Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 1
Alexander Dumas

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Die Bastille und ihr Gouverneur.

Wir beschreiben die Bastille nicht; das wäre etwas Unnützes.

Sie lebt wie ein ewiges Bild zugleich im Gedächtnis der Greise und der Kinder.

Wir erinnern nur daran, daß sie, vom Boulevard aus gesehen, dem Platze der Bastille zwei Zwillingstürme bot, während die zwei Seiten parallel mit den zwei Ufern des Kanals von heute liefen.

Der Eingang der Bastille war beschützt, einmal durch eine Hauptwache, sodann durch zwei Linien von Schildwachen, und endlich durch zwei Zugbrücken.

Nachdem man sich durch die verschiedenen Hindernisse durchgearbeitet hatte, kam man in den Hof des Gouvernements, wo der Gouverneur wohnte. Von diesem Hofe führte eine Galerie zu den Gräben der Bastille.

Bei diesem zweiten Eingang, der auch an die Gräben grenzte, fanden sich eine Zugbrücke, eine Hauptwache und eine eiserne Barriere. Beim ersten Eingang will man Billot anhalten; Billot zeigt aber seinen Einlaßschein von Flesselles, und man läßt ihn passieren.

Billot bemerkt nun, daß ihm Pitou folgt. Pitou besaß nicht die Kraft, auf eigene Faust etwas anzufangen, doch auf den Fersen des Pächters wäre er bis in die Hölle hinabgestiegen.

Bleibe außen, sagte Billot, komme ich nicht heraus, so ist es gut, wenn einer da ist, der das Volk daran erinnert, daß ich eingetreten bin.

Das ist richtig, erwiderte Pitou; nach wie viel Zeit soll ich es daran erinnern?

Nach einer Stunde.

Und das Kistchen? fragte Pitou.

Ach! ja. Nun denn! wenn ich nicht herauskäme, wenn Gonchon die Bastille nicht nimmt, oder wenn man mich, nachdem er sie genommen, nicht wiederfindet, so ist dem Doktor, den man vielleicht finden wird, zu sagen: Leute, die von Paris gekommen, haben mir das Kistchen gestohlen, das er mir vor fünf Jahren anvertraut; ich sei sogleich von Hause aufgebrochen, um ihn davon in Kenntnis zu sehen; bei meiner Ankunft in Paris habe ich erfahren, er sei in der Bastille; ich habe die Bastille nehmen wollen, und hierbei habe ich meine Haut gelassen, die ganz zu seinen Diensten gewesen.

Gut, Vater Billot, sagte Pitou; nur ist das sehr lang, und ich befürchte, es zu vergessen.

Was ich sage?

Ja.

Ich will es dir wiederholen.

Nein, sprach eine Stimme in der Nähe von Billot, schreiben ist besser.

Ich kann nicht schreiben, entgegnete Billot.

Ich kann das, ich bin Gerichtsdiener.

Ah! Sie sind Gerichtsdiener?

Stanislas Maillard, Gerichtsdiener des Chatelet.

Und er zog aus seiner Tasche ein langes, hornenes Tintenfaß, in dem eine Feder, Papier, Tinte, kurz alles war, was man zum schreiben braucht.

Er war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, lang, hager, ernst, ganz schwarz gekleidet, wie es sich für sein Gewerbe geziemte.

Das ist einer, der teufelmäßig einem Leichenträger gleicht, murmelte Pitou.

Sie sagen, fragte der Gerichtsdiener teilnahmlos, Leute, die von Paris gekommen, haben Ihnen ein Kistchen gestohlen, das Ihnen der Doktor Gilbert anvertraut hatte? Das ist ein Vergehen.

Diese Leute gehörten zur Polizei von Paris.

Schändliche Diebe! murmelte Maillard.

Dann gab er das Papier Pitou und sprach:

Nun, junger Mann, hier ist die verlangte Note; und wenn er getötet wird – er deutete auf Billot – wenn du getötet wirst, so darf man doch hoffen, daß ich nicht getötet werde.

Und wenn Sie nicht getötet werden, was werden Sie thun? fragte Pitou.

Ich werde thun, was du hättest thun sollen.

Ich danke, sprach Billot.

Und er reichte dem Gerichtsdiener die Hand.

Ich kann also auf Sie rechnen? fragte Billot.

Wie auf Marat, wie auf Gonchon.

Gut, sagte Pitou, das ist eine Dreieinigkeit, die ich sicherlich im Paradies nicht wiederfinde.

Dann wandte er sich an Billot:

Ah! Papa Billot, nicht wahr, Klugheit?

Pitou, sprach der Pächter mit seiner Beredsamkeit, worüber man oft staunen mußte, sie bei dieser bäuerischen Natur zu finden, vergiß eines nicht: daß das klügste, was es in Frankreich giebt, der Mut ist.

Und er durchschritt die erste Linie der Schildwachen, während Pitou wieder nach dem Platze hinaufstieg.

Bei der Zugbrücke mußte man abermals parlamentieren. Billot zeigte seinen Einlaßschein; die Zugbrücke wurde niedergelassen; das Gitter öffnete sich.

Hinter dem Gitter war der Gouverneur.

Dieser innere Raum, in dem der Gouverneur Billot erwartete, war der Hof, der den Gefangenen zum Spaziergang diente. Er wurde von seinen acht Türmen, das heißt, von acht Riesen bewacht. Kein Fenster ging darauf. Nie drang die Sonne bis zu seinem feuchten, beinahe schlammigen Pflaster; man hätte glauben sollen, es sei der Boden eines tiefen Brunnens.

Eine Uhr, Gefangene in Ketten darstellend, von denen sie getragen ward, maß in diesem Hofe die Stunde und ließ das langsame, abgemessene Geräusch ihrer Minuten fallen, wie ein Kerker den Wassertropfen, der durch seine Decken sickert, auf die Platten fallen läßt, die er zerfrißt.

Von der Tiefe des Brunnens aus, gleichsam in einem steinernen Abgrund verloren, betrachtete der Gefangene einen Augenblick die unerbittliche Nacktheit der Steine und verlangte bald, in sein Gefängnis zurückzukehren.

Hinter dem Gitter, das in diesen Hof führte, stand, wie gesagt, Herr de Launay.

Herr de Launay war ein Mann von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren. Er trug an diesem Tag einen flachsblütfarbenen Rock, das rote Band vom Kreuze des heiligen Ludwig, und hielt in der Hand einen Degenstock.

Es war ein schlimmer Mann, dieser de Launay. Die Denkwürdigkeiten von Lingues haben ihn mit einer traurigen Berühmtheit beleuchtet; er war beinahe ebenso verhaßt, als das Gefängnis.

Die de Launay, wie die Chateauneuf, die Lavaillière und die Saint-Florentin, welche das Amt der Verhaftbriefe vom Vater auf den Sohn vererbten, übertrugen in der That vom Vater auf den Sohn auch die Bastille.

Denn bekanntlich war es nicht der Kriegsminister, der die Beamten des Gefängnisses ernannte. In der Bastille wurden alle Plätze gekauft, von dem des Gouverneurs bis zu dem des Küchenjungen herab. Der Gouverneur der Bastille war ein Hausmeister im großen, ein Garkoch mit Epauletten, der seinen 60,000 Franken Gehalt noch 60,000 Franken Raub und Erpressungen beifügte.

Man mußte doch wieder zum Kapital und den Interessen des ausgelegten Geldes kommen.

Herr de Launay hatte im Punkte des Geizes alle seine Vorgänger übertroffen. Vielleicht hatte er den Platz teurer bezahlt und sah vorher, er würde ihn weniger lang behalten.

Er unterhielt sein eigenes Hauswesen auf Kosten der Gefangenen, hatte die Heizung beschränkt und den Preis von jedem Stück ihres Mobiliars verdoppelt.

Er war berechtigt, hundert Stückfaß Wein octroifrei in Paris einzuführen. Dieses Recht verkaufte er an einen Schenkwirt, der auf diese Art vortreffliche Weine einführte. Dann kaufte er mit dem zehnten Teil dieses Geldes den Essig, den er seine Gefangenen trinken ließ.

Ein einziger Trost war bis jetzt den in der Bastille eingeschlossenen Unglücklichen noch geblieben: das war ein auf einer Bastei angelegtes Gärtchen. Hier gingen sie spazieren; hier fanden sie auf einen Augenblick die Luft, die Blumen, das Licht, die Natur.

Auch dieses Gärtchen hatte er nun an einen Gärtner verpachtet, und so für fünfzig Livres jährlich, die er davon einnahm, den Gefangenen diesen letzten Genuß geraubt.

Allerdings gab es für die reichen Gefangenen außerordentliche Gefälligkeiten: er führte den einen von ihnen zu seiner Geliebten, die bei den Meubles beteiligt war und solcherweise unterhalten wurde, ohne daß sie ihn, den Herrn de Launay selbst, etwas kostete.

Man lese die entschleierte Bastille, und man wird diese Thatsache und noch viele andere finden.

Dabei war dieser Mann mutig.

Seit dem vorhergehenden Tage tobte der Sturm um ihn her. Seit dem vorhergehenden Tage fühlte er die Woge des Aufruhrs, immer hoher steigend, an den Fuß seiner Mauern schlagen.

Er erschien zwar bleich, aber ruhig.

Allerdings hatte er hinter sich vier Kanonen bereit, Feuer zu geben; um sich eine Garnison von Schweizern und Invaliden, vor sich nur einen entwaffneten Mann; denn bei seinem Eintritt in die Bastille hatte Billot die Büchse Pitou zur Aufbewahrung gegeben.

Er hatte wohl eingesehen, daß ihm jenseits des Gitters, das er erblickte, eine Waffe mehr schädlich, als nützlich wäre.

Mit einem Blick erfaßte Billot sofort seine ganze Umgebung: die ruhige, beinahe drohende Haltung des Gouverneurs; die in den Wachhäusern bereit stehenden Schweizer; die Invaliden auf den Plattformen, und die stillschweigende Thätigkeit der Artilleristen, welche die Behälter ihrer Vorratswagen mit Stückpatronen füllten.

Die Schildwachen hielten das Gewehr im Arm, die Offiziere hatten den Degen entblößt.

Der Gouverneur blieb unbeweglich, Billot war genötigt, bis zu ihm zu gehen. Das Gitter schloß sich hinter dem Parlamentär des Volkes mit dem widrigen Geräusch von knirschendem Eisen, daß ihn, so mutig er sonst war, doch ein heimlicher Schauer durchrieselte bis ins Mark der Knochen.

Was wollen Sie noch von mir? fragte de Launay.

Noch? wiederholte Billot, mir scheint, das ist das erste Mal, daß ich Sie sehe, und Sie haben folglich keinen Grund, meines Anblicks müde zu sein.

Man sagt mir, Sie kommen vom Stadthaus.

Das ist wahr, ich komme von dort.

Nun! ich habe soeben schon eine Deputation von der Munizipalität empfangen.

Was wollte sie hier?

Sie forderte von mir das Versprechen, das Feuer nicht zu beginnen.

Und Sie haben es versprochen?

Ja. Sie forderte ferner von mir, daß ich die Kanonen zurückschieben lasse.

Und Sie haben sie zurückschieben lassen. Ich weiß das; ich war auf dem Platz der Bastille, als das Manöver stattfand.

Und Sie glaubten ohne Zweifel, ich gehorche den Drohungen dieses Volkes?

Ah! sprach Billot, das sah wohl so aus.

Ich sagte Ihnen ja, meine Herren, rief de Launay, indem er sich gegen die Offiziere umwandte, ich sagte Ihnen ja, man werde uns dieser Feigheit fähig halten!

Dann fragte er wieder Billot:

Und Sie, in wessen Auftrag kommen Sie?

Im Auftrag des Volkes, antwortete Billot stolz.

Es ist gut, erwiderte de Launay lächelnd; doch ich denke, Sie werden noch eine andere Empfehlung haben, denn mit der, auf die Sie sich stützen, wären Sie nicht durch die erste Linie der Schildwachen gekommen.

Ja, ich habe einen Geleitsbrief von Herrn von Flesselles, Ihrem Freund.

Flesselles! Sie haben gesagt, er sei mein Freund? entgegnete de Launay, indem er Billot anschaute, als hätte er in der tiefsten Tiefe seines Herzens lesen wollen. Woher wissen Sie, daß Herr von Flesselles mein Freund ist?

Ich habe vermutet, er sei es.

Vermutet; nicht mehr? Es ist gut, lassen Sie den Geleitsbrief sehen.

Billot reichte ihm das Papier.

De Launay las es ein erstes, dann ein zweites Mal, öffnete es, um zu sehen, ob es nicht eine zwischen den zwei Seiten verborgene Nachschrift enthalte, hielt es an das Licht, um zu ergründen, ob es nicht einige zwischen die Zeilen geschriebene Worte verberge.

Und das ist alles, was er mir sagt? fragte er.

Alles.

Sie sind dessen sicher?

Vollkommen sicher.

Nichts Mündliches?

Nichts. ^

Das ist seltsam! sprach de Launay, während er durch eine der Schießscharten seinen Blick auf den Platz der Bastille senkte.

Aber was soll er Ihnen denn sagen? fragte Billot.

De Launay machte eine Bewegung.

Im ganzen nichts, gar nichts. Sagen Sie, was Sie wollen, doch beeilen Sie sich, denn ich habe wenig Zeit.

Ich will, daß Sie die Bastille übergeben.

Wie beliebt? rief de Launay, indem er sich rasch umwandte, als ob er schlecht gehört hätte. Sie sagen? . . . . .

Ich sage, ich komme im Namen des Volkes, um Sie aufzufordern, die Bastille zu übergeben.

De Launay zuckte die Achseln.

Das Volk ist in der That ein sonderbares Tier, sprach er.

Wie? versetzte Billot.

Und was will es mit der Bastille machen?

Es will sie zerstören.

Ei! was Teufels thut denn die Bastille diesem Volke? Ist denn je ein Mensch aus dem Volke in die Bastille gesteckt worden? Das Volk müßte im Gegenteil jeden Stein der Bastille segnen. Wen steckt man in die Bastille? Die Philosophen, die Gelehrten, die Aristokraten, die Minister, die Prinzen, das heißt, die Feinde des Volkes.

Nun! das beweist, daß das Volk nicht selbstsüchtig ist.

Mein Freund, sprach de Launay mit einer Art von Mitleid, es ist leicht zu sehen, daß Sie nicht Soldat sind.

Sie haben recht, ich bin Pächter.

Daß Sie nicht von Paris sind.

Ich bin in der That aus der Provinz.

Daß Sie die Bastille nicht aus dem Grunde kennen.

Sie haben recht, ich kenne nur das, was ich davon gesehen habe, nämlich die äußeren Mauern.

So kommen Sie mit mir, ich will Ihnen zeigen, was die Bastille ist.

Ho! ho! dachte Billot, er will mich über eine Oubliette gehen lassen, die sich plötzlich unter meinen Füßen öffnen wird, und dann gute Nacht, Vater Billot.

Doch der unerschrockene Pächter verzog keine Miene und schickte sich an, dem Gouverneur der Bastille zu folgen.

Zuerst, sagte de Launay, zuerst erfahren Sie, daß ich in meinen Gewölben Pulver genug habe, um die Bastille, und mit der Bastille die Hälfte des Faubourg Saint-Antoine in die Luft zu sprengen.

Ich weiß das, erwiderte Billot ruhig.

Gut. Sehen Sie einmal diese vier Kanonen an.

Ich sehe sie.

Sie bestreichen – wie Sie auch sehen können – diese ganze Galerie, und diese Galerie wird beschirmt, einmal durch eine Hauptwache, sodann durch zwei Gräben, über die man nur mit Hülfe von zwei Zugbrücken kommen kann; endlich durch ein Gitter.

Oh! ich sage nicht, die Bastille sei schlecht verteidigt, erwiderte Billot ruhig, ich sage nur, sie werde gut angegriffen werden.

Fahren wir fort, sprach de Launay.

Billot nickte beipflichtend mit dem Kopf.

Hier ist ein Schlupfthor, das auf die Gräben geht, sagte der Gouverneur, sehen Sie, wie dick die Mauern sind.

Ungefähr vierzig Fuß.

Ja, vierzig Fuß unten und fünfzehn oben. Sie sehen, daß das Volk seine Nägel, so gut sie auch sein mögen, sich auf diesen Steinen verstauchen und umbiegen wird.

Ich habe nicht gesagt, entgegnete Billot, das Volk werde die Bastille zerstören, bevor es dieselbe genommen. Ich habe gesagt, es werde sie nach ihrer Einnahme zerstören.

Gehen wir hinauf, sprach de Launay.

Sie stiegen ungefähr dreißig Stufen hinauf.

Der Gouverneur blieb stehen.

Sehen Sie, sagte er, hier ist abermals eine Schießscharte, die auf den Durchgang geht, durch den Sie herein wollen; diese wird nur durch eine Wallbüchse verteidigt, doch sie hat einen gewissen Ruf. Sie kennen das Lied:

O mein zarter Dudelsack,
Dudelsack, ich liebe dich.

Gewiß kenne ich es, erwiderte Billot, doch ich glaube nicht, daß es die Stunde ist, es zu singen.

Warten Sie doch. Der Marschall von Sachsen nannte diese kleine Kanone seinen Dudelsack, weil sie es war, die am richtigsten die Melodie sang, welche er am meisten liebte. Das ist ein geschichtliches Detail.

Ho! machte Billot.

Gehen wir weiter hinauf.

Man kam auf die Plattform des Turmes der Comté.

Ah! ah! rief Billot, Sie haben die Kanonen nicht hinab bringen lassen?

Ich habe sie nur zurückschieben lassen.

Sie wissen, daß ich dem Volke sagen werde, die Kanonen seien noch da.

Sagen Sie es!

Sie wollen sie nicht hinunterschaffen?

Nein. Die Kanonen des Königs sind da auf einen Befehl des Königs, mein Herr. Sie werden nur auf einen Befehl des Königs hinabkommen.

Herr de Launay, sprach Billot, der sein Wort in sich zur Höhe der Lage der Dinge anwachsen und steigen sah, Herr de Launay, der wahre König, dem zu gehorchen ich Ihnen rate, ist da.

Und er zeigte dem Gouverneur die graue, an gewissen Stellen durch den Kampf am vorhergehenden Tage mit Blut besudelte Menge, die vor den Gräben wogte und die Waffen in der Sonne glänzen ließ.

Mein Herr, sprach de Launay, indem er den Kopf mit hoffärtiger Miene zurückwarf, es ist möglich, daß Sie zwei Könige kennen; doch ich, der Gouverneur der Bastille, kenne nur einen: das ist Ludwig, der Sechzehnte seines Namens, der seine Unterschrift unten an ein Patent gesetzt hat, kraft dessen ich hier über Menschen und Dinge gebiete.

Sie sind also nicht Bürger? rief Billot zornig.

Ich bin französischer Edelmann, erwiderte der Gouverneur.

Ah! es ist wahr. Sie sind Soldat und Sie sprechen als Soldat.

Sie haben das rechte Wort gesagt, mein Herr, erwiderte de Launay sich verbeugend, ich bin ein Soldat und vollziehe meinen Befehl.

Und ich, mein Herr, ich bin Bürger, und da meine Bürgerpflicht im Widerspruch steht mit Ihrem Soldatenbefehl, so wird einer von uns sterben, entweder derjenige, welcher seinen Befehl befolgt, oder derjenige, welcher seine Pflicht erfüllt.

Das ist wahrscheinlich mein Herr.

Sie sind also entschlossen, auf das Volk zu schießen?

Nein, solange es nicht auf mich schießt. Ich habe den Abgesandten des Herrn von Flesselles mein Wort verpfändet. Sie sehen, daß die Kanonen zurückgezogen sind. Doch beim ersten Schuß vom Platze aus nach meinem Schloß nähere ich mich einer von den Kanonen, dieser zum Beispiel. Ich schiebe sie selbst bis zur Schießscharte, ich richte sie selbst, und gebe selbst mit dieser Lunte hier Feuer.

Oh! wenn ich das glaubte, sagte Billot. Ehe Sie ein solches Verbrechen begehen würden . . .

Ich habe Ihnen schon gesagt, mein Herr, ich sei Soldat, und ich kenne meinen Befehl.

Wohl denn! schauen Sie, sprach Billot, indem er de Launay bis an eine Schießscharte zog und nacheinander mit dem Finger zwei verschiedene Punkte, den Faubourg Saint-Antoine und den Boulevard bezeichnete, dort ist dasjenige, was Ihnen fortan Ihren Befehl geben wird.

Und er zeigte de Launay zwei schwarze, dichte, brüllende Massen, die, genötigt, sich nach den Straßenwindungen der Boulevards zu fügen, wogten wie eine ungeheure Schlange, von der man den Kopf und den Leib sah, während ihre letzten Ringe sich in den Krümmungen des Terrains verloren, auf dem sie sich bewegte.

Und alles, was man von dem riesigen Reptil sah, blinkte von leuchtenden Schuppen.

Es war der doppelte, einerseits von Marat, andererseits von Gonchon geführte Haufen, mit dem sich Billot auf dem Platze der Bastille zusammenbeschieden hatte.

Seine Waffen schwingend und furchtbares Geschrei ausstoßend, rückte er von beiden Seiten heran.

Bei diesem Anblick erbleichte de Launay; er hob seinen Stock in die Höhe und rief: Zu euren Kanonen!

Dann trat er mit einer Geberde der Drohung auf Billot zu und sagte: Und Sie, Unglücklicher, Sie, der Sie unter dem Vorwande, zu parlamentieren, hierher kommen, während die andern angreifen, wissen Sie, daß Sie den Tod verdienen? Und er zog halb den Degen aus dem Stock, der ihn verbarg.

Billot sah die Bewegung, packte schnell wie der Blitz de Launay beim Kragen und beim Gürtel und rief ihm, während er ihn von der Erde aufhob, zu:

Und Sie, Sie würden verdienen, daß ich Sie über die Brüstung in die Tiefe der Gräben schleuderte . . . Doch, Gott sei Dank! ich werde Sie auf eine andere Weise bekämpfen.

In diesem Augenblick durchzog, von unten emporsteigend, ein ungeheures, allgemeines Geschrei die Luft wie ein Orkan, und zugleich erschien Herr von Losme, der Major der Bastille, auf der Plattform.

Mein Herr, rief er, sich an Billot wendend, ich bitte, haben Sie die Güte, sich zu zeigen; all dieses Volk glaubt, es sei Ihnen ein Unglück widerfahren, und verlangt nach Ihnen.

Der Name Billot wurde in der That, von Pitou in der Menge verbreitet, unter dem Geschrei hörbar.

Billot ließ Herrn de Launay los, und dieser stieß seinen Degen wieder in die Scheide.

Dann trat ein Augenblick des Zögerns unter diesen drei Männern ein, während sich Schreie der Drohung und der Rache vernehmen ließen.

Zeigen Sie sich doch, mein Herr, sagte de Launay, nicht als ob dieses Geschrei mich einschüchterte, sondern damit man wisse, ich sei ein redlicher Mann.

Billot streckte nun den Kopf durch eine Schießscharte und winkte mit der Hand.

Bei diesem Anblick brach das Volk in einen Beifallssturm aus. Das war gewissermaßen die Revolution, die sich auf den Zinnen der Bastille in der Person dieses Mannes aus dem Volke erhob, der zuerst auf ihre Plattform als Herrscher trat.

Es ist gut, sagte de Launay, alles ist nun zwischen uns beendigt. Sie haben nichts mehr hier zu thun. Man verlangt Sie unten; gehen Sie hinab.

Billot begriff diese Mäßigung von seiten eines Mannes, in dessen Gewalt er sich befand; er stieg dieselbe Treppe hinab, auf der er heraufgekommen war; der Gouverneur folgte ihm.

Der Major aber blieb. Der Gouverneur hatte ihm leise einige Befehle gegeben.

Herr de Launay hatte offenbar nur noch einen Wunsch: daß sein Parlamentär so schnell als möglich sein Feind würde.

Billot durchschritt den Hof, ohne ein Wort zu sagen. Er sah die Kanoniere bei ihren Stücken. Die Lunte rauchte am Ende der Stange.

Billot blieb vor ihnen stehen.

Freunde! sprach er zu ihnen, erinnert euch, daß ich gekommen bin, um euren Chef aufzufordern, das Blutvergießen, zu vermeiden, und daß er es verweigert hat.

Mein Herr, im Namen des Königs! rief Herr de Launay, mit dem Fuße stampfend, gehen Sie von hier weg.

Nehmen Sie sich in acht, entgegnete Billot, wenn Sie mich im Namen des Königs weggehen heißen, so werde ich im Namen des Volkes zurückkehren.

Dann wandte er sich gegen die Hauptwache der Schweizer und sagte: Sprecht, für wen seid ihr?

Die Schweizer schwiegen.

De Launay deutete mit dem Finger auf die eiserne Thüre.

Billot wollte einen letzten Versuch wagen.

Mein Herr, sprach er zu de Launay, im Namen der Nation! im Namen Ihrer Brüder!

Meiner Brüder? Sie nennen meine Brüder diejenigen, welche schreien: Nieder mit der Bastille! Tod ihrem Gouverneur! Das sind vielleicht Ihre Brüder, mein Herr, aber sicherlich sind es nicht die meinigen.

Im Namen der Menschheit also.

Im Namen der Menschheit! die euch antreibt, zu Hunderttausend hundert in diesen Mauern eingeschlossene unglückliche Soldaten zu erwürgen.

Eben dadurch, daß Sie dem Volke die Bastille übergeben, retten Sie ihnen das Leben.

Und ich verliere meine Ehre.

Billot schwieg, diese Logik des Soldaten vernichtete ihn; doch er wandte sich noch einmal an die Schweizer und an die Invaliden und rief: Ergebt euch, meine Freunde, es ist noch Zeit. In zehn Minuten wird es zu spät sein.

Wenn Sie nicht auf der Stelle von hier weggehen, mein Herr, rief de Launay, so lasse ich Sie niederschießen, so wahr ich ein Edelmann bin.

Billot blieb einen Augenblick stehen, kreuzte seine Arme herausfordernd, traf mit seinem Blick zum letzten Mal auf den von Launay und entfernte sich.

 


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