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III.
Der alte Hof

Als ich den nächsten Tag spät am Vormittag plötzlich erwachte, hatte ich sofort das Gefühl, daß ich nicht allein im Zimmer wäre. Ich richtete mich im Bett halb auf und ließ den Blick umherschweifen. Ein schwarzer Kasten, der mir nicht gehörte und den ich auch vorher nicht gesehen hatte, stand auf meinem Tisch. Es war ein photographischer Apparat. Auf einem Stuhl neben dem Tisch saß ein Mann in mittleren Jahren.

Ich sank in die Kissen zurück, ohne eigentlich etwas zu begreifen, da ich vom Schlummer noch zu sehr verwirrt war.

Eine ruhige und liebenswürdige Stimme sagte:

»Bleiben Sie … bleiben Sie nur ruhig liegen und lassen Sie sich nicht stören.«

Das ist sicherlich er, dachte ich, der Polizeibeamte.

Ich fragte:

»Wie sind Sie eigentlich in mein Zimmer gekommen?«

»Ganz leicht,« erwiderte die liebenswürdige Stimme; »durch die Tür.«

»So müssen Sie sehr geräuschlos gegangen sein. Ich habe einen sehr leisen Schlaf.«

»Ja,« nickte der Mann, »ich wußte, daß Sie schliefen, und schlich deshalb sehr vorsichtig herein, ohne Lärm zu machen.«

Ich richtete mich im Bett wieder halb auf, starrte verblüfft den Mann an und fragte:

»Warum wollten Sie keinen Lärm machen?«

»Um Sie nicht zu stören.«

Der fremde Herr lächelte wohlwollend und sarkastisch zugleich.

Vom Bett aus konnte ich ihn sehr genau betrachten. Ich schätzte ihn auf fünfunddreißig oder vierzig Jahre. Er war von mittlerer Größe und breitschultrig. Sein Kopf war etwas zu klein für den breiten, starken Hals geraten. Er hatte einen Anflug von Glatze, einen graugesprenkelten Schnurrbart und trug einen schwarze geränderten Kneifer; dabei hatten seine Augen einen seltsamen, fortwährend wechselnden Ausdruck. Wenn er sie zukniff, lagen sie wie zwei schwarze Linien hinter den Gläsern des Kneifers; sein ganzes Gesicht bekam dann ein sarkastisches und mißtrauisches Aussehen; wenn er mich aber scharf ansah, wurden sie unnatürlich groß und stechend. Der Mensch machte auf mich nicht gerade einen sehr sympathischen Eindruck.

»Wer sind Sie?« fragte ich.

»Das haben Sie sicherlich bereits erraten,« erwiderte er. »Mein Name ist Asbjörn Krag.«

»Polizeibeamter?«

»Detektiv,« berichtigte er. »Die Bezeichnung ›Polizeibeamter‹ setzt voraus, daß man staatlich angestellt ist. Es ist aber schon lange her, daß ich gegen festes Gehalt tätig war. Ich bin durchaus mein eigener Herr und nenne mich deshalb auch Privatdetektiv. Uebrigens haben Sie recht, Sie schlafen sehr leise.«

»Wieso?«

»Ich brauchte Sie nur ein wenig anzusehen, damit Sie die Augen aufschlugen.«

»Können Sie denn Schlafende dadurch aufwecken, daß Sie sie nur ansehen?«

»Aber sicher! Das ist sehr leicht. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie so leise schlafen, dann hätte ich Sie nicht so intensiv angeschaut.«

»Warum nicht?«

»Es interessiert mich stets, schlafende Menschen zu betrachten und ihnen zuzuhören. Einzelne plaudern ja im Schlafe das aus, was sie wissen.«

»Und was wünschen Sie nun von mir?«

»Ich möchte mit Ihnen über den Mord sprechen. Man hat mir erzählt, daß Sie den Erschlagenen bei Lebzeiten zuletzt gesehen haben.«

»Jawohl, ich sah ihn um halb elf Uhr abends.«

»Und er wurde ziemlich genau um elf Uhr ermordet.«

Mein Gesicht mag in diesem Augenblick einige Verwunderung über die Zuversicht des Mannes ausgedrückt haben, denn er fuhr gleich fort:

»Dies zu folgern ist nicht gerade schwer. Von dem Edelhof bis zur Mordstelle ist ein Weg von einer halben Stunde.«

»Aber man weiß ja nicht, ob er nicht noch anderwärts gewesen ist,« wandte ich ein.

»Sie vergessen, daß es regnete,« erwiderte der Detektiv. »Die Spur zeigt deutlich, daß der Unglückliche niedergestürzt ist, bevor es zu regnen anfing.«

Hierauf hatte ich nichts zu erwidern.

Herr Asbjörn Krag erhob sich.

»Ich werde jetzt hier draußen umherschlendern, bis Sie sich angezogen haben,« sagte er. »Ich habe selten einmal Gelegenheit, auf dem Lande zu sein; da ist es denn ganz gescheit, die wenigen Stunden auszunutzen, die mir zur Verfügung stehen. Welch eine herrliche Luft!«

»Wollen Sie so rasch wieder abreisen?«

»Vielleicht; aber ich gehe nicht allein von hier fort.«

»Wer wird Sie denn begleiten?«

Der Detektiv kniff die Augen zu und sagte lächelnd:

»Der Mörder; das ist doch leicht zu erraten.«

Im Zimmer nebenan wurden Stimmen laut. Krag, horchte.

»Man spricht von dem Toten,« sagte er. »Alle Menschen sprechen von ihm.«

Er nickte mir zu und ging hinaus. Den photographischen Apparat nahm er mit.

Ich blieb noch eine kurze Zeitlang liegen und dehnte mich im Bett, da ich schlechterdings keine Lust hatte aufzustehen. Endlich jedoch sprang ich vom Lager auf und fuhr in meine leichten Sommerkleider. Als ich das Fenster öffnete, schlug mir die Wärme von draußen unangenehm entgegen. Es war still und dunstig. Der Himmel schien dicht über der Erde zu hängen, als wolle er die Luft zusammendrücken, so daß sie heiß und stickig war. Kein Blatt rührte sich, der Sturm vom Abend vorher hatte sich längst gelegt.

So stand ich ein Weilchen und lauschte auf die Stimmen in dem anstoßenden Zimmer. – Das klingt ja verteufelt laut, dachte ich bei mir, steckte mir eine Zigarre an und ging hinaus. Als ich in den Salon kam, galt meine erste Frage der Wirtin; ich bat sie um ein anderes Zimmer, da es mir da oben zu laut wäre und mich die Stimmen in meiner Nachbarschaft störten. Die Wirtin versprach mir, die Sache in Ordnung zu bringen; ich sah mich nun nach dem Detektiv um. Alsbald gewahrte ich ihn auch im Schatten einiger großer Bäume.

»Stehen Sie ruhig,« rief er mir zu. »Ich nehme soeben ein ausgezeichnetes Bild von Ihnen im Profil auf.«

Es knackte in seinem photographischen Apparat. Lächelnd trat er auf mich zu und bat mich um Entschuldigung.

»Die Liebhaberphotographie«, sagte er, »ist meine neueste Leidenschaft. Da ich aber meine Leidenschaften stets übertreibe, bin ich als Photograph eine Plage für meine Umgebung. Sie hoben sich so vortrefflich von der dunklen Felswand ab; ich hoffe, Sie entschuldigen mich. Haben Sie übrigens schon gefrühstückt?«

Diese Frage kam ganz unerwartet.

»Nein,« erwiderte ich. »Da Sie so sehr darauf erpicht waren, mit mir zu sprechen, wollte ich Sie nicht länger warten lassen.«

»Dachte mir's, dachte mir's,« brummte er, während er gemütlich seinen Arm unter den meinigen schob. »Folgen Sie mir, Sie werden staunen, wie fein ich das angeordnet habe.«

Damit zog er mich in ein kleines Hotelzimmer, wo ein für zwei Personen gedeckter Frühstückstisch stand. Da gab es Rettiche und Eier, weiches, weißes Brot, Hummer, kalten Fisch und viele treffliche Sachen, die besonders angenehm in der Sommerhitze waren; dazu blütenweiße, frisch duftende Servietten. Meine Stimmung wurde vortrefflich; ich sprach dem Detektiv für seine vorsorgende Liebenswürdigkeit meinen Dank aus.

»Es plaudert sich besser an einer solchen Tafel,« sagte er. »Ich habe wütenden Hunger, denn ich bin heut' schon tüchtig umhergestiefelt.«

»Dann sind Sie also schon sehr früh hier angelangt?«

»Um halb sechs Uhr mit einem Motorboot. Habe auch bereits den Pfarrer besucht.«

»Was in aller Welt wollten Sie bei dem?«

»Ihm nur eine einzige Frage vorlegen. Da er keinen Fernsprechanschluß hat, mußte ich ihn persönlich aufsuchen. Ich wollte nur wissen, ob sein Pferd in der vorigen Nacht unterwegs gewesen wäre.«

Ich warf dem Detektiv einen Blick zu.

»Dann haben Sie also bereits mit dem Fischer Jan Jansen gesprochen?«

»Jawohl. Glauben Sie an den eisernen Wagen?«

Nach kurzer Ueberlegung erwiderte ich:

»Sie stellen sonderbare Fragen. Ihre Fragen überfallen mich förmlich. Wie können Sie annehmen, daß ich als halbwegs vernünftiger Mensch an diese alte phantastische Geschichte glauben soll.«

»Aber Sie haben doch den Wagen ebenfalls rasseln gehört?«

»Jawohl!«

»In der Ferne?«

»Ja! weit, weit fort. Und doch möchte ich darauf schwören, daß ich den Wagen aus der Heide einherrollen hörte.«

»Wie können Sie das Geräusch näher beschreiben? Glich es einem Kettengerassel?«

»Außerordentlich. Jedenfalls war ein Geräusch wie von Eisen sehr deutlich.«

»Das ist sehr interessant,« brummte der Detektiv. »Wollen Sie so freundlich sein, mir alle Ihre Erlebnisse zu erzählen, von dem Zeitpunkte ab, da Sie den unglücklichen Forstmeister im Garten des Edelhofes sahen, bis zu dem Augenblick, als Sie gestern zur Ruhe gingen, und zwar so ausführlich wie möglich?«

Ich erzählte ihm alles, was ich wußte. Als ich zur Auffindung des Toten kam, vergaß ich weder das Entsetzen der Damen noch die Wichtigtuerei des jungen Mediziners, der sich als Detektiv aufgespielt hatte. »Denken Sie nur,« sagte ich, »er schnüffelte auf der Spur umher, ja er maß auch den Abstand bis zum nächsten Baume aus.«

Aber die Einzelheiten schienen den Detektiv nicht zu interessieren.

»So so,« sagte er, halb geistesabwesend, »so–o, nur weiter.«

Als ich auf den Hut zu sprechen kam, fragte er:

»Der Hut lag also ein Stück entfernt von dem Toten?«

»Ja.«

»Wie weit etwa?«

»So genau kann ich das nicht sagen, ich nehme aber an, es waren zwei Meter.«

Als ich geendet hatte, saß Asbjörn Krag lange in tiefem Nachdenken da.

»Eine seltsame Geschichte,« murmelte er.

»Ja so, nun bin ich beim gestrigen Abend angekommen,« setzte ich hinzu. »Aber ich muß noch etwas erwähnen.«

Der Detektiv kniff die Augen zu, und alsbald trat wieder der sarkastische, mißtrauische Ausdruck in seinem Gesicht hervor.

»Wann gingen Sie heute nacht zu Bett?« fragte er.

»Um zwei Uhr,« antwortete ich.

»Dann weiß ich aufs Haar, was Sie noch erzählen wollen. Ich möchte darauf schwören, daß Sie auch heute nacht den eisernen Wagen gehört haben.«

Ich wußte darauf nichts zu erwidern, denn er hatte wirklich das Richtige getroffen.

Ein Wagen machte gerade jetzt draußen auf dem Wege hält. Der Detektiv warf einen Blick aus dem Fenster.

»Das ist der Amtsvorsteher, der mich abholt. Sie dürfen mitkommen.«

»Wohin denn?«

»Nach dem Edelhof. Dort bin ich noch nicht gewesen. Haben Sie keine Lust?«

Ich überlegte.

»Sie werden verstehen,« sagte ich, »daß ich von den gestrigen Ereignissen einigermaßen mitgenommen bin. Ich möchte mich nicht gern neuen Aufregungen aussetzen.«

»Was für Aufregungen sollten das wohl sein?« fragte der Detektiv lächelnd. »Ich will mit dem Beisitzer auf Gjaernaes sprechen und nur etwas über den letzten Besuch des Unglücklichen daselbst hören. Sie erweisen mir einen Dienst, wenn Sie mitkommen.«

»Aber ich interessiere mich durchaus nicht so sehr für die Sache. Nehmen Sie doch lieber den Mediziner mit.«

Der Detektiv nahm entschlossen meinen Arm.

»Kommen Sie nur,« sagte er, »Sie haben ja nichts zu versäumen.«

Der Amtsvorsteher behandelte den fremden Detektiv mit ausgesuchter Höflichkeit. Er bürstete sogar noch an dem Sitz im Wagen herum, obgleich dieser gar nicht schmutzig war. Als wir abfuhren, stand ein Teil der Hotelgäste auf der Veranda und betrachtete uns mit größter Neugier; der Mediziner kam im blendendweißen Sportanzug herunter, voller Begier mitgenommen zu werden, aber wir fuhren an ihm vorüber. Enttäuscht blieb er stehen und sah uns nach, indem er die Hand über die Augen legte. Ich winkte ihm ironisch zu; er war mir nicht gerade sympathisch, dazu war er zu hübsch. Sein Knebelbart war zu gut gepflegt, und unter dem Bart verbarg sich stets ein höhnisches Lächeln. Als wir nach der Sandgräberhütte kamen, hielt der Amtsvorsteher auf Asbjörn Krags Veranlassung an. Krag brachte seinen photographischen Apparat in Ordnung und bat den Amtsvorsteher, das Häuschen zu öffnen.

»Was wollen Sie da drinnen?« fragte ich. »Haben Sie den Toten nicht bereits gesehen?«

»Jawohl,« antwortete der Detektiv, »aber da hatte ich nicht genug Licht.«

»Nicht genug Licht?«

»Ja, um ihn zu photographieren. Verstehen Sie denn nicht?«

»Aber damit verstoßen Sie gegen die Abmachung,« wandte ich ein. »Sie versprachen mir ja Fernhaltung, neuer Aufregungen.«

Der Amtsvorsteher war inzwischen damit beschäftigt, den Riegel zurückzuziehen. Asbjörn Krag und ich standen allein beim Wagen. Wieder bekam das Gesicht des Detektivs den unangenehmen Ausdruck von verkniffenem Mißtrauen.

»Haben Sie Furcht, ihn zu sehen?« fragte er. »Dann können Sie ja draußen bleiben. Ich zwinge Sie nicht, mit hereinzugehen.«

Ohne zu antworten, schritt ich rasch auf die Hütte zu. Asbjörn Krag kam hinterher, noch immer mit seinem Apparat beschäftigt.

Die kleine Sandgräberhütte ähnelt den winzigen Häuschen, die bei Bahnbauten in unbewohnten Gegenden errichtet werden. Die Hütte diente früher zur Aufbewahrung von Spaten, Hacken und anderen Geräten für die Sandgräberei. An den Wänden stand noch ein Teil dieser Werkzeuge, die jetzt mit einer Kruste von eingetrockneter Erde und Lehm bedeckt waren. Es war nur ein Raum in dem Häuschen vorhanden.

Der Detektiv öffnete die Fenster, damit die frische Luft hereindringen konnte. Mitten im Raum stand ein breiter, unbehobelter Tisch. Auf diesen hatte man den Toten gelegt.

Ich trat an ihn heran und sah ihm ins Gesicht. Nun erinnerte ich mich auch dessen, was der Mediziner tags vorher gesagt hatte, und mußte ihm stillschweigend recht geben. Es war, als ob der Tote lächelte, und in diesem Lächeln lag ein gewisser Hohn, eine Art Triumph:

Plötzlich fuhr ich ein wenig zusammen, da ich ein Knacken im Apparat des Detektivs hörte. Als ich mich umsah, bemerkte ich, daß der Detektiv mich scharf fixierte.

»Ich dachte, Sie wollten den Toten photographieren,« sagte ich.

»So ist es auch,« antwortete der Detektiv, »aber ich mußte zugleich Ihr Gesicht aufnehmen. Sie zeigten einen unverkennbaren Ausdruck von Verwunderung und Grauen. Es ist geradezu eine Manie von mir, Gefühlsausdrücke auf die Platte zu bannen.«

Der Detektiv lagerte den Toten anders, so daß das Tageslicht auf sein Gesicht fiel. Der Forstmeister sah jetzt ganz so aus, als ob er noch lebte; seine Wangen zeigten noch die Röte des Lebens. Ich stand vor ihm und sah bewundernd auf das scharfgeschnittene Profil mit der hohen Stirn. Sein Haar war dicht und braun, ich bemerkte deutlich, daß es nach der rechten Seite hinübergekämmt war. Sein Bart schimmerte leicht rötlich.

»Wollen wir nicht seinen Schlips wieder in Ordnung bringen,« sagte ich zu dem Detektiv. Der Schlips hatte sich beim Fall nach hinten verschoben, so daß der Knoten auf einem Ohr saß, und der gestärkte Kragen war an zwei Stellen geknickt.

»Nein,« erwiderte der Detektiv, »lassen Sie ihn nur so, wie er ist.«

Es kam mir vor, als ob der Detektiv gar nicht damit fertig werden konnte, den Toten zu photographieren. Die Luft in dem Raume wurde immer drückender, mir wurde schlecht, aber ich wollte den Detektiv nur ungern meine Schwäche merken lassen. Endlich war er fertig, aber als er den Apparat zusammenklappte, war ich nahe daran, ohnmächtig zu werden. Asbjörn Krag öffnete die Tür, so daß der Luftzug durch den Raum hindurchstrich. Das tat mir wohl. Ich konnte bemerken, daß der Amtsvorsteher ein wenig blaß geworden war, er hatte niemals vorher mit einer solchen Sache zu tun gehabt. Asbjörn Krag hingegen war ebenso ruhig und unerschüttert wie zuvor. Er versah den Apparat mit neuen Platten und pfiff währenddessen vor sich hin. Der Tote da vor ihm auf dem Tische schien ihm nur ein interessantes photographisches Motiv zu sein.

»Können wir nun weiterfahren?« fragte ich.

»Noch nicht,« erwiderte er. »Ich will mir erst noch den Hut ansehen.«

Er nahm den Hut des Toten, setzte ihn auf seine Fingerspitzen und betrachtete ihn nachdenklich, als ob er in einem Herrengarderobemagazin stände und sich eine Kopfbedeckung aussuchen wollte.

»Erinnern Sie sich,« wandte er sich fragend an mich, »wie er den Hut trug, als Sie ihn zuletzt sahen?«

»Wie man eben einen grünen Jagdhut stets zu tragen pflegt, anders nicht,« antwortete ich.

Der Detektiv übersah augenscheinlich meinen Unmut darüber, daß er hier in dem Raume bei dem Toten soviel Zeit vertrödelte.

»Lassen Sie mich mal sehen,« brummte er, während er den grünen Jagdhut ohne weiteres mir auf den Kopf drückte.

»Also auf diese Weise,« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. Er rückte den Hut ein wenig zurecht. »So muß er gesessen haben … Das ist sehr interessant. Ist Ihnen etwa schlecht?« fragte er.

»Ich habe keine Nerven aus Stahl,« sagte ich. »Sehen Sie nur den Amtsvorsteher an, ihm scheint auch nicht gerade wohl zu sein.«

»Oh, doch,« beeilte sich dieser zu bemerken. »Mir kommt nur die Luft hier drinnen … etwas schwül und drückend vor.«

»Ja, nun sind wir aber auch fertig. Entschuldigen Sie nur meine Langsamkeit.«

Der Detektiv legte die Hand auf meine Schulter und sagte, indem seine Augen zu den beiden schwarzen Strichen hinter dem Kneifer wurden:

»Sie haben recht; Ihre Nerven sind nicht von Stahl.«

Er legte den grünen Jagdhut auf die Brust des Toten zurück; dann verließen wir die Sandgräberhütte. Der Amtsvorsteher schob den Riegel wieder vor.

Ich empfand es wie eine mächtige Befreiung, als ich draußen über die Heide gehen und die frische Luft unter dem hohen, blauen Himmel atmen konnte. Das Pferd hatte in unserer Abwesenheit weiter und weiter vom Wege fort gegrast und den Wagen in einen Graben gezogen; es bedurfte der Anstrengung von uns dreien, um das Fuhrwerk wieder auf den Weg zurückzubringen. Dann fuhren wir weiter gen Gjaernaes; mittlerweile war es zwei Uhr geworden. Der Detektiv schien aber auch Sinn für die Schönheit der Gegend zu besitzen, denn er zeigte auf den Wald und die Weiher, etwa so, als ob er ein Bild einrahmte, und meinte:

»Welch ein Motiv für einen Maler!«

Es war geradezu verwunderlich, daß er an solche Dinge in einem Augenblick denken konnte, wo seine Gedanken eigentlich ganz mit dem unheimlichen und seltsamen Rätsel beschäftigt sein sollten, dessen Lösung er sich zur Aufgabe gesetzt hatte.

Wir näherten uns Gjaernaes. Draußen auf dem Lande war die Arbeit in vollem Gange, die Leute richteten sich auf und hielten die Hände über die Augen, als wir vorüberfuhren. Asbjörn Krag bewunderte auch den hübschen Laubengang, der zum Edelhof hinführte. Am Ende des duftenden Gewölbes sah man die weiße Front des Hauses. Als wir am Garten vorbeifuhren, stach uns eine bunte Farbenpracht in die Augen: violette Blütendolden schauten zwischen den schneeweißen Latten des Zaunes heraus. Im Hauptgebäude standen alle Türen und Fenster offen, der Wind strich frei durch das Haus und trieb mit den Gardinen sein Spiel. Es duftete kräftig nach Heu und blühendem Klee – kurzum, es war ein lichter Sommertag unter Gottes weitem Himmel.

Der Amtsvorsteher brachte den Gaul mit einem Ruck zum Stehen, so daß der Kies unter den Hufen knirschte und Funken aussprühten. Wir blieben im Wagen sitzen und blickten nach dem Eingangstor, ob von dort wohl jemand herauskäme. Endlich erschien ein barhäuptiger Mann in weißer Sommerjacke im Türrahmen. Es war der Verwalter; ich nickte ihm zu und sprang herab.

»Sind die Herrschaften zu Hause?« fragte ich.

»Jawohl.«

Der Mann rührte sich nicht vom Flecke; er stand da mit den Händen in den Hosentaschen und glotzte uns neugierig an.

»Wir möchten gern mit Herrn Gjaernaes selbst sprechen,« sagte ich im Weitergehen.

»Dann müssen Sie ins Haus gehen,« erwiderte der Verwalter, ohne in der Türöffnung Platz zu machen.

Ich sah ihn mir nun genauer an. Es war der Mann von vorgestern abend, der Verwalter, der mir den Zutritt zum Hause verwehrt hatte. Ich konnte ganz deutlich erkennen, daß er noch immer sehr blaß war. Das zeitweise Blinzeln seiner Augen sprach dafür, daß er schlaflose Nächte gehabt hatte; seine Blässe paarte sich mit einem fahlen, gelblichen und spitznäsigen Aussehen, wie es kräftige, robuste Menschen zeigen, wenn sie von schwerer Sorge oder heftigem Schreck befallen werden.

Endlich kam etwas Leben in den langsamen Menschen; er geleitete uns in eine der Stuben. Der Detektiv stellte seinen photographischen Kasten auf den Tisch und beschäftigte sich dann ohne weiteres damit, den Verwalter eingehend zu mustern. Lange Zeit blickte er ihn an, so daß sich dieser über seine Neugier wunderte und mich fragte:

»Wer ist der Mensch?«

»Ich bin aus Christiania,« antwortete Krag, »und bin Detektiv.«

Krag sah ihn wiederum forschend an und setzte hinzu:

»Und Sie sind hier Verwalter, nicht wahr?«

»Jawohl.«

Der Verwalter drehte sich um und brummte dabei etwas von Benachrichtigung seiner Herrschaft. Er war sichtlich verlegen geworden und wandte sich an der Tür nochmals um; als er aber Asbjörn Krags Blick begegnete, verschwand er schleunigst.

Ein eigentümliches Lächeln spielte um den Mund des Detektivs. Er hatte sich an das Fenster gesetzt, mit dem Rücken gegen das Licht. Seine Augen waren halb gesenkt, als ob er den Strohhut auf seinen Knien mit größter Aufmerksamkeit zu betrachten schien. Dabei rührte er sich nicht. Der Amtsvorsteher stand am Fenster und hielt ein Auge auf das Pferd. Ab und zu ertönte im Hause eine heftige Frauenstimme, draußen vom Wege klang der Laut einer Fahrradglocke, aber niemand ließ sich sehen.

»Haben Sie den Verwalter beobachtet?« fragte ich.

»Ja?« erwiderte der Detektiv fragend, etwa als wollte er sagen: »Na und?«

»Haben Sie sein Gesicht beobachtet? Mir kam es vor, als ob er sehr unglücklich wäre.«

»So – so –«

»Sie sollten mit ihm reden.«

»So – so, warum denn?«

»Vielleicht weiß er etwas.«

»Was sollte er denn wissen?«

Diese Frage verwirrte mich; ich brach das Gespräch ab. Endlich, nachdem wir über zehn Minuten gewartet hatten, ließen sich im anstoßenden Zimmer Schritte hören, und schweren Fußes trat ein Mensch bei uns ein.

Es war Gjaernaes selbst, ein vierschrötiger Mann in den Vierzigern. Er nickte mir freundlich zu, drückte mir die Hand und hieß uns allesamt willkommen, nachdem ich ihm Asbjörn Krag vorgestellt hatte.

Sogleich fragte er den Detektiv:

»Sie kommen vermutlich in Sachen des Mordes.«

Asbjörn Krag bestätigte das. Gjaernaes nickte nachdenklich und murmelte halb für sich:

»Ja, ja; man kann seltsame Dinge erleben.«

Sein ganzes Auftreten war in diesem Augenblick so auffallend, daß ich äußerst betroffen war. Es fuhr mir durch den Kopf: Was muß Asbjörn Krag davon denken? Er kommt hierher, um einen rätselhaften Mord aufzuklären, und hat bei den Menschen, die er bisher sprach, nur Abscheu und Schrecken über die Tat gesehen. Nun kommt er auf diesen Hof, wo er über das Tun und Treiben des Unglücklichen während der letzten Stunden vor seinem Tode einige Aufklärungen zu finden hofft. Er trifft Gjaernaes' Verwalter und staunt über das unglückliche und niedergedrückte Aussehen des Mannes. Auch der Besitzer des Hofes selbst benimmt sich derart, daß man annehmen muß, er sei erst ganz kürzlich von einem schweren, nicht wieder gut zu machenden Unglück betroffen worden. Niemals habe ich noch einen Menschen so niedergeschlagen, so tiefunglücklich gesehen wie Gjaernaes! Schon ein weniger seltsames Verhalten mußte bei einem Fremden den bestimmten Argwohn aufkommen lassen, daß die Leute auf dem Hofe, der Besitzer wie auch der Verwalter, mehr von dem Verbrechen wüßten als wir anderen. Asbjörn Krag sieht ihn an und stutzt. Gjaernaes läuft anfangs vor dem Detektiv im Zimmer auf und ab; dann versucht er, sich zu beherrschen, sich zu einer gewissen Ruhe zu zwingen und bleibt unbeweglich im Zimmer stehen, so ruhig, daß nicht einmal seine Fingerspitzen sich rühren oder seine Augen blinken. Ich kenne diesen Zustand, wenn einen die Nervosität geradezu zur Ruhe zwingt, während einem alle Nerven wie glühende Stränge brennen.

»Forstmeister Blinde verließ diesen Hof gegen elf Uhr vorgestern abend,« begann der Detektiv. »Im Hotel wurde er um neun Uhr gesehen. Man hat also Grund zu der Annahme, daß er sich bei Ihnen etwa anderthalb Stunden aufgehalten hat. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt.«

»Welche Absicht verfolgte er mit seinem Besuche?«

»Er kam in einer wichtigen Angelegenheit.«

»In einer sehr wichtigen?«

»Ja, er hielt um die Hand meiner Schwester an.« Auf diese Antwort folgte ein bedrückendes, mehrere Sekunden währendes Stillschweigen.

Dann fragte Asbjörn Krag weiter:

»War Blinde glücklich, als er hier fortging, oder unglücklich?«

»Ich vermute,« erwiderte Gjaernaes, »daß er außerordentlich glücklich war, denn er liebte meine Schwester sehr und sie hatte sich mit ihm verlobt.«

Ich wartete nicht ab, welche Wendung der Detektiv dem Gespräch geben wollte, sondern warf dazwischen:

»Sagte er vielleicht, ehe er fortging, etwas davon, daß er Feinde hätte?«

»Ich glaube mich zu entsinnen, daß er so etwas erwähnte.«

Asbjörn Krag beobachtete mich forschend von der Seite und ließ mich in meinen Fragen fortfahren:

»Nannte er Namen?«

»Nein, das tat er nicht. Er war so glücklich und zufrieden, daß der Gedanke an seine Feinde nur ganz vorübergehend einen Schatten auf seine Gemütsverfassung hätte werfen können. Ich erinnere mich, daß er kurz vor seinem Weggang noch ausrief: »Na, wie viele mich jetzt beneiden werden! Jetzt werde ich mir einige grimme Feinde gemacht haben!«

»Gaben Sie Ihre Zustimmung zu der Verbindung?« fragte Krag.

»Ja, selbstverständlich,« erwiderte Gjaernaes.

»Wieso selbstverständlich?«

»Weil sie selbst es wollte. Ich würde es mir nie einfallen lassen, mich ihrem Willen zu widersetzen.«

»Dann will ich Sie geradezu fragen,« fuhr Asbjörn Krag fort. »Paßte Ihnen die Verbindung?«

»Nein,« antwortete Gjaernaes ernst.

»Warum nicht?«

»Natürlich weil ich den Forstmeister selbst nicht mochte. Er war mir unsympathisch. Er machte stets einen überlegenen und anmaßenden Eindruck auf mich und gewann keineswegs bei näherer Bekanntschaft. Sogar in dem Augenblicke, als er sich mit meiner Schwester verlobt hatte, berührte er mich ziemlich unangenehm. Es lag etwas Triumphierendes in seinem Wesen.«

Asbjörn Krag zeigte plötzlich mehr Interesse.

»Sie haben eben das Wort ›triumphierend‹ angewandt?« fragte er.

»Ja, so sagte ich …«

»Aber das kann man in verschiedenem Sinne gebrauchen. Meinen Sie ›triumphierend‹, weil er das Glück gehabt hatte, sich mit Ihrer Schwester zu verloben, oder meinen Sie ›egoistisch triumphierend‹, weil gerade er und kein anderer so glücklich gewesen war?«

»Ich meine ›egoistisch triumphierend‹. Er machte stets einen egoistischen Eindruck.«

»Wunderten Sie sich, als Sie von dem Unglück hörten?«

»Wundern ist ein allzu milder Ausdruck,« erwiderte Gjaernaes. »Ich war starr vor Schreck.«

»Und Ihre Schwester?«

»Sie hat den ganzen Tag über geweint. Soeben ist sie zu Bett gegangen, weil sie sich krank und elend fühlt.«

»Ich möchte gern mit ihr reden.«

Gjaernaes wurde plötzlich so unruhig, daß er zu stottern begann.

»Das wird sich schlechterdings nicht machen lassen,« sagte er, »sie ist zu Bett gegangen.«

Asbjörn Krag erwiderte hierauf nichts, begann aber mit einem Male ein ausfallendes Interesse für die Zimmereinrichtung zu bekunden. Der Raum war ziemlich niedrig, wie in den meisten Edelhöfen, die Möbel waren alt, die Stühle mit hellem, gestreiftem Stoff bezogen.

»Ich freue mich immer sehr, wenn ich mir alte Höfe ansehen kann,« bemerkte der Detektiv, indem er aufstand. »Darf ich nicht die anderen Räume besichtigen, Herr Gjaernaes?«

»Gewiß, mit Vergnügen. Allerdings kommen Sie etwas ungelegen,« antwortete Gjaernaes. »Wir befinden uns mitten in der Sommerarbeit und haben keine Zeit, die Zimmer wohnlich herzurichten.«

»Das macht nichts.«

Der Detektiv blickte zum Fenster hinaus und nickte zufrieden. Draußen auf dem Hofe stand der Verwalter und hielt das Pferd am Zügel, obgleich das gar nicht nötig war. Dabei sprach er dem Pferde zu, das die Ohren bewegte und die Fliegen abschüttelte. Ich hatte den bestimmten Eindruck, als ob der Verwalter dort nur stände, um die Rückkunft des Detektivs abzuwarten.

Gjaernaes geleitete uns nun durch die alten Stuben, und Asbjörn Krag besah alles mit Interesse, fragte nach diesem, betastete jenes, bat um Auskunft, wie alt die Möbel wären und wen die Familienbilder darstellten. Ueber Gjaernaes' Schreibtisch hing eine Bromsilber-Vergrößerung nach einer Photographie. Sie stellte einen alten Mann mit Spitzbart, kleinen, scharfen Augen und krummer Nase dar.

»Wer ist das?« fragte Krag.

»Mein Vater,« antwortete Gjaernaes rauh.

Ich versuchte dem Detektiv ein Zeichen zu geben, damit er nicht weiterfragen sollte, da ich mich an die Erzählung des Fischers von dem tragischen Ende des alten Mannes erinnerte. Aber entweder übersah der Detektiv meinen Wink, oder er wollte ihn nicht sehen.

»Ist er tot?« fragte er.

»Ja,« entgegnete Gjaernaes und öffnete die Tür zum nächsten Zimmer.

»Wie starb er?«

»Er starb plötzlich,« murmelte Gjaernaes.

»So so; plötzlich. Hm –«

Der Detektiv blieb stehen und betrachtete die Photographie. Aber als Gjaernaes nervös von anderen Dingen zu sprechen anfing, mußte er sich schließlich doch davon losmachen.

Gjaernaes zeigte uns auch die Zimmer der Schwester.

»Aber sie ist ja nicht da?« rief Asbjörn Krag erstaunt aus.

»Wie denn?«

»Sie sagten doch, daß sie zu Bett gegangen sei.«

»Ja, ja gewiß, aber sie hält sich in einem anderen Zimmer auf.«

Gjaernaes starrte in ihre sonnendurchglühte Wohnung.

»Sie liegt in einem Zimmer an der Schattenseite,« sagte er.

»Ach so, deshalb – –«

Wir gingen weiter und kamen in Gjaernaes' Bibliothek. Er war ein großer Bücherfreund. Ein dichter Vorhang hing vor dem einzigen Fenster des Zimmers, so daß es hier ziemlich dunkel war.

»Nun hätte ich Ihnen nichts mehr zu zeigen,« sagte Gjaernaes.

»Aber diese Tür?« fragte Asbjörn Krag, indem er auf eine Flügeltür geradeaus zeigte. »Wohin führt diese?«

Gjaernaes stellte sich schützend vor die Tür.

»Dadrinnen liegt meine Schwester und schläft,« sagte er.

Ich fuhr unwillkürlich zusammen. In der Stimme des Mannes lag jetzt wieder ein Klang von Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit und wieder fiel mir der Auftritt in der Mondnacht ein, als mir der Verwalter den Zutritt zum Hause so eifrig verwehrt hatte.

Ich weiß nicht, ob Asbjörn Krag die Veränderung im Benehmen unseres Wirtes auffiel, jedenfalls schien sie nicht den geringsten Eindruck auf ihn zu machen. Seine Gedanken weilten wieder bei dem Morde. Als wir durch die Zimmer langsam denselben Weg zurückgingen, den wir gekommen waren, fragte er:

»Haben Sie keine Ahnung, wer der Mörder ist?«

Gjaernaes blieb stehen und stützte sich mit der Hand auf eine Stuhllehne.

»Ich kann es noch immer nicht fassen,« erwiderte er.

»Und Ihre Schwester?«

»Auch für sie ist es ein Rätsel.«

»Und Sie können uns keine Anhaltspunkte geben, die für weitere Nachforschungen von Wert sein könnten?«

»Nein, ganz und gar nicht. Alles, was ich über den Besuch des Unglücklichen hier mitteilen kann, dient ja nur dazu, die ganze Sache noch rätselhafter erscheinen zu lassen.«

»Sie haben recht,« meinte Asbjörn Krag.

Als wir uns von Gjaernaes verabschieden wollten, sagte der Detektiv:

»Aber da bleibt noch der Wagen.«

Gjaernaes verstand nicht.

»Der Wagen?« fragte er.

»Ja, wissen Sie das nicht?« erwiderte Asbjörn Krag. »Man hat den eisernen Wagen in der Mordnacht gehört.«

Unser Wirt lächelte – ein seltsames, gezwungenes Lächeln.

»Die alte Geschichte,« murmelte er. »Natürlich ist die alte Geschichte nun wieder in der lebhaften Phantasie der Leute aufgetaucht. Was halten Sie von dem eisernen Wagen, Herr Detektiv?«

»Ich glaube nicht an Spuk,« antwortete Asbjörn Krag, »aber man hat einen Wagen über die öde Heide rollen gehört, das ist ganz sicher.«

»Ja, und was weiter?«

»Dann ist es natürlich ein Wagen gewesen, nicht ein Spukwagen, sondern ein wirkliches Gefährt. Im Umkreise von Meilen haben nur Sie, der Pfarrer und der Amtsvorsteher Pferde. Die Gäule des Pfarrers waren nicht unterwegs, ebensowenig die des Amtsvorstehers.«

»Und meine auch nicht,« fügte Gjaernaes sehr rasch hinzu.

Im selben Augenblick erblickte er durch das offene Fenster den Verwalter, der noch immer draußen stand und dem Pferde des Amtsvorstehers die Fliegen abwehren half.

Er faßte sich an die Stirn und war mit einem Male sehr erregt.

»Sie haben einen weiten Weg,« murmelte er, obgleich wir in Wirklichkeit gar nicht weit zu fahren hatten. »Da ist es wohl das beste, Ihrem Pferd etwas Hafer zu geben.«

Der Amtsvorsteher widersprach verblüfft und meinte, das sei durchaus nicht notwendig.

Aber Gjaernaes ging rasch auf den Hof hinaus und wir hinterher.

Jeder konnte nun sehen, daß das mit dem Hafer eine Ausrede gewesen war – Gott weiß warum, jedenfalls war sie außerordentlich durchsichtig. Gjaernaes ging auf den Verwalter zu und flüsterte einige hastige Worte, während er das Pferd nervös am Maule kraute, so daß es den Kopf hob und die weißen Zähne zeigte.

Wir sahen es beide, der Amtsvorsteher und ich, nur Asbjörn Krag war mit einem Male von etwas anderem gefesselt. Er betrachtete lächelnd einen kleinen, schwarz und weiß gefleckten Rattler, der knurrte und uns sichtlich verärgert mit offenem Maule anstarrte, so daß es rund und schwarz wie die Mündung eines Büchsenlaufes erschien.

Endlich stiegen wir auf. Asbjörn Krag winkte Gjaernaes zum Abschied zu.

»Leben Sie wohl,« rief er, »ich hoffe, wir sehen uns wieder. Ich wohne im Hotel.« Aber zu gleicher Zeit sah er den Verwalter an, der die Augen niederschlug.

Als wir durch die Allee fuhren, bemerkte ich:

»Ich begreife nicht, daß Sie nicht auch den Verwalter ausfragten.«

»Worüber?«

»Natürlich darüber, ob einige von Gjaernaes' Pferden in der Nacht fortgewesen waren.«

»Das schien mir ganz unnötig zu sein,« erwiderte der Detektiv.

Wir fuhren über die Heide. Asbjörn Krag drückte den Strohhut in die Augen, um sich gegen die unbarmherzig herniederbrennende Sonne zu schützen. Vor ihm auf den Knien schaukelte der unvermeidliche schwarze photographische Apparat.

Er schwieg lange, aber ich hatte die Empfindung, daß er unter seinem Strohhut nachdachte, während er so dasaß.

Endlich fragte er:

»Woran starb er?«

»Wer?«

»Der alte Mann, sein Vater.«

»Er ertrank.«

»Er wurde also nicht getötet?« fragte der Detektiv.

»Nein,« erwiderte ich.


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