Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Der große Hippodrom war von vielen Tausenden von Zuschauern gefüllt. Freilich hatten anfänglich ganze Sitzreihen leer gestanden, während sonst das Volk vor einem großen Wettfahren schon nach Mitternacht aufbrach und lange vor dem Beginn des Schauspiels jeden Platz besetzt hielt; ja die oberen hölzernen Stockwerke der Tribünen, wo sich die Frei- und Stehplätze befanden, waren sonst schon in der Frühe so überfüllt, daß es selten ohne Schlägerei abgieng.

Diesmal hatte das Unwetter in der vergangenen Nacht, die Erwartung auf den Ausgang des Kampfes im Serapeum und die Furcht vor dem Untergange der Welt anfänglich Viele von dem lang ersehnten Schauspiel zurückgehalten; als aber der sonnige Himmel seine Reinheit bewahrte und es bekannt wurde, daß die Bildsäule des Serapis bei den Kämpfen im Heiligthum des Gottes unbeschädigt geblieben sei, als man den kaiserlichen Gesandten Cynegius und den Stadtpräfekten Evagrius mit großem Pomp in die Arena ziehen und ihnen viele Senatoren und vornehme Herren und Frauen aus christlichen, heidnischen und jüdischen Kreisen folgen sah, faßten auch Zaghafte Muth, und da man den Beginn des Rennens um eine Stunde hinausgeschoben hatte, waren die Sitze, bevor die ersten Gespanne in die überwölbten Aufbruchsschuppen fuhren, zwar nicht so voll wie sonst, aber doch reichlich besetzt.

Die Zahl der Gespanne blieb durchaus nicht hinter der gewöhnlichen Höhe zurück, denn die Heiden hatten Alles aufgeboten, um ihren andersgläubigen Mitbürgern und dem Gesandten des Theodosius zu zeigen, daß sie trotz aller Verfolgungen und kaiserlichen Edikte immer noch eine Macht seien, mit der man zu rechnen habe.

Was die Christen angieng, so strebten sie darnach, es den Götzendienern auch auf denjenigen Gebieten zuvor zu thun, wo ihnen diese bis vor Kurzem durchaus überlegen gewesen waren.

Des Bischofs Wort, daß das Christenthum aufgehört habe, eine Religion für die Armen zu sein, bestätigte sich hier glänzend; denn ein großer Theil der Sitze für die Würdenträger, Senatoren und reichen Geschlechter der Stadt war von Bekennern seines Glaubens besetzt, und die Männer und Frauen, welche dieselben inne hatten, standen an Kleiderpracht und kostbarem Schmuck in nichts ihren heidnischen Standesgenossen nach.

Auch die christlichen Gespanne, welche rechtzeitig vor dem Säulengange hinter den Aufbruchsschuppen erschienen waren, mußten dem Kenner gefallen; aber er mochte dennoch nicht ohne Grund mit größerem Zutrauen auf die heidnischen Rosse und besonders auf deren Lenker sehen, als auf die christlichen. Jenen war bis dahin auch unter zehn Fällen neunmal der Sieg zugefallen.

Das Viergespann, mit dem Marcus, der Sohn der Maria, hinter den Aufbruchsschuppen hielt, war noch nie vorher im Hippodrom erschienen. Demetrius, der Bruder seines Besitzers, hatte dieses Doppelpaar von edlen kohlschwarzen Berberstuten für ihn gezogen, und es erregte Aufsehen unter den Pferdeliebhabern, welche vor dem Beginn des Rennens im sogenannten Oppidum hinter den CarceresÜberwölbte Schuppen oder Verschläge, in denen die Gespanne zu verweilen hatten, bevor das Zeichen zur Abfahrt gegeben ward. umherzuschlendern pflegten, um die Rosse zu mustern, den Verlauf der Fahrten vorauszusagen, den Lenkern Rathschläge zu ertheilen und Wetten einzugehen.

Vielleicht waren diese tadellosen Thiere den berühmten Fuchshengsten des reichen Iphikrates ebenbürtig, welche schon öfter Siege errungen hatten, aber mehr noch als auf die Rosse kam es auf die Lenker oder Agitatoren an, und wenn Marcus auch die Zügel recht gut zu regieren verstand – man kannte ihn von den Übungsfahrten her – so konnte er sich doch kaum mit dem schönen Heiden Hippias messen.

Dieser war, wie die meisten Lenker der hier erschienenen Gespanne, ein Agitator von Profession. Man sagte ihm nach, daß er über eine Brücke gefahren sei, die nicht voll die Breite der Spur der Räder seines Wagens besessen habe, und Viele konnten bezeugen, daß er mit Roß und Wagen den Namen seiner jeweiligen Geliebten in den Sand des Hippodroms zu schreiben verstand.

Auf ihn und die Füchse des Iphikrates, welche er lenkte, wurden die meisten und höchsten Wetten gemacht. Einige wagten wohl kleinere Summen an die Berberstuten des Marcus, doch wenn sie die hochgewachsene, aber schmalschulterige Gestalt des Christenjünglings und sein fein geformtes Antlitz mit dem Träumerblick der großen blauen Augen und dem unkräftigen schwärzlichen Flaum auf der Lippe mit der Achillesgestalt und dem Hermeskopfe des Hippias verglichen, so wurde ihnen bang um ihr gutes Geld. Ja, wenn sein Bruder, der Landmann, welcher neben seinem Wagen stand, oder ein Agitator von Beruf die Zügel geführt hätte, dann wäre es eine Lust gewesen, auf diese Pferde zu wetten. Marcus war wohl verreis't gewesen, und auch darüber zuckte man die Achseln; denn man hatte ihn seine Rosse erst in den letzten Tagen im Hippodrom einfahren sehen.

Die Zeit schritt vorwärts, und als der kaiserliche Gesandte, den man zum Kampfrichter erwählt hatte, seinen Platz eingenommen, flüsterte Demetrius dem Marcus noch einige Rathschläge zu und zog sich dann in die Arena zurück.

Er hatte sich einen guten Platz auf dem steinernen Podium an der Schattenseite verschafft, obgleich unter den Sitzen seines väterlichen Hauses mehrere leer standen, aber er mochte diese nicht benützen, weil er seiner Stiefmutter, welche mit einem Senatorenpaar aus ihrer Verwandtschaft erschienen war, aus dem Wege zu gehen wünschte.

Er war ihr weder gestern noch vorgestern begegnet, denn das Versprechen, welches er dem alten Karnis gegeben, Dada, das Schwesterkind seiner Frau, aufzusuchen, hatte ihn fortwährend in Athem erhalten, und es war ihm ernstlich darum zu thun gewesen, das Mädchen zu finden.

Die brave Entschiedenheit, mit dem seine glänzenden Geschenke von diesem jungen Geschöpfe bei aller Dürftigkeit, in der es lebte, zurückgewiesen worden waren, hatte ihm Achtung eingeflößt, und es war ihm wie eine Beleidigung, die man ihm selbst oder seinem Bruder zufüge, vorgekommen, als Gorgo sie eine Dirne genannt hatte.

Er meinte, daß ihm ein liebreizenderes Wesen niemals begegnet sei; er konnte sie nicht vergessen, und der Gedanke, daß sie in dem Sumpfe der großen Stadt, in den sie sich aus Unerfahrenheit gewagt hatte, versinken könne, that ihm weh. Sein Bruder hatte ältere Rechte auf sie, und er wollte sie ihm auch nicht streitig machen. Indem er nicht müde geworden war, sie überall, wo die Jugend verkehrte und sogar auch in Kanopus zu suchen, hatte er nichts gewollt, als sie in Sicherheit bringen wie einen Schatz, der dem Hause zu entgehen droht und der, wenn man ihn nur erst unbestritten besitzt, Demjenigen zuertheilt werden mag, welcher sein Anrecht darauf am besten zu begründen versteht.

Aber all seine Bemühungen waren vergebens gewesen, und er hatte in wenig glücklicher Stimmung den Hippodrom aufgesucht.

Dort war ihm die bittere Feindseligkeit, welche ihm diesmal in seiner Vaterstadt überall begegnete, nicht weniger lebhaft als auf der Straße entgegengetreten. Der feierliche Zug, in dem sich die Wagen sonst in die Bahn begaben, hatte diesmal nicht zusammentreten dürfen; ohne Pomp waren die einzelnen Fuhrwerke in das Oppidum gefahren, und die Götterbilder, welche man früher vor Beginn des Rennens auf die SpinaDie Spina ist ein langes Postament (im Cirkus des Caracalla maß sie etwa 275 Meter), welches ursprünglich aus Holz, später aus Stein bestand, durchschnittlich 9 Meter hoch war und die Rennbahn in zwei Theile zerlegte. An ihren beiden Enden befanden sich – 4 Meter von ihr getrennt – die Ziele. zu stellen pflegte, durften schon längst nicht mehr im Hippodrom erscheinen.

Das Alles verdroß Demetrius, und nachdem er seinen Sitz gefunden, schaute er sich mißmuthig unter den Zuschauern um.

Auf den mit Polstern und Löwenfellen bedeckten Plätzen seiner Familie saß seine Stiefmutter. Ihr Ober- und Untergewand zeigte die blaue Farbe der christlichen Wettfahrer und bestand aus cyanenblauem Silberbrokat, in dem Kreuze, Fische und Ölzweige in schönem Wechsel kunstvoll gewebt waren. Ihr schwarzes Haar lag schlicht und fest an den Schläfen und war unbekränzt; aber um ihr Haupt zog sich eine Schnur von großen grauen Perlen, und von dieser hieng ein Kranz aus blauen Sapphiren und weißen Opalen auf ihre Stirn nieder. Ihr Hinterkopf war verschleiert, und sie schaute unverwandt und als ob sie bete, in den Schooß. Hier ruhten ihre Hände und falteten sich um ein Kreuz.

Solche Ruhe, ein so sittsam niedergeschlagener Blick ziemte der christlichen Matrone und Wittwe. Dieser Zuschauerin sollte Jedermann ansehen, daß sie nicht um des weltlichen Vergnügens willen hieher gekommen sei, sondern nur, um einem Triumph der Ihren und besonders ihres Sohnes über die Götzendiener beizuwohnen. Alles an ihr legte Zeugniß ab für ihren Glauben, selbst die Muster auf den Kleidern und die Form des Schmuckes, selbst das Seidengewebe der Handschuhe, in die ein Kreuz und ein Anker so eingewebt waren, daß sie einander schnitten und die Figur des griechischen X, des Anfangsbuchstabens des Namens Christi, bildeten.

Schlicht und frei von der Eitelkeit dieser Welt wollte sie scheinen, aber kostbar durfte sein, was sie trug; denn sie war ja hier zu Ehren des Glaubens erschienen.

Kränze von frischen duftigen Blumen zu tragen würde sie als einen heidnischen Gräuel weit von sich gewiesen haben, aber für den Erlös der Perlenschnur, welche ihr Haupt umgab, hätte man die ganze Arena mit Guirlanden umwinden und hundert Arme ein Jahr lang sättigen können. Es scheint so viel leichter, den allweisen Schöpfer der Welt zu betrügen, als den thörichten Nächsten.

So wie Frau Maria dasaß in steifer, sittsamer Würde, fiengen damals Maler und Bildhauer an die Mutter Gottes zu bilden, und es fröstelte den Landmann, so lange seine Blicke auf der Stiefmutter ruhten.

Nach diesem Anblick that es ihm wohl, auf das warme Lachen zu hören, welches von der untersten Stufe des Podiums aus zu ihm hinauf scholl. Als er die Stelle gefunden, woher es kam, wollte er seinen Augen nicht trauen, denn da saß die mühsam gesuchte Dada zwischen einem alten Manne und einer jüngeren Frau und schien eben etwas Ergötzliches wahrgenommen zu haben.

Nachdem sich Demetrius zufrieden und wohlig gedehnt hatte, erhob er sich, denn gerade hinter dem Mädchen saß sein Sachwalter, und da es ihm gerathen schien, sich das Wild nicht wieder aus dem Garn gehen zu lassen, suchte er diesen auf und bat ihn leise, den Platz mit ihm zu wechseln, und der alte Herr war ihm gern gefällig und räumte ihm mit einem vielsagenden Lächeln den Sitz ein.

Dada hatte zum ersten Male, seitdem sie denken konnte, eine Nacht schlaflos verbracht. Wer weiß, ob Orkan und Donner im Stande gewesen wären, sie zu wecken, aber das, was ihr durch den Kopf gegangen, war für sich allein mannigfaltig und mächtig genug gewesen, um sie des Schlafs zu berauben.

Bald hatte sie an die Ihren, welche für den Serapis kämpften, bald an Agne und was wohl aus ihr geworden sei, bald an die Kirche und die Predigt des würdigen Alten, bald an das Wettfahren, dem sie beiwohnen sollte, denken müssen, und dabei war ihr des Christen Marcus Bild mit unabweislicher Lebendigkeit vor die Seele getreten.

Es verstand sich von selbst, daß sie für seine Rosse Partei nehmen wollte; aber, wie wunderlich sich das fügte: sie, die Nichte des Karnis, auf Seiten der Christen!

Noch seltsamer war es indessen, daß sie an all die bösen Worte, welche sie von Kind an über die Anhänger des gekreuzigten Juden vernommen hatte, nicht mehr glauben mochte. Karnis konnte es ihnen nur nicht verzeihen, daß sie ihn um sein Theater in Tauromenium gebracht hatten, und vielleicht waren sie ihm gar nicht genügend bekannt.

Sie hatte oft recht vergnügte Stunden bei den Festen der alten Götter genossen, und sie verdienten gewiß, schön und heiter und, wenn sie grollten, auch furchtbar genannt zu werden, aber in ihrer Seele hatte sich schon lange ein leises, unbestimmtes Sehnen geregt, das in keinem heidnischen Tempel befriedigt worden war. Sie wußte nicht, wie sie es nennen sollte, und hätte es schwer beschreiben können, aber in der Kirche bei Gebet und Gesang und bei der Rede des alten Priesters, da war es zum ersten Male gestillt worden, da hatte sie empfunden, daß sie mit all ihrer Thorheit und Hülflosigkeit, auch wenn sie von ihren Pflegeeltern getrennt bleiben sollte, nicht mehr allein zu stehen brauche, sondern sich auf eine große, liebevolle und hülfreiche Macht stützen und klammern könne. Und sie war eines solchen Schutzes sehr bedürftig, denn sie ließ sich so leicht betrügen. Die Flötenspielerin Stephanion, welche in Rom mit ihnen gewesen, hatte ihr Alles abgelockt, was sie wollte, und wenn sie etwas begangen, es auf sie zu schieben gewußt. Sie mußte auch etwas besonders Wehrloses an sich haben; denn Jeder nahm sich heraus, sie wie ein Kind zu meistern oder ihr Dinge zuzumuthen, die sie empörten.

Im Hippodrom dachte sie nur noch an die lebendige Gegenwart und fühlte sich glücklich, denn sie war da auf der untersten Reihe des steinernen Podiums zu sitzen gekommen, und zwar auf den guten Stühlen im Schatten, die dem reichen Magier Posidonius gehörten, und das war doch etwas ganz Anderes als in Rom, wo sie im Cirkus Maximus einmal auf dem zweiten hölzernen Stockwerk gestanden und gedrängt und gedrückt und von Keinem bemerkt dem Rennen aus der Ferne zugesehen und den Menschen und Thieren auf die Köpfe geschaut hatte.

Herse hatte sie dann nie wieder dahin mitgenommen; denn beim Ausgang waren sie verfolgt und von jungen und alten Herren angeredet worden, und ihre Pflegemutter hatte nachher überall Gefahr für sie gewittert und sie keine zehn Schritte mehr allein durch die Stadt gehen lassen.

Hier war es viel schöner als dort oben im Cirkus; denn hier trennte sie von der Bahn nur ein schmaler Kanal, der gerade vor ihr überbrückt war, hier liefen die Rosse dicht an ihr vorüber, und es war auch hübsch, bemerkt zu werden und tausend wohlgefällige Blicke auf sich zu ziehen.

Sogar der große Cynegius, der Notar und Gesandte des Kaisers, welcher sie schon auf dem Schiffe ausgezeichnet hatte, sah oft nach ihr hin. Vor Kurzem war er von zehn riesigen Schwarzen auf einer goldenen Sänfte über die Bahn getragen worden, zwölf Liktoren, welche mit Lorbeerlaub umwundene Fasces trugen, waren ihm vorangegangen, und er saß nun in seinem langen gestickten Purpurgewande auf dem geschmückten Thronsessel inmitten der Tribüne über den Aufbruchsschuppen; aber sie kümmerte sich nicht um den aufgeputzten Alten.

Sie hatte die Augen überall und ließ sich Alles, was ihr auffiel, von Medius und seiner Tochter benennen und erklären.

Demetrius freute sich an ihrer frohen Lebendigkeit, und als sie den Sänger anstieß und ihm leise zurief: »Sieh' nur, wie die da drüben sich die Hälse nach uns ausrecken; aber mein Gewand ist auch schön! Wo Dein Posidonius nur die köstlichen Rosen her hat! In dem Streifen da sind von der Achsel bis zum Gürtel hinunter allein über hundert Knospen; ich habe sie auf dem Wege hieher in der Sänfte gezählt. Schade, daß sie so schnell verblühen! Ich möchte die Blätter trocknen und Rosenöl daraus machen.«

Da fiel ihr der Landmann heiter in's Wort und sagte über ihre Schulter hinweg: »Dafür würden es doch schwerlich genug sein.«

Diese unerwartete Ansprache veranlaßte Dada, sich umzusehen, und sie erröthete, als sie den Bruder des Marcus in ihm erkannte; er aber versicherte, er habe es längst bereut, sie vorgestern Morgen so keck überfallen zu haben.

Da lachte sie und sagte, es sei sein Schade gewesen; etwas höflicher hätte sie ihn übrigens doch vielleicht heimsenden können; aber die gute Laune sei ihr gerade verdorben gewesen, und sie würde auch Jedem vergehen, dem man, wie Frau Herse es ihr gethan, die Schuhe versteckt und ihn so an das Deck eines Schiffes mitten im Wasser festgebunden habe. Dann machte sie ihn mit Medius bekannt und erkundigte sich endlich nach Marcus und seinen Rossen und ob er hoffen dürfe, den Sieg zu erringen.

Der Landmann stand ihr gern Rede, und als Blumenmädchen durch die Sitzreihen schritten und Kränze, sowie blaue und rothe Blumen und Bänder feilboten, kaufte Demetrius die allerschönsten Olivenkronen, um sie dem Sieger – hoffentlich seinem Bruder – zuzuwerfen.

Medius und seine Tochter trugen Schleifen in der rothen Farbe der Heiden, und wie diese hatte auch Dada eine solche an die Schulter gesteckt; jetzt aber ließ sich das Mädchen blaue Bänder von Demetrius reichen und steckte sie zum Verdruß des Sängers an die Stelle der rothen, weil sie auf Seiten des Marcus stehe.

Da lachte der Landmann mit seiner tiefen Stimme laut auf und versicherte, sein Bruder sei zwar jetzt schon ganz Eifer, wenn er sie aber mit diesen Bändern sehe, werde er sein Äußerstes thun, schon um ihr für ihre Parteinahme zu danken. Sie möge nur wissen, daß Marcus nicht aufhöre, an sie zu denken.

»Das freut mich!« versetzte sie unbefangen und fügte hinzu, daß es ihr ebenso gehe, denn sie habe sich in dieser Nacht fortwährend mit Marcus und seinen Rossen beschäftigt.

Medius konnte es nicht unterlassen, sie darauf hinzuweisen, daß Karnis und Herse es sehr übel nehmen würden, wenn sie heute die christlichen Farben tragen werde; sie aber versetzte, das solle ihr leid sein, aber Blau gefalle ihr eben besser als Roth.

Diese Antwort klang so widerwillig und kurz, daß es dem Landmanne, welcher sie gewöhnlich froh und harmlos gesehen hatte, auffiel; ja, er fühlte aus ihr heraus, wie wenig geneigt Dada ihren Gastfreunden sei.

Von den Thürmen zur Seite der Ausfahrtsschuppen und der Tribüne über denselben scholl Musik; aber sie klang weniger frisch und heiter als sonst, denn das Flötenspiel und viele heidnischen Weisen waren verboten worden.

Sonst war der Hippodrom der Platz gewesen, an dem sich Verliebte ein Stelldichein gegeben hatten und manches neue Bündniß angeknüpft worden war, aber heute ließ man die Töchter der besser gestellten Familien nicht aus den Frauengemächern, denn man witterte überall Unheil, viele heidnischen Jünglinge hielten die Ereignisse im Serapeum von den Rennen fern, und es war, als lähme ein geheimnißvolles Etwas die Lust und den Frohsinn, welche sonst gerade hier eine Heimstätte hatten.

Leidenschaftliche Erregung, bis auf's Äußerste gespannte Erwartung, Gunst und Mißgunst waren hier immer zu finden gewesen; aber heute hatten diese Empfindungen eine verschärfte Form angenommen – der Haß hatte sich unter sie gemischt und beherrschte sie Alle.

Die Heiden wurden überall in ihren Rechten geschädigt, verletzt und verdrängt. Sie sahen die Christen auf hundert Gebieten des Lebens triumphiren, und der Haß ist ein vielgestaltiges Ungeheuer, welches da am reißendsten und unversöhnlichsten tobt, wo er aus der Gifthöhle des Neides hervorbricht.

Aber auch die Christen haßten die Götzendiener, welche mit stolzer Selbstüberhebung auf ihren geistigen Besitz, das Erbe einer glorreichen Vergangenheit, pochten. Die Verfolgten, Verspotteten waren jetzt die Herrschenden, Mächtigen geworden, und je gewaltthätiger sie den Unterliegenden begegneten, je größeres Unrecht sie ihnen thaten und je weniger es den unterdrückten Heiden möglich war, dies zu rächen, desto tiefer begannen die Christen diejenigen zu hassen, welche sie auch als abergläubische Götzendiener verachteten.

In der Sorge für ihr göttliches Theil, die Seele, hatten die Christen bisher die Pflege und Ausbildung des Leibes vernachlässigt, und so war in der Palästra und im Hippodrom der Heide bis jetzt Alleinherrscher geblieben.

Dort, auf dem Ringplatz, verschmähte es der Christ, sich ihm zu stellen, denn sich mit nacktem Leibe zu zeigen war ihm ein Gräuel; aber im Hippodrom hatte er mit eigenen Rossen zu fahren begonnen und den alten Siegern den Kranz schon mehr als einmal streitig gemacht, und so fühlte sich der Heide bedroht, auch auf diesem Gebiete alter und entschiedener Überlegenheit überflügelt zu werden. Das war schwer zu ertragen, das mußte verhütet werden, und der bloße Gedanke, auch hier zu unterliegen, weckte in den Heiden gleichfalls Empörung und Haß.

Mit Kränzen von scharlachrothem Mohn, mit Granaten und glühenden Rosen überreich geschmückt und mit Purpurbändern auf rothen Kleidern, trugen sie zur Schau, welcher Partei sie angehörten. Das Weiß und Grün, mit dem sie sich sonst noch unterschieden hatten, war aufgegeben worden, denn es galt, die ganze Kraft ungetheilt gegen den einen Gegner zu wenden.

Rothe Sonnenschirme beschützten ihre Frauen, roth waren selbst die Körbe, in denen der Mundvorrath für die Stunden, welche das Rennen in Anspruch nehmen sollte, aufbewahrt wurde.

Dagegen waren wie die Wittwe Maria alle Christen blau angethan vom Kopfputz bis zur Sohle, die mit blauen Bändern um den Knöchel geschnürt war, und Dada's blaue Schleife wollte zu dem rosenrothen Gewande durchaus nicht passen.

Die Sklaven der Garköche, welche Erfrischungen umherreichten, boten roth und blau gefärbte Eier, Kuchen mit Zuckerguß und Getränke aus Krügen von beiden Farben feil.

Wo ein Christ neben einem Heiden Platz gefunden, kehrte sich bald Schulter schräg gegen Schulter, wo die Andersgläubigen einander ansehen mußten, geschah es mit düsteren Blicken.

Cynegius suchte als Kampfrichter den Beginn des Rennens möglichst lange hinauszuschieben; denn er wünschte, daß der Comes seine Aufgabe im Serapeum zu Ende geführt und die Truppen für jeden Fall zur Verfügung haben möge, bevor der Wettkampf im Hippodrom zum Abschluß gelangt sei.

Die Zeit vergieng ihm schnell genug, denn die große, hier versammelte Menge zog ihn, der ähnlichen Spielen zu Rom und Konstantinopel so häufig beigewohnt hatte, besonders an; unterschied sie sich doch wesentlich von der Zuschauerschaft, der er in anderen Cirkussen begegnet war.

In den oberen Rängen hatten mehr schwarze und braune als weiße Menschen die Freiplätze inne. Auf dem steinernen Podium des untern Stockwerkes saßen auf eigenen kostbaren Stühlen und Polstern zwischen Griechen und Ägyptern Tausende von reich geschmückten Männern und Frauen mit scharf geschnittenen semitischen Gesichtern, Mitglieder der großen jüdischen Gemeinde, deren greises Oberhaupt, der Alabarch, eine würdige Patriarchengestalt in griechischer Kleidung, neben den Führern des Senats in seiner Nähe verweilte.

Der Alexandriner war kein Freund des Wartens, und schon machte die Ungeduld der Menge sich Lust in wildem Lärm, als Cynegius sich erhob und mit einem weißen Tuche das Zeichen zum Anfang des Wettfahrens gab.

Aus fünfzig- waren nach und nach sechzig- und achtzigtausend Zuschauer geworden, und hinter den Carceres harrten sechsunddreißig Gespanne.

Vier Missus oder Rennen waren in Aussicht genommen.

An den drei ersten sollten je zwölf Wagen theilnehmen und zu dem vierten nur die drei Sieger der vorhergehenden Missus zugelassen werden. Wer bei diesem entscheidenden Ringen den Olivenkranz und die Palme gewann, dem gebührte die Ehre des Tages, dessen Partei hatte die andere geschlagen und durfte den Hippodrom triumphirend verlassen.

Im Oppidum hinter den Carceres entschied nun das Loos, welche Abfahrtsschuppen einem jeden Wagen zufallen und zu welchem Missus er gehören solle. Marcus kam in den ersten und mit ihm, zum Schrecken Derer, die auf seine Rappen gewettet, der Matador unter den Agitatoren, Hippias, mit seinen vier Füchsen.

Während heidnische Priester dem Poseidon und Phöbus Apollo, den Schutzherren der Rosse und des Hippodroms, Libationen darbrachten – denn blutige Opfer waren verboten – segneten Presbyter und Exorcisten im Namen des Bischofs die christlichen Rosse. Einige Mönche waren ihnen gefolgt, wurden aber von den Heiden als unberufene Eindringlinge mit bitterem Spott verjagt.

Cynegius winkte wieder.

Tubarufe durchschmetterten die Luft, und nun fuhren die zwölf ersten Gespanne in die für sie bestimmten Aufbruchsschuppen.

Nach einigen Minuten spielte ein Mechanismus, hob einen ehernen AdlerSo zu Olympia. mit weit ausgebreiteten Flügeln von einem Altar vor den Carceres hoch in die Höhe, und alsbald traten die Gespanne aus den Schuppen hervor und stellten sich hart hinter der Ablaufslinie, einem breiten Kreidestreifen, auf, welcher schräg gezogen war, um den Nachtheil der von dem äußern Flügel der Linie abrennenden Gespanne auszugleichen.

Nur die auf den bevorzugten Plätzen über den Carceres weilenden Zuschauer waren bisher im Stande gewesen, wenn sie sich umgeschaut hatten, Rosse und Lenker zu überblicken; für die große Menge wurden sie jetzt zum ersten Mal sichtbar, und sie brach bei ihrem Anblick in lautes, weithin hallendes Beifallsgeschrei aus.

Die Agitatoren hatten alle Kraft aufzubieten, um die vorwärts strebenden Pferde in diesem Lärm zum Stillstand zu zwingen, aber nur auf kurze Minuten; denn wiederum hatte Cynegius ein Zeichen gegeben, und nun fiel ein goldener Delphin, welcher unter einem Balken geschwebt hatte und auf den die Blicke aller Lenker geheftet gewesen waren, zu Boden, eine Salpinxfanfare durchschmetterte die Luft, und achtundvierzig Rosse jagten, als habe eine einzige Hand sie freigegeben, in die weite Bahn.

Spielend riß die gewaltige Kraft der Viergespanne die leichten zweiräderigen Wagen über das harte Erdreich, auf dem der Wolkenbruch der vergangenen Nacht den Staub gelöscht hatte.

Hell leuchtender Sonnenglanz gleißte und blitzte und spiegelte sich mit kurzen, schnell abgebrochenen Blicken in der glänzenden Vergoldung der Bronze, und dem Silber der halbmondförmigen, mit reicher Figurenzier geschmückten Gestelle, in denen die Agitatoren standen.

Fünf blaue mischten sich unter sieben rothe Lenker, wie das Loos es entschieden.

Das Auge folgte mit Freude den sehnigen Gestalten, deren nackter Fuß in dem Wagen zu wurzeln, deren Auge mit dem Normalpunkte, auf den es zuzustreben galt, verwachsen zu sein schien und doch wie der Blick des Schützen, welcher Pfeil, Bogen und Ziel auf einmal umfaßt, auch das Viergespann nicht außer Acht ließ.

Eine Kappe mit flatternden Bändern hielt das lockige Haar zusammen, ein kurzer, ärmelloser Rock bedeckte den Leib, um den sich, als wollten sie seine Kraft zusammenpressen, breite Binden in mehrfachen Lagen schnürten.

Über den Hüften waren die Zügel befestigt, damit die Hände frei blieben, theils um jene zu regieren, theils um die Geißel zu schwingen und den Stachel zu gebrauchen. In jedem Gürtel steckte ein Messer, um im Falle der Noth die todbringende Verbindung mit den Rossen zu lösen.

Bald braus'te das Viergespann mit den Fuchshengsten des Hippias Allen voran. Ihm folgten zwei christliche Wagen, diesen drei Rothe und hinter den Anderen fuhr als Letzter Marcus dahin; aber man sah ihm und seinem Wagen an, daß sie nicht aus Unvermögen, sondern weil es ihnen also gefiel, zurückgeblieben waren.

Der Sohn der Maria hielt sich weit nach hinten gebeugt, stemmte die Füße gegen den silbernen Wagenrand vor seinen Knieen und hemmte mit Leib und Händen den Lauf seiner schnaubenden Stuten.

Bald jagten diese an Dada und seinem Bruder vorüber, aber Marcus bemerkte sie nicht. Auch für die eigene Mutter war er blind gewesen, während Agitatoren von Profession sich vor Cynegius verneigt und den Ihren zugewinkt hatten. Er war sich bewußt, Sinn und Auge nur auf die Rosse, nur auf das Ziel richten zu dürfen.

Die Menge schrie, jauchzte, feuerte die Ihren mit lautem Zurufe an, pfiff und zischte, wo sie ihre Erwartung getäuscht sah und am lautesten, als Marcus sich hinter den Anderen zeigte; aber er hörte sie nicht, oder wollte sie nicht hören.

Dada schlug das Herz zum Zerspringen. Sie konnte nicht ruhig sitzen, erhob sich schnell, warf sich wieder auf das Polster zurück und rief Marcus in den kurzen Augenblicken, in denen er sie vielleicht zu hören vermocht hätte, antreibende Worte zu.

Als er vorbei war, senkte sie den Kopf und sagte traurig: »Der Arme! Gib Acht, Demetrius, wir haben unsere Kränze vergebens gekauft.«

Aber der Landmann schüttelte den Kopf und rief: »In dem schlanken Leib hat der Junge stählerne Sehnen. Wie er die Stuten zurückhält! Er spart für die Zeit, wo es noth thut. Sieben Mal, ganze sieben Mal, Mädchen, hat er die NyssaDas Ziel oder der Endpunkt. Griechisch: Nyssa und Kampter; lateinisch Meta. zu umgehen und diesen weiten Raum zu umkreisen! Was er jetzt versäumt, gib Acht, er holt es schon ein. Hippias hält auch schon seine Füchse zurück; 's ist seine Art, beim Anlauf zu prunken! Jetzt nähert er sich der Nyssa, dem Kampter – zu Rom heißt es die Meta. In je schärferem Bogen man sie umfährt, desto größer der Vortheil; aber das Ding ist gefährlich. Siehst Du! Von rechts nach links geht der Lauf, und da kommt viel auf das linke Handpferd an. Es muß sich beinahe um sich selbst drehen. Die Aura vor unserem Wagen ist behend wie ein Panther, und ich habe sie selbst eingefahren. Blicke dorthin! Das eherne Roß, das sich aufbäumt – sie nennen's den Taraxippos – vor dem scheuen die Gespanne, und die Megära, das dritte Pferd, ist oft wie besessen, aber es hat Beine schnell wie ein Hirsch. So oft Marcus die vier an dem Taraxippos ruhig vorbeibringt, haben wir Grund, freier zu athmen. Aber jetzt – thu' die Augen auf – jetzt umlenkt der erste Wagen die Nyssa. Der Hippias ist es! Verdammt! Da ist er herum! Ein widerwärtiger Prahlhans; aber seine Sache versteht er!«

Einer der entscheidenden Momente des Wettkampfes war gekommen. Das Geschrei der Menge hatte sich gelegt; man fühlte, daß die Erwartung Aller auf's Höchste gespannt war, und Dada's Augen hiengen wie gebannt an dem Obelisken und den Gespannen, welche auf ihn lossaus'ten.

Ein Blauer folgte dem Hippias und jenem auf dem Fuße drei Rothe.

Der Christ, dem es gelungen war, sich zunächst der Nyssa zu halten, lenkte sein Gespann kurz und kühn um den Obelisken, um Raum zu gewinnen und den Hippias zu überflügeln; aber das linke Rad seines Wagens prallte an den Granit des Postamentes der Meta, das Fuhrwerk schlug um, und die Rosse des Rothen, deren Nasen seinen Wagen beinahe berührt hatten, konnten nicht zur rechten Zeit aufgehalten werden. Sie stürzten über das Gespann des Christen, welches sich am Boden wälzte, her, das Fahrzeug, welches sie zogen, schlug gleichfalls um, und in wildem Knäuel wälzten sich acht schnaubende Pferde am Boden.

Die Renner vor dem nächsten Wagen wurden scheu, als sie an dem wiehernden und schreienden Durcheinander neben der Meta vorbei sollten, und jagten, unbekümmert um die Anstrengungen ihres machtlosen Lenkers, quer durch die Bahn den Carceres entgegen. Die folgenden Gespanne hatten die umgeworfenen Wagen in weitem, Zeit und Raum fressenden Bogen zu umgehen, und Marcus mit ihnen.

Seine Rappen waren schon bei dem Wirrwarr an der Meta kaum mehr zu halten gewesen, und als sie nun an dem Taraxippos vorbei braus'ten, scheute, wie Demetrius gefürchtet, das dritte Pferd, die Megära. Sie prallte beiseite, schob das Hintertheil unter die Deichsel, riß aufbäumend den Wagen in die Höhe und – Dada schlug die Hände vor das Antlitz, die Wittwe Maria aber zog erbleichend die Augenbrauen zusammen – und der Jüngling verlor den Halt und stürzte nieder. Seine Füße berührten den Sand der Arena, aber seine Hand klammerte sich fest um die Spirale am äußersten Ende der rechten Wandung des Wagens.

Manches Herz auf der Tribüne stand still, mancher Ruf der Schadenfreude drang aus dem Munde der Rothen; aber bevor eine halbe Minute verronnen, hatte er sich mit Kraft und Gewandtheit auf die Kniee geschwungen und einen Augenblick später stand er wieder aufgerichtet im Wagen, ordnete blitzschnell die Zügel und jagte weiter.

Indessen hatte Hippias alle Anderen weit überholt, und als er an den Carceres vorbeikam, hielt er dort einen Augenblick an, riß wie zum Hohn einem Limonadenverkäufer den vollen Becher aus der Hand, stürzte seinen Inhalt unter dem Jubel der Menge mit einer höhnischen Geberde hinunter und ließ dann seine Füchse weiter jagen.

Ein weiter Raum trennte ihn in der lang hingestreckten Bahn von den Anderen und Marcus.

Als sich die Gespanne zum zweiten Male der Nyssa näherten, hatten die Hippodromsklaven längst die umgestürzten Fahrzeuge aus dem Wege geräumt. Ein Christ folgte dem Hippias, diesem ein Heide; Marcus aber war der vierte geworden.

Bei der dritten Umkreisung des Obelisken prallte der Wagen des Rothen, welcher Marcus vorausfuhr, bei einer zu kurzen Wendung an den harten Granit. Sammt seinem zertrümmerten Fahrzeug wurde er durch die Arena gerissen und blieb als Leiche im Sand liegen; bei der fünften Rundfahrt erlitt der Blaue, welcher bis dahin dem Hippias am nächsten gekommen, das gleiche Schicksal; doch kam er mit dem Leben davon, und Marcus fuhr als zweiter an dem Aufbruchsschuppen vorbei.

Dem schönen Hippias war das Scherzen vergangen; denn der Raum, welcher die Rappenstuten von seinen Füchsen trennte, hatte sich trotz des Aufenthaltes, welchen Marcus beim Taraxippos gehabt, bei jeder Umkreisung der Bahn vermindert, und von nun an heftete sich die Theilnahme der Zuschauer nur noch auf ihn und den Sohn der Maria.

So leidenschaftlich, mit so rückhaltloser Hingabe war auf dieser alten Rennbahn noch niemals gerungen worden, und die Menge der Zuschauer wurde mit fortgerissen von dem bis zur Wuth gesteigerten Eifer der Agitatoren.

Schon längst behauptete kein Mensch auf den oberen Rängen sitzend seinen Platz. Mann und Weib war aufgestanden, rief und brüllte in die Arena hinein.

Die Instrumente der Musikchöre auf den Thürmen schienen verstummt zu sein, so laut wurden sie von dem Geschrei der Zehntausende überboten. Nur die Matronen auf den vornehmen Sitzen über den Carceres behaupteten ihre Ruhe; doch als der siebente entscheidende Umlauf begann, neigte sich selbst die Wittwe Maria weiter nach vorn, und ihre Hände schlossen sich fester um das Kreuz in ihrem Schooße.

So oft Marcus dem Obelisken oder dem Taraxippos näher gekommen war, hatte Dada die Hände an den weit vorgestreckten Kopf gepreßt und sich mit den Zähnen in die Lippen gebissen; wenn er dann aber glücklich an dem schrecklichen Stein und dem furchtbaren Erzbild vorbeigesaus't war, hatte sie sich auf den Stuhl zurückgeworfen und hoch und dankbar aufgeathmet.

Sie fühlte sich ganz Eins mit Marcus, und es war ihr, als würde sein Verderben sie mit zu Grunde richten, als würde sein Sieg auch ihr zur Ehre gereichen.

Hippias war bei der sechsten Umkreisung dem christlichen Jüngling immer noch ein gutes Stück voran, und die Entfernung, welche diesen von dem Fuchsgespann trennte, schien unverrückbare Festigkeit gewonnen zu haben; denn sie wollte und wollte sich um keine Hand breit vermindern.

Das Verfahren der Agitatoren hatte sich längst völlig geändert. Statt zurückzuhalten, trieben sie nun an. Weit vorgebeugt über die Brüstung des Wagens schrieen sie mit Worten und wilden, heiseren Lungenstößen auf die Rosse ein und ließen die Geißel schonungslos auf sie niedersausen.

Dampfender Schweiß und weiß gischender Schaum troff von den glühenden, in verzweifelnder Hast dahinjagenden Thieren.

Aus der getrockneten, aufgewühlten, zerstampften Bahn erhob sich jetzt Staub in schwebenden Wolken.

Die anderen Gespanne blieben hinter denen des Hippias und Marcus weiter und weiter zurück, und als diese zwei sich nun zum siebenten und letzten Male der Nyssa näherten, stockte das Geschrei der Menge auf Augenblicke, um sich dann um so lauter und wilder zu erheben und wiederum zu stocken.

Es war, als arbeite die zurückgehaltene Kraft der ermüdeten Lungen mit verdoppelter Macht, wenn die Spannung den Tausenden lange genug die Kehle zugeschnürt hatte.

Dada sprach nicht mehr mit dem Landmann. Blaß und athemlos heftete sie das Auge an den hochragenden Stein und die Wolke, welche die Gespanne, je mehr sie sich der Nyssa näherten, tiefer und tiefer umhüllte.

Hundert Schritte vor der Meta sah sie die rothe Kappe des Hippias aus dem Staube hervorschimmern; bald darauf aber – und jetzt dicht hinter ihr – die blaue des Marcus. Dann – ein furchtbarer, das Ohr betäubender Schrei aus Tausenden von Kehlen schmetterte auf bis zur Höhe des Himmels – dann glänzte so hart neben dem Obelisken als streife sie ihn, und kein Rad, kein Pferd könne zwischen Stein und Lenker Platz haben, wieder die blaue Kappe aus dem grauen Gewölk hervor, und diesmal sah man durch den Staub hinter, hinter, nicht vor ihr – nur so weit von ihr entfernt, wie ein Roß und ein Wagen lang ist, die rothe Kappe des Hippias.

Hart vor der Nyssa hatte Marcus den Gegner überholt, den harten Stein mit einer kühnen, Gespann und Leben gefährdenden Wendung umfahren und das Fuchsgespann hinter sich gelassen.

Demetrius sah das Alles, als habe sein Auge die Kraft, den Staub zu zerstreuen, und nun war auch seine Ruhe dahin und mit einem lauten: »Junge, köstlicher Junge!« schlug er die Arme wie zum Gebet empor und schrie, als ob sein Bruder ihn hören könne: »Das Kentron! Den Stachel! Drauf, drauf, und wenn Alles zu Grunde geht! Drauf auf die Gäule!«

Da schaute sich Dada, welche nur ahnte, was hier geschehen, nach ihm um und fragte mit bebender Stimme: »Er überholt ihn? Er siegt? Wird er siegen?«

Aber der Landmann antwortete nicht, sondern wies nur mit dem Finger auf die vordere, windesschnell dahinjagende Wolke, in die sich eine zweite mehr und mehr zu mischen begann, und rief außer sich: »Tod und Hades! Der Andere kommt ihm wieder zuvor. Der Hund! Der Schuft! Wenn der Junge den Stachel nur brauchte! Drauf, drauf! Zustechen, Marcus! Junge! Junge, nur jetzt nicht erlahmen! Großer Vater Poseidon – da – da – da – aber nein! Mir zittern die Kniee . . . Er ist immer noch vorn, und nun – nun! – Es gilt die Entscheidung! . . . Daß der Blitz mich erschlage . . . O! . . . Der Staub fließt wieder zusammen, – und jetzt, jetzt – mag er ersticken! Nein, nein – gelobt sei die Gottheit: Die vorn, es sind meine Rappen, und nun . . . Voran, voran! Prächtiger Bursche! Wir haben gewonnen!«

Die Rosse standen still, der Staub verflog: Marcus, die Christen hatten im ersten Missus gesiegt.

Cynegius reichte dem Jüngling den Kranz, und er empfieng ihn dankend.

Dann grüßte er seine Mutter, diese winkte ihm mit huldvoller Gelassenheit zu, und endlich fuhr er in das Oppidum hinter den Schuppen zurück.

Hippias warf die Geißel wüthend zu Boden, und das Jubelgeschrei der Christen übertönte die Musik, die Fanfare, die Schmähungen und das Murren der geschlagenen Heiden.

Drohende Fäuste erhoben sich, hinter den Carceres schrieen und schalten die Agitatoren und Pferdebesitzer unter den Rothen, und es fehlte nicht viel, so hätten sie den Hippias, welcher einer elenden Prahlerei zu Gefallen den Todfeinden, den Blauen, den Christen, den Sieg in den Schooß geworfen, in Stücke gerissen.

Es gab einen Lärm, eine Erregung ohnegleichen, aber Dada hörte und sah nichts von dem Allen! Sie schaute nur still und glückselig in den Schooß, und helle Zähren liefen ihr dabei über die Wangen.

Demetrius sah diese Thränen und freute sich ihrer: indem er auf Maria wies, berichtete er dem Mädchen, daß diese Matrone die Mutter des Marcus sei. Dabei gelobte er sich im Stillen, seinen wackern Bruder, koste es, was es wolle, mit diesem lieblichen Kinde zusammenzuführen.

Der zweite und dritte Missus verlief wie der erste mit manchem Unfall, und in beiden errangen die Rothen den Kranz.

Beim vierten entscheidenden traten nur drei Wettkämpfer in die Schranken: die beiden heidnischen Sieger und Marcus.

Demetrius folgte diesem Rennen mit geringerer Spannung. Er wußte, daß seine Berberstuten die ägyptischen Hengste an Dauerhaftigkeit überboten, und es kam ihnen überdies zugute, daß sie länger geruht hatten als jene.

In der That fiel der Sieg diesmal dem Sohne der Maria leicht und vollständig zu.

Dada hatte schon lange, bevor er entschieden war, ungeduldig auf ihre Kränze gesehen und konnte es nun nicht erwarten, sie dem Marcus in den Wagen zu werfen. Wenn Alles vorbei war, fand sich vielleicht auch Gelegenheit, mit ihm zu reden, und sie freute sich auf den Ton seiner Stimme und den Blick seiner großen, guten Augen. Wenn er sie nun wieder aufforderte, ihm zu folgen, wollte sie, was Herse und Karnis auch dagegen in's Werk setzen mochten, mit ihm gehen, wohin und zu wem er begehre.

Es war ihr, als könne sich gar kein Anderer über seinen Sieg freuen, wie sie, als gehöre sie zu ihm, als habe sie ihm immer angehört und als sei nur eine tückische Laune des Schicksals zwischen sie Beide getreten.

Und nun erklangen wiederum laute Fanfaren, und der Sieger mußte nach alter Sitte die Bahn im Schritt umkreisen und seine wackeren Rosse den Zuschauern zeigen.

Er kam ihr näher und näher, und Demetrius bot ihr an, ihm über den Kanal, welcher das Podium von der Arena trennte, zu folgen und seinem Bruder die Kränze nicht hinzuwerfen, sondern mit eigener Hand zu überreichen.

Da erröthete sie tief und sagte nicht ja und nicht nein; aber sie erhob sich schnell, hängte sich mit einem heitern und doch schamhaften Lächeln einen Kranz an den Arm, gab dem Landmann die anderen Olivenkronen und folgte ihm über den kleinen Steg auf die Bahn, in die sich, nun das Rennen vorbei war, schon viele Christen gedrängt hatten.

Die Brüder winkten einander schon von Weitem zu, aber Marcus erkannte Dada erst, wie er neben Demetrius hielt und sie ihm den Olivenkranz verlegen und doch strahlend vor tiefinniger Freude überreichte.

Da war es ihm, als habe der Himmel ein Wunder für ihn gethan, und so schön wie in diesem Augenblick hatte er sie noch niemals gesehen. Sie schien, seit er ihr zum letzten Mal begegnet war, gewachsen, ernster und edler geworden zu sein, und er bemerkte auch die blauen Schleifen an ihrem Busen und in dem Rosenkranze auf ihren blonden Locken.

Das Glück und die Überraschung, welche ihn ergriffen, lähmten seine Zunge; aber er nahm ihr den Kranz ab, faßte ihre Hände und konnte doch sagen: »Danke, ich danke Dir, Dada!«

Sein Auge ruhte in dem ihren, er vergaß, wo er war, er fragte nicht, was es bedeute, daß sein Bruder sich plötzlich abwandte und mit einem langen Satze einem Manne nachsprang, der mit verhülltem Haupt vor ihm entfloh; er achtete nicht darauf, daß viele Tausende und unter ihnen auch die eigene Mutter auf ihn blickten, und er wiederholte sein »Danke« und »Dada«, die einzigen Worte, welche er gefunden, und er wollte sie nochmals sagen, doch er ward unterbrochen, denn die porta libidinaria, das Thor, durch welches man sonst die Todten und Verwundeten in's Freie schaffte, ward aufgerissen, und durch dasselbe drang eine Schaar empörter Heiden und rief in den Hippodrom: »Der Serapis ist gefallen, sie haben das Bild des Serapis gestürzt! Die Christianer, die Christen zerstören die Heiligthümer der Götter!«

Da erfaßte ein großer Schreck die versammelte Menge, die Rothen stürzten von ihren Sitzen in die Bahn, um zu fragen, zu hören, Widerstand zu leisten oder Rettung zu suchen.

Im Nu war das Gespann des Siegers von Menschen umdrängt, Dada klammerte sich ängstlich an den Wagen, Marcus aber wandte sich nach ihr um und zog sie, ohne zu denken und zu erwägen, seiner selbst kaum mächtig, zu sich hinauf, – brach sich mit seinen Rappen Bahn durch die Menge, fuhr an den Carceres vorbei, blickte dort bang in die Höhe, aber ohne seine Mutter zu finden, und lenkte endlich die erschöpften, schweißtriefenden und mit schneeweißem Schaum bedeckten Rappen durch die große Ausgangspforte in's Freie.

Seine Stallsklaven waren ihm gefolgt. Er lös'te sich von den Zügeln und warf sie diesen zu. Dann fragte er Dada, nachdem sie mit ihm zu Boden gesprungen: »Willst Du mir folgen?« Und ihre Antwort lautete: »Wohin Du begehrst!«

Die Wittwe Maria hatte sich bei der Botschaft vom Sturze des Serapis eiliger, als es ihre Würde erlaubte, erhoben und dann unter dem Schutze der Wachen, welche den Gesandten Cynegius begleiteten, ihre Sänfte erreicht.

Im Hippodrom tobte der Aufruhr, Rothe und Blaue stürzten auf dem Podium, den oberen Rängen und in der staubigen Bahn wie wüthende Thiere auf einander ein, und das blutige Gebalge – hier auch in ruhigeren Tagen nichts Seltenes – dauerte fort, bis kaiserliche Soldaten die waffenlosen Kämpfer auseinander sprengten.

Der Bischof freute sich des Sieges, welchen die Seinen überall erfochten, und er hörte es auch nicht ungern, daß es dem Olympius, dem Helladius, Ammonius und anderen geistigen Führern der Heiden gelungen sei, zu entkommen.

Mochten sie wiederkehren und reden und deklamiren nach Herzenslust: ihre Macht war gebrochen, die Kirche brauchte sie nicht mehr zu fürchten, aber für die geistige Schulung ihrer Leiter bedurfte sie immer noch ihres Wissens und ihrer Lehre.


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