Max Dreyer
Die Insel
Max Dreyer

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Der Dichter und die Revolution

Daß die Revolutionen mit der Literatur blutsverwandt sind, ja noch mehr, daß die Revolutionen schlechthin literarisch beginnen, wer will es leugnen? Im Anfang ist das Wort, und das Wort hat längst niedergeworfen, umgestaltet und neues geschaffen, ehe die Tat die Faust ballt, die Waffen ergreift und das gedanklich allbereits Überwundene und Gestürzte nun auch wirklich niederreißt.

Wohl kann es sich so ereignen, daß auf der Menschheit Höhen die Dichter nicht mit den Fürsten gehen, daß sie gegen die Throne schreiten als die ersten Rufer im Streit.

Tobias Liesegang, von dem ich heute nach Familienbriefen erzählen darf, ein Dichter und Sinnierer seines Zeichens, der in einer milden Staatsumwälzung zur Zeit unserer Großväter eine beträchtliche und darum auch der Betrachtung werte, von der zünftigen Geschichtsschreibung freilich nicht gebuchte Rolle gespielt hat, war nun allerdings kein Rufer im Streit, kein führender, kein stürmender und stürzender Geist. Er hatte auch nicht einmal an den Quellen der heraufbrausenden jungen Zeit gesessen, nicht in den Ursachen des Auftriebes und Aufschwunges hatte er mitgewirkt – und doch – ja davon soll hier also die Rede sein.

Die kleine Residenz, in der Tobias sich niedergelassen hatte, war nicht sein Geburtsort. Er stammte 154 aus einer alten hanseatischen Patrizierfamilie, seine Künstlerseele atmete in der Stimmung städtischer Architekturen, mehr als die Nachtigall war die Hausschwalbe seine Muse. Aber tief stak in ihm der Wandertrieb des Sängertums.

So war er in der Postkutsche nach der blauen Blume ausgefahren, hatte den Postillon als Sehnsuchtsmusikanten der Maiennacht gebührlich gefeiert, hatte aus dem Posthorn die Klänge einer sonderlich zartbeschwingten und begnadeten Empfindung vernommen.

Was er selber sonst noch sang, waren sänftigliche Weisen von verzauberten Gärten und träumenden Schlössern, von sagenumwitterten Türmen und Giebeln, auch wohl von verlorenen Mühlen am Bache und, wenn es hoch kam, wenn es besonders stark und machtvoll herging, von einer einsamen Schmiede im Walde mit Feuerschein und Hammerschlag.

Wenn er jetzt in der kleinen Residenzstadt Wohnung genommen, so war deren Marktbrunnen schuld daran, der es ihm völlig angetan hatte, aus dessen Linien und Formen ein geheimnisvoll Seelenverwandtes ihn anrührte, dessen Rauschen in seine Verse neue Töne, neue Werte, neue Bilder wob.

Hier am Markte, in einem der alten Giebelhäuser, war es denn auch, wo er sich einnistete, das höchste 155 Stockwerk wählte er sich aus, und da hauste er »dem Monde nah«.

Geruhig lebte er so seinen Tag und reimte sich schlecht und recht sein Dasein zusammen. Seine Verhältnisse waren gesichert, keinerlei wilde Leidenschaften verstörten sein Gemüt, fehlte ihm wohl mal dies oder das zu seinem Behagen, so machte er kurzfertig bei seiner Phantasie eine Anleihe, die seinen stillen Wünschen Genüge tat.

Solcherweise war er unter den Bürgern jener Tage einer der wenigen Zufriedenen, er, Tobias Liesegang, alles in allem gewiß nicht von jenem Holz, aus dem Revolutionäre geschnitzt werden.

Der Marktbrunnen war der eine Pol, der andere war das alte Barockschloß des Fürsten, zwischen beiden pendelte seine Phantasie hin und her. Und nicht bloß seine Phantasie, auch seine Leiblichkeit auf seinen alltäglichen Abendspaziergängen.

Diese Wege machte er stets ohne eine Menschenseele, nur begleitet von Lumpazi, seiner schwarzen Bulldogge, die wie ein Höllensohn aussah und dabei ein Engelsgemüt besaß.

Lumpazi war der häßlichste und echteste Hund des europäischen Festlandes. Tobias hatte ihn selbst von England herübergebracht, sein Stammbaum war eine 156 heraldische Köstlichkeit. Er war eine sehr vornehme, sehr versunkene Natur, seine gewaltige Kraft von ebenso machtvoller Gelassenheit gebändigt. Da es für seinen Mut und seine Stärke nichts zu tun gab, lag die edle Wehmut eines Fremdlings auf dieser Erde über ihm. Tobias nannte ihn den »idealen Zuschauer« und fand in dem kaustischen Tiefsinn dieser Philosophenmiene den Beweis der Seelenwanderung.

Er zweifelte nicht daran, daß in diesem krummbeinigen, bodenständigen, auf rohe körperliche Widerstandskraft gestellten Leib ein schlankgebauter erhabener Geist Wohnung genommen habe, vielleicht die Seele von einem anderen Stern, ein kosmischer Gast. Ihrer beider Freundschaft ruhte auf dem sicheren Fundament gegenseitiger Achtung. Gewiß, sie hatten auch ihre ausgelassenen Stunden, in denen sie Allotria treiben und sogar ausgiebig miteinander herumtollen konnten. Aber plumpe Vertraulichkeiten herrschten nicht vor, im Grunde war und blieb das Verhältnis zwischen ihnen, dem Dichter und dem verzauberten Geist, gehalten, getragen, beinahe feierlich, gewissermaßen unter der Aufsicht des Übersinnlichen.

Mit diesem würdigen Genossen also pflegte der Dichter Tobias Liesegang seine abendlichen Wanderungen zu machen, die ihn stets zum Fürstenschloß und unter mehrfachem beschaulichen Aufenthalt an dem 157 hohen, schmiedeeisernen Gitter des Schloßgartens vorüberführten.

Er liebte dieses Reich, weil es ihm verschlossen war. Hinter diesen Taxushecken und Buchenrondellen erging sich seine Sehnsucht, die keine Erfüllung wollte, ja die vor der Erfüllung sich fürchtete wie vor ihrem Tode.

Wohl hätte die Pforte sich ihm auftun können, wenn er es ernstlich darauf angelegt hätte – so hoch durfte er sich selbst und seine Beziehungen schon einschätzen. Aber sein Wunsch und Wille rührte eben gar nicht an das Tor. Er hielt geflissentlich auf den Abstand, seine Träume brauchten und forderten die Ferne.

Die Wirklichkeit sollte ihm nicht enträtseln, was diese wundervolle Kuppel des Schloßbaues behütete, zu der er entgeistert emporstarrte, wenn das Mondlicht über ihr Patina hinschmeichelte und auf ihren Biegungen grüne Zauberflammen anzündete. Von solchen Lichtern lebten seine Verse.

Er wollte mit Bedacht nichts von dem wissen, was an diesem Hofe geschah, er hörte absichtlich vorbei an dem, was man vom Fürsten erzählte und seiner jungen Gemahlin, die er vor kurzem heimgeführt hatte. Viel Lautes und Erregtes wurde gesprochen – die lauten 158 und erregten Worte beherrschten die Stunde –, aber gerade das Schreien war ihm ein zwingender Anlaß, die Ohren noch fester zuzuhalten.

 

Schon über ein halbes Jahr lebte Tobias in der Residenz, da geschah es an einem goldschweren Herbstnachmittag, daß er das Fürstenpaar zum allerersten Male leibhaftig zu Gesicht bekam.

Er war mit Lumpazi vor das Tor gegangen, da brauste ein Viererzug die Landstraße herunter. Der Herr kutschierte selbst, die Diener in fürstlicher Livree bezeugten ihn als den Landesvater. Zu beiden Seiten des Fuhrwerks und hinter ihm jagten Hunde mit hängenden Zungen, eine große, bunte Meute, Tiere aller Rassen, Jagdhunde, Windhunde und deutsche Doggen. Im Fond aber saß eine junge Dame, sehr jung, mit dem Gesicht eines verwöhnten Kindes, und ihr gegenüber hatte ihr Lieblingshund seinen Platz. Der wäre zu Fuß auch schwerlich mitgekommen. Er war ein krummbeiniger engerer Artgenosse Lumpazis, eine Bulldogge zarteren Wuchses.

Tobias und Lumpazi blickten nur nach dem Fonds, und Lumpazi hätte seinem Herrn verraten können, daß das Ziel seiner Augen eine Dame war.

Dies also ist die Fürstin, damit gab Tobias sich Rechenschaft über das eben Erlebte, so sind ihre Augen, 159 so ihr Haar, so die Linie ihres Mundes – so zeichnet sich ihr Wesen.

Die Insassin des Zauberschlosses – nun hat er sie leibhaftig vor Augen gehabt. Aber ist der Zauber durch den Gewaltakt der leiblichen Erscheinung nicht gebrochen, ist nicht die reine Vorstellungswelt durch die brutale Körperlichkeit in Trümmer gelegt?

Seine Gedanken dürfen nicht mehr frei gestalten, sie müssen dem Zwange und Befehl der Wirklichkeit gehorchen. Wie sollen sie in solcher Enge leben?

Hier ist nun ein Gegenstand, der hart und dreist auf sein Dasein pocht, ein Gegenstand und ein Widerstand. Wie ihn überwinden?

Tobias Liesegangs Dichtergemüt war in große Unordnung geraten. Der Kampf mit dem Gegenstand wogte durch seine Seele. Mehr als einmal war er im Begriff, vor der »Roheit des Wirklichen« seine Phantasie in Sicherheit zu bringen und für sie einen anderen Wallfahrtsort als das Fürstenschloß zu suchen.

Aber, war es der Stolz seines Künstlerherzens, kraft dessen er Rückzug und Flucht verschmähte, oder war an dem Gegenstand selber etwas, was ihn nicht los ließ, was zarte Fäden um seinen Sinn und seine Sinne spann – er hielt nun doch die Gestalt fest und mühte sich, erst noch tastend und unfroh, dann mit 160 wachsender Hingabe, sie als seinen Besitz zu erwerben, indem er sie schmückte, von sich und für sich, indem er von seinem Leben in sie hineinlebte, indem er von seinem Geiste sie beseelte. So hatte sie nicht mehr das Fremde, das Störende und Abstoßende selbständiger Eigenheit, so ging sie sanft und fügsam im Reiche seiner Schöpfung einher, eine neue Melodie seiner Tonwelt.

Und Tobias schritt nach wie vor mit Lumpazi abends zum Schloß und am Schloßgarten vorüber.

Da geschah es einmal – und wieder spukte das Mondlicht um die Rondelle und ließ auf den Kuppeldächern seine grünen Feuer züngeln – daß gegen die beiden Wandelnden bis an das innere Gitter lautes Hundegebell anstürmte.

Jetzt sahen sie auch, es war der Lieblingshund der Fürstin, der mit ihr im Fond gesessen hatte.

Das Tier beruhigte sich bald und schnupperte durch die Stäbe – Lumpazi, der von seiner stummen Vornehmheit keinen Augenblick etwas aufgegeben hatte, schnupperte zurück.

Nun trat auch eine lichte Frauengestalt auf den mondweißen Gartenweg und kam näher. Eine helle, befehlende Stimme rief: »Bijou!«

Bijou aber, der eigenwillige Günstling, überließ sich ungestört seinem Wohlgefallen an Lumpazis Atmosphäre und schnüffelte weiter. 161

»Mais Bijou! Qu'est-ce qu'il-y-a!« Die Herrin war ganz nahe, und jetzt sah sie den Herrn da draußen, der mit ergebener Verbeugung den Hut zog, und dessen vierfüßigen Begleiter.

Dieser war ihr die Hauptperson – wenigstens tat sie so, wie für Tobias sein Mannes- und Dichterstolz überlegen und beruhigend hinzufügte.

»O, welch ein charmantes Geschöpf!« rief sie in lautem Entzücken. »Diese edle gespaltene Nase! Bei Bijou ist sie nicht so edel. Dafür steht aber bei ihm der Unterkiefer mehr hervor. Woher haben Sie das Tier?«

»Aus England, Durchlaucht.«

»Besitzen Sie ein Pedigree

»Sehr wohl.«

»Bijou ist über Frankreich gekommen. Es war ein Paar, ich hatte es zur Zucht gekauft. Das Männchen ist leider eingegangen.«

Sie sprach alles in leichtester Unbefangenheit, in ungezwungener Haltung umklammerte sie mit den Händen die Gitterstangen. Daß sie ein wenig mit der Zunge anstieß, machte ihren Ton noch kindlicher und brachte sie Tobias menschlich noch näher.

Lumpazi aber war aus der Weltenhöhe seiner thronenden Gelassenheit herniedergestiegen, da Bijou, die zärtliche Dame, an seine edle gespaltene Nase ihre edle 162 vorstehende untere Kinnlade legte, und er wackelte ganz irdisch mit dem Schwanz.

Die junge Fürstin sah gefesselt den Liebkosungen zu. »Les deux, ils s'affectionnent l'un l'autre« sagte sie mit regem Lächeln. »Heute noch habe ich gelesen, daß aus Neigung die besten Rassen entstehen. Wollen Sie mir nicht Ihre Adresse angeben?«

Bei diesen Worten zitterte es durch Tobias hin – kaum wußte er, was es war – er verbeugte sich tief und nannte der Fürstin seine Wohnung.

Sie nahm Bijou am Ohr. »Ça suffit pour la première fois!« sagte sie schelmisch, verabschiedete sich mit Kopfnicken von Tobias, schwebte durch den Mondschimmer und tauchte unter in die Schatten des Gartens.

Langsamer als sonst gingen der Dichter und Lumpazi, der verwunschene Sohn eines anderen Sterns, nach Hause, sie hatten beide an neuen Gedanken zu tragen.

Unruhiger auch als gewöhnlich war ihrer beider Schlaf, öfters hörte Tobias, wie der lebhaft träumende Hund heftig mit dem Schwanzstummel gegen die Dielen klopfte; ihm selbst schlangen die Träume seltsam blühende Arabesken um die Worte: Aus Neigung entstehen die besten Rassen – wollen Sie mir nicht Ihre Adresse angeben? – – –

Es kamen Abende voll Enttäuschung. Natürlich 163 führte die beiden Träumer ihr Weg wieder zum Schloßgarten hin. Aber innerhalb des Gartens zeigte sich nichts, nichts von den Erwarteten.

Tage vergingen so, beschattet von Schwermut und Verdruß. Da eines Morgens, nach einer Nacht voll trügerischer Träume und einem Erwachen in weher Bitterkeit, klopfte es bei Tobias an die Tür, ein fürstlicher Bedienter trat ein, und überbrachte ein Billett.

Tobias öffnete es klopfenden Herzens. Er las. »Würden Sie die Gewogenheit haben, dem Boten Ihren Hund anzuvertrauen? Ich möchte selbigen mir als Gesellschafter für Bijou auf ein paar Stunden erbitten. Meinen Dank und mein Kompliment. Fürstin Claire.«

»Lumpazi,« so wandte sich Tobias mit gedämpften Gefühlen an den Freund, »der Brief ist eigentlich an dich.« Und dann zu dem Bedienten: »Ich weiß nicht, ob das Tier mit Ihnen gehen wird. Deshalb werde ich Sie begleiten.«

So wandelten die drei zusammen zum Schloß. Vor der Einfahrt machte Tobias Halt. »So, nun geh du mit hinein,« bedeutete er Lumpazi, »zu Bijou sollst du.«

In den großen, schweren, weltabgewandten Philosophenaugen hatte sich ein regsames Licht entzündet, und der Schwanz wackelte ein fröhlich bereites 164 Verständnis. Lumpazi hob die Nase und schnüffelte, ein Wonnerausch zitterte durch seine Glieder, eine Verheißung, eine Erfüllung lockte ihn, und schnellen Schrittes trat er selbständig und betriebsam in den Garten, vom untrüglichen Sinn geleitet, eilte er auf sein Ziel los, sein eigener Führer zum Glück.

Tobias blickte ihm kopfschüttelnd nach. »Was ist aus meinem idealen Zuschauer des Lebens geworden?« Und er wanderte einsam heimwärts, von ungeklärten Empfindungen bewegt, das Herz von Versen schwer.

Am Nachmittag brachte der Bediente Lumpazi zurück mit dem Dank der Fürstin.

Tobias suchte in den Zügen des Gefährten nach den Spuren eines großen Erlebnisses. Aber der Philosoph, der unanfechtbare, hatte durchaus wieder die Oberhand gewonnen, nur ein paarmal war es, als blinzelte eine lächelnde Erinnerung hindurch, die verschmitzt vertraulich und ermunternd fast zu dem Freunde sprach. Dann aber begrub sich alles in schläfrigem Ernst.

Tobias indessen war voll unruhiger Schaffenslust. Und ein werbendes Etwas schwang sich in seinen neuen Dichtungen aus. »Neigung« nannte er das Buch, Verse, die er jetzt der Öffentlichkeit übergab.

Das erste Exemplar der Fürstin, natürlich! Doch ob mit oder ohne Widmung und wenn, dann mit welcher – darum wurde lange gerungen. Endlich verwarf der 165 Dichter jedes Begleitwort als zu deutlich und plump, so zart es auch sei, ja als um so aufdringlicher, je mehr es sich verschleiere, und darum ging das Buch an die Fürstin ohne Zutat, ganz vertrauend auf den eigenen Pulsschlag und die eigenen Töne.

 

Tage, Wochen, Monate des Wartens kamen und gingen. Der Dichter vermied das Schloß, sein Stolz litt es nicht, daß er dort herumstrich und sich vor dem Schicksal als Bettler erniedrigte. Aber die Pein der Ungewißheit mehrte sich und machte ihn fieberhaft rastlos.

Endlich – wieder eines Morgens klopfte es an die Tür, wieder trat der fürstliche Bediente ein, der nun schon vertraute, und er brachte wieder ein Billett und ein kleines Paket dazu.

Tobias stand lange vor den beiden Sendungen. Dann öffnete er zuerst das Paket, als das weniger intime – ein Orden mit breitem Bande fiel ihm entgegen.

Tobias drehte den Kopf, zog die Schultern, wand sich und lächelte. Hm – hm – das hätte ich nun nicht erwartet. Aber immerhin – eine Anerkennung – sie hat an den Versen etwas gefunden – und ich muß hingehen, mich bedanken – der Weg an den Hof ist mir aufgetan – ich werde sie sehen und sprechen – ich werde bei ihr sitzen –! – – 166

Mit zitternden Fingern erbrach er das Billett. Was – was ist dies? Wie ein eisiger Wurm kroch es ihm durch die Adern. Hier stand schwarz auf weiß und unabweisbar: »Heute beehre ich mich, Ihnen die Geburt von fünf gesunden, kleinen Bulldoggen anzuzeigen. Ein amüsantes Spiel der Natur: bei den Männchen scheint der vorgeschobene Unterkiefer, bei den Weibchen die gespaltene Nase sich zu entwickeln. Ein kleines Zeichen der Erkenntnis anbei. Mit fröhlichem Dank Fürstin Claire.«

Ein kleines Zeichen der Erkenntnis – geistlos, gedankenlos tasteten sich die Finger zu der Ordensauszeichnung zurück, und jetzt fanden sie bei ihr auch ein Schreiben aus der fürstlichen Kanzlei, das vermerkte: die Auszeichnung sei dem Inhaber wegen seiner »Verdienste um die Landeszucht« verliehen.

Tobias barg das Haupt in die Hand. Dichterlos! Und ich sandte ihr meine Verse!

Er lächelte, erst wie abwesend und halbirr, dann wurde es ein hartes, bestimmtes bewußtes Lachen, und wurde jetzt wieder zum Lächeln, schmerzlich befreit und dann still überlegen.

»Lumpazi!« rief er – der Sternensohn kraft seiner selbstgenügsamen Weltweisheit lag schon wieder und schlief. »Komm einmal her. Ich will dir Glück wünschen. Du bist Vater geworden, fünffacher Vater.« 167

Lumpazis Miene bezeugte, daß er keinen erheblichen Wert auf diese Tatsache legte.

»Du hast auch einen Orden bekommen für deine Verdienste. Halt den Kopf einmal her!« Und er band ihm, dem sie gebührte, die Auszeichnung um den Hals.

Auch hierfür äußerte der Philosoph keinerlei innere Anteilnahme. Aber ein Bild lieferte er, das sich als Sinnbild dem für solche Dinge dank seiner letzten Erlebnisse empfänglich gewordenen Dichtergemüt einprägte. Und es spielte mit diesem Stern des Sternensohnes.

Der Abend zog herauf und mit ihm der Mond. Wie je mahnte der zum abendlichen Spaziergang nach dem Schlosse.

»Lumpazi!« rief Tobias. Und wieder band er ihm – ein gekränktes Dichterherz hat seine Teufelei – den Orden um.

Es war schon spät, und Tobias rechnete auf einen stillen Gang. Er wollte seine Demonstration ganz für sich allein genießen, ein öffentliches Schaustück zu geben, lag ihm weltenfern.

Aber als er auf den Marktplatz trat, sah er dort Gruppen von flüsternden Menschen umherstehen. Gern hätte er Lumpazi, den Ordensträger, wieder ins Haus zurückgerufen, aber der war an dem einen Eckstein des 168 Marktbrunnens beschäftigt. Und derweil hatten ein paar fremde Augen ihn wahrgenommen, ihn ihrerseits auch schon als ein Sinnbild eingeschätzt und lachend begrüßt. Jubel und Hohn der Zusammengerotteten deuteten ihn sich aus als rechtes Wappentier ihrer Erregung und ihres Zornes.

Der Funke war ins Pulverfaß geflogen. Tobias wurde mit Hochrufen gefeiert, zwei mächtige Männer, ein Schlossermeister war es und ein Bierbrauer, nahmen ihn unter die Arme und marschierten mit ihm die wohlbekannte Straße zum Schloß – er hing mehr als er ging.

Hinter den Dreien trottete, allein in einer Reihe, als heiliges Tier, Lumpazi, das breite Band mit dem mondscheinblinkenden Orden um den Hals, dahinter folgte die johlende Menge.

Sie sprengten das Tor und zogen auf den Schloßhof. Die Wache widersetzte sich nicht.

Auf dem Altane erschien ein weißbärtiger Herr, der Staatsminister war es. Er teilte dem Volke mit, daß der Fürst verreist sei – der hatte vor einer Stunde auf seinem Viererzug das Schloß verlassen, in dem Fond saß die Fürstin mit Bijou und den Kleinen, um den Wagen brauste die Meute – seine Durchlaucht habe ihn beauftragt, feierlich zu verkünden, daß dem Volke »die Wohltat einer Verfassung« erwiesen werden 169 solle. Die Sache selbst half über das Anfechtbare der Form hinweg, von dröhnenden Hurrarufen bebte die Luft, Mützen wurden geworfen und Tücher geschwenkt. Und singend zog die Menge wieder in die Stadt.

Tobias und Lumpazi hatten sich zur Seite gedrückt und blieben vergessen zurück.

In einem Buchenrondell des Schloßgartens fanden sie sich wieder. Tobias umklammerte den betäubten, schmerzenden Schädel mit beiden Händen.

Unter den Gedanken, die wie ein Geisterzug ihm durchs Hirn wallten, war der eine: »Alle Dichter sind Aristokraten«, und wieder der andere: »In jedem Dichter ist das Volk lebendig«.

Wie soll ein Dichter sich häuslich einrichten in dieser Welt?

Er sah Lumpazi an, den versunkenen, dem irdische Gedanken nichts zuleide tun konnten. Das Mondlicht blinkte in dem Ordensstern wie ein Schalk und entzündete dann auf der Schloßkuppel seine grünen Märchenflammen.

Und schon leuchteten in Tobias Verse auf, die ihm wirklicher waren als alle Wirklichkeiten.

 


 


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