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1.

Der seit vierthalb Jahren in Gott ruhende Ehegemahl Adelaidens, Ottfried Cäsar von Weißenfels, königlich sächsischer Hof- und Schulrat, war ein ganz vernünftiger Mann gewesen. Dem läuternden Einfluß dieses kraftvoll ernsten Charakters glückte es beinahe durchweg, die beiden Hauptfehler seiner Lebensgefährtin, die übertriebene Sparsamkeit und den literarischen Dilettantismus, gründlich im Zaume zu halten. Adelaide hatte zu Lebzeiten ihres königlich sächsischen Hofrats würdig und zweckentsprechend repräsentiert, wenn es auch hier und da einer freundlichen Standrede über die allzu einfach werdenden Küchenzettel bedurfte. Sie hatte sich ferner mit dem Gedanken vertraut gemacht, von dem praktisch nüchternen Ottfried in ihrer Eigenschaft als Poetin mißverstanden und, wenigstens äußerlich, auf das Niveau prosaischer Durchschnittsfrauen heruntergedrückt zu werden; daher sie denn seit dem zweiten Quartal ihres Eheglücks das Lyrische Tagebuch – so nannte sie die köstliche Reinschrift ihrer poetischen Eingebungen – wie eine verbrecherische Korrespondenz im tiefsten Schubfach ihres Schreibsekretärs verschloß und höchstens einmal ihrer vertrautesten Freundin, der Frau des Majors Friese, ein paar bedeutsame Stellen vorlas, bis auch dieses mitfühlende Herz ihr auf dem Weg der Versetzung nach Koblenz verloren ging.

Seit Ottfried Cäsar jedoch infolge eines apoplektischen Anfalls die klugen, klarblickenden Augen für immer geschlossen hatte, gab sich Frau Adelaide von Weißenfels allgemach wieder so, wie sie war.

Obgleich in recht guten Verhältnissen, schränkte sie den schandbaren Luxus des langen Tafelns, wie sie sich ausdrückte, dergestalt ein, daß mitleidslose Beurteiler ihr geradezu Geiz vorwarfen.

Auch trat sie kühner und freier mit ihrer Lyrik hervor, zog hier und da eine urteilsfähige Schwester in Apollo zu Rate, durchforschte die zahlreichen Bände des Tagebuchs nach ›Blüten und Perlen‹, die sie demnächst einer geachteten Firma zum Verlag anbieten wollte, und faßte den Plan zu einer Ballade aus der altklassischen Mythologie, »Deianeira« betitelt.

Inzwischen war ihre einzige Tochter Helene, ein reizendes Blondchen mit hellblitzenden Augen und frischen Lippen, zur heiratsfähigen Jungfrau herangewachsen.

Das heitere, genußfrohe und unverkünstelte Naturell des Kindes litt unter den beiden Hauptcharakterzügen ihrer Mama gleichermaßen.

Die Sparsamkeit der ängstlichen Adelaide brachte Helenen um gar manches Vergnügen, das man ihr wohl hätte gönnen dürfen.

Überall peinliches Rechnen.

Der Subskriptionsball wurde nicht mitgemacht, weil sich die Hofrätin gegen die Anschaffung eines neuen Galakostüms sträubte; die Parkettsitze in der Oper waren zu teuer; eine Spazierfahrt stempelte jedermann, der nicht gerade Millionär war, zum kuratelreifen Taugenichts usw. usw.

Die literarischen Neigungen der Frau Hofrätin zwangen die blonde Helene zu unerhörten Geduldsproben.

Sie mußte jetzt, da sie für das Verständnis derartiger Schöpfungen reichlich entwickelt schien, die zu früh entschwundene Majorin Friese ersetzen. Nicht nur wohlgerundete Oden im alkäischen Versmaß und majestätische Lieder in freien Rhythmen wurden ihr unterbreitet, sondern auch Stellen aus jenem Lyrischen Tagebuch, deren Entstehungsgeschichte ihr mit kurzen Worten erläutert wurde.

Trotz der Häufigkeit solcher poetischen Mitteilungen fügte sich Fräulein Helene mutvoll ins Unvermeidliche. Ihr hübsches, rosig erblühendes Antlitz strahlte wie in ruhiger Verklärung, ob nun Adelaide sanftschwimmende Töne einer versöhnteren Weltanschauung zum besten gab, oder ob sie mit schmerzlich dröhnender Stimme dem Zwiespalt Ausdruck verlieh, der siebzehn Jahre hindurch peinlich in ihrer Seele geklafft hatte.

Da hieß es z. B. im vierten Bande des Lyrischen Tagebuchs auf der hundertsten Seite:

Wohl schrecklich ist's, noch in des Lebens Mai,
Das Herz erfüllt mit trunkner Poesei,
Die Brust bewegt vom ungestümsten Pochen,
Am Herde stehn und Makkaroni kochen.
O Dichtkunst, holder, sehnsuchtsvoller Wahn,
Du fliehst den Topf, von Kohlenglut umlodert!
Persönlich hab' ich's freilich nicht getan:
Doch nachzusehn – was doch die Pflicht erfordert –
Und so der Köchin stetig Winke geben:
Selbst das, beim Zeus, verbittert mir das Leben ...

Fräulein Helene, weit entfernt, das heimliche Weh dieser eigentümlichen Rhythmen nachzufühlen, saß und lauschte mit einer seltsamen Art, die nicht erkennen ließ, ob ihre geistige Sammlung dem Vorgelesenen galt oder den Klängen einer besonderen, für andere unhörbaren Sphärenmusik. Adelaide war fest davon überzeugt, ihre Tochter folge den Melodien der mütterlichen Kithara; ein Unbefangener jedoch wäre bei tieferer Betrachtung dieses lieblich sinnenden Angesichts zum entgegengesetzten Schlusse gelangt und hätte so die Wahrheit – in ihren Grundzügen wenigstens – bald enträtselt.

Die Gedanken Helenens weilten in der Tat niemals bei diesen metrischen Herzensergüssen. Sie schweiften vielmehr über die breite Mathildenstraße quer nach dem Eckhaus mit der schönen skulpturenreichen Fassade, wo ein frischer, lustiger, kernhafter junger Mann wohnte: Doktor Leopold Maxwaldt, Assistent des berühmten Nervenspezialisten Schebelsky.

Helene von Weißenfels hatte Herrn Doktor Maxwaldt zu Anfang Oktober auf einer Landpartie kennen gelernt und dann noch drei- oder viermal wiedergesehen.

Diese Begegnungen hatten genügt, um bei dem klaren, gesunden Charakter der jungen Leute, die nicht gelernt hatten, nach der Schablone unserer modernen Geselligkeit Komödie zu spielen, eine leidenschaftliche Neigung zu wecken.

Bei dem letzten Zusammensein – auf einem Privatball im Hause des Geheimrats Schebelsky – kam es zur gegenseitigen Aussprache. Noch wollte man die Sache geheim gehalten, bis Doktor Maxwaldt gewisse äußere Ziele erreicht hätte; dann aber ... o, er hatte das so wundervoll ausgedrückt, so hold, so poetisch – weit poetischer als die schönsten Stellen des Lyrischen Tagebuchs.

Im Gedanken an dieses wonnesame Erlebnis, im Vollbewußtsein des unendlichen Glückes, zu lieben und wiedergeliebt zu werden, konnte Helene selbst die unwahrscheinlichsten Oden ihrer Mama gleichmütig hinnehmen, ja eine Art von Genuß daraus schöpfen, wie aus dem Rauschen der Baumwipfel oder dem Gemurmel einer sanft hinströmenden Quelle. Adelaide hatte kein unangenehmes Organ; sie las viel besser, als sie reimte und dichtete. Was Wunder, daß Fräulein Helene sich willenlos von dem Klange dieser begeisterten Stimme auf und ab wiegen ließ und jenes Behagen empfand, das den Menschen beseelt, wenn er seinen bezauberndsten Träumen so recht ungestört nachhängen kann?

Adelaide las und las – und wenn sie dann wahrnahm, daß ihre blonde Tochter zuweilen lächelte, das reizende Köpfchen wiegte oder gedankenvoll nach der Decke emporsah, dann überkam die Poetin das wunderbare Gefühl, als habe sie in Helenen zum ersten Male ein wahrhaft urteilsfähiges Publikum für ihre Verse gefunden; urteilsfähiger selbst als die gute Majorin Friese, die, aller Bewunderung zum Trotz, sich hier und da eine kritische Bemerkung erlaubt hatte; – und an Urteilsfähigkeit wenigstens ebenbürtig dem Literaturprofessor Doktor Aloys Schmidthenner, dem einzigen Manne, den Frau Adelaide in die Geheimnisse ihres Lyrischen Tagebuchs eingeweiht hatte.

Seltsamerweise sollte just dieser Schmidthenner die Idylle, die sich zwischen Mama und Tochter so reizvoll entsponnen hatte, ernstlich gefährden.

Die Liebenswürdigkeit und Anmut Helenens war nämlich keineswegs nur dem feurigen Assistenten des Geheimrats Schebelsky als verführerisch aufgefallen; auch andere achtbare Kavaliere, die sich berechtigt glaubten, um Huld und Minne zu werben, hatten entdeckt, daß die rosige Tochter Adelaidens aus mehr als einem Gesichtspunkte das Ideal einer jungen Frau abgeben würde.

Der Eifrigste unter diesen Entdeckern jedoch war der eben genannte Professor der Literaturgeschichte, ein Jugendfreund der Mama und stiller Mitwisser ihrer ersten literarischen Sünden.

Als Fräulein Adelaide von Sandvoß – das war der Mädchenname der Frau Hofrat von Weißenfels – die Provinzialstadt, in der sie mit Aloys Schmidthenner fröhlich gespielt und späterhin auch ein paarmal getanzt hatte, für immer verließ, um an der Seite des ihr frisch angetrauten Gemahls Ottfried Cäsar nach der Residenz überzusiedeln, war der um einige Jahre jüngere Aloys noch Primaner. Seitdem hatte er seine Jugendfreundin nicht wieder gesehen, bis er vor kurzem an eine der höheren Lehranstalten der Hauptstadt als Professor berufen wurde und nun das junge Mädchen von einst als verwitwete Hofrätin wiederfand.

Er beschränkte sich anfangs auf einen Höflichkeitsbesuch, dem er weitere nicht folgen ließ; einmal, weil sich die Hofrätin noch im Stadium der Trauer befand; dann aber auch, weil er bemerkt hatte, wie beklemmend sich die 40jährige Adelaide von dem 20jährigen Adelaidchen, das so reizend geschwärmt hatte, unterschied.

Fräulein Helene befand sich damals noch in Pension. Ihre Zurückkunft war für den 37 jährigen Schmidthenner das Signal zu einer lebhaften Auffrischung des Verkehrs. Nach wenigen Wochen bereits schien er sich klar zu sein, daß Helene ihm mehr bedeute, als eine bloß ästhetische Anregung, wie er ursprünglich sich vorgeschwatzt.

Der Umstand, daß die allerliebste Blondine von ihrem Papa ein ganz nettes Vermögen ererbt hatte, trug dazu bei, diese Störung des psychologischen Gleichgewichts, die Aloys Schmidthenner sonst wohl strenge an sich gerügt haben würde, sittlich zu rechtfertigen. Kurz, es entwickelte sich in seinem Gemüt jene Summe von Stimmungen, die man bei einem heiratsfähigen Manne als ernstliche Absichten zu bezeichnen pflegt.

Hatte der stürmische Doktor Maxwaldt bei seinem Liebesfeldzug direkt den Weg nach dem Herzen des teuren Mädchens eingeschlagen, so hielt es Professor Schmidthenner, der von der Existenz eines irgend beachtenswerten Rivalen durchaus keine Ahnung hatte, für zweckmäßiger, sich vorerst der Mama zu versichern. Hierzu gab es nun allerdings ein verläßliches Mittel: die Liebkosung ihres poetischen Dilettantismus.

Professor Schmidthenner kam wiederholt auf die glücklichen Tage von einst zu sprechen; malte mit glühend üppiger Farbenpracht jenen unvergeßlichen Herbsttag aus, an welchem die reizende Adelaide von Sandvoß ihm damals hoch auf der Burgruine das schöne Sonett »Die Vergänglichkeit« vorgelesen; gemahnte sie an die kühne Improvisation »Dauer im Wechsel«, mit der er begeistert auf ihre Wehmutstöne geantwortet hatte; und schlich sich so, trotz der jahrelangen Entfremdung, dergestalt in ihr Vertrauen ein, daß ihr Poetenherz allgemach frank und frei vor ihm dalag wie ein entrollter Papyrus. Schließlich wurde Helene mehr und mehr von dem Anhören der lyrischen Vorlesungen entlastet, weil es doch offenbar für ein schöpferisches Talent von ungleich größerer Bedeutung ist, seine Versuche einem Fachmann zu unterbreiten als einer Tochter, deren Urteil durch die kindliche Zuneigung immer ein wenig gefälscht wird.

Professor Aloys Schmidthenner zollte den Tagebuchblättern uneingeschränkten Beifall.

Einzelne Bruchstücke, wie das tiefempfundene »O Mädchenzeit, du bist dahingegangen –«, oder das sanftelegische »Was ich schreibe, was ich singe, was ich treibe, was ich ringe –« erklärte er geradezu für poetische Meisterwerke.

Mit dem Chefredakteur des »Tilsiter Anzeigers« noch von der Hochschule her innig befreundet, wußte er in dem genannten Organ zwei »Strandlieder« Adelaidens unter dem Pseudonym Corinna zum Abdruck zu bringen, riet jedoch – ungeachtet des rauschenden Beifalls, dessen sich diese Strandlieder in Tilsit und der gesamten Umgebung erfreut hatten – von weiteren Veröffentlichungen ab, da das Publikum, namentlich in den Hauptstädten, für die rein lyrische Produktion literarischer Neulinge außerordentlich schwerhörig sei, während etwas Erzählendes, wie die kürzlich in Angriff genommene Ballade »Deianeira«, einen Massenangriff auf die Gunst der gesamten Nation bedeute.

Er selbst schrieb jetzt eine »Geschichte der deutschen Literatur seit Goethes Tode«.

In diskretester Weise ließ er gelegentlich seine Absicht durchblicken, in der Rubrik »Neueste Lyrik« auch Corinna, die Verfasserin der so erfolgreichen Strandlieder, namhaft zu machen und darauf hinzuweisen, daß die geschätzte Poetin noch manche herzerquickende Gabe im Pult verberge.

Da sich Adelaide von Weißenfels bescheidentlich sträubte, weil ja die beiden Strandgesänge trotz der geringen Vorzüge, die ihnen etwa anhaften mochten, räumlich genommen doch eine gar zu unbedeutende Leistung darstellten, führte ihr der Professor die Worte August von Platens an:

Ein einzig Lied, das wirklich Leben sprudelt
Und die Vollendung trägt an seiner Stirne,
Kommt mehr zuletzt in aller Menschen Hände,
Als hundert starke, doch geklexte Bände.

Auf Anregung Schmidthenners wurde Adelaide von Weißenfels auch Mitglied der »Tafelrunde«. So hieß nämlich der neuerdings etwas umgestaltete literarische Klub, der damals noch dem schönen Geschlecht seine Hallen erschloß, bis dann unerquickliche Differenzen zur Abänderung des Statuts führten.

Von Schmidthenner unterstützt, spielte Adelaide bei den Zusammenkünften der »Tafelrunde« gar bald eine bedeutsame Rolle. In ihrem Selbstbewußtsein mannhaft gehoben, ergriff sie bei jedem halbwegs geeigneten Anlaß das Wort. Der imposant überlegene Ton ihres Auftretens, die unnachahmliche Art, mit der sie ihr würdevolles »Meine Damen und Herren!« modulierte, sobald der Gedanke in einer zündenden Pointe gipfelte, das lieh, wie Aloys Schmidthenner leidenschaftlich beteuerte, ihrer schönen Rhetorik einen wahrhaft ciceronianischen Reiz.

Auch Doktor Maxwaldt, der einige Wochen lang auf Reisen gewesen war, trat gegen Ende Januar dem Tafelrundenverein als Mitglied bei.

Adelaide jedoch überzeugte sich gleich in der ersten Sitzung, daß der frivol prosaische Assistent des Geheimrats Schebelsky kein echtes Interesse für die Debatten mitbrachte. Vielmehr erstrebte er augenscheinlich nur die reizvolle Nachbarschaft der blonden Helene, zog sie während des Vortrages mehrfach in ein störendes, für die ernsthaften Zuhörer anstoßerregendes Flüstergespräch und benahm sich auch sonst keineswegs wie ein Mensch, dem die Muse den Weihekuß auf die Lippen gedrückt hat.

Das wiederholte sich dreimal.

Professor Schmidthenner, der jetzt zu ahnen begann, daß ihm hier eine bedenkliche Konkurrenz erwuchs, stellte mit Genugtuung fest, wie wenig der junge Arzt durch dieses allzu freie Gebaren bei der Frau Hofrat gewann. Zugleich aber hielt er es doch für geraten, nun auch seinerseits ernstlicher auf das Ziel, das er sich vorgesetzt, loszugehen, die Tochter über der Mutter nicht zu vernachlässigen und einige Anspielungen zu wagen, die der letzteren klar machen sollten, wie sehnlich der Herr Professor nach ihrer Gunst begehre.

Eines Tages – am 24. Februar – kam es zur Katastrophe.

Aloys Schmidthenner, der sich hinlänglich überzeugt hielt, daß Fräulein Helene von ähnlichen Sympathien für ihn durchdrungen sei wie ihre Mama, hatte der Schöpferin der bedeutenden Strandlieder kurzerhand mitgeteilt, wie er sein Leben sich zu gestalten wünsche.

Mit offenen Armen und noch offnerem Herzen war er als Schwiegersohn akzeptiert worden.

Das mußte ja eine Zukunft werden – göttlich, wie in den schuldlos-heiteren Tagen des Paradieses!

Hatte Helene schon jetzt – instinktiv und gleichsam aus der Fülle eines begnadeten Temperaments heraus – dem Schaffen ihrer Mama ein Verständnis entgegengebracht, das zwar nicht laut werden wollte, aber – den »ungesungenen Liedern« Justinus Kerners vergleichbar – deshalb vielleicht nur um so süßer durch ihr empfängliches Herz bebte, so war nun vorauszusehen, daß Aloys Schmidthenner all diese Keime zur Blüte bringen, all diese Ströme entfesseln und seine Schwiegermama in die berauschenden Düfte des Ideals, in den wonnedampfenden Strudel des Kunstverständnisses mit hineinreißen würde – ein herrliches, ein olympisches Dasein zu dreien!

Von solchen Träumen gewiegt, sprach die glückstrahlende Frau noch desselbigen Abends mit ihrer Tochter.

Zu Adelaidens größtem Erstaunen verhielt sich Helene während der ganzen leidenschaftlichen Darlegung vollständig passiv.

Erst auf die dringliche Frage: »Nun, was sagst du dazu?« versetzte die hübsche Blondine mit einiger Bangigkeit:

»Liebste Mama! Der Professor ist gewiß ein großer Gelehrter; auch ein stattlicher Kavalier, der sich in der Quadrille à la cour gar nicht so übel macht; – aber ...«

»Nun, aber ...? Ich will nicht hoffen, daß etwa ein anderweitiges Interesse ...«

Helene ward über und über rot. Hiernach bekannte sie zögernd, daß Doktor Leopold Mazwaldt allerdings ihr liebendes Herz völlig gewonnen und sie längst schon gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle.

Adelaide war starr.

»Stille Wasser sind tief,« hauchte sie sentenziös. Dann, ihre Tochter mit theatralischer Heftigkeit über dem Handgelenk packend, fügte sie drohend hinzu:

»Und was hast du geantwortet?«

»Aber Mama!« sagte das Mädchen wehleidig. »Wenn ein wackerer, liebenswürdiger Mann, den wir gern haben, uns fragt, ob wir ihn heiraten wollen ... Was hast du denn geantwortet, als der Papa dich fragte?«

»Verblendete!« ächzte die Hofrätin. Sie warf die Hand ihrer Tochter von sich hinweg wie eine am Busen gezüchtete Natter. »So schändlich also durchkreuzest du meine Pläne? So heimtückisch rebellierst du? Ich meinte es gut mit dir. Ich gönnte dich einem Manne, der Verständnis besitzt für die idealen Faktoren des Lebens; einem geistigen Führer, der dich aufwärts gelenkt haben würde zu den Höhen des Lichts! Und nun fängst du mir hinter dem Rücken ein abgeschmacktes Getändel an, ein Techtelmechtel der unerlaubtesten Art! ... Ja, zum Kuckuck – (Apoll verzeihe mir diese Wendung!) – bildest du dir denn ein, ich würde je, je zu deiner Verbindung mit diesem Mann des Seziermessers und der Medikamente ja sagen?«

»Was hast du denn an Doktor Maxwaldt auszusetzen?« fragte Helene verschüchtert.

»Alles! Er ist die verkörperte Prosa! Nicht nur taktlos, was ich ihm leicht noch verzeihen würde, sondern auch unfähig, das Schöne vorurteilsfrei zu genießen, das Göttliche anzuerkennen. Wie sagt doch August von Platen? ›Zwar nicht jeder vermag das Erhabene vorzuempfinden: aber ein Tropf, wer's nicht nachzuempfinden vermag.‹ Doktor Maxwaldt ist in dieser Beziehung ein vollendeter Tropf.«

»Mama!« rief Helene empört.

»Ein Tropf, sage ich dir,« verharrte die Hofrätin. »Ich will nicht davon reden, daß er neulich bei der ergreifendsten Stelle meines Sonetts ›Wandelnde Schatten‹ dir in die Ohren gezischelt hat wie ein ungezogener Quartaner. Aber ich weiß, daß er die Bestrebungen unserer ›Tafelrunde‹ bei jeder Gelegenheit persifliert; daß er uns Frauen das Recht abspricht, mit in die Debatte zu treten, ja, überhaupt eine Meinung zu haben; daß er von ›Blaustrümpfen‹ redet, wo ihm der Ausdruck ›Dichterin‹ wahrlich mehr zu Gesicht stünde; ja, daß er die liebenswürdige Frage Schmidthenners, welches der beiden ›Strandlieder‹ wohl das bedeutendste sei, mit einem Achselzucken beantwortet hat, – ich sage dir, gute Helene, mit einem Achselzucken, dessen Verdolmetschung unserem Professor die Röte des Zorns in die Wangen trieb. Und einem solchen Menschen soll ich mein einziges Kind geben? Glaubst du denn wirklich, daß er's mit seiner Liebe so ernst hat? Wer nicht das Schöne in der göttlichen Kunst zu verehren weiß, dem gebricht es auch an der Fähigkeit einer selbstlosen Neigung. Die Sache ist ja so klar wie das Sonnenlicht! Dieser Maxwaldt fühlt sich in seinem Verhältnis zu Doktor Schebelsky nicht wohl. Er mochte sich selbständig machen, und hierzu bedarf er einer vermögenden jungen Dame. Ich begreife nicht, daß ich nicht früher auf diesen Gedanken kam! Daß ich es ruhig mit ansah, wie er dich gleisnerisch in sein Netz lockte! Aber, Gott sei Dank, noch ist es Zeit! Ich spreche ein Machtwort. Ich verbiete ihm ohne weiteres das Haus ...«

»Natürlich, das kannst du,« sagte Helene weinerlich; »aber deinen Professor nehme ich deshalb doch nicht ...«

»Das wollen wir sehen!«

Das junge Mädchen schritt auf sie zu, küßte sie und umschlang sie mit beiden Armen.

»Sei doch nicht gar so erregt!« flehte sie schmeichelnd. »Ich kann ja doch nichts dafür, wenn ich den Doktor Maxwaldt so über alle Beschreibung lieb habe!«

»Ich bin nicht erregt,« gab ihr die Mutter zurück. »Nur das eine erkläre ich dir positiv: solange ich hier noch mitsprechen darf, wird Maxwaldt, der Musenleugner, der schnöde, herzlose Materialist, niemals dein Gatte werden.«


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