Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Vierter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Haydee.

Kaum lenkte der Wagen um die Ecke, als sich Albert mit einem Gelächter, das zu lärmend war, um natürlich zu sein, an den Grafen wandte und sagte: Ich frage Sie, wie Karl IX. nach der Bartholomäus-Nacht Katharina von Medici fragte: Wie habe ich meine Rolle gespielt?

In welcher Hinsicht?

Hinsichtlich der Einsetzung meines Nebenbuhlers bei Herrn Danglars . . .

Welches Nebenbuhlers?

Bei Gott! Ihres Schützlings, des Herrn Cavalcanti.

Oh! keine schlechten Späße, Vicomte, Andrea ist nicht mein Schützling, am wenigsten bei Herrn Danglars.

Und das würde ich Ihnen zum Vorwurf machen, wenn der junge Mann eines Schutzes bedürfte; doch zu meinem Glücke kann er dessen entbehren.

Wie, Sie glauben, er mache den Hof?

Ich stehe Ihnen dafür; er seufzt, wälzt die Augen im Kopfe umher und gibt verliebte Töne von sich, kurz, er strebt mit allen Mitteln nach der Hand der stolzen Eugenie.

Was tut's, wenn man nur an Sie denkt!

Sagen Sie das nicht, lieber Graf, man stößt mich von zwei Seiten zurück.

Wie, von zwei Seiten?

Fräulein Eugenie hat mir kaum geantwortet, und Fräulein d'Armilly, ihre Vertraute, gar nicht.

Ja . . . aber der Vater betet Sie an . . .

Er? im Gegenteil, er hat mir tausend Dolche ins Herz gestoßen; Dolche, die in das Heft zurückfuhren, Theaterdolche, die er aber für wahr und wirklich hielt.

Die Eifersucht deutet Zuneigung an.

Ja, doch ich bin nicht eifersüchtig.

Er ist es!

Auf wen, auf Debray?

Nein, auf Sie.

Auf mich? Ich wette, daß er mir, ehe acht Tage vergehen, die Tür vor der Nase zumacht.

Sie täuschen sich, lieber Vicomte.

Haben Sie einen Beweis?

Wollen Sie ihn?

Ja.

Ich bin beauftragt, den Herrn Grafen von Morcerf zu bitten, einen entscheidenden Schritt bei dem Baron zu tun.

Nicht wahr, das werden Sie nicht tun, lieber Graf?

Sie täuschen sich, Albert, ich werde es tun, da ich es versprochen habe.

Es scheint, es ist Ihnen alles daran gelegen, mich zu verheiraten, versetzte Albert mit einem Seufzer.

Es liegt mir daran, mit jedermann gut zu stehen. Aber, sagen Sie mir, was ist das eigentlich mit Debray? Ich sehe ihn nicht mehr bei der Baronin.

Es hat Streit gegeben.

Mit ihr?

Nein, mit dem Baron.

Er hat also etwas bemerkt?

Sie scherzen!

Glauben Sie, er habe es vermutet? versetzte Monte Christo naiv.

Ei, woher kommen Sie denn, lieber Graf?

Vom Kongo, wenn Sie wollen.

Das ist noch nicht fern genug.

Kenne ich die Pariser Ehemänner?

Die Ehemänner sind überall dieselben. Wenn Sie sie in irgend einem Lande studiert haben, kennen Sie das ganze Geschlecht.

Doch was konnte denn Danglars und Debray entzweien? Sie schienen sich so gut zu verstehen, sagte Monte Christo mit gleicher Naivität.

Ah! wir kommen zu den Geheimnissen der Isis, und ich bin nicht eingeweiht. Wenn Herr Cavalcanti Sohn zur Familie gehört, so fragen Sie ihn danach.

Der Wagen hielt an.

Wir sind an Ort und Stelle, sagte Monte Christo, es ist erst halb elf Uhr, kommen Sie mit herauf, mein Wagen wird Sie zurückfahren.

Ich danke, mein Coupé muß uns gefolgt sein.

In der Tat, hier ist es, sagte Monte Christo und sprang zu Boden.

Beide traten in das Haus. Lassen Sie uns Tee machen, Baptistin, sagte Monte Christo, sobald sie im hell beleuchteten Salon waren.

Baptistin entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Wenige Sekunden nachher erschien er wieder mit Tee und allem erdenklichem Zubehör.

In der Tat, mein lieber Graf, was ich an Ihnen bewundere, ist nicht Ihr Reichtum, es gibt vielleicht reichere Leute als Sie; es ist nicht Ihr Geist, Beaumarchais hatte nicht mehr, aber ebensoviel. Es ist die Art und Weise, wie Sie auf die Sekunde bedient werden, als ob man schon an Ihrem Läuten erriete, was Sie zu haben wünschen, und als ob das, was Sie haben wollen, stets bereit wäre.

An dem, was Sie sagen, ist etwas Wahres. Man kennt meine Gewohnheiten. Passen Sie auf! Wünschen Sie nicht irgend etwas zu tun, während Sie Tee trinken?

Bei Gott! ich wünsche zu rauchen.

Monte Christo näherte sich dem Glöckchen und tat einen Schlag.

Nach einer Sekunde öffnete sich eine besondere Tür, und Ali erschien mit zwei mit vortrefflichem Latakie gestopften Tschibuks.

Das ist wunderbar, sagte Morcerf.

Nein, das ist ganz einfach, versetzte Monte Christo. Ali weiß, daß ich gewöhnlich rauche, wenn ich Kaffee oder Tee trinke; er weiß, daß ich Tee verlangt habe; er weiß, daß ich mit Ihnen nach Hause gekommen bin, er hört, daß ich rufe, er vermutet die Ursache, und da er aus einem Lande stammt, wo die Gastfreundschaft besonders mittels der Pfeife geübt wird, so bringt er statt eines Tschibuks zwei.

Das ist allerdings eine gute Erklärung; darum scheint es mir aber nicht minder wahr, daß nur Sie . . . Doch was höre ich?

Morcerf neigte sich nach der Tür, durch welche Töne wie von einer Guitarre drangen.

Meiner Treu, lieber Vicomte, Sie sind heute ein Opfer der Musik; Sie entgehen dem Piano Fräulein Danglars' nur, um in Haydees Guzla zu fallen.

Haydee! welch bewunderungswürdiger Name! Es gibt also wirklich auch außer in Lord Byrons Gedichten Frauen, die Haydee heißen?

Gewiß; Haydee ist ein in Frankreich sehr seltener, doch in Albanien und Epirus sehr gewöhnlicher Vorname, es ist, wie wenn man zum Beispiel sagte: Keuschheit, Schamhaftigkeit, Unschuld.

Oh! wie reizend! rief Albert; wie gern hörte ich unsere Französinnen sich Fräulein Güte, Fräulein Schweigen, Fräulein Nächstenliebe nennen! Wie wirkungsvoll müßte es sein, wenn es bei einem Heiratsaufgebot, statt Claire Marie Eugenie, Fräulein Keuschheit-Schamhaftigkeit-Unschuld Danglars heißen würde!

Sie sind verrückt! sagte der Graf; reden Sie nicht so laut! Haydee könnte es hören.

Und sie würde sich darüber ärgern?

Nein, sagte der Graf kalt.

Sie ist gut?

Es ist nicht Güte, es ist Pflicht; eine Sklavin ärgert sich nicht über ihren Herrn.

Scherzen Sie nicht! Es gibt keine Sklavinnen mehr!

Sicher, da Haydee die meinige ist.

In der Tat, Sie tun nichts und haben nichts, wie andere Menschen. Sklavin des Grafen Monte Christo! Das ist auch eine Stellung. Nach der Art und Weise, wie Sie das Geld in Bewegung setzen, muß es ein Platz sein, der hunderttausend Taler jährlich einträgt.

Hunderttausend Taler! Die Arme hat mehr als dies besessen. Die Schätze ihres Vaters konnten den Vergleich mit denen aus Tausendundeiner Nacht aushalten.

Sie ist also wirklich von Geburt eine Prinzessin?

Gewiß, und zwar eine der reichsten ihres Landes.

Ich vermutete es. Doch wie ist aus der vornehmen Prinzessin eine Sklavin geworden?

Wie ist Dionys, der Tyrann von Syrakus, Schulmeister geworden? Der Zufall des Krieges, lieber Vicomte, die Laune des Schicksals.

Und ihr Name ist ein Geheimnis?

Ja, für alle, aber nicht für Sie, lieber Vicomte, der Sie zu meinen Freunden gehören, und der Sie schweigen, nicht wahr, wenn Sie mir zu schweigen versprechen?

Bei meinem Ehrenwort.

Sie kennen die Geschichte des Paschas von Janina?

Von Ali Tependelini? Ganz gewiß, denn mein Vater hat in seinen Diensten sein Glück gemacht.

Es ist wahr, ich hatte es vergessen.

Nun, in welcher Beziehung steht Haydee zu Ali Tependelini?

Sie ist ganz einfach seine Tochter.

Wie, die Tochter von Ali Pascha?

Ja, von der schönen Wasiliki.

Und sie ist Ihre Sklavin?

Mein Gott, ja!

Wie ist dies zugegangen?

Als ich eines Tages über den Markt von Konstantinopel ging, kaufte ich sie.

Das ist herrlich! Bei Ihnen, lieber Graf, lebt man nicht, sondern träumt. Doch hören Sie, was ich Sie nun fragen werde, ist sehr unbescheiden.

Sprechen Sie immerhin.

Da Sie mit ihr ausgehen, da Sie Haydee in die Oper führen, so kann ich mich wohl erdreisten . . .

Sie können sich erdreisten, alles von mir zu verlangen.

Wohl, lieber Graf, stellen Sie mich Ihrer Prinzessin vor.

Gern; doch unter zwei Bedingungen.

Ich nehme sie zum voraus an.

Einmal dürfen Sie diese Vorstellung niemand mitteilen.

Sehr gut. Ich schwöre.

Und sodann dürfen Sie ihr nicht sagen, Ihr Vater habe dem ihrigen gedient.

Ich schwöre abermals.

Vortrefflich. Vicomte, nicht wahr, Sie werden sich dieser beiden Schwüre erinnern?

Oh! gewiß.

Gut, ich weiß, daß Sie ein Mann von Ehre sind.

Der Graf schlug abermals auf das Glöckchen; Ali erschien.

Melde Haydee, sagte er zu ihm, daß ich den Kaffee bei ihr trinken will, und mache ihr begreiflich, daß ich sie um Erlaubnis bitte, ihr einen von meinen Freunden vorzustellen.

Ali verbeugte sich und trat ab.

Es ist also abgemacht, wandte er sich wieder an Albert, keine unmittelbare Frage, lieber Vicomte. Wenn Sie etwas wissen wollen, so fragen Sie mich, und ich werde Haydee fragen.

Abgemacht!

Ali erschien zum dritten Male und hielt den Türvorhang aufgehoben, um seinem Herrn und Albert anzudeuten, daß sie kommen könnten.

Treten wir ein! sagte Monte Christo.

Albert fuhr mit der Hand in seine Haare und kräuselte seinen Schnurrbart. Der Graf nahm seinen Hut, zog seine Handschuhe an und ging Albert in die Wohnung voran, die von Ali wie von einem Vorposten bewacht und von den drei Myrtho untergebenen französischen Kammerfrauen verteidigt wurde.

Haydee wartete im ersten Zimmer, dem Salon, mit großen Augen, in denen sich das Erstaunen deutlich ausprägte, denn es geschah zum erstenmal, daß ein anderer Mann als Monte Christo zu ihr drang. Sie saß mit gekreuzten Beinen in der Ecke eines Sofas wie in einem Nest aus den reichsten gestickten und gestreiften orientalischen Seidenstoffen; neben ihr lag das Instrument, dessen Töne sie verraten hatten. Sie war reizend anzuschauen.

Als sie Monte Christo erblickte, stand sie auf, mit dem doppelten Lächeln der Tochter und der Liebenden, das nur ihr eigen war; Monte Christo ging auf sie zu und reichte ihr seine Hand, auf die sie, wie gewöhnlich, ihre Lippen drückte.

Albert war beim Anblick dieser seltsamen Schönheit, die er zum erstenmal sah, und von der sich ein Franzose keinen Begriff machen konnte, bei der Tür stehen geblieben.

Wen bringst du? fragte das Mädchen in neugriechischer Sprache, einen Bruder, einen Freund, einen Bekannten oder einen Feind?

Einen Freund, antwortete Monte Christo in derselben Sprache.

Wie heißt er?

Graf Albert, derselbe, den ich in Rom den Händen der Banditen entrissen habe.

In welcher Sprache soll ich mit ihm reden?

Monte Christo wandte sich zu Albert und fragte den jungen Mann:

Kennen Sie das Neugriechische?

Ach, nicht einmal das Altgriechische, versetzte Albert; Homer und Plato haben einen erbärmlichen Schüler an mir gehabt.

Nun wohl, sagte Haydee und bewies durch ihre Worte, daß sie Monte Christos Frage und Alberts Antwort gehört und verstanden hatte, ich werde Französisch oder Italienisch sprechen, wenn es überhaupt meines Herrn Wille ist, daß ich spreche.

Monte Christo dachte einen Augenblick nach und erwiderte: Du wirst Italienisch sprechen. Dann sagte er zu Albert: Es ist ärgerlich, daß Sie weder das Neugriechische, noch das Altgriechische verstehen, denn Haydee spricht beides vortrefflich; die Arme ist genötigt, Italienisch mit Ihnen zu reden, was Ihnen vielleicht einen falschen Begriff von ihr geben wird.

Er machte Haydee ein Zeichen.

Sei willkommen, Freund, der du mit meinem Herrn und Gebieter erscheinst, sagte das Mädchen in vortrefflichem Toskanisch und mit weichem, römischem Akzent. Ali, Kaffee und Pfeifen!

Monte Christo zeigte Albert zwei Stühle, die sie an ein mit natürlichen Blumen, Zeichnungen und Musikalien bedecktes Tischchen rückten.

Ali kehrte bald mit dem Kaffee und den Tschibuks zurück; Baptistin war das Betreten dieses Teils der Wohnung verboten.

Albert wies die Pfeife zurück, die ihm der Nubier bot.

Oh! nehmen Sie, nehmen Sie, sagte Monte Christo; Haydee ist beinahe ebenso zivilisiert wie eine Pariserin; eine Havanna ist ihr unangenehm, weil sie die schlechten Gerüche nicht liebt, doch der orientalische Tabak gibt einen Wohlgeruch, wie Sie wissen.

Ali verließ das Zimmer.

Der Kaffee war zum Genusse völlig bereitet, nur hatte man für Albert eine Zuckerdose zur Verfügung gestellt. Monte Christo und Haydee nahmen den arabischen Trank nach Art der Araber, nämlich ohne Zucker.

Haydee streckte ihre Hand aus und faßte mit der Spitze ihrer zarten, rosigen Finger die Tasse von japanischem Porzellan, die sie mit dem naiven Vergnügen eines Kindes, das Angenehmes ißt oder trinkt, an ihre Lippen führte.

Zu gleicher Zeit traten zwei Frauen ein und brachten zwei andere Platten, beladen mit Eis und Sorbet, die sie auf kleine, eigens dafür bestimmte Tische setzten.

Mein lieber Wirt und Sie, Signora, sagte Albert Italienisch, entschuldigen Sie mein Erstaunen. Ich bin ganz verwirrt, und das ist natürlich; ich finde hier den Orient, den wahren Orient, nicht wie ich ihn gesehen, sondern wie ich ihn geträumt, im Schoße von Paris geträumt habe. Oh! Signora, daß ich nicht Griechisch sprechen kann, Ihre Rede, verbunden mit dieser feenhaften Umgebung, würde für mich einen Abend bilden, dessen ich mich stets erinnern müßte.

Ich spreche gut genug Italienisch, um mich mit Ihnen zu unterhalten, mein Herr, sagte Haydee gelassen, und ich werde nach Kräften dafür sorgen, daß Sie den Orient hier wiederfinden, wenn Sie ihn lieben.

Wovon kann ich mit ihr sprechen? fragte Albert ganz leise Monte Christo.

Wovon Sie wollen, von ihrem Vaterland, von ihrer Jugend, von ihren Erinnerungen, oder wenn Sie lieber wollen, von Rom, von Neapel, von Florenz.

Oh! es wäre nicht der Mühe wert, eine Griechin vor sich zu haben, um mit ihr von dem zu reden, wovon man mit einer Pariserin reden würde; lassen Sie mich mit ihr vom Orient sprechen.

Tun Sie das, mein lieber Albert, es ist für sie die angenehmste Unterhaltung.

Albert wandte sich an Haydee und fragte: In welchem Alter hat Signora Griechenland verlassen?

Mit fünf Jahren.

Und Sie erinnern sich Ihres Vaterlandes?

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich alles wieder, was ich gesehen habe.

Und was ist die fernste Zeit, deren Sie sich erinnern?

Ich konnte kaum gehen; meine Mutter, die Wasiliki hieß – was königlich bedeutet, fügte das Mädchen stolz hinzu – meine Mutter nahm mich bei der Hand, und wir gingen beide, nachdem wir in unsere Börse alles Gold getan hatten, das wir besaßen, mit Schleiern bedeckt umher und forderten mit den Worten: Wer den Armen gibt, leiht dem Ewigen, Almosen für die Gefangenen. Wenn dann unsere Börse voll war, kehrten wir in den Palast zurück und schickten, ohne meinem Vater ein Wort zu sagen, alles Gold, das man uns, im Glauben, wir seien arme Frauen, gegeben hatte, dem Hegumenos des Klosters, der es unter die Gefangenen austeilte.

Wie alt waren Sie damals?

Drei Jahre, sagte Haydee.

Sie erinnern sich also alles dessen, was seit Ihrem dritten Lebensjahre um sie her sich zugetragen hat?

Gewiß.

Graf, sagte leise Morcerf zu Monte Christo, Sie sollten ihr erlauben, uns etwas von ihrer Geschichte zu erzählen. Sie haben mir verboten, von meinem Vater mit ihr zu sprechen, doch vielleicht spricht sie von ihm, und Sie können sich gar nicht denken, wie glücklich ich wäre, seinen Namen aus einem so schönen Munde nennen zu hören.

Monte Christo wandte sich an Haydee und sagte zu ihr mit scharfer Betonung auf griechisch: Erzähle uns das Schicksal deines Vaters, aber nenne nicht den Namen des Verräters.

Haydee stieß einen langen Seufzer aus, und eine düstere Wolke zog über ihre reine Stirn hin.

Was sagen Sie ihr? fragte ganz leise Morcerf.

Ich wiederhole ihr, daß Sie ein Freund von mir sind, und daß sie Ihnen gegenüber nichts zu verbergen habe.

Das ist also Ihre erste Erinnerung? sagte Albert, was schwebt Ihnen sonst noch vor?

Ich sehe mich unter dem Schatten von Ahornbäumen, in der Nähe eines Sees, dessen zitternden Spiegel ich noch durch das Blätterwerk erblicke. An dem ältesten und buschreichsten Baume saß mein Vater auf Kissen, und während meine Mutter zu seinen Füßen lag, spielte ich mit seinem weißen Barte, der bis auf seine Brust herabhing, und mit dem in seinem Gürtel steckenden Kandschar mit dem Diamantgriffe. Von Zeit zu Zeit kam ein Albanese zu ihm und sagte ein Paar Worte, auf die mein Vater gleichmütige Tötet! oder begnadigt! antwortete.

Ich war vier Jahre alt, als ich eines Abends von meiner Mutter aufgeweckt wurde. Wir befanden uns in dem Palaste von Janina; sie nahm mich von den Kissen, auf denen ich ruhte, und als ich die Augen öffnete, sah ich die ihrigen voll schwerer Tränen. Sie trug mich fort, ohne etwas zu sagen. Als ich wahrnahm, daß sie weinte, fing ich ebenfalls an zu weinen. Still, Kind! sagte sie. Trotz der mütterlichen Tröstungen oder Drohungen fuhr ich, launenhaft wie alle Kinder, fort zu weinen; doch schließlich lag in der Stimme meiner armen Mutter ein solcher Ausdruck von Schrecken, daß ich schwieg.

Sie trug mich rasch weiter. Wir stiegen eine breite Treppe hinab; alle Frauen meiner Mutter stiegen oder stürzten vielmehr, Kisten, Säcke, Putzsachen, Juwelen, Goldbörsen tragend, dieselbe Treppe hinab. Hinter den Frauen kam eine Wache von zwanzig Mann, bewaffnet mit langen Flinten und Pistolen.

Glauben Sie, sagte Haydee, den Kopf schüttelnd und schon bei dieser Erinnerung erbleichend, es lag etwas Unseliges in der langen Reihe von Sklaven und Frauen, die halb schlaftrunken waren, – wenigstens bildete ich es mir ein, denn ich hielt vielleicht die andern für schläfrig, weil ich selbst nur halb wach war. Auf der Treppe liefen riesige Schatten, welche der Schein der tannenen Fackeln an den Gewölben zittern ließ. Eilt! rief eine Stimme im Hintergrunde der Galerie. Bei dieser Stimme beugte sich alles, wie der Wind, der über die Ebene hinstreicht, das Ährenfeld sich beugen läßt.

Ich aber zitterte.

Die Stimme war die meines Vaters. Er kam zuletzt in seinen glänzenden Gewändern und den Karabiner in der Hand haltend, den Ihr Kaiser ihm geschenkt hatte. Auf seinen Liebling Selim gestützt, trieb er uns vor sich her, wie ein Hirt seine verirrte Herde.

Mein Vater, fuhr Haydee, das Haupt erhebend, fort, mein Vater war der berühmte Mann, den Europa unter dem Namen Ali Tependelini, Pascha von Janina, gekannt hat, und vor dem die Türken zitterten.

Ohne zu wissen warum, bebte Albert, als er diese Worte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Hoheit und Würde aussprechen hörte. Es kam ihm vor, als strahlte etwas Düsteres, Furchtbares in den Augen des griechischen Mädchens; einer Zauberin ähnlich, die ein Gespenst heraufbeschwört, erweckte Haydee die Erinnerung an die blutige Gestalt, deren gräßlicher Tod sie in den Augen des damaligen Europa riesenhaft erscheinen ließ.

Bald hielt man an, fuhr Haydee fort, wir waren unten an der Treppe und am Rande eines Sees. Meine Mutter drückte mich an ihre pochende Brust, und ich sah zwei Schritte hinter uns meinen Vater, der unruhig nach allen Seiten umherschaute. Vor uns lagen vier Marmorstufen, und unten an der letzten Stufe schaukelte eine Barke. Von dem Orte aus, wo wir waren, sah man mitten im See eine schwarze Masse sich erheben; es war der Kiosk, nach dem wir uns begaben. Dieser Kiosk schien mir sehr weit entfernt zu sein, vielleicht wegen der Dunkelheit. Wir stiegen in die Birke hinab. Außer den Ruderern waren in der Barke nur die Frauen, mein Vater, meine Mutter, Selim und ich. Die Palikaren waren, bereit, den Rückzug zu decken, am Rande des Sees geblieben; sie knieten auf der untersten Stufe und machten sich so für den Fall, daß sie verfolgt würden, einen Wall aus den drei andern. Unsere Barke ging wie der Wind.

Warum geht die Barke so geschwind? fragte ich meine Mutter.

Still, mein Kind! sagte sie, wir fliehen.

Ich begriff das nicht. Warum floh mein Vater? Er, der Allmächtige, vor dem gewöhnlich die andern flohen, er, dessen Wahlspruch es war: Sie mögen mich hassen, wenn sie mich nur fürchten!

Es war aber in der Tat eine Flucht. Man sagte mir seitdem, eines langen Dienstes müde, habe die Garnison von Janina . . .

Hier heftete Haydee ihren ausdrucksvollen Blick auf Monte Christo, dessen Augen die ihrigen nicht mehr verließen. Das Mädchen fuhr langsam fort, wie jemand, der erfindet oder unterdrückt.

Sie sagten, Signora, erinnerte Albert, der mit der größten Aufmerksamkeit dieser Erzählung zuhörte, des langen Dienstes müde, habe die Garnison von Janina . . .

Mit dem Seraskier Kurschid unterhandelt, der von dem Sultan abgeschickt war, meinen Vater festzunehmen. Damals faßte mein Vater den Entschluß, nachdem er an den Sultan einen fränkischen Offizier, dem er sein ganzes Zutrauen schenkte, abgeschickt hatte, sich nach dem Asile zurückzuziehen, das er sich seit langer Zeit bereitet hatte.

Und Sie erinnern sich des Namens dieses Offiziers?

Nein, ich entsinne mich dessen nicht, antwortete Haydee, durch einen Blick des Grafen gewarnt, doch er wird mir vielleicht später einfallen, und ich werde ihn dann nennen.

Albert wollte den Namen seines Vaters aussprechen, als Monte Christo langsam den Finger aufhob; der junge Mann erinnerte sich seines Schwures und schwieg.

Wir segelten auf den Kiosk zu. Ein mit Arabesken verziertes Erdgeschoß badete seine Terrassen im Wasser; dieses Erdgeschoß und ein Stockwerk darüber war alles, was der Palast den Augen Sichtbares bot. Aber unter dem Erdgeschosse war, sich nach der Insel ausdehnend, ein Gewölbe, eine weite Höhle, in die man uns, meine Mutter, mich und unsere Frauen, führte und wo auf einem einzigen Haufen sechzigtausend Beutel und zweihundert Fässer lagen. In diesen Beuteln waren fünfundzwanzig Millionen in Gold, in den Fässern dreißigtausend Pfund Pulver enthalten. Bei den Fässern stand Selim, der von mir erwähnte Liebling meines Vaters. Er wachte Tag und Nacht, mit einem Spieße in der Hand, an dessen Ende eine Lunte brannte, und hatte Befehl, auf das erste Zeichen meines Vaters alles, Kiosk, Waffen, Pascha, Frauen und Gold, in die Luft zu sprengen.

Ich kann nicht sagen, wie lange wir so blieben; zuweilen, jedoch selten, ließ mein Vater mich und meine Mutter auf die Terrasse des Palastes rufen; das waren die festlichsten Stunden für mich. Mein Vater heftete beständig seinen düsteren Blick in den Umkreis des Horizontes und befragte jeden schwarzen Punkt, der auf dem See erschien, während meine Mutter in halb liegender Stellung ihren Kopf auf seine Schulter stützte und ich, zu seinen Füßen spielend, mit erstaunten Kinderaugen, welche die Gegenstände noch vergrößern, die Abdachungen des am Horizont sich erhebenden Pindus betrachtete. Aus dem blauen Wasser des Sees traten weiß und eckig die Schlösser von Janina und die ungeheuren, schwarzgrünen Baumgruppen, die wie Schlingpflanzen am Gebirge hingen und aus der Ferne wie Moose aussahen.

Eines Morgens ließ uns mein Vater holen; meine Mutter hatte die ganze Nacht geweint; wir fanden ihn ziemlich ruhig, aber bleicher als gewöhnlich.

Fasse Geduld, Wasiliki, sagte er, heute wird alles vorüber sein; heute kommt der Ferman des Herrn, und mein Schicksal entscheidet sich. Bin ich völlig begnadigt, so kehren wir nach Janina zurück, ist die Nachricht schlimm, so fliehen wir in dieser Nacht.

Aber wenn sie uns nicht fliehen lassen? entgegnete meine Mutter.

Oh, sei unbesorgt! sagte Ali lächelnd; Selim und seine Lunte haften mir dafür. Es wäre ihnen lieb, wenn ich sterben müßte, doch nicht, wenn sie mit mir sterben müssen.

Meine Mutter antwortete auf diese Tröstungen, die nicht aus dem Herzen meines Vaters kamen, nur durch Seufzer. Sie bereitete ihm das Eiswasser, das er jeden Augenblick trank, denn seit dem Rückzuge nach dem Kiosk verzehrte ihn ein glühendes Fieber; sie zündete den Tschibuk an, dessen in der Luft verfliegendem Rauche seine zerstreuten Blicke zuweilen ganze Stunden lang folgten.

Plötzlich machte er eine so ungestüme Bewegung, daß mir bange wurde. Dann verlangte er, ohne die Augen von dem Gegenstand abzuwenden, der seine Aufmerksamkeit fesselte, ein Fernglas.

Meine Mutter, bleicher als die Wand, an die sie sich lehnte, gab es ihm.

Ich sah die Hand meines Vaters zittern. Eine Barke! . . . zwei . . . drei . . . murmelte mein Vater; vier! . . . und er stand auf und ergriff seine Waffen und schüttete, wie ich mich genau erinnere, Pulver auf die Pfannen seiner Pistolen.

Wasiliki, sagte er bebend zu meiner Mutter, der entscheidende Augenblick ist gekommen; in einer halben Stunde wissen wir die Antwort des Großherrn; begib dich mit Haydee in das unterirdische Gewölbe.

Ich will Euch nicht verlassen, entgegnete Wasiliki, sterbt Ihr, Herr, so will ich mit Euch sterben.

Geht zu Selim, rief mein Vater.

Gott befohlen, Herr! murmelte meine Mutter, gehorchend und wie gelähmt, als nahte ihr der Tod.

Ich aber lief auf meinen Vater zu und streckte meine Arme nach ihm aus; er sah mich, neigte sich auf mich herab und drückte meine Stirn an seine Lippen. Oh! dieser Kuß war der letzte, und ich fühle ihn noch hier auf meiner Stirn.

Beim Hinabsteigen erblickten wir durch die Gitter der Terrasse die Barken, die auf dem See immer größer wurden, und kaum erst schwarzen Punkten ähnlich, nun bereits die Oberfläche der Wellen streifenden Vögeln glichen. Zu den Füßen meines Vaters sitzend und durch das Geräusch verborgen, beobachteten mittlerweile zwanzig Palikaren mit blutigem Auge die Ankunft der Schiffe und hielten ihre langen, mit Perlmutter und Silber eingelegten Flinten bereit. Patronen lagen in großer Anzahl auf dem Boden zerstreut; mein Vater schaute auf seine Uhr und ging ängstlich hin und her. Meine Mutter und ich gingen durch das unterirdische Gewölbe. Selim war immer noch an seinem Posten; er lächelte uns traurig zu, und obgleich noch Kind, fühlte ich doch, daß eine große Gefahr über unsern Häuptern schwebte.

Albert hatte oft, nicht von seinem Vater, der nie darüber sprach, sondern von Fremden die letzten Augenblicke des Wesirs von Janina erzählen hören; doch diese durch die Person und die Stimme des Mädchens zu neuem Leben erweckte Geschichte, der gefühlvolle Ausdruck, die klagende Elegie durchdrangen ihn zugleich mit einem unbeschreiblichen Zauber und mit einem unaussprechlichen Schmerz.

Ganz ihren furchtbaren Erinnerungen hingegeben, hatte Haydee einen Augenblick zu sprechen aufgehört; wie eine Blume, die sich vor dem Sturme neigt, beugte sich ihre Stirn auf die Hand, und ihre im weiten Raume verlorenen Augen schienen noch am Horizont den grünen Pindus und die blauen Wasser des Sees zu schauen, der, ein magischer Spiegel, das düstere Gemälde, das sie entwarf, widerstrahlte.

Monte Christo schaute sie voll Teilnahme und Mitleid an.

Endlich erhob Haydee die Stirn und fuhr fort: Es war vier Uhr abends; aber obgleich der Tag außen rein und glänzend war, blieben wir doch in den Schatten des unterirdischen Gewölbes versenkt. Ein einziger Schein glänzte in der Höhle, ähnlich einem am Grunde eines schwarzen Himmels zitternden Stern, es war Selims Lunte. Meine Mutter war eine Christin und betete. Selim wiederholte von Zeit zu Zeit die geheiligten Worte: Allah ist groß! Meine Mutter hatte jedoch noch einige Hoffnung. Als sie hinabstieg, hatte sie den Franken zu erkennen geglaubt, den man nach Konstantinopel geschickt, und in den mein Vater sein ganzes Vertrauen setzte, denn er wußte, daß die Soldaten des französischen Sultans gewöhnlich edel und hochherzig sind. Sie ging einige Schritte zur Treppe hin und horchte. Sie nahen, sagte sie; wenn sie nur den Frieden und das Leben bringen! Was befürchtest du, Wasiliki, entgegnete Selim mit seiner zugleich weichen und stolzen Stimme; bringen sie uns nicht den Frieden, so geben wir ihnen den Krieg; bringen sie uns nicht das Leben, so geben wir ihnen den Tod. Und er fachte die Flamme seines Spießes von neuem an. Aber ich, die noch ganz Kind war, fürchtete mich vor diesem Mute, den ich wild und unsinnig fand, und erschrak vor dem furchtbaren Tode in der Luft und in den Flammen. Meine Mutter mußte wohl dasselbe empfinden, denn ich fühlte ihre Hand beben.

Mein Gott! mein Gott! Mama, rief ich, müssen wir sterben? Und bei dem Tone meiner Stimme verdoppelten sich die Tränen und die Gebete der Sklavinnen. Kind, sagte meine Mutter, Gott behüte dich, daß du dir je den Tod wünschest, vor dem dir heute bange ist!

Selim, sagte sie, wie lautet der Befehl des Herrn?

Schickt er mir seinen Dolch, so weigert sich der Sultan, ihn in Gnade zu empfangen, und ich lege Feuer an; schickt er mir seinen Ring, so verzeiht ihm der Sultan, und ich lösche meine Flamme aus.

Freund, versetzte meine Mutter, wenn der Befehl des Herrn kommt er schickt dir den Dolch, so reichen wir dir, statt eines Todes zu sterben, der uns erschreckt, die Brust, und du tötest uns mit diesem Dolche.

Ja, Wasiliki, antwortete Selim ruhig.

Plötzlich vernahmen wir ein Geschrei; wir horchten: es war ein Freudengeschrei; der Name des Franken, den man nach Konstantinopel, geschickt, erscholl wiederholt aus dem Munde unserer Palikaren; offenbar brachte er die Antwort des Großherrn, und die Antwort lautete günstig.

Und Sie erinnern sich dieses Namens nicht? fragte Morcerf.

Monte Christo machte ihr ein Zeichen.

Ich erinnere mich seiner nicht, sagte Haydee.

Der Lärm vermehrte sich, es erschollen immer näher kommende Tritte; man stieg die Stufen des unterirdischen Gewölbes hinab. Selim hielt seinen Spieß bereit. Bald erschien ein Schatten in der bläulichen Dämmerung, mit welcher die durch den Eingang des unterirdischen Gewölbes eindringenden Strahlen den Raum erfüllten. Wer bist du? rief Selim. Wer du auch sein magst, tue keinen Schritt weiter.

Ehre dem Sultan! sagte der Schatten. Dem Wesir Ali ist volle Begnadigung zugestanden, und man hat ihm nicht nur das Leben gesichert, sondern man gibt ihm auch sein Vermögen und seine Güter zurück. Meine Mutter stieß einen Freudenschrei aus und drückte mich an ihr Herz. Halt! sagte Selim, als er sah, daß sie forteilen wollte, du weißt, daß ich den Ring haben muß.

Es ist richtig, sagte meine Mutter, und fiel auf die Knie und hob mich betend zum Himmel empor.

Wieder schwieg Haydee, von einer so furchtbaren Erschütterung überwältigt, daß ihr der Schweiß von der bleichen Stirn floß und ihre zusammengepreßte Stimme nicht mehr durch die Kehle dringen zu können schien. Monte Christo goß ein wenig Eiswasser in ein Glas, bot es ihr und sprach mit weichem, aber doch auch ein wenig gebieterischem Tone: Mut gefaßt, meine Tochter!

Haydee trocknete ihre Augen und fuhr fort: An die Dunkelheit gewöhnt, hatten mittlerweile unsere Augen den Abgesandten des Paschas erkannt; es war ein Freund. Selim hatte ihn ebenfalls wahrgenommen, doch der brave junge Mann kannte nur eines: Gehorsam.

In wessen Namen kommst du? fragte er.

Ich komme im Namen deines Herrn, Ali Tependelini.

Wenn du im Namen Alis kommst, so weißt du, was du mir zu übergeben hast.

Ja, sagte der Abgeordnete, ich bringe dir seinen Ring.

Gleichzeitig hob er seine Hand empor, aber er stand zu weit entfernt, und es war nicht hell genug, als daß Selim den Gegenstand, den er ihm zeigte, zu unterscheiden vermochte. Ich weiß nicht, was du in der Hand hältst, sagte Selim.

Nähere dich! sagte der Bote, oder ich werde mich dir nähern.

Weder das eine noch das andere, entgegnete der junge Soldat, lege auf die Stelle, wo du bist, und unter den Lichtstrahl den Gegenstand, den du mir zeigst, und ziehe dich zurück, bis ich ihn gesehen habe.

Es sei, sagte der Bote.

Und er zog sich zurück, nachdem er das Erkennungszeichen niedergelegt hatte. Unser Herz schlug gewaltig, denn es schien wirklich ein Ring zu sein. Nur fragte es sich, ob es der Ring meines Vaters war. Beständig die angezündete Lunte in der Hand haltend, ging Selim an die Öffnung, bückte sich unter den Lichtstrahl und hob das Zeichen auf. Der Ring des Herrn, sagte er, ihn küssend, es ist gut! Und die Lunte auf den Boden werfend, trat er darauf und löschte sie aus. Der Bote stieß einen Freudenschrei aus und klatschte in die Hände.

Auf dieses Zeichen liefen vier Soldaten des Seraskiers Kurschid herbei, und Selim stürzte, von fünf Dolchstößen durchbohrt, nieder.

Jeder hatte ihm einen Stoß versetzt. Und trunken von ihrem Verbrechen, obgleich noch bleich vor Schrecken, stürzten sie in das Gewölbe, suchten überall, ob Feuer da wäre, und wälzten sich auf den Goldsäcken.

Mittlerweile faßte mich meine Mutter in ihre Arme und gelangte zu einer Geheimtreppe des Kiosks, in dem ein furchtbarer Aufruhr herrschte. Die unteren Säle waren ganz gefüllt von den Tschodoars von Kurschid, das heißt von unseren Feinden. In dem Augenblick, wo meine Mutter die kleine Tür aufstoßen wollte, hörten wir furchtbar und drohend die Stimme des Paschas ertönen. Meine Mutter hielt ihr Auge an eine Spalte in den Brettern; auch ich fand eine und blickte hindurch.

Was wollt ihr? sagte mein Vater zu den Leuten, die ein Papier mit goldenen Buchstaben in der Hand hielten.

Was wir wollen? entgegnete einer von ihnen, dir den Willen Seiner Hoheit mitteilen. Siehst du diesen Ferman?

Ich sehe ihn.

So lies; er fordert deinen Kopf.

Mein Vater brach in ein Gelächter aus, das furchtbarer war, als irgend eine Drohung hätte sein können; doch er hatte noch nicht zu lachen aufgehört, als bereits von zwei Pistolenschüssen aus seinen Händen zwei Männer tot niedergestreckt waren. Die Palikaren, die, mit dem Gesicht zur Erde, um meinen Vater lagen, erhoben sich und gaben Feuer, das Gemach füllte sich mit Geschrei, Flammen und Rauch. Auf der Stelle begann das Feuer von der andern Seite, und die Kugeln durchlöcherten die Bretter um uns her. Oh! wie schön, wie groß er war, der Wesir Ali Tependelini, mein Vater, mitten unter den Kugeln, den Säbel in der Faust, das Gesicht von Pulver geschwärzt! Wie seine Feinde flohen!

Selim! Selim! schrie er, Feuerwächter, tu deine Pflicht!

Selim ist tot, antwortete eine Stimme, die aus den Tiefen des Kiosks zu kommen schien, und du, Herr, bist verloren!

Gleichzeitig vernahm man einen dumpfen Ton, und der Boden flog um meinen Vater in Stücke. Die Tschodoars schossen durch den Boden, und drei oder vier Palikaren brachen, schrecklich verwundet, zusammen. Mein Vater brüllte, streckte seine Finger durch die von den Kugeln gemachten Löcher und riß ein ganzes Brett aus. In demselben Augenblicke aber krachten durch diese Öffnung zwanzig Flintenschüsse, und wie aus dem Krater eines Vulkans hervorströmend, ergriff die Flamme die Tapeten und verzehrte sie.

Mitten unter diesem furchtbaren Aufruhr, mitten unter diesem gräßlichen Geschrei, ließen mich zwei besondere Schüsse, denen zwei herzzerreißende, alles andere übertönende Schreie folgten, vor Schrecken zu Eis erstarren: die Schüsse hatten meinen Vater tödlich getroffen, und er hatte die Schreie ausgestoßen. Trotzdem war er, sich an ein Fenster klammernd, aufrecht stehen geblieben. Meine Mutter rüttelte an der Tür, um mit ihm zu sterben, aber die Tür war verschlossen. Rings um ihn her krümmten sich Palikaren, im Todeskampfe zuckend; zwei oder drei, die ohne Wunden oder nur leicht verwundet waren, sprangen durch die Fenster. Zu gleicher Zeit krachte der ganze Boden, von unten zertrümmert. Mein Vater fiel auf ein Knie, zwanzig Arme streckten sich, mit Säbeln, Pistolen, Dolchen bewaffnet, nach ihm aus; zwanzig Streiche trafen in derselben Sekunde einen einzigen Mann, und mein Vater verschwand in einem von diesen brüllenden Teufeln angezündeten Feuerwirbel, als ob sich die Hölle unter seinen Füßen geöffnet hätte. Ich fühlte, wie ich zu Boden rollte; meine Mutter stürzte ohnmächtig nieder.

Haydee ließ, einen Seufzer ausstoßend, ihre Arme sinken und schaute den Grafen an, als wollte sie ihn fragen, ob er mit ihrem Gehorsam zufrieden sei.

Der Graf stand auf, faßte sie bei der Hand und sagte in neugriechischer Sprache zu ihr: Beruhige dich, liebes Kind, fasse Mut und bedenke, daß es einen Gott gibt, der die Verräter bestraft.

Das ist eine furchtbare Geschichte, Graf, sagte Albert, ganz erschrocken über Haydees Blässe; ich mache es mir zum Vorwurf, daß ich so grausam unbescheiden gewesen bin.

Es ist nichts, erwiderte Monte Christo und fuhr, seine Hand auf den Kopf des Mädchens legend, fort: Haydee ist mutig; sie hat in der Erzählung ihrer Schmerzen eine Erleichterung gefunden.

Weil mich meine Schmerzen an deine Wohltaten erinnern, mein Herr, versetzte rasch Haydee.

Albert schaute sie neugierig an, denn sie hatte noch nicht erzählt, was er am meisten zu wissen wünschte, nämlich, wie sie Sklavin des Grafen geworden war.

Haydee sah in den Blicken des Grafen wie in denen Alberts dasselbe Verlangen ausgedrückt und fuhr fort: Als meine Mutter wieder zu sich kam, befanden wir uns vor dem Seraskier. Töte mich, sagte sie, aber schone die Ehre der Witwe Alis. – Du mußt dich nicht an mich wenden, erwiderte Kurschid. – An wen denn? – An deinen neuen Herrn. – Wer ist dies? – Hier steht er. Und Kurschid deutete auf einen von denen, die am meisten zum Tode meines Vaters beigetragen hatten, fuhr das Mädchen mit dumpfem Zorne fort.

Ihr wurdet also das Eigentum dieses Mannes?

Nein, antwortete Haydee; er wagte nicht, uns zu behalten, und verkaufte uns an Sklavenhändler, die nach Konstantinopel zogen. Wir durchreisten Griechenland und kamen endlich sterbend an der kaiserlichen Pforte an, wo uns Neugierige bedrängten, als meine Mutter, den Blicken der Menge folgend, auf einmal einen Schrei ausstieß und, mir über der Pforte ein Haupt zeigend, niederstürzte. – Über diesem Haupte standen die Worte: Dies ist der Kopf Ali Tependelinis, Paschas von Janina. Weinend suchte ich meine Mutter aufzuheben, sie war tot. Man führte mich nach dem Basar; ein reicher Armenier kaufte mich, gab mir Lehrer, ließ mich unterrichten und verkaufte mich wieder an den Sultan Mahmud, als ich dreizehn Jahre alt war.

Von dem ich sie um den Smaragd erkaufte, der dem ähnlich war, in dem meine Haschischkügelchen enthalten sind, sagte Monte Christo.

Oh! du bist gut! Du bist groß, mein Herr, sagte Haydee, des Grafen Hand küssend, und ich bin sehr glücklich, daß ich dir gehöre.

Albert war ganz betäubt von dem, was er vernommen hatte.

Leeren Sie Ihre Tasse, sagte der Graf zu ihm; die Geschichte ist zu Ende.


 << zurück