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3. Lolo.

Die Rosen und die Lilien schauen voll Neid
Auf deiner schönen Wangen Lieblichkeit.

Der Garten des Gutsherrn war eher einem ungeheuren Park ähnlich. Die Blumen- und Gemüsebeete zogen sich hinter dem Hause eine kleine Anhöhe hinauf; dazwischen blühende Obstbäume, und oben weiter links, auf einem Hügel, Weinreben, über denen eine kleine offene Tempelhalle emporragte. Weiter hinaus aber kam man nur in schattige Laubgänge, verborgene Plätzchen zwischen den Büschen, kleine Wiesenräume und künstliche Grotten. Der Gutsherr hatte diesen Teil des Gartens in eine romantische, naturwüchsige Unordnung einkleiden lassen, welcher jedoch der harmonischen Einheit halber die Kunst wieder Schranken setzen mußte. Auf einem grünen Rasenhügel, zu dem man sich den Weg selbst durch die dichten Hecken bahnen mußte, ragten drei schlanke Pappeln nur wenige Schritte neben einigen Pfirsichbäumen auf; die weiße Birke stand mitten unter wohlgehegten Sirenenhecken, und zwischen durch sah man auf einem kleinen Rasenraume die Fraxinus pendula, Traueresche. deren hängende Äste ein so heimliches stilles Versteck bildeten. Die Unebenheit des Bodens in diesem Teil hatte dem Gutsherrn vortrefflich zur Ausführung seines romantischen Planes hier gepaßt. Der Garten lag höher als der Hofraum und führte erst durch die sanfte Abdachung der Blumen- und Fruchtbeete zu der Hintertür des hohen Hauses hinab. In dem dichteren Teil jener wilden Anlagen hatte sich eine Schar von Singvögeln eingenistet, und in den stillen Nächten hörte man weithin in der Umgegend das Schlagen der Nachtigall, die sich jahraus jahrein hier einfand. Der laute Gesang nahm hier kein Ende, und wenn in der frühen Morgendämmerung das weiche Lied der Nachtigall erstarb, begann auch schon der hell tönende Frühgruß der Goldamsel.

Zwischen den Blumenbeeten ging ein Paar hinauf. Ihre Blicke streiften die Beete, und das junge Mädchen zeigte ihrem Begleiter die Blumen, die sie gepflanzt oder die sie mit Vorliebe pflegte. Dazwischen aber schienen sie sich, wenn auch nicht immer in Worten, von etwas anderem noch zu unterhalten. Wenn sie die Blicke erhoben und ihre Augen sich begegneten, lächelten sie still. Das Mädchen war schlank gewachsen, und die Weichheit ihrer Bewegungen gab ihr einen zauberhaften Reiz. Es lag etwas von der gazellenartigen Leichtigkeit des Rehes in diesen Bewegungen; vielleicht auch war dies die Bedeutung, in welcher der junge Mann das Mädchen sein Rehchen nannte. Ihr Antlitz war so weiß wie das Haupt der Lilie, vor der sie standen, und auf ihren Wangen lag wie ein Hauch das Rosenrot des flaumigen Pfirsichs. Ob sie wußte, wie schön sie war? Sie schützte ihr Gesicht nicht gegen die Strahlen der schon höher gerückten Sonne. Ihre dunkeln, lebhaften Augen mit dem großen Blick und das Lächeln der kleinen, purpurfarbigen Lippen schienen der Gefahr nicht nachfragen zu wollen. In zwei langen Flechten hing das dichte, kastanienbraune Haar über den Nacken, und die Spitzen derselben, mit dem roten Band durchflochten, spielten bei jeder Bewegung leise um sie her. Nur wenn der Kuß der Sonne zu sehr darauf brannte, strich sie mit ihrer kleinen weißen Hand über den Scheitel.

Die beiden waren die Beete langsam hinaufgewandelt und wandten sich jetzt links den Weinhügel hinauf, wo sie den offenen Tempel betraten. Vor ihnen breitete sich das weite Bild der Umgegend aus. Auf der einen Seite das Dorf mit seinen Lehm- und Ziegeldächern und dem spitzen Kirchturm der kleinen Kirche; ringsum nach allen Richtungen die grünen Felder mit den Wiesenabhängen und den fernen, dunkeln Waldeshöhen, weit in der Ferne riesenhaft, gigantisch der langgezogene Rücken des Gebirges. Das Mädchen lehnte sich an eine der Säulen des Tempels, indem sie die Hand gegen das Sonnenlicht schützend über die Augen hielt und mit der andern dort hinüber zeigte.

»Siehst du, Max, dort über jene Berge bist du herübergekommen«, sagte sie hinausblickend.

Der Student trat an sie heran und sagte, indem er eine ihrer Flechten erfaßte und damit spielte:

»Ja, Lolo … dort herüber; ich wollte, ich brauchte gar nicht wieder zurück.«

Das Mädchen warf einen schelmischen Blick auf ihn, indem sie das Köpfchen halb herumbeugte.

»Weshalb, Max?« fragte sie; »bleibst du nicht lange bei uns?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Student; »wenn du mich nicht hinausjagst.«

»Das kommt darauf an, wie du dich aufführst«, lachte Lolo, indem sie zwischen den roten Lippen zwei Reihen perlweißer Zähne sehen ließ; »die Feiertage über will ich es versuchen. Den Montag gehen wir wieder in den Wald das Maifest feiern helfen; wenn du dann mitwillst und die Zeit nicht verschläfst …«

»Oho, Lolo, – wer war im vorigen Jahr zuerst bei der Hand und hat das andere geweckt?«

»Geweckt hast du mich nicht«, sagte das Mädchen. »Ich hörte dich wohl im Garten singen, aber ich öffnete meine Vorhänge nicht, wiewohl ich schon bereit war. Ich ließ dich vielmehr absichtlich in dem Glauben, daß ich noch schliefe und lief durch den Hof zur Seitentür des Gartens hinein.«

»Und ich hatte dich trotzdem gesehen«, fügte Max hinzu, indem er die Flechte um den Hals des Mädchens schlang; »ich sah dein weißes Kleid durch die Büsche leuchten und kam dir unbemerkt rasch auf einem andern Weg entgegen. Da liefst du erschreckt davon, aber ich holte dich ein und fing dich, wie ich dich jetzt gefangen habe.«

Und damit lachte er auf, indem er das Ende der Flechte festhielt und mit der andern Hand sie umfaßte.

»Ach, Max!« rief sie plötzlich, indem sie das Köpfchen abwandte und mit der Hand ans Auge griff.

»Was ist, – was ist dir?« sagte der junge Mann, sie loslassend und den erhobenen Arm erfassend.

Lolo sagte, daß sie etwas ins Auge bekommen, und Max verlangte es zu sehen, um ihr helfen zu können. Das Mädchen wendete ihm ihr Antlitz zu und beide sahen sich tief und ruhig in die Augen. Max vermochte in dem klaren, leuchtenden Spiegel nichts zu entdecken als sein eigenes Bild. Aber er hielt sie fest, indem er vorgab, daß ein Härchen darin sei. So standen sie beide einen Augenblick da, in ihre Blicke versunken. Plötzlich aber riß sich das Mädchen los und flog lachend den Hügel hinunter; die einzelne Flechte tanzte wild in der Luft, dann war sie in den Büschen verschwunden. Max war der Hinterlist nicht gewärtig gewesen, und er folgte ihr erst, als das Gelächter ihn dessen überzeugte. Aber ihr weißes Kleid verriet ihm wie damals ihren Aufenthalt, und er erhaschte sie in einem der dicht verschlungenen Laubgänge der entlegeneren Anlagen.

»Max! … Max!« rief sie abwehrend, als seine Hand sie erfaßte und seine Locken ihre Schultern berührten und sein Atem ihre Wange streifte. »Max, willst du artig sein oder …«

Ein heißer Kuß verschloß ihr den Mund. Über ihr Antlitz flog eine hohe Purpurröte, und sie entwand sich rasch seinem Arm. Aber ihr Auge glänzte dabei, und ihr Händchen zitterte auf dem ergriffenen Arm des anderen. Max hielt sie fest.

»Was … oder?« sagte er siegreich. »Willst du mich fortjagen?«

Das Mädchen löste die Flechte wieder von dem Hals ab, indem sie die Augen niederschlug.

»Wenn du wieder so anfängst, darfst du nicht mit zum Maifest«, sagte sie leise.

»Und die Maiblümchen?« fragte Max, sich zu ihr beugend. »Soll dein Glas diesmal leer bleiben?«

»Wenn du mir welche bringen willst, kannst du sie ja allein holen«, sagte das Mädchen, ihre Augen tiefer unter den Wimpern bergend, in leisem Bangen.

»Und die Vergißmeinnicht! – du hast mir versprochen, daß du mir jedesmal, wenn ich wiederkomme, ein frisches Kränzchen davon mitgeben wolltest. Das alte, obwohl vertrocknet, hat das ganze Jahr auf meinem Zimmer gehangen.«

»Dann werde ich dir, ehe du fortgehst, frühmorgens einmal welche suchen«, sagte sie im selben versteckten Tone.

Max hielt sie um den schlanken, weichen Leib umfangen und beugte den Kopf zu ihr, um ihr ins Antlitz zu sehen.

»Bist du böse, Lolo?« flüsterte er mit bittendem Tone.

Das Mädchen schlug ihre großen Augen zu ihm auf und sah ihn einen Augenblick ernst an. Dann aber zog ein leises Lächeln um ihre Lippen. Sie legte ihren Arm auf die Schulter ihres Gefährten und drückte seinen Kopf an ihr Gesicht, um ihm die Worte ins Ohr zu flüstern:

»Ich bin dir nie böse, Max!«

Der andere erhob seinen Kopf und sah ihr freudig in das lächelnde, strahlende Antlitz; dann zog er sie weich und inniger an sich, ihre Blicke leuchteten ineinander, und ihre Lippen begegneten sich zu einem langen glühenden Kuß.

»Lolo! – Lolo!« rief es eben in der Ferne.

»Mein Vater ruft nach mir, – komm«, sagte sie hastig, indem sie noch in leisem Erröten das Haar strich. –

Der Gutsherr, dem der Verwalter den Unglücksfall des Knechtes eben mitgeteilt hatte, war in den Garten getreten und kam zwischen den Blumenbeeten hinauf. Da er nicht wußte, wo er das Mädchen suchen sollte, war er dort stehengeblieben, indem er aufs Geratewohl rief.

»Ich komme schon, Vater!« hörte er die helle Stimme des Mädchens ertönen, und während er noch nach der Seite hin, woher er sie dem Ruf nach erwartete, sich umdrehte, kam sie auf ihn zugesprungen. Max folgte ihr auf dem Fuß nach.

»Schöne Geschichten das«, sagte der Alte mit schlecht unterdrücktem Ingrimm. »Da haben sie eben den Georg ins Dorf gebracht; wie sieht der aus, – blutig, zerschlagen, – Gott weiß, ob er davonkommt! Aber das kümmert mich nicht; aus dem Dienst soll er auf jeden Fall, ich habe es schon dem Verwalter gesagt, und die Steinbrecher sollen auch daran denken!«

»Was ist denn, Vater?« sagte das Mädchen, erschrocken über den zornigen Ausdruck des Sprechenden. »Hat der Georg eine Schlägerei mit den Steinbrechern gehabt?«

»Eine Schlägerei? … ja, das fehlte noch«, sagte der Alte, indem er seinen zerbissenen Zahnstocher zornig in den Kies des Weges warf. »Die faulen Halunken haben ihn verführt, in den Brüchen bei der Arbeit zu helfen, und da hat ihm der Teufel zum Dank eine Ladung Steine auf den Pelz geworfen. Aber es soll den Kerlen schlecht bekommen, die mit ihren faulen Geschichten mir den Arbeitslohn von mehr Leuten, als ihrer wirklich sind, ablisten wollen!«

Das Mädchen schwieg, da sie wußte, daß der Alte viel auf den Georg hielt, der ihm als Großknecht auf dem Hofe, als Gärtner und, wenn er ausfuhr, als Kutscher diente. Indem war auch Max herangekommen, und als er den Zusammenhang erfuhr, suchte er dem verwundeten Knecht das Wort zu reden.

»Das gefällt mir vom Georg«, sagte er; »wenn die armen Leute für einen kranken Kameraden einstehen wollen, um ihm seinen Lohn zu bringen, und er hilft ihnen dabei, so ist das nur schön und lobenswert von ihm.«

»Ja, – was hat er jetzt davon?« sagte der dicke Herr ergrimmt. »Jetzt liegt er nun da, weiß Gott wie lange, und was will er machen, wenn er lahm und elend vom Bett aufsteht? In meinen Dienst soll er mir nicht wieder kommen.«

»Sie werden ihn nicht fortschicken, Onkel«, sagte der Student ernst. »Das wäre eine schlechte Belohnung seiner Dienste.«

»So … bin ich ihm etwas schuldig?« sagte der Gutsherr in fortwährender Aufregung. »Bin ich etwa verpflichtet, ihn zu erhalten, wenn er unbrauchbar wird, und wäre es in meinem Dienst geschehen? Kann ich ihn nicht entlassen, wenn ich will?«

»Wenn Ihnen aber ein Pferd oder ein Hund unbrauchbar wird, so sorgen Sie doch für das Tier«, sagte Max, seinen hellen Blick auf den Gutsbesitzer richtend. »Glauben Sie nicht, gegen Ihre Knechte und Arbeiter auch Verpflichtungen zu haben?«

»Nicht einmal eine moralische Pflicht habe ich hier«, rief der Gutsherr, seine Hände in die Hosentaschen drückend; »nicht einmal eine moralische Pflicht, wie ihr Leute es so meint! Hat ihn der Fall nicht getroffen, wo er ihn der Ordnung nach gar nicht treffen konnte? Er mag sich an die Leute halten, für die er dort in die Gruben gegangen ist; ich hab's ihm nicht geheißen, im Gegenteil oft genug verboten. Ich bin wahrhaftig nicht hart gegen die Leute, aber Ordnung muß sein! Das tut der Staat auch. Wenn Leute anderes tun, als ihres Amtes ist, so setzt er sie ab, und sie mögen sich an die wenden, für die sie sich geopfert haben.«

Der Student wollte etwas erwidern, aber der bittende Blick seiner Cousine verschloß ihm für jetzt den Mund. Alle drei gingen sie schweigend dem Hause zu, wo Lolo, die die Aufsicht der Hauswirtschaft führte, allerlei besorgen sollte. Im Hausgang flüsterte sie dem jungen Mann heimlich die Worte zu:

»Er meint es so schlimm nicht, nur darfst du ihn nicht reizen; morgen früh will ich selbst nachsehen, da sollst du mitgehen.« Damit sprang sie leicht die Treppe hinunter, um in den Keller zu gehen.

Max ging mit seinem Onkel in das Wohnzimmer, wo ihnen der Pädagog entgegentrat.

»Ah – mein junger Freund«, rief er. »Dieser Schlummer hat mich erquickt, und ich möchte gern den Rest des Nachmittags noch benutzen. Sie haben mir versprochen, mir zu Volksliedern zu verhelfen; wäre es Ihnen gelegen, mich mit Leuten der betreffenden Art bekannt zu machen?«

»Jetzt, Herr Professor«, sagte der Student trocken, »möchte es wohl nicht an der rechten Zeit sein. Das Volk hat den Tag über seine Beschäftigung, der es nachgehen muß; Sie werden sich wohl bis zum Sonntag gedulden müssen, wo Sie die Leute selbst am besten erforschen können. Am zweiten Feiertag aber feiern sie das Maifest, dem Sie beiwohnen können; es wird Sie vielleicht interessieren.«

»Das Maifest … ein besonderes Volksfest, nicht wahr?« rief der kleine Mann.

»Das Volk, das heißt die Burschen und Mädchen aus dem Dorf ziehen da in der Frühe in den Wald«, erwiderte der Gutsherr statt des andern. »Dort fällen sie einen Baum, den Maibaum, wozu die Gemeinde die Gerechtigkeit hat, und den sie im Dorf gegenüber von der Linde an der Kirchtüre aufstellen. Das ist so die Sitte, weil die Kirchweihe eigentlich mit dem Erntefest zusammenfällt, und sie die erstere um diese Zeit verlegt haben. Das Volk will hier im Dorf keinen Tag weniger zum Faulenzen haben als an andern Orten, wo die Kirchweihe später als das Erntefest fällt. Damit haben sie auch die alte Gewohnheit erhalten, eine Maikönigin zu wählen.«

»Eine Maikönigin!« rief der althochdeutsche Liederjäger mit leuchtendem Auge.

»Die Burschen wählen dort im Walde eine Königin für ihr Fest, welches, beiläufig gesagt, die ganze Woche dauert«, sagte der Gutsherr. »Sie wird gleich im Walde gekrönt mit einer Krone von allerlei Frühblumen, welche die Mädchen unterdessen im Walde zusammengesucht. Dann wird sie im Triumph ins Dorf zurückgebracht, mit Musik sogar, die sich das übermütige Volk mit hinausnimmt; abends wird das Fest unter der Linde eröffnet. Die Maikönigin muß sich selbst einen Tänzer suchen, mit dem sie den Reigen unter der Linde beginnt; dann geht der Zug ins Wirtshaus, wo die Nacht durch, wie die folgenden Abende, getanzt wird. Die Maikönigin aber darf die ganze Woche mit keinem anderen als mit dem selbstgewählten Tänzer tanzen. Früher galt diese Wahl für Verlobung, und auch jetzt nehmen die alten Weiber und abergläubischen Bauern dieselbe für eine Vorbedeutung künftiger Heirat. Dadurch, daß sie es glauben, geht es freilich auch zumeist in Erfüllung; zudem nimmt sich die Erwählte wohl nie einen Tänzer, ohne vorher mit ihm einig zu sein.«

»Das ist eine schöne alte Sitte!« rief der Pädagog begeistert. »Und … und kommen dabei noch besondere Gebräuche vor, volkstümliche meine ich, alte Lieder, welche in früherer Zeit dazu vorhanden waren?«

»Nichts dergleichen«, lachte der Student. »Sie finden wohl, wie ich Ihnen schon sagte, viele Lieder im Munde des Volks, ob aber Volkslieder, weiß ich nicht; Sie müßten sich denn an die alte Sibylle Susanne wenden.«

»Eine alte Sibylle! … und das sagen Sie mir erst jetzt, junger Mann!« rief der Pädagog vorwurfsvoll. »Keinen Augenblick säume ich länger, Sie werden mich zu ihr führen, Sie haben es mir versprochen!«

»Sachte, – sachte«, erwiderte der andere. »Die alte Susanne ist nicht sehr zugänglich und besonders gegen Unbekannte am wenigsten höflich. Nur meine Cousine, die Tochter des Herrn Stempel, vermag mit ihr zu verkehren; die Alte ist närrisch in sie verliebt, weil sie früher, in glücklicheren Zeiten«, sagte er mit einem Seitenblick auf den Besitzer, »Lolos Amme war. Sie müssen daher erst mit dieser sprechen, daß sie Ihnen behilflich ist. Aber ich glaube, daß Sie bei der alten Susanne zum Ziel kommen; sie singt fast den ganzen Tag ganz seltsame Lieder, – es ist nämlich nicht richtig hier! bei ihr.«

Und er zeigte mit bedeutsamer Gebärde auf seine Stirn. Der Professor starrte ihm groß und freudig ins Gesicht; diese letzte Bemerkung schien ihn nicht irrezumachen.

»So … so«, sagte er mit gelassener Spekulation; »ich glaube, das sind die besten. Unzweifelhaft haben ihre Weisen und Lieder volkstümlichen Inhalt, denn bei ihnen wenigstens sind sie gewiß der Ausdruck der ursprünglichen, unverfälschten Herzenssprache des Volks!«

Der Student drehte sich bei diesen Worten, nachdem er den Professor einen Augenblick sehr ernst betrachtet, kurz und ohne Antwort um. Der Pädagog bemerkte seine Entfernung erst, als er aus seinen Träumen auffuhr und ihn anreden wollte.

»Also Ihr Fräulein Tochter«, wandte er sich an den Gutsherrn, indem er ihn in eifriger Verfolgung seines Gedankens beim Rockknopfe ergriff, »Ihr Fräulein Tochter wird so gütig sein, mich zu der Sibylle zu bringen, nicht wahr?«

»Ich will es ihr sagen, daß Sie auf den Kram von alten Liedern so viel Wert legen und so erpicht darauf sind«, erwiderte der Gutsherr, der sich noch mit den Gedanken an den kranken Knecht beschäftigte, gleichgültig. »Ob Sie aber mit zu der Alten gehen können, ist eine andere Frage. Am besten wird's sein, wenn Sie doch durchaus auf der Bekanntschaft bestehen, daß man sie herlockt; Lolo wird sie schon dazu bewegen, daß sie ihre verrückten Lieder singt, und Sie können dann in der Nähe zuhören.«


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