Fjodor M. Dostojewski
Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner
Fjodor M. Dostojewski

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VII

Foma Fomitsch

Ich betrachtete diesen Herrn mit gespanntem Interesse. Gawrila hatte ihn mit Recht ein mickriges Kerlchen genannt. Foma war von kleiner Statur, hatte weißliche Augenbrauen und Wimpern, graumeliertes Haar, eine gebogene Nase und kleine Runzeln im ganzen Gesicht. Am Kinn saß eine große Warze. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Leise, mit gemessenen Schritten und gesenkten Augen trat er ein; aber auf seinem Gesicht und in seiner ganzen pedantischen Erscheinung kam das unverschämteste Selbstbewußtsein zum Ausdruck. Zu meinem Erstaunen erschien er im Schlafrock, allerdings in einem von ausländischer Fasson, aber doch im Schlafrock, und noch dazu in Pantoffeln. Sein Hemdkragen, um den keine Krawatte geschlungen war, war á l'enfant umgeschlagen, was dem ganzen Menschen ein außerordentlich dummes Aussehen verlieh. Er ging zu einem unbesetzten Lehnstuhl, rückte ihn an den Tisch und setzte sich hin, ohne zu jemandem ein Wort zu sagen. Aller Lärm und alle Aufregung, die einen Augenblick vorher geherrscht hatten, waren sofort verschwunden. Alles war so still geworden, daß man eine Fliege hätte fliegen hören. Die Generalin war ruhig und sanft wie ein Lamm. Die ganze sklavische Verehrung, die die arme Idiotin diesem Foma Fomitsch zollte, trat jetzt klar zutage. Sie konnte sich an ihrem teuren Liebling gar nicht satt sehen und wandte kein Auge von ihm. Fräulein Perepelizyna rieb sich grinsend die Hände; die arme Praskowja Iljinitschna aber zitterte sichtlich vor Angst. Der Onkel geriet sogleich in geschäftige Bewegung.

»Tee, Tee, liebe Schwester! Nur recht süß, liebe Schwester; Foma Fomitsch trinkt den Tee nach dem Mittagschläfchen gern recht süß. – Du möchtest ihn doch wohl gern recht süß, Foma?«

»Was kümmert mich jetzt Ihr Tee!« erwiderte Foma langsam und würdevoll und machte mit tiefernster Miene eine wegwerfende Handbewegung. »Sie nur immer mit Ihrem ›recht süß‹!« Diese Worte und die in ihrer pedantischen Wichtigtuerei unglaublich lächerliche Art, wie Foma Fomitsch eingetreten war, riefen bei mir höchstes Interesse hervor. Ich war gespannt darauf, wie weit, bis zu welcher Nichtachtung alles Anstandes die Frechheit dieses hochmütigen Herrn gehen werde.

»Foma!« rief mein Onkel. »Ich erlaube mir, dir meinen Neffen Sergej Alexandrowitsch vorzustellen. Er ist soeben angekommen.«

Foma Fomitsch maß ihn von Kopf bis Fuß.

»Ich wundere mich, daß Sie mich prinzipiell stets unterbrechen, Oberst«, sagte er nach einem bedeutsamen Stillschweigen, ohne mir auch nur die geringste Beachtung zu schenken. »Ich rede zu Ihnen von einer ernsten Angelegenheit, und Sie schwatzen Gott weiß was dazwischen. Haben Sie Falalej gesehen?«

»Ja, ich habe ihn gesehen, Foma.«

»Ah, Sie haben ihn gesehen! Nun, dann werde ich ihn Ihnen noch einmal zeigen, wenn Sie ihn schon gesehen haben. Da können Sie Ihre Freude haben an Ihrem Produkt . . . das heißt Produkt im geistigen Sinne. Komm mal her, du Idiot! Komm mal her, du holländische Fratze! Na, komm, komm! Hab keine Angst!«

Falalej trat schluchzend, mit offenem Mund und Tränen schluckend, näher. Foma Fomitsch betrachtete ihn mit besonderem Genuß.

»Ich habe ihn absichtlich eine holländische Fratze genannt, Pawel Semjonowitsch«, bemerkte er, sich in seinem Lehnstuhl rekelnd und sich ein wenig zu dem neben ihm sitzenden Obnoskin hinüberneigend. »Wissen Sie, ich finde es überhaupt in keinem Fall nötig, daß man seine Ausdrücke herabmildert. Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Und Schmutz bleibt, womit man ihn auch zudeckt, doch immer Schmutz. Also was hat es für einen Sinn, sich milde auszudrücken? Man betrügt damit nur sich selbst und andere Leute! Nur in dem dummen Kopf eines Weltmenschen konnte sich das Bedürfnis nach solchen sinnlosen Anstandsregeln herausbilden. Sagen Sie (ich nehme Sie zum Richter), finden Sie an dieser Visage etwas Schönes? Ich verstehe darunter etwas Hohes, Edles, Erhabenes, und nicht bloß so eine rote Larve.«

Foma Fomitsch sprach leise, gemessen und mit einer Art von stolzer Gleichgültigkeit.

»Ob ich an ihm etwas Schönes finde?« erwiderte Obnoskin in unverschämt nachlässigem Ton. »Mir scheint, das ist einfach ein ordentliches Stück Roastbeef, weiter nichts . . .«

»Trat heute vor den Spiegel und sah hinein«, fuhr Foma fort, indem er durch Weglassung des Fürwortes ›ich‹ seinem Satz einen großartigen Anstrich zu geben suchte. »Bin weit davon entfernt, mich für einen schönen Mann zu halten, kam aber doch unwillkürlich zu der Überzeugung, daß in diesem grauen Auge etwas liegt, was mich von einem solchen Falalej unterscheidet. Das ist der Gedanke, das Leben, der Verstand in diesem Auge! Will damit nicht speziell mich loben. Spreche im allgemeinen von Menschen unserer Art. Wie denken Sie nun jetzt darüber: kann in diesem lebenden Beefsteak auch nur eine Spur, auch nur ein Fetzen von Seele vorhanden sein? Nein, in der Tat, achten Sie einmal darauf, Pawel Semjonowitsch, was diese Menschen, die aller Denktätigkeit und aller Ideale völlig bar sind, immer für einen widerwärtig frischen Teint haben, einen Teint von einer geradezu rohen, dummen Frische! Mögen Sie den Grad seiner Denkfähigkeit kennenlernen? He, du, Ölgötze! Komm mal noch näher heran und laß dich ansehen! Warum sperrst du den Mund auf? Du willst wohl einen Walfisch verschlingen? Bist du schön? Antworte: bist du schön?«

»Ja, ich . . . bin . . . schön!« antwortete Falalej mit dumpfem Schluchzen.

Obnoskin schüttelte sich vor Lachen. Ich spürte, daß ich vor Wut zu zittern begann.

»Haben Sie das gehört?« fuhr Foma, sich triumphierend an Obnoskin wendend, fort. »Nun hören Sie weiter! Ich bin hergekommen, um ihn einem Verhör zu unterziehen. Sehen Sie, Pawel Semjonowitsch, es gibt Menschen, denen es Freude macht, diesen kläglichen Idioten sittlich ganz zugrunde zu richten. Vielleicht urteile ich zu streng und irre mich; aber ich rede aus Liebe zur Menschheit. Er hat soeben den unanständigsten Tanz getanzt, den es nur gibt. Hier kümmert sich kein Mensch darum. Aber hören Sie selbst! Antworte: was hast du eben getan? Antworte, antworte sofort! Hörst du?«

»Ich habe . . . getanzt . . .«, antwortete Falalej, sein Schluchzen gewaltsam unterdrückend.

»Was hast du denn getanzt? Was für einen Tanz? Sprich!«

»Den Komarinski . . .«

»Den Komarinski! Aber was ist das für ein Tanz? Aus dieser Antwort kann ich mir doch keinen Begriff davon machen. Nun, gib uns eine klare Vorstellung: wer wird in diesem Tanze dargestellt?«

»Ein Bau-er . . .«

»Ein Bauer! Nur ein Bauer? Da muß ich mich doch wundern! Das scheint ja ein merkwürdiger Bauer zu sein, wenn Lieder über ihn gemacht werden und er in Tänzen dargestellt wird. Nun, so antworte doch!«

Jemanden zu quälen war für Foma ein Bedürfnis. Er spielte mit seinem Opfer wie die Katze mit der Maus; aber Falalej schwieg, schluchzte und verstand die Frage nicht.

»So antworte doch!« setzte ihm Foma hartnäckig zu. »Ich frage dich: was ist das für ein Bauer? Sprich! Ist es ein freier oder gehört er einer Gutsherrschaft oder dem Staate oder einem Kloster? Es gibt allerlei Bauern . . .«

»Ei-nem Klo-ster . . .«

»Ah, er gehört einem Kloster! Hören Sie wohl, Pawel Semjonowitsch? Eine neue historische Tatsache: der Bauer dieses Tanzes gehört einem Kloster. Hm! . . . Nun, was hat denn dieser Klosterbauer getan? Für welche Großtaten wird er denn besungen und im Tanz dargestellt?«

Das war eine heikle und, da sie an einen Menschen wie Falalej gerichtet war, auch gefährliche Frage.

»Aber . . . Sie sollten doch . . .«, fing Obnoskin an, da er sah, wie seine Mutter in einer ganz besonderen Weise auf dem Sofa hin und her rutschte.

Aber was war zu machen? Foma Fomitschs Launen galten als Gesetz.

»Ich bitte Sie, lieber Onkel, wenn Sie diesem Dummkopf nicht Einhalt tun, so wird er . . . Sie hören ja, was er herauszubringen sucht . . . Falalej wird irgend etwas Arges reden, glauben Sie mir . . .«, flüsterte ich meinem Onkel zu, der völlig den Kopf verloren hatte und nicht wußte, was er tun sollte.

»Aber, Foma, du solltest doch . . .«, sagte er; »hier stelle ich dir meinen Neffen vor, einen jungen Mann, der sich mit Mineralogie beschäftigt hat . . .«

»Ich bitte Sie, Oberst, unterbrechen Sie mich nicht mit Ihrer Mineralogie, von der Sie, soviel ich weiß, nichts verstehen und vielleicht andere Leute auch nicht. Ich bin kein Kind. Er wird mir antworten, daß dieser Bauer, statt zum Wohl seiner Familie zu arbeiten, sich betrunken hat, in der Schenke seinen Halbpelz in Zahlung gegeben hat und betrunken auf die Straße gelaufen ist. Das ist bekanntlich der Inhalt dieses Liedes, durch welches die Trunksucht verherrlicht wird. Seien Sie unbesorgt, er weiß jetzt, was er zu antworten hat. – Nun, antworte mal: was hat dieser Bauer getan? Ich habe es dir ja vorgesagt und in den Mund gelegt. Ich möchte aber von dir selbst hören: was hat er getan, wodurch ist er berühmt geworden und hat so unsterblichen Ruhm verdient, daß ihn die Troubadours besingen? Nun?«

Der unglückliche Falalej blickte in seinem Kummer rings um sich, und in der Verlegenheit, was er sagen sollte, machte er den Mund auf und zu wie eine Karausche, die man aus dem Wasser auf den Sand gezogen hat.

»Ich schäme mich . . . es zu sagen!« murmelte er endlich ganz verzweifelt.

»Ah, du schämst dich, es zu sagen!« rief Foma triumphierend. »Gerade diese Antwort wollte ich hören, Oberst! Man schämt sich, es zu sagen; aber man schämt sich nicht, es zu tun. Das ist die Moral, die Sie gesät haben, die nun aufgegangen ist, und die Sie jetzt . . . begießen. Aber es ist zwecklos, noch weitere Worte zu verlieren. Geh jetzt in die Küche, Falalej. Jetzt sage ich weiter nichts zu dir aus Achtung vor den Anwesenden; aber noch heute wirst du streng und schmerzhaft bestraft werden. Sollte das aber nicht geschehen, sollte man mich auch diesmal hinter dir zurücksetzen, dann bleibe du hier und amüsiere deine Herrschaft durch den Komarinski-Tanz; ich aber werde gleich heute dieses Haus verlassen! Genug! Ich bin zu Ende! Geh!«

»Na, da sind Sie aber doch, wie mir scheint, etwas zu streng gewesen«, brummte Obnoskin.

»Gewiß, gewiß, gewiß! . . .« rief mein Onkel, brach dann aber plötzlich ab und verstummte. Foma warf ihm von der Seite einen finsteren Blick zu.

»Ich wundere mich bei dieser Lage der Dinge, Pawel Semjonowitsch«, fuhr er fort, »was denn eigentlich all diese modernen Literaten, Dichter, Gelehrten und Denker tun. Wie geht es zu, daß sie den Liedern, die das russische Volk singt und nach denen es tanzt, so gar keine Aufmerksamkeit schenken? Was haben denn all diese Männer wie Puschkin, Lermontow, Borosdna bisher getan? Das erregt mein Erstaunen. Das Volk tanzt den Komarinski, diese Apotheose der Trunksucht; sie aber besingen irgendwelche blauen Blümelein! Warum schreiben sie nicht moralischere Lieder zum Volksgebrauch und geben ihren blauen Blümelein den Laufpaß? Das ist eine soziale Frage! Sollen sie von mir aus einen Bauern darstellen, aber einen veredelten Bauern, sozusagen einen Landmann und keinen Bauern! Mögen sie diesen ländlichen Weisen in seiner ganzen Schlichtheit darstellen, meinetwegen sogar in Bastschuhen (auch dagegen habe ich nichts), aber mit solchen Tugenden ausgestattet, um die ihn (ich sage es dreist) sogar der hochberühmte Alexander von Mazedonien beneiden würde! Ich kenne Rußland, und Rußland kennt mich: darum sage ich das. Mögen sie uns diesen Bauern darstellen, wie er als grauhaariger Mann schwer für seine Familie zu arbeiten hat, in einer dumpfigen Hütte lebt, meinetwegen auch hungert, aber zufrieden ist, nicht murrt, sondern seine Armut segnet und dem Gold des Reichen gegenüber gleichgültig bleibt! Mag der Reiche selbst ihm schließlich in der Rührung seines Herzens sein Gold bringen; mag sogar in diesem Fall eine Vereinigung der Tugenden des Bauern mit den Tugenden seines Herrn, meinetwegen eines hohen Würdenträgers, stattfinden! Der Landmann und der hohe Würdenträger, auf der Stufenleiter der menschlichen Gesellschaft so weit voneinander entfernt, vereinigen sich endlich in der Tugend – das ist ein erhabener Gedanke! Aber was sehen wir in Wirklichkeit? Auf der einen Seite blaue Blümelein, und auf der anderen Seite stürzt ein Betrunkener aus der Schenke und läuft in unwürdigem Aufzug auf der Straße herum! Nun, sagen Sie selbst, was ist daran Poetisches? Worüber soll man sich da freuen? Wo stecken da Verstand und Anmut und Sittlichkeit? Das alles erregt meine Verwunderung!«

»Hundert Rubel bin ich dir für diese prächtigen Worte schuldig, Foma Fomitsch!« rief Jeshewikin mit ganz entzücktem Gesicht.

»Keine Kopeke kriegt er von mir«, flüsterte er mir leise zu. »Immer schmeicheln, immer schmeicheln!«

»Na ja . . . das haben Sie recht hübsch herausgebracht«, äußerte Obnoskin.

»Gewiß, gewiß, gewiß!« rief mein Onkel, der mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte und mich triumphierend ansah.

»Was ist das für ein herrliches Thema, das da zur Sprache gekommen ist!« flüsterte er, sich die Hände reibend. »Ein vielseitiges Gespräch, hol's der Teufel! Foma Fomitsch, hier ist mein Neffe«, fügte er im Überschwang seiner Gefühle hinzu. »Er hat sich ebenfalls mit Literatur beschäftigt; ich erlaube mir, ihn dir vorzustellen.«

Foma Fomitsch beachtete es wie vorher nicht im geringsten, daß der Onkel mich vorstellte.

»Um Gottes willen, stellen Sie mich ihm nicht weiter vor! Ich bitte Sie allen Ernstes darum!« flüsterte ich meinem Onkel mit energischem Gesichtsausdruck zu.

»Iwan Iwanowitsch«, begann Foma auf einmal, indem er sich zu Misintschikow wandte und ihn fest anblickte, »wir haben jetzt gesprochen; welches ist nun Ihre Meinung?«

»Ich? Sie fragen mich?« erwiderte Misintschikow erstaunt und machte dabei ein Gesicht, als ob er eben aus dem Schlaf aufwachte.

»Ja, Sie. Ich frage Sie deswegen, weil ich auf die Meinung wirklich kluger Leute Wert lege, nicht aber auf die Meinung irgendwelcher problematischen Männer der Wissenschaft, die nur deshalb klug sind, weil sie einem beständig als kluge Köpfe, als Gelehrte vorgestellt werden, und die man sich manchmal kommen läßt, um sie wie in einer Jahrmarktsbude zur Schau zu stellen.«

Dieser Stein war gerade in meinen Garten gezielt. Und es konnte auch kein Zweifel daran sein, daß Foma Fomitsch, obwohl er mir äußerlich keinerlei Beachtung schenkte, doch diese ganze Erörterung über Literatur einzig und allein meinetwegen aufs Tapet gebracht hatte, um den Petersburger Gelehrten und Mann der Wissenschaft gleich von vornherein auf den Mund zu schlagen, ihn niederzuschmettern und zu vernichten. Ich wenigstens zweifelte nicht daran.

»Wenn Sie meine Meinung wissen wollen, so muß ich sagen, daß ich . . . daß ich ganz mit Ihnen einverstanden bin«, versetzte Misintschikow in müdem Ton und mit Widerstreben.

»Sie sind immer ganz mit mir einverstanden! Es wird einem ordentlich übel davon«, erwiderte Foma. »Ich sage Ihnen in aller Aufrichtigkeit, Pawel Semjonowitsch«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, indem er sich wieder an Obnoskin wandte, »wenn ich unsern unsterblichen Karamsin wegen einer seiner Schriften verehre, so tue ich es nicht wegen seines Geschichtswerkes, nicht wegen der ›Statthalterin Marfa‹, nicht wegen des ›Alten und neuen Rußlands‹, sondern speziell deswegen, weil er den ›Frol Silin‹ geschrieben hat, dieses großartige Epos! Das ist ein echt volkstümliches Werk und wird in Ewigkeit nicht untergehen! Ein großartiges Epos!«

»Gewiß, gewiß, gewiß! Eine großartige Epoche! Frol Silin ist ein wohltätiger Mensch! Ich erinnere mich, ich habe es gelesen; er kaufte noch zwei Mädchen los und blickte dann gen Himmel und weinte. Ein erhabener Zug!« stimmte mein Onkel, strahlend vor Vergnügen, bei.

Der arme Onkel! Er brachte es nie fertig, sich der Einmischung in ein ›gelehrtes‹ Gespräch zu enthalten. Foma lächelte boshaft, schwieg aber.

»Übrigens schreiben manche auch jetzt interessant«, bemerkte Anfissa Petrowna vorsichtig. »Da sind zum Beispiel die ›Geheimnisse von Brüssel‹.«

»Nicht meine Ansicht«, erwiderte Foma in mitleidig klingendem Tone. »Ich habe neulich ein modernes Gedicht gelesen . . . Nun, was ist darüber zu sagen? Die Blaublümelein-Sorte! Aber ich will zugeben: von den Neueren gefällt mir am besten der Berichterstatter; der hat eine gewandte Feder!«

»Der Berichterstatter!« rief Anfissa Petrowna; »das ist der, der die Briefe an das Journal schreibt? Ach, wie entzückend schreibt der! Wie er mit den Worten spielt!«

»Gewiß, er spielt mit den Worten«, erwiderte Foma. »Er spielt sozusagen mit der Feder. Er hat eine außerordentlich gewandte Feder!«

»Ja, aber er ist ein Pedant«, bemerkte Obnoskin lässig.

»Ein Pedant, ein Pedant, das bestreite ich nicht; aber ein liebenswürdiger Pedant, ein graziöser Pedant! Allerdings erweist sich keiner seiner Gedanken einer gründlichen Kritik gegenüber als stichhaltig; aber man läßt sich doch durch seine Gewandtheit mit fortreißen! Er ist ein Schwätzer, zugegeben; aber ein liebenswürdiger Schwätzer, ein graziöser Schwätzer! Erinnern Sie sich zum Beispiel, er erwähnt in einem literarischen Artikel, daß er eigene Güter besitze?«

»Güter?« fiel der Onkel ein. »Das ist ja schön! In welchem Gouvernement denn?«

Foma hielt inne, blickte den Onkel starr an und fuhr dann in demselben Tone fort:

»Nun, sagen Sie mir im Namen des gesunden Menschenverstandes: wozu brauche ich als Leser zu erfahren, daß er Güter besitzt? Wenn er welche hat, so kann man ihm ja dazu gratulieren! Aber in welcher liebenswürdigen, scherzhaften Weise macht er diese Mitteilung! Alles strahlt und sprüht bei ihm nur so von Witz und Geist. Er sprudelt geradezu! Ja, so muß man schreiben! Ich glaube, geradeso würde ich schreiben, wenn ich mich darauf einließe, für Journale zu schreiben . . .«

»Vielleicht auch noch besser«, bemerkte Jeshewikin respektvoll.

»Es liegt sogar etwas Melodisches im Stil!« stimmte der Onkel bei.

Foma Fomitsch konnte es nun doch nicht länger aushalten.

»Oberst«, sagte er, »dürfte ich Sie, natürlich in der zartesten Weise, bitten, uns nicht zu stören und uns unser Gespräch in Ruhe beenden zu lassen. Sie können über diesen Gegenstand nicht urteilen; Sie können es wirklich nicht! Unterbrechen Sie unsere angenehme literarische Unterhaltung nicht! Beschäftigen Sie sich mit Ihrer Wirtschaft, trinken Sie Tee . . . aber lassen Sie die Literatur in Ruhe! Sie wird davon keinen Schaden nehmen, glauben Sie mir!«

Das war eine Frechheit, die alle Grenzen überschritt! Ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte.

»Aber du hast doch selbst einmal diesen Ausdruck gebracht, Foma«, brachte der Onkel betrübt und verlegen heraus.

»Ja, aber ich habe es auf Grund meiner Sachkenntnis gesagt und an der richtigen Stelle; Sie dagegen . . .«

»Ja, wir haben mit Verstand gesprochen«, schloß sich Jeshewikin an, der eifrig um Foma Fomitsch herumscharwenzelte. »Wir haben so ein bißchen Verstand, den müssen wir beschäftigen; zu zwei Ministerposten reicht er wohl aus; oder nein, wir würden auch mit einem dritten zurechtkommen. So steht es mit uns!«

»Na, dann habe ich also wieder einmal Unsinn geredet!« erwiderte der Onkel und lächelte in seiner gutmütigen Art.

»Wenigstens sehen Sie es selbst ein«, bemerkte Foma.

»Macht nichts, macht nichts, Foma, ich nehme es nicht übel. Ich weiß, daß du wie ein Freund, wie ein Verwandter, ein Bruder mich zurückzuhalten suchst. Das habe ich dir selbst erlaubt und dich sogar darum gebeten! Das ist vernünftig, durchaus vernünftig! Das ist zu meinem eigenen Nutzen. Ich danke dir und werde Nutzen daraus ziehen!«

Meine Geduld war erschöpft. Alles, was ich bisher über Foma Fomitsch vom Hörensagen wußte, war mir etwas übertrieben erschienen. Jetzt aber, wo ich alles selbst als Tatsache wahrnahm, war ich grenzenlos erstaunt. Ich traute meinen eigenen Sinnen nicht; eine solche Dreistigkeit, eine so freche Anmaßung auf der einen Seite und eine solche freiwillige Knechtschaft, eine so vertrauensselige Gutmütigkeit auf der anderen Seite, das war mir unbegreiflich. Übrigens war sogar der Onkel über eine solche Dreistigkeit betroffen. Das war ihm anzusehen . . . Ich brannte vor Begierde, irgendwie mit Foma anzubändeln, mich mit ihm zu messen, recht grob gegen ihn zu werden – mochte dann kommen, was da wollte! Dieser Gedanke belebte mich. Ich suchte nach einem Anlaß und zerknickte in Erwartung eines solchen meine Hutkrempe vollständig. Aber es bot sich kein Anlaß: Foma wollte mich absolut nicht bemerken.

»Du hast die Wahrheit gesagt, Foma, du hast die Wahrheit gesagt«, fuhr mein Onkel fort, der sich die größte Mühe gab, den unangenehmen Eindruck des vorhergehenden Gespräches zu verwischen und wenigstens einigermaßen abzuschwächen. »Du nimmst kein Blatt vor den Mund, Foma, und dafür bin ich dir dankbar. Man muß eine Sache verstehen; dann erst kann man über sie urteilen. Ich bekenne, daß ich es falsch gemacht habe! Ich habe mich schon mehrmals in eine solche Situation gebracht. Stell dir vor, Sergej, ich habe einmal sogar examiniert . . . Ihr lacht! Na, ihr könnt's glauben! Bei Gott, ich habe examiniert, wahrhaftig. Ich wurde eingeladen, in einem Lehrinstitut dem Examen beizuwohnen, und da wiesen sie mir einen Platz mitten unter den Examinatoren an, nur so ehrenhalber; es war da gerade ein freier Stuhl. Ich muß bekennen, ich bekam es da ordentlich mit der Angst, und Furcht überkam mich; denn ich wußte absolut von keiner Wissenschaft etwas! Was war zu machen? ›Gleich‹, dachte ich, ›werde ich selbst an die Tafel geschickt werden!‹ Na, aber dann begab sich nichts dergleichen, und alles ging gut; ich stellte sogar selbst Fragen, ich fragte: ›Wer war Noah?‹ Überhaupt antworteten die Schüler vorzüglich; dann frühstückten wir und tranken Champagner auf das Blühen und Gedeihen der Anstalt. Es war eine ausgezeichnete Anstalt!«

Foma Fomitsch und Obnoskin schüttelten sich vor Lachen.

»Ich habe nachher selbst darüber gelacht«, rief der Onkel, lachte in seiner gutmütigen Art und freute sich, daß alle heiter geworden waren. »Nein, Foma, ich will mir ein Herz fassen und euch alle amüsieren; ich will erzählen, wie ich einmal hereingefallen bin . . . Stell dir vor, Sergej, wir standen in Krasnogorsk . . .«

»Gestatten Sie eine Frage, Oberst: ist die Geschichte, die Sie erzählen wollen, lang?« unterbrach ihn Foma.

»Ach, Foma! Es ist ja eine wundervolle Geschichte; man kann dabei geradezu platzen vor Lachen. Hör nur zu; sie ist hübsch, wirklich hübsch. Ich werde erzählen, wie ich hereingefallen bin.«

»Ich höre Ihre Geschichten immer mit Vergnügen an, wenn sie von dieser Art sind«, bemerkte Obnoskin gähnend.

»Dann hilft es nichts; dann müssen wir sie eben anhören«, entschied Foma.

»Aber bei Gott, es ist eine hübsche Geschichte, Foma. Ich will erzählen, wie ich einmal hereingefallen bin, Anfissa Petrowna. Hör du auch zu, Sergej; es ist sogar lehrreich. Wir standen in Krasnogorsk«, begann mein Onkel, strahlend vor Vergnügen; er redete schnell und hastig und erging sich in zahllosen abschweifenden Vorreden, was er immer tat, wenn er etwas zur Unterhaltung der Gesellschaft zu erzählen anfing. »Kaum waren wir angekommen, so ging ich auch gleich am selben Abend ins Theater. Es gab da eine ganz vorzügliche Schauspielerin, ein Fräulein Kuropatkina; einige Zeit darauf brannte sie mit dem Stabsrittmeister Swerkow durch, ohne an dem betreffenden Abend ihre Rolle zu Ende zu spielen, so daß der Vorhang herabgelassen werden mußte. Dieser Swerkow war übrigens ein toller Kerl, im Trinken und im Kartenspiel; nicht daß er ein Trunkenbold gewesen wäre, aber er war immer bereit, mit Kameraden zusammen vergnügt zu sein. Wenn er aber einmal so richtig ins Trinken geriet, dann vergaß er alles: wo er wohnte, in welchem Land er lebte, wie er hieß, kurz, schlechterdings alles. Aber im Grunde seines Herzens war er ein prächtiger Bursche. Na also, ich saß im Theater. In der Pause stand ich auf und stieß auf meinen früheren Kameraden Kornouchow. Ich sage euch, ein ganz vorzüglicher Mensch. Wir hatten uns seit sechs Jahren nicht gesehen. Er hatte einen Feldzug mitgemacht und die Brust voll Orden; jetzt ist er, wie ich kürzlich hörte, schon Wirklicher Staatsrat; er ist in den Zivildienst übergetreten und hat es zu einer hohen Stellung gebracht. Na, selbstverständlich freuten wir uns beide. Wir redeten von diesem und jenem. Neben uns saßen in einer Loge drei Damen; diejenige, die links saß, hatte eine Visage von unerhörter Häßlichkeit. Nachher erfuhr ich, daß sie eine vortreffliche Frau, eine brave Mutter ihrer Familie war und ihren Mann glücklich machte. Na also, ich in meiner Dummheit fragte Kornouchow ohne weiteres: ›Sag mal, Bruder, weißt du nicht, was das da für eine Vogelscheuche ist?‹ – ›Welche meinst du?‹ – ›Die da.‹ – ›Das ist meine Kusine.‹ Pfui Teufel! Versetzt euch in meine Lage! Um die Sache wieder einzurenken, sagte ich: ›Nicht doch, die nicht. Hast du denn keine Augen? Die da, die auf der andern Seite sitzt; wer ist das?‹ – ›Das ist meine Schwester.‹ Donnerwetter! Und dabei war seine Schwester auch noch wie ein Röschen, ein ganz allerliebstes Wesen, und so schön geputzt mit Broschen, Handschuhen, Armbändern; kurz, wie ein Engel saß sie da. Später hat sie einen vortrefflichen Mann namens Pychtin geheiratet; sie lief mit ihm davon, und sie ließen sich ohne Erlaubnis der Eltern trauen; na, aber jetzt ist das alles in Ordnung, und sie leben im Wohlstand; die Eltern können sich gar nicht genug über die beiden freuen! Nun also weiter: ›Aber nein!‹ rief ich und wußte selbst nicht, wo ich mich hätte verkriechen können, ›die nicht! Die in der Mitte, wer ist das?‹ – ›Ja, die in der Mitte . . . na, Bruder, das ist meine Frau.‹ Unter uns gesagt: ein Frauchen, wie man es sich gar nicht appetitlicher denken kann! Ich hätte sie am liebsten vor Vergnügen aufgefressen. ›Na‹, sagte ich, ›hast du schon mal einen Dummerjan gesehen? Hier steht einer vor dir, und sein Kopf ist auch da; hau ihn ohne Erbarmen ab!‹ Er lachte. Nach dem Theater stellte er mich den Damen vor und hatte ihnen wohl inzwischen die ganze Geschichte erzählt, der Schelm. Sie lachten gewaltig. Und ich muß gestehen, ich habe nie in meinem Leben die Zeit so vergnügt verbracht. So kann man manchmal hereinfallen, lieber Foma! Ha-ha-ha-ha!«

Aber vergebens lachte mein armer Onkel; vergebens ließ er seinen heiteren, gutmütigen Blick über die Anwesenden hinschweifen: Totenstille war die Antwort auf seine lustige Geschichte. Foma Fomitsch saß in finsterem Schweigen da, und die andern machten es ihm nach; nur Obnoskin lächelte leise in Voraussicht des Verweises, den der Onkel bekommen würde. Der Onkel wurde verlegen und errötete. Gerade das hatte Foma gewünscht.

»Sind Sie fertig?« fragte er endlich, indem er sich mit würdevoller Miene an den verlegenen Erzähler wandte.

»Ja, ich bin fertig, Foma.«

»Und freuen Sie sich?«

»Was meinst du damit? Inwiefern sollte ich mich freuen?« fragte mein armer Onkel bekümmert.

»Fühlen Sie sich jetzt erleichtert? Sind Sie zufrieden, da Sie ein angenehmes literarisches Gespräch unter Freunden gestört haben, indem Sie sie unterbrachen und dadurch Ihre kleinliche Eigenliebe befriedigten?«

»Aber was redest du da, Foma! Ich wollte euch alle amüsieren, und du . . .«

»Amüsieren!« rief Foma, der plötzlich außerordentlich heftig wurde. »Aber Sie sind nur fähig, einen Menschen melancholisch zu machen, nicht ihn zu amüsieren. Amüsieren! Aber wissen Sie auch wohl, daß Ihre Geschichte beinah unmoralisch war? Davon, daß sie unanständig war, will ich erst gar nicht reden; das versteht sich von selbst. Sie haben soeben mit einer selten vorkommenden Roheit des Gemütes erklärt, daß Sie über ein unschuldiges Wesen, über eine adlige Dame sich nur deshalb lustig gemacht haben, weil sie nicht die Ehre hatte, Ihnen zu gefallen. Und uns, uns wollten Sie veranlassen mitzulachen, das heißt Ihnen zuzustimmen, ein grobes, unanständiges Benehmen zu billigen, und alles das nur deswegen, weil Sie der Herr dieses Hauses sind! Meinetwegen, Oberst, können Sie sich Schmarotzer, Speichellecker und Kumpane suchen, soviel Sie wollen, und sich solche sogar aus fernen Gegenden kommen lassen und dadurch Ihre Suite vergrößern, zum Schaden der Aufrichtigkeit und der edlen Offenheit des Herzens; aber niemals wird Foma Opiskin Ihr Schmeichler oder Ihr Speichellecker oder Ihr Schmarotzer sein! Das kann ich Ihnen auf das bestimmteste versichern! . . .«

»Ach, Foma, du hast mich nicht verstanden, Foma!«

»O doch, Oberst, ich habe Sie längst durchschaut und verstehe Sie vollständig. Eine grenzenlose Eigenliebe quält Sie; Sie erheben unmögliche Ansprüche darauf, ein geistreicher Mensch zu sein, und vergessen, daß gerade diese Ansprüche den Eindruck geistiger Stumpfheit hervorrufen. Sie . . .«

»Hör auf, Foma, um Gottes willen! Nimm doch wenigstens Rücksicht auf die Anwesenden! . . .«

»Aber es ist gar zu traurig, Oberst, das alles mit anzusehen, und wenn man es mit ansieht, so kann man unmöglich schweigen. Ich bin arm; ich lebe bei Ihrer Mutter. Da könnten die Leute womöglich noch denken, ich wollte mich durch mein Schweigen bei Ihnen einschmeicheln; aber ich will nicht, daß irgend so ein Milchbart mich für Ihren Parasiten hält! Vielleicht habe ich, als ich vorhin hier eintrat, meine wahrheitsliebende Offenherzigkeit geflissentlich stark hervortreten lassen und mich gezwungen gesehen, geflissentlich sogar bis zur Grobheit zu gehen, ebendeshalb weil Sie selbst mich in eine solche Lage bringen. Sie behandeln mich gar zu sehr von oben herab, Oberst. Man kann mich ja für Ihren Sklaven halten, für einen Klienten, der bei Ihnen das Gnadenbrot ißt. Es macht Ihnen Vergnügen, mich vor den Augen Unbekannter herabzuwürdigen, während ich Ihnen doch gleichgestellt bin, wissen Sie das? In jeder Beziehung gleichgestellt. Vielleicht erweise ich Ihnen sogar einen Dienst damit, daß ich bei Ihnen wohne, und nicht Sie mir. Ich werde von Ihnen erniedrigt; folglich muß ich mich Ihnen gegenüber loben; das ist nur natürlich! Ich kann nicht schweigen; ich muß reden, muß unverzüglich Protest erheben, und daher erkläre ich Ihnen offen und geradezu, daß Sie in phänomenaler Weise neidisch sind! Sie sehen zum Beispiel, daß jemand in einem harmlosen, freundschaftlichen Gespräch unwillkürlich seine Kenntnisse, seine Belesenheit, seinen guten Geschmack an den Tag legt: gleich ärgern Sie sich darüber und können sich nicht beherrschen: ›Da will ich doch auch meine Kenntnisse und meinen guten Geschmack zeigen!‹ Aber was besitzen Sie für einen Geschmack, mit Verlaub zu sagen? Sie verstehen vom Schönen so viel (nehmen Sie es nicht übel, Oberst) wie zum Beispiel der Esel vom Lautenspiel! Das ist schroff und derb gesagt, ich gebe es zu, aber wenigstens aufrichtig und wahrheitsgemäß. So etwas bekommen Sie von Ihren Schmeichlern nicht zu hören, Oberst.«

»Aber Foma! . . .«

»Nun ja, ›aber Foma!‹ Die Wahrheit ist bekanntlich kein Daunenbett. Nun gut, wir werden darüber später noch einmal reden; jetzt aber wollen Sie auch mir gestatten, die Gesellschaft ein wenig zu erheitern. Es ist doch nicht in Ordnung, daß Sie sich immer nur allein hervortun. Pawel Semjonowitsch! Haben Sie dieses Seeungeheuer in Menschengestalt gesehen? Ich beobachte ihn schon lange. Betrachten Sie ihn nur genauer: er würde mich am liebsten lebendig mit Haut und Haar auffressen.«

Es handelte sich um Gawrila. Der alte Diener stand an der Tür und sah und hörte wirklich mit tiefem Schmerz an, wie sein Herr heruntergeputzt wurde.

»Auch ich will Sie durch ein Schauspiel amüsieren, Pawel Semjonowitsch. Heda, du Maulaffe, komm mal her! Haben Sie die Güte, näher zu kommen, Gawrila Ignatitsch! Sehen Sie, Pawel Semjonowitsch, das ist Gawrila; zur Strafe für seine Grobheit lernt er Französisch. Wie Orpheus mildere ich hierzulande die Sitten, aber nicht durch Lieder, sondern durch die französische Sprache. Nun, du Franzose (er kann es nicht leiden, wenn ich ihn so nenne), kannst du deine Lektion?«

»Ich habe sie gelernt«, antwortete Gawrila, der den Kopf hängen ließ.

»Nun also: Parlez-vous français?«

»Wui, mußjö, sche le parl ön pö . . .«

Ich weiß nicht, war Gawrilas traurige Figur beim Aussprechen dieses französischen Satzes die Ursache oder ahnten alle Fomas Wunsch, daß sie lachen möchten, kurz, jeder schüttelte sich nur so vor Lachen, sowie Gawrila nur einen Ton sagte. Sogar die Generalin lachte mit. Anfissa Petrowna ließ sich gegen die Sofalehne zurücksinken, kreischte laut auf und verbarg ihr Gesicht hinter dem Fächer. Am lächerlichsten erschien es der Gesellschaft, daß Gawrila, als er sah, welche Wendung das Examen nahm, sich nicht mehr beherrschen konnte, ausspuckte und vorwurfsvoll sagte: »Was für eine Schande muß ich auf meine alten Tage noch erleben!«

»Was? Was hast du gesagt? Willst du etwa grob werden?«

»Nein, Foma Fomitsch«, antwortete Gawrila würdig, »meine Worte sind keine Grobheit, und mir als Leibeigenem steht es auch nicht zu, gegen dich als geborenen Herrn grob zu werden! Aber jeder Mensch trägt das Ebenbild Gottes in sich, sein Ebenbild und Gleichnis. Ich bin schon dreiundsechzig Jahre alt. Mein Vater erinnerte sich noch an den schrecklichen Pugatschow, und meinen Großvater hatte Pugatschow an ein und denselben Galgen mit seinem Herrn, Matwej Nikititsch (Gott gebe ihm das Himmelreich), aufhängen lassen; dafür wurde mein Vater von seinem Herrn, dem seligen Afanassi Matwejewitsch, achtungsvoller behandelt als die übrigen Diener: er versah die Stelle eines Kammerdieners und beschloß sein Leben als Haushofmeister. Ich aber, gnädiger Herr Foma Fomitsch, bin zwar nur ein herrschaftlicher Leibeigener; aber solche Schande wie jetzt habe ich, solange ich auf der Welt bin, nicht erlebt!«

Bei dem letzten Worte breitete Gawrila die Arme aus und ließ den Kopf sinken. Der Onkel verfolgte sein Verhalten mit großer Unruhe.

»Na, hör auf, hör auf, Gawrila!« rief er. »Wozu machst du so viele Worte! Hör auf!«

»Es schadet nichts, es schadet nichts!« sagte Foma, der ein wenig blaß geworden war und in gezwungener Manier lächelte. »Lassen Sie ihn reden; das sind ja nur die Früchte Ihrer Behandlung . . .«

»Nun, dann werde ich alles sagen«, fuhr Gawrila mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit fort, »und nichts verschweigen. Die Hände kann man mir binden, aber nicht die Zunge! Ich bin ja freilich dir gegenüber ein geringer Mensch, Foma Fomitsch, mit einem Wort: ein Knecht; aber auch ich habe ein Gefühl für Kränkungen! Zu Dienst und Gehorsam bin ich dir allzeit verpflichtet, weil ich als Knecht geboren bin und jede Obliegenheit in Furcht und Zittern erfüllen muß. Wenn du dich in dein Zimmer setzt, um ein Buch zu schreiben, so habe ich jeden zudringlichen Besucher abzuweisen; das ist meine wirkliche Pflicht. Und was nur immer zur Bedienung nötig ist, das tue ich gern und willig. Aber nun soll ich auf meine alten Tage wie ein Ausländer bellen und mich vor den Leuten zum Gespött machen! Ich wage jetzt kaum noch die Gesindestube zu betreten, weil sie zu mir sagen: ›Du Franzose, du Franzose!‹ Nein, gnädiger Herr Foma Fomitsch, nicht nur ich Dummkopf, sondern alle guten Leute sagen schon einstimmig, daß du jetzt ein böser Mensch geworden bist und daß unser Herr vor dir ganz wie ein kleines Kind ist und daß du, wenn du auch von Geburt ein Generalssohn bist und es vielleicht selbst beinahe bis zum General gebracht hast, doch ein böser Mensch bist, so eine richtige Furie.«

Gawrila war zu Ende. Ich war außer mir vor Entzücken. Foma Fomitsch saß inmitten der allgemeinen Bestürzung blaß vor Wut da und schien nach dem unerwarteten Angriff von seiten Gawrilas noch gar nicht recht zur Besinnung kommen zu können; es war, als ob er in diesem Augenblick überlegte, in welchem Maße er zornig werden müsse. Endlich erfolgte der Ausbruch.

»Wie! Er wagt es, mich zu beschimpfen? Mich? Das ist Rebellion!« kreischte Foma und sprang von seinem Stuhl auf.

Wie er, sprang auch die Generalin auf und schlug die Hände zusammen. Es entstand eine schreckliche Aufregung. Mein Onkel stürzte auf den das Verbrechen begangen habenden Gawrila zu, um ihn aus dem Zimmer zu schieben.

»In Fußfesseln muß er gelegt werden, in Fußfesseln!« schrie die Generalin. »Schick ihn sofort nach der Stadt, Jegor, und gib ihn zu den Soldaten! Wenn du das nicht tust, verweigere ich dir meinen Segen. Laß ihm gleich einen Klotz ans Bein binden und gib ihn zu den Soldaten!«

»Wie!« schrie Foma. »Knecht, Lump, Kanaille! Du hast es gewagt, mich zu beschimpfen? Er, er, dieser Wischlappen für meine Stiefel! Er hat es gewagt, mich eine Furie zu nennen?«

Ich trat mit mutiger Entschlossenheit vor.

»Ich muß gestehen, daß ich in diesem Fall ganz derselben Meinung bin wie Gawrila«, sagte ich und sah, zitternd vor Aufregung, Foma Fomitsch gerade ins Gesicht.

Er war von meinem energischen Auftreten so überrascht, daß er im ersten Augenblick seinen Ohren nicht zu trauen meinte.

»Was ist das nun wieder?« schrie er endlich, indem er wütend auf mich losstürzte und mich mit seinen kleinen, blutunterlaufenen Augen anstarrte. »Was bist du denn für einer?«

»Foma Fomitsch . . .«, begann mein Onkel, der alle Fassung verloren hatte, »das ist ja Sergej, mein Neffe . . .«

»Der Gelehrte!« brüllte Foma. »Also das ist er, der Gelehrte? Liberté, égalité, fraternité! Journal des débats! Nein, mein Freund, da irrst du dich! In Sachsen hat's das nicht gegeben! Hier ist nicht Petersburg; mich betrügst du nicht! Ich spucke auf deine fortschrittliche Richtung! Ein Gelehrter! Ich habe schon siebenmal so viel vergessen, wie du überhaupt weißt! So ein Gelehrter bist du!«

Wenn man ihn nicht festgehalten hätte, so würde er sich meines Erachtens mit den Fäusten auf mich gestürzt haben.

»Er ist ja betrunken«, sagte ich, mich erstaunt rings umsehend.

»Wer? Ich?« schrie Foma mit ganz fremd klingender Stimme.

»Ja, Sie.«

»Ich wäre betrunken?«

»Allerdings.«

Das war mehr, als Foma ertragen konnte. Er kreischte, als ob ihm jemand die Kehle durchschneiden wollte, und rannte aus dem Zimmer. Die Generalin schien in Ohnmacht fallen zu wollen, hielt es dann aber doch für besser, hinter Foma Fomitsch her zu laufen. Nach ihr liefen auch die andern hinaus, als letzter von allen mein Onkel. Als ich zur Besinnung kam und um mich blickte, sah ich im Zimmer nur Jeshewikin. Er lächelte und rieb sich die Hände.

»Sie wollten doch vorhin etwas von einem Jesuiten erzählen«, sagte er in schmeichelndem Ton.

»Was?« fragte ich, da ich nicht begriff, was er meinte.

»Sie versprachen vorhin, ein Geschichtchen von einem Jesuiten zu erzählen . . .«

Ich lief auf die Terrasse hinaus und von dort in den Garten. Mir war ganz schwindlig im Kopf.


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