Hans Dominik
Himmelskraft
Hans Dominik

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Fosdick und Cowper saßen im Frühstücksraum eines kleinen Hotels in Blanctown. Es war jenes Hotel, zu dem auch die Bar gehörte, in der sie gelegentlich ihre Sorgen ertränkt hatten.

Cowper war damit beschäftigt, eine Bresche in eine Platte mit Schinken und Eiern zu legen, während Fosdick gemächlich einen Teller voll Haferflockenbrei auslöffelte. Aus dem Appetit, den die beiden Ingenieure entwickelten, ließ sich der Schluß ziehen, daß die ersten vierundzwanzig Stunden Urlaub ihnen zweifellos gut bekommen waren. Fosdick goß sich frischen Tee ein. Nachdenklich rührte er in der Tasse und beobachtete, wie der Stückenzucker langsam zerging.

»Ein schöner Morgen heut; man könnte eine kleine Autofahrt machen«, warf Cowper zwischen zwei Bissen hin.

»Wollen wir auch machen, Cowper!«

»Wohin?« fragte Cowper.

»Nach der Station!«

Cowper hob abwehrend die Hände. »Haben Sie schon wieder Sehnsucht nach der alten Krachbude, Fosdick? Ich bin heilfroh, daß wir endlich mal Urlaub haben.«

»Wir sind gestern zu übereilt weggefahren, Cowper. Buchstäblich ohne Nachthemd und Zahnbürste. Das geht nicht. Wir müssen noch einmal hin, sehen, ob nicht doch etwas von unsern Sachen zu retten ist.«

Cowper nahm einen Schluck Tee und schnitt ein Gesicht, als ob er Bitterwasser getrunken hätte.

»Hemden und Zahnbürsten kann man auch in Blanctown kaufen«, versuchte er abzulenken, doch Fosdick bestand auf seinem Vorschlag.

»Dann meinetwegen, Fosdick, aber höchstens auf eine Viertelstunde. Länger halte ich's da nicht aus.«

In flotter Fahrt näherten sie sich der AE-Station. Aus der Ferne schien es, als ob sich dort nichts verändert hätte.

In Gaurisankarhöhe schwebte das Fangnetz, von seinen Ballonen getragen, im Äther. Erst als sie näherkamen, wurden die Spuren des Brandes erkennbar. Rußgeschwärzte Stellen an dem Betonbau, öde Fensterhöhlen. Das Mittelseil, das den atmosphärischen Strom dem Werk zuführte, war in seinem untersten Teil vom Feuer zerstört. Einige zwanzig Meter über dem Stationsgebäude pendelte sein freies Ende im Herbstwind hin und her.

Fosdick steuerte den Wagen von der Landstraße auf den zur Station führenden Seitenweg, als aus dem Seilende krachend ein Blitz zuckte. Cowper fuhr auf und hielt sich die Ohren zu.

»Stoppen Sie, Fosdick! Ich fahre nicht weiter! Die verfluchte Station ist trotz Feuer und Brand noch immer in Betrieb!«

»Unsinn, Cowper! Die Brennstoffleitung ist zerstört, die Strahlkollektoren brennen nicht mehr! Sie können ohne Sorge sein . . .«

»Sie haben's doch eben selber gehört!« fiel ihm Cowper ins Wort.

»Na ja, lieber Cowper. Im Laufe der Zeit sammeln sich auch schließlich in dem einfachen Netz Spannungen, und dann gibt's gelegentlich mal einen Funken.«

Fosdick kümmerte sich nicht weiter um die Einwände Cowpers, sondern fuhr bis zur Station. Die Nachsuche, die sie dort anstellten, war ergiebiger, als sie gehofft hatten. Die Garderobe der beiden Ingenieure war vom Feuer verschont geblieben. Das Auto war mit Koffern und Kleidungsstücken bis zum Rand voll beladen, als sich die beiden eine Stunde später zur Rückfahrt anschickten.

Fosdick wollte gerade auf den Starterknopf drücken, als ein Motorrad auf dem Zufahrtswege daherkam.

»Was will der hier?« fragte Cowper. Fosdick legte die Hand über die Augen, um besser zu sehen.

»Scheint ein Postmensch zu sein«, meinte er.

Der Motorradfahrer hielt neben dem Kraftwagen. »Eine Depesche an Mister Fosdick!«

»Bin ich selber.« Fosdick griff nach dem Telegramm und riß es auf. »Halt! Moment, Sir! Warten Sie mal!« rief er dem Boten zu, der schon wieder wegfahren wollte. »Sie können die Antwort gleich mitnehmen . . . Verstehen Sie das, Cowper?« wandte er sich an seinen Kollegen und reichte ihm das Telegramm hin. Der las es:

»Was ist bei Ihnen los? Ihr Fernsprecher dauernd gestört. Drahten Sie! Brooker.«

Kopfschüttelnd gab Cowper die Depesche zurück. »Hm, Fosdick. Sieht beinahe so aus, als ob Direktor Brooker noch gar nichts von der Schweinerei wüßte. Na, wir werden ihm drahten, was los ist.«

Nachdenklich drehte er die Depesche um, schrieb seine Antwort auf die Rückseite, gab sie dem Boten und drückte ihm einen Dollar in die Hand.

»Rest für Sie, Mister. Lassen Sie das Ding schleunigst abgehen!«

Der Telegrammbote knatterte los. Langsamer folgte ihm der Kraftwagen. Als ob die Station beweisen wollte, daß sie noch da sei, gab es noch einmal einen kräftigen Blitz, bevor das Auto außer Hörweite war. –

Die Verhandlungen mit den Vertretern des deutschen Konzerns gingen nicht so schnell voran, wie Brooker es gewünscht hätte. Livonius fand in Mr. Pellham einen Gegner, der die Patentansprüche der United zähe verteidigte und nur schrittweise zurückwich, wenn eine Sache gar nicht mehr zu halten war. Er wurde dabei von Headstone unterstützt, der allen Argumenten Dr. Franks einen ähnlichen Widerstand entgegensetzte und die Leistungen der United nicht unter den Scheffel stellte. Vergeblich versuchte Brooker, der das Zwecklose dieser Art von Verhandlung einsah, zu vermitteln – die beiden Streithähne Headstone und Pellham beharrten hartnäckig auf ihrem Standpunkt.

»Sie haben drei Monate zu spät angemeldet!« sagte Livonius zum zehnten Male.

»Wir beanspruchen ein Vorbenutzungsrecht. Wir haben die Stoffe ebenso früh wie Sie erstellt«, wiederholte Pellham seinen schon so oft gehörten Einwand.

»Gar nichts haben Sie erstellt!« warf Dr. Frank dazwischen.

Headstone sah ihn wütend an. »Gar nichts, sagen Sie, Herr Doktor? Wir haben eine AE-Station erbaut, die tadellos arbeitet. Ist das gar nichts?«

»Mit Halteseilen, die Sie in Deutschland gekauft haben!« bemerkte Professor Livonius.

»Mit Strahlkollektoren, die wir vor Monaten weggeworfen haben!« sekundierte ihm der Doktor.

»Wir haben unsere Kollektoren selber gebaut!« schrie Headstone dazwischen. Er legte beide Fäuste auf den Tisch. »Unsere Station arbeitet einwandfrei. Das ist ein Aktivum, mit dem Ihr Konzern rechnen muß. Ich glaube, ein sehr gewichtiges Aktivum, meine Herren.«

»Ihre Station arbeitet erst, seitdem ein vernünftiger Kondensator drinsteht«, sagte Dr. Frank und sah dabei Headstone scharf in die Augen. Der schlug den Blick nieder, sah dann aber entschlossen wieder auf.

»Ganz recht, Herr Doktor. Auf den Kondensator beanspruchen wir auch ein Vorbenutzungsrecht.«

Der Doktor stutzte. War es Verzweiflung oder maßlose Frechheit, die Headstone diese Antwort eingab? Er wußte im Moment nichts darauf zu erwidern. Im stillen machte er sich jetzt Vorwürfe über seine Handlungsweise. Wenn die United die Sache so drehte, konnte sie möglicherweise wirklich noch ein Vorbenutzungsrecht auf den Schwerstoff herausholen. Wer wollte es dem Patentamt in Washington denn beweisen, daß er, Dr. Frank, den Kondensator aus Deutschland mitgebracht und selber in der Station aufgestellt hatte? Das Zeugnis der beiden Ingenieure, die dabei waren? . . . Es würde der United ein leichtes sein, sie in einem entfernten Winkel der Staaten untertauchen zu lassen. Sein eigenes Zeugnis? Er sagte sich selbst, daß seine Geschichte ohne eine Bestätigung durch Dritte reichlich unglaubwürdig klingen mußte . . .

»He! Darauf können Sie nichts erwidern, Herr Doktor?« fragte Headstone höhnisch. »Wir wollen sehen, was das Patentamt in Washington sagt, wenn wir ihm unsern Kondensator auf den Tisch stellen.«

»Sie werden es beeiden müssen, Mister Headstone, daß es wirklich Ihr Kondensator ist.«

Headstone öffnete den Mund zu einer Entgegnung, als es klopfte.

Der Diener kam herein.

»Ein Telegramm für Mister Brooker.«

Brooker überflog es und wurde abwechselnd blaß und rot.

»Entschuldigen die Herren, für wenige Minuten!«

Er griff Headstone beim Ärmel und zog ihn in einen Nebenraum.

»Was bedeutet das, Headstone?« Er hielt ihm die Depesche hin. »Fernsprecher bei gestriger Zerstörung von AE-Station mitverbrannt. Jetzige Adresse: European-Hotel, Blanctown. Fosdick.«

James Headstone schöpfte tief Atem. »Es ist so, Brooker. Der verfluchte Schwerstoff hält die Hitze des Schweißbrenners nicht aus. Beim Versuch, einen Draht von dem Kondensator abzuschmelzen, hat es Feuer gegeben. Die Station ist ausgebrannt.«

»Reden Sie irre, Headstone?« Brooker sah seinen Partner erschrocken und zweifelnd an. »Was soll das alles heißen: Kondensator . . . Schwerstoff . . . ein Schwerstoffkondensator in unserer Station . . .?«

»Hat dagestanden, Brooker.«

»Zum Teufel, Headstone! Vom Himmel ist er nicht gefallen! Wie ist er dahingekommen?«

»Ein toller Streich dieses deutschen Doktors. In einer Bar in Blanctown hat er sich mit Fosdick und Cowper angebiedert, beim Whisky natürlich. Ich nehme an, die beiden wußten selber nicht mehr recht, was sie taten, als sie den fremden Menschen einfach mit in die Station nahmen . . .«

»Unerhört!« brauste Brooker auf. »Die Konkurrenz in unserer Station . . . baut da munter ihre Apparate ein . . . und ich höre erst jetzt davon, Headstone! Wie ist das möglich?«

»Ich habe es selber erst gestern früh erfahren, als ich in die Station kam . . . und den Zauberkasten dort stehen sah . . .«

»Und haben gleich wieder Brand und Verwüstung angerichtet! Sie sind ein Unglücksrabe, Headstone! Es ist zum Verzweifeln! . . . Da stellt Ihnen der Deutsche seinen Kasten hin. Sofort ruinieren Sie ihn und das ganze Werk dazu . . .«

Brooker schwieg. Seine Gedanken liefen den gleichen Weg wie kurz vorher diejenigen Dr. Franks. Noch war von der Zerstörung der Station in der Öffentlichkeit nichts bekannt. Für die Verhandlungen mit dem Bergmann-Konzern ließ sich der Schwerstoffkondensator als Druckmittel benutzen.

»Hören Sie zu, Headstone!« sagte er am Schluß seiner Überlegungen. »Kein Wort zu den Deutschen über diese neue Katastrophe! Wir werden jetzt zu den andern zurückgehen, als ob nichts geschehen wäre. Die Weiterführung der Verhandlungen überlassen Sie gefälligst mir. Aber ein vergnügtes Gesicht bitte ich mir von Ihnen aus! Denken Sie, Sie säßen am Pokertisch und müßten mit faulen Karten spielen.«

»Schon erledigt, Gentlemen«, sagte Brooker und nahm seinen Platz neben Pellham wieder ein, während er die Depesche lässig in seine Brusttasche steckte.

»Was Wichtiges?« flüsterte Pellham ihm zu.

»Nicht unerfreulich, Mister Pellham. Nachricht von der Station. Die ersten Versuche mit unserem Kathodenstoff sind vielversprechend«, antwortete Brooker leise, aber doch laut genug, daß Dr. Frank und Professor Livonius es hören konnten.

»Auch ein Vorbenutzungsrecht auf die kalte Kathode muß die United beanspruchen, denn wir haben –« nahm Pellham wieder die Debatte auf.

»Stop, Pellham!« fuhr ihm Brooker in seine Rede. »So kommen wir nicht weiter. – Mir schwebt ein Vertrag vor, meine Herren«, wandte er sich direkt an die beiden Deutschen, »durch den unsere beiden Konzerne alles, was sie haben, in einen Topf werfen und danach mit gemeinsamen Kräften weiterarbeiten.«

»Wir haben mehr in diesen Topf hineinzutun als die United«, warf Dr. Frank ein.

Pellham wollte etwas erwidern. Mit einer Handbewegung hieß Brooker ihn schweigen.

»Sie haben mehr, Herr Doktor Frank. Auf dieses Mehr wollen wir Lizenzen von Ihnen nehmen, wenn Ihre Bedingungen erträglich sind.«

»Endlich ein Vorschlag, mit dem man weiterkommen kann«, meinte Professor Livonius.

»Ich glaube, unsere Bedingungen sind billig«, sagte der Doktor. »Ich habe einen Vertragsentwurf vorbereitet.« Er zog ein Manuskript aus der Tasche und reichte es Brooker hin.

Der begann es zu lesen, und Befriedigung sprach aus seinen Mienen, während er von Absatz zu Absatz weiterkam. »Ihre Lizenzbedingungen sind annehmbar, Herr Doktor. Ich denke, darüber können wir einig werden.« Brooker las weiter und nickte dabei wiederholt zustimmend.

». . . laufender Austausch von Erfahrungen und Patentrechten . . . ständige Verbindung zwischen den Laboratorien der beiden Konzerne . . . als Verbindungsmann in Deutschland Mister Henry Turner . . .« Er stutzte und ließ das Schriftstück sinken. »Wie kommen Sie darauf, Herr Doktor? Henry Turner . . . Kennen Sie den Mann?«

»Turner!?«

Gegen seinen Willen war Headstone der Name entfahren. Er preßte die Lippen zusammen, als hätte er mit dem einen Wort schon zuviel gesagt.

»Ich kenne ihn«, beantwortete der Doktor Brookers Frage. »Er versteht etwas von der Technik der AE-Werke, begreift schnell, worauf es ankommt, ist wendig und rührig, auch verschwiegen, wenn es sein muß. Ich glaube, wir tun einen guten Griff, wenn wir den Mann für den Posten wählen.«

»Ist der denn überhaupt Ingenieur?« fragte Brooker.

»Meines Wissens ja«, antwortete Dr. Frank. »Ich hörte, daß er unter anderem auch in Charlottenburg studiert hat. Außerdem spricht er fließend deutsch.« Dr. Frank sah, während er weitersprach, Headstone scharf an. »Ich habe den Eindruck, als ob seine jetzige Tätigkeit Mister Turner nicht recht befriedigt. Er würde vermutlich mit beiden Händen zugreifen, wenn ihm etwas anderes geboten würde.«

»Wollen Sie ihn engagieren, Herr Doktor?« platzte Headstone heraus.

»Ich halte es für richtig, wir übernehmen ihn halbpart«, antwortete Dr. Frank. »Er soll ja zu gleichen Teilen für beide Konzerne tätig sein.«

Noch mehr als die Worte gab die Miene des andern James Headstone zu denken. Fast unheimlich wurde ihm dieser Doktor, der viel mehr zu wissen schien, als er sagte.

»Wird von uns genehmigt, Herr Doktor«, führte Brooker die Verhandlung weiter und setzte seine Lektüre fort.

»Ich glaube, es ist alles klar«, sagte er, nachdem er die letzte Seite gelesen hatte. »Wenn es Ihnen recht ist, werde ich nach Ihrem Entwurf von unserm Juristen den Vertrag fertigmachen lassen. Wir werden ihn dann zur Unterschrift nach Deutschland schicken . . .«

»Nicht nötig, Herr Direktor!« Dr. Frank brachte ein anderes Schriftstück zum Vorschein und legte es vor Brooker hin. »Hier ist meine Vollmacht. Ich bin berechtigt, für unsern Konzern zu unterzeichnen. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Juristen sich an meinen Entwurf halten, dann werde ich unterschreiben.«

*

Henry Turner saß um die Mittagszeit auf seinem Stammplatz im Heidekrug. Klas Horn, der Wirt, baute allerlei Schüsseln vor ihm auf, die recht lecker aussahen.

»Na, Herr Turner, wann soll die Reise losgehen?« fragte er seinen Gast, während er ihm ein schäumendes Glas Bier hinstellte.

Turner machte eine unbestimmte Bewegung. »Vielleicht morgen, Herr Horn, vielleicht erst in acht Tagen.«

Der Wirt kehrte hinter seine Theke zurück und schenkte sich einen Bittern ein. Den gut zahlenden Amerikaner noch acht Tage länger hierhaben . . . auf die angenehme Aussicht hin konnte er sich einen Schnaps genehmigen.

Weniger zufrieden schien Mr. Turner zu sein. Er stocherte nur in den Speisen herum und ging dabei seinen Gedanken nach. Wie würde Headstones Antwort lauten? Er hatte ihm geschrieben, daß er seinen Auftrag hier für erledigt hielte, und um neue Instruktionen gebeten.

Seit Tagen mußte James Headstone den Brief in Händen haben. Noch immer stand seine Antwort aus, und von Tag zu Tag war Turners Unruhe gestiegen. Er wußte nicht, ob dies Zögern Headstones Gutes oder Schlechtes für ihn zu bedeuten hatte.

Geräusche von außen rissen ihn aus seinem Grübeln, das Puffen von Motorrädern und Stimmen. Die Tür wurde geöffnet; zwei Männer traten ein. Erwartungsvoll sah Turner dem Telegraphenboten entgegen, mit gemischten Gefühlen betrachtete er den Landjäger, der an die Theke ging und mit Klas Horn in Heideplatt ein Gespräch begann, von dem Turner kein Wort verstand. Begierig riß er das Telegramm auf, überflog es, ließ es enttäuscht sinken.

»Dableiben! Neue Instruktionen erwarten. J. H.«

Die alte Leier – warten und immer wieder warten, obwohl ihm der Boden nachgerade unter den Füßen brannte. Mit wachsendem Unbehagen sah er, daß der Landjäger gelegentlich einen kurzen Blick zu ihm hinwarf. War's schon so weit, daß sie ihn vom Fleck weg verhaften wollten? Nur weil Headstone so unbegreiflich zögerte und seinen Agenten unnötig der Gefahr aussetzte?

Turner griff nach seinem Glas und tat einen langen Zug, wurde etwas ruhiger, als er Klas Horn und den Landjäger zusammen an der Theke lachen hörte. Offenbar hatte der Heidekrugwirt einen Witz zum besten gegeben und das Gespräch dort drehte sich nicht um ihn.

Wieder ging die Tür auf; Jochen Dannewald kam herein, sah sich um und marschierte auf Turners Tisch los.

»'nen Brief für Sie, Mister!« sagte er und legte einen Brief auf den Tisch. Turner griff danach, fragte: »Von wem?«, während er ihn öffnete.

»Von Herrn Zacharias. Soll auf Antwort warten.«

Kopfschüttelnd las der Agent das Schreiben. Eine höfliche Einladung dieses wunderlichen Alten, ihn heute nachmittag um halb vier Uhr zu einer Tasse Kaffee zu besuchen. Eine saubere, fast kalligraphische Handschrift, die ebensowenig zu einem Heideläufer wie zu einem alten Farmer passen wollte.

Wieder verfiel Turner ins Grübeln und Sinnen. War die Einladung am Ende eine Falle? – Unsinn! Wenn man ihn verhaften wollte, konnte man es hier bequemer haben.

»Wat sall ick bestellen?« fragte Jochen.

»Sagen Sie Herrn Zacharias, daß ich gern komme.«

»Got, Mister!« Jochen trollte sich. –

Um halb vier Uhr stand Turner vor der Gartentür, die er schon einmal mit einem Sperrhaken geöffnet hatte. Diesmal zog er es vor, auf den Klingelknopf zu drücken und zu warten.

Jochen Dannewald erschien, öffnete, machte einen linkischen Diener und winkte Turner, ihm zu folgen.

An den Rosenbosketten vorbei führte der Weg hinter das Haus. In der Ferne sah Turner den Bienenstand, der schmerzliche Erinnerungen in ihm erweckte. Dann stand er vor einer Laube, in der ein einladender Kaffeetisch gedeckt war. Ein jüngerer Herr saß allein darin. Der erhob sich und trat ihm entgegen.

Auf den ersten Blick erkannte Turner ihn wieder. Es war der Mann, den er damals durch das Fernrohr zusammen mit Zacharias in dem AE-Werk gesehen hatte. Ein Ingenieur also, ein Verwandter von dem Alten, der diesen damals mit in das Werk genommen hat! schoß es Turner durch den Kopf. Vielleicht konnte er die Bekanntschaft ausnutzen und mit dessen Hilfe auch einmal hineinkommen!

»Habe ich die Ehre mit Mister Turner?« fragte der Ingenieur.

»Turner ist mein Name.«

»Doktor Frank«, machte der andere sich bekannt. »Nehmen Sie bitte Platz, Mister Turner. Herr Zacharias ist in das Haus gegangen. Er muß jeden Augenblick zurückkommen. Wollen Sie sich bitte immer bedienen?«

»Wollen wir nicht warten, bis Herr Zacharias zurück ist?« wehrte Turner ab.

»Nicht nötig, Sir. Da kommt er schon.«

Turner wandte den Kopf und sah nach dem Haus. In der Tat, da kam jemand – aber war denn das der Alte? Turner wischte sich über die Augen, um besser sehen zu können. Zacharias mußte es wohl sein, der lange graue Bart sprach dafür. Aber wie anders war der heute gekleidet! Nichts mehr von dem verschlissenen graugrünen Zeug, mit dem Turner ihm so oft in der Heide begegnet war. Ein moderner Straßenanzug und ein blendend weißer Kragen, die ihn so ganz anders erscheinen ließen, als Turner ihn bisher kannte. Als er näherkam, bemerkte der Agent eine Nadel mit einer schweren Perle in dem Seidenschlips und sah auch, daß der Bart und das Haar des Alten offensichtlich in der Pflege eines geschickten Haarkünstlers gewesen sein mußten.

Sonst schien er ein Tramp zu sein – heute sieht er wie ein Generaldirektor aus! ging's Turner durch den Kopf, als Zacharias ihn begrüßte.

»Guten Tag, mein lieber Mister Turner! Sehr liebenswürdig, daß Sie meine Einladung angenommen haben! Behalten Sie bitte Platz. Herrn Doktor Frank kennen Sie schon?«

»Der Herr Doktor ist Ingenieur, nicht wahr, Herr Zacharias?«

»Ingenieur, Mister Turner«, sagte Zacharias, schenkte den Kaffee ein und bot seinen Gästen Gebäck an. Während Turner zugriff, überlegte er, wie er mit dem Ingenieur ins Gespräch kommen könnte.

Der Doktor kam ihm zuvor.

»Ich bin für das AE-Werk tätig, Mister Turner. Ich hörte, daß Sie sich ebenfalls für diese neue Technik interessieren.«

Turner nickte nur. Er wußte nicht recht, wie er die Frage beantworten sollte.

Dr. Frank sprach weiter: »Bei Ihnen drüben beschäftigt man sich auch schon damit. Ihre neue Station in Michigan hat nicht schlecht gearbeitet . . .«

Turner hatte von dem befriedigenden Funktionieren der amerikanischen Station Kenntnis. »Ich hoffe, sie wird auch weiter gute Arbeit tun, Herr Doktor«, sagte er.

»Die nächste vielleicht, Mister Turner«, meinte Johannes Zacharias. »Die Station in Michigan ist leider ein Raub der Flammen geworden.«

Turner erschrak. Davon wußte er nichts.

Wieder eine neue Katastrophe? Das erklärte vielleicht das lange Zögern Headstones, bevor er seinen Brief beantwortete.

»Ah, das ist bedauerlich! Wie ist das möglich gewesen?« Turner formte die Worte, um etwas zu sagen. Seine Gedanken waren weit weg bei James Headstone. Wie würde der den neuen Schlag aufnehmen? Würde die United weitere Mittel in das Unternehmen stecken? »Ist es vielleicht ein Sabotageakt gewesen?« fuhr er fort, um keine Gesprächspause aufkommen zu lassen.

»Man weiß es nicht«, meinte Dr. Frank.

»Ich denke, wir werden heute noch Genaueres erfahren«, sagte Zacharias. »Ich erwarte noch einen alten Bekannten aus den Staaten. Er wird uns wahrscheinlich etwas Bestimmtes über den Unfall sagen können.«

»Erst die Station in Kolorado zerstört – jetzt die zweite in Michigan vernichtet! Wie wird sich die United dazu stellen?« Turner sagte es mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Zacharias griff die Frage des Agenten auf: »Die United wird eine dritte Station bauen, und beim drittenmal wird sie Erfolg haben.«

Turner vermochte die Zuversicht des Alten nicht zu teilen. »Ich glaube es erst, wenn ich's sehe«, sprach er weiter. »Warum geht bei Ihnen alles glatt? Warum müssen wir in den Staaten soviel Lehrgeld zahlen?«

»Headstone hätte es sparen können!« warf Dr. Frank dazwischen. »Sein Dickschädel ist daran schuld!«

Turner wollte etwas erwidern, als Jochen Dannewald auftauchte und Zacharias etwas zuflüsterte.

»Entschuldigen Sie mich!« sagte der Alte, stand auf und folgte seinem Faktotum ins Haus.

»Ich hätte Herrn Zacharias heute kaum wiedererkannt«, wandte sich Turner an den Doktor. »Er sieht heute ganz anders aus. Seine Kleidung – der Bart –«

Dr. Frank lachte. »Er hat sich für den Besuch aus Amerika fein gemacht. Für uns hätte er's nicht getan – da wäre die alte grüne Joppe längst gut genug.«

Das Gespräch drohte zu stocken, als Turner zu etwas anderem überging.

»Sie kennen das deutsche AE-Werk genau, Herr Doktor?«

Der Doktor nickte. »Selbstverständlich, ich habe es ja mit gebaut.«

»Schade, daß man nicht hineinkommen kann!« seufzte Turner und warf dabei einen verstohlenen Blick zu dem Doktor hin, um zu sehen, wie der darauf reagiere. Würde er sofort schroff ablehnen? Würde es am Ende doch gelingen, ihn herumzubekommen?

»Wenn Ihnen so viel daran liegt, könnten Sie uns vielleicht begleiten«, sagte Dr. Frank. »Ich vermute, daß unser Freund aus den Staaten das Werk auch zu sehen wünscht. Ich denke, wir werden später noch hinfahren.«

Turner öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Wild wirbelten die Gedanken in seinem Hirn durcheinander. Dieser Ingenieur, dieser Doktor erfüllte seine Bitte, er würde ihn in das Werk mitnehmen. Großartig! Er würde einen Bericht darüber schreiben. Wie würde Headstone den aufnehmen? Wie würde er bei Headstone dastehen, nachdem er das so lange Unmögliche möglich gemacht hatte? . . .

Aber auch einem anderen noch, einem Freund aus den Staaten, würde der Doktor das Werk zeigen . . . Wie reimte sich das mit dem früheren Verhalten der Deutschen zusammen? Hatte der alte Zacharias nicht einmal zu ihm gesagt – das Gespräch auf der Fahrt nach Neustadt kam ihm in die Erinnerung –, hatte der nicht gesagt, nur einem Amerikaner, Mr. James Headstone, würden sie das Werk zeigen? Wie stimmte das mit dem zusammen, was sie heute vorhatten? Viele Fragen, auf die Henry Turner keine Antwort fand. –

»Tag, mein lieber Johannes!« sagte Geheimrat Bergmann, als Zacharias in die Diele kam, und schüttelte ihm die Hand. »Hier Mister Headstone! Ich glaube, du kennst ihn schon?«

»Natürlich, Franz!« Zacharias trat auf Headstone zu und bot ihm die Rechte. »Willkommen in Deutschland, Mister Headstone! Aufrichtig erfreut, Sie nach langer Zeit wiederzusehen!«

Headstone machte ein verdutztes Gesicht, während er den Händedruck erwiderte. Irgendwie kam ihm der Alte bekannt vor, aber er wußte nicht, wo er ihn unterbringen sollte. Zu viele der Gestalten und Gesichter hatte Headstone in seinem Leben gesehen, um jedes einzelne im Gedächtnis zu behalten.

Zacharias merkte es und kam ihm zu Hilfe. »Denken Sie dreißig Jahre zurück, Mister Headstone! Erinnern Sie sich an Barkley Brothers in Detroit? Da war einmal ein Ingenieur – Joe Zack nannten ihn die Leute im Werk –, dem brachte Mister Miller, der Präsident des Konzerns, eines Tages seinen Neffen – fast noch ein Knabe war es –, Joe Zack sollte ihn anlernen . . .«

Erinnerungsbilder wurden in Headstone lebendig, während der Alte von längst vergangenen Zeiten sprach. Wie Schuppen fiel es jetzt von seinen Augen.

»Joe! . . . Joe Zack . . . Sie sind es, mein alter Lehrmeister von Detroit? Vor dreißig Jahren . . . Ihr Bart war blond . . . Sie sahen anders aus!«

»Sie auch!« lachte der Alte. »Vor einem Menschenalter ein junges Milchgesicht, heute ein mächtiger Mann bei der United. Wir sind beide unseren Weg gegangen, Mister Headstone, der eine so, der andere so.«

Mehr und immer mehr wollte James Headstone von den weiteren Schicksalen des Alten wissen, der ihn vor drei Jahrzehnten in die Anfangsgründe der Technik eingeweiht hatte. Seine Angestellten in der United hätten in dem Mann, der sich hier so offen gab und fröhlich plauderte, ihren gestrengen und allezeit zum Tadeln bereiten Chef nicht wiedererkannt.

Geheimrat Bergmann saß schweigend dabei. Lange ließ er die beiden ungestört reden und alte Erinnerungen austauschen.

»So bin ich denn Direktor bei der United geworden«, hatte Headstone eben gesagt.

»Old Zack wurde fünfzehn Jahre früher Generaldirektor des Bergmann-Konzerns.« Der Geheimrat hatte es nur leise vor sich hingesagt.

Headstone hatte es gehört. »Ich denke, das sind Sie?« fragte er.

»Sein Nachfolger, Mister Headstone! Vor mir ist er's gewesen.«

»Warum sind Sie's nicht mehr?« wollte Headstone wissen.

»Weil ich genug gearbeitet und genug verdient habe, Mister Headstone. Aber das versteht ihr Amerikaner natürlich nicht«, sagte Zacharias, und der Blick Headstones bestätigte ihm, daß er es wirklich nicht verstand. –

Jochen kam in die Laube und begann das Geschirr abzuräumen.

»Ich denke, Sie erwarten noch Gäste?« fragte Turner.

»Die Kaffeezeit ist vorbei«, erwiderte Dr. Frank mit einem Blick auf die Uhr. »Wer zu spät kommt, muß mit etwas anderem vorliebnehmen. Wovon sprachen wir vorhin? Ach ja, ich sagte Ihnen, daß das AE-Werk eine Schöpfung des Friedens ist. Das erscheint mir wesentlich, Mister Turner. Es ist wohl das erstemal in der so viele tausend Jahre alten Geschichte der Technik, daß wir es mit einer Erfindung zu tun haben, die für Kriegszwecke einfach unbrauchbar ist. Unserer Energiewirtschaft, dem Wohlstand der Völker, dem allgemeinen Besten werden die neuen Werke dienen. Ich sehe Gott sei Dank keine Möglichkeit, sie zu anderen Zwecken zu mißbrauchen, wie es bisher noch mit jeder Erfindung geschehen ist. Denken Sie an den alten Sehnsuchtstraum der Menschen, sich frei wie die Vögel durch den Äther zu schwingen! Kaum war er erfüllt, als die Flugzeuge schon zu fürchterlichen Kriegsmaschinen wurden. Mit den Werken ist es anders. Mit ihnen kann man weder schießen noch sprengen, mit ihnen kann man weder –«

Dr. Frank brach ab, weil Jochen wiederkam. Er stellte Gläser auf den Tisch und setzte eine eisgekühlte Bowle dazwischen.

»Kommen die anderen Herrschaften bald?« fragte der Doktor.

»Ja, sie sind schon unterwegs«, sagte Jochen und zog wieder ab.

Henry Turner schaute ihm nach, sah ihn um das Haus verschwinden, sah drei andere Gestalten herankommen. Seine Blicke wurden starr.

»Was – was ist das, Herr Doktor? Wer kommt da?«

»Herr Geheimrat Bergmann, der Generaldirektor des Bergmann-Konzerns . . .«

»Nein, Herr Doktor! Der andere . . . der da in der Mitte geht, das ist doch –«

»James Headstone, Mister Turner! Headstone von der United.«

»Headstone von der United?! Wie kommt er nach Deutschland? Was will er hier?«

»Er will unser AE-Werk sehen, und wir wollen es ihm zeigen.«

»Ihr Werk der Konkurrenz zeigen . . .?«

»Es wurde ein Frieden geschlossen zwischen der United und uns«, konnte Dr. Frank eben noch sagen; dann stand Headstone vorm Tisch.

»Guten Tag, Herr Doktor!« begrüßte er Dr. Frank, blickte dann fragend auf Turner, als ob er ihn noch niemals in seinem Leben gesehen hätte.

»Darf ich bekannt machen?« übernahm Zacharias die Vorstellung. »Mister Turner – Mister Headstone. Die Herren sind Landsleute.«

»Ah, der Herr, den Sie uns empfohlen haben, Herr Doktor, als – sozusagen als Verbindungsoffizier zwischen unseren Konzernen?«

»Ganz recht, Mister Headstone!« bestätigte Geheimrat Bergmann die Frage Headstones. »Nach dem, was Herr Doktor Frank mir sagte, ist Mister Turner für eine derartige Stellung hervorragend geeignet. Es fragt sich nur, ob er gewillt ist, sie anzunehmen. Wir haben noch nicht Gelegenheit gehabt, mit Mister Turner darüber zu sprechen.«

Dr. Frank griff nach dem gläsernen Schöpflöffel und schenkte die Gläser voll. »Wir können es ja jetzt tun«, meinte er, »bei einem Glas Bowle werden wir das wohl schnell klarbekommen. Auf Ihr Wohl, Mister Turner!«

Henry Turner hob sein Glas, um dem Doktor Bescheid zu tun, blickte dabei auf die anderen und wußte nicht, wie ihm der Kopf stand.

»Your health, old Zack!« sagte Headstone zu dem Alten.

»Your health, James!« erwiderte der.

»Einen Schluck auf Barkley Brothers in Detroit!« sagte Headstone.

»Den Rest auf Barkley Brothers!« tat ihm der Alte Bescheid und trank sein Glas mit einem Zuge leer.

Turner überkam das Gefühl, als ob er in einem verzauberten Kreise säße: Der alte Heideläufer . . . elegant . . . verjüngt . . . Headstone, sein ewig mürrischer Chef . . . heiter, fast ausgelassen . . . wurde von dem Alten beim Vornamen genannt, nannte ihn wieder mit einem amerikanischen Spitznamen – immer rätselhafter wurde ihm Zacharias. Alte Beziehungen, von denen er bisher keine Ahnung hatte, mußten zwischen dem und Headstone bestehen . . .

Er griff nach seinem Glase, das ihm Dr. Frank frisch gefüllt hatte. »Ihr Wohl, Sir!« sagte er und trank Headstone zu. Bin neugierig, wie er's aufnimmt! dachte er bei sich.

»Ihr Wohl, Sir!« sagte Headstone und tat ihm Bescheid. »Die Bergmann-Gruppe legt Wert darauf, Sie für unsere beiden Konzerne zu gewinnen«, fuhr er fort. »Die United ist mit dem Vorschlag einverstanden. Sie würden in dieser Stellung der Vertrauensmann beider Gruppen sein. Wie denken Sie darüber?«

Nur Dr. Frank sah den Blick, den Headstone dabei Turner zuwarf, und verstand ihn zu deuten. Der kalte, zwingende Blick war es, mit dem Headstone unbedingten Gehorsam für seine Anordnungen zu fordern pflegte. Wie ein hypnotischer Befehl wirkte er auf Turner.

»Ich bin bereit, die Stellung anzunehmen, Mister Headstone!«

Geheimrat Bergmann hob sein Glas und trank Turner zu. »Auf eine glückliche Arbeit in Ihrem neuen Wirkungskreis, Mister Turner! Sie werden der United alles zu berichten haben, was wir Ihnen hier zeigen . . . und unserm Konzern alles, was Sie bei Ihren Besuchen in den Staaten erfahren. Wir versprechen uns sehr viel von Ihrer Tätigkeit, Mister Turner!«

Dr. Frank sah nachdenklich in sein Glas, und hätte Turner seine Gedanken gekannt, wäre er vielleicht auch nachdenklich geworden.

Der Mann ist im Grunde ein anständiger Kerl, dachte Dr. Frank bei sich. Aber er steht noch zu sehr unter dem Einfluß Headstones. Wir werden ihn hier in Deutschland erst einmal richtig in die Mache nehmen müssen, dann wird er wohl werden, was er uns sein soll. –

Die Abenddämmerung brach herein. Dr. Frank wollte nach dem Lichtschalter greifen.

»Lassen Sie es, Doktor«, wehrte ihm Zacharias. »Wir brechen doch gleich auf. Nicht wahr, Franz?«

Der Geheimrat nickte.

»Gewiß, Johannes! Mister Headstone soll ja noch unser Werk sehen.«

Bisher war die Unterhaltung mit Rücksicht auf Headstone in englischer Sprache geführt worden. Diese legten Sätze zwischen Zacharias und Bergmann waren auf deutsch gewechselt worden.

Was ist das nun wieder? fragte sich Turner. Der Alte und der Generaldirektor duzen sich? Eine wunderliche Welt! Er richtete deswegen eine Frage an Dr. Frank und bekam eine Antwort, die ihn in neues Staunen stürmte. Der Alte vor dem Geheimrat lange Jahre Generaldirektor des deutschen Konzerns? . . . Der alte, in zerschlissenem Rock durch das Dorf gehende Mann, den er früher einmal für einen Schäfer gehalten hatte . . . Henry Turner war nahe daran, irre an der Welt zu werden.

»Wollen wir aufbrechen, meine Herren?« fragte Geheimrat Bergmann.

»Die Bowle ist leer«, sagte Dr. Frank lakonisch.

»Also gehen wir!« entschied Zacharias. –

Der große Sechssitzer, in dem Bergmann und Headstone angekommen waren, rollte durch die Dorfstraße und bog in die Chaussee ein.

Das letzte Abendrot begann zu verblassen. Nur noch undeutlich hoben sich die Umrisse vereinzelter Kiefern und Birken gegen den Horizont ab, während hier und dort bereits ein Stern am Firmament sichtbar wurde.

Dann waren plötzlich viele Sterne da. In rotem Licht schimmerten sie. In langen, geraden Linien, die ein Sechseck bildeten, standen sie am Himmel, als wären sie auf Schnüren aufgereiht; nicht gleichmäßig leuchtete ihr Licht wie das der andern Sterne, sondern in wechselndem Rhythmus flammte es auf, erlosch und erstrahlte von neuem. Ein des Morsealphabets Kundiger hätte Buchstaben und Sätze aus diesen Lichtsignalen herauslesen können.

»Dort liegt unser Werk, Mister Headstone«, sagte Geheimrat Bergmann, während er mit der Hand in die Richtung der roten Sterne wies.

»Ah, schon das Werk, Herr Geheimrat?«

»Es sind noch fünfzehn Kilometer bis dahin, Mister Headstone. Man sieht unsere Neonlichte viele Meilen weit. Es ist wegen der Flieger, damit sie unserem Netz aus dem Wege gehen.«

In scharfem Tempo jagte der schwere Wagen auf der Landstraße dahin.

Immer höher stieg die Kette der roten Gestirne. Beinahe senkrecht stand sie jetzt über dem Wagen. Das Gefährt bog von der Landstraße in einen Seitenweg ab und rollte auf ein größeres Gebäude zu. Ein kurzes Knirschen der Bremsen – es hielt vor einem Portal.

Headstone und Geheimrat Bergmann stiegen zuerst aus; während die anderen folgten, blickte der Geheimrat prüfend nach Nordwesten, wo ein schweres Wetterleuchten am Horizont aufzuckte.

»Gewitter in der Nähe, Mister Headstone. Vielleicht haben Sie heute noch Gelegenheit, zu sehen, wie unsere Blitzfallen arbeiten.«

»Sie meinen die Mausefallen?« versuchte Headstone zu scherzen, obwohl ihm nicht recht zum Scherzen zumute war. Unwillkürlich nahm er den Hut ab, als sie in den großen Maschinensaal traten.

Schweigend stand er vor dem Riesentransformator, während seine Kiefer sich nervös bewegten, seine Lippen sich zusammenpreßten.

Erst nach Minuten fand er die Sprache wieder: »Zweihunderttausend Kilowatt?! . . . Eine Viertelmillion Pferdestärken! Ist es wirklich so, Herr Geheimrat?«

Geheimrat Bergmann schob seinen Arm unter den Headstones und führte ihn zu einer anderen Wand, an der Meßinstrumente hingen. Während er auf eine Skalenscheibe deutete, sprach er weiter:

»Hier können Sie die Leistung des Werkes ablesen. Im Augenblick gibt es hundertachtundneunzigtausend Kilowatt in die Überlandleitungen ab.«

Headstones Blicke wanderten durch den Raum: zu einem Spannungsmesser, der auf zwei Millionen Volt stand, zu einem Strommesser, dessen Zeiger um die Zahl Hundert herumpendelte. Sie blieben schließlich an einer Reihe dunkelmetallischer Kästen hängen. Die Erinnerung an eine andere Station kam ihm, die in Brand und Flammen aufgegangen war.

»Wir werden das auch haben, Herr Geheimrat?« fragte er und deutete auf die Schutzkondensatoren Dr. Franks.

»Sie werden alles haben, was wir haben, Mister Headstone«, sagte Bergmann. »Nachdem unser Vertrag geschlossen wurde, gibt es keine Geheimnisse mehr zwischen der United und uns. Sie werden jetzt in Ihrem Lande Stationen bauen . . .«

»Für zweihunderttausend Kilowatt, Herr Geheimrat?«

»Für Millionen Kilowatt!« klang die Stimme des alten Zacharias dazwischen.

»Millionen Kilowatt, old Zack?« Headstone wandte sich nach dem Alten um.

»Viele Millionen Kilowatt, James – vielleicht auch Milliarden. Die Staaten sind ein großes Land . . .«

»Sie können viel Kraft gebrauchen«, fiel Bergmann dazwischen.

»Und werden sie in Zukunft aus dem Himmel holen!« sagte Dr. Frank.

 

* * *

 


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