Joseph von Eichendorff
Dichter und ihre Gesellen
Joseph von Eichendorff

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Auf der Donau glitt bei dem heitersten Wetter ein Schiff zwischen den schönen, waldigen Bergen und Burgen hinab. Von Zeit zu Zeit erschallte ein so herzhaftes Lachen von dem Schiffe, daß die Vorübergehenden am Ufer stehenblieben und vor Lust mitlachen mußten, ohne zu wissen warum. Es waren reisende Kaufleute, Studenten und Jäger, die auf dem Verdeck im Kreise umherlagen, in ihrer Mitte ein kleiner, stämmiger Mann mit Reisetasche und breitkrempigem Pilgerhut, der ihnen aus seinem eigenen Leben die unerhörtesten Abenteuer erzählte und jedesmal ganz entrüstet war, wenn sie lachten und ihm nicht glauben wollten. Abgesondert aber von dem lustigen Häuflein stand mitten im Schiff ein wunderschöner Jüngling in zierlicher Jägertracht an den Mast gelehnt, er hatte eine Zither im Arm, die er in der Kajüte gefunden, ihm zu Füßen saß ein anderer hübscher Junge. Beide konnte man für Schüler halten, die zur Vakanz reisten, und es war anmutig zu sehen, wie die fröhlichen Bilder, bald im kühlen Schatten der Felsen, bald von der Abendsonne hell beschienen, zwischen den wechselnden Landschaften dahinflogen. Der eine am Mast blickte frisch unter seinem Reisehut in das Grün hinaus und sang:


»Sie stand wohl am Fensterbogen
Und flocht sich traurig ihr Haar,
Der Jäger war fortgezogen,
Der Jäger ihr Liebster war.
Und als der Frühling gekommen,
Die Welt war von Blüten verschneit,
Da hat sie ein Herz sich genommen
Und ging in die grüne Heid.
Sie legt das Ohr an den Rasen,
Hört ferner Hufe Klang –
Das sind die Rehe, die grasen
Am schattigen Bergeshang.
Und abends die Wälder rauschen,
Von fern nur fällt noch ein Schuß,
Da steht sie stille, zu lauschen:
»Das war meines Liebsten Gruß!«
Da sprangen vom Fels die Quellen,
Da flogen die Vöglein ins Tal,
»Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen,
Grüßt mir ihn tausendmal!«

Die Gesellschaft war längst auf den schönen Gesang aufmerksam geworden; der abenteuerliche Pilger trat vor den Sänger und sang ihm sogleich nach derselben Melodie zu:

»Das klingt wie ein Waldhorn in Träumen,
Was irrst du durch das Gestein,
Mein Rehlein, unter den Bäumen?
Ich will dein Jäger sein!«

Der Sänger sah ihn einen Augenblick von der Seite an und antwortete, ohne sich lange zu besinnen:

»Sie aber lachte im Wandern:
›Du hast einen kecken Mund,
Ich aber mein einen andern,
Du bist mir zu kurz und rund!‹«

Hier erschallte ein allgemeines Gelächter, der Sänger erschrak darüber, warf schnell die Zither fort und setzte sich zu seinem Gesellen. Der Runde aber war nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen, er machte sich, sehr vergnügt, sogleich mit Witzen an die beiden und wollte sie ins Bockshorn jagen. »Mein zärtlicher Herr Jäger«, sagte er, »mir scheint, Ihr seid viel mehr geschossen, als Ihr jemals geschossen habt.« – »Und Ihr, scheint mir, habt Euch verschossen«, versetzte das muntere Jägerbürschchen, »denn der Witz brennt Euch von der Pfanne.« – »Wird Euch wenigstens kein Härchen über der Oberlippe versengen! Wett' ich doch, Ihr hättet gar zu gern einen Schnauzbart an Eurem Mund.« – »Wenn die Schnauze darunter hübscher wär' als Euere!« – »Ich bitt' Euch, schnauzt mich nur nicht so an. Aber, Bart beiseite, ich fürcht', er wird gleich grau sprossen, denn nach Eurem verliebten Liede macht Euch ein Mädchen viel Not.« – »Nein, zwei, so närrisch sie sind, ich hab sie schon ganz müde gejagt.« – »Daß die Jungfern nur dabei nicht fallen! Wo jagt Ihr sie hin?« – »Unter die Haube.« – »Was! führt Ihr Hauben mit Euch?« – »Gewiß, da guckt her!« – Hier lüftete der Jäger ein Felleisen, das hinter ihm lag. Der Pilgrim, der etwas kurzsichtig war, fuhr neugierig mit der Nase hinzu, und eh' er sich's versah, hatte ihm das Bürschchen von hinten eine schneeweiße Schlafmütze über den Kopf gestülpt.

Nun aber war der aufrecht stehende Zipfel der Nachtmütze nicht anders als wie ein Blitzableiter, in den plötzlich von allen Seiten alle Witze, matte und feurige, durcheinander einschlugen. Darüber wurde der Pilger ganz hirnschellig, man wußte bei seinem wunderlichen Wesen nicht recht, ob es ihm Ernst oder Spaß war mit der Wut. Der junge Jäger, da er unverhofft solche Wirtschaft angerichtet, saß unterdes mäuschenstill und blickte nur ein paarmal scheu herüber. Als er aber den Pilger so auf das allerlustigste schimpfen hörte und unter seiner Schlafhaube wohl die Hasenohren sah, konnt' er's doch nicht lassen; er sprang von neuem auf, schnalzte mit seiner Reitgerte und parlierte immerfort keck mit drein. Die lustigen Vögel im Schiff hetzten: sie sollten sich miteinander schießen, der Abend brach auch herein und vermehrte die Verwirrung, der Pilger schwor, er wolle noch heut mit der Degenspitze aus dem schönen Jungen eine junge Schöne herauskitzeln! Das Jägerbürschen aber flüsterte heimlich seinem Gesellen zu: »Was fangen wir nun an? Ich bitt' dich, Hänschen, rat mir!« – Da stieß das Schiff am Land.

Während die anderen nun ihre Bündel, Tabakspfeifen und Feldflaschen noch zusammenfassten, eilte Dryander – denn niemand anders war der abenteuerliche Pilgrim schon voraus und flog in größter Hast nach dem Wirtshaus an dem breiten Gastwirt vorüber, der das Schiff gemächlich an der Tür erwartete und ihm verwundert nachsah. In der Gaststube fand er einen jungen Mann, der auf der Brüstung des offenen Fensters saß und in das fröhliche abendliche Getümmel hinausschaute; dieser wandte sich schnell – er erkannte seinen Fortunat. Ohne in der Konfusion sich zu verwundern oder ihn erst zu begrüßen, rief ihm Dryander sogleich entgegen: »Verfluchte Teufelsgeschichte! hast du deine Kuchenreiter mit? So ein Mädchen von Junge! Aber ich will ihm den Bart unter der Nase wegputzen, wenn er nur einen hätt'! Da ist nichts zu lachen dabei! Er hat gut treffen, ich bin wie ein Bienenkorb gegen seine Taille, und –« »Halt ein!« unterbrach ihn Fortunat, immer heftiger lachend, »du zerplatzst ja wie eine Bombe, was gibt's denn da auf einmal?« – Aber Dryander war zu erbost, er schimpfte unaufhaltsam über die Albernheit der Ritterlichkeit, der Duelle, der Ehre, die, wie eine Regimentsfahne, erst von Kugeln zerfetzt und lumpig sein sollte, um ein Ansehen zu haben. Indem er sich aber so in Vergleichungen erschöpfte, kam das Getümmel draußen wachsend immer näher und näher. »Dummes Zeug!« schloß er endlich und entwischte mit solcher Geschwindigkeit aus der Tür, daß er seinen Hut im Zimmer vergaß.

Fortunat ließ ihn laufen. »Was wird es sein!« dachte er, »die alte Posse: Sorgen ohne Not und Not ohne Sorgen. Die Rakete wird draußen verprasseln, ohne eben den Erdkreis in Brand zu stecken.« – Unterdes hatte die Stube sich nach und nach lärmend gefüllt, Felleisen, Mäntel und Tabaksbeutel lagen auf Stühlen und Tischen umher, die muntere Schiffsgesellschaft machte sich behaglich breit, der eine schrie nach Wein, der andere nach Kaffee, alle waren noch ganz voll von den lustigen Händeln, und da sie vom Wirt erfuhren, daß die beiden Jäger ein eigenes Zimmer bezogen, beredeten sie sich, wie sie morgen zum Duell die Pistolen blind laden, dem Pilger Knallkugeln unter die Füße legen wollten usw. Als aber nun allmählich aus mehreren Schlünden dicker Tabaksqualm emporzuwirbeln begann, zog Fortunat, nachdem er in dem Lärm vergeblich nach einem Leuchter gerufen, auch über Dryander keine nähere Auskunft erhalten hatte, sich ohne Licht in sein Zimmer zurück, da er morgen mit Sonnenaufgang wieder aufzubrechen gedachte.

Seine Stube ging nach dem Garten hinaus, die Glastür stand noch weit offen, wie er sie vor einigen Stunden verlassen. Alle Bewohner des Hauses hatten mit den Gästen vollauf zu tun, es war so still draußen, daß man den Ruderschalg einzelner Fischer aus der Ferne hören konnte. Ermüdet setzte er sich auf die Schwelle hin. Da hörte er Stimmen im Garten, in einer fremden Sprache, wie es ihm schien. Bald bemerkte er beim hellen Mondschein zwei unbekannte Gestalten, die sich hier wohl für unbelauscht halten mochten. Der eine, wie ein Jäger gekleidet, saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Rasen, er hatte den Hut abgenommen und in der Kühle sein Wämschen gelüftet, sein wunderschönes Haar floß in reichen Locken herab; der Mond glänzte blendend auf seiner entblößten Schulter. Der andere kniete hinter ihm und schien die Locken zu ordnen, während sie leise und lebhaft miteinander schwatzten. Ein Brunnen, den Fortunat vor dem Gebüsch nicht sehen konnte, plauderte um die Wette mit ihnen, und je nachdem die Luft sich bewegte, klang bald das Plätschern, bald die liebliche Stimme wie ein Glöcklein aus der stillen Mondnacht herüber. Die Nacht aber hatte unterdes die Gegend draußen wunderbar verwandelt, zwischen den alten Bäumen hindurch sah man weit in die Täler hinaus, da lag verworren im Mondschein, wie glänzende Kuppeln, Trümmer und prächtige Gärten, in dem nahen Städtchen unten sang ein Student noch vor seiner Liebsten Tür, dazwischen immerfort wieder das Rauschen des Brunnens – Fortunat saß wie im Traum, er dachte an Italien, an Rom, und unwillkürlich in Gedanken rief er – »Fiametta!«

Bei dem Klange reckten die beiden, wie Rehe, wenn das Laub raschelt, plötzlich die Köpfchen in die Höh, sprangen scheu auf und flogen dem Hause zu. Fortunat trat ihnen erstaunt entgegen, da stutzte das Jägerbürschchen plötzlich und sah ihn einen Augenblick durchdringend an, dann aber warf es sich auf einmal atemlos an seinen Hals, ihn fest umklammernd und schluchzend, er fühlte des Jünglings Tränen unaufhaltsam über seine Wangen rinnen; seine Locken rollten rings um ihn her, es war, als würde er in seinen Armen ganz und gar vergehen. Nun aber wußt' er's wohl, wen er im Arme hielt. »Meine liebe, liebe Fiametta!« rief er aus tiefstem Herzensgrunde. Da ließ das schöne verkleidete Mädchen los, stellte sich, ihre Locken aus dem Gesicht schüttelnd, dicht vor ihn und blickte ihn aus den Tränen so fröhlich an, daß es ihm recht durch die Seele ging. Darauf schnell wieder besonnen, zog sie ihn schweigend mit sich in sein Zimmer hinein. Er sah im Vorüberschweifen dem andern Gesellen ins Gesicht und erkannte seines Liebchens Kammerjungfer, die über und über rot wurde. In der Stube aber steckte Fiametta ihr Haar wieder auf, während sie die Kammerjungfer mit einem heimlichen Auftrage fortschickte. Dann trieb sie Fortunaten, in sichtbarer Furcht, geheimnisvoll und ohne ihm Rede und Antwort zu stehen, zur unverzüglichen Abreise, half ihm unter tausend Späßen mitten in ihrer Angst und Hast seine Sachen rasch in ein Bündel schnüren und drängte ihn fort, fort, aus dem Hause, aus dem Garten und immer weiter. Draußen auf einem abgelegenen Platz fanden sie Fortunats Diener mit seinen beiden gesattelten Pferden, die Kammerjungfer hatte ihn hergeführt. Sie sollte mit dem Diener auf dem Schiffe weiterreisen, Fiametta selbst aber schwang sich schnell auf das eine Pferd. Fortunat wußte nicht, wie ihm geschah, und ehe er sich fassen konnte, waren Kammerjungfer und Wirtshaus schon hinter ihnen verschwunden.

Als sie im Freien waren, fragte Fiametta mit tief gesenkten Augen kaum hörbar: »Was macht denn Annidi?« Fortunat mußte sich fast auf den Namen besinnen. »Annidi?« – sagte er, »sie hat in Rom den Studenten Otto geheiratet. Aber wie kommst du auf die?« – Fiametta sah ihn groß an: »Ist sie denn nicht deine Liebste gewesen?« »Mein Gott«, erwiderte Fortunat nach einigem Nachdenken, »so warst du es wohl, die an jenem Abend im schwarzen Mäntelchen an mir vorüberstreifte, als mich Otto zu seinem Mädchen führte, das ich damals noch gar nicht kannte.« – »Ja freilich«, erwiderte Fiametta lebhaft, »und ich spielte dann einmal des Abends die Annidi in unserem Garten, die Kammerjungfer mußte deine Kleider anziehen und so über den Gartenzaun zu mir kommen, da kamst du auf einmal selber, wir hatten dich nicht so früh zurückerwartet.« – »O vernagelter Kopf, der ich war!« rief Fortunat, sich vor die Stirn schlagend aus, »hätt' ich das damals gewußt!« – Sie lachte seelenvergnügt, und ihre Augen glänzten von Tränen.

Währenddes ritten sie eilig an dem Städtchen vorüber, zwischen den schlafenden Gärten und Landhäusern immer tiefer in die weite, sternhelle Nacht hinein. Die Nachtigallen schlugen von den waldigen Bergen, über das stille Feld hörte man die Hunde von ferne bellen, Fiametta sah sich öfters ängstlich um. »Sieh«, sagte Fortunat, »mir ist wie einem Vogel in der Luft, ich folge dir über die ganze Erde! Jetzt aber sage mir auch, warum blickst du so scheu zurück? wie kamst du vorhin auf das Schiff? was in aller Welt hast du vor?« – »Ach, das ist eine lange, traurige Geschichte«, entgegnete Fiametta, »die muß ich von Anfang anfangen.« – Sie ritt dicht neben ihm, und, selbst wie in Träumen in der träumerischen Nacht, halb an ihn gelehnt, begann sie folgendermaßen zu erzählen:

»Als du in Rom auf einmal verschwunden warst und nun der Winter kam, und es regnete Tag und Nacht, und der Vater saß abends in dem großen Saale am Kaminfeuer und sprach kein Wort, und alles war so still im ganzen Hause, daß man die Turmuhr gehen hörte, da wurde ich plötzlich krank. Da träumte mir, ich wäre auf einer Anhöhe über Rom im Abendglanze eingeschlafen. Als ich aber erwachte, war es schon finstere Nacht, mich fror und ich kannte die Gegend nicht wieder. Da kam durch das Dunkel ein Jäger vom Berge herab. »Ach, führ mich zur Stadt hinunter«, rief ich, »horch, da klingt in der Ferne noch die Glocke vom Kapitol« »Das ist die Turmuhr, die schlägt auf meinem Schloß im Walde«, sagte der Jäger, dann wandt' er sich plötzlich – du selbst warst der Jäger, aber du kanntest mich nicht mehr. – Nun stiegst du weiter den Berg hinab, ich rief voll Angst und konnte dir so schnell nicht folgen. Da ging gegenüber der Mond auf, und auf einmal, so weit ich sehen konnte, lag die ganze fremde Gegend tief verschneit und flimmerte im hellen Mondschein, als sollt' ich sterben vor Wehmut.

Als ich mich von der Krankheit wieder erholte, stand eines Morgens der Vater vor meinem Bett, das Fenster stand offen, die Bäume draußen waren schon wieder grün und die Vögel sangen. »Steh nur auf«, sagte mein Vater, »wir reisen nach Deutschland!« – Er hatte sein Vermögen verloren, das Haus, unser Garten sollten verkauft werden, er mochte das nicht mit ansehen. So fuhren wir in einer schönen Frühlingsnacht von Rom fort, die Brunnen rauschten auf den stillen Gassen, in unserem Garten schlugen die Nachtigallen, als wüßten sie's auch, und als die Paläste und Kuppeln allmählich hinter und im Mondglanz versanken, sah ich meinen Vater zum erstenmal weinen.«

»Wo ist der Vater jetzt?« unterbrach sie Fortunat hier. Fiametta aber ritt ein Weilchen schweigend vor sich hin, er merkte, daß sie selber weinte. Dann sah sie sich plötzlich wieder nach allen Seiten um und fuhr gefaßter fort:

»Mein armer Vater fand's in Deutschland nicht so, wie er sich's gedacht. Die mächtigen Verwandten, auf die er gerechnet hatte, weil sie in der Jugend brüderlich zusammen gelebt, waren seitdem alt und anders geworden, die meisten lange tot, ihre Kinder, die ihn nicht mehr kannten, sahen ihn verwundert und neugierig an, er konnte sich in der verwandelten Welt nicht zurechtfinden und starb vor Gram. – Das war eine furchtbare Nacht, ich erinnere mich nur der schwarzverhangenen Pferde und Gestalten und des Fackelscheins zwischen den dunklen Bäumen – und als die Glockenklänge allmählich verhallten, saß ich allein mit einer alten, schwarzgekleideten Dame im Wagen, wir fuhren rasch durch unbekannte Gegenden, sie sprach immerfort französisch zu mir, aber ich hörte nur das dumpfe Rasseln des Wagens in der Nacht, mir war's, als führen wir selber ins Grab. Die Dame aber war eine reiche, kinderlose Tante, die mich nun zu sich genommen hatte. Sie wohnte auf einem großen Schloß, das einsam am Abhange des Gebirges mitten in einem prächtigen Parke lag, der wimmelte von seltsamen Tauben und Pfauen, in dem klaren Bassin vor dem Schloß spielten bunte ausländische Fische wie Vögel in der Luft, weiterhin in einem zierlich vergitterten Wäldchen weidete ein schöner Goldfasan. Die Tante hatte ihre Freude daran, mich recht auszuputzen, obgleich wir nur selten Besuch hatten, da ging ich denn in prächtigen Kleidern, und wenn ich manchmal so allein im Garten stand, kam ich mir selber in der Einsamkeit wie ein verzauberter Goldfasan vor. An den Sommernachmittagen aber pflegte die Tante mit mir am Garten auf einem schattigen Hügel zu sitzen, von dem man weit hinaussehen konnte, wie der Strom und die Straßen glänzend durchs Land gingen, Reiter und Wagen zogen da wie in einem Schattenspiel rasch vorbei, manchmal kam der Klang eines Posthorns aus der Ferne herüber. »Dort geht es nach Italien hinaus«, sagte die Tante – mir war zum Sterben bange.

Eines Abends saßen wir auch dort, ich zerpflückte in Gedanken eine Sternblume: ob du kommst oder nicht kommst? »Er kommt!« rief ich auf einmal erschrocken aus, warf die Blume fort und flog vom Hügel, am Schloß vorüber, immerfort ins Tal hinab. Denn zwei Reiter kamen unten vom Wald, der eine im grünen Reiserock, gerade wie du! Als ich atemlos unten anlangte, stutzt sein Pferd – es war ein ganz fremdes Gesicht. Er mocht' es wohl erraten, wer ich bin, er schwang sich schnell vom Pferde, und indem er die Zügel seinem Bedienten zuwarf, reichte er mir höflich den Arm und führte mich wie eine Gefangene zurück. Ich glaubte, die Tante würde schmälen, aber sie besorgte nur, daß mir die Erhitzung nicht schade, strich mir die Locken aus der Stirn und nannte mich ein artiges Kind, daß ich ihren Vetter, den sie viele Jahre nicht gesehen, so freundlich empfangen. Sie nannte ihn Baron Manfred

»Manfred?« sagte Fortunat erstaunt, »den Namen habe ich oft von Lothario gehört. Doch den kennst du ja nicht.« – Fiametta schüttelte das Köpfchen und fuhr weiter fort:

»Bisher hatte ich fast wie im Traume gelebt, mit dem Fremden aber kam auf einmal Hast und Unruhe in unsere ländliche Stille. Nichts war ihm recht in unserer Wirtschaft, alles wollte er gescheuter einrichten und sah mich dabei oft so sonderbar an, daß ich erschrak, denn er schaute so klug drein, als könnte er meine Gedanken lesen. Vor Verdruß darüber hatte ich mich eines Tages in der schwülen Mittagszeit mitten ins Gras gelegt, alle Vögel schwiegen, nur die Bienen summten, einzelne Wolken flogen über die stille Gegend fort, ich dachte an die alten Zeiten, an dich, an unseren Garten in Rom. Da kam auf einmal die Tante mit ihrem Vetter im Buchengang herunter. Ich hob mich im Grase halb empor, sie bemerkten mich nicht. »Ich habe auch schon daran gedacht«, sagte die Tante, »so kann es mit Fiametta nicht länger bleiben, sie vergeht mir hier in der Einsamkeit wie eine Blume.« – »Abgesehen selbst von allem, was ich Ihnen eben erzählt habe«, erwiderte der Vetter, »so wüßte ich in der Tat keine bessere Partie für das Fräulein als den Baron, jung, reich, unabhängig.« – »Und Sie übernehmen es also«, fragte die Tante wieder, »ihn zu uns zu bringen?«

Ich konnte seine Antwort nicht mehr verstehen. Aber wie wenn der Blitz neben mir eingeschlagen hätte, sprang ich schnell auf und flog zu meiner italienischen Kammerjungfer und erzählte ihr alles. Da war nicht lange Zeit zum Besinnen, ihr war hier so bang auf dem Schlosse wie mir, sie wollte unter dem Vorwande einer Maskerade Jägerkleider für uns beide herbeischaffen, und wir beschlossen, zu einer jungen, fröhlichen Tante in Wien zu entfliehen, die ich noch aus Rom kannte und die mich vor der dummen Partie beschützen sollte.

Seitdem sahen mich die Tante und der Vetter noch häufiger geheimnisvoll und schmunzelnd an. Besonders aber ganz abscheulich war mir nun der kluge Vetter, wenn er mit seinen spitzigen Blicken, wie eine Spinne mit ihren langen Beinen, nach mir zielte. »Ja, spinne und laure du nur!« dachte ich. Und als er nun wirklich abreiste, um den Bräutigam zu holen, da fuhren wir, während alles schon schlief, in unsere Jägerkleider und stiegen in der schönsten Sommernacht mit klopfenden Herzen sacht die Treppe hinab durchs leere Schloß, den stillen Garten entlang, bis wir endlich im freien Felde tief aufatmeten. Da sah's draußen so frisch und waldkühl aus! – Noch dieselbe Nacht aber hatten wir uns im Gebirge verirrt. Fragen mochten wir nicht, so kamen wir zuletzt gar an ein verfallenes Schloß. Mich schauerte und fror, die Jungfer weinte, da tat sich plötzlich eine Tür auf, drei Männer mit Windlichtern traten heraus – der eine war der Vetter, verwildert und bleich im Widerschein der Fackeln – ich glaube, er geht um bei Nacht, was hatt' er sonst zu tun da droben? Aber erkannt hat er mich und setzt mir sicherlich nach. Wie wir da heruntergekommen, weiß ich nicht mehr, aber als der Tag endlich anbrach, sahen wir die Donau im Tale funkeln, ein Schiff wollt eben abgehn, wir stiegen mit ein, und so fuhr ich in Lust und Angst und bekam Händel und sollte mich duellieren und – »Und ich«, fiel Fortunat ein, »habe den verflogenen Goldfasan wieder eingefangen und lass' ihn nun nimmermehr los!«

Fortunat war voller Freude und doch verwirrt, er wußte gar nicht, was er mit dem lieblichen Kinde nun anfangen sollte, das sich so ganz in seine Arme geworfen, auch war die Angst vor dem Erwischen nicht gering.

Unterdessen flogen schon einzelne Streiflichter durch die stille Luft. »Wie bist du schön geworden!« sagte Fortunat, sie fast erstaunt betrachtend. Da wurde sie über und über rot, jetzt dachte sie erst daran, daß sie so ganz allein mit ihm war. Aus den fernen Dörfern aber hörte man schon einzelne Stimmen, über die wogenden Kornfleder schossen ihnen die ersten Sonnenstrahlen blitzend entgegen – so ritten sie fröhlich in den prächtigen Morgen hinein.


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