Fjodor M. Dostojewski
Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner
Fjodor M. Dostojewski

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VI

Schluß

Fomas Triumph war vollständig und unbestreitbar. In der Tat wäre ohne ihn nichts zustande gekommen, und die vollzogene Tatsache schlug alle Zweifel und Einwände zu Boden. Die Dankbarkeit der Beglückten war grenzenlos. Der Onkel und Nastasja wiesen mich mit heftigen abwehrenden Handbewegungen zurück, als ich auch nur leise anzudeuten versuchte, auf welche Weise Fomas Einwilligung zu ihrer Verlobung erreicht worden war. Alexandra rief: »Der gute, gute Foma Fomitsch! Ich werde ihm ein Kissen mit bunter Wolle sticken!« und sagte sogar zu mir, ich solle mich schämen, so hartherzig zu sein. Der völlig umgewandelte Stepan Alexejewitsch hätte mich, glaube ich, erwürgt, wenn ich auf die Idee gekommen wäre, in seiner Gegenwart etwas Respektloses über Foma Fomitsch zu sagen. Er lief jetzt wie ein Hündchen hinter Foma her, blickte ihn voll Verehrung an und fügte zu jedem Wort desselben hinzu: »Sie sind ein sehr edler Mensch, Foma! Sie sind ein gelehrter Mann, Foma!« Was Jeshewikin anlangt, so befand er sich auf der höchsten Stufe des Entzückens. Der alte Mann hatte schon längst gesehen, daß Nastasja dem guten Jegor Iljitsch den Kopf verdreht hatte, und hatte seitdem im Wachen und im Schlafen nur den einen Gedanken gehabt, wie er ihm seine Tochter zur Frau geben könne. Er hatte an dieser Absicht so lange wie nur irgend möglich festgehalten und erst dann davon Abstand genommen, als es absolut notwendig geworden war; da hatte nun Foma die Sache zustande gebracht; selbstverständlich durchschaute der Alte trotz seines Entzückens Foma Fomitsch vollständig. Kurz, es war klar, daß Foma Fomitsch in diesem Hause für immer zur Herrschaft gelangt war und daß seine Tyrannei nun kein Ende mehr haben werde. Bekanntlich werden selbst die unangenehmsten, launischsten Menschen, wenn man ihre Wünsche erfüllt, wenigstens für einige Zeit sanfter. Aber bei Foma Fomitsch fand das vollständige Gegenteil statt: Bei Erfolgen wurde er immer verdrehter und trug die Nase immer höher.

Kurz vor dem Mittagessen setzte er sich, nachdem er die Wäsche gewechselt und sich umgekleidet hatte, in seinen Lehnstuhl, rief meinen Onkel zu sich und hielt ihm in Gegenwart der ganzen Gesellschaft eine neue Predigt.

»Oberst!« begann er, »Sie wollen eine rechtmäßige Ehe eingehen. Kennen Sie auch wohl die Pflichten . . .«

Und so weiter und so weiter. Man stelle sich eine Rede vor im Umfange von zehn kleingedruckten Seiten im Format des Journal des Débats, eine Rede voll des blühendsten Unsinns, in der nichts von jenen Pflichten vorkam, sondern lediglich in der schamlosesten Weise Foma Fomitschs eigener Verstand, seine Sanftmut, seine Hochherzigkeit, Mannhaftigkeit und Uneigennützigkeit gepriesen wurden. Alle waren hungrig und sehnten sich nach dem Mittagessen; aber trotzdem wagte niemand, Einspruch zu erheben, und alle hörten das ganz dumme Gewäsch andächtig bis zu Ende an; sogar Bachtschejew saß trotz seines quälenden Appetits, ohne sich zu rühren, höchst respektvoll dabei. Nachdem dann Foma Fomitsch endlich von seiner eigenen Beredsamkeit genug hatte, wurde er ganz heiter, trank bei Tisch sogar ziemlich viel und brachte recht ungewöhnliche Toaste aus. Er begann Witze und Neckereien vorzubringen, natürlich auf Kosten, des jungen Paares. Alle lachten darüber und klatschten Beifall. Aber einige dieser Scherze waren dermaßen schlüpfrig und unzweideutig, daß sogar Bachtschejew verlegen wurde. Schließlich sprang Nastasja auf und lief vom Tisch weg. Darüber geriet Foma Fomitsch in unbeschreibliches Entzücken; aber er fand sich sofort in die Situation hinein: In kurzen, aber kräftigen Worten schilderte er Nastasjas treffliche Eigenschaften und brachte einen Toast auf die Gesundheit der Abwesenden aus. Mein Onkel, der noch einen Augenblick vorher höchst verlegen gewesen war und arge Qualen ausgestanden hatte, hätte jetzt Foma Fomitsch gern zum Dank umarmt. Überhaupt schienen der Bräutigam und die Braut sich voreinander zu schämen und die Empfindung zu haben, als verdienten sie so viel Glück gar nicht; und ich hatte bemerkt, daß sie seit der Verlobung noch kein Wort miteinander gesprochen, ja es sogar vermieden hatten, einander anzusehen. Als man vom Tisch aufstand, war mein Onkel plötzlich verschwunden, und niemand wußte, wo er geblieben war. Auf der Suche nach ihm kam ich zufällig auf die Terrasse. Dort saß Foma in einem Lehnstuhl beim Kaffee und erging sich, vom Wein stark angeregt, in geistreichen Reden. Bei ihm waren nur Jeshewikin, Bachtschejew und Misintschikow. Ich blieb da, um zuzuhören.

»Warum«, rief Foma, »warum bin ich bereit, für meine Überzeugungen auf der Stelle den Scheiterhaufen zu besteigen? Und warum ist von Ihnen niemand imstande, das zu tun? Woher kommt das, woher kommt das?«

»Aber daß Sie den Scheiterhaufen besteigen, Foma Fomitsch, wäre doch recht überflüssig!« erwiderte Jeshewikin, um ihn zu verspotten. »Was hätte das für einen Sinn! Erstens tut es weh, und zweitens, wenn Sie verbrannt werden, was bleibt dann von Ihnen übrig?«

»Was übrigbleibt? Edle Asche bleibt übrig. Aber wie können Sie mich verstehen, wie können Sie mich würdigen! Für Sie alle gibt es keine anderen großen Männer als solche wie Cäsar und Alexander von Mazedonien! Aber was hat Ihr Cäsar getan? Wen hat er glücklich gemacht? Was hat Ihr berühmter Alexander von Mazedonien getan? Die ganze Welt erobert? Aber geben Sie mir eine ebensolche Phalanx, dann werde ich sie auch erobern, und Sie werden es ebenfalls können. Aber andrerseits hat er den tugendhaften Clitus getötet, und ich habe keinen tugendhaften Clitus getötet. So ein Gelbschnabel! So eine Kanaille! Mit Ruten hätte man ihn peitschen sollen, aber nicht ihn in der Weltgeschichte preisen . . . und ebenso ist es mit Cäsar!«

»Aber wenigstens gegenüber Cäsar sollten Sie Milde walten lassen, Foma Fomitsch!«

»Ich lasse gegenüber diesem Dummkopf keine Milde walten!« rief Foma.

»Nein, keine Milde!« fiel Stepan Alexejewitsch eifrig ein, der ebenfalls etwas angetrunken war. »Es ist gar kein Grund, da Milde walten zu lassen; die Kerle sind allesamt Faxenmacher; möchten immer nur auf einem Bein herumhüpfen! Die Narren! Da wollte heute einer ein Stipendium stiften. Aber was ist denn das, ein Stipendium? Weiß der Deibel, was das bedeutet! Ich möchte, wetten, daß es irgend so eine neue Gemeinheit ist. Und der andere da vorhin schwatzt in anständiger Gesellschaft Unsinn zusammen und bittet sich ein Glas Rum aus! Meine Ansicht ist: Warum soll man nicht trinken? Trink du nur, trinke; aber dann mach auch eine Pause; nachher kannst du meinetwegen wieder trinken . . . Es ist gar kein Grund, diesen Leuten gegenüber Milde walten zu lassen! Gauner sind sie allesamt! Der einzige Gelehrte sind Sie, Foma!«

Wenn Bachtschejew sich jemandem hingab, dann tat er es auch vollständig, bedingungslos und unter Verzicht auf jede Kritik.

Ich fand meinen Onkel im Garten, am Teich, an einer ganz einsamen Stelle. Nastasja war bei ihm. Als sie mich erblickte, schlüpfte sie ins Gebüsch, wie wenn sie sich schuldig fühlte. Mein Onkel kam mir mit strahlendem Gesicht entgegen; Freudentränen standen in seinen Augen. Er ergriff meine beiden Hände und drückte sie kräftig.

»Mein Freund!« sagte er, »ich kann bis jetzt immer noch nicht recht an mein Glück glauben. Und Nastasja ebensowenig. Wir staunen nur und preisen Gott den Allmächtigen. Jetzt eben hat sie geweint. Kannst du es glauben: Ich bin bis jetzt noch gar nicht recht zur Besinnung gekommen; ich bin ganz unfähig zum Denken; ich glaube es und glaube es auch wieder nicht! Und womit habe ich so viel Glück verdient? Womit? Was habe ich getan? Womit habe ich es verdient?«

»Wenn jemand sein Glück verdient hat, lieber Onkel, so sind Sie es«, erwiderte ich mit warmer Empfindung. »Ich habe noch keinen so ehrenhaften, so prächtigen, so guten Menschen gesehen, wie Sie einer sind.«

»Nein, lieber Sergej, nein, das ist zuviel«, antwortete er mit einer Art von Bedauern. »Das ist eben das Schlimme, daß wir nur dann gut sind (das heißt, ich rede nur von mir), wenn es uns gut geht; geht es uns aber schlecht, dann benehmen wir uns garstig gegen jeden, der uns zu nahe kommt! Davon habe ich soeben mit Nastasja gesprochen. In wie glänzender Gestalt auch Foma vor meinen Augen stand, habe ich doch (kannst du es glauben?) vielleicht bis zum heutigen Tag nicht ganz an ihn geglaubt, obwohl ich dir selbst versicherte, daß er ein idealer Mensch sei; selbst gestern, als er ein solches Geschenk zurückwies, gelangte ich noch nicht zum Glauben! Zu meiner Schande bekenne ich es! Mein Herz erbebt bei der Erinnerung an meine Tat von vorhin! Aber ich war meiner selbst nicht mächtig. Als er vorhin das von Nastasja sagte, da war es mir, als ob mich jemand mit einem Messer gerade ins Herz stäche. Ich verstand nichts mehr und handelte wie ein Tiger . . .«

»Nicht doch, lieber Onkel; das war vielleicht eine ganz natürliche Handlungsweise.«

Mein Onkel machte eine abwehrende Bewegung mit den Armen.

»Nein, nein, lieber Freund, sage das nicht! Das kommt alles einfach von der Verderbtheit meiner Natur her, davon, daß ich ein finsterer, sinnlicher Egoist bin und mich ungehemmt meinen Leidenschaften hingebe. Das sagt auch Foma.« (Was sollte ich darauf erwidern?) »Du weißt nicht, lieber Sergej«, fuhr er mit tiefem Gefühl fort, »wie oft ich gereizt, mitleidslos, ungerecht und hochmütig gewesen bin, und nicht nur gegen Foma. Jetzt ist mir das auf einmal alles wieder eingefallen, und ich schäme mich ordentlich, daß ich bisher noch nichts getan habe, um ein solches Glück zu verdienen. Nastasja hat soeben von sich dasselbe gesagt, obwohl ich wirklich nicht weiß, was sie für Sünden begangen haben könnte; denn sie ist kein Mensch, sie ist ein Engel! Sie sagte zu mir, wir seien ganz gewaltig in Gottes Schuld und müßten uns jetzt bemühen, besser zu werden und lauter gute Werke zu tun . . . Und wenn du gehört hättest, wie schön und mit welcher Wärme sie das alles sagte! O mein Gott, was ist sie für ein Mädchen!«

Er hielt sehr aufgeregt inne. Nach einer kleinen Weile fuhr er fort:

»Wir haben uns vorgenommen, lieber Freund; zu Foma, zu Mama und Tatjana Iwanowna besonders freundlich zu sein. Aber was soll man von Tatjana Iwanowna sagen! Was ist sie für ein edles Wesen! Oh, wie ich mich gegen sie alle vergangen habe! Auch gegen dich habe ich mich vergangen . . . Aber wenn jetzt jemand wagen sollte, Tatjana Iwanowna zu beleidigen, oh, dann . . . Nun, da ist weiter nichts zu sagen! . . . Auch für Misintschikow muß etwas getan werden.«

»Ja, lieber Onkel, ich habe jetzt meine Ansicht über Tatjana Iwanowna geändert. Man muß sie achten und bemitleiden.«

»Gewiß, gewiß!« fiel mein Onkel mit Wärme ein. »Man muß sie achten! Und da ist zum Beispiel dieser Korowkin; du lachst gewiß über ihn«, fügte er, mir schüchtern ins Gesicht blickend, hinzu, »und wir alle haben vorhin über ihn gelacht. Aber das ist vielleicht unverzeihlich . . . Er ist vielleicht der vortrefflichste, beste Mensch, aber das Schicksal . . . er mag viel Unglück durchgemacht haben . . . du glaubst es nicht; aber es ist vielleicht wirklich so.«

»Nicht doch, lieber Onkel, warum sollte ich es nicht glauben?«

Und ich begann mit lebhaftem Eifer davon zu sprechen, daß selbst in einem tief gesunkenen Wesen sich eine Menge der höchsten menschlichen Empfindungen erhalten haben könne; daß die Tiefe der Menschenseele unerforschlich sei; daß man die Gefallenen nicht verachten dürfe, sondern im Gegenteil bemüht sein müsse, sie wieder aufzurichten; daß der allgemein gebräuchliche Maßstab für das Gute und für die Sittlichkeit nicht richtig sei, und so weiter und so weiter; kurz, ich geriet in Begeisterung und erzählte ihm sogar von der naturalistischen Schule; zum Schluß zitierte ich die Verse: »Als aus der grausen Nacht der Fehle« und so weiter.

Mein Onkel war sehr entzückt.

»Mein Freund, mein Freund!« sagte er gerührt, »du verstehst mich vollkommen und hast alles, was ich selbst sagen wollte, noch besser ausgedrückt, als ich es gekonnt hätte. Ja, so ist es, so ist es! O Gott! Warum ist der Mensch so schlecht? Warum bin ich so oft schlecht, während es doch so schön und beglückend ist, gut zu sein? Auch Nastasja hat soeben ganz dasselbe gesagt . . . Aber sieh nur einmal, was das hier für ein herrliches Plätzchen ist!« fügte er, um sich schauend, hinzu. »Was für eine Natur! Was für ein Bild! Dieser Baum! Sieh nur: Ein Mann kann ihn kaum umspannen! Wie saftig, wie dicht belaubt! Welche Sonne! Wie nach dem Gewitter alles ringsum fröhlich geworden ist, sich gewaschen hat! . . . Man möchte meinen, daß auch die Bäume ein eigenes Bewußtsein haben und etwas fühlen und das Leben genießen . . . Ob es nicht wirklich so ist – was? Wie denkst du darüber?«

»Sehr möglich, lieber Onkel. Auf ihre Weise natürlich.«

»Nun ja, natürlich, auf ihre Weise . . . Wunderbarer, wunderbarer Schöpfer! . . . Aber du mußt dich doch noch gut an diesen ganzen Garten erinnern, lieber Sergej: Wie du hier gespielt hast und herumgelaufen bist, als du noch ein kleiner Junge warst! Ich habe es noch ganz gut im Gedächtnis, wie du ein kleiner Junge warst«, fügte er hinzu und sah mich mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Liebe und Glückseligkeit an. »Nur an den Teich durftest du nicht allein gehen. Und erinnerst du dich noch: Einmal abends rief dich meine selige Katerina zu sich und streichelte dich. Du warst vorher tüchtig im Garten umhergelaufen und ganz rot und erhitzt; du hattest solche hellen, lockigen Härchen. Sie spielte damit und sagte: ›Du hast gut daran getan, daß du den verwaisten Knaben zu uns ins Haus genommen hast.‹ Erinnerst du dich noch daran?«

»Kaum, lieber Onkel.«

»Es war damals Abend, und die Sohne beschien euch beide so hell, und ich saß in einer Ecke und rauchte eine Pfeife und blickte zu euch hin . . . Ich fahre jeden Monat in die Stadt zu ihrem Grab, lieber Sergej«, fügte er mit leiser, zitternder Stimme hinzu, der man die unterdrückten Tränen anhören konnte. »Ich habe eben mit Nastasja darüber gesprochen; sie sagte, wir würden nun beide zusammen dorthinfahren . . .«

Der Onkel schwieg und suchte seiner Erregung Herr zu werden.

In diesem Augenblick trat Widopljassow zu uns.

»Widopljassow!« rief mein Onkel erschrocken. »Kommst du von Foma Fomitsch?«

»Nein, ich komme mehr in eigener Angelegenheit.«

»Ah, das ist ja schön! Da werden wir etwas über Korowkin hören. Ich wollte schon vorhin nach ihm fragen . . . Ich habe ihm befohlen, lieber Sergej, bei ihm Wache zu halten, bei Korowkin. Nun, wie steht's, Widopljassow?«

»Ich wage zu melden«, sagte Widopljassow, »daß Sie gestern geruhten, in betreff meiner Bitte Erwähnung zu tun und mir Ihren hohen Schutz gegen die täglichen Beleidigungen zu versprechen.«

»Fängst du wirklich wieder von deinem Familiennamen an!« rief mein Onkel erschrocken.

»Was soll ich machen? Die allstündlichen Beleidigungen . . .«

»Ach, Widopljassow, Widopljassow! Was soll ich mit dir anfangen?« rief mein Onkel sehr betrübt. »Was können denn das für Beleidigungen sein, die dir zugefügt werden? Du wirst noch den Verstand verlieren und dein Leben im Irrenhaus beschließen!«

»Ich glaube, daß ich mit meinem Verstand . . .«, begann Widopljassow.

»Na ja, na ja!« unterbrach ihn mein Onkel. »Ich sage das nicht, um dich zu kränken, lieber Freund, sondern in bester Absicht. Nun, was sind denn das für Beleidigungen, die du auszustehen hast? Ich möchte wetten, daß es Lappalien sind.«

»Man läßt mir keine Ruhe.«

»Wer denn?«

»Alle und insonderheit Matrjona. Diese bewirkt, daß mein Leben voll Leid ist. Es ist bekannt, daß alle mit Unterscheidungsgabe ausgestatteten Menschen, die mich noch in meiner frühen Kindheit erblickten, sich dahin geäußert haben, ich sähe ganz wie ein Ausländer aus, vornehmlich was die Gesichtszüge anlangt. Und was geschieht nun, gnädiger Herr? Aus diesem Grunde lassen sie mir jetzt keine Ruhe. Sobald ich vorbeigehe, schreien sie mir sämtlich allerlei dumme Worte nach; sogar die kleinen Kinderlein, denen man vor allen Dingen die Rute geben sollte; auch diese schreien mir nach. So zum Beispiel haben sie auch jetzt, während ich hierher ging, mir nachgeschrien . . . Es ist nicht zu ertragen. Beschirmen Sie mich, gnädiger Herr, mit Ihrem Schutz!«

»Ach, Widopljassow! . . . Na, aber was schreien sie denn eigentlich? Gewiß irgendeine Dummheit, die gar keine Beachtung verdient.«

»Es würde unpassend sein, dies zu sagen.«

»Nun, wie lautet es denn?«

»Es ist ekelhaft, es auszusprechen.«

»So sag es doch!«

»Grigori, der Spanier, trinkt gern Schampahnier.«

»Na, was bist du bloß für ein Mensch! Ich dachte, es wäre wunder was! Spuck doch aus und geh vorbei!«

»Ich habe ausgespuckt; sie schreien nur um so mehr.«

»Hören Sie, lieber Onkel«, sagte ich, »er beklagt sich darüber, daß ihm hier im Hause das Leben zu schwer gemacht wird. Schicken Sie ihn doch für eine Weile nach Moskau zu jenem Schreiblehrer! Sie sagten ja, er habe bei so einem gelebt.«

»Ach, lieber Freund, der hat auch ein tragisches Ende genommen!«

»Wieso?«

»Er hatte das Unglück«, antwortete Widopljassow, »sich fremdes Eigentum anzueignen, wofür er trotz seines hervorragenden Talents in das Gefängnis gesetzt wurde, allwo er unrettbar zugrunde ging.«

»Nun gut, nun gut, Widopljassow. Beruhige dich jetzt; ich werde das alles untersuchen und in Ordnung bringen«, sagte mein Onkel; »das verspreche ich dir! Nun, was macht denn Korowkin? Schläft er?«

»Keineswegs; er hat soeben geruht wegzufahren. Ebendieses zu melden bin ich hergekommen.«

»Wegzufahren? Was redest du da? Warum hast du ihn denn weggelassen?« rief mein Onkel.

»Aus Gutmütigkeit des Herzens; es war kläglich anzuschauen. Sobald er erwacht war und sich an den ganzen Hergang erinnerte, schlug er sich sogleich an den Kopf und schrie aus vollem Halse . . .«

»Aus vollem Halse! . . .«

»Es wird respektvoller sein, wenn ich mich so ausdrücke: er stieß mannigfaltige Schreie aus. Er rief, wie könne er jetzt dem schönen Geschlecht wieder vor die Augen kommen! Und dann fügte er hinzu: ›Ich bin des Menschengeschlechts unwürdig!‹ Und alles redete er so kläglich, in gewählten Ausdrücken.«

»Ein höchst zartfühlender Mensch! Ich habe es dir ja gesagt, Sergej . . . Aber du durftest ihn doch nicht weglassen, Widopljassow, da ich dir ausdrücklich befohlen hatte, auf ihn aufzupassen! Ach mein Gott, mein Gott!«

»Ich habe es mehr aus herzlichem Mitleid getan. Er bat, ich möchte nichts davon sagen. Sein Kutscher hatte die Pferde gefüttert und wieder angespannt. Und für die vor drei Tagen ihm ausgehändigte Summe befahl er seinen ergebensten Dank auszusprechen und zu sagen, daß er die Schuld demnächst mit der Post übersenden werde.«

»Was ist denn das für eine Summe, lieber Onkel?«

»Er nannte fünfundzwanzig Rubel«, sagte Widopljassow.

»Ich habe ihm dieses Geld damals auf der Station geliehen, lieber Freund; er hatte nicht genug bei sich. Natürlich wird er es mir mit der ersten Post zurückschicken . . . Ach mein Gott, wie leid mir das tut! Ob ich ihm nicht jemand nachschicke, um ihn zurückzuholen, lieber Sergej?«

»Nein, lieber Onkel, tun Sie das lieber nicht!«

»Das ist auch meine Meinung. Siehst du, lieber Sergej, ich bin natürlich kein Philosoph; aber ich glaube, daß in jedem Menschen weit mehr Gutes steckt, als es äußerlich scheint. So ist es auch bei Korowkin: Er hat die Beschämung nicht ertragen können . . . Aber wir wollen nun doch zu Foma gehen! Wir sind schon zu lange weggeblieben; er könnte es als Undank und Vernachlässigung auffassen und sich beleidigt fühlen . . . Gehen wir! Ach, Korowkin, Korowkin!«

 


 

Der Roman ist zu Ende. Die Liebenden sind vereint, und der gute Genius hat in Foma Fomitschs Person bedingungslos in diesem Haus die Herrschaft angetreten. Man könnte noch sehr viele damit in Zusammenhang stehende Auseinandersetzungen hinzufügen; aber, genau besehen, sind all diese Auseinandersetzungen jetzt vollständig überflüssig. Das ist wenigstens meine Meinung. Statt aller Auseinandersetzungen werde ich nur noch einige Worte über das weitere Schicksal aller Helden meiner Erzählung sagen; ohne das schließt bekanntlich kein Roman, und die Regeln der Kunst schreiben es sogar vor.

Die Hochzeit der ›Beglückten‹ fand sechs Wochen nach den von mir geschilderten Ereignissen statt. Sie wurde still im Familienkreis ohne besonderen Pomp und ohne überflüssige Gäste gefeiert. Ich war Nastasjas Hochzeitsmarschall, Misintschikow der meines Onkels. Übrigens waren auch einige Gäste da. Aber die erste und wichtigste Person war natürlich Foma Fomitsch. Alle bemühten sich um seine Gunst und trugen ihn auf den Händen. Aber zufälligerweise geschah es, daß er einmal beim Herumreichen des Champagners übergangen wurde. Sofort veranstaltete er eine häßliche Szene mit Vorwürfen, Klagen und Geschrei. Foma lief auf sein Zimmer, schloß sich ein, schrie, daß man ihn verachte, daß jetzt ›neue Gesichter‹ in die Familie eindrängen und er daher ein Nichts sei, nicht mehr als ein Nichts, das man wegwerfe. Der Onkel war verzweifelt; Nastasja weinte; die Generalin bekam wie gewöhnlich Krämpfe. Das Hochzeitsmahl glich einem Leichenschmaus. Und volle sieben Jahre eines solchen Zusammenlebens mit ihrem Wohltäter Foma Fomitsch teilte das Schicksal meinem armen Onkel und der armen Nastasja zu. Bis zu seinem Tod (Foma Fomitsch ist im vorigen Jahre gestorben) war er mürrisch, schmollte, brüstete sich, ärgerte sich und räsonierte; aber die Verehrung, die ihm ›die Beglückten‹ erwiesen, verminderte sich nicht, sondern nahm sogar in demselben Maß wie seine Launen von Tag zu Tag zu. Jegor Iljitsch und Nastasja waren miteinander so glücklich, daß sie sogar für ihr Glück fürchteten; sie glaubten, Gott habe ihnen gar zu viel Gutes gesandt und sie hätten eine solche Gnade nicht verdient, und sie meinten daher, es werde ihnen vielleicht in der Folgezeit beschieden sein, ihr Glück durch Kreuz und Leid bezahlen zu müssen. Es ist begreiflich, daß Foma Fomitsch in dieser demütigen Familie alles tun und lassen konnte, was er nur wollte. Und was tat er nicht alles in diesen sieben Jahren! Man kann sich unmöglich eine Vorstellung davon machen, bis zu welchen zügellosen Phantasien seine übersättigte, müßige Seele sich mitunter in der Erfindung der raffiniertesten lukullischen Launen (in geistiger Hinsicht) verstieg. Drei Jahre nach der Hochzeit meines Onkels starb die Großmutter. Der verwaiste Foma geriet in helle Verzweiflung. Selbst jetzt wird im Haus meines Onkels nur mit Entsetzen von seinem damaligen Zustand erzählt. Als das Grab zugeschüttet wurde, wollte er sich durchaus hineinwerfen und schrie, man solle ihn mit zuschütten. Einen ganzen Monat lang gab man ihm weder ein Messer noch eine Gabel in die Hand, und einmal brachen ihm vier Menschen mit Gewalt den Mund auf, um ihm eine Stecknadel herauszunehmen, die er verschlucken wollte. Einer der unbeteiligten Zeugen dieses Kampfes sprach sich dahin aus, Foma Fomitsch habe diese Nadel während des Kampfes tausendmal verschlucken können, es aber trotzdem nicht getan. Aber diese Bemerkung hörten alle mit entschiedener Entrüstung an und beschuldigten denjenigen, der sie gemacht hatte, sogleich der Hartherzigkeit und Unschicklichkeit. Nur Nastasja schwieg und lächelte ein ganz klein wenig, wobei mein Onkel sie mit einiger Unruhe anblickte. Überhaupt muß bemerkt werden, daß Foma zwar im Haus des Onkels wie früher sich sehr aufspielte und seine Launen herauskehrte, daß aber die früheren despotischen, frechen Strafpredigten, die er sich meinem Onkel gegenüber erlaubt hatte, nicht mehr vorkamen. Foma beklagte sich, weinte, machte Vorwürfe und schalt; aber er schimpfte nicht mehr wie früher; es gab nicht mehr solche Szenen wie anläßlich des Titels Exzellenz, und ich glaube, daß dies Nastasjas Werk war. Sie zwang Foma fast unmerklich, hier und da nachzugeben und in dieses und jenes sich zu fügen. Sie wollte ihren Mann nicht erniedrigt sehen, und sie setzte ihren Willen durch. Foma sah deutlich, daß sie ihn fast ganz durchschaute. Ich sage ›fast‹, weil auch Nastasja Foma verhätschelte und sogar jedesmal ihrem Mann zustimmte, wenn er seinen Weisen enthusiastisch lobte. Sie wollte die andern zwingen, ihren Mann in jeder Hinsicht hochzuachten, und verteidigte daher auch seine Anhänglichkeit an Foma Fomitsch öffentlich. Aber ich bin davon überzeugt, daß ihr goldenes Herz alle früheren Beleidigungen vergessen hatte: Sie hätte Foma alles verziehen, als er sie mit dem Onkel vereinigt hatte, und war außerdem, wie es scheint, ernsthaft und mit ganzem Herzen auf die Idee des Onkels eingegangen, daß man von einem ›Dulder‹ und früheren Spaßmacher nicht viel verlangen dürfe, sondern im Gegenteil versuchen müsse, sein Herz zu heilen. Die arme Nastasja hatte selbst zu den Erniedrigten gehört, hatte selbst viel gelitten und bewahrte das in ihrem Gedächtnis. Nach einem Monat wurde Foma stiller; ja er wurde sogar freundlich und sanft; aber dafür begannen andere, ganz überraschende Anfälle: Er verfiel in eine Art von magnetischem Schlaf, der alle aufs äußerste erschreckte. Der Dulder hatte zum Beispiel irgend etwas gesagt oder gelacht, wurde aber dann in einem Augenblick zu Stein, und zwar in ebenderselben Haltung, in der er sich im letzten Augenblick vor dem Anfall befunden hatte; wenn er zum Beispiel gelacht hatte, so verblieb das Lächeln auf seinen Lippen; wenn er etwas in der Hand gehalten hatte, zum Beispiel eine Gabel, so blieb die Gabel in der erhobenen Hand, in der Luft. Dann sank seine Hand selbstverständlich herab; aber Foma Fomitsch fühlte nichts mehr und hatte keine Erinnerung daran, wie sie herabgesunken war. Er saß da, starrte vor sich hin, blinzelte sogar mit den Augen, sprach aber nichts, hörte nichts und verstand nichts. Dieser Zustand dauerte manchmal eine ganze Stunde. Natürlich waren alle im Haus halbtot vor Angst, hielten den Atem an, gingen auf den Fußspitzen und weinten. Endlich wachte Foma wieder auf; er fühlte dann eine furchtbare Mattigkeit und versicherte, er habe während dieser ganzen Zeit nicht das geringste gehört und gesehen. Es war erstaunlich, daß sich dieser Mensch dazu hergab, solche Faxen zu machen und stundenlang freiwillig Qualen zu erdulden, einzig und allein, um dann sagen zu können: »Seht mich an; ich habe auch ein höheres Gefühlsleben als ihr!« Schließlich verfluchte Foma Fomitsch einmal den Onkel ›wegen seiner allstündlichen Beleidigungen und Respektsverletzungen‹ und zog zu Herrn Bachtschejew, um nun bei diesem zu wohnen. Stepan Alexejewitsch, der nach der Hochzeit des Onkels sich noch oftmals mit Foma Fomitsch gezankt, ihn aber immer schließlich selbst um Verzeihung gebeten hatte, ging diesmal mit ungewöhnlichem Eifer ans Werk: Er empfing Foma enthusiastisch, fütterte ihn bis zum Platzen und beschloß sofort, formell mit dem Onkel zu brechen und sogar eine Klage gegen ihn einzureichen. Sie hatten da irgendwo ein strittiges Stückchen Land, um das sie übrigens niemals eigentlich gestritten hatten, da mein Onkel es Herrn Bachtschejew ohne jeden Streit vollständig überlassen hatte. Ohne jemandem ein Wort zu sagen, ließ Herr Bachtschejew seine Kutsche anspannen, jagte in die Stadt, sudelte dort eine Klageschrift hin und reichte sie ein; er bat darin das Gericht, ihm das betreffende Stück Land in förmlicher Weise zuzusprechen, unter Ersatz der Gerichtskosten und sonstiger Einbußen, und auf diese Weise die Räuberei und Eigenmächtigkeit zu bestrafen. Unterdessen war es Foma gleich am zweiten Tag bei Herrn Bachtschejew langweilig geworden; daher verzieh er dem Onkel, der ihm nachgefahren kam und seine Schuld eingestand, huldvoll und kehrte mit ihm wieder nach Stepantschikowo zurück. Herrn Bachtschejews Zorn, als er aus der Stadt zurückkehrte und Foma nicht mehr vorfand, war furchtbar; aber drei Tage darauf erschien er in Stepantschikowo, bekannte sein Vergehen, bat meinen Onkel unter Tränen um Verzeihung und zog seine Klage zurück. Der Onkel versöhnte ihn gleich am selben Tag mit Foma Fomitsch, und Stepan Alexejewitsch lief wieder wie ein Hündchen hinter Foma her und sagte wie früher nach jedem Wort desselben: »Sie sind ein kluger Mensch, Foma! Sie sind ein gelehrter Mann, Foma!«

Foma Fomitsch liegt jetzt im Grab, neben der Generalin; über ihm erhebt sich ein kostbares Denkmal von weißem Marmor, ganz mit Ausdrücken der Trauer und mit Lobpreisungen bedeckt. Manchmal gehen Jegor Iljitsch und Nastasja auf einem Spaziergang pietätvoll zum Kirchhof, um an Fomas Grab zu beten. Noch jetzt können sie von ihm nicht ohne tiefe Empfindung reden; sie erinnern sich an jedes Wort von ihm, an seine Lieblingsgerichte, an alles, was er gern hatte. Seine Sachen werden wie ein kostbarer Schatz aufbewahrt. Da sie sich nun völlig verwaist fühlten, schlossen sich mein Onkel und Nastasja noch enger aneinander an. Kinder hat ihnen Gott nicht gegeben; sie grämen sich sehr darüber, wagen aber nicht zu murren. Alexandra hat schon vor längerer Zeit einen netten jungen Mann geheiratet. Ilja studiert in Moskau. So leben denn der Onkel und Nastasja ganz allein und können sich aneinander gar nicht satt sehen. Die Art, wie sie einer für den andern sorgen, ist beinahe krankhaft geworden. Nastasja betet fortwährend für ihren Mann. Wenn einer von ihnen zuerst stirbt, so wird ihn, glaube ich, der andere keine Woche überleben. Aber möge Gott ihnen ein langes Leben schenken! Jeden Gast, der zu ihnen kommt, empfangen sie voller Freude und teilen bereitwillig mit sämtlichen Unglücklichen alles, was sie haben. Nastasja liest gern die Lebensbeschreibungen der Heiligen und sagt ganz zerknirscht, die gewöhnlichen guten Werke seien nicht ausreichend; man müsse alles den Bedürftigen geben und in seiner Armut glücklich sein. Wenn sie nicht für Ilja und Alexandra zu sorgen hätten, so würde der Onkel das auch längst getan haben; denn er ist in allen Stücken mit seiner Frau vollständig einer Meinung. Bei ihnen lebt Praskowja Iljinitschna und tut ihnen mit Freuden alles zu Gefallen; sie führt ihnen auch die Wirtschaft. Herr Bachtschejew machte ihr bald nach der Hochzeit des Onkels einen Heiratsantrag; aber sie lehnte denselben rundweg ab. Man schloß daraus, daß sie ins Kloster gehen wolle; aber auch das tat sie nicht. In ihrem Wesen liegt eine merkwürdige Eigenheit: sich vor denen, die sie liebhat, ganz klein zu machen, fortwährend die eigene Persönlichkeit gegen sie ganz zurücktreten zu lassen, ihnen jeden Wunsch an den Augen abzusehen, sich all ihren Launen unterzuordnen, sie zu hegen und zu pflegen und ihnen zu dienen. Jetzt nach dem Tod der Generalin, ihrer Mutter, hält sie es für ihre Pflicht, bei ihrem Bruder zu bleiben und ihrer Schwägerin Nastasja in allem behilflich zu sein. Der alte Jeshewikin lebt noch und hat in der letzten Zeit angefangen, seine Tochter immer häufiger zu besuchen. Anfangs brachte er meinen Onkel dadurch zur Verzweiflung, daß er sich und seine kleine Bande (so nannte er seine Kinder) von Stepantschikowo beinahe vollständig fernhielt. Alle Aufforderungen des Onkels zum Kommen blieben bei ihm wirkungslos: Er war nicht so sehr stolz als empfindlich und mißtrauisch. Dieses Mißtrauen entsprang aus seinem Ehrgefühl, ging aber manchmal denn doch zu weit. Der Gedanke, man empfange ihn, den armen Kerl, in dem reichen Haus vielleicht nur aus Mitleid und empfinde seine Besuche als eine Belästigung und Zudringlichkeit, dieser Gedanke quälte ihn furchtbar; er lehnte mitunter sogar Nastasjas Beihilfe ab und nahm nur das Notwendigste an. Von meinem Onkel aber wollte er absolut nichts annehmen. Nastasja hatte sich sehr geirrt, als sie mir damals im Garten über ihren Vater gesagt hatte, er mache sich nur um ihretwillen zum Hanswurst. Allerdings hegte er damals den heißen Wunsch, Nastasja mit meinem Onkel zu verheiraten; aber die Rolle des Hanswurstes spielte er einfach aus innerem Bedürfnis, um dem in ihm angesammelten Grimm Luft zu machen. Das Bedürfnis zu spotten und zu sticheln steckte ihm im Blut. So maskierte er sich denn als den gemeinsten, kriecherischsten Schmeichler, zeigte aber zugleich deutlich, daß er es nur zum Schein tue, und je unterwürfiger seine Schmeichelei klang, um so bissiger und offener schaute der Spott dabei heraus. Das war nun einmal so seine Art. Es gelang den beiden Eheleuten, alle Kinder Jeshewikins in den besten Moskauer und Petersburger Unterrichtsanstalten unterzubringen, aber das auch erst, als Nastasja ihm klar nachwies, daß das alles auf ihre eigene Kosten geschah, das heißt von ihren eigenen dreißigtausend Rubeln, die ihr Tatjana Iwanowna geschenkt hatte: Diese dreißigtausend Rubel hatte Nastasja allerdings niemals von Tatjana Iwanowna angenommen; aber damit diese nicht traurig werde und sich nicht gekränkt fühle, hatte sie sie durch das Versprechen versöhnt, sobald ihre Familie unerwartet in Not käme, an ihre Hilfsbereitschaft zu appellieren. Das tat sie denn auch: Sie nahm, um sie zu beruhigen, bei ihr zu verschiedenen Zeiten zwei ziemlich beträchtliche Darlehen auf. Aber Tatjana Iwanowna starb vor drei Jahren, und Nastasja erhielt nun doch ihre dreißigtausend Rubel. Der Tod der armen Tatjana Iwanowna kam ganz unerwartet. Die ganze Familie machte sich fertig, um zu einem benachbarten Gutsbesitzer zum Ball zu fahren, und eben hatte Tatjana Iwanowna ihr Ballkleid angezogen und einen entzückenden Kranz von weißen Rosen auf den Kopf gesetzt, als sie auf einmal ein Unwohlsein verspürte, sich in einen Lehnstuhl setzte und starb. Mit diesem Kranze wurde sie denn auch beerdigt. Nastasja war verzweifelt. Tatjana Iwanowna war im Hause gehätschelt und gehegt und gepflegt worden wie ein kleines Kind. Sie setzte alle durch die Klugheit ihres Testamentes in Erstaunen; abgesehen von Nastasjas dreißigtausend Rubeln hatte sie alles übrige, gegen dreihunderttausend Rubel, zur Erziehung armer Waisenmädchen und zur Gewährung einer pekuniären Beihilfe an dieselben beim Verlassen der Unterrichtsanstalten bestimmt. In dem Jahr, in dem Tatjana Iwanowna starb, verheiratete sich auch Fräulein Perepelizyna, die nach dem Tod der Generalin bei meinem Onkel geblieben war, in der Hoffnung, sich bei Tatjana Iwanowna einzuschmeicheln. Unterdessen war nämlich der Besitzer des Dorfes Mischino Witwer geworden, ebenjenes kleinen Dorfes, in dem wir als Tatjana Iwanownas Beschützer die häßliche Szene mit Obnoskin und seiner Mutter gehabt hatten. Dieser Gutsbesitzer und ehemalige Beamte war ein schrecklicher Ränkeschmied und hatte von seiner ersten Frau sechs Kinder. Da er bei Fräulein Perepelizyna Geld vermutete, so machte er sich mit seiner Bewerbung an sie heran, und sie ging sofort darauf ein. Aber Fräulein Perepelizyna war arm wie eine Kirchenmaus; sie besaß nur dreihundert Rubel, und auch diese hatte ihr erst Nastasja zur Hochzeit geschenkt. Jetzt zanken sich Mann und Frau vom Morgen bis zum Abend miteinander. Sie reißt seine Kinder an den Haaren und versetzt ihnen Kopfnüsse; auch ihm zerkratzt sie das Gesicht (wenigstens wird das behauptet) und reibt ihm alle Augenblicke ihre Abstammung von einem Oberstleutnant unter die Nase. Auch Misintschikow ist in geordnete Verhältnisse gelangt. Er warf verständigerweise alle seine Hoffnungen auf Tatjana Iwanowna über Bord und fing an, die Landwirtschaft zu erlernen. Mein Onkel empfahl ihn einem reichen Grafen, der achtzig Werst von Stepantschikowo entfernt Besitzungen mit dreitausend Seelen hatte, sie aber nur selten besuchte. Da der Graf bei Misintschikow gute Fähigkeiten wahrnahm und der Empfehlung Vertrauen schenkte, so bot er ihm die Stelle eines Verwalters seiner Güter an; er hatte nämlich seinen früheren Verwalter, einen Deutschen, weggejagt, der trotz der vielgepriesenen deutschen Ehrlichkeit seinen Grafen ganz gehörig bestohlen hatte. Nach fünf Jahren waren die Güter nicht mehr wiederzuerkennen: Die Bauern waren wohlhabend geworden; es war eine geordnete Rechnungsführung eingerichtet worden, wovon vorher gar keine Rede gewesen war; die Einnahmen hatten sich beinahe verdoppelt – kurz, der neue Verwalter erwies sich als ganz vorzüglich, und der Ruf seiner Tüchtigkeit erscholl durch das ganze Gouvernement. Wie groß aber war das Erstaunen und die Betrübnis des Grafen, als Misintschikow nach genau fünf Jahren trotz aller Bitten und aller angebotenen Gehaltserhöhungen seine Stelle mit aller Entschiedenheit aufgab und in den Ruhestand trat! Der Graf glaubte, daß einer der benachbarten Gutsbesitzer oder auch einer aus einem andern Gouvernement ihm seinen guten Verwalter abspenstig gemacht hätte. Aber wie wunderten sich alle, als auf einmal, zwei Monate nach dem Aufgeben seiner Stelle, Iwan Iwanowitsch Misintschikow sich als Besitzer eines sehr schönen Gutes von hundert Seelen, vierzig Werst von den gräflichen Besitzungen entfernt, entpuppte, das er einem gar zu flott lebenden Husaren, einem früheren Freund, abgekauft hatte! Auf diese hundert Seelen nahm er sogleich eine Hypothek auf, und ein Jahr darauf besaß er noch weitere sechzig Seelen in der Nachbarschaft. Jetzt ist er selbst ein ordentlicher Gutsbesitzer, und seine Wirtschaft befindet sich in musterhaftem Zustand. Alle Leute wundern sich, wo er auf einmal das Geld herbekommen hat. Manche aber schütteln nur den Kopf. Aber Iwan Iwanowitsch fühlt sich durchaus ruhig und ist der Ansicht, daß er nichts Unrechtes getan hat. Er hat seine Schwester aus Moskau zu sich kommen lassen, ebendieselbe, die ihm ihre letzten drei Rubel zu Stiefeln gab, als er nach Stepantschikowo wanderte; sie ist ein sehr nettes Mädchen, schon über die erste Jugend hinaus, von sanftem Charakter, liebevoll, gebildet, aber außerordentlich verschüchtert. Sie hat die ganze Zeit her irgendwo in Moskau als Gesellschafterin bei einer ›Wohltäterin‹ ein Unterkommen gehabt; jetzt aber widmet sie demütig ihrem Bruder ihre Dienste, führt in seinem Haus die Wirtschaft, hält seinen Willen für ein Gesetz und fühlt sich vollkommen glücklich. Ihr Bruder verwöhnt sie nicht und hält sie sogar etwas kurz; aber sie bemerkt das gar nicht. In Stepantschikowo liebt man sie sehr, und es heißt, Herr Bachtschejew sei ihr gegenüber nicht gleichgültig. Er würde ihr auch wohl einen Antrag machen, fürchtet sich aber vor einem Korb. Übrigens hoffe ich, daß ich über Herrn Bachtschejew noch ein andermal werde sprechen können, in einer anderen Erzählung und dann ausführlicher.

Das sind ja dann wohl alle unsere Personen! . . . Nein, das hatte ich vergessen: Gawrila ist sehr gealtert und hat sein Französisch vollständig verlernt. Aus Falalej ist ein tüchtiger Kutscher geworden; der arme Widopljassow aber ist schon vor längerer Zeit ins Irrenhaus gekommen und, wie ich glaube, dort gestorben. Dieser Tage werde ich nach Stepantschikowo fahren und mich dann jedenfalls bei meinem Onkel nach ihm erkundigen.

 


 


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