Max Dreyer
Spuk
Max Dreyer

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Zwei Gewitter standen über der See, im Südosten das eine, das andere westwärts. Sie hatten sich festgekeilt gegen einander und grimmten sich an. Die ersten waren es im Jahr, wie die dummen Jungen waren sie und wußten sich noch nicht recht zu benehmen.

Verwundert warf der Vollmond durch die leichten Wolken, die vor den schwarzen Ungeheuern hin- und herflogen, einen Blick auf das, was unter ihm werden sollte. Einen Blick auch auf das kleine Ruderboot, in dem sehr frech und gottesfürchtig ein Mann auf dem höchst unfreundlichen Wasser herumschaukelte.

Er hantierte mit einer Kamera, die offenbar auf die Blitzentladungen wartete.

Aber es kam nicht zu richtigen Blitzen. Nur ein paar große Lichtpunkte sprühten auf – das war nicht viel mehr, als wenn Bestienaugen wütend sich anfunkeln. Aber ein um so gefährlicheres Knarren, Brummen, Fauchen und Belfern wurde vollführt.

Dann aber war mit einemmal Totenstille. Der Wind, der ratlos hin- und hergefuhrwerkt war, legte mit leichtem Gähnen sich schlafen. Eine schwere gleichfarbige grauschwarze Wolkenschicht deckte den Himmel ab.

Zornig fuhr sich der Mann im Boot mit feinen zuckenden Fingern durch die dichte wettermutige Tolle. Jetzt aber hob er lauschend den schmalen Kopf, und wie geprickelt reckten und streckten sich die Glieder.

Da oben in den Wolken hatte die Elektrizität ausgetost, aber hier unten auf der Erde, über den Wassern zuckte es, schwirrte es, flirrte es von einem leisen Zittern, das dem Auge wie ein Flimmern sich gab. Hier unten war noch alles 6 gespannt und geladen und in der Unruhe lebendiger Auswirkungen und leise bebender Entladung.

Gleich richteten sich die Blicke des Forschers nach den hohen Lehmwänden des schroffen, von einem alten Haus gekrönten Küstenvorsprunges, in die ein paar zackige erratische Blöcke eingebettet waren.

Da – ein Bodenblitz springt aus der Uferwand – unverkennbar. Gleich ist die Kamera in Anschlag. Und schon ein zweiter – leider Gottes viel schwächer, aber auch er nicht zu verkennen. Ob aber der Apparat ihn gefaßt hat –? –

Der liegt noch eine ganze Weile auf der Lauer. Aber es springt kein Wild mehr vor ihm auf. Dafür zeigt ein leuchtend Stilles, Ruhendes, Stetiges sich dem verzückten Auge: Lichter sind entzündet, Elmsfeuer brennen auf den Zacken der Findlinge, auf den Giebelkanten des alten Hauses da oben. Ein Zauber, zu zart für die Platte –

Doch jäh wird der Zauber zerstört. Was hat da oben in der stumpfen, stillen Wolkenschicht sich zusammengebraut? Nun bricht sie und schüttet Wassermassen herab, als ob die Sintflut käme.

An Land! Die Schale läuft voll, gleich ist sie am Absacken. Rudern – rudern – rudern – – –

Der Mann springt auf Sand und schüttelt, durchnäßt bis in die Knochenröhren hinein, sein Fell wie ein Pudel. Dann zieht er den Kahn – wer hätte den feinen schlanken Gliedern solche Kraft zugetraut – weit hinauf auf den Strand, wringt sich lachend die triefende Tolle aus und bringt unter dem Dach seines kleinen Holzhauses sich in Sicherheit.

Dies ist Doktor Hennig Diekhoff, erster Assistent am biologischen Institut der Hauptstadt, der zu Studienzwecken an der Küste beurlaubt hier ein eigenes »Zelt« aufgeschlagen hat. 7

*

Er kam an einem andern kleinen Holzhaus vorbei, das, größer, vornehmer, fester gefügt, mehr auf die Dauer berechnet war als seine Hütte.

Sollte er nicht den leckenden Kopf hineinstecken, die Bewohnerin zu erschrecken, zu necken, zu reizen, zu ärgern – oder ihrer Fürsorge sich zu erfreuen. Denn schließlich würde sie ihm doch den – allerdings zur Genüge nassen Kopf waschen ob seiner auf alle Fälle nicht ganz ungefährlichen Navigation an diesem wetterschweren Abend.

Sie, die Freundin aus den Kindertagen – sie beide als Gespielen mit all ihren Eigenheiten vertraut, ihren Listen und Schlichen, ihren Nücken und Tücken.

Und dann überkam ihn mit einemmal die Scheu, sich ihr nach seiner reichlich dreisten abenteuerlichen Fahrt so von Gefahren triefend zu zeigen, als der todesmutige Soldat der Forschung und Wissenschaft vor ihr zu paradieren. Aber im Grunde – ertappte er sich hier nicht doch bei einer Regung – Hand aufs Herz! – das bewußte Pfauenrad vor ihr zu schlagen?

Zum Schutz gegen solche Anwandlung aber brauchte Hennig, der inzwischen in seinem Bau angelangt das nasse Zeug von sich geworfen hatte, sich nur nackt vor den Spiegel zu stellen, brauchte sich so nur aufs Neue zu bezeugen, daß er mit seiner überschlanken Figur, die offenbar den Ehrgeiz hatte, Anschauungsunterricht über die Anzahl der menschlichen Rippen zu erteilen, niemals Gnade vor Lisbets Künstlerauge finden würde.

Lisbet Helmbrecht war eine anerkannte Plakatzeichnerin. Werkkräftige Männer der Faust lagen ihr am besten. Ihr großes Plakat, ›Hammer und Amboß‹, das über einer westdeutschen Maschinenausstellung geprangt, hatte sie bekannt gemacht. Warum gelang ihr die männliche Muskulatur so gut? Weil hier weibliches Empfinden und weiblicher Geschmack eine bestimmte Richtung eingeschlagen hatte. 8 Natürlich verlangte sie, ihrer Wesensart getreu, geistigen Inhalt in dieser für sie allein möglichen Form echter Mannheit. Aber auf diese Form zu verzichten oder sich von ihr etwas abstreichen zu lassen – wer dürfte ihrem Künstlersinn das zumuten?

Mit fröhlichem Ingrimm spielte Hennig Guitarre auf seinem Brustkorb, ehe er ein trockenes Hemd über sich zog.

Die Wolken hatten sich so wüst und so gründlich entleert, daß von ihnen nur noch Dunst übrig blieb. Diesen aber ließ der Vollmond sich nicht lange gefallen. Der zauberte sich erst noch einen regenbogenfarbigen Hof aus dem Nebeldampf, dann ward sein heller Schein Herr der Nacht, die keines Menschen, nur der Dichter und der Liebenden Freund ist.

Hennig stieß die Tür auf und atmete den blauen Lichtzauber in sich ein. So stand er lange. Dann aber zwickte ihn plötzlich das Gewissen. Er hatte das nasse Zeug in die Ecke gekegelt. Morgen kommt die Aufwartefrau Mudder Kielgast – einen Tag um den andern tritt sie an – und vor der hat er doch seine Portion Angst.

Und wahrhaftigen Gott, er dreht seinem Freund, dem schmunzelnden Lichtgott der Nacht, den Rücken, zieht in seinem Bau, der freilich nicht viel mehr als ein Schuppen ist, eine Leine und hängt seine durchnäßte Leibeshülle zum Trocknen auf. Unter die leckende Hose, die am mächtigsten sich vollgesogen hat, stellt er sogar einen Ausgußeimer.

Und der Mond lacht dazu.

Mit einigem Stolz betrachtet Hennig das Werk seiner Hände.

Ja, Krischane Kielgast, du geliebtes altes Ungeheuer, was wirst du morgen deine listigen kleinen Schweinsäuglein aufreißen, wenn deinem wuchtigen Tritt diese Fahnen meiner häuslichen Ordnungsliebe entgegenwehen!

Und wird ihr rauhes Schimpfen »öwer de dreemal 9 vedüwelte un vehexte Taterwirtschaft« nicht in einen säuselnden Lobgesang sich wandeln, den sie dann zu den feinen Ohren der gleichfalls von ihr betreuten Lisbet weiterträgt.

Und wieder sind seine Gedanken in dem nachbarlichen Haus.

Es war noch Licht bei Lisbet.

Und der Mond schien so schön –

So ging Hennig also auf die Nachbarschaft.

*

Lisbet Helmbrechts Hausung sah nun allerdings aus anderen Augen in die Welt als sein trostloser Verschlag, dieser Stapelplatz von Präparaten mit ein paar hölzernen Tischen und Stühlen und einem grausamen einsamen Feldbett.

Bei Lisbet war alles wie beseelt von künstlerischem Behagen. Die Mitte des kleinen Hauses eine Wohndiele, die auch das Atelier der Zeichnerin war. Ringsum vier kleinere Räume: ihr Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine kleine Fremdenstube, die Küche. Ein froher Farbensinn hatte überall gewaltet, mit einem Feingefühl, das in den Tönen keinerlei Mißklang duldete.

Lisbet saß an der Arbeit. Der Kopf, etwas zu schmal und fein für die kräftige hohe Gestalt, war über eine Zeichnung gebeugt, die Stirnhaut hatte in Unmut sich krausgezogen, und die Hand, die schaffende, wollte mit dem Stift, dem ausübenden, sich nicht recht vertragen.

Sehr unwillig klang das ›Herein‹, als Hennig klopfte. Er ließ sich aber nicht abschrecken, und die Wolke der Verdrossenheit, die er dann zu Gesicht bekam, störte ihn nicht sehr.

»Guten Abend, Lis!« grüßte er. »Zur Bewillkommnung«, meinte er gemächlich, »siehst Du mir wieder auf die Füße. Ja, ja, es hat geregnet. Aber ich hab mir die Stiefel gehörig abgetreten – dreimal auf der rauhen Matte vor der 10 Estrade und viermal auf der sanften hier vor der Stubentür. Ich darf Dir getrost in die Augen schauen. Und Du mir auch.«

Er reichte ihr die Hand, sie ergriff sie lässig, immer noch ein wenig abwesend. Aber ihr »guten Abend« hatte doch seinen Klang. »Störe ich sehr?« fragte er.

»Ja. Aber das ist gut. Denn ich kriegte gerade eine Mordswut in den Leib.« Doch war das Böse in ihren großen grauen Augen schon im Abwandern, und sie blickte in ihrer forschenden Art hell auf den Freund und seine Erscheinung.

»Deine schönen Augen schütteln mal wieder den Kopf«, sagte er in seiner geliebten kühnen Bildersprache. »Ich weiß, Du hast an meinem neuen Schlips was auszusetzen. Den ich doch Dir zu Ehren angelegt habe. Der Farbensymphoniker in Dir meint, er paßt nicht zu meinem Anzug, zu meinem Teint, zu meinem Haar, zu meinen Augen – was weiß ich. Aber ich finde ihn eigenartig mutig und über alle Farbenzimperlichkeit erhaben.«

»Du fängst an zu schimpfen. Ein untrügliches Zeichen Deines höchst eigenen schlechten Gewissens. Aber setz Dich. Nein setz dich nicht. Hol die Teemaschine. Und trink eine Tasse Tee mit mir.«

Als sie beisammensaßen, fragte er: »Nun will ich aber wissen, was für eine Wut Dich geplagt hat.«

»Ich komm mit dem Ringkampfplakat nicht zustande, das ich für die rheinischen Kampfspiele übernommen habe. Modelle brauch ich. Wenn Du ein guter Freund wärst –! Aber Deine athletischen Formen!« Jetzt ward sie herbe. »Wenn ich ein Märchenbuch illustrieren wollte – als tapferes Schneiderlein könnte ich Dich brauchen.«

»Immerhin als tapferes.«

»Ja. Alles was wahr ist – Kurage hast Du. Aber mager bist Du auch.« 11

»Welch letzteres man von Dir nicht mit gleicher Zuversicht behaupten kann.«

Er wußte, hier traf er eine verwundbare Stelle. Aber warum sollte er nicht? Warum sollten die Waffen nicht gut und gleich sein.

Einen kurzen scharfen Blick bekam er. Doch damit war die Empfindlichkeit abgetan. Sie dachte selbst zu gerecht von diesen freundschaftlichen Plänkeleien. So sagte sie mit fröhlicher Zerknirschtheit: »Recht hast Du. Ich erwarte jetzt gutes von einer Backpflaumenkur. Außerdem mußt Du mich kräftiger beim Schwimmen herannehmen.«

Dann runzelte sich wieder tiefer ihre Stirn. »Aber ich werd ja in die Stadt müssen. Hier finde ich nun mal die Modelle nicht. Der Einzige wäre der Schmied Vollrat in Rodebruch, aber der kriegt einen Bauch und platzt aus der Linie.«

»Wie ist es überhaupt« –er wurde nachdenklich – »mit Deiner, mit unserer Seßhaftigkeit hier? Hast Du noch kein Schreiben von den Erben dieser Grundstücke bekommen?«

»Nein. Und was soll das nun wieder sein –?«

»Mir hat man geschrieben, ich hätte bis zum ersten Oktober meine Baracke zu entfernen. Ein Bevollmächtigter der Erben würde sich in den nächsten Tagen hier einfinden. Hoffentlich steht Dein Holzhaus auf festerem Grund. Soviel ich weiß, hast Du mit dem verstorbenen Konsul keinen langjährigen Kontrakt gemacht –«

»Nein. So wie wir miteinander standen! Wer konnte aber auch daran denken, daß er so plötzlich die Augen zumachen würde! Ja, Du glaubst doch nicht, daß ich meinen Bau hier abbrechen muß!«

»Wir müssens abwarten.«

»Kennst Du die Erben? Ein Sohn ist da, der bekannte Forschungsreisende. Aber der ist nicht da, weil er irgendwo in Südamerika steckt.« 12

»Er hat als Miterben zwei Schwestern. Von einem seiner offenbar sehr betriebsamen Schwäger scheint der bewußte Schreibebrief an mich auszugehen.«

»Ach Hennig – nun hast Du mir wieder vollends die Stimmung verdorben! Du weißt, wie ich dieses Land liebe!«

»Wenn man etwas lieb hat, setzt man sich dafür ein!« Er hob den Kopf. »Glaubst Du, ich liebe das Land nicht auch? Noch mehr als Dir ist es mir ans Herz gewachsen – denn es hat ja mit mir und ich habe mit ihm gearbeitet. Meinst Du, ich laß mich jetzt so mir nichts dir nichts über die Grenze jagen!«

Seine blaugrauen Augen vertieften sich, ganz dunkel wurden sie, beinahe schwarz.

Lisbet liebte dieses Farbenspiel, wenn sich so die tapfere Kraft seines Wesens sammelte. Und schon solche Beobachtung, an der nicht nur ihr Künstlersinn, sondern auch das Freundschaftsgefühl seine Freude hatte, half ihr über Sorge und Trübsal hinweg.

Sie wußte, daß sie auch hier mit Hennig Schulter an Schulter stand, und daß er für sie sich ins Zeug legen würde, mehr noch als für sich selber. Was sie selten tat, sie fragte ihn jetzt nach dem Gang seiner Forschungen. Freudig und dankbar gab er ihr Auskunft.

»Ich bin jetzt soweit, behaupten zu können, daß es nicht nur Meerleuchten, daß es auch Landleuchten gibt. Gerade unser Vorsprung hier ist elektrisch begnadet. Und das alte Bauernhaus da oben, das sie das Spukhaus nennen – da sind ganz gewiß besondere elektrische Strömungen, Spannungen, Entladungen am Werk.«

Und nun weiteten sich die Augen in geradezu visionärer Weltbetrachtung. »In allen Körpern, den unorganischen wie den organischen, walten Elektroden – wie sie gelagert, wie sie verteilt sind, das macht das individuelle Leben aus – 13 hierin haben wir vielleicht das ganze biologische Geheimnis der Welt.«

Sie betrachtete sich lange sein feines, kluges, begeistertes Gesicht, das von soviel Mut zum Großen, von soviel Streben ins Hohe beseelt war, und dachte, immer wieder in einer Animalität ihres Formsinnes befangen, wenn doch diesen Kopf ein Heldenkörper trüge!

Er aber ging jetzt ganz in seiner Sache auf. »Ich habe bei den Leitern des biologischen Instituts erreicht, daß dies hier von mir entdeckte Forschungsgebiet als unentbehrlich gilt. Alles werde ich daran setzen, daß wir die Halbinsel mit dem alten Bauernhaus als Eigentum in die Hand bekommen. Hier wird dann eine Zweiganstalt gegründet werden. Und jetzt mach ich mich also an die Hahnenkampschen Erben.«

So sprühte er Funken der Tatkraft und einer frohen Siegeszuversicht.

Lisbet hatte ihre Freude an ihm, vertraute einem Führenden seiner Art und ließ sich von ihm beraten.

»Ich würde meine Reise in die Stadt solange aufschieben, Lis, bis wir den bewußten Bevollmächtigten uns zu Gemüte geführt haben. Ganz gewiß kriegen wir ihn krumm. Du läßt Deine Reize spielen, und mir steht meine Frechheit bei. Und morgen früh hole ich Dich also zum Schwimmen ab.«

»Woll.«

»Du kommst mit zum großen Stein. Die drei Kilometer dahin, jetzt schaffst Du sie.«

*

Als Krischane Kielgast in der Frühe des folgenden Morgens mit ihrem trampelnden drohenden Männerschritt in Hennigs wackelnde Bude trat – er saß schon nach Bereitung des Morgentees bei seinen Präparaten – da schlug sie angesichts der fein säuberlich aufgehängten Kleider die Hände über ihrem mutigen Magen zusammen. 14

»Nee sowat lewt nich! Na Dokding« – dieses kosende Verkleinerungswort mußte er sich immer sehr sauer verdienen – »vielleicht krieg ich aus Sie nochmal 'n ornlichen Menschen zurechtgestakt.«

»Holdseligste der Frauen«, sagte er, »dies Präparat, diese Flasche stelle ich jetzt ins Fenster. Sie braucht ein paar Stunden das volle Sonnenlicht. Wenn Sie sie anfassen, wenn Sie sie nur mit den Augen berühren« – seine Stimme donnerte – »dann dreh ich Ihnen das Genick um. Verstehen Sie! Das Genick dreh ich Ihnen um!« Aber schon säuselte er wieder lieblich. »Hören Sie, meine Elfe, mein Goldfasan, meine lachende Lust!«

»Kinner Lüed, was is das wieder für'n Trara. Sie wissen doch, daß ich um Ihren Buddel- und Gläserkram in großem Bogen herumgeh.«

»Der Bogen, Du mein holdes Geheimnis, der muß immer noch größer werden. Der kann gar nicht groß genug sein!«

Nun wurde sie grob. »Dieser ganze Trödelkram. der is ja Schuld daran, daß man hier überhaupt nicht aufräumen kann. Wenn hier 'n anständigen Menschen herkommt un der hört, daß Mudder Kielgast hier reinmacht, in Grund und Boden muß ich mir ja schämen!«

»Schämen Sie sich, Mudder Kielgast – schämen Sie sich in Grund und Boden. Schamgefühl ist des Menschen edelste Regung. Aber Sie tragen heut die Nase so besonders stur in den Wind – Sie haben 'ne Neuigkeit.«

»Hab ich auch!« knurrte sie.

»Sag an, mein Wonnetraum, was ist das?«

»Na erstlich mal« – und damit warf sie als die wandelnde Gazette der ganzen Landschaft sich in die Brust – »ist da in unsern Badeort 'n Zirkus angekommen.«

»Was Sie nicht sagen, Mutter Kielgast.«

»Ja, einen von die besseren. Nich so einen mit 'n paar verhungerte Kracken un 'n wahrsagenden Esel un 'ne 15 Tänzerin ohne Waden un 'n versoffenen starken Mann un sowas. Sie wollen hier in der Umgegend ihren Umzug halten.«

»Das wollen wir uns denn auch ausgebeten haben, was Krischäning?«

»Un denn – hab ich Peter Röper gesehen.«

»Ach nee.« Er hatte keine Ahnung, wer Peter Röper war.

»Er is nu wieder hier.«

»Das ist man gut.«

»Sie wissen doch – er war als Schofför mit den jungen Herrn Hahnenkamp in Südamerika, in Brasilien und da herum« –

Bei dem Namen Hahnenkamp wurde Hennig hellhörig. »Ist Herr Hahnenkamp denn auch wieder zuhause?

»Ja. Un der is auch hierhergekommen. Logieren tut er in Strandhotel. Ja. Un was Peter Röper is, das is ja so'n Stück Verwandtschaft von mir. Was seine Mutter is un ne Kusine von eine Tante von mir, die haben doch zwei Brüder geheiratet –«

Hennig hatte keine Lust, sich mit ihr in die Abgründe ihrer Sippenforschung zu stürzen. Hahnenkamp war das Losungswort. Er brachte dann aus ihr heraus, daß die Erben des alten Konsuls mit dem großen Gelände hier was vorhätten. Es sollte parzelliert werden, ein neuer Badeort sollte hier entstehen. Der fürtreffliche Peter war ihr Gewährsmann.

Diese Neuigkeit, die immerhin glaubwürdig erschien, fuhr Hennig doch einigermaßen ins Gekröse, und früher als sonst begab er sich zu Lisbet, sie zum Baden abzuholen.

*

Sie strebten mit Brustschwimmen, mit Kraulen, mit Rückenschwimmen dem großen Stein zu. Hennig war als Schwimmlehrer unerbittlich.

»Beim Kraulen gefällt mir immer noch Deine Beinhaltung 16 nicht.« Er machte es ihr vor. Die letzten paar Meter mußte sie es nachmachen. Und nun waren sie am Ziel.

Lisbet war doch heilfroh, daß sie ausruhen konnte. Aber es machte ihr Mühe, erschöpft wie sie war, auf den Stein hinaufzukommen. Sie schob freilich die Schuld auf die Glätte, an der die Guanoablagerung der hier sehr lebhaft beschäftigten Möven wesentlich beteiligt war. Er aber sah gleich, daß sie sich so ziemlich verausgabt hatte, half ihr, ohne seine Hilfe sie sehr merken zu lassen, und war dann freigebig mit seinem Lob.

»Siehst Du, wie gut Du die halbe Meile durchgestanden hast.«

»Erstlich war es keine volle halbe Meile. Und dann mit der Abwechslung, für die Du gesorgt hast –«

»Ohne die hätte ich selber meine Not gehabt. Da die Strömung uns so entgegen war.«

In der Mitte des mächtigen Blocks war eine Mulde, von der Sonne erwärmt, von den Möven verschont, die den Rand des Felsens bevorzugten – da ruhten sie sich aus. Alle Sorgen und alles Geschäftliche, auch alles Geplänkel und alle Zänkerei hatten sie an Land gelassen. Hier gab es nur Meer für sie und Sonne und Himmelsweite.

Erst nach einer Weile kam dann auch der gastliche Stein selber an die Reihe.

»Du sagst, daß er Bußkam heißt« – sie kuschelte sich mit geschlossenen Augen in die Sonnenwärme und verlangte halbmüde nach seiner Belehrung.

»Der Name ist vermutlich wendisch. Aber die Volksethymologie hat eine Legende um ihn gewoben.«

»Legenden sind besser im Dämmerschein. Aber sprich.«

»Die ganze Küste hier ist altes Klostergut – Mönche haben hier gesiedelt. In dem alten Kirchdorf hat das Kloster gestanden. Hatte ein Mönch sich gegen die Keuschheitsregel vergangen, wurde er bei Sturm und Wetter zur Buße auf 17 den Kamm dieses Felsens gesetzt. In zweifelhaften Fällen ward hier ein Gottesurteil erzielt. Blieb er oben, war er unschuldig.«

»Für die nötige Unterhaltung haben sie in ihrem Klosterleben schon gesorgt.« Dann lächelte sie munter und zeigte auf den glitscherigen Rand des Steines. »Aber ein Gottesurteil, an dem die Verdauungstätigkeit der Möven beteiligt ist –«

Nach einer Weile fragte sie: »Meinst Du nun auch – Du mit Deinem Glauben an die allgegenwärtige Elektrizität – daß in diesem Felsblock elektrische Vorgänge sich abspielen.«

»Gewiß.«

»Durch die Berührung mit unsern Körpern –«

»Durch sie und auch ohne sie.«

»So gut wie in den Mönchen? Und in uns?«

»So gut wie in uns und in ihnen.«

»Dann ist wohl gar Keuschheit und Unkeuschheit auch was Elektrisches.« Sie reckte die Glieder.

Er rang um eine wissenschaftliche Fassung.

Aber schon sprang sie auf. »Es ist Zeit!« erklärte sie kurz. »Wir wollen zurück.«

Regte sich etwas in ihrem Blut? Seine Blicke forschten, sein Herz klopfte.

Er war – als hätte er jäh etwas abgeworfen – auch gleich auf den Füßen. »Dann also!« sagte er, steilte sich auf und schnellte sich mit tadellosem Kopfsprung in die Flut.

Gut gewachsen ist er, so bestätigte sie sich sein Bild. Wundervoll ebenmäßig, ohne Frage. Und was geben die Sehnen alles bei ihm her. Aber besser bekleidet müßten sie sein. Häßlich ist und bleibt nun mal diese Magerkeit. Auch wenn man sie sportlich als Uebertrainiertheit gelten lassen wollte – –

Schon war sie ins Wasser geglitten und nun schwammen sie beide gemächlich dem Lande zu. Das schon wieder mit den Sorgen des Tages sie an sich zog. 18

»Willst Du Mittag bei mir essen?« fragte sie. »Vater Strübing hat mir Steinbutt gebracht.«

»Oh!«

»Und wir müssen über die Landesverteidigung beraten.«

»Ja. Sehr wahrscheinlich, daß Herr Hahnenkamp, der ja nun im Lande ist, uns heute blühen wird. Oder, sagen wir schon, wir blühen ihm!«

*

Steinbutt mit holländischer Tunke – und – mit Fanfarenklängen als Nachtisch.

Sie hatten früh gegessen. Das Gespräch hatte sich zumeist um den Forschungsreisenden Bodo Hahnenkamp gedreht, der nun hier über das Familiengut ein Machtwort sprechen würde.

»Wenn er so aussieht, wie sein Vater, der Konsul«, meinte Hennig, »wird er unbedingt Gnade vor Deinen Augen finden.«

»Und ein Mordsjunge muß er doch sein. Mit seinen Entdeckungsfahrten im dunkelsten Brasilien.«

»Hm –«

»Was meinst Du?«

»Mir war es verdächtig, daß die Zeitungen den Mund so vollnahmen.«

»Und Du meinst, er selbst ist es, der sie so gefüttert hat.«

»Wer sonst.«

»Warum soll er nicht. Klappern gehört zum Handwerk.«

»Es war etwas viel des Klapperns.«

»Du hast so Deine besonderen Maße und Gewichte. Der Mikroskopiker, der Mikrokosmopolit, der Du bist. Essen tust Du auch wie ein Spatz.« Jetzt hob sie horchend den Kopf nach dem Altan zu. Da draußen wurde eine schmetternde Blechmusik immer vernehmlicher.

»Das werden die Zirkusleute sein.« 19

Sie waren's. Und als die Beiden fertig mit dem Mahl vom Tisch sich erhoben, kam der Zug schon an das Haus, in der Richtung auf das Nachbardorf zu, um auch hier Ohren, Augen und Herzen mit seiner Anpreisung zu bezaubern.

An der Spitze ritt im Trikot des Athleten der hohe mächtige brustgeschwellte Mann, der offenbar der Meister, der Baas, der Direktor des Ganzen war, hinter ihm zwei Herolde mit mächtigen Tuben, dann kam eine sehr stattliche Dame als Schulreiterin, geleitet von zwei Panneauartistinnen in losen Tüllröckchen, es folgten, beritten auf Pferden und Eseln, Künstler und Clowns mit allen möglichen Blechinstrumenten, Trommeln und Pauken, den Schluß machte eine Gruppe zu Fuß, die nach Tracht und Haltung gewiß nicht das Geringere, vielleicht sogar das Wertvolle an Künstlerschaft enthielt.

Die Pferde waren gepflegt, die Kostüme ohne schreiende Aufdringlichkeit, sauber gehalten, das Ganze machte in bescheidenem Rahmen einen ordentlichen Eindruck.

Lisbet und Hennig betrachteten mit den munter gelockerten Blicken, wie sie Jahrmarktsschaustellungen zukommen, die bunte bewegte Schar, neben der fröhliche Dorfjugend einhertrabte. Die Musik hatte ausgesetzt, die Lungenkraft sollte für das nächste Dorf gespart werden.

Plötzlich machten Hennigs Augen einen großen Satz, er sprang dem Völkchen nach über den Altan, eilte zu dem Ende des Zuges, streckte dem Einen der hier marschierenden Künstler beide Hände entgegen und zog ihn mit seiner Begleiterin ohne Umstände aus dem Haufen.

»Flodoard – Florinde – Sie sind hier! Kommen Sie – Sie müssen mir erzählen« –

Schon hatte er die Beiden an den Armen gepackt und nahm sie sich mit auf den Altan.

Er war ein langer hagerer älterer Mann in einem betont phantastischen aber nicht plump auffälligen Mantel, sie ein 20 kleines sprühend lebendiges Mädelchen in Pagentracht mit zwei Feuerrädern von Augen.

»Hier Lis – die mußt Du kennen lernen. Du weißt schon von ihnen. Mein Freund Meister Flodoard – langjähriger Insektenlieferant für unser Institut. Ein entthronter König. Der Letzte aus der Dynastie der berühmten Flohtheaterdirektorfamilie Hupf. Und dies seine Prinzessin Tochter Florinde.«

Lisbet, ein wenig zurückhaltend nach ihrer Art, ließ es gleichwohl an Liebenswürdigkeit nicht fehlen. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Flodoard senkte schwer das langnasige Haupt. »Wenn der Direx uns vermißt« – sagte er dumpf.

»Ach was!« lachte die Kleine. »Um uns Fußfanteristen kümmert er sich nicht viel.« Ihre Augen tanzten sehr unbekümmert umher und besahen sich ungeniert die Skizzen an den Wänden.

In Lisbet aber klopften diese fremdartigen Erscheinungen an den Künstlersinn. »Sie dürfen mir nicht gleich wieder fortlaufen. Ich möchte Sie zeichnen.« Sie musterte Florinde. »Wenn es auch besondere Künste kosten wird, diese gewitterschen Polkamazurka-Augen festzuhalten – aber gerade darum – ! –«

Schon hatte sie ihr Skizzenbuch in der Hand. »Hennig, schenk unsern Gästen ein Glas Madeira ein. Und erzähl Du Dir was mit ihnen. So krieg ich sie am besten.«

Hennig wandte sich fragend an den Alten. »Also keine Hoffnung mehr? Mit Ihren kleinen Künstlern ist es aus?«

»Aus, Herr Doktor.« In leisem, aber um so tiefer ergreifenden Klageton: »Es gibt keine Menschenflöhe mehr.«

»Oh«, wandte Hennig trostspendend ein, »nach den neuesten Berichten finden sich wieder welche.«

»Wohl. Aber was sind das für kümmerliche Geschöpfe. 21 Körperlich und geistig degeneriert. Die Künstlerlaufbahn bleibt ihnen jedenfalls verschlossen.«

Lisbet, die sich munter dem prickelnden Gespräch zuwandte, horchte auf von ihrer Zeichnung. »Ja, aber es gibt doch Hundeflöhe.«

»Das freilich, meine Gnädige«, antwortete Flodoard, mit dem nachsichtigen Wohlwollen des Fachmannes. »Auch Katze, Marder, Huhn, Maus, Igel, Eichhörnchen, Maulwurf, Fledermäuse haben Flöhe. Aber diese Arten sind völlig unbrauchbar für unsere Zwecke. Sie sind geistig minderwertig und für die Dressur nicht geeignet. Sind für das Höhere verloren. Sind so gut wie ohne Intelligenz. Es ist, als ob der vertraute Umgang mit den Menschen –«

Hier mußte Lisbet nun fröhlich auflachen. »Oh wie uns das ehrt!«

Sie war mit dem Kopf des Alten beschäftigt, so bemerkte sie nicht, wie in den von lebendiger Inbrunst und feinster Regsamkeit geladenen Augen der Kleinen zornige Flammen aufschossen. Eine gewisse überhebliche Ironie in Lisbets Art, ihr selber kaum bewußt, hatte diese Funken geschlagen. Und ein Feindliches in Florindes Augen beobachtete die andere Frau.

Ehe diese Regung sich aber mit Hennig, dem Manne, beschäftigen konnte, tönten kräftige Hupentöne von der Straße ins Haus, die offenbar neuen Besuch ankündigten.

*

Ein prunkender achtzylindriger Maybach – reichlich auffällig und aufdringlich war er in die bescheidene Ländlichkeit hineingeknallt.

Dem Wagen entstieg ein sehr großer, schlanker, sehr gut gekleideter Herr, der selbst etwas Prunkendes und Achtzylindriges hatte. Allerdings versöhnte er nun wieder durch die Art, in der er mit dem Schofför sprach, der auf seinem 22 Platz verblieben war und ihm nicht in untertäniger Dienstbeflissenheit den Schlag hatte öffnen müssen.

Er trat auf die Estrade zu – Lisbet ging ihm entgegen.

»Fräulein Helmbrecht, nicht wahr?« sagte er mit einer Stimme, deren Klang ein wenig zarter und feiner war als zu seiner Gestalt paßte. »Ich bin Hahnenkamp – Bodo Hahnenkamp, der Sohn des Konsuls.«

Lisbet hatte unverhohlene Freude an seiner Erscheinung. Er war tadellos gewachsen, sein Körper bezeugte auf den ersten Blick die Sorgfalt einer geradezu kunstvollen Pflege. Die Züge waren kühn geschnitten, von auffallender Schönheit war der Mund, nur hatte er etwas Knabenhaftes, vielleicht sogar etwas Frauliches, auf keinen Fall was sehr Mannhaftes – ein Weiches und Empfindsames schmiegte sich um den feinen Schwung der Lippen.

Aber haben nicht Stirn, Nase und Kinn genug Stärke und Kraft! Gut, daß ihm etwas beigemischt ist, das vor Brutalität ihn wahrt. So deutete sich Lisbet, von ihm gewonnen, gleich sein Gesicht zu seinen Gunsten.

Hennig war es im Augenblick wichtiger, als den Besuch, mochte es auch der Lehnsherr sein, in prüfenden Augenschein zu nehmen, noch sein Gespräch mit Flodoard zu beenden.

Florinde aber dachte nicht daran, im Verborgenen zu blühen, mit ganzer Front stellte sie sich ins Zimmer und sie ruhte nicht eher, als bis ihre Blicke die Pupillen des Herrn Hahnenkamp sich festgegriffen hatten, die denn auch gern eine Weile in dem Glanz ihrer Augen ausruhten. Ihm war dies die Huldigung, auf die er Anspruch hatte – ihr galt es als eine kaum weniger gewohnte Eroberungsfahrt ihrer Blicke.

Als aber Lisbet, hinter deren Rücken sie ihr Spiel vollführte, sich plötzlich umwandte, flitzte sie zu ihrem Vater, der sich eben von seinem Gewissen geplagt verabschieden wollte. Der Zug mußte inzwischen das Dorf erreicht haben, er würde 23 auf anderem Wege umkehren. Es galt jetzt, sich an ihn durch die Heide mit ihren Kieferbeständen und Wacholdersträuchen hinanzupirschen.

Florinde aber liebäugelte da draußen zuerst noch gründlich nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit Peter Röper, dem Schofför. Der seinen ganzen schweren Gleichmut brauchte, um von ihren über ihn hersprudelnden Fragen und dem schäumenden Strudel ihres ganzen Wesens nicht betrunken zu werden.

»In dem Wagen muß ich auch noch mal fahren!« erklärte sie zum Schluß. Dann war sie koboldhaft hinter den Machandelbäumen verschwunden.

*

»Herr Doktor Diekhoff, Assistent am Biologischen Institut – mein Nachbar hier auf Ihrem Grunde!«

Bodo Hahnenkamp setzte auf die Vorstellung einen sehr liebenswürdigen Händedruck.

»Ich weiß – mein Vater hat dem Institut für Forschungszwecke das ganze Gelände hier zur Verfügung gestellt. Ich darf von mir behaupten, daß ich vor wissenschaftlicher Forschung ganz gewiß keine geringere Achtung habe.«

Das sollte bescheiden klingen, und ein bescheidenes Lächeln gab den Worten das Geleit. Aber sollte – sollte es nicht! Und hier war gleich etwas, was Hennig nicht gefiel und ihn argwöhnisch stimmte.

Oder war das geradezu strahlende Wohlwollen von Lisbet Schuld daran, daß er mit diesem neuen Mann so strenge ins Gericht ging?

Ohne Frage – er hatte etwas Bestechendes und Blendendes. Ihn als Blender aber kurzweg abzutun, war zum Mindesten vorschnell. Alles hatte er in seiner Erscheinung, was er selber, Hennig, nicht besaß. Wie leicht konnte der Neid hier allzu scharf und schartig machen! Verdächtig wirkte 24 immerhin dieser Mädchenmund, dem gewiß sein Teil Süßigkeit beschieden war, aber der gerade in der Schönheit seiner Schwingung etwas Betörendes hatte. Und dann – ja, da in den Augen – dann und wann kam etwas Schwimmendes in ihrem Glanz.

Aber wieder konnten sie klar, fest und verläßlich blicken, und als er jetzt von dem sprach, was hier werden sollte, nahm auch seine Stimme einen tieferen Klang an.

»Ja meine Herrschaften, für mich gibt nun einmal das Persönliche allen Sachen ihr Gesicht. Und nachdem ich Sie kennengelernt habe, und wo ich Sie jetzt in dieser Umgebung sehe, denke ich anders als meine Geschwister über die Verwendung dieser Grundstücke hier. Der eine meiner Schwäger hatte was ganz Abenteuerliches im Sinn: er möchte hier am liebsten einen neuen Badeort gründen.

»Um des Himmelswillen!« rief Lisbet höchst ungezwungen. »Als ob wir nicht schon genug Badeorte hätten!«

»Ganz dasselbe hab ich ihm gesagt. Und zum Glück ist alles nur halb so schlimm bei ihm.«

Sie saßen bei einer Zigarette zusammen. Bodo Hahnenkamp sprach sich unverhohlen weiter aus und gewann sich damit noch mehr Lisbets Herz. »Ich hab die Möglichkeit, den Teil der Erbschaft, der hier in Grund und Boden festliegt, auf mich allein übertragen zu lassen.«

»Und werden Sie das tun?« Lisbet ging ganz unbefangen ihre Straße.

»Ja.«

»Das freut mich. Ich kenne Ihren Herrn Schwager nicht. Aber ich muß ehrlich sagen, daß ich den geschäftlichen Verkehr mit Ihnen vorziehe.«

Die Beiden verstanden sich. Hennig, der sich vorerst am Gespräch nicht beteiligte, beschränkte sich auf seine Beobachtungen.

»Sie werden mich also nicht exmittieren?« 25

»Aber mein gnädiges Fräulein! Auch wenn es mir nicht widerstrebte, den ganz eigenen Reiz dieser Landschaft durch eine größere Ansiedlung zu zerstören –! Ich kann mir vorstellen, wie Sie an diesem Fleckchen Erde hängen!«

»Ja, sehr häng ich an ihm.«

»Wer dürfte Sie hier vertreiben wollen! Sie die Künstlerin! Wissen Sie, daß Ihr Name mir lange bekannt ist! Soll ich Ihnen sagen, daß ich Ihr Plakat »Hammer und Amboß« in Bahia gesehen habe!«

»Ach nein.«

»Wie heute ist mir das. Eine Herzensfreude war mir dieser Gruß aus der Heimat. Und eine ebenso große Herzensfreude die künstlerische Gestaltung selbst. Natürlich ist Ihr Name mir lebendig geblieben. Und daß ich Sie hier jetzt finde – ich möchte sagen erdverbunden mit mir – das gehört für mich zu den überraschenden Geschenken des Lebens.«

Er spricht gut – zu gut – allzu gut – und viel zu vertraut, viel zu zärtlich auf den ersten Hieb! In Hennig begann es zu wühlen. Und dann hielt es ihn nicht länger im Hintergrund. Er fühlte sein Recht, auch dabei zu sein.

»Ich freue mich, daß die Kunst hier so gut fährt«, sagte er in aller Freundlichkeit, mit der er gehalten, aber deutlich genug sich in Erinnerung brachte.

Schon griff Bodo ein. »Der Wissenschaft soll es ganz gewiß nicht schlechter gehen. Mein Vater war mit dem Direktor Ihres Institutes sehr befreundet, wir sind auch mit ihm verwandt. Wenn mein alter Herr dieses Land hier als ein Schutzgebiet der Anstalt für ihre Forschungen überlassen hat, so betrachte ich das durchaus als sein Vermächtnis.«

»Ist damit der Bescheid des Anwalts der Firma, ich hätte bis zum ersten Oktober meinen Bau hier abzubrechen und das Feld zu räumen – ist der damit hinfällig geworden?«

»Gewiß, Herr Doktor Diekhoff. Eine von den sehr lebhaften Selbständigkeiten meines Schwagers. Da ich jetzt das 26 Besitzrecht über dieses Land bekomme, hab ich allein hier zu bestimmen. Und – das bewußte Vermächtnis meines alten Herrn bleibt unangetastet.«

Zu der Hinterlassenschaft gehörten zwei Häuser, eine moderne kleine Villa, die in der Nähe des benachbarten Badeortes lag, und das uralte Bauernhaus hoch oben auf der Landzunge.

»Ich will mir jetzt einmal diese beiden Quartiere ansehen. Mein Vater hatte seine ganz besondere Vorliebe für das alte Haus – eine, ich möcht fast sagen, okkultistische Vorliebe. Denn es hieß von jeher, es sei nicht geheuer in dem alten Bau. Aber gerade das reizte ihn. Er verriet, ohne sich auf Einzelheiten einzulassen, daß er hier verschiedene Spukerscheinungen erlebt habe. Und er wolle dem auf den Grund gehen. Wie zur Entschuldigung fügte er hinzu, der nüchtern harte Geschäftsmann: jeder Mensch habe nun mal seinen mystischen Fleck.«

*

»Nun, wie gefällt er Dir?« fragte Lisbet.

»Er gefällt mir – weil ich nicht klug aus ihm werde.«

Sie schüttelte den Kopf. »Weil Du nicht –! wieder ganz der verrückte Hennig mit seinem verrückten Forschertrieb.«

»Eben so komm' ich ihm auf die Spur.«

»Verehrtester, Deine Naturbeobachtungen will ich gelten lassen. Deine Menschenforschungen –«

»Der Mensch ist Natur.«

»Nun bitte mal ohne Diekhoffschen Tiefsinn: er ist doch offenbar einer, wie er in die Welt gehört.«

Ihn störte die Wärme des Tones und der Augen, aber er dämpfte die Ironie in seinen Worten: »auf dieser nicht allzu eng bemessenen Basis können wir uns einigen.«

Sie sah die Schatten, die bei ihm zogen. Gerade die aber 27 bedrückten ihren Unabhängigkeitssinn, der nun seiner Grausamkeit sich überließ. Und die Fantasie ihres Künstlertums duldete keine Fesseln.

»Du«, sagte sie, »weißt Du, daß er ein vollendetes Modell für mein Ringkampfplakat abgeben könnte!« Hier kam nun bei ihr das Sachliche obenauf.

Bei ihm nicht. Aber er war klug und stark genug, seine Empfindungen sich nicht über den Kopf wachsen zu lassen. Und Kopfarbeit, ganz Verstandestat war seine Antwort. »Wir wollen sehen, ob es eine Möglichkeit gibt, ihn dazu zu kriegen.«

Wir wollen sehen – Hennig, der Freund. Sie stutzte hier ein wenig bei dieser Gefühlsoffenbarung, aber sie ging ihr nicht weiter auf den Grund.

Und nun zog sie näher und wärmer die neue Erscheinung an sich heran, die ihrem Frauensinn so wohl tat und ihren Schaffenstrieb erregte, sie bildhaft zu bezwingen.

Wie sie jetzt auf Hennig blickte, der nach seinem ganzen Gehabe die vorgezeichneten Grenzen des Geschwisterlichen nicht mit der gewünschten Peinlichkeit wahrnahm, drängte in ihrem durch die neue Begegnung stark aufgelockerten Wesen etwas nach Aussprache und Klarstellung.

In ihrem Blut ging nun einmal etwas um, und weibliche Regung stimmt unerbittlich. Als dann das Werbende in Hennigs Augen und Art ihr wieder zu schaffen machte, mußte er dran glauben.

»Wir werden uns diesen Herrn also gemeinsam zu Gemüte führen«, so gab er jetzt die Losung aus. In dem ›gemeinsam‹ war ein sehr starker Ton, gegen den Lisbet, hellhöriger als sonst, um so kräftiger sich auflehnte.

»Ich weiß nicht einmal, ob ein solches ›gemeinsam‹ taktisch das Richtige sein würde.«

Er sah sie an. Er ahnte, worauf sie hinaus wollte.

»Und Du kniest Dich hier wieder in ganz besondere 28 Voraussetzungen hinein« – fügte sie hinzu, bedeutungsvoll, mit kalter Härte.

Da war es. Ein Schlag auf das hocherhobene Haupt. Aber so leicht läßt ein Hennig Diekhoff sich nicht unterkriegen.

»Da hier besondere Folgerungen winken, sind die besonderen Voraussetzungen das Gegebene«, sagte er klar. Und er war nicht der Mann, um den heißen Brei herumzuschleichen. Dies war jetzt, wenn auch ein wenig unerwartet, die Zeit, ein kräftig Wörtlein zu reden und mit aller munteren Offenheit der seelischen Klarstellung sich anzunehmen.

»Wenn wir hier die Zweigstelle des biologischen Instituts bekommen – und wir werden sie bekommen – dann erhalte ich die Leitung. Dann kann ich heiraten und dann werde ich heiraten. Und Dich werde ich natürlich heiraten.«

Hier war eine ganz unbeschwerte und unbekümmerte, geradezu lachende Entschiedenheit.

Sie ließ sich durchaus in diese Fröhlichkeit hinaufziehen.

»Mich. Natürlich mich. Was Du sagst. Aus Materialmangel?«

»Sehr richtig!« fiel er sofort ein. »Weil es nichts anderes für mich gibt.« Darin war nun doch der ganze tiefe Lebensklang. Und seine Herzensheiterkeit verließ ihn nicht.

»Dabei steht fest, daß Du, Lis, diese glatte Liebeserklärung und diesen Heiratsantrag auf dem Gewissen hast. Denn natürlich ist bei mir eine Angst dabei im Spiel. Seit dieser Herr Hahnenkamp sehr plötzlich Fühlung mit Dir gewonnen hat und Du jetzt Deine sehr bedrohlichen handgreiflichen Vergleiche anstellst.«

»Lieber Junge – nun setz Dich einmal still zu mir. Heiraten – wir uns heiraten! Ja, kennen wir uns denn dafür nicht viel zu gut – von Kindheit her!«

»Und heiraten soll man aus möglichst großer Unkenntnis.« Er hatte sein ganzes freies Lachen.

»Da ist gar nichts zu lachen«, meinte sie. »Vielleicht soll 29 eine rechte Ehe eine richtige Entdeckungsfahrt sein, mit allen Überraschungen, allen Reizen, allen Gefahren. Wir beide aber – wissen wir nicht eigentlich zu viel voneinander! Du gefällst mir ja sonst ganz gut.«

»Nun also!« Dabei lachte er wieder lauthals sein echtes Jungenlachen.

Sie wurde ein wenig ärgerlich. »Beton' nicht immer so Deine schönen Zähne! Ich hab 'n Stiftzahn – hier – leugne ich gar nicht –«

»Würde Dir auch nichts nützen. Denn man siehts.«

Ihr Unwille war im Steigen. »Ach Lis, was bist Du entzückend weiblich!« Sehr verliebt waren seine Augen.

Sie aber hielt schon die Dusche bereit. »Ich wollte, daß Du männlich entzückend wärst.«

»Bin ich das nicht?«

»Jedenfalls hast Du nicht das, was ich brauche.«

»O ha!«

»Du bist ja soweit ein ganz netter Junge.«

Fröhlich war seine Antwort. »Nun also!«

»Sehr appetitlich.«

»Ei!«

»Ein guter Schwimmer.«

»Siehst Du.«

»Und hast diese famose Tolle, die mir so gut gefällt.«

Er hielt ihr den Kopf hin. »Bitte, bedien Dich!«

»Und die feine Nase – mit diesen geistig beschwingten Flügeln« – ihre Hand zeichnete die Linien nach. »Du, die ist wirklich etwas.«

»Ja – mit diesen Dingen, mein ich, läßt sich doch schon einiges anfangen.«

»Und Du bist kein Angstmeier, keine Schlotterhose –«

»Nun also – also – also! Dann ist doch eigentlich alles da. Mein Liebchen, was willst Du noch mehr!«

»Was ich mehr will? Daß ich zu Dir aufschauen kann. Ich 30 kann mir nicht helfen –« und nun fand sie eine rauhe und rohe Formel – »mir gefallen nur Männer, die mindestens einen Kopf größer sind als ich.«

»Hahaha! Und das nennst Du dann aufschauen können! O heiliges Zentimetermaß!«

»Du Naturgelehrter – ist es zuletzt nicht immer der Inhalt, was die Form sich schafft! Glaubst Du, Du Ritter vom Mikroskop, Du könntest einmal der Vater von Heldensöhnen werden!«

Hennig zuckt schmunzelnd die Achseln. »Wenn der Held für Dich erst bei 1 m 90 anfängt –!–«

»Ihr redet doch immer von Zuchtwahl, Ihr Naturbonzen. Hier ist also mein Gesetz in mir. Und Du müßtest der Erste sein, der es respektiert.«

»Wenn nur das, was Du Zuchtwahl nennst, nicht ein bloßer Muskelkoller Deines Zeichenstiftes wär!«

Lisbet wird ärgerlich. »Ist eine so oberflächliche Betrachtung der Dinge Deiner würdig? In meinem Zeichenstift ist doch wohl etwas von mir selbst. Und was Du Muskelkoller nennst, das ist doch wohl auch in mir selber. Hier ist das Gesetz in mir, wie gesagt – hier ist das, was ich wünsche, was ich wähle, was ich will. Ja und Du, mein Junge – ich kann mir nicht helfen, Du bist abgeblitzt.«

Ihr wurde schon selbst bei diesem Todesstoß ein wenig bange ums Herz. Er aber trug die feine, geistig geblähte Nase, die sie so liebte, stur in den Wind. »Bin ich abgeblitzt, bin ich doch immer der Blitz!« Und mit seinem Jungenlachen nahm er Abschied von ihr.

Aber dies stolz erfreuliche Schlußwort, bald wurde es von einem herzstarken Fluch abgelöst. Himmel, der Kerl ist gefährlich! Verdammt gefährlich ist der Kerl. An die Gurgel muß ich dir! Den Kampf auf Tod und Leben gibt es. Und wir wollen sehen, wer oben bleibt – du, du ideales Ringkampfmodell, du oder ich! 31

Lis – bist meine Lis und bleibst meine Lis! Und knabenhaft sang er das alte Soldatenlied vor sich hin:

»Lisbet, mein Engel, meine Herzenstrompet,
Meine Pauke, Standarte und meine Musket –«

*


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