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Georges Eekhoud

Eekhoud gehört der Weltliteratur an. Neben Camille Lemonnier und Verhaeren gebührt ihm, über allen Kämpfen des Tages, eine Ausnahmestellung im belgischen Schrifttum. Diese Bedeutung Eekhouds ist in Belgien seit Jahren anerkannt worden; das verhältnismäßig rasche Aufblühen von Eekhouds Ruhm in Frankreich ist eine Tatsache, der gegenüber die Unbekanntheit dieses am tiefsten flämischen Dichters Belgiens in Deutschland unbegreiflich ist. Es müßte denn schon sein, daß dieser große Flame, von dem eine französische Zeitschrift gelegentlich einer Huldigungsausgabe im Jahre 1912 sagt: » Son origine est essentiellement germanique«, und der als Sproß eines mit deutschem und holländischem Blut durchmischten Antwerpener Patriziergeschlechtes Eekhouds Großvater mütterlicherseits war ein Deutscher aus dem Herzogtum Nassau, während seine Großmutter mütterlicherseits eine Holländerin aus Rotterdam war. wie keiner verstanden hat, die Tiefen der flämischen Seele zu offenbaren, erst den Umweg über blutfremde Anerkennung machen sollte, um im blutverwandten Deutschland an letzter Stelle Gehör zu finden. Ein übrigens nicht einzig dastehender Fall, welcher ebenso für die seelische Gewalt der Eekhoudschen Kunst, wie für die Unzulänglichkeit des flämisch-deutschen Geistesaustausches in der Zeit vor dem großen Weltkrieg Zeugnis ablegt.

Wollte man das Wesentliche der Eekhoudschen Kunst kurz charakterisieren, so dürfte man vielleicht sagen, daß es das Großmenschliche seiner Heimatliebe ist, was dieser von einer unwiderstehlichen Dramatik durchfluteten epischen Kunst seinen verklärenden Stempel aufdrückt und Eekhouds Werk unsterblich macht. Es gibt kaum in der ganzen Weltliteratur der Neuzeit ein Beispiel einer ähnlichen Leidenschaftlichkeit der Heimatliebe, eines ähnlichen tragisch-allumfassenden Dranges, der Eekhoud zum inbrünstigen Trinker des Blutes und der Lebenssäfte seiner Heimat macht und ihn zugleich mit einer Christusaureole der selbst auf Höllenfahrten nicht verblassenden Liebe krönt.

Das Eigentümliche an Eekhouds Heimatschilderung und Heimatliebe, das seinem Werk den Stempel einer neuen »menschlichen Komödie« verleiht, liegt in seinem Zupacken seelischer Probleme. Seine Liebe dringt bis zum tiefsten Seelengrund, kennt keine Rücksicht, vermählt sich jedoch zugleich aufs engste mit dem physischen Fluidum, mit dem Fleisch und Atem seiner Heimat. So ist sie sinnlich und übersinnlich zugleich. Jesus und Dionysos sind in ihr versöhnt, was übrigens, wie uns Eekhouds »Freigeister von Antwerpen« ( Les Libertins d'Anvers), jener geniale Versuch, die Geheimnisse eines Genius Loci zu entschleiern, zeigen, echt flämisch ist. Eekhouds Liebe zu seinem Volke wendet sich, jesusähnlich, mit besonderer Leidenschaft den Niedrigsten seiner Heimatgenossen zu. In jener Masse des Volkes, für das der selbstbewußte Pharisäer, welcher Art er auch sein mag, nur ein geringschätziges Lächeln hat, spürt er das Wirken heiliger Mysterien des Blutes, der Rasse und jener geheimnisvollen Kräfte, die wir Seele nennen. Sein reines Mitgefühl, das zugleich heidnische Erdenliebe, Blutliebe und Schönheitsliebe ist, bemächtigt sich des Volks- und Proletarierproblems und erweitert es zu einem Menschheitsproblem, zu einem Problem der Liebe und des Hasses aus tiefsten Seelengründen, zu einem höchst dramatischen Widerspiel der guten und bösen Machte in ihrer elementarsten Gewaltäußerung. In diesem Sinne sind seine Werke » Mes Communions«, dem die Erzählung »Burch Mitsu« entnommen ist, » Le Cycle patibulaire«, jene Galgenvogelgeschichten, welche Oscar Wilde so hoch geschätzt hat, und vor allem auch der flämische »Werther« mit dem Jesusgesicht: der Roman » L'Autre Vue«, jene höchste Apotheose von Eekhouds Liebe zu den »samtenen Strolchen« und den Verbrechern aus Notwendigkeit, Offenbarungen von einer leidenschaftlichen Farbengebung und aufwühlenden Dramatik, wie sie ähnlich nur die größten Meisterwerke der altflämischen Malerei zu verkörpern vermochten.

Eekhouds Kunst, ob sie uns in wunderbar gemalten Bildnissen, die meistens junge Burschen des niedrigsten flämischen Volkes, ja vornehmlich Parias darstellen, oder in großen sozialen Gemälden, wie » La Nouvelle Carthage« und in historischen Visionen ( Les Libertins d'Anvers) naht, ist die Verkünderin einer großen menschlichen Offenbarung von dem Reichtum der Allerärmsten. Sie macht uns reicher, indem sie uns Schätze von Menschenschönheit wie werdende und vergehende Träume der im Erdenkot des Volkssterbens und -aufbegehrens ewig gestaltenden Seele enthüllt, und sie deutet uns besser als jede andere Kunst die Labyrinthe der flämischen Seele in ihrer inbrünstigen Erdgebundenheit (» Kermesses«, » Nouvelles Kermesses«, » Kees Doorik«), in ihrer dionysischen Lebenskühnheit (» Mes Communions«, » Le Cycle patibulaire«) und ihrer jesushaften Lebenssüße (» L'Autre Vue«, » Les Libertins d'Anvers«, » La faneuse d'amour«).

Nimmt man Charles De Coster, den großen Dichter des »Tyll Uilenspiegel« als Ausgangspunkt der neuen flämischen Blüte im belgischen Schrifttum, so ist Eekhouds Kunst ohne Zweifel die geradlinige Fortsetzung dieser Bewegung.

Schon aus diesem Grunde ist es heute Zeit, der Kunst Eekhouds, mit einer des Meisters würdigen Sorgfalt, in Deutschland Eingang zu verschaffen. Sie ist der Schlüssel zur flämischen Seele in jenem bedeutungsvollen Sinne, wie es die altflämische Malerei war, deren unverwelklicher Zauber durch Jahrhunderte hindurch auf uns wirkt.

Der Übersetzer.


Druck der Roßberg'schen Buchdruckerei in Leipzig.

 


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