Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Achtzehntes Kapitel.

So ernst es auch in der Stadt Alexandria aussah, das Wettfahren sollte dennoch morgen abgehalten werden. Also war es vor wenigen Stunden im Palaste des Bischofs Theophilus beschlossen worden, und Ausrufer durcheilten bereits Straßen und Plätze, um die Bürgerschaft zu diesem erwünschten Schauspiele einzuladen.

In der Schreibstube der Ephemeris,Die Zeitungen der Alten, welche wie in Rom so auch in den anderen größten Hauptstädten des Weltreiches erschienen und den Bürgern die bemerkenswerthen Neuigkeiten mittheilten. die morgen in aller Frühe ausgegeben werden sollte, wurde einem halben Tausend von federfertigen Sklaven diktirt, welche Bürger ihre Rosse rennen lassen, welche Agitatoren die Pferde lenken, und welche Preise für die Sieger – gleichviel ob Christen oder Heiden – ausgesetzt worden seien.

In dem großen Versammlungssaale herrschte eine schwüle Luft, und schwül war es auch den anwesenden Presbytern zu Muthe, denn sie beabsichtigten, sich diesmal den Forderungen ihres Hauptes nicht blindlings zu fügen, und sie wußten, daß Theophilus zu donnern und zu blitzen verstehe, wenn er auf Widerspruch stieß.

Außer den geistlichen Herren hatte sich auch der kaiserliche Gesandte Cynegius, der Stadtpräfekt Evagrius und der Truppenkommandant und Comes von Ägypten, Romanus, eingefunden. Die kaiserlichen Beamten, römische Staatsmänner, welche Alexandria und seine Bürgerschaft kannten und die geistige Überlegenheit des Kirchenfürsten oft empfunden hatten, hielten zu diesem. Der Abgesandte Cynegius schwankte, die Presbyter aber, die sich den Befürchtungen, welche die ganze Stadt ergriffen hatten, nicht zu entziehen vermochten, wagten es, sich gegen ein zu schnelles Vorgehen zu erklären und die Abhaltung von Spielen in Tagen so ernster Gefahr ein überkühnes, ja frevelhaftes Unterfangen, mit dem man Gott versuchen werde, zu nennen.

Auf des Theophilus höhnische Frage, worin die Gefahr bestehe, wenn – der Comes verbürge es – der Serapis morgen fallen werde, ertheilte einer der Presbyter im Namen seiner Brüder die Antwort. Derselbe hatte früher als Exorcist Erstaunliches geleistet und war bei aller Rechtgläubigkeit das Haupt einer gnostischen Sekte und dem Studium der Magie fleißig ergeben. Dieser längst ergraute Mann legte mit dem Eifer und der Kraft der Überzeugung in ernster Rede dar, Serapis sei der furchtbarste aller heidnischen Dämonen, und sämmtliche Orakel der Vorzeit, die Verkündigung der Propheten, sowie alle Schlüsse der Magier und Sterndeuter müßten trügen, wenn sein Sturz, welchen er und seine Amtsgenossen natürlich als eine große Gnade des Höchsten ansehen würden, nicht verhängnißvolle Naturereignisse nach sich ziehen werde.

Da ließ Theophilus dem Zorn die Zügel schießen, riß das kleine Kruzifix, welches über seinem Bischofssitze hieng, von der Wand und brach es in Stücke. Dabei rief er mit tiefer, vor Erregung bebender Stimme:

»Wen haltet ihr für größer, den eingeborenen Sohn Gottes, oder jenen albernen Götzen?«

Die Trümmer des zerstörten Heiligthums schleuderte er vor die Presbyter auf den Tisch, den sie umgaben. Dann warf er sich, als erschrecke ihn das eigene kühne Beginnen, auf die Kniee, hob Hände und Augen betend gen Himmel und ergriff endlich die Splitter des Kruzifixes, um sie zu küssen.

Die Wirkung seiner raschen That war gewaltig.

Entsetzen und athemlose Spannung malten sich in den Zügen der Anwesenden, und keine Hand, keine Lippe regte sich, als Theophilus sich wieder erhob und stolz und herausfordernd jeden Einzelnen mit den strengen Augen maß.

Eine Zeitlang blieb er stumm, als erwarte er eine Entgegnung; doch die abweisende Haltung seiner majestätischen Gestalt sprach deutlich aus, daß er sich bereit halte, den Gegner niederzuschmettern.

Aber keiner der Presbyter widersprach ihm, und wenn ihn unter den kaiserlichen Beamten Evagrius mit einem bedenklichen Schütteln des klugen Kopfes ansah, so nickte ihm dafür der Abgesandte des Kaisers befriedigt zu.

Aber der Kirchenfürst schien sich weder um Beifall noch Mißbilligung zu kümmern, und gewiß seiner Sache legte er in kurzen, schneidigen Sätzen, ohne jeden rhetorischen Schmuck, kernig dar, Stein und Holz hätten nichts mit der Gottheit zu schaffen, auch wenn sie die Gestalt des Heiligsten und Verehrungswürdigsten trügen oder durch Menschenhand überreich mit dem Teufelsköder vergänglicher Schönheit geschmückt seien. Je stärkere dämonische Kraft der Aberglaube dem rohen Stoffe, gleichviel, welche Gestalt er trage, zuschreibe, desto hassenswerther sei er für den Christen. Wer dem Willen eines Dämonen die Kraft zuschreibe, auch nur einen Athemzug des Höchsten nach seinem Ermessen zu wenden, der möge sich vor der Abgötterei hüten, denn ihre Satanskralle halte ihn schon irgendwo fest am Gewande.

Bei dieser Anklage wich manchem Presbyter das Blut aus den Wangen, und es erhob sich kein Widerspruch, als der Bischof verlangte, wenn der feste Tempel des Serapis morgen in die Hand der kaiserlichen Streitmacht falle, ihn ohne Aufenthalt und langes Besinnen zu zerstören und von dem Vernichtungswerke nicht abzulassen, bis dieses Schandmal der Stadt von der Erde verschwunden sei.

»Bricht die Welt darüber in Stücke,« rief er, »wohl, so haben die Heiden Recht und wir Unrecht, und Untergang wäre dann Wonne; aber so wahr ich auf diesem Thron sitze durch die Gnade des Höchsten, so wahr ist Serapis ein eitles Hirngespinnst verblendeter Thoren, und es gibt nichts Göttliches, außer in dem Gotte, welchem ich diene!«

»Sein ist das Reich in Ewigkeit, Amen!« psalmodirte der Älteste unter den Presbytern ihm nach, und Cynegius erklärte, einem rücksichtslosen Vorgehen gegen den Abgott kein Hinderniß in den Weg legen zu wollen.

Zur Vertheidigung des von dem Bischof ausgegangenen Antrages, das Wettfahren schon morgen abhalten zu lassen, ergriff der Comes das Wort.

Er entwarf ein treffendes Bild des leichten, wankelmüthigen, dem Vergnügen leidenschaftlich zugewandten Sinnes der Alexandriner. Die Streitmacht, über die er verfügte, war klein im Verhältniß zu der Zahl der heidnischen Bürger, und es kam ihm viel darauf an, einen großen Theil der Serapisdiener im entscheidenden Augenblicke von dem bedrohten Heiligthume fern zu halten. Gladiatorenspiele waren untersagt, an Thierkämpfe hatte man sich gewöhnt, aber ein Wettfahren, bei dem Heiden und Christen mit ihren Rossen gegen einander in die Schranken traten, mußte gerade in dieser Zeit des harten Aneinanderprallens beider Religionen eine gewaltige Anziehungskraft ausüben und Tausende der gefährlichsten Götzendiener in den Hippodrom locken. Das Alles hatte er mit dem Bischof und Cynegius schon erwogen; ja, dieser leidenschaftliche Vernichter heidnischer Tempel war mit dem vom Kaiser gebilligten Vorsatz, den Serapistempel zu zerstören, nach Alexandria gekommen; aber als vorsichtiger Staatsmann hatte er sich erst vergewissert, ob sich auch Zeit und Verhältnisse günstig erwiesen, das Vernichtungswerk jetzt schon zu beginnen. – Was er hier gesehen und vernommen, hatte seinen Vorsatz nur bestärkt, und nachdem er im Sinne seines Gebieters einige Bedenken erhoben und zur Milde aufgefordert hatte, ertheilte er im Namen des Kaisers den Befehl, das Heiligthum des Serapis mit Waffengewalt zu nehmen und zu zerstören und das Wettfahren für den morgenden Tag anzusagen.

Die Versammlung verneigte sich tief, und nachdem Theophilus die Sitzung mit einem Gebet geschlossen, zog er sich gesenkten Hauptes, demüthig, als habe er keinen Sieg errungen, sondern eine Niederlage erlitten, in sein schmuckloses Arbeitszimmer zurück.

 

 

Das Urtheil über den großen Heidengötzen war besiegelt, aber in den weiten Räumen des Serapeums dachte Niemand an Übergabe und schnelle Ergebung.

Der gewaltige Unterbau, auf dem der größte aller Tempel der hellenischen Welt ruhte, stellte sich mit glatten, leicht geböschten Flächen von unzerstörbarer Festigkeit den Angreifern entgegen. Über eine reich geschmückte Rampe führte eine Fahrstraße, und an dem mittleren Theile des schönen Bogens, welchen diese beschrieb, eine hohe Doppeltreppe zu den drei Portalen in der Hauptfront des Riesenbaues.

Die Heiden hatten Sorge getragen, diese Zugänge in aller Schnelligkeit zu versperren und Götterbilder von edler Arbeit, Statuen und Büsten von Königen und Heroen, Hermen, Säulen, Denksteine, Opferaltäre, Sessel und Bänke von kunstvoll ciselirtem Erz schonungslos auf die von tausend Händen aufgerissene und gebrochene Straße und Treppe geschleudert.

Die quadratischen Fliesen des Pflasters und die granitenen Stufen der Stiege hatte man zu schützenden Wällen zusammengehäuft, und diese wuchsen noch an, nachdem sich die Belagerer längst dem Tempel genähert hatten; denn die Heiden rissen Quadern, kleine Säulen, Gossen und lange steinerne Brüstungsbalken von der Bekrönung des Daches und warfen sie auf die Schutzwehr, und wo es angieng, auf die feindlichen Truppen, welche sich indessen für's Erste auf keinen ernstlichen Kampf einlassen wollten.

Die Führer der kaiserlichen Legionen hatten sich in der Stärke der Vertheidiger des Tempels verrechnet. Wenige Hunderte sollten sich in denselben geworfen haben, aber allein auf dem Dache zeigten sich mehr als tausend, und mit jeder Stunde schien sich das Serapeum bedrohlicher mit heidnischen Männern und Weibern zu füllen.

Die Römer vermutheten, diese wachsenden Schaaren seien seit der Ankunft des Cynegius in geheimen Sälen und Zimmern des Serapeums verborgen gewesen, und ahnten nicht, daß sie fortwährend Zuzug erhielten.

Auch Karnis war mit Herse und seinem Sohne vom Holzplatze des Porphyrius aus durch den trockenen Kanal in das Heiligthum gekommen, und ein langer, selten unterbrochener Strom von Anhängern der alten Götter und des Serapis war ihnen vorangegangen und auf der Ferse gefolgt.

Während der alte Eusebius in der Marcuskirche seine Gemeinde aufforderte, christliche Liebe gegen die besiegten Götzendiener zu üben, hatten sich an viertausend widerstandslustige Heiden in den Räumen des Serapeums vereinigt.

Eine stattliche Zahl! Aber dieses Bauwerk war von so gigantischem Umfang, daß sich die Masse der Anwesenden und Zuströmenden nur locker über das Dach, durch die Säle und unterirdischen Gänge und Kammern vertheilte. Nirgends kam es zum Gedränge und am wenigsten in den Hallen des eigentlichen Tempelraumes, ja, es gab in der großen, von einer Kuppel stolz überwölbten Rotunde, die den Eintretenden empfieng, in der breiten Vorhalle, welche dieser folgte, und in dem Hypostyl ohnegleichen, an dessen Hinterwand sich die halbrunde, thurmhohe Nische mit dem berühmten Bilde des Serapis öffnete, nur vereinzelte Menschengruppen zu sehen, und auch diese erschienen, wenn das Auge die unermeßlich langen Säulenreihen durchmaß, zwerghaft klein.

Nur in die Rotunde mit ihren vier alles menschliche Maß überragenden Säulen fiel durch die Fenster in der Trommel, auf welcher die Kuppel ruhte, das volle Licht des Tages. In der Vorhalle herrschte heimliche Dämmerung, im Hypostyl ein von wundersamen Lichtströmen durchkreuztes Halbdunkel von geheimnißvoller Wirkung.

Die Schatten der Riesensäulen in der Vorhalle und den doppelsäuligen Kolonnaden zu beiden Seiten des Hypostyls lagen wie lange Streifen von dunklem Flor auf dem vielfarbigen Estrich; Mosaikleisten, Kreise und Ellipsen verbrämten und schmückten die glatte Fläche dieses tadellos blanken Bodens, und in ihm spiegelten sich die in lichter Farbenpracht glänzenden astrologischen Darstellungen an den steinernen Decken, die Götteraufzüge und mythologischen Gruppen, welche in kunstvollen, prächtig gefärbten Hautreliefs die Wände zierten, sowie die Statuen und Hermen zwischen den Säulen.

Eine Überfülle von schönen Formen und Farben stürmte hier in überwältigendem Wirrwarr auf das Auge ein, der Athem fühlte sich beengt von der süßen unabweisbaren Flut des Wohlgeruchs, welcher diese Hallen durchwallte, und der magischen, mystischen, nie gesehenen Zeichen, Figuren und Gestalten waren so viele, daß der nach Erklärung und Deutung des Unverstandenen und Geheimnißvollen dürstende Sinn beunruhigt zauderte, dem Einzelnen näher zu treten.

Wie dichtes Gewölk, welches eine Bergesspitze verhüllt, floß ein schwerer Vorhang, welchen Giganten an einem Webstuhle von übermenschlicher Größe gewirkt zu haben schienen, von der Höhe des Hypostyls aus in schönen Falten über der Nische mit dem Bilde des Serapis zu Boden, und während er dies den Blicken entzog, lockte er sie an durch die Welt von geheimnißvollen, schönen und seltsamen Figuren, mit denen er durchwebt und bestickt war.

Das Gold- und Silbergeräthe und das Edelgestein, welches diese Hülle verdeckte, hatten höhern Werth als der Schatz eines mächtigen Königs. Und dies Alles erschien so überwältigend groß, daß der Mensch daneben die eigene Kleinheit schaudernd empfand, daß der Geist nach neuen Maßstäben suchte, um sich unter so ungewohnten Verhältnissen heimisch zu machen.

Das Unendliche, Unermeßliche schien hier an das Endliche zu grenzen, und wer mit zurückgebogenem Haupte aufschaute zu den Spitzen der Säulen und der unerreichbaren Höhe der Decken, der fühlte die gesunde Sehkraft erlahmen, bevor es ihm gelungen war, auch nur einen armen Bruchtheil der wimmelnden Gebilde und Zeichen da oben zu erfassen oder gar zu begreifen.

Und dennoch konnte hier, wo sich griechische Schönheit mit der Pracht und Großartigkeit des Morgenlandes vermählte, auch das Kleinste jede Prüfung bestehen; denn da war keine architektonische Form, kein Werk des Bildhauers, Malers, Erzgießers, Mosaicisten oder Webers, welches nicht den Stempel gediegenen Werthes und hoher Vollendung getragen hätte.

Der braunrothe, gesprenkelte Porphyr, der weiße, grüne, gelbe und rothe Marmor, welcher hier zur Verwendung gekommen, war der schönste und reinste, welchen Griechenhände jemals bearbeitet hatten. Jede von den tausend Skulpturen, die hier Aufnahme gefunden, war das Meisterwerk eines großen Künstlers, und wer sich liebevoll der Betrachtung der Mosaiken auf den blendend glatten Fußböden hingab oder wer die ornamentirten Stäbe, welche die Hautreliefs umrahmten und die Wände in Felder zerlegten, eingehend prüfte, der wurde von Entzücken und Bewunderung ergriffen über den Schönheitszauber, die Zierlichkeit und die Ideenfülle, welche auch diesen kleinen Werken Größe, Reiz und Bedeutung verlieh.

Hunderte von Höfen, Sälen, Gängen und Kammern schlossen sich an diese gewaltigen, dem Kultus gewidmeten Hallen oder breiteten sich in verschiedenen Stockwerken unter denselben aus.

Da gab es lange Zimmerreihen mit mehr als hunderttausend Bücherrollen, die berühmte Bibliothek des Serapeums, mit welcher Lesezimmer und Schreibstuben verbunden waren; da lagen Speise-, Aufenthalts- und Versammlungszimmer für die Leiter des Tempels, für Lehrende und Schüler, da drang scharfer Duft aus den Laboratorien und Speisegeruch aus den Küchen und Bäckereien. In dem festen Gemäuer des Unterbaus lagen die verlassenen Zellen der Büßer und die Wohnungen der niederen Beamten und Sklaven des Tempels, welche nach Hunderten zählten; in den unterirdischen Räumen öffnete sich die geheimnißvolle Welt der für die Einführung in die Mysterien und die Übung derselben bestimmten Säle, Grotten, Gänge und Schlünde, und auf dem Dache des Heiligthums waren Observatorien errichtet und erhob sich noch heute die große Sternwarte, auf der ein Eratosthenes und Claudius Ptolemäus thätig gewesen. Astronomen, Sterndeuter, Stundenschauer und Magier verbrachten dort die Nächte, und tief unter ihnen in den Höfen des Tempels, um welche sich Ställe und Magazine reihten, floß das Blut der Opferthiere und wurden die Eingeweide der geschlachteten Rinder und Schafe geprüft.

Ja, die Wohnung des Serapis war eine Welt im Kleinen, und die Jahrhunderte hatten sie überreich ausgestattet mit Schönheit und den edelsten Gaben der Kunst und des Wissens. Magie und Zauberei umwoben sie mit geheimnißvollem mystischem Reiz, und die Philosophie hatte tiefe und mannigfaltige Spekulationen an das Wesen des Serapis geknüpft. Gewiß, dies Heiligthum war das Herz des hellenischen Lebens in der Stadt Alexander's! Was Wunder, wenn die Heiden wähnten, beim Sturze des Serapis und seiner Behausung werde die Erde, müsse die Welt mit in den Abgrund versinken.

Bange klopfenden Herzens waren sie in das Serapeum geströmt, gewärtig, mit ihrem Gotte zu Grunde zu gehen, und doch voll des enthusiastischen Verlangens, seinen Fall zu verhindern.

Welch wunderliches Gemisch von Männern und Weibern hatte sich heute in den geweihten Räumen zusammengefunden!

Ernste Gelehrte: Philosophen, Grammatiker, Mathematiker, Naturkundige, Ärzte hielten sich zu Olympius und folgten ihm schweigend. Rhetoren mit glatten Gesichtern, Magier und Zauberer, deren lange Bärte über Talare mit wunderlichen Figuren flossen, die studirende Jugend, gekleidet wie ihre geistigen Ahnherren in den Blütetagen Athens, Männer jeden Alters, welche sich Künstler nannten und doch nur noch nachzuahmen verstanden, was größere Zeiten geschaffen, Unglückliche, welche in dieser Epoche der Vernichtung des Schönen Niemanden fanden, der sie aufgerufen hätte, ihr Können zu bewähren und ihr höheres Streben in die That umzusetzen. Schauspieler aus den herabgekommenen Theatern, brodlose Histrionen, deren Bühnen Kaiser und Bischof geschlossen, Sänger und Flötenbläser, hungernde Priester und Tempeldiener, die man aus heidnischen Heiligthümern getrieben, Advokaten, Schreiber, Schiffsführer, Handwerker und dazu wenige Kaufleute; denn das Christenthum hatte aufgehört, die Religion der Armen zu sein, und die Besitzenden schlossen sich an den von der Obrigkeit begünstigten Glauben.

Einem der Studirenden war seine fröhliche Genossin gefolgt, und sogleich begaben sich Andere durch den geheimen Gang in die Stadt zurück und kehrten mit ihren Liebchen und deren Freundinnen wieder. So mischte sich denn unter die Männer eine große Zahl von bekränzten und aufgeputzten Dirnen, aus den Tempeln gestoßenen Hierodulen und Priesterinnen von besserem Rufe, welche treu an den alten Göttern hiengen oder der Magie ergeben waren.

Von diesen Weibern stach eine hohe und würdige Matrone in schwarzen Trauergewändern auffallend ab. Es war Berenice, die Mutter des jungen Heiden, der auf dem Präfekturplatze niedergeritten und verwundet worden war, und dem der alte Eusebius die Augen zugedrückt hatte. Sie war in das Serapeum gekommen, um ihren Sohn rächen zu helfen und mit den Göttern, für die er sein junges Leben gelassen, zu Grunde zu gehen. Das wilde Treiben um sie her that ihr weh, und ganz in sich versunken und tief verschleiert behauptete sie stundenlang ihren Platz zu Füßen des ehernen Bildes der lohnenden und strafenden GerechtigkeitNach ägyptischer Auffassung. und schaute schweigend zu Boden.

Olympius hatte dem ergrauten Legaten Memnon, einem erfahrenen Heerführer, welcher im Kampfe gegen die Gothen den linken Arm verloren, den Oberbefehl über die waffenfähigen Männer anvertraut, und war bald bemüht, das kleine, zusammengewürfelte Heer zum Gehorsam gegen den Veteranen zu bewegen, bald hatte er Streit zu schlichten, das wirre Durcheinander zu lösen und Ausschreitungen entgegenzutreten, bald wieder Anordnungen zu treffen, welche sich auf die Verpflegung der Seinen und das große Opfer bezogen, bei dem er die Getreuen des Serapis vereinigen wollte.

Karnis hielt sich in seiner Nähe und leistete ihm hülfreiche Hand, wo er konnte; Orpheus war mit anderen jungen Männern auf das Dach kommandirt worden und lockerte dort im Brande der Sonne auf heißen Kupferplatten und neben der glutausstrahlenden Kuppel die Quadern und Säulen, welche man morgen auf die Angreifer zu schleudern gedachte.

Frau Herse pflegte die Wunden und Kranken, denn einige Wenige, welche sich bei der Versperrung der Zugänge des Heiligthums kühn vorgewagt hatten, waren von Pfeilen und Lanzen der eigentlich unthätigen Truppen erreicht worden, und eine weit größere Zahl von heidnischen Jünglingen hatte bei der Arbeit auf dem Dache der Sonnenstich oder ein ähnlicher Unfall getroffen.

In den weiten Hallen des Tempels blieb es kühler als in den glühenden Straßen der Stadt, und die Stunden vergingen den Belagerten schnell.

Viele von ihnen hatten die Hände zu regen oder Wache zu halten, Andere tauschten Meinungen aus, stritten sich oder ergiengen sich in Vermuthungen über das, was da kommen sollte und mußte. Viele kauerten, von Angst oder frommer Scheu ergriffen, am Boden, beteten, murmelten Beschwörungen und weinten. Magier und Sternseher hatten sich mit ihren Anhängern in Nebensäle zurückgezogen und hielten Tafeln zusammen, um zu rechnen, zu deuten, nach neuen Formeln zu suchen und sie gegen Anfechtungen zu vertheidigen. Zwischen ihnen und der Bibliothek herrschte ein ununterbrochenes Hinundher, und die Tische waren bedeckt mit Rollen und Tafeln, welche alte Voraussagungen, Horoskope und wirksame Beschwörungen enthielten. Boten auf Boten, welche zur Ruhe mahnen sollten, wanderten von ihnen in die großen Hallen, wo Hunderte von Jünglingen mit ihren Mädchen unter Küssen und Toben bei gellenden Flöten und hellem Lautenklang tanzten, in die Hände klatschten und Tambourins schüttelten, um fröhlich auszunützen, was ihnen noch an Stunden vergönnt war, bevor es den Sprung in das Nichts oder die ungewissen Schatten des Todes zu thun galt.

So gieng die Sonne dem Untergange entgegen, und nun durchklirrte, gellte und tönte, die Luft erschütternd, der betäubende Schall von machtvoll geschlagenen ehernen Scheiben die weiten Hallen des Tempels.

Wie brandende Wogen eines klingenden Meeres prallten die Wellen des gewaltigen Metalltones von den harten Wänden des Heiligthums zurück und durchzitterten und durchsausten alle Räume des Riesenbaues, von der höchsten Kammer auf der Warte des Sternsehers bis in die tiefste Kellerhöhle, und riefen Alles zusammen, was den Weg in das Haus des Serapis gefunden.

Die heiligen Räume füllten sich, aus der Rotunde drängte sich der wachsende Strom in die Vorhalle, und bald war auch das Hypostyl mit dem verhüllten Bilde des Gottes übervoll von Männern und Weibern.

Ohne Unterschied des Standes und Geschlechtes, ohne Rücksicht auf die üblichen Formen und die höheren und niederen Weihen, welche ein Jeder empfangen, drängten sich die Serapisdiener heute der ehrwürdigen Nische entgegen, bis eine Kette, welche Neokoren in gemessener Entfernung von dem unnahbaren Halbrund ausgespannt hatten, ihnen Halt gebot. Kopf an Kopf harrte die Gemeinde des Götterkönigs in athemlosem Schweigen in dem Schiff des Hypostyls und in den Säulengängen zur Seite der kommenden Dinge.

Bald ließ sich dumpfer Männergesang vernehmen.

Er dauerte nur wenige Minuten; dann aber braus'te, von Flöten, Cymbeln, Lauten und Paukenschlägen begleitet, die Begrüßung des Gottes durch den weiten Raum seines Tempels.

Karnis hatte sich mit seinem Weibe und Sohne zusammengefunden, und alle Drei hielten einander bei den Händen und stimmten begeistert in das Herz und Sinn fortreißende Jubellied ein, und mit ihnen der Kaufherr Porphyrius, welchen der Zufall in ihre Nähe geführt hatte, und die Tausende rings um sie her.

Ein Jeder hatte Augen und Hände erhoben und schaute fieberhaft gespannt auf den Vorhang.

Tiefe Dämmerung verhüllte die Bilder und Zeichen auf dem gewaltigen Teppich; aber jetzt, jetzt kam Leben in die starren Falten, jetzt regten sie sich, jetzt begannen sie zu rinnen wie Ströme, Bäche, Wasseradern, die nach langer Hemmung in Fluß gerathen, jetzt senkte sich der Vorhang, und jetzt, jetzt stürzte er plötzlich und so schnell, daß der Blick ihm kaum zu folgen vermochte, in sich zusammen. Und nun scholl von tausend Lippen, wie aus einem Munde, ein Ruf der Bewunderung, des Staunens, des Entzückens, denn Serapis hatte sich den Seinen gezeigt.

Würdevoll thronte die reife Männergestalt des Gottes auf dem goldenen Königssitze, der mit Edelsteinen über und über besetzt war. Sinnend und ernst schaute sein schönes und gutes Antlitz den Andächtigen entgegen. Das reiche Lockenhaar, welches seine weise Stirne umrahmte, und der Kalathos, welcher auf seinem Scheitel ruhte, waren von gediegenem Golde. Zu seinen Füßen lag der Cerberus und reckte die drohenden Drillinge, seine Köpfe, aus denen Rubinenaugen blitzten, weit hinaus in die Luft. Von Gold und Elfenbein war der edle Leib des Gottes – ein Musterbild ruhender Kraft – und das Gewand gebildet.

Tadellos harmonisch, vollendet schön im Ganzen wie im kleinsten seiner Theile, war dieses Abbild übermenschlicher Macht und göttlicher Hoheit. Wenn dieser Fürst sich von seinem Sitze erhob, so mußte die Erde wanken und der Himmel erzittern.

Vor solchem Könige beugte sich auch der Starke mit Freuden, in so erhabener Schönheit prangte kein sterblicher Mann. Dieser Weltenherrscher triumphirte gegen jeden Gegner, auch gegen den Tod, das Ungeheuer, welches sich in ohnmächtiger Wuth zu seinen Füßen krümmte.

Mit stockendem Athem, von frommem Schauder ergriffen, entzückt und dennoch stumm vor andächtiger Scheu, schauten die Tausende zu den vom Dämmerlicht umflorten Wunderformen ihres Gottes empor, und nun – o Augenblick ohnegleichen! – nun brach ein Abgesandter der sinkenden Sonne, ein heller Lichtstrahl durch die mit goldenen Sternen besäte blaue Wölbung der Nische und streifte, als wolle er den Mund seines Gebieters und Vaters küssen, die Lippen des Gottes.

Da rang sich ein Jubelruf wie dröhnender Donner und das Schmettern der Brandung an harte Riffe aus der Brust der versammelten Menge so übermächtig hervor, daß die Standbilder und ehernen Altäre in der weiten Halle erbebten, die Vorhänge schwankten, das Opfergeräth klirrte, die hangenden Lampen und Kronleuchter in Schwingungen geriethen und sein Wiederhall wie Ströme im Überschwang der reißenden Hochflut an das Gemäuer prallte und, in hundert Flüsse zerrissen, von Säule zu Säule wogte.

Noch war der große Sonnenball seines Meisters gewärtig, noch thronte Serapis in ungebrochener Allmacht, noch gebrach ihm nicht das Vermögen, sich selbst, seine Welt und die Seinen zu schützen!

Da brach mit dem Untergang des Tagesgestirns nächtiges Dunkel schnell in den Tempel, und plötzlich zuckte es in der Wölbung über dem Gotte hin und her, die Sterne regten sich, von unsichtbaren Händen geschoben, und aus vielen Hunderten von fünfstrahligen Luken leuchteten bunte Flammen in prächtigem Glanz. Von hellem, magischem Licht umflossen zeigte der Gott sich noch einmal den Seinen, und nun erst in seiner vollen, edlen, einzigen Schönheit.

Wiederum erdröhnte der Tempel vom Jubelgeschrei der begeisterten Heiden, und nun erschien Olympius im wallenden Gewand, mit den Binden und dem Schmucke des Oberpriesters auf dem Fußgestelle des Götterbildes, goß vor dem Himmlischen aus goldener Schale ein Trankopfer aus, räucherte mit köstlichem Weihrauch, forderte in glühender Rede die Getreuen des Serapis auf, für den Gott zu kämpfen und zu siegen, oder, müßte es sein, für ihn und mit ihm zu Grunde zu gehen. Dann sprach er mit weithin schallender Stimme ein brünstiges Gebet, das aus tiefem Herzensgrunde kam und den Weg fand in die Herzen der Seinen.

Nun hob sich unter feierlichem Chorgesang wieder der Vorhang, und während die Tausende seinem Aufsteigen in stiller Andacht folgten, giengen Tempeldiener in den Hallen umher und entzündeten die Lampen an den Decken und Wänden und Säulen.

Karnis hatte die Hände aus denen der Seinen gelös't, denn er brauchte sie, um die Thränen zu trocknen, welche ihm in dieser großen Weihestunde über die alten Wangen geflossen waren; sein Sohn hielt die Mutter umfangen, und Porphyrius, welcher sich mit befreundeten Gelehrten zusammengefunden, nickte den Sängern verständnißvoll zu.


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