Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Nacht war schwül und trüb. Finsteres Gewölk ballte sich im Norden zusammen, und über dem mareotischen See, auf dessen bleigrauer Fläche kleine, krause Wellen schäumend aufspritzten, schwebte wie über einem heißen Bade weißlicher Dunst.

Aus einem bräunlichen Nebelkreise blickte der Mond matt und wie geblendet; ein gespenstisches Halbdunkel lag auf den Wegen und den glutausstrahlenden Häusern der Stadt.

Im Westen über der Wüste mischte sich am Himmel in das schwärzliche Gewölk schmutziges Schwefelgelb, und bisweilen zuckte von Norden her der blendende Schein ferner Blitze durch die heiße und schwere Luft.

Ein warmer Wind trieb von Südwesten her hellen Sand über den See in die Straßen. Die feinen Staubkörner stachen und brannten die Wangen der Wanderer, und mit niedergeschlagenen Augen und geschlossenen Lippen zogen sie weiter.

Tiefe Beklemmung schien sich der Natur wie der Menschen bemächtigt zu haben, der stoßweise Odem der Luft, der pfeilschnell kommende und scheidende Lichtglanz, die wunderliche Form und Farbe des schweren Gewölks, Alles gab dieser Nacht ein ungewöhnliches, krankhaftes, beängstigendes Ansehen. Es war, als bereiteten sich Himmel, Wasser, Luft und Erde zu etwas Unerhörtem, Gräßlichem vor.

Gorgo hatte Schleier und Umwurf über das Haupt gezogen und folgte dem Priester des Saturn mit glühender Stirne und stark klopfendem Herzen.

Wenn sie hinter sich Schritte vernahm, schrak sie zusammen, denn es konnte Konstantin sein, der sie verfolgte; wenn ein neuer Windstoß ihr Antlitz mit prickelnden Sandtheilchen traf oder das Wetterleuchten das Gewölk mit hellerem Lichte durchlohte, stockte ihr das Blut, denn das Vorspiel des Endes der Dinge schien zu beginnen.

Sie war mit dem Weg, den sie zurückzulegen hatte, wohl vertraut, aber seine Länge schien sich auf diesem Gange verzehnfacht zu haben.

Endlich gelangte sie dennoch zum Ziele.

An einem der Eingänge zum Holzplatze ihres Vaters gab sie den Wächtern das Losungswort und das verabredete Zeichen.

Bald hatte sie die Balken und Holzstöße, welche den Eingang in den Kanal verbargen, hinter sich gelassen, ein Sklave, welchen sie kannte, gieng ihr und ihrem Begleiter mit einer Leuchte voran, und nun begann die Wanderung durch den unterirdischen Gang.

Es war heiß und dumpf genug in demselben, und Fledermäuse, welche die Fackel des Führers aufgescheucht hatte und die sie mit gespenstisch leisen Flügelschlägen umflatterten, flößten ihr Widerwillen und Furcht ein; aber sie fühlte sich hier dennoch weniger bang als im Freien, und wie sie fortschreitend des ehrwürdigen Serapistempels gedachte und sich seine wunderbare Schönheit und feierlich erhabene Größe vergegenwärtigte, überkam sie ein Verlangen nach diesem überirdisch herrlichen Ziele, welches jede Besorgniß bannte.

Dort den Tod zu erleiden, dort mit dem Geliebten zu enden, erschien ihr nicht schwer: ja, es war ein stolzes Gefühl, in der erlauchtesten Wohnung, welche sterbliche Menschen jemals einem Gotte errichtet, die letzte Stunde erwarten zu sollen.

Hier mochte sich das Verhängniß erfüllen; das Höchste, was sie vom Leben begehrt hatte, es war ihr geworden, und wo gab es auf Erden ein weihevolleres Grabmal, als das Heiligthum des Weltenherrschers, dessen Übermacht auch die anderen Götter bebend empfanden.

Sie kannte die heiligen Hallen des Riesenbaues von Kind auf, und sie dachte sie sich erfüllt mit Tausenden von edlen Seelen, welche die gleich hohe Empfindung in dieser Stunde brüderlich verband.

Im Geiste hörte sie den frommen, aus übervollem Herzen strömenden Gesang der begeisterten Jünglinge und Männer, welche bereit waren, das Leben für den Gott ihrer Väter zu lassen, athmete sie Opferdampf und Weihrauchduft, sah sie, von Priestern geführt, die Chöre der Jünglinge in gemessener, ernster Anmuth, feierlich und schön den Reigentanz um geschmückte Altäre schlingen.

Unter den Alten, welche sich in weihevollen Betrachtungen über die letzten Dinge und den tiefen Kern der Mysterien um Olympius geschaart hatten, unter den Adepten,Diejenigen, welche es erreicht haben, Einlaß in die Mysterien zu gewinnen. die auf den Warten des Serapeums den bedeutungsvollen Bahnen der Sterne, dem Zuge der Wolken, dem Fluge der Vögel in andächtiger Spannung folgten, mußte sich auch ihr Vater befinden, und die frische Wunde in ihrem Herzen begann neu zu bluten, als sie sich vorstellte, wie tief ihn die Botschaft erschüttern und schmerzen müsse, deren Trägerin sie war.

Aber sie sollte ihn ja, ergriffen von feierlichem Ernste, erfüllt von Schmerz über die dem Untergang bestimmte Welt, würdig gefaßt auf das schwerste Verhängniß, wiederfinden, und so mußte sie mit ihrer Trauerkunde zu einem wohl vorbereiteten Herzen kommen.

Sie fürchtete sich nicht vor der Überzahl der im Serapeum versammelten Männer. Ihr Vater und Olympius waren ja da, um sie zu schützen, und auch an Frau Herse sollte sie einen Rückhalt finden, aber selbst ohne jene Drei durfte sie in dieser ernsten Nacht, vielleicht der letzten aller Nächte, sich unbesorgt unter die Tausende mischen, denn sie war überzeugt, daß jeder Götterfreund geweihten Herzens und vielleicht nur weniger bang als sie, das schwache Mädchen, das eigene Ende und den Einsturz des Himmels erwarte.

So dachte sie, bis sie mit ihrem Führer zu einem festen Thore gelangte.

Nachdem sich ihr auch dies geöffnet hatte, betraten sie die unterirdischen Räume, welche der Feier der Mysterien des Gottes gewidmet waren und in denen die Adepten schwere Prüfungen zu bestehen hatten, bevor sie für würdig befunden wurden, der höheren Weihen theilhaftig, unter die Esoteriker aufgenommen zu werden.

Die Säle, Kammern und Gänge, welche sie hier zum ersten Male durchschritt, waren mit Lampen und Fackeln spärlich beleuchtet, und was ihr Blick auf dieser Wanderung erhaschte, erfüllte sie mit frommem Schauer und regte ihre Einbildungskraft mächtig auf.

Was sie sah, jeder Raum, jede Säule und jedes Bildwerk wich in seinen Verhältnissen, Formen und Gestalten von dem Gewöhnlichen und Natürlichen ab.

Auf eine Pyramidenkammer, deren dreieckige, geneigte Seiten sich in einer Spitze zusammenfanden, folgte ein Saal in Gestalt eines vielseitigen Prismas.

Ein mit Sphinxen besetzter Weg führte durch einen langen, breiten Gang, und hier mußte sie sich an ihren Führer klammern, denn hart hinter den Mischgestalten zu ihrer Rechten gähnte ein finsterer Abgrund. An einer andern Stelle saus'te rauschendes Wasser über sie hin und stürzte sich mit wildem Getöse in die Tiefe. Gleich darauf kam sie zu einer weiten, in den lebenden Felsen gehauenen Grotte, und aus derselben starrte ihr eine Reihe von vergoldeten Krokodilsköpfen entgegen. Hier beengte ihr der Geruch erkalteten Rauches und scharfer Harzduft den Athem, und der Weg führte sie über eiserne Roste und an wunderlich gestalteten Öfen vorbei. Von den Wänden schauten ihr in erschütternden farbigen Reliefbildern die Verdammten: Tantalus, Ixion und der seinen Stein wälzende Sisyphus, entgegen. Felsenkammern, so fest mit eisernen Thüren verschlossen, als ob hinter ihnen unermeßliche Schätze oder unnahbare Geheimnisse ruhten, blieben an ihrer Seite liegen, und ihr Gewand streifte manche Statue und manches Geräth, das mit Teppichen und Vorhängen tief verhüllt war.

Blickte sie zur Seite, so sah sie schreckliche Mischgestalten und geheimnißvolle Figuren und Zeichen, schaute sie aufwärts, so begegneten ihren Augen zwischen menschlichen und thierischen Gestalten hier Sternbilder, welche in ägyptischer Weise aus Schiffen und Barken über den Rücken eines lang dahingestreckten Weibes hin fuhren, dort Gebilde von griechischer Künstlerhand: die Plejaden, das Reiterpaar Kastor und Pollux mit Sternen über den Häuptern und das mit Gestirnen besäte Haar Berenike's.

Verwirrend, herzerschütternd wirkte diese geheimnißvolle unterirdische Welt auf die Wandernde ein.

Was sie im Vorübergehen erblickte, war nur spärlich beleuchtet, kaum erkennbar und doch von beängstigendem Zauber; welche Mysterien und Wunder mochte das, was sie nicht sah, umschließen?

Es war ihr, als habe das Ende des irdischen Daseins, dem sie entgegen harrte, begonnen, als sei sie schon hier lebend ein Gast des finstern Hades.

Allmälig stieg der Weg an, und endlich führte sie eine gewundene Treppe zu den Tempelräumen empor. Einige Male waren ihr Männer begegnet, aber es hatte doch feierliche Ruhe in den unterirdischen Räumen geherrscht. Die tiefe Stille war nur fühlbarer geworden durch den Klang der nahenden und verhallenden Tritte.

So mußte es sein, so hatte sie es hier zu finden erwartet. Diese Ruhe gemahnte sie an das tiefe Schweigen der Natur, bevor das Unwetter tobend und brausend hereinbricht.

Während Gorgo die Treppe hinanstieg, zog sie die Hülle vom Haupte, ordnete die Falten ihres Gewandes, und richtete sich zu jener würdevollen, priesterlichen Haltung auf, mit der sich vornehme Jungfrauen dem Altare der Gottheit nahten. Aber je höher sie kam – ein desto lauterer Wirrwarr von Geräuschen und Tönen scholl ihr entgegen. Nun wurde auch Flöten- und Paukenklang hörbar. Der weihevolle Reigentanz, meinte sie, habe begonnen.

Jetzt stand sie in einem der Seitengemächer des Hypostyls.

Ihr Begleiter öffnete eine hohe, mit vergoldetem Erz und Silber beschlagene Thür, und Gorgo folgte ihm, feierlich schreitend, mit erhobenem Haupte und gesenktem Blicke, in die geweihte Halle, wo in ungebrochener Herrlichkeit das heilige Bild des Gottes thronte.

Ohne Aufenthalt durchkreuzte sie den Säulengang zur Seite des Hypostyls und stieg die beiden Stufen hinunter, welche in das weite Schiff des größten und edelsten aller Tempelräume führte.

Der wilde Lärm, welcher ihr durch die geöffnete Thür entgegengebraus't war, hatte sie überrascht und verwirrt, und als sie nun befangen und befremdet die Augen aufschlug und um sich sah, überfiel sie ein jäher Schreck, ein Entsetzen, wie es den nächtlichen Wanderer ergreift, wenn er eine blumige Wiese zu betreten glaubte und schaudernd empfindet, daß ihn der Schlamm eines grundlosen Sumpfes in die Tiefe hinabzieht.

Taumelnd hielt sie sich an dem nächsten Götterbilde fest, und während sie sich fragte, ob sie wache oder träume, blickte sie um sich, schaute und horchte sie näher hin.

Was da vorgieng, sie wollte es nicht sehen und hören; es erschien ihr widrig, Ekel erregend, abscheulich; aber es war zu aufdringlich, um sich übersehen und überhören zu lassen, und es war so wirklich, wie es gemein war und gräßlich.

Eine Zeitlang bannte es ihr Auge und Ohr, lähmte es ihr die Bewegung; aber bald schlug sie tief verwundet die Hände vor das Gesicht, und die gekränkte jungfräuliche Scham, die grausame Enttäuschung und der heilige Zorn über die wüste Entheiligung dessen, was sie für hoch geweiht und unantastbar gehalten, stürmten zusammen auf ihre beleidigte Seele ein, und sie mußte weinen, bitterlich weinen, wie noch nie, seitdem sie geboren.

Schluchzend warf sie den Schleier über das Gesicht und vermummte sich, als habe sie sich vor Sturm und Frost zu schützen.

Niemand gab auf sie Acht. Auch ihr Begleiter hatte sie verlassen, um ihren Vater zu suchen. Sie mußte auf seine Rückkehr warten und suchte nach einem Versteck.

Da bemerkte sie ein Weib in Trauergewändern, das tief zusammengesunken unter dem Bilde der Göttin der Gerechtigkeit hockte. Sie erkannte die Wittwe des Asklepiodor, und aufathmend trat sie ihr näher und sagte weinend: »Laß mich hier sitzen; wir trauern ja Beide.«

»Ja, ja!« entgegnete die Andere, und ohne zu wissen, was Gorgo betroffen, und nur beherrscht von dem geheimnißvollen Reiz, neben dem eigenen einem fremden bittern Kummer zu begegnen, zog sie sie an sich und fand an ihrer Seite die Fähigkeit wieder, lindernde Thränen zu vergießen.

So saßen die Trauernden stumm neben einander, und vor ihnen tobte und wieherte die entfesselte Luft.

Ein Knäuel von Männern und Weibern wälzte sich mit lautem Gebrüll durch die Tempelhalle.

Ohne Takt oder Rhythmus gellte die Flöte, klirrten die Becken, dröhnte das Trommelfell über den Rasenden hin.

Von berauschten Pastophoren waren die Kleider- und Geräthkammern des Tempels geöffnet worden, und die Trunkenen hatten Pantherfelle, wie die Priester sie bei heiligen Handlungen trugen, eherne Opferwagen, hölzerne Bahren, auf denen bei feierlichen Aufzügen die Götterbilder umhergetragen wurden, und andere Dinge herausgerissen.

In dem Saale zur Seite der ausgeraubten Räume waren zahlreiche Studenten und Mädchen zurückgeblieben und bereiteten dort etwas Großes, Köstliches vor und brauchten dazu viel Zeit und Rebensaft.

Die meisten Plünderer hatten sich mit ihrem Raube sogleich in das Hypostyl zurückbegeben und gaben dort wunderliche Dinge zum Besten.

Ein feister Weinbergbesitzer mußte den Vater Dionysos vorstellen und thronte mit bunten Blumengewinden um die nackten Glieder auf einem vierräderigen Opferwagen von schwerem getriebenem Erz. Ein Krug von Alabaster stand zwischen seinen unförmlichen Beinen und sein Schmeerbauch wankte vor Lachen, während ihn eine jauchzende Schaar in wildem Laufe durch die heilige Halle zog.

In toller Erregung, übermannt vom Wahnsinn des Rausches, hatten die Trunkenen die Kleider von sich geworfen, und diese lagen in buntem Gehäufe zwischen den Säulen und in rothen Weinlachen umher. Den Mädchen flatterte das aufgelös'te Haar, in dem welkende Blätter und bunte Blumen ordnungslos hiengen, um die erhitzten Gesichter. Jünglinge, Männer, Alte schwangen sich wie besessen mit Thyrsusstäben und den rohen Symbolen des fruchtspendenden Gottes neben ihnen her.

Einige Priester und Philosophen schrieen in den Wirrwarr hinein, um zur Mäßigung zu mahnen, aber ein trunkener Flötenbläser stellte sich ihnen entgegen, warf den Oberleib zurück und blies so wüthend in die Doppelflöte, welche nun gen Himmel wies, als wolle er die Todten erwecken, und seine Genossin schleuderte das Tambourin auf die lästigen Ruhestifter. Klirrend prallte es an den Schaft einer Säule, fiel einem Opferbeschauer auf den kahlen Kopf und ward von diesem weiter geworfen. Andere Schellenreifen folgten dem ersten, und bald durchschnitt Tambourin auf Tambourin zu Häupten der Trunkenen die Luft.

Jeder wollte einen der Reifen haschen, man sprang ihnen entgegen, balgte sich um sie und schlug mit dem Kalbfell auf den Kopf seines Nachbarn.

Berauschte Mädchen hatten sich auf die Götterbahren geschwungen und kreischten laut, zwischen Angst und Lust aufgeregt, indem wankende Träger sie in raschem Lauf durch die Halle schleppten. Verlor dabei eine der Dirnen den Halt, so wurde sie unter wildem Geschrei und Gelächter aufgefangen und gezwungen, den gefahrbringenden Thron wiederum einzunehmen.

Auch der Wagen mit dem Weingärtner kam zum Scheitern, und zwar durch den Leib eines sinnlos Betrunkenen; aber Niemand richtete das Fuhrwerk auf, und während der unselige Mann vergeblich und mit jammervollem Geheul bestrebt war, sich aus dem Kasten, an dem er festhieng, zu befreien, rissen dreißig Jünglinge den Karren, vor den sie sich gespannt hatten, weiter und an Gorgo vorbei, die mit machtlosem Zorn zusah, wie das harte Erz der über den Boden knirschenden Achsen das edle Mosaikbild inmitten der Halle schnöde zerriß. Endlich gab die eigene Schwere dem Bewußtlosen die Freiheit wieder, und nun rief ihn sein rasendes Gefolge in's Leben zurück, indem es ihn umkehrte und sein wild aussehendes, blutendes Haupt in einen großen Mischkrug tauchte. Um den geretteten Dionysos schwangen sich dann Hunderte in tollem, zügellosem Reigentanz, und weil jedes Kalbfell in den Tambourins zerrissen und den Flötenbläsern der Athem ausgegangen war, schlugen trunkene Gesellen mit den Thyrsusstäben im Takt an die Säulen, und drei Studenten stießen wie besessen in die ehernen Tuben, welche sie unter dem Tempelgeräthe gefunden hatten.

Aber gegen diesen Lärm erhob sich vielfacher Widerspruch.

Zunächst trat ihm eine fromme Schaar entgegen, welche in der Nähe des Serapisbildes mit verhülltem Haupte einem Magier Beschwörungen nachsprach und jammervoll heulte, dann geboten ihm Redner Halt, welche es verstanden hatten, einige Zuhörer um sich zu sammeln, und endlich Schauspieler und Sänger, die sich in der Vorhalle zusammengethan hatten, um ein Satyrspiel aufzuführen, welches freilich so wüst und geistlos war, daß ihm die Tubabläser nur geringes Unrecht gethan hatten.

Als den Mimen der Einspruch nichts half, stürzten sie aus der Vorhalle in das Hypostyl und suchten die Ruhestörer mit Gewalt zum Schweigen zu bringen.

Eine wüste Schlägerei entspann sich, aber die Streitenden wurden bald von Anderen auseinander gerissen, und nun sanken die Schauspieler und ihre Gegner einander in die Arme, und ein homerischer Dichter, welcher für diesen Abend eine Elegie auf die »von den Heerschaaren des Aberglaubens bedrängten Götter« aus lauter Versen, welche der Ilias und Odyssee entnommen waren, zusammengesetzt hatte, nahm die günstige Gelegenheit wahr und begann schon lesend den Lärm zu überschreien, als die wohlgelungene Frucht der Arbeit bei den Geräthkammern, alles Andere überbietend, in die Basilika einzog.

Ein Sturm von Jubel und Beifall erhob sich. Auch der Trunkenste lallte ein Wort des Entzückens, und es wurde hier in der That den berauschten Blicken ein schönes und farbenreiches Bild dargeboten.

Auf dem hohen Gestell, welches ein kleineres Serapisbild und die heiligen Symbole des Gottes bei großen Festen zu tragen bestimmt war, wurde Glycera, die schönste Hetäre der Stadt, von jubelnden Jünglingen im Triumph durch den Saal gerollt.

Sie lag in einer großen hölzernen Mulde, welche eine Muschel darstellen sollte, auf dem Gipfel des Gerüstes, und auf den niederen Stufen desselben saßen überall anmuthige Mädchen und winkten mit zierlichen und zugleich üppigen Bewegungen bald ihr, bald den Festgenossen zu, welche die Blumen, die sie warfen, aufzufangen und einander in verliebtem Eifer streitig zu machen suchten. Jeder hatte in der schönen Hetäre sogleich die schaumgeborene Aphrodite erkannt, und sie wurde wie aus einem Munde als Königin der Welt begrüßt und gefeiert.

Schnell schaarte man sich zusammen, um ihr Spenden auszugießen, und sie mit lautem Gesang Hand in Hand und im Schwindel erregenden Tanzschritt wild zu umkreisen.

»Zum Serapis mit ihr! Vermählen wir sie mit dem Gotte!« schrie ein trunkener Student. »Die himmlische Liebe ist seine Braut!«

»Zum Serapis!« schrieen Andere ihm nach. »Glycera feiert mit dem Gotte in dieser Nacht Hochzeit!«

Und nun bewegte sich der bunte, tobende Haufe dem Bilde hinter dem Riesenvorhang entgegen und mit ihm das hochragende Gestell mit dem schönen, lachenden Weibe und seinem üppigen Gefolge.

Das Wetterleuchten und der in der Ferne rollende Donner war bisher unbeachtet geblieben, nun aber zuckte ein blendendes Licht durch die Halle und zugleich mit ihm erschütterte rasselnd, krachend und dröhnend ein Donnerschlag die entheiligte Wohnung des Gottes. Schwefeliger Dunst drang durch die Fensteröffnungen unter der Decke, und dem ersten Blitze folgte schnell ein zweiter, und dieser schien die Wölbung des Himmels gesprengt zu haben, denn es folgte ihm ein schmetternder, Ohr und Sinne betäubender Lärm, ein so gräßliches Tosen und Gellen, als sei das metallene Getäfel des Firmaments auseinander geborsten und in jähem Falle auf die Erde, auf Alexandria, auf das Serapeum niedergekracht.

Mit wüthendem Ungestüm entlud sich die ungeheure Gewalt des afrikanischen Gewitters, und die Tobenden verstummten, den bebenden Zechern entsank der Pokal, die glühenden Wangen erblichen, die Hände der Tanzenden lös'ten sich und hoben sich flehend nach oben, und die johlenden, lästernden Lippen murmelten Gebet und Beschwörung. Die Dirnen im Gefolge der Venus sprangen zitternd von dem Gerüst, und die schaumgeborene Aphrodite in der Muschel versuchte sich aus den Schleiern und Blumengewinden, von denen sie umhüllt war, loszumachen, und erhob, als es ihr nicht gelingen wollte, eine untere Stufe des Gestells zu erreichen, ein lautes Jammergeschrei. Andere Stimmen mischten sich heulend, fluchend und klagend in die ihre; denn durch die unverkleideten Fensteröffnungen spritzte und goß der Wolkenbruch erkaltendes Naß in die Hallen und auf die erhitzten Glieder der trunkenen Orgiasten.

Der Sturm durchheulte die weiten Räume des Serapeums, Blitz und Donner tobten fort in ungebrochener Kraft, und wie Ameisen, deren Haufe zerstört ward, wimmelten die entsetzten, ernüchterten Zecher ruhelos, außer sich durcheinander.

Und in dies Getümmel stürzte Orpheus, der Sohn des Karnis, welcher bis dahin auf dem Dache Wache gehalten, und schrie: »Die Welt geht unter, der Himmel hat sich geöffnet! Mein Vater, wo ist mein Vater?!«

Und Jeder glaubte ihm und riß die Kränze herunter, raufte sich das Haar und überließ sich wilder Verzweiflung.

Wimmernd und heulend, wüthend und fassungslos rief es Einer dem Andern zu, und ohne Hoffnung auf ein Morgen oder eine nächste Stunde dachte doch Jeder nur an sich, sein Gewand, und wie er den nackten, von Angst und Frost durchschüttelten Leib berge und vor Erkältung bewahre.

In das wüste Gebalge um die abgeworfenen Kleider mischte sich lautes Stöhnen, jämmerliches Gewimmer, zeterndes Weibergeschrei und das Gebrüll der Unglücklichen, die der panische Schrecken ergriffen.

Es war ein klägliches, Mitleid und Abscheu erregendes Schauspiel: Gorgo sah ihm zu und biß die Zähne vor Scham und Zorn auf einander und wünschte das eigene und das Ende der Welt herbei wie eine Erlösung.

Diese Wahnwitzigen, diese Elenden, diese feigen Wichte, diese Thiere in Männer- und Weibergestalt verdienten nichts Besseres, als zu Grunde zu gehen; aber war es denn denkbar, daß der Gott um dieses verabscheuungswürdigen Gesindels willen die weise und schön geordnete Welt in Stücke zerbrach?

Es blitzte und donnerte nach wie vor um sie her, die Grundfesten des Tempels erbebten, aber sie glaubte nicht mehr an das Ende der Dinge, glaubte nicht mehr an die Größe, Hoheit und Reinheit des Gottes dort hinter dem Vorhang.

Mit glühenden Wangen, roth vor Scham, empfand sie es wie eine Schmach, zu seinen Getreuen gerechnet zu werden, und als das Geheul der verzweifelnden Menge immer lauter und kläglicher an ihr Ohr drang, trat Konstantin's ernste, furchtlose Männergestalt in ihrer ganzen Kraft und Schönheit vor ihre Seele.

Sie war die Seine, ganz und auf immer die Seine, und in Zukunft wollte sie, an seine Brust geschmiegt, mit ihm Alles theilen: seine Liebe, sein Haus, seine Würde und auch seinen Gott.


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