Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

Wir aber, da es nun so still geworden im Tal und auf den Höhen, lassen die Blicke weit über das schöne Land hinschweifen, um nicht in Wehmut zu vergehen. Da rauschen die Wälder so frisch über Lust und Not, als rief es: Menschenkind! blick auf zum weiten Sternenhimmel, da ist ja doch alles eitel und nichts dagegen! – Und fern im Gebirg, wo der Mond so hell über die Waldwiese scheint, gewahren wir plötzlich zwei Wanderer, die fröhlich niedersteigen: es sind die beiden Liebesleute auf ihrer abenteuerlichen Fahrt. Fortunat hat soeben die Pferde in einem Dörfchen untergebracht und wendet sich mit Fiametta auf einem Fußsteig zwischen die leise bewegten Kornfelder hinein, die Nacht kühlt sich am Horizont mit Wetterleuchten, eine Wachtel schlägt fern im Feld. Vor ihnen aber breiten sich dunkle Höhen aus, der Mond beleuchtet nur einzelne Abhänge, da erkennt er nach und nach Lauben und Gänge, zuweilen blitzt ein Springbrunnen auf, aus den duftigen Gebüschen hören sie schon die Nachtigallen über das Feld herübertönen. Auf einmal hält Fortunat still und schwenkt voll Freuden seinen Hut. »Grüß dich Gott, du kühler Wald!« ruft er aus Herzensgrunde. Fiametta sieht ihn einen Augenblick fragend an, dann schwenkt auch sie jubelnd ihr Hütchen, ohne zu wissen warum. – Es ist Hohenstein, das vor ihnen liegt.

Er kannte noch aus alter Zeit den Steg im Gartenzaun, sie schwangen sich hinüber und stiegen mit klopfenden Herzen den Waldberg hinan. Fortunat blickte oft seitwärts zwischen die Bäume hinein nach den stillen Gängen, wo er so oft gewandelt, es war alles so fremd und unheimlich im Mondschein. »Das ist Jakobs Traumleiter«, sagte er fröhlich, »wie sie der liebe Gott zuweilen in solchen Frühlingsnächten herunterläßt, nur frisch! wir steigen ins Himmelreich, ich seh' schon die Sterne durch die Wipfel flimmern.« – Jetzt hatten sie die letzten Stufen erreicht, auf einmal traten sie zwischen dem dunklen Laub, wie Bergleute aus einem Schacht, ins Freie hinaus. Da sahen sie rechts das alte Schloß und vor ihm die weiten, duftigen Blumenplätze, stille Lauben und Büsche, ein Springbrunnen plätscherte schläfrig dazwischen, weiterhin dämmerte eine unermeßliche Aussicht im Mondglanz durch die wunderbare Einsamkeit herauf. Fortunat schaute schweigend in die Runde, und eh' die kleine Marchesin sich noch besinnen konnte, hatte er schon eine weitgebreitete Linde bestiegen, die am äußersten Abhang über den schimmernden Abgrund hinaushing. »Fiametta!« rief er von oben, »wär's nicht um dich, ich möchte alles wach schreien vor Freude! Sieh, da unten blickt der Strom manchmal so heimlich auf, drüben grasen Damhirsche am mondbeschienenen Abhang, nun seh' ich auch das Dorf, wo die lustigen Mädchen wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das schläft nun alles, alles – nur eine Turmuhr schlägt dort von fern herüber, ich hört' sie damals oft bei stiller Nacht. Und Gott Vater fährt über die Saiten seiner Harfe, wie eine leise Musik zieht's gnadenreich über die stille Gegend.«

Fiametta aber sah sich nach allen Seiten um wie ein scheues Reh. In dem dunklen Buchengange, der vom Schloß herabkam, schwankte das Mondlicht, als bewegten sich bleiche Gestalten, sie fürchtete sich so allein da unten. Fortunat bemerkte es endlich, er reichte ihr die Hand, sie stieg schnell auf die Bank, die unter dem Baume stand, und schwang sich nun zusammen in dem dämmernden Laube bequem zwischen die Äste zurecht, vor ihnen schossen Sternschnuppen über das Land, manchmal bellte ein Hund fern in den Dörfern, Fiametta baumelte, in Erwartung der Dinge, zufrieden mit den Beinchen. »Nun erzähle was«, sagte sie. Und Fortunat besann sich nicht lange, die alte phantastische Nacht flüsterte verworren durch die Zweige, er fing sogleich aus dem Stegreif an, als spräch' er im Traum:

»Es waren einmal zwei Kinder, Kasperl und Annerl, die hatten einander sehr lieb. Die saßen einmal vor dem Hause und besahen schöne Bilder in einem großen Bilderbuch, das die Annerl mitgebracht hatte, die Vögel sangen im Walde, und das Abendrot ging über die Berge vor ihnen. Auf dem Bilde war eine sehr schöne Gegend zu sehen, fruchtbare Auen, Flüsse, Dörfer und Schlösser, dahinter ein wunderbar gezacktes Gebirg mit einsamen Kapellen und Wäldern, an deren Saum eine Prozession mit bunten Fahnen dahinzog. Das Abendrot schien über das Bild, und wie sie es so mit rechtem Fleiß betrachteten, da fingen auf einmal die gemalten Bäume an, leise zu rauschen, schöne bunte Vögel flogen über die Landschaft, die Brünnlein glitzerten im Gebirg, die Fahnen wehten, sie hörten die Prozession aus weiter Ferne singen. Und eh' sich der Knabe noch besinnen konnte, sah er zu seinem Erstaunen auch das kleine Annchen schon mitten drin, sie winkte ihm fröhlich, er faßte sich endlich ein Herz und sprang ihr nach, so liefen sie beide voller Freuden in das Buch und die Landschaft hinein. – Als Kasperl einmal zurücksah, war ihr Haus und die Gegend, wo es stand, schon hinter ihnen verschwunden, von der Prozession hörten sie nur noch manchmal den Gesang herübertönen, die Sonne war lange unter, je weiter sie kamen, je einsamer und prächtiger wurde alles. Auf einmal, da sie eben durch einen Felsenbogen traten, erblickten sie ein himmelhohes Gebirge vor sich, daß es ihnen ordentlich den Atem verhielt. Auf dem höchsten Berge stand ein herrliches Schloß, das war von lauter Silber, mit Gold gedeckt, vor dem Schloßtor aber saß eine wunderschöne Frau, die war über einer Harfe eingeschlummert. Aus ihren langen Locken und Gewändern kam ein prächtiger Mondschein und beleuchtete die Alpen und die wundersamen Klüfte, Wälder und Abgründe ringsumher. Unten, wo die Strahlen nicht mehr hinlangen konnten, sahen sie kleine bucklichte Männchen in der Dämmerung lustig von den Felsenzacken Purzelbäume schießen, von fern klang das Glöcklein eines Einsiedlers, ein Jäger, der sich verirrt hatte, stand auf dem Felsen gegenüber und gab zuweilen mit seinem Waldhorn Antwort. Oben aber am Schlosse weideten weiße Schäfchen auf den Abhängen, hoch vom Turm der Burg bliesen Engel auf silbernen Zinken wunderschön über die stillen Gründe.«

»Ach, da möcht' ich auch einmal hin!« rief hier Fiametta freudig aus. – »Es ist nur gar zu weit von hier«, erwiderte Fortunat – »aber wackle nicht so mit den Beinchen, wir fallen sonst beide vom Baum.« – Sie rückte sich nun näher zum Hören zurecht und Fortunat fuhr wieder fort:

»Das ist die Göttin Luna«, antwortete nun Annerl, auf die Frau vom Schlosse weisend. – »Kennst du sie denn?« fragte Kasperl verwundert. – Sie lachte: »Du bist doch noch sehr dumm für dein Alter, bleib jetzt nur dicht bei mir, sonst verirrst du dich hier.« – Kasperl aber sah nun einen alten, großen, geduckten Mann seitwärts am Wege sitzen, der hatte einen Sack voll prächtiger Äpfel umhängen. Da wurde er ganz genaschig, er wollte nur geschwind noch ein paar Äpfel auf den Weg kaufen, wie er aber in den Sack hineinguckt, erwischt ihn der Mann schnell bei den Füßen, wippt ihn so hinein und schnürt den Sack über ihm fest zu. »Aha, nun hab ich dich!« sagte er und streckte zufrieden die Beine aus, um ein wenig auszuruhen.«

»Pfui, der abscheuliche Kerl!« unterbrach ihn hier Fiametta von neuem, »ich möchte so einen Menschenfresser am liebsten gleich zerpflücken! Nun kommen gewiß die armen Kinder auseinander.«

»Ja freilich«, entgegnete Fortunat. »In der Angst und Finsternis arbeitete Kasperl wütend mit seinen Ellbogen in den Äpfeln herum. »Aber sein Sie doch nicht so sackgrob, Sie erdrücken mich ja«, wisperte da plötzlich ein ein feines Stimmchen neben ihm. – »Bist du's?« fragte er leise. »Jawohl«, antwortete das Stimmchen, »ich bin auch gefangen und nage schon lange an dem Sack, daß mir die Zähne weh tun. Jetzt ist der Alte eingeschlafen, hören Sie nur, wie er schnarcht. Sie haben so starke, dicke Finger, sein Sie doch so gütig und helfen Sie mir ein wenig reißen.« – Es war ein allerliebstes, kleinwinziges Mäuschen, das so artig sprach. Kasperl riß nun ganz vorsichtig an dem Sack, das Mäuschen wischte hinaus, biß ihn im Fortspringen noch schelmisch in den Finger und verschlüpfte dann schnell im Mondschein, er hörte es noch fern zwischen den Steinen kichern. Jetzt kroch er selber sacht hervor, steckte noch geschwind einen hübschen Apfel in die Tasche und nahm dann eilig Reißaus. – Aber, Gott weiß, der Alte mußte einen groben Flausrock anhaben, denn Kasperl geriet auf einmal in ein verworrenes, ungebürstetes Gestrüpp, in der Eile hatte er den Weg verloren und war, anstatt herabzuklappern, an dem alten Rockärmel gerade hinaufgelaufen. Als er aber oben stand, erstaunt' er erst recht! Da war der Morgen schon angebrochen, der Menschenfresser unter ihm war nichts anderes als der alte, graue Fels vor seines Vaters Haus, und wo er das prächtige Schloß gesehen hatte und die wunderbaren Klüfte im Mondschein, da lagen jetzt fahle, dicke Wolken übereinander und dehnten sich noch halb im Schlaf. Er sah die Schornsteine in seinem Dorfe rauchen, der Nachbar trat gähnend in die Tür. »Kikereki!« rief er, »Kasperl, du willst wohl den Tag auskrähen, daß du dich da so früh auf den alten Stein-Jürgen gestellt hast.«

»Aber das arme Annerl?« fiel Fiametta wieder ein. – »Wart' nur, es wird gleich noch viel schöner kommen«, erwiderte Fortunat: »Das schöne Annerl war fort und kam nicht wieder, und niemand wußte was von ihr, denn sie war immer nur gegen Abend heimlich aus dem Walde mit ihm spielen gekommen. Da war Kasperl ganz traurig, er mußte viel lernen und sehnte sich sehr und wurde darüber nach und nach groß und stark. Einmal des Nachts aber, als der Mondschein über die Wälder glänzte, da kam es ihm vor, als säße die wunderschöne Frau draußen auf dem Berg vor dem Hause und blätterte in dem alten Bilderbuch, daß der Goldschnitt beim Umwenden zuweilen seltsam über die Bäume am Fenster funkelte. Da wurde er sehr unruhig, und als kaum noch der Morgen dämmerte, saß er schon ganz angezogen in seiner Kammer am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt. Da fiel es ihm erst ein, daß er den Apfel, den er damals aus dem Sacke mitgenommen, noch immer in der Tasche hatte. Er nahm ihn heraus und biß vor Schwermut drein, um ihn aufzuessen. Da schreit auf einmal etwas drin, und ein Köpfchen streckt und zwingt sich hervor, und wie er endlich verwundert den Apfel aufbricht, steigt ein kleines, braunes Kerlchen mit Wanderstab und Tasche aus dem Kernhaus. – »Wer bist du?« – »Der Äpfelmann. Adeiu!« – Das Männchen ging über den Tisch fort, blieb aber plötzlich am Rande stehen, weil er nicht herunterkonnte. – »Ich will dir wohl herunterhelfen, du armer Wicht«, sagte Kasperl, »aber du mußt mir dagegen etwas versprechen. Kannst du mich zu der Göttin Luna führen?« – »Warum nicht?« erwiderte das Kerlchen. Da nahm er es sauber zwischen die Finger und setzte es draußen auf den Rasen. Nun traten sie sogleich ihre Wanderschaft an. Der Kleine hinkte, denn Kasperl hatte ihn vorhin im Apfel in die große Zehe gebissen. Kaum aber waren sie weiter in die Heide gekommen, so humpelte das Kerlchen so ungeheuer fix fort wie ein Grashüpfer und lachte und rief immer zurück: »Komm mir doch nach, komm mir doch nach, hast ja so lange Beine!« und ehe sich's Kasperl versah, hatt' er das Kerlchen in dem hohen Grase verloren. Da war er nun wieder so klug wie vorher. – Es war aber gerade ein schöner Sonntagsmorgen. Ein Birnbaum ging eben übers Feld zur Kirche und rauschte Gottes Lob. »Gelobt sei Jesue Christ!« grüßte ihn Kasperl, »habt Ihr nicht so einen kleinen, braunen Pilgrim gesehen?« – »In Ewigkeit«, entgegnete der Birnbaum, »ich glaube, ich habe vorhin so was im Grase zertreten.« – »Ach Gott«, klagte Kasperl, »der hat mich irregeführt, nun weiß ich nicht, wo ich bin! wenn ich nur einen Felsen oder Turm wüßte, um mich ein wenig umzusehen in der Welt.« – »Jetzt hab' ich keine Zeit zu Narreteien«, meinte der Birnbaum; da aber Kasperl betrübt weitergehen wollte, tat es ihm leid. »Nun, komm nur schon, komm, was man auch für Not hat mit euch Kindern«, sagte er und stieg schnaufend und ächzend auf einen hohen Berg hinauf, wo er sich breit zurechtstellte und seine grünen Äste lustig in die blaue Luft hinausstreckte. Das ließ sich Kasperl nicht zweimal sagen, er kletterte schnell bis zum Wipfel hinan – da aber warf er plötzlich seinen Hut hoch in die Luft und schrie Hurra! aus Leibeskräften, denn jenseits erblickte er auf einmal das wunderbare Gebirge wieder, daß ihn ordentlich schwindelte vor großer Freude. – »Nun zaus mich doch nicht so grob, das tut ja weh«, sagte der Baum. Aber Kasperl schwang sich schon hastig wieder hinab; »Gott's Lohn, Gott's Lohn!« rief er einmal übers andre. Der gute Birnbaum aber schüttelte sich zum Valet im Morgenhauch, daß der ganze Rasen voll schöner, goldener Früchte lag, die kollerten und hüpften lustig über den grünen Abhang hinunter, und Kasperl sprang ihnen nach zwischen den Morgenlichtern in die prächtige Gegend hinein. – War nun das Gebirge beim Mondglanz schön gewesen, so war jetzt alles noch vieltausendmal schöner im funkelnden Morgenlicht. Das prächtige Schloß mit seinen stillen Türmen stand ganz in rosenroter Glut, die Bäche waren von purem Gold, die Wälder rauschten und blitzten von Rubinen und Smaragden, auf den Alpen standen Engel umher und fachten mit ihren langen, regengbogenfarbenen Flügeln das Morgenrot an. Und als er endlich zum Walde kam, da erblickte er auf einmal ein wunderschönes Mädchen auf einem weißen Hirsch, die hatte ein lustiges, funkelndes Krönlein im Haar. Mein Gott! die sollt' ich ja kennen, dacht' er bei sich – es war sein liebes Annerl! – Sie hielt lachend still und sagte: »Die schöne Frau Luna ist verwichene Nacht untergegangen, sie läßt dich noch grüßen, ich aber bin ihre Tochter Aurora, die Königin der Wälder.« – »So will ich König sein«, rief Kasperl und schwang sich hinter sie auf den Hirsch, und hui! ging's nun durch die Waldesnacht unter einsamen Burgen, an kühlen Strömen und Gärten und schimmernden Fernen vorüber, und jedem ging das Herze auf, der sie von fern vorüberfliegen sah. – So hausten sie fortan miteinander in freudenreichem Schalle, und da sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute – denn ich bin der verliebte Kasperl, und du die Waldkönigin Aurora, mein liebes, liebes Dichterweibchen!«

So schloß Fortunat und küßte Fiametten auf die verschlafenen Augen. Da stieß sie ihn leise an und wies in das Land hinaus. Ein leiser Schimmer flog über die Gegend, wie wenn ein Kind im Traume lächelt, eine früherwachte Lerche hing schon liedertrunken über ihnen hoch in der Dämmerung. »Grüß dich Gott, du schöne, wunderbare Welt!« rief Fortunat, »jetzt frisch ans Werk!« – Sie schüttelten sich schauernd in der Morgenkühle, er sprang schnell vom Baum, Fiametta folgte, er fing sie unten in seine Arme auf. Dann gingen sie schweigend miteinander durch den dämmernden Garten.

Fortunat hatte sich schon im voraus alles klug ausgesonnen. Fiametta sollte fürs erste sich in der Nähe der Amtmannswohnung noch im Grün verborgen halten, er selber wollte underdes in der Morgenglut wie ein Falke das Haus umkreisen und auf Waltern, den er als einen frühen Vogel kannte, wo er sich blicken ließe, sogleich niederstoßen, um mit ihm das Weitere zu verabreden, bevor die andern dazukämen.

Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Als sie so unter den feierlich rauschenden Wipfeln des Buchwaldes fortgingen, zupfte und rückte Fiametta mit klopfendem Herzen ihr Wämschen zurecht wie ein Vöglein, das sich im Morgenschein die Flügel putzt, und fing italienisch zu plaudern an, das klang wie ein Glöckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte des schönen Frühlingsmorgens, als er mit Waltern zum erstenmal hier eingestiegen. Da war alles wieder so kühl und frisch wie damals. Bald erblickte er seitwärts die duftigen Blumenplätze, den Sitz unter der Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch schon die weißen Schornsteine herüber – auf einmal standen sie unter den hohen Bäumen vor dem Hause. Da lag noch alles in tiefer Ruh', durch das Weinlaub am Fenster konnte er die untere Stube übersehen, den bunten Teppich im ungewissen Schimmer und die vergoldeten Rahmen der Bilder gegenüber an der Wand, die alte Stockuhr schlug drin soeben vier. Unter den Bäumen aber stand noch der große runde Tisch mit den Stühlen umher, wie in der alten Zeit, der Amtmann hatte seine Pfeife draußen vergessen, auch Florentinens Gitarre hing wieder über dem Stuhl. Da überkam Fortunaten unwiderstehlich seine alte Reiselustigkeit, der kluge Plan, Vorsicht, Geheimnis und alles war vergessen, er ergriff die Gitarre, sprang auf den Tisch hinauf und sang recht aus Herzensgrunde:

Wer steht hier draußen? – Macht auf geschwind!
Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
Es ist der lust'ge Morgenwind,
Der kommt durch den Wald gepfiffen.
Ein Wandervöglein, die Wolken und ich
Wir reisten um die Wette,
Und jedes dacht: nur spute dich,
Wir treffen sie noch im Bette!
Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
Die drin noch Küsse tauschen;
Wir brechen sonst mit der Tür ins Haus:
Klang, Duft und Waldesrauschen.

Bei den letzten Klängen öffnete sich oben leise ein Fenster. Florentine fuhr mit dem verschlafenen Köpfchen hervor, er hätte sie beinah nicht wiedererkannt, so prächtig, voll und blühend war sie geworden. »Herr Jesus! sind Sie's, Herr Baron?« rief sie ganz erschrocken und schlug schnell das Fenster wieder zu, denn der Morgenwind wollte ihr das leichte Halstuch nehmen. Nun hörte er im Hause die Türen gehen, rufen und rumoren. Draußen aber kletterte das Morgenrot fix über die Spaliere und Weinranken das stille Haus bis zu den Schornsteinen hinan und guckte neugierig über die Bäume und Fortunat sang von neuem:

Ich komme aus Italien fern
Und will euch alles berichten,
Vom Berg Vesuv und Romas Stern
Die alten Wundergeschichten.
Da singt eine Fei auf blauem Meer,
Die Myrten trunken lauschen
Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
Als das deutsche Waldesrauschen!

Als Walter von Italien hörte, zweifelte er nicht länger. Eilig in hohen Schmierstieflen, die er gegen den beißenden Tau zu gebrauchen pflegte, kam er atemlos aus dem Hause gestürzt. »Mein Gott! du, Herzensbruder!« rief er schon von weitem und flog, außer sich vor Freude, in Fortunats Arme und stach ihn tüchtig mit seinem schlecht rasierten Bart. Fortunat war im ersten Augenblick ganz verblüfft, denn Walter kam ihm so verbauert vor, altmodisch beim Reden schreiend und gebräunt im Gesicht; aber die treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man sah bis in den Grund der Seele, er war doch durch und durch noch der alte. Jetzt fiel plötzlich ein Schuß hinter ihnen, daß alle zusammenfuhren. Auf der Anhöhe wurde der tolle Förster sichtbar, der von dem Besuche schon Wind bekommen. Er drehte den dünnen, flechsenreichen Hals weit aus der schmalen, engen Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht erkannt hatte, feuerte er aus seiner Doppelbüchse geschwind noch einmal über ihre Köpfe weg und stürzte mit großem Vivatgeschrei zu ihnen herab. Dann erwischt er unversehens Fiametta, die gar nicht wußte, wie ihr geschah, und walzte wütend mir ihr unter den Bäumen herum, seine langen Rockschöße, die weit im Rade umherflogen, schleuderten einen von den Gartenstühlen soeben in die Haustür, als die Frau Amtmannin feierlich heraustreten wollte. »Nun Gott behüt' uns, Herr Nachbar«, rief sie empfindlich, »was ist das wieder für eine Aufführung!« – »Einführung, Frau Muhme«, entgegnete der Förster, »hohe Reisende, bal à la fourchette, St. Veits-Tanz, Apfelsinen und Italien! da hat mich so eine verfluchte Tarantul in die Füße gebissen.« – Nun schwenkte auch der Amtmann seine schneeweiße Schlafmütze, hinter der das hübsche Gesichtchen Florentinens hervorguckte, alle schrien und fragten durcheinander, die Amtmannin knickste unter vielen Redensarten, die niemand hörte, ein aus dem Schlaf verstörter kalekutischer Hahn hatte sich schon während des Walzers in des Försters fliegende Schöße verbissen – man konnte gar nicht zu Worte und ins rechte Geschick kommen. – »Und der junge Herr? – mit wem hab' ich die Ehre?« – sagte endlich die Frau Amtmannin, mit einem halben, ungewissen Knicks gegen die hocherrötende Fiametta gewendet. – »Himmeltausend! da habe' ich nun was Schönes angerichtet!« dachte Fortunat. Er besann sich nicht lange. »Ein junger Vetter von mir aus Italien«, sagte er. – »Ah« – rief der Förster erstaunt und entschuldigte nun mit abenteuerlicher Galanterie die ganz ergebenste Erdreisung seiner nicht wissenden Keckheit. Er mühte sich sichtbar ab, in seinen überaus höflichen Diskurs verständlicher zu werden, kam wieder auf die Taranteln zu sprechen, die eigentlich in Italien ansässig seien, ging dann auf die Skorpionen über, auf die er einen ganz besonderen Haß geworfen zu haben schien, und bot ihr endlich eine lange, frischgestopfte Pfeife an. – »Nicht doch, die Herren Italiener pflegen nicht zu rauchen«, rief die Amtmannin vermittelnd herüber. – »Nun, so tu ich's selbst mit Erlaubnis«, erwiderte der Förster und fing in schnellen Zügen heftig an zu dampfen, während die allezeit heitere Fiametta, in dem dicken Tabaksqualm sich manchmal verhustend, ihm in aller Geschwindigkeit die ungeheuersten Geschichten erzählte von geflügelten Skorpionen und einer wahnsinnigen Tarantul, die den St. Veits-Tanz erfunden.

Der Amtmann, als sich endlich der erste Jubellärm ein wenig gelegt hatte, blickte vergnügt in die Runde. »Im Kalender«, sagte er, »ist heute kein Feiertag angemerkt, aber der liebe Gott hat ihn draußen rot angestrichen, so weit man nur sehen kann.« Und in der Tat, das alte Schloß, die Wälder, Strom und Täler glühten nun ringsum im schönsten Morgenrot. Die Frauen hatten unterdes den Tisch gedeckt, die Vögel sangen über ihnen im Walde, und die Morgenlichter funkelten lustig über die Weinflaschen und Gläser auf dem blendendweißen Tischzeug. Walter legte in seiner Fröhlichkeit die Gitarre in Florentinens Arm, sie mußte, nicht ohne häufiges Erröten, gleich zum Willkomm alle Lieblingslieder des Hauses durchsingen. Eine tiefe Wehmut flog dabei durch Fortunats Seele: es waren noch immer dieselben Lieder, die er damals hier gesungen und gedichtet – so lange hatten sie nachgeklungen in dieser Einsamkeit! – Dann mußte er selbst ihnen von seinen Reisen, von Rom und Sizilien erzählen, dazwischen kamen immer wieder hiesige Geschichten aufs Tapet von alten Bekannten und von den hübschen Mädchen, mit denen er damals im Garten getanzt, sie zeigten ihm die Dörfer in der Ferne, wo sie nun glücklich verheiratet waren, da ein grünverschattetes Pfarrhaus, dort ein paar Schornsteine einsam über dem Wald. Der nach literarischen Neuigkeiten ausgehungerte Walter versuchte mehreremal vergeblich, ein wissenschaftliches Gespräch mit Fortunaten anzuknüpfen. Er hatte noch immer die alte Angst, mit der Bildung fortzuschreiten, und hielt eine Menge Journale, die aber meist ungelesen blieben und von seiner hübschen Frau zum Kuchenbacken verbraucht wurden. Diese hatte sich jetzt mit ihrem Kinde an der Brust vor die Haustür gesetzt, die Morgensonne spielte zwischen dem Weinlaub lieblich über Mutter und Kind. Zuweilen blickte sie unter ihren langen, dunklen Augenwimpern scharf nach Fiametta hinüber, die unterdes, das Köpfchen auf beide Arme gelegt, über dem Schwirren und Summen der Gläser, Teller und Reden am Tische eingeschlafen war.

So war es unter den munteren Gesprächen fast völlig Tag geworden, als auf einmal Walter, einen erbrochenen Brief in der Hand, eilig aus dem Hause trat. »Das ist heut ein wahrer Wundermorgen!« rief er lachend aus, »denkt euch, da schreibt mir eben unser Rechtsfreund aus der Stadt, ich möchte ihm kollegialisch beistehen, eine junge adelige Dame auszukundschaften, die mit ihrer Kammerjunfer ihrer alten Tante entflohen und deren Spur zwischen unsern Bergen verlorengegangen sein soll.« – »Kurios«, sagte der Amtmann, »ja, wilde Wasser lieben die Berge.« – »Was!« – rief der Förster, der eben eine neue Pfeife gestopft und nur halb hingehört hatte. – »eine alte, wilde Tante ist im Wasser verlorengegangen?« – »Ja«, fiel Fortunat ein, »und der Rechtsfreund mit ihrer Kammerjungfer entflohen.« – Walter hatte Mühe, die Konfusion zu berichtigen. »Ein angesehener Mann«, fuhr er dann fort, »verfolgt nun die Flüchtlinge im Auftrag der Tante und hat in der Stadt amtliche Hülfe in Anspruch genommen. Da bist du uns eben zur rechten Stunde gekommen, Fortunat.« – »Ich? wieso?« fragte dieser betroffen. – »Ich meine, als Dichter in solchen romantischen Fällen.« – »Ach teurer Freund«, entgegnete Fortunat, »ich wollte, die Romantik wäre lieber gar nicht erfunden worden! Solche romantische Verliebte – und das ist die adlige Dame gewiß samt der alten Tante und dem Rechtsfreund und seiner Kammerjungfer – die machen zusammen an einem Morgen mehr dumme Streiche, als ein gesetzter Autor im letzten Kapitel jemals wiedergutmachen kann!« – Da hatte er nun eben recht das Kapitel der Frau Amtmannin getroffen. Sie nickte ihm freundlcih zu, klagte über den jetzigen Leichsinn der Jugend und schob alles auf die Poesie. Fortunat stimmte ihr in seiner Not gern bei und hetzte noch immer mehr gegen die Poeten. Der Förster aber, nachdem er endlich alles begriffen, saß währenddes wie in Konvulsionen des heftigsten Nachdenken, bald starrte er in den Himmel, bald wieder in die dicken Tabakswolken vor sich hin. – »Topp, sie ist's«, rief er plötzlich aufspringend aus und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. »Wer?!« – wandte sich Fortunat erschrocken herum. Über den Lärm war Fiametta aus dem Schlafe aufgefahren, Florentine sah ihr wieder scharf in die verträumten Augen – es hing alles an einem Haar.

Aber der Förster legte schnell die Pfeife hin und setzte martialisch seinen dreieckigen Hut auf. »Jetzt kommt nur mit«, sagte er, »alle, die ihr hier seid, zur Mühle dort am Wald, aber sogleich, damit wir die Vögel noch im Nest erwischen.« – Fortunat atmete wieder leichter auf. – Vergebens drang man nun in den Geheimnisvollen, sich näher zu erklären. »Ich will die alte Tante sein«, sagte er nur, »wenn ich euch nicht das Fräulein schaffe, und sollte sie wie ein Eichhörnchen von Baum zu Baum springen.« – Die Amtmannin mochte von dem Abenteuer nichts wissen und blieb mit Florentinen zurück, die andern aber wanderten erwartungsvoll dem Wald ezu. In dem allgemeinen Aufruhr konnte Fortunat durchaus keinen Augenblick gewinnen, Waltern auf die Seite zu nehmen, sooft er ihm auch heimlich zuwinkte.

Nach einem kurzen Gange erblickten sie die Mühle in einer einsamen Waldschlucht. Von einem Bergeshange tief verschattet, war in dem kühlen Grunde kaum noch der Tag angebrochen, die Vögel erwachten eben erst in dem stillen Gärtchen, nur die Tauben schimmerten vom Dach, das schon von der Morgensonne beleuchtet war. Hier verteilte der Förster seine Begleiter vorsichtig an allen Ausgängen und gebot ihnen, sich still zu halten, er selbst aber ging eilig in die Mühle. Da sahen sie, wie sich im Hause ein Dachfenster halb und leise öffnete, sie glaubten oben ein junges Mädchen zu bemerken, das bei ihrem Anblick schnell den Laden wieder zuschlug. »Was ist denn das?« – flüsterte Fiametta ängstlich Fortunaten zu. – »Ich glaube«, erwiderte dieser, »der ganze Morgen ist toll geworden und spiegelt unsere eigene Geschichte närrisch in der Luft.« – Jetzt entstand ein Tumult im Hause, der Waldbach stürzte plötzlich brausend über das Mühlrad, zwischen dem Rauschen hörten sie rennen, klappen und zanken. Auf einmal sprang die Haustür auf und der Förster trat mit triumphierendem Anstande hervor, er führte feierlich eine fremde, wohlgekleidete Dame am Arm, der Morgenwind schlug ihren grünen Schleier zurück und zeigte ein junges, schönes Gesicht. – Da besann sich Fortunat nicht lange. »Welche Überraschung, mein Fräulein!« – rief er schnell hinzuspringend aus – »als ich das Glück hatte, Sie bei Ihrer verehrungswürdigen Tante zu sehen, wer hätte da an diese verwünschte Mühle gedacht! Ich bedaure nur, wenn dieser vorwitzige Morgenwind zu früh den Schleier gelüftet und das harte Gebirg manchen Stein des Anstoßes -« Nun war auch Fiametta dazugekommen und drückte die Hand der Dame zärtlich an ihr Herz. »Himmlisches Mädchen«, sage sie, »und das alles um mich! – Aber wie war es möglich? wie erfuhrst du, wo ich Unglücklicher umherschweife? Ja, leugne nur nicht länger, ich weiß es ja doch, du Liebe, Arme! um mich verließest du Schloß und Tante – o es geht mir alles wie ein Mühlrad im Kopfe herum!« – Die Dame sah in höchster Verwirrung bald den einen, bald den andern an und wußte nicht, was sie erwidern sollte. Die beiden ließen sie aber nicht mehr los, sie führten sie in ihrer Mitte so rasch der Amtmannswohnung zu, daß die andern kaum folgen konnten, dabei sprachen sie unterwegs oft heimlich untereinander. Walter war ganz verdutzt, auch der Amtmann schüttelte bedenklich den Kopf, der Förster aber schimpfte voller Zorn. »So eine schöne Dame«, sagte er, »und einem solchen Milchbart nachzulaufen, dem die Eierschalen noch am Schnabel hängen! Da ist keine Gerechtigkeit in dem Handel, ebensogut könnte sich der Herr Amtmann da in mich verlieben.« Dann pfiff er mit großem Lärm auf dem Finger nach seinen Hunden, warf die Büchse auf den Rücken und schritt ohne Abschied in den Wald.

Unterdes waren die andern zu Hause angelangt, wo Fiametta sehr fröhlich den erstaunten Frauen ihre unverhofft wiedergefundene Freundin vorstellte. Walter wollte folgen, aber Fortunat faßte ihn am Arm und führte ihn rasch in den Garten hinein. »Nun hilf aus der Konfusion!« rief er aus, da sie allein waren, »denn die gefangene Dame ist eigentlich die Kammerjungfer meines Vetters, und mein Vetter ist meine Geliebte, und meine Liebste ist die entsprungene Nichte der alten Tante.« Er erzählte nun kurz den ganzen Hergang der Sache und wie die Kammerjungfer, plötzlich so verlassen in der Fremde, heimlich ihre Spur im Gebirge verfolgt und gestern abends – was der Förster zufällig erfahren haben müsse – in der Waldmühle eingekehrt sei, um erst das Terrain auszuforschen und sich des Morgens auf eine geschickte Art wieder mit ihnen zu vereinigen.

Als er geendigt hatte, hüllte er sich in sich selbst, um den Hagelschauer freundschaftlicher Vorwürfe geduldig abzuwarten. Walter aber, aus seiner einförmigen Einsamkeit so auf einmal mitten in das romantischste Abenteuer mit hineingeworfen, rief zu seinem Erstaunen: »Die kleine Marchesin will ich mit Gut und Blut wie meinen Augapfel beschützen« und rannte dann voll Begeisterung sogleich nach dem Hause zu. Unterwegs begegnete ihnen Florentine und fragte, was sie vorhätten? Walter in seiner Freude erwischte sie bloß beim Kopf, küßte sie tüchtig ab und wollte weiter. Aber sie hielt ihn fest. »Tut mir nur nicht so wichtig und geheimnisvoll«, sagte sie, »merkt' ich's doch längst!« – Walter sah sie groß an. – »Dieser Herr Vetter aus Italien« – fuhr sie fort – »wie er sich gleich anfangs vorsichtig auf den Stuhl setzte, als wollt' er sich die Röcke nicht zerknittern – sein Gang, die Stimme – dann -« hier stockte sie plötzlich – »Nun?« fragte Fortunat. – »Dann sah er Sie einmal lange, lange an, als Sie eben mit den andern sprachen und niemand achtgab.« – Jetzt standen sie eben auf einer freien Anhöhe. Jenseits von den Waldbergen leuchtete die alte Burg in der Morgensonne herüber, wo Florentine ihm auf jener Spazierfahrt einmal flüchtig einen Kuß gegeben hatte – sie dachten beide daran. Die schöne Frau schlug verwirrt und errötend die Augen nieder – dann reichte sie ihm freundlich lächelnd ihre Hand, in die er recht herzlich einschlug. Währenddes ging Walter eifrig auf und nieder und zerbrach sich den Kopf. »Wär' nur der fremde Herr nicht, der euch verfolgt!« rief er ärgerlich aus. – »Ei was!« entgegnete Fortunat lustig, »ich hab' das Mädchen und er die Tante, laß ihn die heiraten!«

Sie setzten sich nun auf die Bank unter der Linde und beratschlagten miteinander, was jetzt zunächst zu tun sei. Nach vielem Hin- und Hersinnen wurde endlich einmütig beschlossen, vor dem Förster und den andern das einmal eingeleitete Mißverständnis zu benutzen und die Kammerjungfer für die entflohene Geliebte des Vetters auszugeben, beide aber einstweilen im Hause zu verwahren. Fortunat dagegen sollte schleunigst zu der Tante aufbrechen und dort, bevor er ihr den Aufenthalt Fiamettas entdeckte, nach den Umständen alles selbst vorsichtig ins rechte Geleis zu bringen suchen. »Du hast Rang, Vermögen«, sagte Walter, »und bist eine so gut Partie für die Marchesin als irgendeine im Lande, es müßte wahrlich mit dem Eigensinn eines Romanschreibers zugehen, wenn ihr euch zuletzt nicht noch kriegtet.«

Währenddes hörten sie Fiametta im Hause lustig plaudern und lachen. Der Förster, den sie weit im Walde wähnten, hatte nämlich sorgfältig seinen neuen Frack und eine lange, weiße Busenkrause angelegt und wandelte unter allerlei aus der Luft gegriffenen Vorwänden um das Haus, den Hals nach den oberen Fenstern verdrehend. »Ich glaube wahrhaftig«, sagte die Amtmannin, »der alte Narr ist in das gnädige Fräulein geschossen.« Fiametta aber hatte geschwind die Kammerjungfer beredet, ans offene Fenster zu treten, warf ihr einen großen Schal um und fing hinter derselben an zu agieren und den Förster anzureden, indem sie ihm gerührt für seine Mühwaltung dankte, wodurch er ein von der Tarantel der Liebe gebissenes Herz so frühzeitig von den Holzwegen des Leichtsinns zurückgeführt. – Als er nun seinerseits sich anschickte, verbindlich zu antworten, konnte sie vor Lachen nicht weiter, winkte ihn geheimnisvoll fort, als ob sie belauscht würden, und schlug schnell das Fenster wieder zu. – Florentine schüttelte bedenklich den Kopf und konnte sich durchaus in das buntfarbige Wesen nicht finden.

Fiametta aber, da die Männer ihr jetzt ihren Plan mitteilten, war von der Aussicht einer endlichen, baldigen Entscheidung ihres verwickelten Liebeshandels wie berauscht. Und als nun Florentine noch in aller Eile anfing, Kuchen zu backen, die sie morgen Fortunaten auf die Reise mitgeben wollten, half sie ihr mit großer Geschäftigkeit und naschte die schönsten Rosinen weg. Zuletzt aber, da sie selbst den Teig angefaßt, mußte auf ihr klägliches Geschrei alles zu Hülfe eilen, um ihre Finger wieder rein zu machen. – Nun ließ sie das Backen ganz und gar und zeigte Fortunaten die Wohnung, die sie ihr oben angewiesen hatten. Es war die schönste Stube im ganzen Hause, sie lag nach dem Walde zu, der durch alle Fenster hereinsah. Da ging es nun lustig ans Einpacken für morgen, die Vögel sangen draußen in den Wipfeln, Fiametta kniete in der grünen Dämmerung vor Fortunats Felleisen und plauderte vergnügt von den schönen Bergen, über die er kommen würde, von dem prächtigen Schloß und dem Garten der Tante, dabei packte sie heimlich allerlei Kleinigkeiten von sich unter seine Wäsche und wurde über und über rot, als er's bemerkte.

So war unter munteren Verabredungen und Vorbereitungen der Tag verflossen. Walter hatte, die Müdigkeit seiner Gäste vorschützend, für den Abend jeden Besuch entfernt gehalten, die Hausgenossen selbst, nach der halbdurchwachten Nacht, waren schon früh zur Ruh gegangen. Nur Fortunat und Fiametta saßen noch vor der Haustür und hörten zu, wie die Mädchen unten im Dorfe vor dem Johannesbilde und die Heimchen von der fernen Wiese sangen. Fiametta saß zu seinen Füßen im Gras, sie hatte die Gitarre auf ihren Knien uns sah still in die mondbeschienene Gegend hinaus, er hatte sie noch nie so nachdenklich gesehen. – Da erklang auf einmal weiter oben ein Waldhorn. Es war der verliebte Förster, der den Herrschaften ein Ständchen blies. Und als nun allmählich Waldhorn und Johanneslieder verklangen und alles still geworden war im Hause und im Tal, da nahm Fiametta ihre Gitarre und sang:

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.

Fiametta legte die Gitarre schnell weg, verbarg ihr Gesicht an Fortunats Knien und weinte bitterlich. – »Wir reisen wieder hin!« flüsterte ihr Fortunat zu. Da hob sie das Köpfchen und sah ihn groß an. »Nein«, sagte sie, »betrüg mich nicht!«


 << zurück weiter >>