Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Vierter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Protokoll.

Noirtier wartete, schwarz gekleidet, in seinem Lehnstuhle. Als die drei Personen, die er kommen zu sehen hoffte, eingetreten waren, schloß sein Kammerdiener sogleich wieder die Tür.

Merke wohl auf, sagte leise Villefort zu Valentine, die ihre Freude nicht verbergen konnte, wenn Herr Noirtier Dinge mitteilen will, welche deine Heirat verhindern, so verbiete ich dir, ihn zu verstehen.

Valentine errötete, antwortete aber nicht.

Villefort näherte sich Noirtier und sagte zu ihm: Hier ist Herr Franz d'Epinay; Sie haben nach ihm verlangt, mein Herr, und er fügt sich Ihrem Verlangen. Allerdings wünschten wir diese Zusammenkunft seit geraumer Zeit, und ich werde entzückt sein, wenn sie Ihnen beweist, wie wenig Ihr Widerstreben gegen Valentines Heirat begründet war.

Noirtier antwortete nur durch einen Blick, bei dem Villeforts Adern ein Schauer durchlief. Er bedeutete Valentine durch ein Zeichen mit dem Auge, sie möge sich nähern.

Durch die Mittel, deren sie sich in ihren Unterhaltungen mit ihrem Großvater zu bedienen pflegte, hatte sie in einem Augenblick das von ihm gewünschte Wort Schlüssel gefunden. Dann befragte sie den Blick des Gelähmten, der sich auf die Schublade eines kleinen, zwischen zwei Fenstern stehenden Schrankes heftete. Als sie diesen Schlüssel herausgenommen, wandten sich die Augen des Gelähmten nach einem alten, seit Jahren vergessenen Sekretär.

Soll ich den Sekretär öffnen? fragte Valentine.

Ja, machte der Greis.

Soll ich die Schubladen öffnen? – Ja.

Die mittlere? – Ja.

Valentine öffnete und zog ein Bündel Papiere heraus.

Ist das, was Sie wünschen, guter Vater? fragte sie.

Der Greis schüttelte den Kopf, und sie zog nach und nach alle anderen Papiere heraus.

Aber die Schublade ist nun leer, sagte sie.

Noirtiers Augen hefteten sich auf das Wörterbuch.

Ja, guter Vater, ich begreife Sie, sagte das Mädchen.

Und sie fing an die Buchstaben des Alphabets nacheinander herzusagen; bei dem Buchstaben G hielt sie Noirtier an.

Ah! Ein geheimes Fach? – Ja, machte Noirtier.

Und wer kennt es?

Noirtier schaute nach der Tür, durch welche der Bediente weggegangen war.

Barrois? sagte sie. – Ja, machte Noirtier.

Valentine ging an die Tür und rief Barrois. Während dieser Zeit floß der Schweiß der Ungeduld von Villeforts Stirn, während Franz im höchsten Maße erstaunt zu sein schien. Der alte Diener trat ein.

Barrois, sagte Valentine, mein Großvater hat mir befohlen, diesen Sekretär zu öffnen und dieses Schubfach herauszuziehen; nun ist bei diesem Schubfach ein Geheimnis, das Sie, wie es scheint, kennen; öffnen Sie!

Barrois gehorchte; ein doppelter Boden öffnete sich, und es wurden mehrere mit schwarzem Band umwickelte Papiere sichtbar.

Wünschen Sie das, mein Herr? fragte Barrois. – Ja.

Wem soll ich diese Papiere übergeben, Herrn von Villefort? – Nein.

Fräulein Valentine? – Nein.

Herrn Franz d'Epinay? – Ja.

Franz machte erstaunt einen Schritt vorwärts und sagte:

Mir, mein Herr? – Ja.

Franz empfing die Papiere aus Barrois' Händen und las die Aufschrift: Nach meinem Tode bei meinem Freunde, dem General Durand, zu hinterlegen, der sterbend dieses Paket seinem Sohne mit der Einschärfung vermachen wird, dasselbe, da es ein Papier von der größten Wichtigkeit enthält, aufzubewahren.

Nun, mein Herr? fragte Franz, was soll ich mit diesem Papier machen?

Sie sollen es ohne Zweifel versiegelt, wie es ist, behalten, sagte der Staatsanwalt.

Nein, nein, erwiderte der Greis lebhaft.

Sie wünschen vielleicht, daß es der Herr lesen möge? fragte Valentine.

Ja, antwortete der Greis.

Sie hören, Herr Baron? Mein Großvater bittet Sie, dieses Papier zu lesen, sagte Valentine.

So setzen wir uns, sagte Villefort voll Ungeduld, denn das wird lange dauern.

Villefort setzte sich, aber Valentine blieb neben ihrem Großvater, auf seinen Lehnstuhl gestützt, stehen, und Franz stand vor ihr und hielt das geheimnisvolle Papier in der Hand.

Lesen Sie! sagten die Augen des Greises.

Franz machte den Umschlag los, und es trat eine tiefe Stille in dem Zimmer ein. Inmitten dieser Stelle las er:

Auszug aus den Protokollen einer Sitzung des bonapartistischen Klubs der Rue Saint-Jacques, gehalten im 5. Febr. 1815.

Franz hielt inne.

Am 5. Februar 1815, sagte er, das ist der Tag, an dem mein Vater ermordet wurde!

Valentine und Villefort blieben stumm; nur das Auge des Greises sprach klar: Fahren Sie fort! Franz las weiter:

Die Unterzeichneten, Louis Beauregard, Generalleutnant der Artillerie, Etienne Duchampy, Brigadegeneral, und Claude Lecharpale, Direktor der Forsten, erklären, daß am 4. Februar 1815 ein Brief von der Insel Elba ankam, der dem Wohlwollen und dem Vertrauen der Mitglieder des bonapartistischen Klubs den General Flavier von Quesnel empfahl, der dem Kaiser von 1805 bis 1814 gedient hatte und der Napoleonischen Dynastie trotz des Baronentitels, den ihm Ludwig XVIII. soeben unter Benutzung des Namens seines Landgutes Epinay verliehen hatte, völlig ergeben sein mußte. Demzufolge wurde ein Schreiben an den General von Quesnel gerichtet, worin man ihn bat, der Sitzung am fünften beizuwohnen. Das Schreiben gab weder die Straße noch die Hausnummer an, wo die Versammlung stattfinden sollte: es hatte seine Unterschrift und teilte dem General nur mit, wenn er sich bereit halten wolle, so werde man ihn um neun Uhr abends abholen. Um neun Uhr abends erschien der Präsident des Klubs bei dem General: der General war bereit. Der Präsident bemerkte ihm, es sei eine der Bedingungen seiner Einführung, daß er nie den Ort der Zusammenkunft wüßte, daß er sich die Augen verbinden ließe und schwüre, er werde die Binde nicht abzunehmen suchen. Der General von Quesnel nahm die Bedingung an und machte sich bei seinem Ehrenwort anheischig, nicht sehen zu wollen, wohin man ihn führte. Der General hatte seinen Wagen anspannen lassen, aber der Präsident erklärte ihm, man könnte sich seiner unmöglich bedienen, da es sich nicht der Mühe lohne, die Augen des Herrn zu verbinden, wenn dem Kutscher die Augen offen blieben, und er zu erkennen vermöchte, durch welche Straßen man käme.

Was ist dann zu tun? fragte der General. –

Ich habe meinen Wagen bei mir, sagte der Präsident. –

Sind Sie Ihres Kutschers so sicher, daß Sie ihm ein Geheimnis anvertrauen, das Sie dem meinigen anzuvertrauen für unklug halten?

Unser Kutscher ist ein Mitglied des Klubs, erwiderte der Präsident, wir werden von einem Staatsrate gefahren.

Dann sind wir einer andern Gefahr ausgesetzt, nämlich der, umgeworfen zu werden, sagte der General lachend.

Wir bezeichnen diesen Scherz als einen Beweis dafür, daß der General nicht entfernt gezwungen war, der Sitzung beizuwohnen, und daß er sie durchaus freiwillig besuchte. Sobald man in den Wagen gestiegen war, erinnerte der Präsident den General an sein Versprechen, sich die Augen verbinden zu lassen. Der General machte keine Einwendung gegen diese Förmlichkeit. Der Wagen hielt vor einem Hause der Rue Saint-Jacques. Der General stieg aus und stützte sich dabei auf den Arm des Präsidenten, ohne dessen Würde zu kennen; man durchschritt den Gang, stieg einen Stock hinauf und trat in das Beratungszimmer.

Die Sitzung hatte begonnen. Von der Einladung des Barons benachrichtigt, waren die Mitglieder des Klubs vollzählig versammelt. Als der General die Mitte des Saales erreicht hatte, wurde er aufgefordert, seine Binde abzunehmen. Er entsprach sogleich dieser Ausforderung und schien sehr erstaunt, eine so große Anzahl von bekannten Gesichtern in einer Gesellschaft zu finden, von deren Dasein er bis dahin nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte. Man befragte ihn über seine Gesinnung, doch er begnügte sich zu antworten, der Brief von der Insel Elba habe dieselbe bekannt machen müssen . . .

Franz unterbrach sich mit den Worten: Mein Vater war Royalist, man hatte nicht nötig, ihn um seine Gesinnung zu befragen, sie war bekannt.

Und daher rührte meine Verbindung mit Ihrem Vater, mein lieber Herr Franz, sagte Villefort; man verbindet sich leicht, wenn man gleicher Meinung ist.

Lesen Sie, sprach abermals das Auge des Greises. Franz fuhr fort:

Der Präsident nahm nun das Wort und forderte den General auf, sich deutlicher zu erklären; doch Herr von Quesnel antwortete, er wünschte vor allem zu wissen, was man von ihm verlange. Es wurde nun dem General eben dieser Brief von der Insel Elba mitgeteilt, der ihn dem Klub als einen Mann empfahl, auf dessen Mitwirkung man zählen könne. Es war sodann von der beabsichtigten Rückkehr von der Insel Elba die Rede, worauf ein neuer Brief mit umfassenderen Einzelheiten angekündigt wurde, den der Pharao, ein dem Reeder Morel in Marseille gehörendes Schiff mit einem dem Kaiser ganz und gar ergebenen Kapitän, überbringen würde. Während der Vorlesung des Briefes gab der General, auf den man wie auf einen Bruder zählen zu können glaubte, im Gegenteil Zeichen der Unzufriedenheit und des sichtbaren Widerstrebens von sich.

Als der Brief zu Ende war, verharrte er schweigend und mit gerunzelter Stirn.

Nun! fragte der Präsident, was sagen Sie zu diesem Briefe, Herr General?

Ich sage, soeben hat man erst dem König Ludwig XVIII. einen Eid geleistet und will ihn nun schon wieder um des Exkaisers willen brechen.

Diese Antwort war zu klar, als daß man sich über seine Gesinnung täuschen konnte.

General, sagte der Präsident, es gibt für uns ebensowenig einen König Ludwig XVIII. wie einen Exkaiser; es gibt nur Seine Majestät den Kaiser und König, der seit zehn Monaten aus Frankreich, seinem Staate, durch Gewalt und Verrat entfernt worden ist.

Verzeihen Sie, meine Herren, sagte der General, es ist möglich, daß es für Sie keinen Ludwig XVIII. gibt, aber es gibt einen für mich, da er mich zum Baron und zum Feldmarschall gemacht hat, und da ich nie vergessen werde, daß ich diese Titel seiner glücklichen Rückkehr nach Frankreich zu danken habe.

Mein Herr, sagte der Präsident mit äußerst strengem Tone, während er sich erhob, geben Sie wohl acht auf das, was Sie reden; Ihre Worte sagen uns deutlich, daß man sich auf der Insel Elba in Ihnen getäuscht, und daß man uns getäuscht hat! Die Mitteilung, die man Ihnen gemacht, ist Folge des Vertrauens, das man in Sie setzte, und somit eines Gefühles, das Sie ehrt. Wir waren im Irrtum; ein Titel und ein Amt haben Sie mit der neuen Regierung ausgesöhnt, die wir umstürzen wollen. Wir werden Sie nicht zwingen, uns Ihren Beistand zu leihen, wir reihen niemand wider sein Gewissen und wider seinen Willen ein; doch wir werden Sie zwingen, als ein ehrenhafter Mann zu handeln, selbst wenn Sie nicht dazu geneigt sein sollen.

Sie nennen als ein ehrenwerter Mann handeln Ihre Verschwörung kennen und sie nicht enthüllen! Ich nenne das Ihr Mitschuldiger sein. Sie sehen, daß ich noch offenherziger bin, als Sie . . .

Ah! mein Vater, sagte Franz, sich unterbrechend, ich begreife nun, warum Sie dich ermordet haben.

Valentine konnte sich nicht enthalten, einen Blick auf Franz zu werfen; der junge Mann war wirklich schön in der Begeisterung des Sohnes. Villefort ging im Zimmer auf und ab.

Noirtier verfolgte mit den Augen den Ausdruck jedes Anwesenden und beobachtete seine würdige, starre Haltung. Franz fuhr fort:

Mein Herr, sagte der Präsident, man hat Sie gebeten, sich in den Schoß der Versammlung zu begeben, und schleppte Sie durchaus nicht mit Gewalt hierher; man forderte von Ihnen, Sie sollten Ihre Augen verbinden, und Sie willigten ein. Als Sie diesem doppelten Verlangen entsprachen, wußten Sie vollkommen, daß wir uns nicht damit beschäftigten, Ludwig XVIII. den Thron zu sichern, sonst wären wir nicht so bemüht gewesen, uns vor der Polizei zu verbergen. Sie begreifen, es wäre nur zu bequem, eine Maske vorzunehmen, mit deren Hilfe man die Geheimnisse der Leute erforscht, und dann ganz einfach die Maske abzulegen, um die zu Grunde zu richten, deren Vertrauen man genossen hat. Nein, nein, Sie werden uns vor allem offenherzig sagen, ob Sie für den Zufallskönig sind, der in diesem Augenblick regiert, oder für Seine Majestät den Kaiser?

Ich bin Royalist, antwortete der General, ich habe Ludwig XVIII. einen Eid geschworen und werde ihn halten. Auf diese Worte erfolgte ein allgemeines Gemurmel, und man konnte aus den Blicken einer großen Anzahl von Mitgliedern des Clubs ersehen, daß sie in ihrem Innern die Frage verhandelten, ob sie nicht Herrn d'Epinay diese unklugen Worte bereuen lassen sollten. Der Präsident stand abermals auf und gebot Stillschweigen.

Mein Herr, sagte er, Sie sind ein zu ernster und zu verständiger Mann, um nicht die Folgen der Lage zu begreifen, in der wir uns gegenseitig befinden, und Ihre Offenherzigkeit gerade diktiert uns die Bedingungen, die wir stellen müssen: Sie werden uns schwören, nichts von dem zu enthüllen, was Sie gehört haben.

Der General fuhr mit der Hand nach seinem Degen und rief: Wenn Sie von Ehre sprechen, so fangen Sie damit an, daß Sie die Gesetze nicht mißachten und nicht Gewalt anwenden.

Und Sie, mein Herr, fuhr der Präsident mit einer Ruhe fort, die vielleicht furchtbarer war, als der Zorn des Generals, berühren Sie Ihren Degen nicht, das rate ich Ihnen. Der General warf Blicke umher, die einige Unruhe verrieten. Er beugte sich jedoch noch nicht, sondern sagte, seine ganze Kraft sammelnd: Ich schwöre nicht.

Dann müssen Sic sterben, erwiderte ruhig der Präsident. Herr d'Epinay wurde sehr bleich; er schaute einen Augenblick umher; mehrere Mitglieder des Klubs wisperten und suchten Waffen unter ihren Mänteln.

General, sagte der Präsident, seien Sie unbesorgt, Sie sind unter Männern von Ehre, die jedes Mittel versuchen werden, um Sie zu überzeugen, ehe sie zum Äußersten schreiten; doch Sie sind auch unter Verschworenen; Sie besitzen unser Geheimnis und müssen es uns zurückgeben.

Ein bedeutungsvolles Schweigen folgte auf diese Worte, und als der General nicht antwortete, sagte der Präsident zu den Dienern: Schließt die Türen.

Abermals trat eine Totenstille ein. Da schritt der General vor und sagte heftig: Ich habe einen Sohn und muß, da ich mich unter Mördern befinde, an ihn denken.

General, sagte voll Adel das Haupt der Versammlung, ein einziger Mensch hat immer das Recht fünfzig zu beleidigen; es ist das Recht des Schwachen. Nur hat er unrecht, von diesem Rechte Gebrauch zu machen. Glauben Sie mir, General, schwören Sie und beleidigen Sie nicht. Abermals von der Hoheit des Vorsitzenden überwältigt, zögerte der General einen Augenblick; doch endlich schritt er zum Tische des Präsidenten und fragte: Wie lautet die Formel? Hören Sie: Ich schwöre bei meiner Ehre, nie irgend einem Menschen auf der Welt zu enthüllen, was ich am 5. Februar 1815 abends zwischen neun und zehn Uhr gesehen und gehört habe, und ich erkläre, daß ich den Tod verdiene, wenn ich meinen Schwur verletze.

Der General schien von einem nervösen Zittern ergriffen zu werden, das ihn einige Sekunden lang verhinderte zu antworten; endlich aber sprach er, ein sichtbares Widerstreben überwindend, den verlangten Eid, doch so leise, daß man es kaum hörte; es begehrten auch mehrere Mitglieder, daß er ihn mit lauterer Stimme und deutlicher wiederhole, was geschah.

Nun wünsche ich, mich entfernen zu dürfen, sagte der General, bin ich endlich frei? Der Präsident stand auf, bezeichnete drei Mitglieder der Versammlung, die ihn begleiten sollten, und stieg mit dem General in den Wagen, nachdem er ihm die Augen verbunden hatte. Unter den drei Mitgliedern war der Kutscher, der sie gebracht hatte. Die andern Mitglieder des Klubs trennten sich in der Stille.

Wohin sollen wir Sie führen? fragte der Präsident.

Überallhin, wo ich von Ihrer Gegenwart befreit werde, antwortete d'Epinay.

Mein Herr, versetzte der Präsident, nehmen Sie sich in acht, Sie sind hier nicht mehr in der Versammlung, Sie haben es mit einzelnen Menschen zu tun; beleidigen Sie sie nicht, wenn Sie nicht für die Beleidigung verantwortlich gemacht werden wollen.

Doch statt diese Sprache zu verstehen, erwiderte d'Epinay: Sie sind immer noch so mutig in Ihrem Wagen, wie in Ihrem Klub, aus dem einfachen Grunde, mein Herr, weil vier Männer stets stärker sind als ein einziger.

Der Präsident ließ den Wagen halten.

Man war gerade an der Ecke des Quai des Ormes, wo sich die Treppe findet, die zu dem Flusse hinabführt. Warum lassen Sie hier halten? fragte der General d'Epinay.

Weil Sie einen Mann beleidigt haben, mein Herr, antwortete der Präsident, und weil dieser Mann keinen Schritt mehr tun will, ohne auf loyale Weise Genugtuung von Ihnen zu verlangen.

Abermals eine Art zu morden, sagte der General, die Achseln zuckend.

Keinen Lärm, mein Herr, entgegnete der Präsident, wenn ich Sie nicht als einen von den Menschen betrachten soll, die Sie soeben bezeichneten, nämlich für einen Feigen, der seine Schwäche zum Schild nimmt. Sie sind allein, ein einziger wird Ihnen antworten; Sie haben einen Degen an der Seite, ich habe einen in meinem Stocke; Sie haben keinen Zeugen, einer von diesen Herren wird Ihnen als solcher dienen. Nun mögen Sie die Binde abnehmen, wenn es Ihnen beliebt. Der General riß sich auf der Stelle das Taschentuch von den Augen.

Endlich, sagte er, endlich werde ich erfahren, mit wem ich es zu tun habe.

Man öffnete den Wagen, und die vier Männer stiegen aus.

Franz unterbrach sich abermals und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn; es war furchtbar anzuschauen, wie er, bleich und zitternd, mit lauter Stimme die bis dahin unbekannten Umstände von dem Tode seines Vaters las. Valentine faltete die Hände, als ob sie betete. Noirtier schaute Villefort mit einem erhabenen Ausdruck der Verachtung und des Stolzes an.

Franz fuhr fort:

Es geschah dies, wie gesagt, am 5. Februar; es war eine finstere Nacht, der Boden der Treppe war bis zum Fluß feucht von Schnee und Rauhreif; man sah das Wasser schwarz und von Eisschollen bedeckt dahinfließen. Einer von den Zeugen suchte eine Laterne in einem Kohlenschiffe, und beim Scheine dieser Laterne prüfte man die Waffen. Der Degen des Präsidenten, ein einfacher Stockdegen, war fünf Zoll kürzer als der seines Gegners und hatte kein Stichblatt. Der General d'Epinay machte den Vorschlag, die Degen auszulosen; doch der Präsident erwiderte, von ihm gehe die Herausforderung aus, und er habe von vornherein in der Absicht gefordert, daß jeder sich seiner Waffe bediene. Die Zeugen wollten Einsprache tun, doch der Präsident gebot ihnen Schweigen. Man setzte die Laterne auf den Boden; die Gegner stellten sich einander gegenüber; der Kampf begann. Das Licht machte aus den Degen zwei Blitze; die Männer gewahrte man kaum, so dicht war der Schatten. Der General d'Epinay galt für eine der besten Klingen der Armee. Aber er wurde bei den ersten Stößen so lebhaft bedrängt, daß er zurückwich, wobei er zu Falle kam.

Die Zeugen hielten ihn für tot, doch sein Gegner wußte, daß er ihn nicht berührt hatte, und bot ihm die Hand, um ihm ausstehen zu helfen. Statt ihn zu beschwichtigen, brachte dies den General so auf, daß er ebenfalls auf seinen Gegner eindrang. Doch sein Gegner wich nicht eine Linie. Dreimal zog sich der General vor der Degenspitze seines Gegners zurück und griff dann immer wieder an. Beim dritten Male fiel er abermals. Man glaubte, er sei ausgeglitten, wie das erste Mal; da ihn jedoch die Zeugen nicht wieder aufstehen sahen, näherten sie sich ihm und versuchten, ihn auf die Beine zu bringen; doch als man ihn um den Leib faßte, fühlte man Blut.

Der General, der halb ohnmächtig war, kam wieder zu sich und rief: Oh! einen Raufer, einen Fechtmeister hat man mir hinterlistig gegenüber gestellt. Ohne zu antworten, näherte sich der Präsident der Laterne, schlug seinen Ärmel zurück und zeigte seinen von zwei Degenstichen durchbohrten Arm; dann öffnete er seinen Rock, knöpfte seine Weste auf und ließ an seiner Seite eine dritte Wunde sehen. Er hatte keinen Seufzer ausgestoßen. Bei dem General d'Epinay trat der Todeskampf ein, und fünf Minuten nachher war er verschieden.

Franz las diese letzten Worte mit so gepreßter Stimme, daß man sie kaum hören konnte, und als er sie gelesen, fuhr er sich mit der Hand über die Augen, als wollte er eine Wolke vertreiben. Nach kurzem Schweigen las er fort:

Der Präsident stieg wieder die Treppe hinauf, nachdem er zuvor seinen Degen in den Stock gestoßen hatte; eine Blutspur bezeichnete seinen Weg auf dem Schnee. Er hatte noch nicht die oberste Stufe der Treppe erreicht, als er ein dumpfes Platschen hörte, es war der Körper des Generals, den die Zeugen, nachdem sie seines Todes gewiß waren, in den Fluß gestürzt hatten.

Der General ist folglich in einem ehrlichen Duell gefallen und nicht etwa meuchlings getötet worden.

Zur Beglaubigung dessen haben wir Gegenwärtiges unterzeichnet, um den wahren Tatbestand festzustellen, in der Befürchtung, es könnte ein Augenblick kommen, wo eine von den handelnden Personen dieser furchtbaren Szene des Mordes mit Vorbedacht oder der Verletzung der Gesetze der Ehre beschuldigt würde. Unterzeichnet

Beauregard, Duchampy und Lecharpale.

Als Franz die für ihn als Sohn so schreckliche Schrift gelesen, als Valentine, bleich vor Erschütterung, eine Träne getrocknet, als Villefort, zitternd und in einen Winkel gedrückt, durch flehende dem unversöhnlichen Greise zugesandte Blicke den Sturm zu beschwören versucht hatte, sagte d'Epinay zu Noirtier: Da Sie diese furchtbare Geschichte in allen ihren Einzelheiten kennen, da Sie sie durch ehrenwerte Unterschriften haben bezeugen lassen, da Sie sich für mich zu interessieren scheinen, obgleich sich Ihr Interesse bis jetzt nur durch den Schmerz kundgegeben hat, so verweigern Sie mir nicht eine letzte Genugtuung, nennen Sie mir den Namen des Präsidenten, damit ich endlich den kenne, der meinen armen Vater getötet hat.

Villefort suchte wie verwirrt die Türklinke; Valentine, welche die Antwort des Greises vorausahnte, da sie oft auf seinem Vorderarme die Spur von zwei Degenstichen wahrgenommen hatte, wich einen Schritt zurück.

Ich beschwöre Sie, mein Fräulein, sagte Franz, sich an seine Braut wendend, verbinden Sie Ihre Bitten mit den meinen, daß ich den Namen des Mannes erfahre, der mich im Alter von zwei Jahren zur Waise gemacht hat. Valentine blieb stumm und unbeweglich.

Ich bitte Sie, mein Herr, sagte Villefort, verlängern Sic diese Szene nicht; die Namen sind überdies absichtlich nie bekannt gegeben worden. Mein Vater kennt selbst den Präsidenten nicht, und wenn er ihn auch kennt, so vermag er ihn nicht zu nennen, da sich die Eigennamen nicht im Wörterbuch finden.

Oh weh! Die einzige Hoffnung, die mich beim Lesen dieser Schrift aufrecht erhalten und mir die Kraft gegeben hat, bis zum Ende auszuharren, war die, wenigstens den Namen dessen, der meinen Vater getötet, kennen zu lernen! Mein Herr! rief er, sich zu dem Greise umwendend, im Namen des Himmels! Tun Sie, was Sie können, bemühen Sie sich, ich flehe Sie an, mir begreiflich zu machen . . .

Ja, antwortete Noirtier.

Oh, mein Fräulein, rief Franz, Ihr Großvater bedeutet mir durch ein Zeichen, er könne mir diesen Namen angeben . . . helfen Sie mir . . . Sie verstehen ihn . . . leihen Sie mir Ihren Beistand!

Noirtier schaute das Wörterbuch an. Franz nahm es zitternd und sprach hintereinander die Buchstaben des Alphabets bis zum I aus.

Bei diesem Buchstaben machte der Greis ein bejahendes Zeichen.

I? wiederholte Franz.

Der Finger des jungen Mannes glitt über die Wörter hin, während Noirtier von Zeit zu Zeit ein verneinendes Zeichen machte und Valentine ihren Kopf in ihren Händen verbarg.

Bald gelangte Franz zu dem Worte: Ich.

Ja! machte der Greis.

Sie? rief Franz, dessen Haare sich auf seinem Haupte sträubten; Sie, Herr Noirtier, Sie haben meinen Vater getötet?

Ja, antwortete Noirtier, einen majestätischen Blick auf den jungen Mann heftend.

Franz fiel wie gelähmt auf einen Stuhl, Villefort aber öffnete die Tür und entfloh.


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