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Das um die Ecke des Parsenplatzes sausende Rennauto stoppte so plötzlich, daß die Bremsfedern schrien. Der hintere Teil des Wagens hob sich einen Augenblick, als wolle er sich überschlagen. Dann standen die Räder.

»Parbleu!« kam es von innen. Unter dem amerikanischen Verdeck schoß ein Kopf vor. »Jagt dich der Teufel, Halunke!«

Der indische Fahrer hob beschwörend die Linke.

»Umzug, Sahib. Die Jainas. Ganze Straße voll Menschen.«

Der Weiße kniff ärgerlich die Lippen zusammen und sank in sein Polster. Der helle Tropenhut hatte sich verschoben, so daß das graumelierte Haar in die Stirne fiel. Er rückte ihn zurecht und drehte sich zu seinem Begleiter.

»Wieder einer der blödsinnigen Festzüge der Burschen. Man stolpert an allen Ecken darüber. Seit dem mißglückten Erduntergang vor sechs Monaten Siehe ›Panik‹ Roman von Reinhold Eichacker. ist Bombay ein einziges Tollhaus geworden. Als das Meteor noch am Himmel stand, war das Pack besessen vor Grauen. Jetzt heult es vor Freude. Jede Stunde ist ein anderer Umzug. All das farbige Volk aus den Pettahs Stadtteil der eingeborenen Bevölkerung. wälzt sich durch die Straßen, um seinen unzähligen Göttern Dankopfer zu bringen. Schauen Sie nur diesen Aufzug! Für Sie hat der Zauber da vorne ja noch den Reiz der Neuheit.«

Neben dem Auto tauchte der Riesenleib eines Elefanten auf. Der schlanke Inder saß hoch oben auf seinem Rücken, dicht hinter dem gewaltigen Schädel des Tieres. Seine braunen Füße hatte er hinter die Ohren des Dickhäuters gestemmt. Prunkvolle Decken und Teppiche hingen zu beiden Seiten herab und wirbelten Staub auf.

Der Jüngere bog sich nach außen. Im gleichen Augenblick fuhr ihm der schlenkernde Rüssel des Tieres feucht über die Backe.

»Fi donc!« machte er erschrocken. Der andere lachte laut auf und beherrschte sich mühsam.

»Vorsichtig, mein Lieber. Die Bestie wird sonst zu zärtlich. Ihre bulgarisch-französische Anziehungskraft ...«

Der Bulgare wischte sich mit seinem parfümierten Taschentuch über die Augen. Immer neue Massen schreiender, heulender, tanzender Menschen strömten vorüber. Alle in festlichen Kleidern, in weißen Gewändern und farbigen Tüchern. Spielleute, die wie in heiliger Wut die Felle ihrer Trommeln zergerbten, oder langen, dünnen Flöten unheimlich hohe und quiekende Töne entlockten. Dazwischen in würdevollem Trott die riesigen Elefanten, heilige Kühe aus den Tempeln der Jainas, kreischende Affen und bunte Symbole der indischen Gottheit.

Der junge Bulgare war ganz Interesse.

»Ein fabelhaftes Bild, Monsieur Cachin!«

»Das werden Sie in den nächsten Tagen noch öfter erleben. Diesmal sind es die Jainas, die Mahawira anbeten, den überwundenen Nebenbuhler Gautamas. Morgen sind es die Parsen, die Jünger Zarathustras, die übrigens hier in Bombay die reichsten Kaufleute sind. Neben den Mohammedanern, die den Juwelenhandel beherrschen. Auch all die anderen Rassen und Kasten werden Sie kennenlernen, Goanesen, Afghanen, Singhalesen, und wie die Brüder alle heißen.«

Der Wagen setzte sich plötzlich wieder in Bewegung. Wasa, der Lenker, hatte geschickt eine Lücke erwischt und sauste mit voller Geschwindigkeit auf die andere Seite der Straße. Der europäische Charakter des Stadtteils wurde immer beherrschender. Kirchen, Regierungspaläste, das große Klubhaus in gotischem Stil, weite europäisch angelegte Ziergärten, Tennis- und Hockeyplätze blieben hinter dem Auto zurück. Dann hielt der Wagen vor einem weitläufigen, einstöckigen Bau im Stil eines englischen Landhauses. Mehrere farbige Diener sprangen hinzu, den Türschlag zu öffnen. Der Graumelierte beachtete sie nicht und ging ohne Zögern durch die Halle des Hauses.

Ein weißer Angestellter kam ihm entgegen und reichte ihm einen Meldeblock. Der Fremde nahm den Bleistift und überflog kurz den Vordruck.

»Professor Cachin,« schrieb er bedächtig. »Brüssel.« Und in eine besondere Spalte des Zettels: »Chemie.«

Der kleine Bulgare folgte seinem Beispiel.

»Dumascu,« schrieb er hastig. »Paris, Ingenieur.«

Der Sekretär prüfte die Namen und hob einen Vorhang.

»Madame erwartet die Herren.«

Der Professor sah überrascht auf.

»Madame hat uns schon heute erwartet? Wir wollten eigentlich erst morgen von Benares hier eintreffen und ...«

Über das Gesicht des Weißen lief ein kaum merkbares Lächeln.

»Da die Herren bereits heute nacht 3 Uhr 40 in Bombay eingetroffen sind und im Hotel des Indes Quartier genommen haben, erwartete die Herrin Sie schon heute.«

Cachin gab keine Antwort und ging durch den Vorhang.

»Unheimliches Weib!« zischte er Dumascu zu. »Ihre Spione sitzen in jeder Spelunke der Erde.«

Im nächsten Zimmer übernahm ein Hindu die Führung und öffnete eine verborgene Türe. Die beiden Fremden sahen sich plötzlich einer größeren Gesellschaft von Herren gegenüber.

»Man stellt sich nicht vor,« sagte die Stimme des Hindus bedächtig.

Cachin sah sich unwillkürlich nach ihm um, doch der Inder war schon verschwunden. Man begrüßte sich nur durch eine kurze Verbeugung. Die Anwesenden standen in kleineren Gruppen in Erkern und Nischen. Das Gespräch wurde im Flüstertone geführt. Durch die Mitte des Zimmers zog sich ein länglicher Tisch mit zahlreichen Sesseln. Sie waren alle noch unbesetzt.

Dumascu überflog den Raum mit nervösen Blicken und zupfte sich ungeduldig an dem kleinen, verschnittenen Bärtchen.

»Also, nun sagen Sie mir doch bitte einmal, verehrter Professor, ist dieses Haus ...«

»Einer der interessantesten Steinbaukästen in Bombay. Hinter jeder Tür lauert ein Geheimnis, Wenn man auf einen Knopf drückt, sind Sie dreiviertel verzaubert und erwachen morgen als Nautchgirl! Tempelmädchen und religiöse Prostituierte.. Jeder Fuß Boden ist eine Falltüre, und wenn der Hindu nur ssit macht, ist das Ganze verschwunden. Mein Lieber –« lachte er in die verwunderten Augen des anderen –, »eines müssen Sie sich in Indien vor allem abgewöhnen: das Fragen! In Indien ist alles ein Rätsel, Geheimnis, unlösbar. Man muß es hinnehmen, wie man es sieht. Ohne zu grübeln. Wie das große Rätsel der Schöpfung. Wer fragt und studiert, bekommt hier nur Nasenstüber. Man macht sich unbeliebt dadurch in Indien!«

Trotz des scherzhaften Tones war in seinen Worten ein gewisser Unterton, der Dumascu aufhorchen ließ. So etwas, wie eine heimliche Warnung eines Menschen, der sich selbst nicht recht traut, mehr als Antwort zu sagen. Auch die Augen des Belgiers schielten einen Augenblick nach der Seite, als fühle er sich behorcht. Doch Dumascu witterte eine Sensation, die ihn reizte.

»Kennen Sie Madame Barbuche?« fragte er gedämpft.

Einen Augenblick schien es ihm, als riß das leise Gespräch um ihn ab. Wie ein leichtes Erschrecken lag es im Raume. Aber es mußte eine Täuschung gewesen sein, denn die anderen Gäste im Zimmer zeigten ihm fast alle den Rücken. Professor Cachin war sichtbar verlegen. Wieder irrten seine Augen über die Wände.

»Sie fragen sich noch um den Hals, mein Verehrtester!« meinte er leise, mit merkwürdig steifer Haltung des Kopfes. Madame Barbuche kennt niemand. Niemand weiß, wo sie wohnt. Aber sie ist die Herrscherin Indiens. Niemand weiß, wer sie ist, sie hat tausend Gestalten. Einmal ist sie ein schönes Weib, ein anderes Mal ein Hinduknabe, ein Fakir, ein Nautchgirl, ein Emir, ein Kaufmann. Niemand weiß, ob sie nicht neben ihm steht als Liftboy oder Bettler, als Maharadscha oder als Sportmiß. Sie ist ein Sammelbegriff, eine Macht – – eine unheimliche Macht. Sie hört alles, sieht alles, regiert alles. An Madame Barbuche denkt man, aber man spricht nicht von ihr!«

Das Letzte klang ernst. Der sehnige Bulgare wehrte sich vergeblich gegen ein leichtes Gefühl des Unbehagens. Erst jetzt bemerkte er den sonderbar-kostbaren Schmuck der Wände, die mit schillernder Schlangenhaut bespannt waren und aus Fellen von Tigern und Dschungelwild aufwuchsen.

»Ich verstehe nur nicht, daß so bedeutende Männer, wie Sie, sich unter den Willen einer Frau ...«

Er unterbrach sich. Der Vorhang am anderen Ende des Zimmers hatte sich geteilt. Der weiße Sekretär aus der Vorhalle ging lautlos zum Tisch und berührte den Gong. Er trug jetzt einen Frack.

»Ich heiße die Herren im Namen der Herrin willkommen,« sagte er deutlich und leicht in den Saal. »Bitte nehmen Sie Platz!«

Als die Gäste sich um den langen Tisch verteilt hatten, zeigte sich, daß jeder Sessel besetzt war. Es waren im ganzen elf Herren versammelt, und eine Frau von nordischem Aussehen. Ihr hellblondes Haar leuchtete im Lichte der Ampeln.

Der weiße Sekretär machte sich eine kurze Notiz. Er sah jetzt im Frack wesentlich älter aus, als vorher in der Diele. Auch sah man ihm jetzt seine indische Abstammung an. Sein Blick hatte etwas Herrisches, Kaltes, das keine Vertraulichkeit zuließ. Er setzte seine Worte wie klingende Münzen.

»Die Herrin hat Sie hierhergebeten, um Ihnen ihre Entschlüsse persönlich bekannt zu geben. Vorher bittet sie, mir kurzen Bericht abzulegen. Wir haben den Absturz des Meteors vor sechs Monaten alle selbst miterlebt. Darf ich Japan bitten, die bisher bekannten Daten kurz zu skizzieren.« –

An der Mitte des Tisches erhob sich ein schmächtiger Japaner in grauweißem Haar. Seine großen Brillengläser funkelten über die Runde.

»Das Meteor, dessen Absturz unseren Planeten zu vernichten drohte, stürzte in eine der tiefsten Stellen des Ozeans und ruht jetzt in 9436 Meter Tiefe. Nur dadurch ist die Rettung der Menschheit zu erklären. Die Absturzstelle gehört bereits den internationalen Gewässern an und fällt daher nicht mehr in den japanischen Hoheitsbereich. Der im Meeresgrunde liegende Kern des Meteors wird also Eigentum dessen, dem die Bergung gelingen sollte.«

Über die Köpfe der Zuhörer lief eine leise Bewegung.

»Das dürfte aber technisch kaum ausführbar sein.«

Der Sekretär unterbrach ihn.

»Liegen Beweise für das Vorhandensein dieser meteorischen Masse vor?«

»Ja. Es gelang dem deutschen Chemiker Werndt, ultrachromatische Platten in jene Ozeantiefe zu versenken und deutlich ihre Schwärzung festzustellen. Dagegen gelang es selbst mit den vorzüglichsten Greifern nicht, auch nur ein Körnchen der kosmischen Materie ans Tageslicht zu fördern.«

»Ausgenommen die Bruchstücke in Japan.«

»Diese ausgenommen. Nach dem Absturz fand man vor dem Regierungspalast in Tokio einen Meteorblock von 2½ kbm Umfang. Weitere Nachforschungen auf dem Lande förderten noch drei weitere Bruchstücke von ½, ¾ und 1 kbm zutage. Sie gelangten durch ihren Fundort in das Eigentum Japans.«

»Wem gehören sie jetzt?«

»Dem deutschen Chemiker Walter Werndt.«

Zwischen den Augen des Sekretärs stand eine scharfe Falte.

»Warum kaufte Abteilung ›Erz‹ sie nicht an?«

Der Japaner duckte sich ein wenig unter dem Ton dieser Stimme.

»Es geschah sofort, aber –«

»Aber?!«

»Der Kauf wurde von der japanischen Regierung für ungültig erklärt, um Rivalitäten der einzelnen Nationen zu vermeiden. Die einzelnen Reflektanten – es waren elf mit fast unbegrenzten finanziellen Mitteln – wurden dem japanischen Volke in Vorschlag gebracht und zur Volksabstimmung überlassen. Der deutsche Chemiker erhielt den Zuschlag.«

Der Belgier Cachin trommelte ungeduldig auf der Tischplatte.

»Alles?!« entfuhr es ihm.

Sofort flammte ihn das Auge des Inders an, daß er zusammenzuckte.

»Alles. Mit Ausnahme des zweitgrößten Blocks, der am Tage vor der Volksabstimmung spurlos verschwand, und offenbar gestohlen wurde.«

Das Auge des Befrackten glitt einen Augenblick über das Gesicht eines schwarzhaarigen Gastes, dessen Gestalt außergewöhnliche Körperkräfte und Gewandtheit verriet. Der Italiener lächelte flüchtig zurück.

»Es ist gut,« nickte der Weiße nach dem Japaner hinüber. »Sind die angekauften Stücke noch in Tokio?«

»Sie wurden abtransportiert.«

»Wohin?«

»Unbekannt. Jedenfalls aber nach Indien.«

Der Sekretär nickte und schrieb eine Zeile.

»Danke. – Bergungsabteilung?«

Der athletische Italiener hob seine Schultern.

»Bericht stimmt. Zweiter Block wurde geborgen.«

»Fahndungsabteilung?«

Der Aufgerufene erhob sich.

»Transport Werndt ging nach Benares und ist durch elektrischen Starkstrom gesichert. Werndt baut ein Riesenlaboratorium von der internationalen Forschungsspende nördlich Benares. Ganze neuentstandene Stadtteile wurden mit Tausenden von Arbeitern besiedelt.«

»Wann wird das Laboratorium fertig sein?«

»In etwa zwei Monaten.«

»Danke. – Abteilung Chemie!«

Der Belgier Cachin erhob sich vom Sessel.

»Wir stehen in diesem Meteor einem der größten chemischen Rätsel der Menschheit gegenüber. Die Strahlungen und Emissionen, die bisher festgestellt werden konnten, sind ganz eigentümlicher Art.«

»Wie wurden diese Strahlungen festgestellt?«

»Durch Spektralaufnahmen des Chemikers Werndt.«

Die bleichen Wangen des Inders überflog flüchtiges Rot.

»Immer dieser Werndt!« zischte er. Doch er beherrschte sich sofort wieder.

»Durch Spektralaufnahmen des Chemikers Werndt, mittels dessen neuer ultrachromatischer Platte – –«

»Bergungsabteilung!« kam es scharf von der Spitze des Tisches.

Der Italiener lächelte spöttisch.

»Die Aufnahmen fanden statt in der Michigansternwarte in Newyork in den Wochen vor dem Absturz.«

»Und?«

»Wir haben eine Abschrift der Ergebnisse und 23 Platten gewonnen.«

Die Falte auf der Stirn des Inders verschwand wieder. Cachin beugte sich vor.

»Diese Platten gingen mir zu. Das Ergebnis wurde nachgeprüft. Wir stellten außer den Strahlungserscheinungen der uns bereits bekannten Stoffe oder chemischen Elemente, wie Eisen, Chrom, Nickel, Silber, Platina, Gold, Kupfer und Natrium noch eine, uns bisher vollkommen unbekannte Strahlungsenergie fest, der wir bisher weder auf der Erde noch auf einem anderen Gestirne begegneten.«

»Was schließen Sie daraus?«

»Daß das abgestürzte Meteor ein vollständig neues Element enthalten muß, das bisher weder der Chemie noch den Astrophysikern bekannt war, und dessen grauenvolle Emanationen jedem Forscher wahrscheinlich den sofortigen Tod bringen können ...«

»– oder Unsterblichkeit!«

Cachin hörte den Tadel heraus.

»Gewiß,« stotterte er hastig. »Der Tod eines Einzelnen spielt auch gar keine Rolle gegenüber der Bedeutung dieses geheimnisvollen neuen Elementes, das – – –«

Seine Rede riß ab, wie ein Faden. Das Licht im Zimmer war plötzlich erloschen. Man saß in undurchdringlichem Dunkel. Nur wenige Augenblicke. Dann flammte es wieder auf. Aller Augen wandten sich nach dem Stuhl des Inders. An seiner Stelle saß – – eine fremde Gestalt. Eine indische Frau ...

»Bitte sprechen Sie weiter, Herr Professor!« sagte sie mit einer tiefen, vollklingenden Stimme. Ihre großen, glänzenden Augen wanderten ruhig über die Gesichter der Gäste, als bemerke sie nicht die Verblüffung, die sich auf ihnen malte. Es dauerte einige Zeit, bis Cachin sich wiedergefunden hatte. Sein Blick irrte unwillkürlich zu Dumascu hinunter. Doch dieser bemerkte ihn nicht. Er hing, wie gebannt, an den Augen des Weibes, von dessen dämonischer Schönheit ein eigentümliches Fluidum ausging, das sich wie ein Strom der ganzen Versammlung mitteilte.

Der Belgier zwang die Gedanken gewaltsam zur Klarheit. Alles in diesem Zimmer, in diesem sonderbaren Hause schien dazu angetan, zu verblüffen, zu verwirren. Aber er wehrte sich dagegen.

»Ich bin der Überzeugung –« führte er den unterbrochenen Bericht zu Ende –, »daß die Bedeutung dieses geheimnisvollen, neuen Elementes für unsere Erde die aller bekannten Stoffe weit übertrifft.«

»Ich teile diese Überzeugung. Ich danke Ihnen,« kam es gelassen vom Kopfe des Tisches. »Diese Überzeugung leitete auch meine weiteren Entschlüsse. Das Meteor und seine geheimnisvolle Materie muß unser alleiniges Eigentum werden. Bisher steht nur der zweitgrößte Block zu unserer Verfügung. Abteilung Chemie übernimmt die Erforschung. Die notwendigen Mittel sind bereit. Jedes mögliche Experiment ist zu wagen. Menschenleben spielen keine Rolle, wie Sie sehr richtig bemerkten, Herr Professor ...«

Ein eiskalter, grausamer Strahl, wie der Blick eines Raubtiers schoß zu dem Belgier hinüber.

Er antwortete nur mit einer stummen Verbeugung, aber seine Lippen zitterten leise. Die Frau ihm gegenüber drehte den herrlichen Kopf nach der Seite, als spräche sie zu einem Unsichtbaren.

»Aber diese Versuche werden erst beginnen, wenn ich es befehle. Die ersten Experimente sind dem Chemiker Werndt zu überlassen. Ich nehme an, daß sie ihm den Tod bringen werden. Ich habe vergeblich versucht, diesen Mann für uns zu gewinnen –« – ein heißer Zorn stand plötzlich in ihren Zügen –, »er hat meinen Agenten abgewiesen. Infolgedessen wird er unfreiwillig für uns arbeiten. Paris – Ingenieurabteilung?«

Dumascu erhob sich lässig.

»Sie werden als Vertreter der internationalen Kommission bei dem technischen Aufbau des Laboratoriums mitwirken. Ihr Patent erhalten Sie heute. Sie werden sich ständig in nächster Nähe Walter Werndts halten, und über jedes Experiment sofort ausführlichen Bericht erstatten.«

Der junge Bulgare errötete unter dem herrischen Ton dieses Befehles. Wie kam diese Frau dazu, über ihn, den sie zum erstenmal sah, den man unter allerlei seltsamen Vorwänden hierhergeholt hatte, zu gebieten, wie über ein willenloses Werkzeug! Das Blut schoß ihm in die Schläfen.

»Bevor ich diese Bitte erfülle, müßte ich zunächst um nähere Aufklärungen ersuchen,« gab er kurz zurück. »Ich kann derartige Aufträge nur annehmen, wenn mir die Bedingungen zusagen.«

Wieder lief es wie ein Erschrecken über die Runde. Man sah ihn fassungslos an.

»Sind Sie des Satans?!« zischte Cachin.

In den großen Augen des Weibes zuckte es nur einen Augenblick auf. Wie eine kleine Flamme. Dann lag ein kaum merkbares Lächeln über ihren feingeschnittenen Lippen.

»Bergungsabteilung!« sagte sie langsam, als sei nichts geschehen. »Abteilung Fahndung und Erz halten dauernd selbständig Verbindung mit Abteilung Technik und geben Berichte weiter an Abteilung Chemie, Finanzen, Kultus und Zentrale. Abteilung Bergung – –«

Der Italiener beugte sich dienstbereit vor.

»Jede Gelegenheit, weiterer Meteorstücke habhaft zu werden, ist auszunützen. Chemie!«

Cachin hob seine Hand.

»Sobald die Ergebnisse Walter Werndts zur Ausnutzung reif sind, oder Werndt den ersten Experimenten zum Opfer gefallen sein sollte, erwarte ich Meldung. – Kultus! Wer bei der Mitwirkung versagt, verschwindet!«

Es war, als ob sich die Köpfe der Anwesenden eine Handbreit niederduckten. Jeder sah vor sich hin, als wollte er dem grausamen Sinn dieser Worte entgehen.

»Bestie!« zischte Cachin zwischen den Zähnen. Wieder schoß dem Pariser das Blut in die Schläfe. Erst jetzt verstand er die Drohung des Weibes. Sein ganzer Stolz als Mann bäumte sich auf gegen diese Behandlung. Er verstand diese Männer nicht, die sich willenlos beugten.

»Ich bitte ums Wort!« stieß er nach drüben.

Da sah er erst, daß der Stuhl wieder leer war. Durch den Vorhang trat wieder der weiße Sekretär und überreichte jedem der Herren einen länglichen Brief.

»Ich danke den Herren.«

Hastig gingen die Gäste hinaus. Dumascu schritt als letzter, dicht hinter Cachin. Als er das Zimmer verlassen wollte, hob der Hindu am Vorhang die Hand.

»Die Herrin erwartet den Sahib!«

Der Bulgare stutzte einen Augenblick. Sein Instinkt warnte ihn. Aber dann schoß sein Stolz wieder hoch. Es sollte ihm eine Erleichterung sein, dieser Frau seine Meinung zu sagen.

»Wo ist sie?« fragte er mit betonter Unhöflichkeit.

Der Hindu ging ihm geschäftig voraus, und ließ ihn am Vorhang mit einer tiefen Verbeugung vorbei.

Dumascu stand in einem verschwenderisch ausgestatteten, indischen Zimmer. Schillernde Seidenteppiche bedeckten jede Handbreit der Wände. Rund um den Fußboden, der in weichen Fellen versank, lagen Polster und Kissen. Das gedämpfte Licht der Ampeln spielte auf goldenen Beschlägen der Hocker und Tischchen.

In der Mitte des Zimmers, auf einer breiten Tigerottomane lag die indische Frau. Mit einer weichen Handbewegung lud sie den Gast ein, näherzutreten und sich auf ein Polster zu setzen. Ruhig und interessiert studierte sie sein Gesicht.

»Sie sind heißblütig und mutig,« sagte sie träumerisch, mit ihrer vollen, tiefen Stimme. »Ich kann mutige Männer gebrauchen.«

»Ich liebe es nicht, einer Frau zu gehorchen!« sagte er kurz, mit bewußter Schärfe. »Ich liebe es deshalb auch nicht, meinen Mut einem Weibe gegenüber zu beweisen.«

Sie lächelte leicht.

»Sie werden Gelegenheit erhalten, ihn auch sonst zu beweisen. Rauchen Sie?«

Sie reichte ihm eine Schale mit Zigaretten. In ihrer Frage lag etwas, wie ein suggestiver Befehl. Obwohl der Ingenieur eigentlich ablehnen wollte, griff er doch nach den Papyros und setzte eine Zigarette in Brand. Ein leichter, süßlicher Geruch verbreitete sich in dem Zimmer.

»Ich danke Ihnen, daß Sie, der hoffnungsvollste und erfolgreichste Techniker Frankreichs, meinem Rufe gefolgt sind,« setzte sie das Gespräch freundlich fort. Irgend etwas in ihrer Stimme zwang den Bulgaren, ganz gegen seine Gewohnheit, unhöflich zu bleiben.

»Ich bin nicht Ihrem Rufe gefolgt, Madame, sondern meine Behörde hat mich nach Benares geschickt, um dort technische Arbeiten zu leiten.«

Der süße Geruch der Zigarette legte sich wohltuend auf seine Sinne.

»Benares? Die Stadt des besten Wassers?« wiederholte sie. Es war wie ein Singen. »Sie ist schön, diese Stadt, aber geheimnisvoll, Be–na–res. Wa–ra–na–si ...«

Ein eigenartiger Zauber ging von diesen Silben aus, als sie sie sprach. Dumascu sah plötzlich deutlich das Bild dieser Stadt vor sich, leibhaftig, greifbar, wie auf der Leinwand eines Lichtspieltheaters. Die endlosen Reihen der Moscheen und Tempel, die Badeplätze mit den Tausenden badender Pilger, die hier mit Inbrunst das heilige Wasser tranken, in dem tagaus, tagein zahllose Leprakranke Heilung suchten, und verkohlte Überreste verbrannter Leichen vorbeitrieben ... Wa–ra–na–si, die Stadt des besten Wassers ... Be–na–res ... die Stadt des Wahnsinns ...

Wie aus einer anderen Welt kam die Stimme da vorne zu ihm, und doch glaubte er, die Augen der Frau ganz dicht vor sich zu sehen, wie zwei flammende Sonnen. Dazu dieser seltsame, süßliche Duft ...

»Wenn Sie gewußt hätten, daß ich Sie rief, wären Sie also nicht gekommen?« girrte es zärtlich.

Be–na–res ... Wa–ra–na–si ... bohrte es in seinem Gehirn.

»Nein!« wollte es in ihm aufbegehren, aber der feine, bläuliche Rauch der Zigarette in seinem Munde umfing sein Willenszentrum mit einem seligen Rausche.

»Ich – weiß – nicht,« meinte er leise. Es war wie ein Hauch. »Ich – weiß – nicht ...«

Wie eine Liebkosung fühlte er eine weiche Hand auf seiner Stirne, einmal – zweimal – dann sank er glücklich lächelnd zurück, auf sein Polster – tief – tief – immer tiefer ...

Die Indierin schaute stumm auf ihn hinab. Unverrückt bohrten sich ihre Blicke fest auf die Nasenwurzel des Schlafenden, dessen Haupt in ihrer geöffneten Hand lag. Leise, wie ein fremdartiger Sang fielen kurze Worte von ihren Lippen.

»Du wirst mutig sein –« sagte sie tief –, »aber nicht gegen mich. Tat wam asi – Du bist ich – ich bin du –«

Dann schlug sie den Gong und verschwand durch den Vorhang ...

* * *

Wie ein silbernes Schlangenpaar zog sich das schmale Geleis der neuen elektrischen Ingenieurbahn vom nördlichen Benares hinaus in das Land. Wagen auf Wagen rollten aus den riesigen Lagerhäusern am Bahnhof und nahmen den Weg zur neuentstandenen Märchenstadt, die fast über Nacht aus dem Nichts gewachsen war. Zwanzig Kilometer vom heiligen Ufer des Ganges, mitten in einer blühenden Einsamkeit. Walter-Werndt-Stadt sagten die Europäer. Stadt des Zauberers nannten sie die Eingeborenen. Jeder Wagen, der das Geleis entlang rollte, war hochbeladen mit Material aller Art. Eisenträger, Aluminiumtafeln, ganze Fensterseiten, Bretter, Betonplatten, verschnürte Pakete. Indische Lastträger hockten auf dem hinteren Trittbrett und preßten sich unter die überstehende Ladung, um eine Handbreit Schatten zu finden vor der glühenden Sonne. Oder sie schimpften mit den braungebrannten Burschen, die in verwegenem Übermut auf der Höhe des Wagens herumturnten und jeden Augenblick das Genick zu brechen drohten.

Stadt des Zauberers ... Je näher die dunkle Masse am Horizont rückte, desto lebhafter wurde das Treiben. Baracken, Lagerschuppen, Betonhäuser schoben sich an die Geleise heran und verteilten sich spinnennetzartig nach allen Seiten. Weiße, gelbe, braune Gestalten wimmelten zwischen den freien Räumen, zu Fuß und zu Pferde, mit Ochsen und Elefanten, hastig rennend oder keuchend unter allerlei Lasten. Tausend Geräusche zerschnitten die Luft rings, Hämmern und Kreischen, Rattern und Knarren, Bohren und Sägen. Wie der Lärm einer Riesenfabrik, eines Hämmerwerks, einer Schmiede. Dazwischen das Schreien der Arbeiter, die kurzen Rufe der Aufseher, Dampfsirenen und Pfeifensignale, Läutwerke und Motorknattern, das ganze Jahrmarktsgetriebe einer nach Tausenden zählenden Menge sich hastender Menschen.

Europäische Techniker empfingen die Züge und verteilten die Wagen nach flüchtigem Blick auf die Anschrift der Ladung auf Anschlußgeleise. Wie das dunkle Zentrum einer Schießscheibe lag der Bahnhof inmitten der anderen Bauten, die das größte Laboratorium aller Zeiten enthielten. Riesige Hallen, langgestreckte Steingänge, breite, runde und eckige Türme von seltsamen Formen. Dazwischen dicke Betonwände, tief in die Erde versenkt, bergwerkartige Stollen und erdüberdachte Verließe. Die Wachen vor ihren Eingängen zeigten, daß ihre gefährliche Ladung schon innen verstaut war.

Von einem der bremsenden Wagen löste sich die schlanke Gestalt eines einzelnen Mannes. Einer der Techniker kam ihm diensteifrig entgegen.

»Ah – Mister Nagel – schon wieder zurück?«

Der Ankömmling reichte ihm freundlich die Hand.

»Direkt von München. Hier noch alles in Ordnung?«

Er reckte seine rassige, sportgestählte Gestalt und schob den Hut in den Nacken. Blaue, junge Augen sahen unter blondem Haar in die Runde. Er sog die Geräusche der brausenden Arbeit in sich ein, wie eine langentbehrte Wohltat.

»Ihr habt tüchtig geschafft in der letzten Woche. Halle drei und vier sind schon fertig –«

»Und eins und zwei schon ganz eingerichtet. Auch Ihr Sternwartgebäude. Es geht wie durch Zauber.«

»Wo ist Doktor Werndt jetzt?«

Dem Techniker strahlte der Stolz aus den Augen.

»Im Hauptbau fünf. Er richtet die beiden Turmräume ein. Der neue Ingenieur ist auch bei ihm.«

Doktor Nagel hob ein wenig die Brauen.

»Ein neuer Ingenieur? Seit wann ...?«

Der andere schien den Einwurf erwartet zu haben.

»Es ist der Vertreter der internationalen Stiftungskommission. Ein Franzose oder Bulgare.«

»So.« – Das sonnverbrannte Gesicht des Ingenieurs war plötzlich verfinstert. »Na, ich werde ja sehen.«

Mit einem kurzen Gruß drehte er sich ab und ging geradenwegs auf den Turmbau zu, der die Mittelstadt abschloß. Beim Anblick der lärmenden Arbeit erhellte sich seine Miene allmählich. In impulsiver Lebhaftigkeit erwiderte er die Grüße der Aufseher und Ingenieure, an deren Herzlichkeit er seine Beliebtheit erkennen konnte. Einer der älteren Herren schloß sich ihm an. Sie stiegen die Treppe zum Hauptbau hinauf.

»Sie werden manches verändert finden in den acht Tagen, die Sie in Deutschland waren. Wir sind mächtig vorwärtsgekommen. Was sagen Sie zu unserem Hauptsaal?«

Doktor Nagel stand überrascht, die Klinke der Türe noch halb in der Hand.

»Alle Achtung!« entfuhr es ihm. »Es macht sich doch in Wirklichkeit noch etwas anders, als auf dem Papierplan.«

Der andere strahlte.

»Diesen Saal macht uns auch niemand mehr nach. Mein Ressort, der Apparatepalast. Sehen Sie sich nur einmal diese Torsionswage an, die auf ein milliardelstes Gramm reagiert. Diese ganze Wand hier enthält alle Vorrichtungen für die Bestimmung von Längen, Dicken und Volumen, für Dichte-, Druck- und Temperaturmessungen. Die Instrumente liefern im Durchschnitt sechs Dezimalen ihrer Meßeinheit – bitte!«

»Und Doktor Werndt?« fragte Nagel. Seine Gedanken schienen ganz wo anders zu sein, als bei diesen zahllosen Apparaten, die auf Stellagen und Tischen verstreut standen, lagen und hingen. Aber der Ingenieur ließ ihn nicht los. Mit liebevoller Sorgfalt fuhr seine Hand über eine funkelnde Linse.

»Daß wir hier das Vollkommenste vereinigt haben, was bisher auf dem Gebiete der Photographie, Photochemie, Kristallographie, Spektroskopie erzielt wurde –«

»Um Himmels willen!« Der Jüngere hielt sich die Ohren zu.

»– das ist ganz selbstverständlich. Aber den Vogel schießen doch meine optischen und elektrischen Meßinstrumente ab, für Brechungsquotienten, Beugungserscheinungen, Linsenkrümmungen, Interferenzen. Da sehen Sie mal das große Sphärometer an, das Spektrometer, Pyrheliometer, Bolometer –«

Er unterbrach sich mit einem verwunderten Blick auf den Kollegen. Nagel stand plötzlich mit einem katzenähnlichen Sprung auf der oberen Treppenstufe zum Mittelsaal.

»Bolometern Sie mal ruhig allein in Ihrem Panoptikum weiter, lieber Fred« – rief er lachend von oben –, »ich habe einige tausend Kilometer im Leib und sonst nichts. Weitere Meter verträgt er für heute nicht mehr.«

Ehe der andere sich von seiner Entrüstung erholt hatte, verschwand er durch die gepolsterte Türe.

»Oho!« empfing ihn eine sonore Stimme, als er in den Saal schoß. »Schon da? Und so heiter?«

Nagel drehte sich mit einem Ruck um. Vor ihm stand ein schlanksehniger Mann, in weißem Laboratoriumsmantel, das schöne Gesicht schmal, wie aus Bronze gegossen, die scharfgebogene Nase zwischen zwei leuchtenden Augen von seltsamer Klarheit. Augen eines Adlerjägers aus den nordischen Bergen.

Mit offener Freude streckte der Jüngere ihm die Hand hin, noch immer lachend.

»Verzeihung, Meister! Mister Fred überfiel mich mit seiner Bolo- und Sphärometerei da drüben. Er war auf dem besten Wege, die Krümmungskurve meines leeren Magens zu messen. Ich rettete mich nur durch schleunigste Flucht. Guten Tag, lieber Meister!«

Walter Werndt drückte ihm kräftig die Hand. Immer wieder erfrischte ihn die unverwüstliche, sonnige Art des jungen Freundes, der in so seltsamen und gefährlichen Lagen sein Gefährte gewesen. Erst jetzt bemerkte dieser den Fremden an Walter Werndts Seite. Der berühmte Erfinder sah diesen Blick und gab die Erklärung.

»Doktor Nagel, mein treuer Assistent und langjähriger Adjutant – Herr Dumascu, Mitglied der internationalen Ingenieurkommission aus Paris, dem wir das Modell unseres großen Explosionsraums verdanken.«

Mit einem seltsam forschenden Blick reichten sich die beiden Männer die Hand. Dann huschte ein liebenswürdiges Lächeln über Dumascus Gesicht.

»Ich habe schon so viel von Ihren Taten gehört, geehrter Herr Kollege, daß ich mich doppelt freue, Sie auch einmal persönlich kennenlernen zu dürfen. Sowohl aus der glücklich überwundenen Zeit der Auseinandersetzung Ihres Vaterlandes mit Frankreich, meiner zweiten, beruflichen Heimat, als auch vor allem aus Ihrer Jagd nach unserem Meteor, das uns alle hier festhält Siehe »Der Kampf ums Gold« und »Panik«, Romane von Reinhold Eichacker.. Sie wurden dadurch für die ganze Welt das Symbol des – des ...«

Er stockte, ein wenig verlegen.

»Des Dusels!« ergänzte Werndt lächelnd. »Sagen Sie es ruhig. Er ist es tatsächlich.« Er wandte sich zu seinem Freunde. »In Deutschland war alles in Ordnung?«

Sein Assistent nickte.

»Ich habe ein größeres Quantum Radium aufkaufen können, als alle Laboratorien der Erde zusammen besitzen. Auch die Röntgenapparate habe ich mitgebracht. Es war eine wertvolle Fracht ...«

»Und die junge Frau als wertvollste?«

Nagels Augen strahlten.

»Sie kam mit mir im Flugzeug. Ich setzte sie in Benares ab und fuhr selbst mit der Kleinbahn.«

Dumascu blickte interessiert auf.

»Ah – die Tochter des Mathematikers Earthcliffe? Sie haben die seltsamste Hochzeitsreise gemacht, die jemals zwei Menschen zusammen erlebten.«

Nagel wandte sich ihm höflich zu.

»Welche Abteilung werden Sie leiten, Herr Kollege?«

Werndt kam ihm zuvor.

»Herr Dumascu hat die Isolierungsarbeiten der einzelnen Räume übernommen. Diese Aufgabe erfordert ganz besondere Sorgfalt und Erfahrung, da wir mit einer Reihe neuer, unerhört durchdringender Strahlungsarten zu rechnen haben, die leicht als unsichtbare und ungebetene Störenfriede bei unseren Versuchen auftreten könnten. Herr Dumascu ist Spezialist auf diesem Gebiete. Er wird übrigens auf Wunsch der internationalen Stiftungskommission unseren Experimenten persönlich beiwohnen.«

Nagel wollte etwas erwidern, aber ein schneller, mahnender Blick Walter Werndts ließ ihn verstummen. Er kannte diesen Blick aus den Jahren der Zusammenarbeit genau. Er war ihm ein Zeichen, daß sein Lehrer und Freund etwas zu sagen hatte, was nicht für Dritte bestimmt war.

Doktor Werndt hatte den Arbeitsmantel abgelegt und ging zu den nördlichen Sälen. An der Türe stockte er plötzlich. Ein lautes Durcheinander von Rufen und Schreien kam ihnen entgegen. Dazwischen eine einzelne, scheltende Stimme. Die Metallwände und Glasfenster vervielfachten den Schall, wie durch einen Trichter.

»Hindusöhne, Gangesneger, Fakirbonzen!« kam es von drüben, in einem unglaublich wirren Gemisch von Englisch, Spanisch und Singalesisch. »Ihr glaubt, uns hier in Indien noch etwas Neues vormachen zu können? Arme Strohköpfe seid ihr, mit euren Schlangenkunststücken gegen diese Zauberinstrumente meines Freundes und Herrn, Sennor Nagel! Wenn ich hier dies Rohr auf euch richte – mio dio! Caramba torri ...!«

Einige indische Arbeiterinnen kreischten hell auf –

»Wer hier hineinsieht, dessen Seele fährt durch die Röhre hinauf in die Sterne und zerstäubt dort in zwei Zentner Atome, daß die ganze Welt niesen muß, ohne Pause ...! Fort da, von der Röhre, unselige Gelbhaut, stoß nicht mit deinem grünen Kaffeewärmer auf deinem kahlen Schädel gegen den Tubus! Kerls! Wartet nur, ich drehe hier an diesen Schrauben ...«

Man hörte das Knacken von Schaltern und ängstliche Rufe.

»Ihr verdient es nicht, Krokodilvettern, daß ich euch noch einmal verschone, aber – wer seine fettigen Finger nicht von diesen Linsen hier läßt, den vergrößere ich, bis seine Eingeweide zerplatzen, wie ein aufgeblasener Frosch! Finger weg!«

Die Inder verstanden ihn nur zur Hälfte, aber sie standen mit offenen Mäulern, die einen lachend, die anderen mit ängstlichen Zweifeln, und starrten hinauf zu dem zornigen Sprecher.

Werndt lächelte Nagel verständnisvoll zu.

»Ihr Don Ebro als Wachhund.«

Der Redner hörte das Klirren der eisernen Türe. Sofort unterbrach er sich und stellte sich in Positur. Unbeweglich, voll Würde, einen Fuß leicht nach vorne geschoben, als wolle er tanzen. Das gelbe Gesicht von Falten zerfurcht, ohne Regung, mit todernstem Ausdruck. Nur die pechschwarzen Augen lachten.

Nagel gab ihm die Hand.

»Wieder so zornig, mein Lieber?«

Don Ebro zog den Fuß wieder an. Die Falten seines Ledergesichtes machten einen hastigen Rundmarsch und standen dann wieder.

»Die Wissenschaft verlangt von mir das Opfer meiner spanischen Würde. Ein schreckliches Volk hier! Ich verstehe sie nicht, sie verstehen mich nicht, – turnen mit unseren Röhren herum, wie mit Stöcken von Bambus. Man wird den Angstschweiß nicht los, wie in Madrid im Juli – sennor mio –, daß sie etwas zerbrechen. Und die Linsen, die Linsen! Sechsmal habe ich sie alle geputzt. Immer wieder kleben ihre fetten Finger darauf, wie die Schmeißfliegen im Sommer ...!«

Mit einem phantastischen Satz war er an der Seite eines gelbhäutigen Burschen und faßte ihn bei den Ohren.

»Gangeswanze! Rennt der Bengel mir beinahe in den Spiegel vom großen Reflektor! Vorsichtig mit dem Konkavgitter, du Heupferd! Bobby, schaffen Sie das Uviolsystem und den kleinen Kometensucher in das Sternwartgebäude. Wo ist das Meridianinstrument?! Kerls, ich habe euch in Verdacht, daß ihr Platin und Aluminium freßt!«

Seine hagere, schwarze Gestalt verschwand in einem Labyrinth von Kisten und Ballen, im Gedränge der Träger ...

»Eine Perle von Diener!« meinte Dumascu. »Seine Teilnahme an der Fahrt Ihres ›Falken‹ machte ihn zu einer internationalen Berühmtheit.«

Werndt blickte befriedigt über die vollen Stellagen und blitzenden Tische – –

»Ich möchte mir noch die Kühlanlagen und unseren elektrischen Ofen ansehen. 16 000 Grad soll er geben. In zwei Wochen ... Nur zwei Wochen noch, dann kann unsere Arbeit beginnen.«

* * *


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