Arthur Conan Doyle
Onkel Bernac
Arthur Conan Doyle

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Fünfzehntes Kapitel.

Empfang bei der Kaiserin.

Die plötzliche Ankunft des Hofes zu mehrwöchigem Aufenthalte hatte die Bewohner des Dörfchens Tour de Briques in nicht geringe Aufregung versetzt. Gewiß wäre das nahe Boulogne einer so hohen Auszeichnung würdiger gewesen. Dort gab es doch einige ansehnliche Gebäude und bessere Gelegenheit zur Beschaffung der Lebensmittel; aber Napoleon hatte eben Tour de Briques zur Ansiedlung seines Hofstaates ausersehen, und damit war die Sache erledigt. So tauchte denn dort eines Tages ein Heer von Bediensteten auf, tags darauf erschienen die Würdenträger des neuen Kaiserreichs, und endlich trafen die Hofdamen ein, gefolgt von ihren Anbetern aus dem Lager. Der Kaiserin stand ein kleines Lustschloß zur Verfügung. Die übrigen suchten in den umliegenden Häuschen unterzukommen, so gut es eben ging, und sehnten den Tag der Rückkehr in ihre behaglichen Wohnräume zu Versailles oder Fontainebleau herbei. Die Kaiserin bot mir in liebenswürdigster Weise einen Sitz in ihrem Wagen an und plauderte unablässig, ohne die herrliche Gegend, die wir durchfuhren, eines Blickes zu würdigen. Sie stellte tausend Fragen über meine Person und meine Angelegenheiten, denn für das Tun und Treiben ihrer Umgebung empfand sie eine wahrhaft kindische Neugierde. Besonders aber interessierte sie sich für Eugenie; und da in diesem Punkte auch mein Interesse kein geringes war, ging unser Gespräch bald in eine begeisterte Erzählung meinerseits über, zeitweise unterbrochen durch zustimmende Ausrufe Josephines und ihrer Hofdame.

»Sie müssen Mademoiselle Eugenie so bald als möglich an unseren Hof bringen,« rief die gütige Frau. »Solch einen Ausbund von Schönheit und Tugend darf man doch nicht in einem englischen Dorfe verkümmern lassen. Haben Sie dem Kaiser von ihr gesprochen?«

»Er wußte ohnehin alles, Majestät.«

»Er weiß wirklich alles, in allen Dingen. Welch ein Mann! Über mein Brillantendiadem haben Sie ihn ja reden hören. Lefèbre versprach mir, kein Wort davon zu verraten. Ganz nach Bequemlichkeit sollte ich es bezahlen; und doch hat es Napoleon erfahren. Aber was sagte er zu Ihrer Verlobung mit Eugenie?«

»Er meinte, es sei seine Sache, mir eine Braut auszusuchen.«

Josephine schüttelte den Kopf.

»Das ist bedenklich, Monsieur de Laval,« murmelte sie. »Er ist imstande, irgendeine meiner Hofdamen mit Ihnen zu verheiraten, ehe die Woche um ist. Gegengründe läßt er nicht gelten. In dieser Beziehung hat er schon ganz Merkwürdiges geleistet. Aber ich will noch vor meiner Rückkehr nach Paris mit ihm sprechen; vielleicht kann ich etwas für Sie tun.«

Noch war ich eifrig bemüht, der Kaiserin meinen Dank für ihre Güte und Freundlichkeit in begeisterten Worten auszudrücken, als der Wagen eine Rampe hinaufrasselte und vor dem Schloßtor stehenblieb. Eine Schar scharlachrot gekleideter Lakaien und zwei Schildwachen verkündeten, daß wir im kaiserlichen Quartier angelangt waren. Die Kaiserin und ihre Hofdame eilten davon, um Toilette für den Empfang zu machen, mich aber führte man in den Salon, wo ich bereits zahlreiche Gäste versammelt fand.

Ein großer viereckiger Raum, so bescheiden eingerichtet wie das Empfangszimmer eines ehrsamen Bürgers in der Provinz; die Tapeten nachgedunkelt, der blaue Nanking-Überzug der alten Mahagonimöbel ganz verschossen; das helle Kerzenlicht jedoch, das den prachtvollen, auf allen Tischen stehenden Kandelabern und den zahllosen Wandarmen entströmte, verlieh dem Ganzen ein durchaus festliches Aussehen. In einigen kleinen Nebenräumen standen Spieltische bereit. Die Verbindungsgänge zwischen den Zimmern waren mit orientalischen Teppichen drapiert. Eine Anzahl von Damen und Herren standen herum; erstere trugen die vom Kaiser vorgeschriebene Prunktoilette, letztere die große Uniform oder das schwarze Galakleid der Zivilisten. Helle Farben und geschmackvolle Überwürfe waren bei den Damen vorherrschend, denn trotz seiner Vorlesung über Sparsamkeit ließ der Kaiser jede Dame hart an, deren Toilette dem Glanze seines Hofstaates nicht entsprach. Die herrschende Mode gab reichlichen Anlaß zur Prunkentfaltung, nicht minder aber Gelegenheit, persönlichen Geschmack zu zeigen; denn die einfachen klassischen Kostüme waren seit dem Untergang der Republik ausgestorben und die orientalische Gewandung – als Huldigung für den Eroberer Ägyptens – an deren Stelle getreten. Aus Lukretia war Suleika geworden; und die Salons, in denen man einst die reine, keusche Luft des alten Roms zu atmen glaubte, glichen mit einem Male den Harems der Orientalen.

Da ich keinen Bekannten zu treffen erwartete, hatte ich mich gleich nach dem Eintritt in eine Ecke des Zimmers zurückgezogen; zu meiner Überraschung jedoch faßte mich jemand am Arm. Ich wandte mich um und stand meinem geliebten Onkel Bernac gegenüber. Sein verschrumpftes Gesicht war starr und unbeweglich wie immer. Er ergriff meine widerstrebende Hand und schüttelte sie mit erzwungener Herzlichkeit.

»Mein teurer Louis,« sagte er, »die Hoffnung, dich zu treffen, war es in erster Linie, die mich bewog, hierherzukommen; wenngleich ich nicht leugnen will, daß ich die Gelegenheit, mich wieder einmal bei Hofe zu zeigen, gern wahrnahm. Die Reise nach Paris ist ja doch weit und umständlich. Nichtsdestoweniger kann ich dir versichern, daß ich mich vor allem nach einem Wiedersehen mit dir sehnte. Der Kaiser hat dich, wie ich höre, sehr freundlich empfangen und will dich in seine persönlichen Dienste nehmen. Ich habe mit ihm gesprochen und brachte ihn zu der Überzeugung, daß du, falls du dich hier wohl fühlst, gewiß noch andere Emigranten nachziehen würdest.«

Obwohl ich diese Behauptung sofort als Lüge erkannte, konnte ich natürlich nicht umhin, mich zu verbeugen und einige Worte des Dankes zu äußern.

»Du bist mir gewiß noch böse wegen des Auftrittes, den wir auf Grobois miteinander hatten,« sagte er, »und doch hast du wirklich keinen Grund dazu. Ich hatte gewiß nur dein Bestes im Auge. Ich bin alt und schwächlich, Louis, und mein Beruf ist, wie du selbst zugeben wirst, recht gefährlich. Sibylle ist mein einziges Kind. Wer sie bekommt, wird Schloßherr auf Grobois. Sie ist ein entzückendes Mädchen; das häßliche Benehmen, das sie unlängst mir gegenüber zur Schau trug, soll dich nicht abschrecken. Ihr Unmut über das Vorgefallene war ja bis zu einem gewissen Grade entschuldbar. Hoffentlich hast du unterdessen meinen Vorschlag besser überlegt?«

»Da gibt es nichts zu überlegen. Ich wünsche kein Wort weiter darüber zu verlieren,« entgegnete ich kurz.

Bernac schien angestrengt nachzudenken.

»Nun gut,« sagte er endlich, »Ich will meinen Vorschlag fallen lassen. Aber böse kannst du mir deshalb doch nicht sein, weil ich dich zu meinem Nachfolger auserkoren hatte. Sei vernünftig, Louis, du lägst jetzt mit gebrochenem Genick sechs Fuß tief im Moor, hätte ich dich nicht mit eigener Gefahr vom Tode gerettet. Ist das wahr oder nicht?«

»Sie hatten Ihre besonderen Gründe dafür,«

»Das mag sein. Aber das Leben habe ich dir doch gerettet. Warum solltest du mir übelgesinnt sein? Ich kann ja nichts dafür, daß gerade mir dein Besitz zufiel.«

»Es ist nicht deshalb.«

»Weshalb ist es dann?«

Gründe für meinen Widerwillen gegen ihn hätte ich genug anführen können. Ich verachtete ihn, weil er seine Kameraden so schändlich betrogen hatte, ich verabscheute ihn nach allem, was Sibylle von ihm sagte, ich haßte ihn als die Quelle all des maßlosen Unglückes, das meine armen Eltern betroffen hatte . . . aber den Salon der Kaiserin wollte ich nicht zum Schauplatz einer Familienszene machen. Deshalb zuckte ich die Achseln und schwieg

»Es tut mir aufrichtig leid,« sagte er, »denn ich hatte nur die besten Absichten für dich. Ich hätte dich vorwärtsbringen können, denn mein Einfluß ist groß. Nun noch eine Frage.«

»Und die wäre?«

»Ich habe einige Gegenstände aus dem persönlichen Besitze deines Vaters in Verwahrung – Degen, Siegelstöcke, eine ganze Lade voll Briefe und mehrere silberne Tassen – kurz, Gegenstände, die den Wert des Andenkens an den Verstorbenen besitzen. Es würde mich freuen, wenn du – wenigstens für einen Abend – nach Grobois kommen wolltest, um diese Dinge durchzusehen und mitzunehmen, was dir davon paßt. Sie bedrücken ohnehin mein Gewissen.«

Ich versprach bereitwillig, demnächst zu kommen.

»Wann wirst du kommen?« fragte er ungestüm. Etwas in dem Ton seiner Stimme erregte meinen Argwohn, und der lebhafte Ausdruck seiner Augen bestärkte mich in meinem Verdacht. Sibylles Warnung kam mir ins Gedächtnis.

»Ich kann den Tag nicht bestimmen, ehe ich meine Verpflichtungen dem Kaiser gegenüber kenne. Sobald ich darüber im reinen sein werde, komme ich.«

»Gut. Nächste oder übernächste Woche vielleicht. Ich erwarte dich mit Ungeduld, Louis. Auf dein Versprechen kann ich mich verlassen; ein de Laval hat sein Wort nie gebrochen.«

Er verabschiedete sich mit einem Händedruck und verschwand in der inzwischen mächtig angewachsenen Menge.

Noch stand ich in Gedanken versunken und überlegte, wie ich der unheimlichen Einladung meines Onkels mich entziehen könnte, als ich eine bekannte Stimme meinen Namen nennen hörte. Ich sah das hübsche, dunkle Gesicht und die elegante, hohe Gestalt Caulaincourts, der freundlich auf mich zutrat.

»Das ist Ihr erster Besuch bei Hof, Monsieur de Laval,« sagte er in seiner herzlichen Art. »Sie werden sich hier nicht vereinsamt fühlen; sind doch so viele Freunde Ihres verehrten Vaters da, die sich ungemein freuen werden, in Ihnen den Sohn ihres alten Bekannten zu begrüßen. Kennen Sie dieselben wenigstens vom Sehen?«

»Ich kenne die Marschälle; de Meneval zeigte sie mir im Zelte des Kaisers. Der mit dem roten Hute ist Ney. Auch Lefèbre erkenne ich an seinem eigentümlichen Munde und Bernadotte an seinem Raubvogelgesicht.«

»Richtig. Und der dort mit dem Stiernacken ist Rapp. Er spricht mit Junot, dem hübschen Mann mit dem Backenbart. Diese armen Krieger fühlen sich hier nicht recht wohl.«

»Warum denn?«

»Weil sie alle Männer aus dem Volke sind. Diese elegante Gesellschaft und ihre höfischen Sitten regen sie mehr auf als alle Schrecken des Krieges. Wenn ihnen im Felde der Säbel an die kotigen Schaftstiefel schlägt, sind sie in ihrem Element. Hier aber, im Salon, mit dem Paradehut unter dem Arm, stehen sie verlegen da und verfangen sich immer wieder mit den Sporen in den Schleppen der vorbeirauschenden Damen. Auch den Gesprächen über Davids Malereien und Passaniellos Opern fühlen sie sich nicht gewachsen. Nicht einmal fluchen dürfen sie, obwohl der Kaiser selbst sich in dieser Richtung keinen Zwang antut. Im Kriege sollen sie Soldaten, am Hofe aber Salonmenschen sein – so will es der Kaiser, sie jedoch bleiben immer und überall Soldaten. Sehen Sie Rapp an mit seinen zahllosen Verwundungen; wie er sich vergeblich abmüht, die Damen durch Witze zu erheitern. Und wie das Mädchen dort Reißaus vor ihm nimmt und Schutz bei ihrer Mutter sucht; gewiß hat er wieder einen Scherz gemacht, der einer Marketenderin gegenüber besser am Platze gewesen wäre; nachträglich aber kratzt er sich den Kopf und begreift nicht, wodurch er das Mädchen beleidigt hat.«

»Wer ist die schöne Dame in Weiß mit dem Brillantdiadem im Haar?« fragte ich.

»Das ist Karoline Murat, die Schwester des Kaisers. Sie ist schön, aber nicht so anmutig wie ihre Schwester Marie, die Sie dort in der Ecke stehen sehen. Kennen Sie die dunkeläugige Dame, die mit ihr spricht? Das ist Napoleons Mutter – eine wunderbare Frau. Von ihr haben alle ihre Kinder den tatkräftigen Charakter. Sie ist schlau, mutig und entschlossen; jeder muß Achtung vor ihr haben. Sie ist heute ebenso sparsam, wie damals als Gattin eines kleinen Grundbesitzers in Korsika; immer ist sie darauf gefaßt, daß all die Herrlichkeit, die sie jetzt umgibt, eines schönen Tages ein Ende haben werde. Sie äußert ihre Besorgnisse in dieser Richtung ganz unumwunden; und Napoleon selbst zürnt und erheitert sich abwechselnd über ihre schlimmen Voraussagungen. Nun, Marschall Murat, wir werden Sie hoffentlich bald über die Felder von Kent reiten sehen?«

Der berühmte General war vor uns stehengeblieben und schüttelte Caulaincourt die Hand. Den Sohn eines Wirtes, der er war, sah ihm niemand an; vielmehr hätte er durch sein elegantes, feingeschnittenes Gesicht, seine großen stolzen Augen und seine noble Haltung in jeder Gesellschaft Bewunderung erregt. Sein Krauskopf und die aufgeworfenen roten Lippen gaben seinem Gesicht jenen Einschlag von Individualität und Charakter, ohne den allzu regelmäßige Gesichter Gefahr laufen, geistlos zu erscheinen.

»Das Terrain soll teuflisch schlecht für Kavallerie sein,« sagte er. »Nichts als Zäune und Gräben. Die Straßen sind gut, die Felder aber ganz unmöglich. Hoffentlich geht's bald los, Monsieur de Meneval, sonst werden lauter Gärtner aus unseren Soldaten. Schon heute kümmern sie sich mehr um Spaten und Gießkanne als um ihre Säbel und Pferde.«

»Die Armee soll, wie ich höre, morgen eingeschifft werden.«

»Sie wird sich aber bald wieder ausschiffen, und zwar an unserer Küste. Das wissen Sie ebensogut wie ich, Monsieur de Laval. Solange Villeneuve die englische Flotte nicht zersprengt hat, ist nichts zu machen.«

»Konstant erzählt, daß Napoleon heute morgen beim Ankleiden unablässig »Malbrough s'en va-t-en guerre« vor sich hingepfiffen habe. Das soll einen baldigen Vorstoß anzeigen.«

»Sehr freundlich von Konstant, uns das mitzuteilen. Leider muß ich es bezweifeln, daß er ›Malbrough‹ von der ›Marseillaise‹ unterscheiden kann. Ach, hier ist ja die Kaiserin – wie reizend sie heute wieder aussieht!«

Josephine, gefolgt von einigen Hofdamen, war eingetreten, und alles hatte sich von den Sitzen erhoben. Sie trug ein rosafarbenes Tüllkleid, ganz übersät mit silbernen Sternen; eine ungemein auffallende Toilette, die jede andere Frau kokottenhaft hätte erscheinen lassen; sie aber wußte sich auch in dieser Gewandung graziös und würdevoll zu bewegen. Im Haar funkelte ein Büschel Weizenähren aus Diamanten, das bei jeder Bewegung in leichte Schwingungen geriet. Niemand wußte die Unterhaltung so ungezwungen und anmutig zu führen wie sie. Aus ihrem freundlichen Lächeln gewann man die Überzeugung, daß sie sich in bester Stimmung befand, und jeder fühlte sich unbeschreiblich wohl in ihrer Gesellschaft.

»Wie liebenswürdig sie ist!« rief ich aus. »Keiner kann ihr gram sein.«

Caulaincourt sah sich um, sich zu vergewissern, daß Murat außer Hörweite war. »Eine Familie gibt es, die ihr nicht hold ist,« sagte er. »Schauen Sie nur die finsteren Mienen der Schwestern des Kaisers an.«

Ich war wirklich empört über die mißgünstigen Blicke, die diese schönen Frauen der im Salon promenierenden Kaiserin nachsandten. Sie flüsterten miteinander und kicherten boshaft. Dann wandte sich Karoline nach ihrer Mutter um, die voll Hohn und Verachtung ihr stolzes Haupt zurückwarf.

»Sie meinen, Napoleon gehöre ihnen allein, und gönnen ihn keiner anderen,« fuhr Caulaincourt fort. »Auch, daß sie den Titel Majestät führt, sie selbst aber nur Hoheit genannt werden, scheint ihnen unerträglich. Alle hassen sie, Joseph, Lucien und wie sie noch heißen. Bei der Krönung weigerten sie sich, ihr die Schleppe zu tragen, bis Napoleon selbst dazwischen fuhr. Sie haben echtes Korsenblut, es ist nicht gut mit ihnen Kirschen essen.«

Josephine schien dem Haß ihrer Schwägerinnen wenig Beachtung zu schenken. Unbekümmert um ihre hämischen Blicke begrüßte sie die Gäste und hatte für jeden ein freundliches Wort. Neben ihr schritt ein großer Mann, eine echte Soldatenfigur, mit sonnverbranntem Gesicht und martialischem Schnurrbart. Zeitweise legte sie ihm schmeichelnd die Hand auf den Arm.

»Das ist ihr Sohn, Eugène de Beauharnais,« sagte mein Genosse.

»Ihr Sohn?« rief ich verwundert, denn er sah älter aus als seine Mutter.

De Caulaincourt lächelte über mein Staunen.

»Sie war kaum sechzehn, als sie Beauharnais heiratete. Dann saß sie ruhig zu Hause, während ihr Sohn sich von der heißen Sonne Ägyptens und Syriens braten ließ; das genügt, um den Altersunterschied wettzumachen. Sehen Sie übrigens den glattrasierten, hübschen Mann dort, der Josephine soeben die Hand küßte? Das ist der berühmte Schauspieler Talma. Er hat Napoleon – als er noch Konsul war – einmal aus einer Geldklemme befreit, und der Kaiser versäumt es nicht, die Schulden des Konsuls einzulösen. So kam auch Talleyrand zu seiner Macht. Er lieh Napoleon vor dem ägyptischen Feldzuge hunderttausend Frank, und diesen Liebesdienst vergißt er ihm – so sehr er ihm mißtraut – niemals. Nie im Leben hat er einen Freund verlassen; nie hat er einem Feind vergeben. Wer ihm einmal einen Dienst erwiesen, kann sich alles erlauben. Einer seiner Kutscher beispielsweise ist den ganzen Tag über betrunken. Aber er erhielt bei Marengo das Ehrenkreuz, und das gibt ihm einen Freibrief für ewige Zeiten.«


De Caulaincourt hatte mich verlassen, um einige der anwesenden Damen anzureden. So kehrten denn meine Gedanken wieder zu dem außerordentlichen Manne zurück, der mir bald als Held, bald wie ein verzogenes, eigensinniges Kind erschien; der die guten und schlechten Seiten seines Charakters in so raschem Wechsel zur Schau trug, daß jede neue Entdeckung das bisher gewonnene Bild vollständig zerstörte und zu neuen Schlüssen über seine Persönlichkeit zwang. Daß er für Frankreich eine Notwendigkeit war, und daß man seinem Heerbanne folgen mußte, um dem Vaterland zu dienen, darüber war ich mir klar. Gereichte es einem aber zur Ehre, in seine Dienste zu treten, oder tat man es nur zur Buße für einstige Sünden? War er der Liebe und Achtung wert, oder gehorchte man ihm nur, um Frankreich vor dem Untergang zu bewahren? Das sind Fragen, auf die man schwer die Antwort findet – über die mancher von uns nie ins reine kommen wird.


Der Druck der Etikette war nunmehr völlig von der Gesellschaft gewichen, und selbst die Soldaten schienen sich wohl zu fühlen. Viele hatten die Nebenräume aufgesucht und spielten Whist oder Einundzwanzig. Ich für meinen Teil fand meine Unterhaltung darin, die vielen Leute zu betrachten, die schönen Frauen und die interessanten Männer, deren Namen – in früheren Generationen völlig unbekannt – nun Klang in der ganzen Welt hatten. Gerade vor mir standen Ney, Lannes und Murat und schwatzten und lachten so ungezwungen, als wären sie in ihren Lagerzelten. Heute kennt man ihr tragisches Ende. Zwei von ihnen wurden hingerichtet, der dritte fiel in der Schlacht – damals aber streifte kein Schatten des drohenden Geschickes ihre sympathischen, lebensfrohen Gesichter.

Ein kleiner, schweigsamer Mann in mittleren Jahren lehnte neben mir an der Wand. Er schien sich unbehaglich und verlassen zu fühlen. Dies gab mir den Mut, ihn anzusprechen, was ihn sichtlich freute. Sein Französisch aber war entsetzlich.

»Verstehen Sie vielleicht etwas Englisch?« fragte er. »Ich traf hier keinen Menschen, der diese Sprache spricht.«

»Gewiß, ich spreche sie ganz gut, denn ich habe meine Jugend in England zugebracht. Sind Sie vielleicht Engländer? Ich weiß doch, daß man seit dem Bruch des Traktates von Amiens in Frankreich keinen Engländer frei herumgehen läßt.«

»Nein,« antwortete er. »Ich bin Amerikaner. Mein Name ist Robert Fulton. Ich besuche diese Empfänge nur zu dem Zwecke, um mich dem Kaiser in Erinnerung zu bringen. Er beschäftigt sich augenblicklich mit einigen meiner Erfindungen, die große Umwälzungen in der Kriegführung zur See zur Folge haben dürften.«

Da ich gerade nichts Besseres zu tun hatte, fragte ich den sonderbaren Amerikaner um seine Erfindungen und kam bald zur Überzeugung, daß ich es mit einem Narren zu tun hatte. Er hatte den wahnsinnigen Gedanken, ein Schiff gegen den Wind und gegen die Strömung zu führen, mit Hilfe von Kohle und Holz, die man im Schiffsraum verbrennen sollte. Er sprach noch anderen Unsinn über schwimmende, mit Pulver gefüllte Fässer, die jedes Schiff, das an sie anstieß, in Stücke sprengen sollten. Mitleidig lächelnd hörte ich den Ausführungen des Amerikaners zu, ohne auch nur zu ahnen, daß der Einfluß seiner epochemachenden Erfindungen auf die Geschicke der Welt die Leistungen der anwesenden Krieger und Staatsmänner – den Kaiser selbst inbegriffen – einst weit in den Schatten stellen würde.

Plötzlich entstand ein allgemeines Flüstern im Saal; Aufregung und Mißbehagen schien sich der Gesellschaft zu bemächtigen, wie sie eine Rotte lustig tollender Kinder zu ergreifen pflegt, wenn ein mißmutig dreinschauender, älterer Mann den Spielplatz betritt. Das Geplauder und Gelächter verstummte; das Schwirren der Karten und das Schnappen der Zählbretter hörte auf; Frauen und Männer waren aufgesprungen. Alle Gesichter drückten erwartungsvolle Spannung aus.

In der Tür stand Napoleon im grünen Rock, die rote Schnur quer über der weißen Weste. Sein Gesicht war blaß wie immer.

Wenn der Kaiser bei Empfängen oder ähnlichen Gelegenheiten erschien, konnte niemand voraus wissen, wie er sich gerade heute benehmen werde. Einmal war er der Heiterste, Gesprächigste von allen – freilich kam das häufiger zu jener Zeit vor, da er noch Konsul war, als später während des Kaiserreiches –, ein andermal wütete er geradezu und verletzte jeden, der ihm gerade in den Wurf kam, durch seine empörend boshaften Reden. Gewöhnlich aber hielt er sich in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, war schweigsam, mürrisch und übelgelaunt und ließ nur ab und zu eine seiner für jedermann peinlichen Bemerkungen fallen. An solchen Tagen pflegten die Zurückbleibenden erleichtert aufzuatmen, wenn er das Zimmer verließ. Heute schien er sich von der Eifersuchtsszene mit seiner Gattin noch nicht völlig erholt zu haben, wie dies sein finsterer Blick und die hinaufgezogenen Augenbrauen erkennen ließen.

Da ich mich zufällig in der Nähe der Eingangstür aufhielt, fiel ich ihm als erster in die Augen.

»Kommen Sie her, Monsieur de Laval,« sagte er. Er legte mir die Hand auf die Schulter und wandte sich dabei nach einem langen, hageren Mann um, der ihn begleitet hatte. »Da schauen Sie her, Cambacères, Sie Tropf; Sie behaupteten immer, die alten französischen Familien würden sich in England ansiedeln, wie seinerzeit die Hugenotten, und nie nach Frankreich zurückkehren. Sie haben sich aber geirrt, wie gewöhnlich; denn hier steht der Stammhalter der de Lavals und bietet mir seine Dienste an. Monsieur de Laval, ich ernenne Sie hiermit zu meinem Adjutanten; Sie haben mir überallhin zu folgen.«

Auf mein rasches Avancement hätte ich in der Tat stolz sein können, wenn die Auszeichnung meiner Person gegolten und nicht lediglich den Zweck gehabt hätte, andere Emigranten zur Rückkehr anzuregen. Ich hatte ein reines Gewissen; nur die Vaterlandsliebe – kein schmutziger Beweggrund also – hatte mein Handeln bestimmt; und doch fühlte ich mich beschämt und erniedrigt, als ich, an Napoleons Fersen geheftet, im Zimmer umherging. Wie ein Gefangener kam ich mir vor, der an den Wagen des Siegers gebunden, hinter ihm herlaufen muß.

Was mich aber noch mehr beschämte, war das geradezu himmelschreiende Benehmen meines neuen Gebieters. Wie er selbst sagte, fühlte er sich immer und überall als Herrscher und ließ deshalb selbst jene Artigkeit und Höflichkeit beiseite, die andere Männer dem schwachen Geschlecht gegenüber zu bewahren pflegen. Ungleich Louis XIV. empfand er eine selbst vorübergehende und rein konventionelle Erniedrigung einer Frau gegenüber als Verletzung seiner unbedingten Selbstherrlichkeit. Galanterie war eine jener gesellschaftlichen Gepflogenheiten, deren Notwendigkeit er unter keinen Umständen anerkannte.

Mit den Soldaten war er freundlich und hatte für jeden ein Kopfnicken und einen gnädigen Scherz bereit. Auch zu seinen Schwestern sprach er ein paar Worte, wenn auch in barschem Ton, wie etwa ein Wachtmeister zu Rekruten spricht. Der Kaiserin gegenüber ließ er jedoch seiner üblen Laune völlig freien Lauf.

»Hätten Sie nur diese Nelkenbüschel nicht im Haar,« sagte er unwirsch. »Die Frauen haben doch an nichts als an ihre Kleider zu denken, und selbst dafür fehlt ihnen jeder Geschmack. Wenn ich noch einmal derlei Dinge an Ihnen sehe, werfe ich sie ins Feuer wie unlängst Ihren Schal.«

Die Leute waren nach beiden Seiten zurückgetreten, um eine Gasse freizumachen. Der Kaiser machte einige Schritte, blieb dann stehen und sprach über die Schulter zurück zur Kaiserin.

»Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen, Josephine, daß ich dicke Frauen nicht ausstehen kann?«

»Ich halte es mir stets gegenwärtig, Napoleon.«

»Wie kommt es dann, daß Madame de Chevreux anwesend ist?«

»Die ist aber doch nicht zu stark, Napoleon?«

»Mir ist sie zu dick. Ihr Anblick ist mir unangenehm. Wer ist das?« Er war vor einer blaugekleideten jungen Dame stehengeblieben und durchbohrte sie mit seinen Augen. Ihre Knie schienen zu wanken vor seinen forschenden Blicken.

»Das ist Mademoiselle de Bergerot.«

»Wie alt sind Sie?«

»Dreiundzwanzig, Sire.«

»Sie müssen trachten, einen Mann zu finden. In Ihrem Alter sollten Sie schon längst unter der Haube sein. Warum sind Sie noch nicht verheiratet?«

Da das arme Mädchen verlegen wurde und keine Antwort fand, nahm sich die Kaiserin ihrer an und bemerkte lächelnd, daß es richtiger wäre, diese Frage an die anwesenden jungen Herren zu richten.

»Ach so, das ist der Haken,« sagte Napoleon. »Wir müssen also nach einem Gatten für Sie Umschau halten.« Er wandte sich um und sah mich fragend an. Ich erschrak zu Tode.

»Wir müssen ja auch Ihnen eine Frau suchen, Monsieur de Laval. Nun, wir werden ja sehen . . . Wie heißen Sie?« fragte er, zu einem distinguierten, schwarzgekleideten Herrn gewendet.

»Ich heiße Grétry und bin Musiker.«

»Ach ja, ich erinnere mich. Ich habe Sie ja schon unzählige Male gesehen, aber Ihren Namen werde ich mir nie merken. – Und wer sind Sie?«

»Ich heiße Joseph de Chenier.«

»Ja, richtig. Ich habe Ihr Trauerspiel gesehen. Wie es heißt, weiß ich nicht mehr – nur daran erinnere ich mich, daß es herzlich schlecht war. Sie haben auch anderes geschrieben, nicht wahr?«

»Jawohl, Sire. Mir wurde sogar die Auszeichnung zuteil, den letzten Band meiner Gedichte Eurer Majestät widmen zu dürfen.«

»Das mag sein, aber ich fand noch nicht Zeit, sie zu lesen. Wie schade, daß es in Frankreich gegenwärtig keine Dichter gibt. Die Heldentaten der letzten Jahre gäben reichen Stoff, der eines Homer oder Virgil würdig wäre. Königreiche kann ich gründen, Dichter aber kann ich nicht schaffen. Wen halten Sie für den größten französischen Schriftsteller?«

»Racine, Sire.«

»Sie sind ein Dummkopf; Corneille war weit größer. Versfüße und Reimgeklingel sind mir nichts als leerer Schall; nur wahrhaft poetische Gedanken erbauen mich. Corneille war weitaus der größte Dichter. Wenn er das Glück gehabt hätte, zu meiner Zeit zu leben, wäre er mein Premierminister geworden. Der Verstand, die tiefe Menschenkenntnis und die wahre Empfindung sind es, was ich an ihm bewundere. Haben Sie augenblicklich etwas Neues unter der Feder?«

»Ich schreibe an einem Trauerspiel über Henry IV., Sire.«

»Das geht nicht, Herr. Henrys IV. Regierungszeit ist nicht lange genug vorüber; ich dulde nicht, daß auf der Bühne Politik getrieben wird. Schreiben Sie ein Stück über Alexander den Großen. – Wie heißen Sie?«

Seine Frage galt demselben Herrn, den er schon vorhin angesprochen hatte.

»Ich heiße noch immer Grétry und bin Musiker,« sagte er leise.

Die Antwort klang wie ein Vorwurf. Dem Kaiser schoß das Blut zu Kopfe; aber er sagte nichts und ging auf einige Damen zu, die an der Tür zum Spielzimmer in einer Gruppe zusammenstanden.

»Nun, Madame,« sagte er zu der nächststehenden, »ich hoffe, Sie werden sich in Zukunft anständiger benehmen. Wie man mir aus Paris meldet, gibt Ihre Lebensführung dem Quartier St. Germain reichlich Stoff zu Unterhaltung und Tratsch.«

»Ich bitte Eure Majestät, sich näher zu erklären,« entgegnete die Dame lebhaft.

»Man bringt Ihren Namen mit Kolonel Lasalle in Verbindung.«

»Das ist Verleumdung, Sire.«

»Mag sein; aber auffallend ist es doch, daß man immer wieder gerade Sie verleumdet. In dieser Beziehung haben Sie jedenfalls Unglück. Auch mit dem Adjutanten des General Rapp waren Sie in einen Skandal verwickelt. Das muß ein Ende haben. – Und wie heißen Sie?« fuhr er fort, sich an die nächste Dame wendend.

»Mademoiselle de Perigord.«

»Wie alt?«

»Zwanzig.«

»Sie sind schrecklich mager und haben rote Ellbogen. Madame Boismaison, wie lange werden Sie noch dieses graue Kleid und den roten Turban mit Brillantenbesatz tragen?«

»Ich habe die Toilette heute zum erstenmal, Sire.«

»Dann haben Sie vor kurzem eine ganz ähnliche gehabt; sie ist mir schon langweilig. Ich will sie nicht wieder sehen. – Monsieur de Rémusat, ich habe Ihnen eine hohe Jahresrente ausgesetzt. Warum geben Sie das Geld nicht aus?«

»Ich behalte keinen Sou übrig, Sire.«

»Sie haben Ihre Equipage aufgegeben. Ich zahle Sie nicht, damit Sie Ihr Geld in der Bank aufhäufen, sondern um Ihnen die Möglichkeit zu geben, elegant aufzutreten. Schaffen Sie sich wieder Wagen und Pferde an, noch ehe ich nach Paris zurückkehre. – Junot, Sie Spitzbube, Sie haben wieder gespielt und verloren.«

»Ein elendes Pech, Sire,« sagte der General, »viermal hintereinander kam das As.«

»Sie sind wie ein Kind, Junot, und kennen den Wert des Geldes nicht. Wieviel schulden Sie?«

»Vierzigtausend, Sire.«

»Gehen Sie also in Gottes Namen zu Lebrun; er soll sehen, was man für Sie tun kann. Sie waren ja bei Toulon dabei.«

»Tausend Dank, Sire.«

»Ja, ja, Sie und Rapp sind die verzogensten Kinder der Armee. Das eine aber bitte ich mir aus, daß Sie keine Karte mehr anrühren, Sie Spitzbube. – Madame Picard, Sie wissen, daß ich ausgeschnittene Kleider nicht liebe; sogar bei hübschen Frauen nicht, und bei Ihnen finde ich es geradezu abscheulich. Ich gehe in mein Zimmer, Josephine. In einer halben Stunde können Sie mir nachkommen, um mir vorzulesen, bis ich einschlafe. Ich bin heute müde und kam nur auf Ihren Wunsch zum Empfang, um Ihnen zu helfen, die Gäste zu begrüßen und zu unterhalten. Sie können dableiben, Monsieur de Laval; ich werde im Bedarfsfalle nach Ihnen senden.«

Alles fühlte sich erleichtert, als die Tür hinter Napoleon ins Schloß fiel. Wieder begann das heitere Geplauder, wieder schwirrten die Karten und klapperten die Zählbretter ganz so wie vorhin, ehe er gekommen war, die Gäste unterhalten zu helfen.


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