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5.

Es schlug sieben. Das ganze Hotel befand sich in angenehmer Erregung.

Die einen freuten sich auf den positiven Genuß, die anderen – skeptische oder lieblose Charaktere – auf eine ergiebige Ernte für ihre Beobachtungen, auf komische und lächerliche Effekte.

Adelaide verhandelte just mit dem Erfurter Fabrikanten, dessen Feuerwerksapparat alle Erwartungen übertraf, namentlich auch in merkantilischer Hinsicht; denn die Geschichte kostete, laut beigebrachter Faktura, 320 Mark. Adelaide bedankte sich mit sauer-süßer Verbindlichkeit, unterdrückte jedoch die Bemerkung, die in ihr aufstieg: daheim in der Residenz sei Derartiges dreimal besser und billiger.

Fräulein Helene hatte ihr Tagebuch längst wieder eingeschlossen. Sie saß jetzt, mit einer Häkelarbeit beschäftigt, in der Ecklaube des Hotelgartens und sah schweigend hinaus in die herrliche Sommerlandschaft. Der Ödberg mit seinen düstern Felsgraten leuchtete im entzückendsten Braunrot; der Himmel war klar wie Kristall; der Abend versprach zauberisch zu werden.

Sie gönnte das ihrer Mama so recht von Herzen; sie hätte es ihr gegönnt auch ohne die echte kindliche Liebe, die sie für sie empfand.

War Helene selber doch so über die Maßen glücklich! Dieser Tag mit seiner wichtigen Komiteesitzung bedeutete offenbar eine Annäherung zwischen Mama und Leopold Maxwaldt. Die Fußwanderung über den Schwalbenstein nach Föhrenau und die fein arrangierte Tombola mußten, wenn es demnächst zur ernsten Erörterung kam, gar schwer in die Wagschale fallen. Freilich, ein literarisch-poetischer Träumer wie Aloys Schmidthenner war der prächtige Maxwaldt trotz alledem nicht geworden. So sehr auch Helene im Interesse ihrer seligsten Hoffnung gewünscht hätte, daß Leopold ihrer Mama etwas wärmer entgegengekommen wäre, so stolz war sie wieder auf die männliche Selbständigkeit seines Auftretens, die so vorteilhaft abstach gegen die schmeichlerisch kriechende Devotion des Literaturprofessors.

Wie sich ihre Gedanken so mit dem Gegenstand ihrer Sehnsucht eifrig beschäftigten, knirschte es in ihrer unmittelbarsten Nähe von Schritten.

Es war Maxwaldt in eigener Person.

»Gott sei Dank, daß ich dich treffe!« sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ich bin in der scheußlichsten Aufregung. Deine Mama – ein unbegreifliches Mißverständnis – da, lies!«

Er überreichte ihr eine Zuschrift von dem Verleger des »Weltalls«. Fräulein Helene überflog sie mit bebender Hast.

»Aber das ist ja unmöglich!« stammelte sie verwirrt.

»Fast scheint es so,« versetzte der Arzt. »Wir stehen hier vor einem unerklärlichen Rätsel. Was sollen wir tun?«

Helene sann einen Augenblick nach.

»Wann hast du die Sendung empfangen?« frug sie nach einer Weile.

»Vor zehn Minuten.«

»Unbegreiflich! Aber wie schlecht von dir, Leopold, mir so gar nichts zu sagen! Ich hatte ja keine Ahnung, daß auch du ... Nein, es ist schändlich!«

»Torheit! Was sollt' ich von der dummen Geschichte viel Aufhebens machen? Übrigens, wenn du mich schelten willst, so hat das ja Zeit. Vorläufig fragt es sich, was geschehen soll.«

»Du mußt Mama augenblicklich von diesem Brief da in Kenntnis setzen.«

»Meinst du? Aber wer weiß, nach welcher Seite die Wahrheit liegt? Preisrichter-Kollegia sind aus Gelehrten zusammengesetzt, und solche Gelehrte sind oft maßlos zerstreut. Jedenfalls haben die Kerle doch Konfusion gemacht.«

»Du hast recht,« nickte Helene, »Wir müssen ruhig abwarten.«

»Nicht wahr? Also vorläufig: unverbrüchliches Schweigen!«

»Nein, wie mich das aufregt! Weißt du, fast wünschte ich, deine Epistel da wäre der Irrtum. Was kann dir an der ganzen Geschichte denn liegen? Mama jedoch – o, sie würde das nicht überleben! Ob wir nicht doch gescheiter das Jubelfest für heute abend abbestellten?«

»Das wäre jetzt viel zu spät. Auch hätten wir logischerweise kein Recht dazu. Das Telegramm eurer Hausgenossin ist ebenso unzweideutig wie dieser Brief. Oder hältst du die Keßler für fähig, sich einen ungebührlichen Scherz zu erlauben?«

»Kein Gedanke! Sie ist die Ehrlichkeit selbst. Dabei so schüchtern, so demutsvoll! Nein, für die stehe ich gut.«

»Überlassen wir's also der Zeit!« sagte der junge Arzt. »Ich werde heut abend so harmlos erscheinen wie möglich. Sei auch du frisch und vergnügt! Hörst du, mein Liebling? ... Himmel und Hölle! Da fällt mir ein...«

»Was denn?« forschte Helene.

»Nichts, nichts! Ich mag keine Pläne schmieden, ehe ich in dieser Sache nicht klar sehe. Wenn es sich aber herausstellen sollte ...! Himmel und Hölle, dann hätt' ich noch einen Streich auf Lager, der ebenso nützlich als amüsant wäre!«

»Ach, verrate mir's doch!«

»Nein, nein! Ihr Mädels braucht nicht alles zu wissen. Eh' man den Vogel im Netz hat, soll man nicht schwatzen.«

Er umschlang sie und küßte sie herzlich auf ihren Mund. Hiernach begab man sich in den Speisesaal, um zu Nacht zu essen.

Das Jubelfest Adelaidens nahm einen wundervollen Verlauf.

Die Gesellschaft amüsierte sich köstlich; auch die sarkastisch veranlagten Elemente wurden allmählich mit fortgerissen.

Die Wolfsplatte glich in ihrer märchenhaften Illumination einem Elfentanzplatz.

Die Musik – auf einer benachbarten Erderhöhung hinter Fichten versteckt – hatte noch nie so schmelzend, so leidenschaftlich gespielt.

Der Fabrikant aus Erfurt tanzte die Polonaise und den Eröffnungswalzer mit der strahlenden Jubilarin.

Doktor Maxwaldt und der preußische Referendar Heimele führten, als Zigeuner verkleidet, einen Fandango auf, der stürmischen Beifall entfesselte.

Die Tombola weckte die rosigste Heiterkeit.

Das Büfett lieferte köstliche Delikatessen.

Kurz vor elf zog man in geschlossener Kolonne nach der Gasthofsterrasse, die den prächtigsten Ausblick über den Ödberg gewährte.

Das Gedicht »Excelsior« zeichnete sich durch überraschende Kürze, die Bahnen der gen Himmel zischenden Glutraketen durch überraschende Länge aus.

Die vier oder fünf Badewärter, die mit der Abbrennung der mannigfaltigen Feuerwerkskörper betraut waren, entledigten sich ihrer Aufgabe mit einer Vollendung, die durch unausgesetzte »Ahs« und »Ohs« belohnt wurde.

Zwischen der dritten und vierten Feuergarbe, die in majestätischer Herrlichkeit zum nächtlichen Firmament lohten, kamen zwei liebeglühende Herzen sich näher: ein junger Techniker aus Potschappel bei Dresden verlobte sich stehenden Fußes mit der Tochter einer verwitweten sächsischen Generalin, was noch desselbigen Abends – erst im engsten und dann auch im weiteren Kreise – ruchbar ward und eine Stimmung erzeugte, die allem die Krone aufsetzte.

Kurz, der Triumph Adelaidens war vollständig. Daß er auch kostspielig war, daran dachte sie nur vorübergehend. Die Herzensfreude wuchs ihr über den Kopf wie die Zauberhecken dem Dornröschen, und lullte ihr sonst so starkes Berechnungstalent in den Schlaf. Ihr Konto bezifferte sich allerdings auf nahezu 600 Mark; aber was lag daran, da sie das Hochgefühl ihres Sieges so gleichsam in viele Dutzende Mitfühlender eingepflanzt hatte?

»Ja, was liegt daran?« hauchte sie, als sie lange nach Mitternacht ihr lorbeergeschmücktes Haupt in die Kissen drückte. »In großen Momenten muß der Mensch sich als groß erweisen; sonst verdient er es nicht, daß ihn die Götter vor all den unbegnadeten Geistern bevorzugen. Sechshundert Mark –: da bleiben noch immer dreihundert. Diese dreihundert sollen den Grundstock bilden zu einem Vermögen, das ich nur mir und meiner hochstrebenden Muse verdanke, nicht irdischen Zufällen, nicht meinen Vorfahren, nicht meinem Ehegemahl! Was er wohl sagen würde, wenn er mich jetzt hier sähe als die Heldin des Tages, als a selfmade woman, als die gekrönte Poetin des ›Weltalls‹! Ja, ja, der Spruch enthält eine tiefe Wahrheit: ›Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken!‹ Nun, ich will ihm nicht grollen, dem ehrlichen Ottfried. Er hat's gut gemeint. Er wußte ja nicht, daß ihm die Götter am Herde saßen. Fata Morgana – Ottfried – Wertsendung ... Meine Damen und Herren ...«

Ihre Gedanken verwirrten sich. Ein glückseliges Lächeln auf den halbgeöffneten Lippen, mädchenhaft trotz ihrer vierzig Jahre – – – so schlief sie ein.


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