die Gelegenheit einmal zu edler, zu erhabener Sprache, so muß er von seinem Welsch ablassen, dessen Feinheiten er sonst rühmt, dessen Unersetzlichkeiten er sonst gegen die Nichtwelscher spitzfindig verteidigt. Wir haben erlebt, daß gelehrte Welscher, die sich im Weltkriege ›Deutsche Reden in schwerer Zeit‹ zu halten getrieben fühlten, sie zuweilen wirklich in halbwegs deutscher Sprache vortrugen. Je höher sich ein Redner oder Schreiber aufschwingen will oder muß, desto niedriger erscheinen ihm selbst die Fremdwörter. Keine weihevolle Rede oder Schrift ist denkbar mit Fremdwörtern. Warum? Das Fremdwort ist innerlich gemein bis zur Pöbelhaftigkeit; aber der Fremdwörtler erkennt dies erst dann, wenn er unweigerlich gezwungen wird, auf allen Flitterkram, allen Wissensdünkel, alle Wortbemäntelung zu verzichten und die lautre Wahrheit schlicht und kernig auszusprechen. Es gibt in der ganzen deutschen Geschichte kein einziges erhabenes Schriftstück, keine einzige weihevolle Rede mit mehr Fremdwörtern, als selbst der strengste Gegner des Welsch für zulässig – nicht für unentbehrlich – hält. Auf Seite 217 meiner ›Deutschen Stilkunst‹, auf Seite 408 bis 417 meiner ›Deutschen Meisterprosa‹ habe ich einige solcher Kleinode deutscher Rede verzeichnet oder wiedergegeben. Das Gesetz aller Sprachkunst, daß nur das edle, also das reine Kunstmittel ein Kunstwerk schafft, hat sich auch an den lesbaren Kundgebungen der Führer Deutschlands im Weltkriege als unverrückbar erwiesen.

Gewelscht wird in Deutschland, weil es der Gedankenlosigkeit für fein, für vornehm gilt, zu welschen. Dringt einmal die Erkenntnis der Wahrheit durch, daß Welsch unfein, ja ein sicheres Kennzeichen sprachlicher und sonstiger Unvornehmheit ist, so ist die Herrschaft des Welsch gebrochen. Es muß bei uns dahin kommen, daß das Urteil: Er welscht, zum Makel wird wie: Er verwechselt mir und mich. Zu noch ärgerem Makel: denn diese Verwechselung fließt aus Unwissenheit, und die läßt sich durch Belehrung ablegen; das Welschen ist Roheit, also viel schwerer heilbar. Der Ausbreitung solcher Erkenntnis ist dieses Buch geweiht.

 

Wen die Bezeichnung undeutscher Sprache in Deutschland als Fremdwörterei zu milde, als Welsch zu hart dünkt, dem empfehle ich die Benennung Ierensprache. Nichts ist leichter, als irgendeine neue Nüankße zu erzeugen, von der man dann behauptet, sie sei unersetzlich, unübersetzbar: man nimmt ein beliebiges Wort, Hauptwort, Zeitwort, selbst Eigenschaftswort, hängt ieren dran, und fertig ist ein neues farbensattes Welschwort. Ob die Zahl der ieren-Wörter 2000 oder 5000 beträgt, ist schon deshalb nicht festzustellen, weil sie noch täglich wächst. Der echte und gerechte Welscher hängt sein ieren auch an deutsche Grundwörter, findet nichts auszusetzen an lautieren, lackieren, hausieren, gastieren, probieren, grundieren, schattieren, hofieren, halbieren, inhaftieren, buchstabieren, und singt dazu: ›Will noch tiefer mich vertiefen, in den Reichtum, in die Pracht.‹ Ach ja, in die Bettelpracht! Ein ehemals hochberühmter, nicht zum wenigsten an seinem Welsch versunkener Schriftsteller, der die anmaßende ›Erklärung‹ gegen die Bestrebungen des Sprachvereins zu unterschreiben gewagt, Spielhagen, war einer unsrer ärgsten welschenden Ierer. ›Ich wollte nach Leipzig gehen, promovieren, das Terrain inzwischen rekognoszieren und den Versuch machen, mich dort eventuell zu habilitieren.‹ Ein Schreiber mit solcher Sprache kann in der Heimat des Welsch für eine gewisse Zeit als ›einer unsrer ersten Schriftsteller‹ gelten, aber nicht für lange. Das Schicksal des Spielhagenschen Lebenswerkes ist einer der überzeugendsten Beweise für den Untergang alles Welschgeschriebenen. Der Leser würdige bei dieser Gelegenheit noch einmal die Probe des germanistischen Ierers auf Seite 46.

Wie unwiderstehlich der welschende Sprachkitzel zum Ieren ist, geht aus der Geschichte einiger ieren-Wörter hervor. Im Mittelhochdeutschen bildete man von Kristall das Zeitwort kristallen, also: etwas kristallt sich, was für einen sprachgesunden Menschen genügt. Dem ierenden Welscher tat das deutsche Wort nicht genug, also ierte und verfeinerte er's durch die Gelehrttuerei der Zwischensilbe is, was griechisch sein sollte; aus diesem edlen Streben entstand kristallisieren. Es gab und gibt merkwürdigerweise noch: jubeln, ein ganz hübsches, aber doch nur deutsches Wort; der Welscher schuf sich sein jubilieren, und erst dann hatte seine liebe Seele Ruh'.

 

Das Reden in Zungen

Auf den Höhen aber der sprachlichen Wonnen wandelt Welscher erst dann, wenn er in Zungen reden kann, in allen ihm irgendwie – nicht etwa geläufigen, denn Welscher macht sich's bequem, sondern in Stäubchen und Krümchen angeflogenen. So weit die welsche Zunge klingt, erstreckt sich Welschers Reich und Reichtum. Von den Hochtälern des Himalaja bis zum Lande der Pyrenäen und übers Weltmeer nach dem Lande des blutbefleckten Dollars späht er die glitzernden Flitterchen auf, womit er seine unvergleichliche Sprache schmückt. Ein Schreiber, der vom Nirwana schwögt, nun gar einer, der sich aufschwingt bis zum Veda-Sanskrit: › Tat twam asi‹, genießt Wollustschauer, die nur dem Brillantenschmock beschieden sind. Keine Ahnung hat er vom Sanskrit, aber eben darum.

Der Wald- und Wiesen-Welscher beschränkt sich auf einige Dutzend Lateinbrocken, die bequem gesammelt im Büchmann stehen; auf ein paar Griecheleien derselben Art und auf den eisernen Bestand französischer Bonmots, die er mit der Zeit aus der Presse herausfischt. Schiller, der seine zeitgenössischen Heimpariser kannte, hat ihnen die wie heute geschrieben klingenden Verse gewidmet:

Die französischen Bon mots besonders, sie nehmen sich herrlich
Zwischen dem deutschen Gemisch alberner Albernheit aus.

Wem die Welscherbildung in fremden Zungen die kleine Mühe wert erscheint, der kann sie sich in wenigen Stunden einpauken, ohne darum Lateinisch, Griechisch, Französisch zu lernen. Mit eo ipso, per se, ceteris paribus, rebus sic stantibus, principiis obsta, conditio sine qua non, cura posterior, ad acta, nolens volens, cum grano salis, homo novus, tabula rasa, habeat sibi, expressis verbis, ex officio, ex professo, quieta non movere, ne quid nimis, mutatis mutandis, noli me tangere, vis major, urbi et orbi, post festum, aut aut, ceterum censeo – steht ein Schreiber in Welschdeutschland ganz anders da als mit solchen Dürftigkeiten wie: ohne weiteres, von selbst, bei sonstiger Gleichheit, wie die Dinge stehen, nichts erst aufkommen lassen, unerläßliche Bedingung, spätere Sorge, zu dem übrigen, wohl oder übel, bitte nicht wörtlich zu nehmen, Neuling, reiner Tisch, sei's drum!, ausdrücklich, von Amts wegen, von Berufs wegen, O rühre, rühre nicht daran, Allzuviel ist ungesund, mit einem Unterschied, Kräutlein Rührmichnichtan, höhere Gewalt, über alle Dächer, nach Toresschluß, Entweder Oder, Ich bleibe dabei. Schwingt er sich gar auf zu solchen griechischen Herrlichkeiten wie: autos efa, ktema es aei, kat'exochen, meden agan, heureka, so verleiht er sich selbst etwas wie eine höhere Ordensklasse. Es fällt ihm gar nicht ein, in dem unermeßlichen Schatze deutscher Sprache nach Gleichwerten zu suchen; denn ein für allemal, › a priori‹, steht für den Welscher fest, daß z. B. Do ut des, was die wenigsten Leser verstehen, unendlich vornehmer ist als: Leistung und Gegenleistung, Zug um Zug, Umsonst ist der Tod, Geschenkt wird nichts, Mit der Wurst nach der Speckseite, Eine Liebe ist der andern wert, Eine Hand wäscht die andre, Wenn du nehmen willst, so gib, wie sogar Goethe geschrieben. Nichts von all diesem elenden deutschen Plunder ›deckt sich‹ mit Do ut des.

Französische Bröcklein verschmäht Welscher natürlich auch nicht, doch stehen sie nicht ganz so hoch im Preise wie die Resultate humanistischer Studien. Au fond, au fait, au courant, au contraire, au pair, au porteur, à fonds perdu, à tout prix, contre cœur, tant mieux, nous verrons, qui vivra verra, vogue la galère, tout comme chez nous – wie viele gebildete Deutsche, nicht bloß Welscher, vollenden ihres Lebens Reise, ohne diese Herrlichkeiten zu hören, zu lesen, oder gar zu sprechen? In den Niederungen der ›weltbürgerlichen Aneignungsfähigkeit‹, wie die Erklärung von 1889 gegen deutsche Sprachreinheit so schön sagte, begnügt man sich mit einem bescheidenen eh bien, allons, enfin, merci, denn: ›Soll ich beten, danken, Tu ich meine Liebe kund, Meine seligsten Gedanken Sprech' ich wie der Mutter Mund.‹

Mit den englischen Satzbröcklein hapert's ein wenig im Welsch, weil – vestigia terrent – die Aussprache und Rechtschreibung schrecken. Immerhin, ein all right, ein last not least, ein well, go on machen sich sehr nett. Aus dem Italienischen sind sehr beliebt: Chi lo sa?, avanti, addio, si no e vero mit nur drei Fehlern, und manches andre, was aus Büchern aufgegabelt worden.

Spanisch kennen nur wenige Deutsche, selten ein Welscher; tut nichts, auch das Spanische muß dran. Der Welscher schreibt nicht Kammer, sondern Cortes, was heute kein Spanier schreibt; die deutsche Polizei heißt in einem großen Teil der auf ›weltbürgerliche Aneignungsfähigkeit‹ bedachten Presse: die heilige Hermandad; wenn der Führer einer Reichstagspartei eine Erklärung erläßt, so heißt sie Pronunziamento, was nur dem Schreiber spanisch klingt; und wer einige Frühlingsgedichte verbrennt, veranstaltet ein Autodafe, was sachlich Unsinn ist, sprachlich zwei Fehler enthält. Ein begabter Schriftsteller, Alfred Kerr, hält es nicht unter seiner Würde, einen Aufsatz zu schließen: ›So ist das Leben. Questa è la vita. Such is life. C'est la vie!‹ In einer neuen Auflage werden Ungarisch, Türkisch, Bulgarisch hinzutreten. Er würde nicht wagen, solche Kindereien niederzuschreiben, wenn er nicht wüßte, die an das allgemeine Gewelsch um sie herum gewöhnten und abgestumpften deutschen Leser bewundern dergleichen.

Diese ganze Abart des Welsch habe ich in meiner ›Deutschen Stilkunst‹ die Pücklerei genannt und erlebe die kleine Freude, daß diese Bezeichnung sich durchgesetzt hat. Fürst Pückler war der Großmeister des vollendeten Welschgeckentums, das ohne Fremdbröcklein nicht stehen noch gehen kann. Es läßt sich nachweisen, wie fast bei jedem Welscher, daß er keine einzige der von ihm eitel geplünderten Fremdsprachen, nicht einmal Englisch und Französisch, wirklich beherrschte; zu Bröcklein aber, wie sie jeder wandernde Kellner oder Schneidergesell aufschnappt, reichte es, und ein deutscher Fürst hielt sich nicht für zu vornehm, es solchem fahrenden Volke gleichzutun. Kann man sich einen englischen Herzog vorstellen, der so schriebe wie Fürst Pückler?

Sprachlich fühlt sich der deutsche Welscher als Untertan fremder Herrscher, ist er ein Mischling, ein sujet mixte. Mitten im Kriege haben wir die kaum zu überfliegende Tollheit erlebt, daß das amtliche ›Wolff-Büro‹ eines Tages plötzlich ›Petrograd‹ druckte, weil es dem hochverehrten › Gossudar‹ von Rußland beliebt hatte, das verhaßte deutsche Petersburg zu verrussen (auf Welsch: russifizieren)! Und der Chef-Welscher in einer der größten Berliner Zeitungen beglückte uns im Weltkriege mit › Patjomkinschen Dörfern‹, weil die für uns unbedingt maßgebenden Herren Russen das hundert Jahre in Deutschland ›Potemkin‹ geschriebene Wort › Patjomkin‹ zu sprechen geruhen. Viele deutsche Zeitungen schreiben jetzt auch Kasaken, weil sie gelesen, daß dies die echtrussische Aussprache ist, der man sich gehorsam zu fügen hat. Ich sehe es kommen: um der fleckenlosen Sprachbildung willen werden wir nach dem Kriege ums Dasein Deutschlands schreiben: Moskwa statt Moskau, Jurjew statt Dorpat, Torino statt Turin, usw. Schreibt doch Welscher grundsätzlich: ›Die Times, Daily News sagen‹, weil Times, Daily News Mehrzahlform haben, und man sich unweigerlich England fügen muß. Welscher gibt auch dann nicht nach, wenn man ihm schwarz auf weiß zeigt, daß die Engländer schreiben: Times, Daily News says. Goethe schrieb bildungslos genug: der Bellenzer Markt. Was mag das sein? Welscher fordert unerbittlich: der Bellinzonaer Markt.

 

Unmögliche welschende Prosakunst

Man ist in Deutschland einig darin, daß nichts bei uns seltener ist als künstlerische Prosa; aber kaum je hat man ernsthaft, eindringend, ohne um die Sache herumredende Beschönigungen untersucht, woher die Seltenheit einer Kunst, die sich bei allen großen Bildungsvölkern des Altertums und der Gegenwart von selbst versteht; die z. B. in Frankreich bis zu einem gewissen Grade von jedem verlangt und geleistet wird, der sich schreibend an die Öffentlichkeit wendet. Oh wir haben feines Verständnis für die Prosakunst der Franzosen, trösten uns aber mit dem Trugschluß: angeborne höhere Sprachkunstbegabung des Kelten. Diese kann durch nichts bewiesen werden; hingegen sehen wir deutlich, wie die französischen Prosakünstler es anfangen, um aus ihrem, von uns für arm, von ihnen selbst für nicht sehr reich gehaltenen Sprachstoff alles herauszuholen, was durch die von jeher bewährten Kunstmittel möglich ist. Die beiden Hauptmittel heißen: Adel des Kunstmittels und Fleiß, den keine Mühe bleichet. Die Franzosen stellen ihr ganzes Sprachvermögen, und es ist nicht gering, einzig in den Dienst ihrer Muttersprache, bescheiden sich unbeirrbar mit diesem einen Stoff, bedienen sich keiner kunstwidriger Bequemlichkeiten, denn sie wissen: alle Kunst ist schwer, bequeme Kunst ist keine. Blindes Hineingreifen in die ungeheure Wortschablonenkiste, wie sie das deutsche Fremdwörterbuch darstellt, wäre einem französischen Schreiber etwas Unfaßbares. An seinem reinen Stoff, der Muttersprache, unermüdlich formend und feilend, schafft er die vielleicht nicht übermäßig tiefe, aber kristallklare Wiedergabe seiner Gefühls- und Gedankenwelt. Damit vergleiche man die überaus bequeme Dutzendarbeit des durchschnittlichen deutschen Welschers! Ein Gedanke, ein Bild, ein Gefühl tauchen, noch unbestimmt, in ihm auf, sagen wir: das der Teilnahme des Menschen an Ding oder Mensch. Auch dem Franzosen steht das bequeme Intérêt zu Gebote, und dieses Wort ist sein Eigentum. Es genügt ihm aber nicht, denn es ist ausgedroschen und ausgeleiert, also sucht er in seinem begrenzten romanischen Sprachschatz die Abschattungen je nach Gegenstand, Gelegenheit, Grad. Dabei findet er wählend – denn jede Sprache besitzt alles, was ihre Schreiber denken, sehen, fühlen – zahlreiche fein abstufende Ausdrücke, und auf solche Weise kommt Kunst zustande, denn alle Kunst ist Auswahl. Der deutsche Welscher macht sich seine Kunst leichter: er nimmt eine Prägestanze, einen Gummistempel, eine fertige Formel, einen für das deutsche Ohr leeren Klingklang: Interesse , und nun braucht er nicht mehr zu wählen, braucht nicht zu sichten, zu scheiden, zu wägen, zu tönen, zu schatten, zu färben; sondern Interesse heißt es ein für allemal, wo ein künstlerischer Deutschschreiber wägend und wählend finden würde: Anteil, Anteilnahme, Teilnahme, Mitgefühl, Neigung, Gefallen, Reiz, Anreiz, Aufmerksamkeit, Spannung, Vorliebe, Eifer, Sinn, Beachtung, Bedeutung, Wert, Belang, Gewicht, Wichtigkeit, Anziehung, Nutzen, Gewinn, Vorteil, Wohl und Wehe, Frommen, Lust, Liebe, Einfluß, Eigennutz, Selbstsucht und reichlich 50 andre. Und wie mit Interesse geht es im Welsch mit interessieren, interessant, Interessenten. Wer sich über die Gummistempelnatur von Interesse samt Zubehör gründlich belehren will, der lese die Spalten 159 und 160 des Jahrganges 1898 der vom Deutschen Sprachverein herausgegebenen Zeitschrift und ersehe daraus schaudernd, welche Fülle feinster deutscher Sprachfarben durch das eine elende Interesse ausgetilgt werden.

Das Tollste an der Sache ist, daß einen die Welscher, und nicht immer die dümmsten, mit siegstrahlendem Lächeln fragen: ›Wie wollen Sie das unentbehrliche unersetzliche Interesse, interessieren, interessant übersetzen?‹ Nach der Auffassung des Welschers nämlich muß der Deutsche, um Deutsch zu sprechen, eine welsche Urvorlage übersetzen. Selbstverständlich ›deckt sich‹ keines der mindestens 80 deutschen Wörter für Interesse, der 70 für interessieren, der 60 für interessant mit diesen drei Grundsäulen des Welschwörterbuches; und da ein deutsches Wort, um Gnade in den Augen des Welschers zu finden, sich unweigerlich mit einem echten und zwei verquatschten Lateinwörtern ›decken‹ muß, so begreift man, daß das Prosakunstwerk des Welschers bis ans Ende der Tage auf Interesse, interessieren, interessant angewiesen bleibt. Nichts ist leichter, als Welschprosa zu schreiben: der geübte Welscher schreibt sie selbst im Schlaf, indem er an jeder Stelle, wo sich der wählende Former des reinen edlen Stoffes künstlerisch bemüht, einen seiner nach dem Abc in Fremdwörterbüchern wohlgeordneten Kautschukstempel aufdrückt. Oh wie untadelig in ihrer unwandelbaren Kautschukform stehen sie dann schwarz auf weiß da, bei jedem Welscher die gleichen Stempelabdrücke, die Macht- und Kraftwörter: Interesse, Element, Faktor, Individualität, individuell, Individualismus, individualistisch, individualisieren, spezial, speziell, Spezialität, Idee, ideal, Ideal, ideell, Idealismus, idealisieren, intelligent, Intellekt, Intelligenz, die Intellektuellen, Intellektualität, exemplifizieren, verifizieren, fruktifizieren, funktionieren, Apparat, real, reell, Realismus, Realität – Nachbarin, euer Fläschchen!

Kant, der in seiner eignen Wissenschaft weit übers Maß welschen zu müssen glaubte, schrieb einmal aus der Eingebung eines Augenblicks: ›Klingt nicht ein jedes aus einer fremden Sprache entlehnte Wort in einer feierlichen Rede wie ein Spielwerk, wie Flittern?‹ Warum nur in der feierlichen Rede? Es ist eine Frage des Ohres: dem sprachgesunden, nun gar dem sprachgebildeten Ohr klingt jedes fremde Wort, das nicht vollkommen eingedeutscht ist, ärger als Spielwerk und Flittern, nämlich sprachwidrig, gemein, unkünstlerisch, unvölkisch, würdelos.

Gewiß, es gibt für einen Beobachter und Erforscher des Welsch, der an der Zukunft deutscher Sprache verzweifeln möchte, den Trost: Mag das Volk der Denker seine Sprache noch so roh schänden, bei den Dichtern bleibt sie heilig aufgehoben, denn deutsch dichten kann man bisher noch nicht auf Welsch. Bedenkt man jedoch, daß auch unser lebendes Dichtergeschlecht von zarter Jugend her überwiegend Welsch sprechen hört und in der Presse gleichwie in fast allen wissenschaftlichen Schriften nur Welsch zu lesen bekommt, so ist sehr ernstlich die Frage zu stellen: ob wir bei einer solchen Verluderung unsrer Umgangs- und Papiersprache überhaupt noch auf eine dichterische Vollblütezeit in Deutschland rechnen dürfen? Es geht auf die Dauer nicht an, daß ein Volk in zwei ganz verschiedenen Sprachen spricht, hört, liest, schreibt und dichtet. Wohin wir mit unsrer Dichtersprache steuern, beweist ja das Beispiel Gerhart Hauptmanns (vgl. S. 56). Eigentümlichkeit des Ausdrucks ist nach Goethes schlichtem Wahrwort das Merkmal der Kunst. Dem Welscher, der die Allerweltswelschereien nachschmiert, ist dieser Ausspruch unverständlich, der Weg zur Wortkunst unzugänglich. Der aus- und inwendige Besitz des dicksten Welschwörterbuchs macht noch keinen Prosameister, eher schon einen Dutzendschmierer.

 

Welsche Formeln

Ich nannte gewisse Allerweltswelschwörter Gummistempel; sie lassen sich mit noch stärkerer Überzeugungskraft Formeln nennen. H 2O ist die chemische Formel für Wasser, ohne jede Rücksicht auf Art und Ort des Wassers. H 2O kann sowohl den Stoff des Weltmeeres wie den der Menschenträne bezeichnen. Mit H 2O läßt sich in der Chemie bequem rechnen; zur Menschenrede jedoch, gar zur Dichtung taugt es nicht. › H 2O rauscht, H 2O schwoll, Ein Fischer saß daran‹: an eine Anwendung der Formel in solchem Fall könnte man sich zur Not, in äußerster Lebensgefahr, stöhnend bequemen, denn Goethe sagt ganz allgemein: Wasser. Wollen wir aber den Strom, den Bach, den Teich, den Quell, das Brünnlein, den Springbrunnen unterscheiden, so genügt H 2O wirklich nicht ganz. Dem Welscher genügt H 2O in allen Fällen: denn seine Sprache besteht ja aus Hunderten solcher Formeln. Warum schreiben denn die Welscher noch mühsam Interesse, interessieren, interessant? Man schreibe in allen Fällen der Teilnahme einfach die Formel it , und der Zweck wird ebensowohl erreicht. Es ist damit wie mit den abkürzenden ›Sigeln‹ in der Kurzschrift.

Es gibt ferner im Welsch die Formel am ; sie kann für alle Abarten des Lustgefühls gelten, denn der Welscher hat für sie alle die Formelwörter amüsant, amüsieren, Amüsement.

Warum spricht und schreibt man nicht in den unzähligen Fällen, in denen irgendein Ding gehen, drehen, schieben, fliehen, laufen, brennen, leuchten, lüften, schließen, greifen, schnappen, fassen, arbeiten soll und will oder nicht will –: ft ? Funktionieren lautet doch die Welschformel für die Verrichtung von reichlich 100 Dingen. Ebenso sollte il alle Begriffsfarben der Persönlichkeit ausdrücken, denn wozu die langgeschwänzte Formel individuell mit all ihrem Zubehör?

Statt Umwelt, Welt, Kreis, Umgebung, Luft, Gesellschaft, Reich, Geist, Boden, Verhältnisse, Zustände, Umstände, Einwirkungen, Gebiet, Strom (Goethe), Außendinge heiße es, um die tatsächliche Formel- oder Gummistempelsprache der Welscher gekürzt wiederzugeben: ml ( Milieu).

Für Gerät, Werkzeug, Hilfsmittel, Anstalt, Vorrichtung, Zeug, Werk, Zubehör, Einrichtung, Hobel, Pumpe, Schloß, Hahn, Heber, Kasten, Hemmung, Presse, Sauger, Bohrer und über 100 andres: ap ( Apparat).

Für Stoff, Werkstoff, Zeug, Mittel, Sache, Ding, Unterlage, Vorarbeit, das Nötige, Quellen, Nachweise, Untersuchungen, Forschungen, Inhalt, Anhalt, Vorrat, Bestand, Ware, Gut, Erde, Erz, Holz, Kohle und fast jeden andern Rohstoff der Welt: mt ( Material).

Für Amt, Behörde, Stelle, Hauptstelle, Hauptstadt, Sammelstelle, Sammelpunkt, Mittelpunkt, Vorstand, Leitung, Geschäft, Hauptgeschäft, Werk, Kraftwerk und 30 andres: zt ( Zentrale), was um so wirtschaftlicher wäre, als es jetzt nur noch wenige menschliche Einrichtungen gibt, die keine Zentrale sind. Welch ein Sieg der Einfachheit über die buntscheckige Mannigfaltigkeit, wodurch alle Sprachen so schwer zu erlernen sind, wenn man durch ein einfaches T bezeichnen kann: Drehung, Hub, Reihe, Runde, Umlauf, Ausflug, Wanderung, Reise, Spritze, Abstecher, Bestellung, Weg, Bestellweg, Gang, Zug, Fahrt, Strecke, Rundreise, Reihenfolge, Tanz, Marsch, Linie, Wechsel. Warum schreiben und sprechen die Welscher die Formel Tour, während doch die noch kürzere Formel T dieselbe Wirkung tut? Und würdigt man nicht den wahrhaft amerikanischen Fortschritt aus dem Wirrwar von Volk, Menschen, Zuschauer, Zuhörer, Käufer, Anwesende, Besucher, Leser, Gäste, Fahrgäste, Badegäste, Kurgäste, Spaziergänger, Gemeinwesen, Ganzes, Einwohner, Bevölkerung, Kreis und 100 andern weitschweifigen deutschen Wörtern zur schlichten und doch erhabenen Einfachheit des bloßen P ( Publikum)? Oder die volkswirtschaftlich kaum abzuschätzende Ersparnis durch Pl für: Arbeiter, Beamte, Angestellte, Werkleute, Schauspieler, Mannschaft, Besatzung, Leute, Dienerschaft, Belegschaft, Fahrer, Kutscher, Lehrer, Setzer, Drucker, Schneider, Schlosser und reichlich 200 überflüssige deutsche Schwerfälligkeiten, wofür sonst der doch so bequeme und findige Welscher sich noch immer mit der dreisilbigen Formel Personal abquält?

Vor allem aber bedürfen wir einer abkürzenden Formel k für jedes der 50 Steigerungswörter von ›sehr‹ bis ›riesenhaft‹ und ›ungeheuerlich‹: kolossal ist die eigentliche ›deutsche‹ Nationaldevise geworden. Die andern Völker, besonders unsre durch den Krieg sehr feinhörig gewordenen Feinde, nennen uns das ›Volk des Kolossal‹, nicht um unsrer Taten willen, sondern weil ihnen, in all ihrer Unwissenheit Deutschland gegenüber, dieses Welschwort so recht als Maßstab unsrer Sprachbildung erscheint. Übrigens ist kolossal sprachlich nicht gemeiner als die 500 – oder sind's 800? – andern Welschereien auf al.

Der Leser setze dieses Verzeichnis knappester Formeln selber fort und werde sich dabei des tiefsten Seelengrundes der Welscherei voll bewußt: Welsch ist überhaupt keine Sprache, denn Sprache heißt: Gedachtes, Gefühltes, Gesehenes durch lebendig empfundene, fein unterschiedene Klanggebilde in lebendiges Nachdenken, Nachfühlen, Nachsehen wandeln. Der Welscher hält sich mit dem Versuch einer denkenden, fühlenden, sehenden und sehenmachenden Unterscheidungssprache nicht auf, sondern handelt wie der Kaufmann, der für seine drahtliche Geschäftssprache auf alle Gefühlswerte verzichtend sich eines Wörterbuches mit lauter an sich sinnlosen Buchstabengruppen, eines sogenannten Code, bedient. Die Fremdwörter sind für die ungeheure Mehrheit unsers Volkes sinnlose Formeln, die ohne Gefühlsanteil auswendig gelernt oder in einem Code, genannt Fremdwörterbuch, nachgeschlagen werden müssen. Für die gebildete Minderheit sind sie zwar nicht ganz sinnlos, denn man hat sie durch die auf der Schule erworbenen Sprachkenntnisse äußerlich aufgenommen, auswendig, ganz und gar auswendig, gelernt; der inwendige Mensch hat mit ihnen nichts zu schaffen.

 

Ungefühltes, unverstandenes Welsch

Selbstverständlicher Zweck alles Sprechens und Schreibens ist: Verständnis bei Hörer und Leser. Die Ausnahmen, die man Sprachschwindel nennen muß, in denen also Schreiber zu allerlei unlautern Zwecken absichtlich oder halbbewußt unverstanden bleiben wollen und sich als des besten Täuschungsmittels des Welsch bedienen, werden bei allen passenden Gelegenheiten genannt werden.

Ich hatte auf S. 72 für Milieu nur 16 gute deutsche Ausdrücke beigebracht, für Material nur 23, für Zentrale nur 14; für Tour nur 23. Es gibt für jedes dieser und zahlloser andrer welscher Dunst-, Gummi- und Formelwörter reichlich dreimal mehr gute deutsche Wörter, als ich hier anführen durfte. Der nachdenkliche Leser begreift ohne weiteres, daß Formeln wie Interesse, amüsant, funktionieren, individuell, Milieu, Apparat, düpieren (vgl. S. 148) , Zentrale, Tour, Personal, kolossal nicht dem allgemeinen Verstandenwerden, sondern dem Verdunsten, Verschleimen, Verflauen des klaren Begriffes Vorschub leisten. Ich gelte für einen Mann, der eine ziemliche Anzahl fremder Sprachen gründlich kennt, ja sprechen kann, mehr Sprachen und jede besser als die meisten Welscher, die durch ihr Bemausen aller Zungen von Indien bis Spanien eine, nichtvorhandene, Kenntnis vortäuschen wollen. Ich darf dies ohne Unbescheidenheit einmal aussprechen, grade weil ich mit meiner Sprachenkenntnis noch nie einem Leser lästig gefallen bin, sondern mich ihrer nur bedient habe, wozu sie für vernünftige Menschen bestimmt ist: zum Verkehr mit fremdzungigen Menschen und zum Lesen ihrer Schriften, nicht aber zum geckenhaften Prunken. Nun wohl, ich bekenne dem Leser frank und frei, daß ich, der Sprachenkundige, nicht die holde Vertrautheit mit dem tiefsten Sinn und Gefühlswert all der Welschwörter besitze, welcher diesen vielleicht eigen ist. Oh ich könnte, wenn ich mich sprachlich und schriftstellerisch so tief erniedrigen wollte, welschen wie irgendein Meister der überwelschenden Überwissenschaft. Ich traue mir zu, die Poppenberg, Wilamowitz, Roethe, Ziegler, Lamprecht, Sombart, Simmel, Delbrück niederzuwelschen. Ich kenne sie alle, die letzten Geheimnisse des ..ismus, der ..ik, der ..istik, der ..izierung, ..ifizierung, ..ifikation, ..ise, ..ose, ..use. Mir sind sie alle vertraut die antis, hypers, katas, syns, die ..logies, ..nomies, ..itis, denn ich habe, da ich eine Unzahl deutscher Bücher und Blätter gelesen, mit jenen allen bis zur äußersten Ermüdung, bis zum tiefsten Ekel verkehren müssen. Trotzdem erkläre ich: das Welsch ist mir bis auf diese Stunde geblieben, was es in Wirklichkeit ist: eine Schwindelsprache ohne Klarheit, ohne Wahrheit, ohne Leben. Es ist die Sprache eines Geistesgolems, Gespenstersprache.

Diese Erkenntnis ist so alt wie die Geisterwelt; Paulus spricht sie im 1. Korintherbrief (14) mit größter Schärfe aus, und es hat mich stets wundergenommen, daß seine Worte – und Paulus war ein sprachenkundiger Mann – im Streit um die Reinheit oder Verschmutzung des Deutschen meines Wissens noch nie angeführt wurden. Der Leser behalte und benutze sie, wo immer es nottut –:

›Also auch ihr, wenn ihr mit [fremden] Zungen redet, so ihr nicht eine deutliche Rede gebet, wie kann man wissen, was geredet ist? Denn ihr werdet in den Wind reden. So ich nun nicht weiß der Stimme Deutung, werde ich undeutlich sein dem, der da redet; und der da redet, wird mir undeutlich sein. Aber ich will in der Gemeine lieber fünf Worte reden mit meinem Sinne, auf daß ich auch andere unterweise, denn sonst zehntausend Worte mit [fremden] Zungen.‹

Auch Goethe hat vernichtende Worte gesprochen über die Unverständlichkeit der deutschen Wissenschaftsprache: ›Wie sollen erst Engländer und Franzosen von der Sprache unsrer Philosophen denken, wenn wir Deutschen sie selber nicht verstehen?‹ Warum nicht verstehen? Wegen der übergroßen Gedankentiefe? Die wäre wohl Goethen nicht zu tief gewesen. Ach nein, nur darum, weil die deutsche Philosophensprache, gleich aller Wissenschaftsprache in Deutschland, nicht deutsch, also deutlich verständlich, sondern welsch, also unverständlich ist.

›In einer Sprache wird man nur groß. Nur in der Muttersprache widerhallen alle Hochgefühle‹ (Jahn). Der sprachkranke Welscher, der ja nichts vom tiefsten Wesen der Sprache weiß, redet sich und andern ein, man könne sich unter Volksgenossen auch in fremden Brocken, selbst in entstellten, verquatschten, verluderten, ja in solchen, die nie einer wirklichen Menschensprache angehört haben, wie individuell, reell, Interessent, vollkommen verständlich machen. Goethe wußte es besser, und der verstand wenigstens eine der Sprachen gründlich, aus denen die Welscher richtige und falsche Bröcklein stibitzen. ›Soll ich‹ – so fragt der gewaltige Meister des Deutschen – ›soll ich Französisch reden? Eine fremde Sprache, in der man immer albern erscheint, man mag sich stellen wie man will, weil man immer nur das Gemeine (Gewöhnliche), nur die groben Züge ausdrücken kann.‹

Völlige Verständlichkeit für jedermann ist nur durch die Muttersprache möglich; jedes Fremdwort entbehrt der aus den Tiefen der Seele, aus den frühesten Spracherinnerungen der Kinderzeit heraufquellenden – ich muß das oft mißbrauchte Wort hersetzen – Verständnisinnigkeit der Muttersprache. Man täusche sich doch nicht darüber: auswendiglernen und mit dunkeln Begriffen verbinden kann man jedes Fremdwort, kann sich also irgend etwas Verschwommenes dabei denken oder zu denken einreden; doch nur die deutschen Wortwurzeln sind uns in Herz und Hirn eingesenkt, nur sie werden von dem kreisenden Strom unsers geistigen und gefühligen Lebensblutes genährt. Der Sprachgebildete, vollends der Gelehrte, redet sich ein, er empfinde wenigstens solche Fremdwörter wie Natur, Musik, Religion, Literatur, Politik, Nation als vollkommen gleichwertige Klänge neben den deutschen. Nach tiefbohrender Selbstprüfung bestreite ich diesen weitverbreiteten Wahnglauben. Ich empfinde und sehe bei weitem tiefer und klarer: All, Allsein, Weltall, Weltwesen, Allleben als Natur; Tonkunst als Musik; Gottgefühl, Frommgefühl, Frommsein als Religion; Schrifttum, Dichtungen, Schriftwerke, Geisteswerke als Literatur; Staatsmannschaft, Staatsweisheit, Voraussicht als Politik; Volk oder Volkheit als Nation. Der noch sprachgesunde, nicht verwelschte Leser mache ganz unbefangen und mit festem Wahrheitswillen an sich dieselben Versuche: ich bin sicher, er wird zu demselben Ergebnis durchdringen wie ich. Es gehört eine unendlich lange Zeit, selten unter einem Jahrtausend, dazu, um ein fremdwurzliges Wort völlig einzudeutschen, d. h. es nicht nur zu einem oberflächlichen Verstandes- und Verstehenswort, sondern zu einem Atemzug und Herzschlag unsers tiefsten Lebens zu machen. Das Fremdwort Streik wird allgemein verstanden, aber nichts in der Seele schwingt bei seinem Erklingen mit, denn Streik, gleich jedem Fremdwort, selbst gleich jeder Fremdwörtersippe, steht einsam da inmitten der Fülle anklingender, gefühlter Deutschwörter. Sage ich aber: Ausstand, (Arbeits-)Einstellung, so schwingen alle Töne mit, die durch aus und Stand, ein und stellen angeschlagen werden. Dieser Kernsatz der ganzen Fremdwörterfrage klingt dem Welscher chinesisch, denn er kennt nur eine ungefähre Verständigungssprache: ihm sind Code, Volapük, Esperanto, Welsch gleichbedeutend mit Menschensprache. Von der Sprache als pulsendem Leben weiß der Fremdbrockler nichts. Was lebendige Sprache ist, wird in der Kinderstube, nicht in den Jahren von Quarta bis Prima, auch nicht in den 6 oder 8 Semestern auf Hochschulen aufgesogen.

Erstes Wort, das mir erschallet,
Süßes erstes Liebeswort,
Erster Ton, den ich gelallet,
Klingest ewig in mir fort.

Weiß nicht jeder welterfahrene Leser, welch unendlicher, öder Fremdwortstreit selbst die gebildete Menschheit in Deutschland immerwährend aufregt, ja zuweilen bis zur gefährlichen Feindschaft aufgestachelt hat? Das berühmteste Beispiel ist wohl der Zank der Parteien des preußischen Abgeordnetenhauses mit der Regierung Preußens über die wahre Bedeutung des elenden Welschwortes Indemnität im Herbst 1866. Sogar zwischen dem König Wilhelm I. und Bismarck bestand Zwiespalt über die Bedeutung von Indemnität. Der König faßte sie auf als ›Eingeständnis begangenen Unrechts‹; Bismarck als ›Anerkennung der Tatsache, daß die Regierung nach Lage der Dinge richtig gehandelt hätte‹. Eine Einigung über das verquatschte küchenlateinische Welschwort war überhaupt unmöglich, denn in irgendeiner der damals umstrittenen Bedeutungen gibt es nicht einmal eine küchenlateinische Indemnitas, und selbst die französische Indemnité half nichts zur Entscheidung aller jener widerwärtigen Streitereien. Und siehe da: kaum hatte man die unzweideutige deutsche ›nachträgliche Verwilligung‹ vorgeschlagen, so waren sofort König, des Königs erster Ratgeber, Volksvertretung und Volk eines Sinnes. Das blöde Welschwort hätte bei einem Haar das beigelegte verhängnisvolle Zerwürfnis, Konflikt geheißen, zwischen einer deutschen Regierung und einem großen deutschen Volk von neuem heraufbeschworen.

In diesen Tagen des deutschen Riesenkrieges erleben wir ein weltgeschichtliches Seitenstück: der Deutsche Kanzler des Deutschen Reiches will im Deutschen Reichstag dem Deutschen Volke verkünden, was es durch seine grausigen Opfer edelsten Blutes in diesem Weltringen für die Zukunft erworben haben solle, findet aber, da er gar nicht gesucht, nichts andres als die › realen Garantien‹. Ich habe Latein gelernt, weiß genug vom scholastischen Mönchslatein, spreche und lese geläufig französisch, weiß aber nicht genau, was reale Garantien sind. Mit dieser Unwissenheit befinde ich mich in der größten und besten Gesellschaft, denn seit einem Jahr streiten sich meine Volksgenossen aller Parteien und Bildungsschichten darüber, was wohl in der Welt der unbeschränkten Zukunftsmöglichkeiten unter › realen Garantien‹ zu verstehen sei. Der Reichskanzler wird es wissen, er allein; oder gar er selber nicht? Hätte der Deutsche Reichskanzler zum Deutschen Volke Deutsch gesprochen, so wäre wohl noch ein Streit über das notwendige Maß der eisernen Bollwerke für Deutschlands Sicherheit und Fortentwicklung möglich, nicht jedoch über ihren Wortsinn selber.

Was soll der sprachenunkundige Mann, unser Bruder, sich unter Fiskus vorstellen, was selbst der Gebildete? ›Ich habe meinen Prozeß gegen den Fiskus verloren‹, hört ein Bauersmann einen gebildeten Städter sagen. ›Was? Lebt der verfluchte alte Racker immer noch? Mit dem Kerl hat ja schon mein Großvater einen Krach gehabt.‹ Der welschgebildete Städter lacht den dummen Bauer überlegen aus; ich finde gar nichts dabei zu lachen, eher schon das Gegenteil.

Was ist Naturalismus, Realismus, Materialismus, Idealismus? Was ist modern, die Moderne, Monismus? Ganze Bücher mit nichts als Wortstreit sind über diese erkünstelten Welschwörter vollgeschmiert worden; sie wären überflüssig gewesen, hätte man klare Vorstellungen, die allerdings fehlten, durch klare, also deutsche, Wörter ausgedrückt. Naturalismus soll, so vermute ich, bedeuten: Naturabklatsch, Naturtreue, Wirklichkeitsbild, Lebenstreue, Naturabbild, Alltagskunst usw.; so sage man es mir deutlich und isme nicht großspurig und dunkeldünkelhaft!

Es gibt in jeder großen Bücherei einige hundert Schriften voll tiefsinnigen Streites über das wahre Wesen der Tragik . Der Streit ist hoffnungslos, soweit er an das Wort Tragik anknüpft, denn dieses besagt im besten Falle: Bockskunst, also nichts Brauchbares. Hätte ein kühner deutscher Geist, etwa Lessing, ein kernhaftes deutsches Wort gewählt oder geprägt, so wäre der Streit zu Ende gewesen.

 

Das Volk der zwei Sprachen

Ganz allgemein: wer gibt einem deutschen Schreiber das Recht, von seinen lesenden Volksgenossen zu verlangen, daß sie – nicht etwa seine Sprachkenntnisse, denn die lassen sich erwerben, aber seine willkürlich erleimten und erdrechselten Welschwörter kennen und genau so verstehen, wie der Schreiber sie gemeint hat? Selbst die besten Fremdwörterbücher reichen nicht aus, um der rohen Willkür jedes eitlen Welschers im Gebrauch der alten und im Zurechtmanschen seiner vielen neuen Welschwörter zu folgen. Wie sprachenkundig muß man sein, um Wörter wie Silhouette, hermetisch, mephitisch, Halluzination, fanatisch, Euphorie, Roué, edafisch, Fiasko, styptisch, Pivot sprachlich richtig und genau zu verstehen? Und was nützt einem Lateinkundigen sein Latein gegenüber Wörtern wie separieren, das ebensowohl trennen wie zusammenlegen bedeuten kann? Was bedeutet eigentlich ›Bismarcks Mausoleum‹? Weiß auch nur jeder Gebildete vom Fleck, warum eine Gruft, die doch kein Mauseloch ist, Mausoleum heißt? Irgendwo in Deutschland wird ein Genesungsheim für Arbeiter errichtet; wie wird es genannt? Welsch, denn Welsch ist die Sprache der vornehmen Öffentlichkeit in Deutschland, und dem Stifter oder Leiter darf doch nicht zugemutet werden, ›seine akademische Bildung zu verleugnen‹. Einer der Ärzte dieses Rekonvaleszentenheims hat tolle Briefaufschriften für Insassen der Anstalt gesammelt; ich gebe nur ein paar und erwarte von meinen Lesern, daß sie nicht die Briefschreiber, sondern den welschenden Benamser der Anstalt auslachen werden –: Regenwalissentenheim, Reckavaliszendenheim, Rekomvalenzenheim, Rekonfalzentenheim, Rexonfaleszentenheim, Renevales Zentenfeind.

Und wie groß mag die Zahl der halbwegs richtigen Anschriften an einen bayrischen Chevauleger sein? Schwalangsche ist noch die der richtigen am nächsten kommende.

Noch einmal frage ich: Wer gibt einem noch so gelehrten Schreiber, nun gar einem halbgebildeten, das Recht, zu unbekannten Lesern sehr verschiedener Bildungstufen in einer nichtdeutschen Mengselsprache zu reden, die ihnen, wie er wissen muß und weiß, halb oder ganz unverständlich ist? Keinem, der nicht für seine engsten Fachgenossen schreibt, die genau so welschen wie er, steht dieses Recht, richtiger diese Anmaßung zu. In einer Halbspalte einer Nummer der verbreitetsten Zeitung, in einem billigen Volksblatt, fand ich im Fölljetong folgende Beweise, wie herrlich weit es die deutsche Volksbildung gebracht hat: an Küchenlatein und Griechelei nur opponieren, oppositionelle Elemente, Analysen, Theoretiker, Kritizismus, Abbreviationen, Psychoanalyse; an Berlinfranzösisch ›sich ein Air geben‹ und Revirement, an wirklichem Französisch 6 Perlen. Man sagt, die Zeitung habe 400 000 Bezieher, also über eine Million Leser; nicht 10 000 verstanden alle jene Herrlichkeiten, aber grade die übrigen 990 000 bewundern den großartigen Schreiber des Unverständlichen. Könnte man deutsche Leser zu der Pflicht erziehen, jede Zeitung wegzuwerfen und abzubestellen, die sich mit unverständlichem Gewelsch über ihre Leser lustig macht, so wäre das Elend unsrer Sprache schnell beseitigt; denn noch weit mehr als das Buch, ja selbst als die Schule, ist die Zeitung die Spracherzieherin des ganzen deutschen Volkes.

Es ist zum Weinen, welch gewaltiger Verlust an Volksbildung dadurch entsteht, daß ein großer Teil des reichen Bildungstoffes in Büchern und Zeitungen durch seine welsche Sprache vernichtet wird. Ein ungeheurer Aufwand nutzlos wird vertan. Ich habe Stöße von ›Büchern fürs Volk‹ daraufhin geprüft: fast auf jeder Seite ein nicht ganz oder ein gar nicht verständlicher verwelschter Satz.

Das Fremdwort ist der Feind der deutschen Volkseinheit. Es gibt keinen völkischen Staat ohne gemeinsame Sprache; es gibt erst recht keinen mit unvölkischer, mit volkswidriger Sprache. An seinem Sprachelend krankt das deutsche Volk in einem Grade, der noch von den wenigsten erkannt wird. Nicht die Mundarten spalten ein Volk, wie leider selbst Jakob Grimm gemeint hat; sondern diese wahre Doppelsprachigkeit: daß die Gebildeten oder sich dafür Haltenden eine sich dünkelhaft überhebende erkünstelte Sprache, die großen Massen ihre echte Volkssprache reden. Kommt es gar so weit, daß ein Volk sich seiner unverfälschten, unverwelschten Muttersprache schämt und sie für unfähig hält, im geistigen Wettlauf der Völker zu bestehen, so sind Volk und Sprache auf dem absterbenden Ast. ›Ein Volk, das seine eigne Sprache verlernt, gibt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen‹ (Jahn).

 

Gehören die deutschen Arbeiter zu den nach Bildung strebenden Klassen des Volkes? Man sollte es annehmen. In keinem Lande so sehr wie in Deutschland. Aber zu diesen Klassen, deren Bildungshunger den der meisten reicheren Stände weit übertrifft, redet die deutsche Wissenschaft, redet die Zeitung, redet unbegreiflicherweise selbst die Arbeiterpresse in jenem grauenvollen Protzenwelsch, das ein gescheiter Arbeiter zur Not halb errät, dessen ganzer Sinn ihm aber verschlossen bleiben muß. Sollte man es für möglich halten: es gibt Fremdwörterbücher mit mühseliger Aussprachenangabe für Arbeiter, damit sie sich doch ja keine Verstöße gegen echtes Englisch, Französisch, Lateinisch, Griechisch zuschulden kommen lassen! Und da manche Arbeiterführer ihrer Gefolgschaft aufreden, das Nachstammeln unverstandener Fremdbrocken sei sozusagen das Erkennungszeichen der ›Bildung‹, so erniedrigen sich vernünftige Arbeiter wahr und wahrhaftig bis zur Nachäffung des halbgebildeten Bürgertums, ohne zu ahnen, daß es kein so sicheres Merkmal der Scheinbildung, ja der Unbildung gibt wie die Welscherei im Munde eines Sprachenunkundigen. Viele Arbeiter fühlen die Sinnlosigkeit dieses Sprachzustandes ihrer Presse und ihres ganzen Schriftenwesens, sind aber machtlos gegen ihre Führer, die da aufprotzen: ›Sollen wir denn unsre akademische Bildung verleugnen?‹

Die meisten deutschen Bücher mit Ausnahme der fachwissenschaftlichen wenden sich zugleich an die Frauenwelt, also an die Hälfte des ganzen Volkes, und bis jetzt ist die Zahl der › akademisch gebildeten‹, also zu den Bildungsströmen des Lateinischen zugelassenen Frauen sehr gering, die der Griechisch verstehenden fast verschwindend. Was ist das Ergebnis des Lesens durchwelschter Bücher, Zeitschriften und Zeitungen bei den strebenden Frauen? Halbbildung, bemitleidenswertes Nachplappern innerlich nicht verarbeiteter, nur oberflächlich verstandener aufgeschnappter Welschbrocken. Warum lassen sich feingebildete, nicht durchwelschte deutsche Frauen diese Bildungslüge aufzwingen? Ein Welschwort im Munde einer nicht › akademisch gebildeten‹ Frau wird an widerwärtiger Stillosigkeit schwerlich überboten, denn hier hört das bewußte Reden auf und beginnt das papageienmäßige Quasseln.

 

Welschender Schwindel

Deutsch sein, sagt Richard Wagner, heißt, eine Sache um ihrer selbst willen treiben. Also nicht um eines Scheines willen, nicht um eine Sache und sich durch die Sache aufzuputzen, nicht ›taum upposamentieren‹, seggt Unkel Bräsig. Wo gewelscht wird, da wird geschwindelt, verschieden im Grade, verschieden in der Absicht; aber gleichviel ob grob oder fein, offensichtlich oder verhohlen – Schwindel bleibt Schwindel, und Unwahrhaftigkeit scheidet sich von der blanken Wahrheit. Was beabsichtigt der Welscher, der statt des alten Welschwortes historisch mit historistisch und historizistisch anrückt? Er will im Leser den Glauben erwecken, er, der Schreiber, sei mehr als der welschende Schächer, der sich mit historisch behelfen muß. Daß zu diesem Emporblähen weiter nichts gehört als Dreistigkeit, macht nichts; der Historistische und gar der Historizistische hat eben die edle Dreistigkeit, weiter nichts, der bloß Historische hat sie nicht. Der Historist und der Historizist unterscheidet sich im innersten Kern durch nichts von seinem Sprachgenossen, der statt Stiefelwichse schreibt: Blendol, statt Wagenschmiere: viskosives Concentricum. Der Unterschied der Fakultäten, dort Historizismus, hier quacksalbernde Schwindelhuberei, spielt keine Rolle.

Der Leser mache die Probe: kennt er irgendeine schwindelhafte Marktschreierei bis zum frechen Massenbetruge ohne starke Mithilfe der Welscherei? Mir ist noch keine vorgekommen, vom Astralleib des Okkultismus und Spiritismus, vom Scientismus, Eddyismus zum Glühweinol, Kaffeenol, Backin und andern Surrogaten. Wo immer in Deutschland ein Surrogat, also eine Unechtheit dem Käufer angeschmiert werden soll, da geschieht dies auf Welsch. Man sagt ungern Ersatz, sagt es zurzeit nur unter dem Zwange der Kriegsverordnungen; denn Ersatz, ein deutsches Wort, sagt die Wahrheit; Surrogat, ein Welschwort, versucht zu schwindeln. Niemals sagt ein Verkäufer unechten Tandes: unecht; mit allen Künsten des Welsch schwindelt er sich an der Wahrheit vorbei. Unechte, nur ganz oberflächlich vergoldete Ware heißt großartig Doublé; jede noch so wertlose Nachahmung heißt vornehm Imitation und zur Krönung des Schwindels: garantiert echte Imitation. Niemand zeigt ›unechte Edelsteine‹ an, sondern welscht mit den stolzesten Männern der Wissenschaft um die Wette: synthetische, damit die Nichtallewerdenden sie für etwas noch viel Kostbareres halten als die echten. Die Synthese, eine der neuesten Flitterperlen unsrer welschenden Wissenschaft, hat bei den Glasflußhändlern das Simili abgelöst.

Nennen sich zahlreiche vornehme neue Amtsstellen Zentrale, warum soll der Milchpantscher in einem Kellerladen nicht eine Milch zentrale, der Schuhflicker nicht eine Schuh zentrale oder gar ein Institut für Besohlung auftun? Und warum soll ein Jahrmarktsphotograph seine Bude nicht Atelier oder Salon nennen, wenn sich vornehme deutsche Künstler nicht schämen, ihre Werkstatt Atelier, ihre Ausstellung Salon zu bewelschen? Oh, unsre Schwindler sind sehr tiefe Seelenforscher, profunde Psychologen: sie wissen, daß in Deutschland Deutsch für gemein oder doch für gewöhnlich, Welsch für vornehm gilt, also – welschen sie. Was ist vom Standpunkt des Schwindlers natürlicher? Nennten sich die geldschneiderischen Gesundbeter plump deutsch so und nicht anders, so könnten sie kaum die Allerdümmsten um ihr Geld betrügen und ins Grab beten. Sie wissen, was sie tun, wenn sie ihren Hokuspokus Scientismus nennen, denn jeder Ismus flößt dem an sein Welsch gewöhnten deutschen Bildungsmenschen Schauer gläubiger Verehrung ein. Noch der niedrigste Dorfquacksalber heilt vornehm mit Sympathie, wie sich der frechste Hochstapler seinen Opfern gegenüber vornehm Kavalier nennt.

Alles Wertvollste im deutschen Wesen und Streben geht auf Echtheit und Tüchtigkeit; unsre Bildungssprache ist unecht und untüchtig geworden, bedient sich trügerischer Mittel, ist des deutschen Geistesvolkes unwürdig. Sie nennt einen nutzlosen Nichtstuer mit genügendem Gelde in großartigem Berlinfranzösisch einen Privatier, beschönigt den offenen Diebstahl durch die gelehrte Defraudation, den geistigen Raub durch das klassische Plagiat, verschönt noch die Strolcherei durch die schwungvolle Vagabondage und eine niedrige Rüpelei durch den vornehmen Exzeß. Früher sprach man von einer ›verdrehten Schraube‹ und meinte, was man sagte; heute heißt ein überflüssiges Frauenzimmer, namentlich eines mit unterschiedsloser, gar nicht besonders differenzierter Gunstausteilung: › erotisch differenziertes Weib‹, weil dies noch vornehmer klingt als Mondäne, Demimondlerin oder Kokotte.

Wenn ein Zeitgenosse weiter gar nichts ist als eben Zeitgenosse, ein Individuum ist er trotzdem, wenn nicht gar eine Individualität, die verlangen kann, daß man sie nach den Prinzipien des Individualismus individuell nehme und nicht schnöde generalisiere. Will doch die strengste Wissenschaft sich und uns einreden, daß Individualität viel feiner, viel wissenschaftlicher sei als Persönlichkeit, Philologie als Sprachwissenschaft, Psychologie als Seelenforschung, Germanistik als Deutschkunde, Moral, nun gar Ethik, als Sittlichkeit. Unwillkürlich denkt man an Bräsigs Herleitung der Armut von der Powerteh.

Welch öder Schwindel, jawohl Schwindel, wird in Deutschland, in Deutschland allein, getrieben mit der welschenden Gelehrttuerei Subjektiv und Objektiv! Subjektiv ist nicht um eines Schattens Schatten mehr als persönlich; Objektiv ist genau dasselbe wie unpersönlich, gegenständlich, sachlich. Dies weiß jeder wissenschaftliche Mensch, schämt sich aber nicht des Unfuges, jedem andern, zumal jedem Gegner, vorzuwerfen: du bist nur subjektiv, nämlich ein Mensch mit einer menschlichen Persönlichkeit, also mit einer nur ihm eignen persönlichen Meinung; wohingegen er, der große Objektive, sich und seine Meinung für abgeklärt objektiv ausgibt, was nichts andres bedeutet, als daß er sich im Besitz der ewigen Wahrheit und Weisheit wähnt. Kein Mann der Wissenschaft würde wagen, jemand vorwurfsvoll entgegenzuhalten: Das ist nur Ihre persönliche Meinung; denn er weiß, der andre würde ihn auslachen mit der Gegenfrage: Welche Meinung, wenn nicht meine persönliche, soll ich denn sonst haben? Etwa die Ihrige, die Sie offenbar für die objektive halten? Als des herzigen Präsidenten Wilson böser Wille uns bis dicht vor den Krieg mit Amerika gebracht, warf ein großes Berliner Blatt einem der gefährlichsten Feinde Deutschlands ›Mangel an Objektivität‹ vor. Aber ein deutscher Gelehrter nannte ja auch die russische Raubgier, die in Ostpreußen teuflisch mit Brand, mit Raubmord und Notzucht gewütet, überaus gelehrt, aber überaus läppisch: ›Rußlands Expansionsdrang‹.

 

Welsch eine Volkskrankheit

Völkerseelenforschung ist eine junge Wissenschaft; ein gründliches Buch über die deutsche Seele gibt es noch nicht. Bei der Schwierigkeit der Selbsterkenntnis ist es wenig wahrscheinlich, daß es von einem Deutschen geschrieben werden wird. Nebenbei: es würde zweifellos heißen ›Die deutsche Psyche‹. In keinem Werke dieser Art darf ein großer, fast beherrschender Abschnitt fehlen: Die Ausländerei. Eine ihrer sichtbarsten Erscheinungsformen ist das Welschen, und es gilt, sie wissenschaftlich als das zu erkennen und darzustellen, was sie in der unerbittlichen Wahrheit ist, die allein vielleicht heilen kann.

Seit Jahrhunderten wird die Welscherei von den besten deutschen Männern schonungslos gescholten, aber keiner hat sie beim rechten Namen genannt. Üble Gewohnheit, Untugend, Laster, Schande heißt sie bei den Freunden saubrer Sprache je nach der Stimmung; doch mit alledem wird nicht ins Schwarze getroffen. Die Naturwidrigkeit, die darin liegt, daß ein Volk durchaus die Sprache andrer Völker nachstammeln will, wurde von manchen erkannt: › Hast du je einen Vogel blärren, eine Kuh pfeifen hören? Und ihr wollet die edle Sprache, die euch angeboren, so gar nicht zu Obacht nehmen in eurem Vaterland? Pfui dich der Schand!‹ (Moscherosch). Ein Volk, das dem Drange, fremden Völkern nachzublärren und zu pfeifen, nachzunäseln, zu zischen, zu lispeln nicht widerstehen kann, das selbst die Urbegriffe jedes Menschen verwelscht, das dies sogar in einer Blüte seiner Sprachwissenschaft und Dichtung, in einer Hochgezeit seiner staatlichen Geltung fortsetzt, ist an dieser Stelle seelisch krank. Die Welscherei ist eine seelische Volkskrankheit. Aus welchen völkischen Urtrieben sie entspringt, wird in den zwei nächsten Abschnitten aufgezeigt werden; hier gilt es zunächst, das Wesen der Krankheit selbst bloßzulegen. Schon früher wurde zur Versinnbildlichung dieser Krankheitsform das Gleichnis vom Krebs und Schwamm gebraucht. Es ist kein bloßes Gleichnis, es ist die volle Wirklichkeit. Es gibt wohl keinen zweiten Fall einer seelischen Krankheit, die man schildern kann wie eine leibliche. Der einzige Unterschied zwischen Krebs, Geschwulst, Schwamm im Körper oder im Holz – und den gleichen Erkrankungen der Sprachseele besteht darin, daß wir den ersten Krankheitserreger bei der Sprache deutlich bestimmen können, bei den stofflichen Wucherungen nicht. Den Keim der Welscherkrankheit bildet eine vorerst vereinzelte, nicht bösartig aussehende Welschwurzel. Sie bohrt sich mit einem spitzigen Giftstachel in den gesunden Sprachkörper fest und tief genug hinein, wird zuerst nur als ein ungefährlicher Fremdschoß empfunden, dessen man beliebig Herr werden könne, und nun beginnt das, was man bei leiblichen Durchseuchungen die Brütezeit nennt. Ein erster Krankheitsherd hat sich gebildet, und von ihm strahlt die Ansteckung nach allen Richtungen aus. Der winzige Giftherd, das wuchernde Schimmelpilznest wird zu einer Eiterbeule, die wächst, schwillt, um sich frißt, strotzt, leider niemals platzt.

Sprechen wir nicht so bildreich allgemein, sondern nehmen wir einen bekannten Krebsherd unters Glas. Was ist harmloser als solch einzelnes, noch dazu vornehmes Welschwort wie Jus . Es wird im Anfang nur neben Recht gebraucht und bleibt ein Weilchen so unschädlich wie heute etwa der Name eines fremdländischen Nahrungsmittels, wie Kakao, das nur so heißen kann und sprachlich keine Wucherungen erzeugt. Kaum aber sitzt der Schwammkern Jus fest im Fleisch, so sendet er Schwammstoff in den Blutumlauf – auf Welsch: in succum et sanguinem – aus, und binnen kurzem sehen wir einen breiten Krankheitsherd, bestehend aus: Jura, Jurist, Jury, Juror, juristisch, Juristerei, juridisch, Jurisprudenz, Jurisdiktion, Justiz, Justitiar, justiziell, justifizieren, Justifikation, Justifikatorium, Judikatur, Judikation, judizieren, Judicium, judicial, Judikat, judikatorisch, justieren, adjustieren.

Oder die Krankheit verläuft mit einer kleinen Abweichung in der Vorbrütezeit so: der gesunde kraftvolle Sprachkörper verarbeitet den ersten Keim, die lateinische Wurzel stat z. B.; aus dem Worte Status wird das völlig eingedeutschte Lehnwort Staat. Ungefährlich aber ist selbst solch ein Keim nicht; denn bis er selbst nützlich verarbeitet worden, hat er schon Giftstoffe ausgeschieden oder verwandte Giftkeime zur Niederlassung angelockt, welche die Vergiftung aus eignen Mitteln besorgen. Neben dem deutschgewordenen Staat sehen wir die fressenden Wucherungen des Schwamm- oder Krebskeimes stat: Status (Stand), Statut, statutarisch, statuarisch, statarisch, statuieren, Statik, statisch, Station, stationieren, stationär, statiös, Statist, Statistik, statistisch, Statistiker, Stativ, Statue, Statuette.

Der Fremdkeim Person mit der nächsten Ableitung ›persönlich‹ wurde zu brauchbarem Lebensstoff der Sprache verarbeitet; die Wucherungen von Persona: Personal, personal, personell, note personnelle, in persona, Personalien, personifizieren, Personifikation, Personage, Personalität führen als Riesenschwamm ihr ungestörtes muntres Wucherleben im deutschen Sprachkörper fort.

Oder man betrachte den Wucherherd der so edlen Idee ! Zu den auf S. 71 genannten 36 Wucherungen müssen hier nachgetragen werden: Ideologe, Ideologie, idealisch. Nicht minder fruchtbar ist die im Fremdwörterbuch gleich dahinter folgende, hier nur unvollständige Schwammbildung um den Kern idio : Idiom, idiomatisch, Idiotismus, Idiot, idiotisch, idiotistisch, idiographisch, idiokratisch, Idiolatrie, Idiopathie, idiopathisch, Idiosynkrasie, Idiotikon, idiotisieren.

Oder man sehe, was daraus wird, wenn man ohne die geringste Not irgendeiner fremden Wurzel das Gastrecht einräumt, an dem Lateinwort committere : Kommis, Komiss, Kommisa(ä)r, Kommissariat, kommissarisch, kommissorisch Kommission, Kommissionär, Kommissorium, Kommissur (Goethe!), Kommittent, Komité.

Aber, so wendet der Welscher ein, bist du denn blind gegen die ›Bereicherungen‹, die unsre ›Sprache‹ durch solche Neubildungen erfährt? – Für den Sonderforscher der Schwammkunde ist jede Abart des Hausschwammes eine Bereicherung, für das Haus und seinen Besitzer ist sie ein fressender Schaden. Das giftige Gewächs lebt ja nicht für sich und aus sich, sondern es lebt und wuchert aus den Säften des Sprachkörpers, in den es sich eingestielt hat. Jedes Fremdwort zusamt seiner schrankenlos wuchernden Verwandtschaft saugt einem guten deutschen Gebilde nach dem andern Saft und Kraft aus, bis sie alle kümmern, welken, oft genug absterben. Das Fremdgewächs aber strotzt immer voller, protzt sich immer breiter hin, verfilzt sich so fest mit dem ausgesogenen Sprachgewebe, daß es scheinbar nur mit Gefahr für das Leben des verseuchten Teiles entfernt werden kann. So scheint es, so ist es keineswegs. Mit unerbittlich scharfem Messer ausgeschnitten, wird es sogleich ungefährlich, die Schnittwunde schließt sich im Augenblick, heilt ohne Nachkrankheit, und nun nimmt das Kreisen der ein neues Leben bildenden Säfte an der sprachlich abgestorbenen Stelle seinen Lauf.

Alles dies ist, ich wiederhole es, kein Bild, sondern die Sprachwirklichkeit selbst. Man prüfe die Wirkung sämtlicher einzelner Fremdwucherungen auf S. 72: überall, wo sie sich eingefressen, sind die deutschen Gebilde unterdrückt, überwachsen, ausgemergelt, und frohlockend fragt der Welscher, der begeisterte Feinschmecker der fremden Unkräuter: Wie wollt ihr amüsant, Interessen, düpieren, Apparat, individuell, Milieu durch ein gleichgutes deutsches Wort ersetzen? In der Tat, es ist nicht ganz leicht, eine strotzende Geschwulst durch ein einstmals gesundes, jetzt ausgesogenes und entkräftetes Gewebe zu ersetzen.

Wird das Fremdgewächs nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet, so wird es im weiten Umkreise zum Herrn: der Schwamm frißt und frißt, und wir erleben das Schwammwort, den Wortdunst, die Formel. Milieu verdrängt die Umwelt und reichlich 30 gute farbige deutsche Wörter; Dekadent macht's ebenso; Motiv wird das Schwammwort für jede Tat- oder Denkursache: für Trieb, Antrieb, Triebfeder, Anlaß, Veranlassung, Grund, Beweggrund, Anstoß, Zug, Leitgedanke, Grundgedanke, Grundzug, Vorwurf, Gegenstand, Erklärung, Schlüssel usw. usw. Denn die deutsche Sprak ist arm und plump, Welsch ist reich und fein, oder wie einer der Lobpreiser des Welsch, der Jüngstdeutsche Hermann Conradi, so unübertrefflich klar und entzückend sprachschön gesagt hat: ›Das Fremdwort ist und wird bleiben das natürliche Motivationsherz des Aphorismus. Das Fremdwort ist das Prinzip der Synthese, es hat Atmosphäre.‹

 

Bleibt noch ein Wort zu sagen über den Scheinreichtum vieler welscher Schwammwörter. In meinem nächstens erscheinenden Fremdwörterbuch ›Entwelschung‹ gebe ich für Idee 36 deutsche Ausdrücke, deren jeder lebensvoll, anschaulich, eigenartig, farbig, gefühlt ist gegenüber der einen blassen Idee. Der Welscher mit seinem verrenkten Sprachsinn folgert hieraus: Oh wie ist das Welsch so reich, 36 mal so reich wie das armselige Deutsch! Der sprachgesunde Deutsche weiß es besser: 36 mal so reich ist das Deutsche wie das Welsch, 36 mal so fein und treffend kann das Deutsche tönen, färben, schatten, sichten, sondern, wählen, gliedern, spalten, scheiden. Welscher sagt ein für allemal differenzieren, denn so heißt es im Welsch.

Woher aber auch nur der Scheinreichtum an Begriffsfarben, der dem einen Welschwort innewohnt? Das ist kein Geheimnis: es hat sie alle aus dem gesunden Leibe der deutschen Sprache gesogen, hat sich immer wieder wie ein Schwamm bis zum Überlaufen gesättigt mit den Säften der Wirtssprache, und in diesem schwammigstrotzenden Zustande – Welscher sagt: Plethora, – gefällt das Welschwort dem deutschen Gewohnheitswelscher am besten.

 

Leben und Tod der deutschen Sprache

Die Welscher, welche die Verkümmerung, ja den Tod ungezählter deutscher Wörter verschuldet haben und immerfort aufs neue verschulden, haben die Stirn, von der Freiheit und dem Leben der deutschen Sprache zu reden. Nur ja nicht, so warnen sie die Reinschreiber, in das ›Leben der Sprache‹ eingreifen! Und in der berüchtigten Erklärung von 1889 gegen den Deutschen Sprachverein wird hohlredensartlich geschwögt von ›unsrer durch die Freiheit gedeihenden Sprache‹. Der Ausdruck ›Leben der Sprache‹ ist romantischer Nebel; es gibt kein Eigenleben einer Sprache, weil die Sprache zum Leben der sie sprechenden Menschen gehört und in ihrer Entwicklung durchaus von menschlichen Gewohnheiten und Trieben, Tugenden und Gebrechen, Weisheiten und Dummheiten abhängt. Die Sprachgeschichte der Menschheit zeigt uns zu allen Zeiten langsame oder schnelle Wandlungen der Sprachen durch gewaltsame oder sanfte Einwirkungen von Menschen auf Menschen. Nicht aus einem innern Triebe hat sich die deutsche Sprache im 16. Jahrhundert verlateinert, im 17. verfranzöselt, im 18. und 19. durch und durch verwelscht; sondern deutlich nachweisbare Willensäußerungen der deutschen Bildungswelt, namentlich der gelehrten, haben das Deutsche entgegen seinem wahren Lebenswesen verschmutzt. Die sogenannte ›Freiheit‹ unsrer Sprache, wovon die Welscher reden, besteht für sie in ihrer, der Welscher, schrankenlosen Freiheit oder Frechheit, aus dem Prunkmantel der deutschen Sprache nach der Laune ihrer Eitelkeit, nach der Roheit ihres Sprachsinnes eine Narrenjacke zu machen. Wer wissen will wie eine Sprache in wahrer Freiheit lebt, der darf nicht auf die welschenden Gelehrten hören, sondern wie Luther geraten und getan, ›die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden‹. Nur gewährenlassen muß man das Volk, das seine Sprache spricht; das tun unsre immer neue Welschwörter drechselnden gelehrten Schreiber eben nicht, vielmehr tun sie der edlen reinen Volkssprache Gewalt an. Ein wunderbares Beispiel wahrhaft lebendiger Blüte unsrer Sprache bieten uns im Weltkriege unsre Feldgrauen, die ja das Volk darstellen, und unter denen selbst die wenigen gelehrten Welscher sich zu anständigem Deutsch bekehrt haben. In dem reichhaltigen neuen Schützengrabendeutsch, wie dessen feinsinniger Kenner Gustav Hochstetter es in seinem Büchlein ›Der feldgraue Büchmann‹ gesammelt hat, findet sich nicht ein einziges neues Welschwort, hingegen eine große Zahl prächtig gelungener Verdeutschungen, denen kein Welscher Urkraft und Fülle echten Sprachlebens abstreiten wird. Das ist Freiheit, das ist Leben unsrer Sprache; allerdings nicht die Welscherfreiheit, mit unsrer Muttersprache ruchloser als mit einem Misthaufen umzugehen (vgl. S. 15).

 

Wie es zu den größten Lebenswundern gehört, daß das deutsche Volk sich durch alle Wetter der Geschichte seinen kraftvollen Bestand gerettet hat, so muß auf geistigem Gebiet die Fortdauer einer Sprache, die wenigstens im Munde der Ungelehrten noch eine halbwegs reine Volkssprache geblieben, als einer der stärksten Beweise für die Unverwüstlichkeit deutschen Volkstumes angestaunt werden. Seit mehr als drei Jahrhunderten sind die sprachzerstörenden Kräfte am Werke; seit drei Jahrhunderten säen die Teufel der völkischen Würdelosigkeit und des Gelehrtendünkels das wüste Unkraut der Welscherei, den Schwindelhafer der Ausländerei unter den deutschen Weizen; saugen sie den Fruchtboden natürlichen Sprachlebens geil und geiler aus; rühmen sie überhebungsvoll das Giftkraut und die Fliegenpilze, die emporschießen und die gesunden Früchte verdrängen, als Blüten der ›weltbürgerlichen Aneignungsfähigkeit‹, wie der Phrasendrusch in der ›Erklärung‹ der Welscher von 1889 lautete. Die deutsche Sprache ist offenbar nicht leicht ums Leben zu bringen, denn in der Dichtung der echten Dichter lebt und webt sie noch unangetastet, unbesudelt wie alle Sprachen der andern großen Bildungsvölker. Von der Gefahr, die auch dieser Sprache droht, wurde früher gesprochen (S. 71).

Die Welscher werfen den Reinigern der deutschen Sprache vor, sie handelten ›gewalttätig‹! Die Aussäer und Pfleger des Unkrautes beschimpfen die getreuen Ackersleute, die das Unzeug ausreuten und neuen Weizen streuen, verächtlich ›Reiniger‹; aber sie können selbst dies nicht in reinlicher Sprache sagen, sondern welschen: Puristen. Die verkehrte, die verdrehte Welt! Und es gibt leider manchen wackern Ausjäter und Sämann, der sich durch solche Umdrehung aller Wahrheit verblüffen und verschüchtern läßt. Daß ich keiner dieser Zagen bin, wird der Leser gemerkt haben, und ich kann ihm nur raten, bei jeder passenden Gelegenheit im Streiten wie im Handeln meinem Beispiel zu folgen und zur Katze – Katze zu sagen.

Muß ich im einzelnen nachweisen, wie das Welschwort das deutsche Wort ertötet? Ich brauche nur in einem beliebigen Fremdwörterbuch zu blättern, um an ungezählten Beispielen zu zeigen, wie das Welschwort sich den Vortritt vor dem deutschen angemaßt hat. Energisch protestieren lautet heute die festgegossene ständige Redensart, nicht: entschieden Einspruch erheben. Die Kurage hat in weiten Kreisen nahezu den Mut verdrängt. Die Nation ist mindestens ebenbürtig dem Volke geworden und beginnt es langsam zu verdrängen. Über ›völkisch‹ neben national wird die Nase gerümpft, allerdings fast nur von den Unvölkischen. Wir hatten einst ein untadliges Deutschwort Quehle; es ist fürs Hochdeutsche vollständig durch Serviette totgeschlagen worden, kümmert sein Leben nur noch im Niederdeutschen hier und da fort. Es wieder einzubürgern, ist undenkbar; dagegen wäre es eine Kleinigkeit für einen unsrer führenden Welscher, das englische Napkin in Schwung zu bringen.

Wer kennt heute noch ein deutsches Kernwort für Scharnier? Allenfalls gibt es in der gehobenen, in der Dichtersprache noch Angel. In Süddeutschland sagt das Volk zuweilen: Gewerbe, anderswo Gelenk; das eigentlichste Deutschwort Haspe ist so gut wie tot.

Wieviele deutsche Kern- und Kraftwörter sind durch das lächerliche solid geknickt oder ausgetrampelt worden! Wie verhältnismäßig selten hört man noch im Volke: redlich, gewissenhaft, tüchtig, zuverlässig, dauerhaft! Zweifellos viel seltener als das sprachwissenschaftlich gemeine reell. Die sinnlose Endung ell wird an beliebige Welschwörter angeleimt ( kulturell, rationell, generell, ideell, individuell), und kein Sprachgebildeter, erst recht kein Ungebildeter nimmt an dieser Roheit Anstoß. Hingegen die wirksamen Endungen bar, sam, haft, schaft verdorren, treiben keine neue Schösse: hundertmal eher wird das sprachlich niedrige Welschwort experimentell hingeschmiert, als etwa versuchlich, versuchsam, versuchbar gewagt. Der Schreiber solcher gutdeutscher Bildungen würde von dem welschenden Schmierer als nationalistischer Purist verhöhnt werden; jeder Gummistempler dagegen kommt mit experimentell in den Geruch der ›Wissenschaftlichkeit‹.

Mir erscheint dieser ganze jammervolle, meist hoffnungslose Kampf mit dem übermächtigen Welsch ums Dasein der deutschen Sprache noch außer dem Schwamm und dem Krebs unter dem Lebensbilde der Schlupfwespe, die in die Schmetterlingspuppe eindringt und sie auffrißt.

Das Wesen der deutschen Sprache ist schrankenlose Lebensfülle; es gibt keine Sprache auf Erden, die sich nur von weitem an Schöpfergabe der Neubildung mit ihr vergleichen läßt. Aber grade an die Wurzeln dieser überschwänglichen Lebenskraft legt die Welscherei die tötende Axt: Wozu Neubildung, wozu überhaupt Leben, wenn sich jede augenblickliche Lücke im hinfließenden Satz durch den Gummistempel mit einem welschen Kautschukwort ausfüllen läßt?

Es gibt ganze große Sprachgebiete, deren Kraftwörterschatz schon jetzt weit überwiegend welsch geworden ist; ich nenne nur unser öffentliches Leben, Staatsleben, Bürgerleben, wofür ja fast ausschließlich Politik gesagt wird. Um die Zeit des Aufschwunges deutschen Staatslebens, also um die Wende der ersten zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hatte die Vorherrschaft der Welscher den sprachschöpferischen Geist in Deutschland schon völlig gebrochen, und man wagte nicht einmal den Versuch, neues deutsches Leben mit neuen deutschen Wörtern oder mit wohlgeeigneten alten auszusprechen.

 

Die deutsche Auslandskrankheit

So weit über die deutsche Sprachkrankheit selbst; nun zu ihrer Geschichte und ihren Ursachen, – zur Genesis und Ätiologie, sagt die wissenschaftelnde Welscherei. Als Entschuldigung der Verschmutzung unsrer heutigen Sprache führen ihre Verschmutzer an, es habe im Deutschen von jeher Fremdwörter gegeben; zuerst, in den ältesten geschichtlichen Zeiten, die zu guten Lehnwörtern gewordenen Anleihen bei den Römern; in der mittelhochdeutschen Zeit die den Franzosen nachgeschriebenen Fremdwörter, die sich sogar bei den meisten mittelhochdeutschen Dichtern finden. Über die ältesten Lehnwörter wird an andrer Stelle (S. 161) gesprochen. Die altfranzösischen Fremdbrocken, die übrigens zum allergrößten Teil längst wieder ausgeschieden worden, finden sich vornehmlich bei solchen mittelhochdeutschen Dichtern, die nach französischen Vorlagen geschaffen haben, so bei Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach. Bemerkenswert ist, daß der nach Stoffen und Formen von Frankreich unabhängige Walther von der Vogelweide in vollkommen reiner deutscher Sprache geschrieben hat. Wie kann man aber die paar Dutzend altfranzösischer spielerischer Wendungen, die von deutschen Umdichtern französischen Vorlagen nachgeschrieben wurden, vergleichen mit dem aufs Mehrtausendfache angeschwollenen Fremdwörterbuch heutiger noch sogenannt deutscher Sprache!

Welche geschichtliche Ursachen die Verwelschung unsrer Sprache begünstigt haben, darunter auch, keineswegs vornehmlich, die staatliche Ohnmacht Deutschlands nach dem 30jährigen Kriege, das ist so allgemein bekannt, daß es hier keiner eingehenden Darstellung bedarf. Sich aber am hellen Tage des 20. Jahrhunderts noch zu berufen auf die jammervolle Ohnmacht des 17., um die noch immer anwachsende Verschmutzung unsrer Sprache zu rechtfertigen, das läuft doch hinaus auf die Entschuldigung jenes Russen: Bei uns wurde im Beamtentum immer bestochen und gestohlen, – warum soll denn nicht weiter bestochen und gestohlen werden?

Und dann der große Unterschied zwischen der Welscherei des 17. und der des 20. Jahrhunderts! Dazumal sagten die Welscher ganz offenherzig, was sie dachten: Latein und Französisch sind feiner als Deutsch, darum schreiben wir mitten zwischen dem Deutschen zu feinerer Mischung Latein und Französisch. Die heutigen Welscher singen Loblieder auf die wonnesame traute deutsche Sprache, schreiben aber in Tausenden von Fällen Undeutsch, weil, wie sie erklären, in jedem dieser Fälle kein einziges deutsches Wort sich mit dem welschen ›deckt‹, was in ehrlicher Sprache nur besagen kann: die wonnesame traute deutsche Sprache versagt in Tausenden von Fällen. Das 17. Jahrhundert, tiefverwelscht wie es war, übertraf an Wahrhaftigkeit das 20. mit seinen spitzfindig tiftelnden Rechtfertigern der Welscherei. Hierbei lasse ich außer Betracht die großen Fortschritte, welche die sprachwissenschaftliche Erkenntnis seit dem 17. Jahrhundert gemacht hat oder haben sollte.

Mit der Fremdwörterei ist es doch schon viel besser geworden, höre ich oft und höre ich manchen Leser sagen. Ich bestreite das und kann meine Ansicht beweisen. Die an die Besserung Glaubenden halten sich an manche erfreuliche Reinigungen im Kleinen und Kleinsten, die jedoch für den Gesamtzustand unsrer Sprache so gut wie nicht in Betracht kommen. Ja wohl, die Post-, die Heeres-, die Gerichtsverwaltung haben manches Hundert überflüssiger Fremdbrocken ausgemerzt. Namentlich während des Weltkrieges bekamen wir fast täglich sehr schöne, gewiß ernstgemeinte Verordnungen oder Ermahnungen deutscher Behörden gegen die Fremdwörterei zu lesen. Ich stelle dem gegenüber einfach fest: die höchsten Leiter unsrer Behörden, Namen brauche ich nicht zu nennen, denn jedermann kennt sie, sprechen und schreiben im Kriege genau dieselbe Fremdwörtersprache wie ehedem, halten es also mit ihren Verordnungen ebenso wie die wissenschaftlichen Welscher, die schmerzbewegt die Fremdwörterei rügen – bei allen Andern. Solange es in Deutschland möglich ist, daß deutsche Unterrichtsminister schöne Verordnungen gegen überflüssige Fremdwörter, besonders gegen immer neue erlassen, aber nichts daran auszusetzen finden, daß die ehrliche alte Mädchenschule in ein jedermann unverständliches Lyzeum und Oberlyzeum umgewandelt wird, erscheinen mir die schönen Verordnungen wie die schönen Sandbauten der am Meeresstrand spielenden Kinder.

Die tatsächliche Herrschaft über den Zustand unsrer Sprache üben keine Verordnungen, übt auch nicht die Schule, sondern die Wissenschaft und die Presse. Die deutsche Wissenschaft, die keiner Verordnung zu gehorchen braucht, spricht fast durchweg Welsch, und da sie die vornehmste Geistesbehörde Deutschlands ist, so bildet ihre Sprache das Vorbild für die meisten Schreiber. Die Presse aber, diese dauernde Lehranstalt jedes Volkes, wird von Männern der welschenden Wissenschaft vorgebildet und schreibt die Sprache ihrer Lehrer: Welsch. Der sprachliche Einfluß der fast durchweg welschenden Presse ist unendlich größer als der einiger trefflich verordnender, aber selbst weniger trefflich schreibender Behörden.

 

Vor einigen Jahren urteilte eine damals Deutschland gegenüber anständige französische Literaturzeitung in der Besprechung eines neuen Bandes von Karl Lamprecht: › L' Auslaenderei est toujours encore un défaut des Allemands‹, womit sie höflich den Satz umschrieb: Wieder ein deutsches Buch in halbfranzösischer Sprache. Für die einem Franzosen ebenso unfaßbare als widerwärtige Ausländerei fand der Schreiber kein französisches Wort, mußte sich also eines deutschen Fremdwortes bedienen!

Als beim Ausbruch des Krieges im Sturm der deutschen Begeisterung das Schild des weithin bekannten Café Français in Leipzig niedergeholt wurde, rief ein alter Leipziger arglos entzückt aus: ›1870 haben sie das eegal so scheene gemacht!‹

Noch ein ebenso ›scheenes‹ wie wahres Geschichtchen: Die deutsche Besitzerin eines Landhauses für Fremde in Warnemünde änderte im August 1914 die frühere, vornehmlich auf russische Gäste berechnete Bezeichnung Datscha aus glühender Vaterlandsliebe in: Villeggiatur.

Ich fahre mit Geschichtenerzählen fort, bemerke aber zuvor auf die etwaige Frage, was solche vereinzelte Geschichten beweisen? –: sie sind nicht vereinzelt, sondern sie sind ein winziger Ausschnitt aus der Ausländerei unsers ganzen öffentlichen Lebens und sie beweisen, was eigentlich kaum noch bewiesen zu werden braucht, daß ein weitverbreitetes Undeutschland mitten in Deutschland liegt. – Eine der großen Berliner Zeitungen, eine sonst gutdeutsch gesinnte, schließt einen schwungvollen Aufsatz über die deutsche Kriegsanleihe: ›Wir zweifeln nicht, daß es zu einer wahren Levée en masse kommen wird.‹ Also bis in die wahrhaft deutschen Reihen macht sich die Wirkung der sprachlichen Fremdenlegion in Deutschland fühlbar.

Mit witzig sein sollendem Spott berichten deutsche Zeitungen, daß die Pariser Riechstoffhandlungen im Kriege statt Eau de Cologne feilhalten: Eau de Pologne; werfen sich wohl gar in die Brust ob der deutschen › kosmopolitischen Unbefangenheit‹, der ›weltbürgerlichen Aneignungsfähigkeit‹. Ich trete, gleichfalls im Kriege, in eine feine Butterhandlung Berlins und sehe ein großes frischgefertigtes Schild: ›Deutscher Fromage de Brie‹. Warum denn nicht? Deutsche Dichter sammeln ihre Liedlein zu ›Deutschen Chansons‹; deutsche Rennställe veranstalten das ›Deutsche Derby‹ auf dem ›deutschen Turf‹ mit Handicap und englisch-französischen Pferdenamen; wir erfreuen uns einer ›Deutschen Revue‹; wir sind besorgt ums ›deutsche Prestige‹; deutsche Minister sprechen zu deutschen Volksvertretungen in französischen Brocken; ein deutscher Hof ist erst vollkommen mit einer Maison militaire (S. 37); deutsche Kriegshilfe hat ein Zentraldépôt; die kaiserlichen Statthalter in den besetzten feindlichen Gebieten heißen Generalgouverneur; ja, in Brüssel hat sich sogar eine ›Bildungszentrale des Generalgouvernements‹ – darf ich sagen: aufgetan?, oder nicht auf Gebildet besser: etabliert, konstituiert, organisiert, installiert, zentralisiert und ihre Aktion durch ein Zirkular inauguriert?

Möchtest du, mein Leser, dich nicht einmal in aller Geschwindigkeit überzeugen, daß du die sprachliche Ausländerei in deiner eignen Westentasche mit dir herumträgst? Zieh deine Taschenuhr heraus, öffne Außen- und Innenkapsel – ach so, ich muß diese, damit du mich verstehst, Cuvette nennen –, und schau einmal auf die kleine Scheibe zur Gangberichtigung ( Regulierung). Das Vorrücken wird durch A ( Avancer), das Verlangsamen durch R ( Retard) bezeichnet. – Ich höre die Entschuldigung der ›weltbürgerlichen Aneignungsfähigkeit‹: die meisten Taschenuhren kommen aus der französischen Schweiz. Freilich, aber keinem deutschen Uhrenhändler fällt es ein, den Erzeugern in der Schweiz deutsche Bezeichnungen vorzuschreiben. Die englischen Händler schreiben ihnen F ( Fast) und S ( Slow) vor. Merkst du den Unterschied? Es ist der kleine zwischen Herren- und Dienervolk!

Ich habe, wie gewiß viele Leser, deutsche Zeitangaben mit a. m. ( ante meridiem, Vormittag) und p. m. ( post meridiem, Nachmittag) gesehen; denn in England gibt es nur solche Zeitangaben, und das von Gott gebührendermaßen zu strafende England ist für Undeutschland maßgebend, sintemalen ›das Ausländische immer einen gewissen vornehmen Anstrich für uns hat‹ (Otto von Bismarck, 1849).

Sprachliches und sonstiges Bediententum. Das Wort ist nicht von mir, die besten Männer Deutschlands haben es seit Jahrhunderten auf die deutsche Ausländerei angewandt:

Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei:
Folgt daraus, daß Frankreich Herr, aber Deutschland Diener sei?
Freies Deutschland, schäm' dich doch dieser schnöden Kriecherei!

(Logau.)

›So geht es mit den Teutschen, daß sie immerdar wähnen, des andern Kuh habe ein größer Euter. Aus diesem ist geflossen, daß die Teutschen mehr von Indianern wissen zu sagen denn von Teutschen. Kunst, Sprach, Weisheit, Red und Taten, die lassen sie demütig andern, ja geben es ihnen selbst und rühmen und bewundern fast törigt andrer Rat, Tat, Bücher, Lehre, Red, und gefällt einem Teutschen nichts, was sein eigen ist, sondern der Fremden Sitten, Sprachen, Kleidung, Geberden ... Und in Summa wie die Affen sich anmaßen, also daß Germania itzt voll teutscher Franzosen ist. Ein Franzos wünscht sich nicht, daß er ginge, redt wie ein Teutscher. Ein Ungar nähme einen teutschen Rock nicht geschenkt. Ein Teutscher hat aber des ein Wollust, mag nit sein eigen Sprach, Kleidung. (Anton Pirkheimers ›Traktat an die Teutschen‹ von 1515, genau vor 400 Jahren!)

Die Franzosen betrachten denn auch die deutschen Welscher als ihre sprachlichen Bedienten. Sie haben uns dies seit Jahrhunderten ins Gesicht gespien –, geholfen hat es nichts. Im Jahre 1783 schrieb der Franzose Rivarol in einer von der Berliner – nicht von der Pariser! – Akademie Preisgekrönten Schrift ›Über die Weltherrschaft der französischen Sprache‹ den ewig denkwürdigen Satz: ›Wir lernen die Verachtung der deutschen Sprache von den Deutschen.‹ Hat sich seit diesem von einer deutschen Akademie preisgekrönten Satz etwas Wesentliches im sprachlichen Undeutschland geändert?

Oh, man möchte wohl anders, aber man mag in Wahrheit nicht, denn man kann nicht. Laß dich, mein Leser, nicht täuschen durch bloßes deutschtuendes Gerede in Undeutschland! Dergleichen hört sich sehr patriotisch und national an, ist aber nur Wortgebimmel. Eine große anständige süddeutsche Zeitung druckt ›Die zehn Gebote des Krieges‹, darunter dieses: ›Laß dich nie mehr gelüsten nach deiner Nachbarn Sitte, Unsitte, Sprechweise und Tracht, noch nach irgend etwas, das nur für die Fremden gemacht ist‹. Ich habe mit einem Kantel einen Rahmen von 15 Zentimetern Breite rings um jene überaus patriotischen und nationalen Zehn Gebote abgemessen und die Wörter der fremden Sprechweise im Raume dieses Rahmens gezählt: es waren nur 27, davon 11 Französeleien, nicht mehr.

Man kann doch aber solche unschuldige kleine Ausländereien treiben, ohne daß der Patriotismus, die nationale Gesinnung, – oh pardon! die Vaterlandsliebe dadurch Schaden nimmt.‹ Wollen wir, mein Leser, uns nicht mit rückhaltloser Offenherzigkeit auch über das Wesen echter Vaterlandsliebe klarwerden? Wollen wir nicht endlich einsehen, daß uns die redensartlich gewordene ›Vaterlandsliebe‹ aus dem Elend Undeutschlands nicht erlösen kann, sondern daß wir dazu dessen bedürfen, was alle unsre Feinde besitzen und wodurch sie ihr Volkstum unbeschädigt, unbesudelt durch die Jahrtausende hindurch getragen haben: die Vaterlandsleidenschaft? Einzig sie, die tiefe läuternde Leidenschaft, kann uns retten: mit der lauen Liebe, die jeder im Munde führt, auch der ärgste Welscher, ist nichts getan. Nur die Völker, die mit leicht reizbarer Leidenschaft, mit schnell verletztem Ehrgefühl jedes ihrer Güter, und wäre es nur ein Satz, ein Wort, behüten, nur sie drücken einem stetig wachsenden Teile der Menschheit ihr Gepräge auf und schreiten als Herrenvölker durch die Zeit. Nur ein deutschsprechendes deutsches Volk kann Herrenvolk werden und bleiben. Unterwirft es sich den Sprachen andrer Völker, so begibt es sich in deren Hörigkeit. – Einem deutschen welschenden Professor war es vorbehalten, inmitten des Weltkrieges den schmachvollen Satz niederzuschreiben: ›Ich kenne nur eine Privatehre, eine Volksehre gibt es nicht.‹ Zum Glück hatte ein andrer deutscher Professor, Friedrich Schiller, mehr als 100 Jahre zuvor geschrieben:

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre –

und hatte zu einer Zeit, als er Deutschlands Verhängnis herannahen fühlte, in einer unvollendet gebliebenen Dichtung seinem Volk über alle Zeitenferne zugerufen, was auf Seite 177 zu lesen steht und von jedem Deutschen auswendig, noch mehr inwendig gelernt werden sollte.

 

Deutsche Sprachehre

Daß es eine Volksehre gibt, sehen wohl selbst die meisten deutschen Welscher ein. Daß jedes große Volk seine Sprachehre haben und hüten muß, ist den unbelehrbaren Welschern unfaßbar, denn ihnen ist die Sprache nur Verständigungsmittel, nicht heiliges Leben der Volksseele. Man hat dumme unreife deutsche Mädchen, die mit französischen Kriegsgefangenen geliebäugelt, ins Gefängnis gesperrt ›wegen Würdelosigkeit‹. Wie denkt der Leser über deutsche Würde angesichts folgender recht bekannt gewordener Vorkommnisse inmitten des deutschen Weltkrieges? Ein preußischer Hauptmann weist voll Entrüstung zurück eine ihm ins Feld geschickte Zigarettenschachtel mit der Aufschrift: › Extra Noblesse de la fabrique Patria à Posen‹ und fragt in der Täglichen Rundschau: ›Wird es noch nicht anders?‹ Er hatte gefühlt, was wir alle wissen: Es wird nicht anders.

In einer salbungsvollen, ebenso ethischen wie patriotischen Kriegsrede fordert ein deutscher Pädagoge im Kriege im Interesse der deutschen Zukunft ›eine schärfere Disziplinierung, eindringlichere Zivilisierung, Kultivierung, Moralisierung und Divinisierung der Jugend‹. Alle diese wundervollen Ierungen der deutschen Jugend sind nur auf Undeutsch möglich.

In Leipzig wurde während des Weltkrieges an dem großartigen Bahnhofsplatz ein großartiger neuer Gasthof fertig. Wie ward er benannt? Etwa nach Hindenburg? O viel großartiger: Hotel Astoria! Zu Ehren Amerikas, das den Tod von Hunderttausenden unsrer Brüder verschuldet. Zu Ehren der längst stockenglisch-amerikanischen deutschfeindlichen Dollarraffersippe Astor. Und das Leipziger Polizeipräsidium, Dezernat für Revisionen von Hochbauten, hatte nichts dagegen. Warum denn auch nicht? Es handelt sich ja um eine ›deutsche Verkehrssitte‹.

Mitten im Kriege suchte das Heringsdorfer Kurhaus durch Zeitungsanzeige: ›1 flotten Saucier, 1 Entremetier, 1 Rotisseur mit Zeugnissen erster Häuser‹. Der Zeitung kommt es natürlich nicht in den Sinn, dem welschen Kurhause in Heringsdorf zu erklären: Rücken Sie Ihre Anzeige in den Matin ein, nicht in ein anständiges deutsches Blatt!

In Berlin gab es bis zum Ausbruch des Weltkrieges eine Schnapsschenke für Kavaliere, Gents und Gentlemen: The Queen Bar. Nach der Kriegserklärung Englands erfrechte sich dieser Bums, sich umzutaufen in: ›Hoch Deutschland!‹, gleichwie der Biermusikstall › Piccadilly‹ sich am gleichen Tage › Café Vaterland‹ umzunennen erdreistete, alles mit Zustimmung der Polizei, wahrscheinlich des Dezernats für Restaurationswesen. Aber warte nur, balde, balde nach dem Krieg!

Im Frühling 1914 erschien in Leipzig eine Volksausgabe – für das welschdeutsche Volk – von Richard Wagners Werken. Wie hieß sie stilgemäß? Nationaledition.

Ein deutsches Hoftheater führt das vaterländische Schauspiel › 1812‹ auf und kündet auf dem Zettel: › Abonnement suspendu‹. Wenn die Franzosen uns im Weltkriege besiegen sollten, könnte es viel schlimmer um die deutsche Sprache stehen? Ganz Frankreich brüllt uns stündlich sein Boches, also Schweinehunde! Hundsfötter! entgegen, verhöhnt unsre Sprache als ›das Bosch‹ (vgl. S. 52); – der deutsche Welscher zuckt mitleidig überlegen die Achseln und beruft sich auf seine ›weltbürgerliche Aneignungsfähigkeit‹.

Und nach diesen Beispielen, wenigen von den unzähligen, die man blindlings – mit der Zange, mit der Mistgabel – aus dem ausländernden Unflat jedes Tages herausgreifen kann, frage ich den Leser: Hat das deutsche Volk sprachliche Würde und Ehre? Der Deutsche ist der einzige Mensch auf Erden, der seine Muttersprache verachtet, der sich ihrer schämt. Dies ist die nackte Wahrheit, und kein begeisternd tuendes Gesinge von ›Muttersprache, Mutterlaut‹ darf uns über sie hinwegtäuschen. Es gibt die bekannte Englische Krankheit, die Erweichung des leiblichen Knochengerüstes; wir Deutsche leiden an der viel weniger bekannten Deutschen Krankheit, der seelischen Knochenerweichung. Es sollte sich in Paris, London, Rom, selbst in Petersburg ein Mensch ohne vaterländische Würde beikommen lassen, eine einzige der sprachlichen Ehrlosigkeiten an offner Straße zu begehen, die uns in Deutschland auf Schritt und Tritt entgegenschreien, was würde sein Schicksal sein? Ich habe mehr Achtung vor dem französischen Händler mit Eau de Pologne als vor dem deutschen mit ›deutschem Fromage de Brie‹, ja selbst mit Eau de Cologne.

Da streiten sich die Leut' herum, warum den Deutschen der Haß der ganzen Welt verfolgt. Hier und da hat man unter den Gründen dieses Hasses allerlei Läppereien aufgestöbert, bis zum Jägerhemd und Lodenrock der deutschen Wanderer, die unser gutes Gold in das uns stets abgünstig und gehässig gesinnte Ausland trugen. In diesem Zusammenhange hat man sogar etwas von einem ›deutschen Mangel an Würde‹, nämlich dem des Lodenrockes, geflüstert. An der schmachvollen Würdelosigkeit, daß ein so gewaltiges Volk wie das deutsche selbst noch in seinen Todesnöten des furchtbarsten Ringens der Weltgeschichte die Sprachen seiner giftigsten Feinde anbettelt, sind ›die deutschen Wortborger und Allerweltsanpumper‹, wie Vischer uns nannte, blind oder heuchlerisch vorübergegangen. Die geistige Hörigkeit dem Auslande gegenüber ist würdeloser als Jägerhemd und Lodenrock. Wir sind das Volk ohne festgefügte Muttersprache, das Volk ohne Schatten: der Peter Schlemihl unter den Völkern. So oft ich mich mit einem Welscher unterhalten habe über die Frage: In welcher Sprache wird das siegreiche Deutschland mit den Besiegten verhandeln?, bin ich ausgelacht worden mit meiner Forderung, es dürfe einzig in deutscher Sprache über den deutschen Frieden gesprochen werden. Der siegreiche Boche wird die vornehmere Sprache des besiegten ›ritterlichen Franzosen‹ stammeln. Dies lasse ich stehn und lass' es gern drauf ankommen, dereinst ins Unrecht gesetzt zu werden.

Hüten wir uns, o meine Brüder, daß wir nicht völlig gleich werden unsern sprachlichen Lehnsherren, den Franzosen: der hohlen Phrasenmacherei zu verfallen. Hören wir ein für allemal auf, Muttersprache, Mutterlaut! zu singen, bis wir gelernt haben, die Mutterlaute der Muttersprache zu achten und nicht zu fordern, daß ein deutsches Wort sich ›decke‹ mit dem gemeinsten Welschwort, um des Zutritts in die vornehme Bildungssprache gewürdigt zu werden. Hören wir endlich auf, Geibels edles Wort:

Und es mag an deutschem Wesen
Einmal noch die Welt genesen –

ohne tiefes Mitempfinden nachzuplappern; sondern horchen wir auf das Mahnwort desselben Dichters in seinem Trinkspruch von 1871:

Wenn heut die ›patriot'schen‹ Gläser klingen,
Dann sagt man wohl: Es soll die Welt genesen
Noch einmal wieder an dem deutschen Wesen –
Deutsche, genest ihr selbst vor allen Dingen!

Und lassen wir uns noch von einem andern deutschen Dichter an Herz und Gewissen rühren, von Karl Immermann, der als Jüngling zornvolle Verse zurief seinem verwelschten Volke:

– Das seines Banners Farben feig verhüllt
Und mit entartet buhlerischem Trachten
Dem Fremden huldigt, das ihm höher gilt;

Es werde Knecht, denn es ist Knecht geboren;
Es hat sich selbst geschändet und verloren.

 

Gelehrttuerei, Pennälerei

In gemütlich behäbigem Spott hat Goethe einmal seines Herzens Meinung über den Kern der ganzen Sprachfrage kundgetan:

Der Deutsche ist gelehrt,
Wenn er sein Deutsch versteht
;
Doch bleib' ihm unverwehrt,
Wenn er nach außen geht.
Er komme dann zurück,
Gewiß um viel gelehrter,
Doch ist's ein großes Glück,
Wenn nicht um viel verkehrter.

Viele Welscher kennen diesen Spruch und lächeln darüber: Der gute Goethe! Gelehrt mit Deutsch allein? Kindlicher Wahn, den man diesem nun mal hochberühmten alten Herrn konzedieren mag, der aber jeder wissenschaftlichen Fundamentierung entbehrt. Für die ganze Welt, nicht bloß für Deutschland, gilt Goethes Spruch in dem Sinne, daß man für einen hochgebildeten Menschen zu gelten hat, wenn man seine Muttersprache vollkommen beherrscht, sich in ihr edel und künstlerisch ausdrückt. In Deutschland gehört zur Gelehrsamkeit unerläßlich die Kenntnis von Fremdsprachen mancherlei, zum mindesten drei oder vier; doch wird keiner im reifen Alter auf seine wirkliche Gelehrsamkeit geprüft, keiner nach seinen fremdsprachlichen Papieren gefragt: als Ausweis genügt die durchs Welschen in möglichst vielen Sprachen an den Tag gelegte Scheingelehrtheit. Wirkliche Sprachenkenntnis kann sogar störend wirken: wer eine fremde Sprache gründlich kennt, ist meist zu stolz, um mit Bröcklein zu prunken, und schätzt sie zu hoch, um sie fremdwörtelnd zu verschandeln. Die welschende Gelehrttuerei ist in den meisten Fällen ein sicherer Beweis, daß der Herr Welscher von den geplünderten Sprachen nicht viel mehr als die Fundstellen fürs bequeme Mausen kennt.

›Soll ich denn meine akademische Bildung verleugnen?‹ (vgl. S. 62). Hier haben wir den musterbildlichen Ausdruck für den Seelenvorgang im Welscher: die Pennälerei. Dem Welscher ist in seiner scheingelehrten Haut nicht recht wohl; er fühlt sich trotz allem Dünkel gar nicht so sicher, wie er tut; leidet trotz allem an der heimlichen Furcht, der Inhalt seiner erhabenen Offenbarungen möchte doch vielleicht – es gibt so böse Menschen und so scharfe Augen – nicht jedermann auf der Stelle von der Strahlenkrone der Gelehrsamkeit umflossen erscheinen: besser ist besser, also zeige ich immer wieder die Papiere meiner Gelehrsamkeit vor, die Urkunde der höchsten Bildung, die da heißet Fremdwörterbuch. Sein Lebenlang schleppt der deutsche Welscher als der Ewige Pennäler sein Schulränzel mit sich und holt daraus bei jeder Gelegenheit die Beweise heraus, daß er von Kindesbeinen an Lateinisch, Griechisch, Französisch getrieben hat, also ein Mensch höherer Ordnung ist. Dem welschenden Pennäler genügt es nicht, etwas zu verschieben: auf Sankt Nimmerstag, auf die lange Bank, auf Pflaumenpfingsten, zu Pfingsten auf dem Eise, wenn die Böcke lammen, auf zweiten Sonntag vorm ersten Schnee, wenn der Kater Junge kriegt, – was alles jedermann, auch der Welscher, versteht; sondern stolz schreibt er: ad kalendas graecas, was nur einzelne Gelehrte genau verstehen. Wer aber wagt, solchem Beweise den Glauben an die ›akademische Bildung‹ zu versagen?

Wir haben das liebenswürdige Wort Johannistrieb für die Verjüngung im Alter. Ganz hübsch; aber der den Schein der Gelehrtheit suchende Ewige Pennäler muß selbst in solchem Falle lateinern, und wo das Latein versagt, erfindet er sich ein Latein nach seiner Fasson und wird dabei selig. Ein noch lebender ordentlicher deutscher Professor, die letzte Säule der grundsätzlichen Bekämpfung eines saubern Deutsch, Hans Delbrück, schreibt Rejuveneszenz, denn alles andre ist ihm › nationale Verschleimung‹.

Ein vermutlich großartiger Mann, ein Herr Bernouilli, möchte der Welt seine großartige ›wissenschaftliche‹ Entdeckung mitteilen: Je mehr einer schon besitzt, desto geringer ist seine Freude an der Vermehrung des Besitzes. Dieser Satz könnte aus einer Kinderfibel stammen, also muß er in erhabene Wissenschaft umgewelscht werden. Dies geschieht so: ›Der subjektive Befriedigungswert eines objektiven Quantums der Güter ist der Summe der von dem betreffenden Subjekte bereits besessenen Güter umgekehrt proportional.‹ Erst in dieser Fassung wird der Fibelsatz zur analytischen Psychologie oder Psychoanalyse, und wenn ich einer solchen Leuchte der Wissenschaft die pappene Welschermaske abreiße, so wird sie sehr böse, schimpft mich subjektiv und einen Puristen.

Was denkt sich der Leser bei dem Satze: ›Je stärker die Eiterung, desto stärker die Ätzung‹? Er wird sagen: Sehr richtig, aber das ist keine neue Offenbarung der Wissenschaft. Geduld, mein Freund, im Umsehen – Geschwindigkeit ist keine Hexerei – macht der welschende Scheingelehrte hieraus einen Satz, der an Wissenschaftlichkeit nichts mehr zu wünschen läßt: ›Die Intensität der Kauterisation muß proportional sein der Intensität der Blennorhoe.‹ He? Siehst du jetzt, wie unentbehrlich solche wissenschaftlichen Ingredienzien wie tät, isation, ional sind? Die Kunst dieser Wissenschaft ist nicht so leicht, wie du denkst; aber auch nicht so schwer, wie man dir vorschwindelt. Sie erinnert ein wenig an das Hexeneinmaleins im Faust:

Aus eins mach zehn,
Und zwei laß gehn,
Und drei mach gleich,
So bist du reich.

Sehr wohl, aber gelernt muß man das haben, und wenn du dich für ein Weilchen in meine Lehre begeben willst, so kannst du die wirksamsten Griffe dieser wissenschaftlichen Hexerei so gut wie irgendein welschender Wissenschafter vom Bau erlernen. Lies nach, was ich über die Geheimnisse der Welscherei schon früher ausgeführt (S. 68), und merke dir noch einige fernere Kunstgeheimnisse. Leihe dir von einem befreundeten Tertianer eine kleine lateinische und griechische Sprachlehre und lerne die Vorwörter, denn der vollkommne Welscher ist ohne sie nicht denkbar. Lerne für die Griechelei noch einige andre Künste, als da sind: neo (neu), miso (feindlich), pseudo (fälschlich), poly (viel), iso (gleich), pan (all), mono (allein), tele (fern), mikro, makro (klein, groß). Dies sind die häufigsten Vorderteile zusammengesetzter griechischer Wörter, und hast du erst einige Dutzend griechischer Wurzelwörter gelernt, so durchschaust du die Geheimnisse einiger Hundert überaus gebildeter Welschwörter.

Schwieriger, desto ergiebiger ist das Erlernen der zahlreichen Welsch-Endungen. So viel wirst du schon allein gemerkt haben, daß ismus die tiefsinnigste ist, daß aber auch ik, ist, istik den deutschen Mann der Wissenschaft zieren. Das ist allerdings ist schon zu arg ausgeschrotet: die Lageristen und Probisten haben es den Idealisten und Germanisten gleichgetan; hingegen ist mit ik, besonders mit iker noch Ehre einzulegen. Carl Busse z. B. nennt Geibel einen Balladiker, eine Sprachfeinheit auf der Höhe von Budiker. Als Goethe und Schiller ihr Balladenjahr durchlebten, kam keiner von ihnen auf diese Bezeichnung ihres Tuns, – ein Beweis mehr, wie entwicklungsfähig trotz allem unsre arm Sprak, unsre plump Sprak ist. Gichtiker wurde auch schon von einem unsrer Sprachmeister gewagt, und der Alpiniker gilt mit Recht für noch vornehmer als der Alpinist. Wie wär's mit Novelliker neben Dramatiker? Mit Schlachtiker und Bühniker? Und wie mit Geistiker zur Ablösung des nachgerade schon etwas anrüchig werdenden Intellektuellen?

Leimst du gar unbekümmert um Sprachgesetze, ja um jeden sprachlichen Anstand an griechisches ist deutsches isch, so gewinnst du im Umsehn mehr als 500 Welschwörter von solcher Vornehmheit, daß kein noch so gutes deutsches Wort sich damit ›deckt‹. Die größten deutschen Gelehrten machen es nicht anders, und wenn du dich nicht schämst, deine Sprache mit andern roh zusammenzumanschen, so nimmst du es mit der Sprache der berühmtesten Gelehrten und Scheingelehrten auf.

Die Kenntnis der bestbewährten Prima-Prima lateinischen Welschendungen erwirbst du dir durch oberflächliches Blättern in einem beliebigen Fremdwörterbuch. Die Kenntnis von tät, ität, ation, ition, otion, ution, ifikation, al, ell, iell, isieren, izieren, ifizieren, izität und ähnlicher Hilfsmittelchen setze ich bei dir voraus. Merke dir jedoch, daß neuerdings noch etwas feiner als die durch Überwelscherei mit der Zeit deklassierten ist und istisch die iv und ivisch geworden sind. Vergiß auch nicht, daß du alle Endungen, griechische, lateinische, französische, deutsche beliebig durcheinander quirlen darfst. Sprachgesetze gibt es hierfür nicht, Geschmack hat überhaupt nichts mit Welscherkunst zu tun: du kannst dir also ein Bild machen von den völlig unbegrenzten Möglichkeiten, dem Gebrauche deutscher Wörter aus dem Wege zu gehen und mit schier göttlicher Unbekümmertheit unter den Dutzenden von täten, itäten, ierungen, isierungen, izitäten, ivitäten usw. zu wählen. Wiederum sage ich dir: die berühmtesten Leuchten deutscher Wissenschaft treiben es sprachlich nicht anders. Der Gefahr, eine blitzeinfache Sache redlich durch ein blitzeinfaches Wort auszudrücken, kannst du stets entgehen, wenn du folgende wenige Beispielchen gründlich durchforschest. Ranke will nicht Ehe schreiben, denn so schreibt ja auch seine Köchin, und Ehe ist ganz und gar nicht gelehrt. Er schreibt › maritales Verhältnis‹, und sogleich waten wir tief in der Wissenschaft. – Du willst sagen: ›Die Vaterlandsliebe hat wie jedes Ding, jedes Gefühl zwei Seiten.‹ Sage: ›Es gibt eine Bipolarität der Gefühle,‹ und du stehst auf der sprachlichen Höhe Schellings. Soeben finde ich bei einem Herrn R. Scheu: Bilateralität, – Glück muß man haben!

Im Weltkriege entstand das Bedürfnis, zu der ›Einmischung‹, die selbstverständlich nur Intervention heißen konnte, ein persönliches Wort zu bilden. Kein Mensch in Wissenschaft und Zeitung verfiel auf ›Einmischer‹, denn der Deutsche lehnt ein deutsches Wort ohne weiteres – › a limine, a priori, eo ipso, implizite, prinzipiell‹ – ab. Nein, gestritten wurde, der Krieg ließ Zeit und Laune dazu, was ›besser‹, was ›richtiger‹ sei, und ganze tieftiftelnde Aufsätze, espritvolle Fölljetonkß, wurden geschrieben über den Vorrang von: Interventisten, Interventionisten, Interventionalisten, und es entstand ein Hallo, als ein Welscher, einer von den mehr schlichten, schüchtern vorschlug: Intervenisten. Kein noch so verwegener Purist wagte sich in den deutschen Männerstreit mit der Frage, ob man es nicht mit ›Einmischer‹ versuchen wolle. Vermeide solche deutsche Plattheiten wie Arme und Beine; obere und untere Gliedmaßen sind schon etwas vornehmer, aber doch eben nur deutsch; schreibe Extremitäten, so ist dies zwar nicht einmal Küchenlatein oder Kellnerfranzösisch, aber feinstes Welsch.

Schiller überschreibt seine Doktorarbeit: ›Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit der geistigen.‹ Du begreifst, daß eine solche schlichtdeutsche Bezeichnung sich für einen Klassiker eigentlich nicht schickt; ein hochgelehrter Germanist kommt darüber und übersetzt Schillers plumpe Überschrift in wissenschaftliches ›Deutsch‹: ›Der Connex der physischen und geistigen Natur des Menschen.‹ Geht dir die höhere Nüankße dieser Fassung nicht auf, so wird im Leben kein brauchbarer Welscher aus dir. – Das Gesetz von der Erhaltung der Kraft wurde von Robert Mayer und Helmholtz deutsch und allgemein verständlich benannt: Gesetz von der Erhaltung der Kraft; die ihnen nachfolgenden Koryphäen reden und schreiben fast nur noch von der › Konstanz der Energie‹ und schwingen sich dadurch hoch über Mayer und Helmholtz hinaus.

Erniedrige dich nicht zu solchen Alltagswörtern wie Wasserkraft; schreib' und sprich hydraulische Energie, und niemand wird an deiner akademischen Bildung zu zweifeln wagen. – Was ist ein Loch? Bist du geistreich, so antwortest du vielleicht: eine Lücke im Weltenbau. Geistreichsein ist gut, Gelehrsamkeit oder ihr Schein stehen höher im Preise; antworte: ›Die partielle, formell variable Negation einer relativen Totalität.‹ Denn die Hauptsache für einen Gelehrten oder einen, der dafür gehalten sein möchte, ist die Kunst, ›sich en parlant von der Canaille zu distinguieren‹, wie der dieses eine Mal witzige Gottsched die sprachliche Gelehrttuerei überaus glücklich benannt hat. Ebenso witzig, noch dazu in aller Herzensunschuld, fragte nach der gewiß zuverlässigen Quelle der Fliegenden Blätter ein vaterländisch bestrebtes Backfischchen seine ebenso vaterländische Tante zur Zeit des deutschen Hochschwunges im Weltkriege: ›Als anständiger Deutscher gebraucht man keine Fremdwörter mehr; aber – woran merken denn nun die Menschen, daß man gebildet ist?‹ Mit dieser nur zu wohl berechtigten bangen Frage eines in Einfalt ahnenden kindlichen Gemütes vergleiche man die stolzbewußte Entgegnung des akademisch gebildeten Museumsleiters auf S. 62.

O ihr dunkeln Abgründe der menschlichen Seele, ihr noch dunkleren der deutschen! Aus Vornehmtuerei wird bei uns in allen nach Vornehmheit strebernden, d. h. in allen sich überhebenden Schichten gewelscht. Vornehm möchte jeder Welscher mit seinem scheingelehrten Pennälerkram scheinen. Wie rätselhaft, daß noch keiner die obenaufliegende Wahrheit begriffen hat: Da jeder Schmierer welscht, genau so welscht wie der ernste, aber sprachlich verbildete Schreiber, so kann es doch nur eine echte Vornehmheit geben: nicht zu welschen, sondern Deutsch zu schreiben. Von der Einsicht in diese Binsenwahrheit hängt das Schicksal der deutschen Sprache in Deutschland ab.

Laß dich, mein Leser, nicht verblüffen durch die welschende Scheingelehrsamkeit! Hinter ihre gar durchsichtigen Künstlein und Künsteleien, hinter ihre ruppige Vornehmheit wirst du mittlerweile gekommen sein. Es gibt ein altes lustig zu lesendes Büchlein von Hermann Detmold: Anleitung zur Kunstkennerschaft (1838); darin wird der sprachliche Hokuspokus der Kunstschreiber mit vernichtendem Spott bloßgelegt. Die Kunst, in 24 Stunden ein vollkommner Welscher zu werden, hat für dich keinen Reiz; wohl aber läßt sich in kürzerer Zeit entdecken, woher die Scheingelehrsamkeit ihren Schein bezieht. Sei unerbittlich gegen diesen Schein, diesen dünnen brüchig absplitternden Firnis. Kratz ihn ab und sieh streng zu, was darunter sitzt: du wirst in den allermeisten Fällen, selbst bei nicht wertlosen Schreibern gewahr werden, daß durchaus keine neue tiefe Offenbarung unter dem Welschplunder steckt, sondern eine Dürftigkeit, die eben nur durch ihn aufgeputzt werden sollte. Der wahre wissenschaftliche Wert eines deutschen Buches besteht nur in dem, was nach der Verdeutschung seiner Welschbrocken übrig bleibt.

 

Das unvornehme Deutsch

Jedes Volk auf dem Erdenrund hält seine Muttersprache für die vornehmste; der Deutsche, d. h. der Welscher, hält Deutsch für unvornehm, jedenfalls für unvornehmer als alle von ihm geplünderte Fremdsprachen. Ohne die Vornehmtuerei hätte das Gewelsch nie seinen ungeheuren Umfang angenommen. Ein Wandel der Wertung des Welsch, ein kräftiger und nachhaltiger Anstoß von den Höhen des Volkes, von den Herrschenden oder den Geistigen, – und die Mode würde sich drehen: Welsch würde für so unvornehm gelten, wie es in Wahrheit ist; für unvornehmer, als Gummiwäsche zu tragen oder stählerne Messer abzulecken. Wohl erst dann würde diese höchst widerwärtige Bildungskrankheit geheilt sein.

In früheren Zeiten war man wenigstens ehrlich genug, die Unvornehmheit des Deutschen gegenüber dem Welsch treuherzig zu bekennen. Im 17. und 18. Jahrhundert schrieb man Welsch ohne wissenschaftliche Verbrämungen, besonders das französelnde um der größeren Fürnehmheit willen. Campe berichtet den köstlichen Einwand des Goethefreundes Philipp Moritz gegen Frühstück für Déjeuner: ›Es würde sonderbar klingen, wenn man sagen wollte: Der Prinz gab ein Frühstück‹. Schon damals ›deckte‹ sich das plumpe Deutsch nicht mit den Feinheiten des welschen Zeitalters.

Übertreibe ich etwa? Hat nicht z. B. die ganze überaus vornehme Welt der Hôteliers, besonders der Grandseigneurs der Grandhôtels sich gegen den deutschen Gasthof ausgesprochen, weil für einen anständigen Gasthof nur Hôtel passe? Und aus welchem andern Grunde als dem der größeren Vornehmheit schwelgt grade die höchste Bildung in Welschereien wie Lyzeum, Direktor, Kurator, Assistent, Sekretär, Redakteur, Redaktion, Präsident, Kustos und die Unbildung in der Vornehmheit von Friseur, Friseuse, Masseur, Maniküre, Pediküre, ondulieren? – Der Snob ist ein Schmock oder ein Fatzke; aber selbst der lächerlichste Snob behält einen Schimmer weltmännischer Vornehmheit gegenüber dem ehrlichen Schmock und Fatzke. – Smart ist um nichts mehr oder besser als etwa ›deftig‹. Smart ist vornehm, über deftig wird die Nase gerümpft, obwohl es ein untadliges altes, schon 1663 von Schottel erwähntes Wort ist. – Warum es leugnen: Poesie gilt den Meisten für vornehmer als Dichtung, Romancier als Romandichter, Chic als Schick, Situation als Lage, und ein Direktor ist unvergleichlich vornehmer als ein Leiter.

Wer wagt heute noch einen gutgekleideten Langfinger Dieb zu nennen? Der Mann darf nicht einmal an der Stehlsucht leiden, sondern an der Kleptomanie und wird hierdurch zum interessanten Objekt und Phänomen der experimentellen Psychiatrie oder Phrenologie. Ein Mensch der ›besseren Stände‹ stirbt nie am Suff, kaum an der Trunksucht, allenfalls am Alkoholismus, denn jeder Ismus hat eine reinigende Kraft.

Eines der vornehmsten Welschwörter des Geisteslebens ist zurzeit die Mentalität, die selbstverständlich für unvergleichlich vornehmer gilt als Seelenzustand, Gesinnung, Hirnverfassung, Geistigkeit. Es hat nie eine mönchs-, nie eine küchenlateinische mentalitas gegeben; aber seit etwa 5 Jahren ist die Mentalität in der Welschersprache da, und kein sich achtender Welscher läßt dies duftige Veilchen unbemerkt, das ihm am Wege blühet. Woher auf einmal dieses köstliche Gewächs? Weil die Franzosen ganz berechtigterweise zu ihrem romanischen Eigenschaftswort mental die mentalité geprägt und diese ebenso berechtigterweise jüngst in ihren wissenschaftlichen Sprachgebrauch eingeführt hatten. Die deutsche Wissenschaft besaß außer den vielen guten deutschen noch ein halbes Dutzend altbewährter welscher Wörter aus dem Küchenlatein für Seelenzustand usw.; kaum aber hatten unsre heimparisischen Welscher erfahren, daß die Herren Franzosen jetzt mentalité sagen, so mußte diese aufgeschnappt werden, und jetzt droht sie selbst das schönste Küchenlatein zu verdrängen. Sic transit – seufzt der Welscher.

Man denke nur an die entsetzliche Offensive , die uns im Weltkriege in jeder deutschen Zeitung vom Deutschen Reichsanzeiger zum Kuhschnappler Lokal- oder Generalanzeiger morgens, mittags, abends je zehnmal vorgesetzt wurde, bis Angriff, Vorgehen, Ansturm, Vormarsch wie Wörter aus einer andern, niederen Welt klangen, und bis uns die Welscher versichern durften, daß sich mit der einzigartigen Offensive nichts auf deutscher oder fremder Erde ›decke‹. In meinem Hause und Freundeskreise wurde dem Schwindel mit der Offensive dadurch ein Ende gesetzt, daß wir sie nie anders als Ofenseife nannten, gleichwie die Vornehmheit der Doppelnäselei Entente durch ihre Volks etymologisierung zum Ententee schon im Keim erstickt ward. Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabne in den Staub zu ziehn. Wie mögen es nur die kämpfenden Russen, Serben, Bulgaren, Türken, Griechen, Japaner anfangen ohne die ›unentbehrliche‹ Offensive?

Der welschende Schmock ertiftelt sich sogar Gradunterschiede der Vornehmheit seines Wortschatzes, die es nur in seinem Hirn gibt. Ich verweise auf die Rangklassen von Novum, Novität, Nouveauté (S. 19). Die sprachwissenschaftlich pöbelhafte Endung ell ist für den Welscher etwas besonders Vornehmes: zu den Sprachkleinoden jedes Welschers gehören individuell, originell, sexuell, reell (neben real) , ideell, formell.

Eine kleine feine Abart der Vornehmtuerei ist das Italienisch des Kunstschreibers. Wo der sprachlich Gesunde ›15. Jahrhundert‹ sagt, da heißt es bei jenem: Quattrocento, weil die Italiener so sagen. Kinder oder Engelein sind Putten, auf der höchsten Stufe der Vornehmheit Putti, weil die Italiener so sagen. Das Jesukind heißt auf Vornehm: Bambino, denn so sagt man in Italien. Maria mit dem toten Sohne heißt unbedingt Pietà, Mariens Himmelfahrt ist im Kunstschmockwelsch ausschließlich Assunta, obwohl Schmock keine Ahnung hat, was oder wer Assunta ist, und Christi Verklärung heißt in seiner technischen Terminologie gar fürnehm Transfiguration, in den Weihestunden seines Lebens Trasfigurazione.

Kein französischer, englischer, italienischer Gelehrter kommt je auf den unverschämten Gedanken, daß er, der noch so berühmte Einzelmensch, über seiner Muttersprache stehe, daß sie einmal nicht ausreichen könne, seinem kühnsten Gedankenfluge zu folgen, ja ihn zu überflügeln. Nur der deutsche Schreiber aller Stufen bläht sich vornehmtuerisch über die Sprache seines Volkes empor und sagt durch jedes seiner Tausende von Welschwörtern, daß für ihn das Deutsche ein längst überwundener Standpunkt, allenfalls noch die Domäne primitiver nationalistischer Puristen ist. Der große humanistische Philologe Birt in Marburg (vgl. S. 106) verkündet wörtlich: ›Eine von allem (?) Fremden gereinigte deutsche Sprache wäre nicht mehr diensttauglich [also ›dauernd unbrauchbar‹], nicht mehr lebensfähig; es wäre ein Zurückschrauben ins Primitive.‹ Hierdurch erfahre ich endlich, was ich bin: ein Primitiver, also so etwas wie einer aus der Steinzeit oder aus dem Weltalter der Bärenhaut.

So hoch gefürstet ist kein Fürst, ja selbst kein Professor, daß er nicht durch reines Deutsch an wahrer Vornehmheit gewönne, durch noch so vornehmtuerisches großartiges Welsch verlöre. Welsch ist durch und durch niedrig, gemein, unvornehm, oder, um von den Welschern besser verstanden zu werden, in ihrer Sprache: subaltern, inferior, ordinär, kommun, kommiss, vulgär, plebejisch.

Sehr alt schon ist der Spottgebrauch der Lustspieldichter, das unvornehme Geckentum durch seine blöde Fremdwörterei zu kennzeichnen: Lanzilot im Kaufmann von Venedig, Holzapfel in Viel Lärm um nichts sind köstliche Beispiele für den Späherblick des großen Seelenkündigers selbst in solchen Kleinigkeiten. Daß ein wahrhaft vornehmer Mensch je fremdwörteln könne, erschien dem englischen Dichter allerdings undenkbar. Bei uns hat ein Jahrhundert nach Shakespeare Leibniz der welschenden Vornehmtuerei gesagt, wie es in Wahrheit mit ihr stehe: ›Sagen sie (die Gelehrten), daß sie nach vielem Nachsinnen und Nagelbeißen kein Teutsch gefunden, so ihre herrliche Gedanken auszudrücken gut genugsam gewesen, so geben sie wahrlich mehr Armut ihrer vermeinten Beredsamkeit als die Vortrefflichkeit ihrer Einfälle zu erkennen.‹

 


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