Hans Dominik
Himmelskraft
Hans Dominik

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Mr. Turner spürte ein wachsendes Unbehagen. Seit Tagen war er ohne Nachricht von Headstone und begann die gewohnten Briefe und Kabelgramme seines Brotgebers beinahe zu vermissen, obwohl sie selten etwas Angenehmes für ihn enthielten. Von den neuen Aufgaben, die Headstone zur Zeit so ganz in Anspruch nahmen, wußte er ja nichts. Um so mehr bewegte ihn die Frage, wie er die Verbindung mit ihm wiederherstellen könne, und bald fand er den einzig möglichen Weg dafür. Er selbst mußte wieder einen Bericht loslassen. Die zweite Frage blieb offen: wo er den Stoff dafür hernehmen sollte.

Die Nachrichtenquelle, die während der letzten Wochen so reichlich floß, war inzwischen versiegt, denn die neuen Maschinen im AE-Werk standen betriebsfertig da, und das Gros der fremden Monteure hatte das Dorf verlassen. So mußten zur Abwechslung wieder einmal die Augen an die Stelle der Ohren treten. Er selbst mußte etwas Neues erspähen. Tagelang trieb er sich mit seinem Wagen in der Heide herum und sondierte das Terrain darauf hin, wie er sich ungesehen und ungefährdet dem deutschen AE-Werk nähern könnte.

Damit hatte es freilich seine Schwierigkeiten, denn ein hoher Stacheldrahtzaun umschloß das Gelände der Station, und es schien Turner nicht geraten, dieses Hindernis zu durchbrechen. Aber ein hübsches lauschiges Plätzchen entdeckte er auf seinen Fahrten, nur etwa hundert Meter von diesem unangenehmen Drahtzaun entfernt, von wo er durch Baumlücken hindurch einen freien Überblick über einen großen Teil des eingezäunten Werkgeländes hatte und sogar das Stationshaus sehen konnte. Der Ort war wie geschaffen für seine Zwecke.

Schon am nächsten Tage, nachdem Turner ihn entdeckt hatte, suchte er ihn wieder auf. Mit dem Auto war es nur eine kurze Fahrt von einer halben Stunde. Ein dichtes Gebüsch bot Gelegenheit, den Wagen zu verstecken. Wenn ihm nicht etwa beerensammelnde Frauen und Kinder über den Weg liefen, war Mr. Turner hier vor einer Entdeckung sicher. Auf einer kleinen Erderhöhung neben einer alten Kiefer ließ er sich nieder, baute vor sich ein Stativ auf und schraubte ein Scherenfernrohr daran fest.

So! Das war doch etwas anderes als die Beobachtung mit unbewaffneten Augen. Das Stationshaus, das von der Beobachtungsstelle des Agenten etwa neunhundert Meter entfernt war, wurde von dem starken Glas auf dreißig Meter herangebracht. Mr. Turner drehte sein Fernrohr nach allen Seiten, sah und staunte. Die Tragballone standen dicht über dem Boden. Wohl ein Dutzend Werkleute liefen auf dem Netz umher und – Turner glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen – waren eifrig an der Arbeit, die Strahlkollektoren abzuschrauben und fortzubringen. Also doch wieder etwas Neues. Die Deutschen haben schon wieder bessere Kollektoren, ging es ihm bei dem Anblick durch den Kopf. Er überlegte noch, wie er es fertigbringen könnte, sich auch davon ein Muster zu verschaffen, als etwas anderes seine Verwunderung erregte. So scharf er sein Glas auch einstellte, so angestrengt er hindurchschaute, ein Zweifel blieb nicht mehr möglich: Die Werkleute da drüben waren mit scharfen Zangen dabei, die feinen Brennstoffzuleitungen für die Strahlkollektoren von dem Netz zu entfernen. Er konnte es deutlich verfolgen, wie sie die abgelösten Röhrchen zusammenwickelten und achtlos beiseite warfen.

Die Stunden verflossen darüber. Längst wäre es Zeit gewesen, zum Heidekrug zurückzufahren und sich an den Mittagstisch zu setzen, aber Turner dachte nicht daran. Unentwegt verfolgte er die Arbeiten innerhalb der Umzäunung, und jede neue Beobachtung gab ihm neue Rätsel auf. Kleine dunkle Kugeln brachten die Arbeiter angeschleppt und begannen sie an dem Netz zu befestigen. Hatten sie bisher nach den Anordnungen eines einfachen Vorarbeiters geschafft, so erhielten sie ihre Anweisungen jetzt von einem jüngeren Mann in Zivilkleidung, der wohl ein Ingenieur oder Oberingenieur sein mußte. Mit einem Plan und einem Zollstock in der Hand ging er kreuz und quer über das Netz und zeigte den Leuten die Stellen, an denen die geheimnisvollen Kugeln zu befestigen waren.

Die Sonne war bereits merklich nach Westen gerückt. Turner fühlte, daß der Magen knurrte, und biß gierig in ein trockenes Brötchen, während er unablässig durch das Glas starrte – und dann fuhr er jäh vom Okular zurück. Ein anderer Mann war aus dem Stationsgebäude gekommen und neben den Ingenieur getreten. Ein alter Mann mit einem Rübezahlbart. Ein Zweifel war ausgeschlossen: Es war der alte Heideläufer, der dort auf dem gegen jeden Fremden so sorgfältig abgeschlossenen Werkgelände stand und mit dem Ingenieur ein Gespräch begann.

Der Agent griff sich an den Kopf. Während seine Gedanken sich in wilder Jagd überschlugen, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Lug und Trug war alles, was der Alte ihm erzählt hatte; von jenem ersten Zusammentreffen, wo er Turners Wagen aus dem Graben holte, bis zu jener letzten Zusammenkunft im Heidekrug, wo er ihm, ohne eigentlich dazu gedrängt zu werden, seinen Lebenslauf als Farmer in den Staaten zum besten gab. Falsch war natürlich auch der Bericht, den er, Turner, daraufhin an Headstone gekabelt hatte. Ein Geheimnis umwitterte die Gestalt des Alten, das der Agent ergründen mußte, wenn er sich seine Stellung bei Headstone und der United erhalten wollte.

Während sein Hirn Gedanken und Pläne formte, ging er zu seinem Wagen, holte einen kleinen Photoapparat von besonderer Art und schraubte ihn an das eine Okularglas des Scherenfernrohrs. Mit nur einem Auge verfolgte er durch das andere Glas die Vorgänge auf dem Werkgelände. Von Zeit zu Zeit drückte er mit der Rechten auf einen Knopf der Photokamera, und jedesmal kam dabei eine scharfe Fernaufnahme zustande. Der Alte und der »Ingenieur«, der niemand anders als Dr. Frank war, wurden mehrfach auf den Film gebannt. Bald darauf auch noch ein Dritter, der inzwischen aus dem Stationsgebäude dazugekommen war.

Turner konnte durch das Fernrohr beobachten, daß der Ingenieur ihn beinahe wie einen Vorgesetzten behandelte, während der Alte freundschaftlich und wie ein Gleichgestellter mit ihm sprach. Dann stellte der Agent das Rohr auf die Werkleute ein und hielt das Bild fest, wie sie dunkle Kugeln an dem Netz befestigten. Noch einmal wollte er auf den Knopf drücken, doch der war blockiert – der Film war zu Ende. Er bedauerte es nicht, denn auch das Tageslicht war zusehends schwächer geworden, die Sonne berührte bereits den Horizont. Turner stand auf, schraubte seine Apparate auseinander und brachte sie zum Wagen zurück.

Wohin jetzt? Sein Magen verlangte nach den Fleischtöpfen des Heidekrugs, aber der Agent widerstand der Forderung. Während er mit einer Zigarette das quälende Hungergefühl zu betäuben versuchte, jagte er auf der Landstraße nach Westen hin der nächsten Stadt entgegen, die an das Luftverkehrsnetz angeschlossen war. Erst als er dort ein an James Headstone adressiertes Päckchen aufgegeben hatte, hielt er sein Tagewerk für beendet und gönnte dem Magen sein Recht.

*

Hätten Geheimrat Bergmann und Johannes Zacharias einen Blick in die große Versuchshalle der United in Detroit tun können, so wären sie doch vielleicht in ihrem Urteil über Headstone schwankend geworden. An das Wunderbare grenzte es, was hier in wenigen Wochen entstanden war. Natürlich hatte die kurze Zeit nicht hingereicht, um etwas vollkommen Neues zu planen und zu bauen. Man hatte behelfsmäßig vorgehen müssen und war den Anweisungen Headstones folgend nach dem Grundsatz verfahren, daß zehn mal drei schließlich auch dreißig ergeben.

Zehn der in hinreichender Menge im Hochspannungswerk vorhandenen Transformatoren für je drei Millionen Volt waren in der mächtigen Halle aufgebaut. Man hatte dabei die besten Isolierstoffe in einer geradezu verschwenderischen Menge verwandt, um die Aggregate gegeneinander und gegen die Erde zu isolieren. Eine Blitzröhre erhob sich in der Mitte der Halle; sie stand in ihren Ausmaßen jener anderen nicht nach, an der Dr. Frank seine Erfindungen gemacht hatte.

Ein neuer Tag brach nach einer arbeitsreichen Nacht an, als die Ingenieure die letzten Verbindungen zwischen der Blitzröhre und den Transformatoren fertigmachten. Kabel wurden dazu benutzt, die von meterstarken Isolierhüllen umgeben waren. So hoffte man die ungeheure Spannung zwingen zu können, auf dem vorgeschriebenen Wege zu bleiben. Und wenn man sich auf die Rechnung und die in Versuchen gesammelten Erfahrungen verlassen durfte, mußte es auf diese Weise wohl gelingen.

Die Werkuhren verkündeten die sechste Morgenstunde, als James Headstone im Werk erschien: übernächtig, einen fieberigen Glanz in den Augen, erregt und gleichzeitig ermattet von der zermürbenden Arbeit der vergangenen Wochen.

»Anlage betriebsfertig!« meldete Oberingenieur Highfield ihm in der Halle. Durch eine kurze Geste bedeutete ihm Headstone, noch ein wenig zu warten, und trat dicht an die gewaltige Blitzröhre heran. Er mußte den Kopf zurückbeugen, um das obere Ende des schimmernden Kristallgebildes zu erschauen, das in einer gigantischen Isolierhaube verschwand. Langsam ließ er den Blick dann nach unten wandern, den langen Weg entlang, den die Elektronen in der Röhre nehmen würden, von der Riesenspannung immer mehr beschleunigt, bis sie fast die Lichtgeschwindigkeit annahmen.

Würde es gelingen, mit diesen so unendlich schnellen Elektrizitätsatomen dasselbe zu bewirken, was ein Mann auf der anderen Seite des Atlantiks bereits erreicht hatte? Würde es glücken, bekannte Legierungen dadurch so umzuwandeln, daß neue Stoffe mit ganz neuen Eigenschaften daraus entstünden? James Headstone erhoffte es aus ganzer Seele. Verkrampft schlossen sich seine Hände zusammen. Wie er nun so dastand, Kopf und Blick nach unten geneigt, die Hände gefaltet, sah es fast so aus, als flehe er eine höhere Macht an, seinen Wünschen gnädig zu sein. Sein Gesicht war blaß, als er nach Minuten von der Blitzröhre zurücktrat. Seine Stimme war klanglos, als er den Befehl gab, einzuschalten.

Hände regten sich, Hebel wurden bewegt, Räder gedreht, die Fernschaltung kam in Bewegung, ein dumpfes Brummen und Brausen der unter voller Spannung stehenden Transformatoren erfüllte die Halle, wurde stark und immer stärker, und dann begann es in der Blitzröhre zu zucken und zu leuchten, flammte erst vereinzelt, dann in stetem bläulich fahlem Licht auf. So stark wurde das Brausen der gebändigten Energie, daß Ingenieur Highfield seine Worte Headstone ins Ohr schreien mußte, wenn er ihn verstehen sollte.

Der Ingenieur deutete auf den Spannungszeiger, der auf die dreißig Millionen wies. Er deutete auf den großen Steinsalzblock, der unter der Röhre lag und, von der rasenden Elektronen getroffen, in magischem Licht aufglänzte. Mit einem Kopfnicken bestätigte Headstone, daß er alles sah und hörte, doch seine Gedanken waren nicht bei dem, was der Ingenieur ihm sagte. Nur um den einen Punkt wirbelten sie herum: Ist es erreicht? Haben wir die Deutschen eingeholt?

Sprungweis glitt sein Blick durch die Halle. Bald zu den Transformatoren im Hintergrund, bald wieder zu der leuchtenden, zuckenden Blitzröhre. Zuletzt dann zurück zu einer Schmalwand. Dort lagen schon die Legierungen, die er in diesen kampf- und arbeitsreichen Wochen ebenfalls vorbereitet hatte, Legierungen, die unter dem Elektronenhagel die große Umwandlung erfahren sollten – die neue Stoffe werden sollten, Wunderseile, kalte Kathoden und vielleicht . . . vielleicht noch ganz etwas anderes . . . etwas, was die Deutschen noch nicht besaßen . . .

James Headstones Gedanken begannen zu wandern. Er sah seine Umgebung kaum noch. Von einem kommenden technischen Zeitalter begann er zu träumen mit neuen Werkstoffen von unbekannter, unerhörter Eigenschaft . . . von neuen großen Leistungen. Während seine Lider geschlossen waren, rollten vor seinem geistigen Auge kommende Jahre und Jahrzehnte wie in einem Film ab.

Ein fremder Ton riß ihn aus seinen Gedanken heraus. Wie ein kurzes Zischen und Krachen klang es, das ihn zwang, die Augen zu öffnen. Matter erschien ihm das Licht der Blitzröhre geworden zu sein, schwächer das funkelnde Glühen des Salzblocks. Anders klang jetzt auch das Summen der Transformatoren, mächtiger, als ob sie unter Überlast liefen, und hier und da zuckte aus den Bergen von Isolierstoffen, die sie umgaben, ein kurzer Blitz auf.

Wie zu einer Bildsäule versteint stand Headstone und starrte auf das veränderte Schauspiel. Immer stärker wurden die Blitze, welche die Isolation durchbrachen. Schon erfüllte ein schwefliger Geruch die Luft.

»Ausschalten!« brüllte Highfield seinen Leuten zu, während er den reglosen Headstone mit Gewalt zurück zur andern Hallenwand riß. Ein Monteur stürzte zu einem Hebel – kam zu spät. Bevor er ihn erreichen konnte, brach die Isolation unter der Riesenspannung nieder. Mit unendlichem Getöse schlug ein einziger mächtiger Blitzstrahl durch die Länge der Halle von einem Ende der Anlage bis zum anderen. Mit unendlicher Gewalt brach die so lange gefesselte Energie sich freie Bahn. In ein einziges Meer wabernder Lohe schien die ganze Halle verwandelt zu sein, als Headstone, von Highfield halb geschleppt, halb gezogen, die Ausgangstür erreichte. Wie eine Stichflamme schoß es hinter ihnen her, packte sie, hob sie empor, trug sie meterweit durch die Luft und schleuderte sie zu Boden.

Halb betäubt lagen sie auf dem Rasen, als neues endloses Krachen sie aufzuhorchen und aufzublicken zwang. Wie ein Kartenhaus stürzte die ganze große Halle in sich zusammen. Rettungslos begraben mußte alles Lebendige sein, was sich noch in ihr befand. – –

Nach langer Benommenheit schlug James Headstone die Augen auf, tastete um sich, versuchte zu erkennen, wo er war. Er lag auf einem bequemen Ruhebett; das Zimmer war halb verdunkelt. Soweit er die Umgebung zu unterscheiden vermochte, befand er sich in einem Kasinoraum des Werkes.

Er versuchte seine Gedanken zu sammeln. Dunkel und verworren kam ihm die Erinnerung, daß vor langer, langer Zeit etwas Entsetzliches geschehen war . . . Brand . . . Feuer . . . Einsturz. Er machte eine Anstrengung, sich aufzurichten, als ein Mann, den er bisher nicht bemerkt hatte, an sein Lager trat . . . weißer Kittel . . . rotes . . . Kreuz . . . Sanitätspersonal des Werkes! ging es Headstone traumhaft durch den Sinn, während der Mann ihn stützte und ein Glas an seine Lippen brachte. Einen eisgekühlten erfrischenden Trank fühlte Headstone in seinem Munde; er spürte einen aromatischen bitterlichen Geschmack . . . hatte den Gedanken, daß es wohl eine Arznei sein mochte, die man ihm darreichte.

Noch einmal ließ er sich zurücksinken, streckte sich wohlig und fühlte neue Kraft in seinen Adern rinnen. Wieder vergingen Minuten, ohne daß er sie zählte. Dann plötzlich eine Frage von seinen Lippen: »Wie spät ist es?«

»Gleich sechs Uhr, Mister Headstone!« kam die Antwort seines Pflegers. Mit einem Ruck richtete James Headstone sich auf. Sechs Uhr abends . . . Vor zwölf Stunden war er ins Werk gekommen . . . Stunden – kostbare, unersetzliche Stunden hatte er ohnmächtig gelegen! Klarer kam ihm jetzt die Erinnerung an alles Geschehene.

»Ziehen Sie die Vorhänge auf!« rief er dem Pfleger zu. Der tat es; helles Licht flutete herein. Headstone erhob sich, ging etwas schwankend zuerst noch, dann schon sicherer durch den Raum, ließ sich auf einen Sessel nieder. Stück um Stück fiel die Schwäche von ihm ab, sein Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an einem Telephon haften.

»Lassen Sie Fernsprechverbindung mit Direktor Brooker, New York, herstellen!« Kurz und knapp kamen die Worte von seinen Lippen. Es war wieder der alte Headstone, der energische Industrieführer, der diesen Befehl gab.

*

Es mochte um die zehnte Vormittagsstunde sein, als Henry Turner langsam die Hauptstraße des Dorfes entlang fuhr. Er hatte die Absicht, sich möglichst ungesehen in die Heide zu schlängeln, um von seinem bewährten Beobachtungsplatz aus zu erspähen, was es etwa Neues im AE-Werk geben möchte. Eben wollte er in einen Seitenweg, der zur Landstraße führte, einbiegen, als er sich beim Namen gerufen hörte.

»Hallo, Mister Turner! Wohin des Wegs?«

Turner stoppte und wandte sich nach dem Rufenden um. Es war der alte Zacharias, der ihm vergnügt zuwinkte und nun dicht an den Wagen herankam.

Turner verschluckte ein »Damned!«. Der Alte kam ihm ungelegen in die Quere.

»Nach Neustadt!« erwiderte er, mit der Hand nach Westen deutend, und hoffte Zacharias damit schnell loszuwerden.

»Wollen Sie mich mitnehmen? Ich habe auch in Neustadt zu tun«, sagte der Alte, und Turner blieb nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Mit dem Ausflug in die Heide war es für heute vorbei. Man muß die Gelegenheiten nutzen, wie sie kommen! dachte der betriebsame Agent, während Zacharias neben ihm Platz nahm. Vielleicht kann ich ihm während der Fahrt – es waren einige vierzig Kilometer bis Neustadt – mal auf den Zahn fühlen?

Gut, daß ich den Kunden mal wieder erwischt habe! dachte Zacharias. Vielleicht komme ich heute dazu, ihm zu sagen, was ich ihm schon lange sagen wollte!

Als der Wagen die Chaussee erreichte, wollte Turner ein schärferes Tempo einschlagen.

»Können wir nicht langsamer fahren?« fragte Zacharias. »Die Heide ist im Sommer so schön!«

»Gewiß, gern, Mister Zacharias!« willfahrte Turner dessen Wunsch. Auch ihm lag daran, Zeit zu gewinnen.

»Sie interessieren sich wohl auch für Technik?« eröffnete Turner die Unterhaltung, während der Wagen langsam auf der Landstraße dahinrollte.

»Gewiß, Mister Turner! Wir alten Farmer sind alle halbe Elektrotechniker.«

»Dann muß Sie gewiß auch das neue AE-Werk hier in der Nähe interessieren? Schade, daß man es nicht besichtigen kann!« sprach Turner weiter. »Sie hätten's sicherlich mal gern angesehen?«

»Ich habe es gesehen, Mister Turner. Ich war erst neulich in der Station.« Der Alte sprach die Worte harmlos vor sich hin, als ob es sich um eine Selbstverständlichkeit handle.

»Wie ist das möglich?« fragte ihn Turner erstaunt. »Sie dürfen das Werk sehen, obwohl der Zutritt streng verboten ist?!«

Zacharias zuckte die Achseln. »Ein glücklicher Zufall, Mister Turner! Einer der Ingenieure, die kürzlich hier waren, ist ein Verwandter von mir. Der hat's auf seine Kappe genommen, und ich bin mit hineingeschlüpft. Soll natürlich nicht sein, aber man kennt mich hier seit Jahren, weiß, daß ich ein ehrlicher alter Kerl bin . . .«

Von Sekunde zu Sekunde wurde Turner unsicherer in seinem Urteil. So wie es Zacharias jetzt darstellte, konnte sein Besuch im Werk, den er, Turner, damals durch das Scherenfernrohr beobachtet hatte, in der Tat eine ganz unverdächtige Angelegenheit sein. Der Alte hatte einen der Ingenieure zum Verwandten? – Bei der Erinnerung daran kam Turner eine neue Idee.

»Könnte dieser Ingenieur mich nicht auch einmal unter seine schützenden Fittiche nehmen?« fragte er halb scherzend.

Zacharias schüttelte den Kopf. »Das wird nicht gehen. Sie sind Amerikaner.«

»Was hat das mit der Sache zu tun?« fragte der Agent mit gespieltem Erstaunen.

»Sie vergessen Mister Headstone, mein Lieber.«

Turner hatte das Gefühl, als ob er einen kräftigen Schlag vor den Magen bekommen hätte.

»Wer ist – wer ist Mister Headstone?« versuchte er möglichst unverfänglich zu fragen.

»Oh, Sie kennen ihn nicht? Mister Headstone, den Schöpfer der amerikanischen AE-Stationen? Das wundert mich. Man hat hier Nachrichten, daß er scharf hinter den Geheimnissen des deutschen Werkes her sein soll. Man spricht sogar von Agenten, die in seinem Auftrag in Deutschland tätig sind. Im Vertrauen gesagt, Mister Turner: Ihr Freund Voucher stand stark im Verdacht, ein Agent Headstones zu sein. Es ist gut für ihn, daß er unser Land schon wieder verlassen hat . . .«

Von Sekunde zu Sekunde wurde es Turner bei den Worten des Alten unbehaglicher. Er beschloß, dem Angriff durch einen Gegenangriff zuvorzukommen. »Jetzt fehlt nur noch, Mister Zacharias, daß Sie in mir auch einen Agenten dieses – Headstone, sagten Sie wohl? – vermuten!« fiel er Zacharias ins Wort.

Der machte eine abwehrende Handbewegung. »Durchaus nicht, Mister Turner, kein Mensch denkt daran! Aber Sie werden begreifen, daß man amerikanische Touristen, mögen sie so harmlos sein wie sie wollen, nicht in das Werk läßt.«

»Schade!« Unwillkürlich war Turner der Ausruf entfahren. »Kein Amerikaner darf das Werk sehen?«

Wieder schüttelte der Alte den Kopf. »Es gibt Ausnahmen. Einem Amerikaner würde man das Werk sogar sehr gern zeigen.«

»Einem? Wer ist der Glückliche?«

»Das ist Mister Headstone!«

»Headstone?« Turner sah den Alten verwirrt an. »Ich verstehe Sie nicht! Der Mann soll Ihr größter Konkurrent sein – und gerade dem würde man das Werk zeigen?«

»Sofort, Mister Turner. Wenn er sich entschließen wollte, hierherzukommen.«

»Aber warum?«

»Headstone ist ein Mann von Verstand und Einsicht. Er würde sehr schnell sehen, was alle seine Agenten nicht gesehen haben.«

Turner fühlte bei den letzten Worten des Alten ein unangenehmes Ziehen im Rückgrat.

»Interessant, Mister Zacharias! In der Tat sehr interessant!« murmelte er vor sich hin. »Darf man wissen, was das wäre?«

»Die klare Tatsache, Mister Turner, daß man in Deutschland der United meilenweit voraus ist. Daß es vollkommen zwecklos ist, den Vorsprung mit mehr oder weniger dunklen Mitteln und Mittelchen wieder einholen zu wollen. Daß ein anständiger Vergleich für alle Teile das Vorteilhafteste wäre.« Der Alte wurde lebhafter, während er weitersprach: »Wer das Headstone einmal klar und deutlich sagte, würde sich ein großes Verdienst um die United erwerben. Es müßte allerdings ein Mann sein, dem die Sache über die Person geht, ein Mann, der Headstone nicht aus Angst nach dem Mund redet – ein wirklicher Mann, Mister Turner! Doch den gibt es unter seinen Agenten wohl kaum. Ich fürchte, Headstone wird weiter im Dunkeln tappen müssen.«

Turner ließ sich mit der Antwort Zeit. Eine ganze Weile saß er schweigend am Steuer und ließ den Wagen noch langsamer laufen als bisher.

»Ich kenne Mister Headstone nicht«, begann er endlich – Zacharias hörte die Lüge an, ohne mit der Wimper zu zucken –, »aber nach allem, was ich von unseren Industriekapitänen gehört habe, würde ein Agent, der so zu ihm spräche, wahrscheinlich sofort auf die Straße fliegen.«

»Das müssen Sie besser wissen als ich, Mister Turner!« In seiner trockenen Weise brachte Zacharias den Satz heraus, während ihn Turner verstohlen von der Seite beobachtete. Die Worte konnten ganz harmlos gemeint sein, aber es konnte auch ein gefährlicher Doppelsinn in ihnen liegen. Ohne daß er es wollte, begannen Turners Gedanken sich um einen Punkt zu drehen: Hatte Zacharias Verdacht auf ihn? Wußte der, daß er ein Agent Headstones war? Möglich schien ihm bei diesem wunderlichen Alten nachgerade alles.

Weiter liefen seine Gedanken. Sollte er dem Rat folgen? Daß er damit seine Stellung riskierte, war klar. Nur wenn die späteren Ereignisse ihm recht gäben, würde er bei der United wieder in Ehren aufgenommen werden. Sollte er es darauf ankommen lassen? Sollte er lieber in der bisherigen Weise weiterarbeiten? Ein Mittelweg schien ihm der beste zu sein. Er entschloß sich, das Gespräch, das er heute mit Zacharias hatte, an Headstone zu berichten.

Auch Zacharias war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Und so blieben beide für den Rest der Fahrt schweigsam, bis der Wagen Neustadt erreichte.

»Wollen Sie später wieder mit mir zurückfahren?« fragte Turner beim Abschied. Mit dem Bemerken, daß er hier längere Zeit zu tun hätte, lehnte der Alte die Einladung ab.

Verdrossen und unruhig fuhr der Agent allein weiter. »Was soll ich hier in dem elenden Nest? Was mag der Alte hier überhaupt für Geschäfte haben?« brummte er vor sich hin und lenkte seinen Wagen in eine Seitengasse. Auf Umwegen erreichte er die Landstraße und machte sich auf den Heimweg. Er war noch nicht weit gekommen, als ein anderer Kraftwagen ihn im Hundertkilometertempo überholte.

Zwei Personen saßen darin. Viel konnte Turner bei der Kürze der Zeit nicht erkennen. Einen grauen Rübezahlbart sah er bei dem einen, ganz ähnlich wie Zacharias ihn trug. Der andere – Turner kramte in seiner Erinnerung – glich er nicht dem Mann, den er zusammen mit Zacharias und dem Ingenieur im AE-Werk beobachtet hatte?

»Unsinn! Sicher eine Täuschung!« Er strich sich über die Stirn, als wolle er lästige Gedanken verjagen. –

»Hast du unseren Patienten gesehen, Franz?« fragte zur gleichen Zeit Zacharias in dem Hundertpferdigen Geheimrat Bergmann. »Mir scheint, er hat schwer an den Pillen zu verdauen, die ich ihm eingab. Vielleicht helfen sie ihm auf den rechten Weg.«

Bergmann schüttelte den Kopf. »Ich glaub's nicht, Johannes. Agent bleibt Agent – stets in der Furcht des Herrn. Wir werden von unserer Seite etwas unternehmen müssen, um Headstone gefügig zu machen.« –

Eine halbe Stunde später saßen Bergmann und Zacharias mit Dr. Frank zusammen und beratschlagten über dasselbe Thema, das sie schon auf der Fahrt von Neustadt beschäftigt hatte.

»Professor Livonius landet heute in New York«, meinte Bergmann. »Ich hoffe, er wird gute Arbeit tun.«

Zacharias zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, Franz, ob er's schaffen wird. Er ist zwar ein großartiger Patentexperte –«

»Das ist er!« warf Doktor Frank zustimmend ein.

»Ich vermute«, fuhr Bergmann fort, »er wird Headstone bis zur Weißglut ärgern. Aber ihn mürbe machen? Dazu wird's noch stärkerer Mittel bedürfen.«

Zacharias kraulte sich nachdenklich seinen Bart und begann zu sprechen, weniger zu den anderen als zu sich selbst: »Der erste Trumpf im Spiel, unser Freund Turner – nur ein schwacher Trumpf; der zweite Trumpf, Professor Livonius – schon stärker, aber nicht stark genug. Der dritte Trumpf –« Er hielt inne und sah Dr. Frank an.

»Reden Sie doch weiter, Zacharias!« sagte der Doktor ungeduldig.

»– der dritte und höchste Trumpf, Doktor, der werden Sie selber sein!«

»Ich?« Dr. Frank wehrte ab. »Ich will mit den Yankees nichts zu tun haben.«

»Es wird nötig werden, Herr Doktor Frank. Wenn die Zeit dafür reif ist.«

Zacharias sprach die Worte wie ein unanfechtbares Urteil aus. Vergebens versuchte der Doktor noch einmal dagegen zu protestieren.

In der Besprechung, die nun folgte, wurde der Plan entwickelt, wie man Bresche in die Festung des Gegners schießen und sie endlich nehmen könne. –

Auch in New York gab es eine lange und inhaltsschwere Unterredung zwischen James Headstone und Direktor Brooker, und verschiedene für Headstone wenig angenehme Dinge hatte Brooker dabei vorzubringen.

»Daß die Hochspannungshalle in Detroit durch Ihr Experiment zum Teufel gegangen ist, muß auf Unkostenkonto AE-Station abgebucht werden«, erklärte Brooker.

Headstone nickte, ohne sich zu äußern.

»Viel Geld hat es auch gekostet, den Zeitungen den Mund zu stopfen«, fuhr Brooker fort. »Am liebsten hätten sie den Unfall mit dicken Schlagzeilen gebracht und die Zahl der Toten verzehnfacht.«

»Gott sei Dank, daß Sie die Bande zum Schweigen gebracht haben!« sagte James Headstone.

»Daß Sie die gefährlichen Versuche jetzt in unserm Hochspannungswerk in Buffalo fortsetzen wollen, halte ich für bedenklich«, sprach Brooker weiter.

»Nur mit zehn Millionen Volt, Brooker!« fiel ihm Headstone ins Wort. »Wir wollen Schritt für Schritt vorgehen. Ein zweitesmal wird es keinen Unfall geben.«

»Ich sehe den Sinn der Versuche nicht ein. Für unsere AE-Station brauchen wir diese Spannungen nicht. Was bezwecken Sie eigentlich damit?« fragte Brooker.

Wahrheitsgemäß hätte Headstone antworten müssen: ›Wir brauchen die Höchstspannungen, weil die Deutschen sie auch haben!‹ Doch solche Antwort durfte er Brooker nicht geben. »Diese Höchstspannungen werden uns bei der weiteren Entwicklung der AE-Stationen sehr von Nutzen sein«, antwortete er ausweichend.

»AE-Stationen . . .« setzte Brooker seine Beanstandungen fort. »Wir haben schlechte Nachrichten von unserer Station in Michigan. Die atmosphärische Spannung ist so großen Schwankungen unterworfen, daß der reguläre Betrieb noch nicht aufgenommen werden konnte. Da drüben«, er deutete auf ein Aktenstück, »liegen die Berichte von Fosdick und Cowper. Bis jetzt ist es noch nicht möglich gewesen, die Station an das Überlandnetz zu schalten.«

»Unbegreiflich, Brooker! Unsere alte Station hat doch auf das Netz gearbeitet . . .«

»Die neue aber nicht, Headstone! Die Spannungsschwankungen sind zu groß. Wir würden das ganze Überlandnetz in Unordnung bringen, wenn wir's versuchten. Hier muß Abhilfe geschaffen werden, und zwar bald.«

Brooker schwieg und begann einen Schreibblock mit Zahlen zu bedecken. Headstone neigte sich etwas vor und versuchte zu lesen, was sein Partner zu Papier brachte. Zahlen und immer wieder Zahlen. Hunderttausende erkannte Headstone und jetzt schon Millionen. Brooker zog den Schlußstrich und begann zu addieren.

»Achtzehn Millionen Dollar, Headstone«, sagte er und warf den Bleistift auf den Block. »Kaum jemals wurde bisher ein solches Kapital für die Entwicklung eines einzelnen Problems verbraucht, und immer noch sind wir weit vom Ziel entfernt. Ich weiß nicht, Headstone, ob wir den richtigen Weg gewählt haben.«

Mit wachsender Bestürzung hörte Headstone die Resignation, die aus den letzten Worten klang. Verlor Brooker die Lust, weiter mitzumachen, dann war das Ende da.

»Wir sind auf dem richtigen Wege, Brooker! Schon in den nächsten Tagen werden wir die zehn Millionen Volt in Buffalo haben. Wir werden die Spannungsschwankungen bezwingen, wir werden den Vorsprung der Deutschen einholen . . .«

Immer erregter, immer eindringlicher sprach Headstone, als wolle er Brooker durch seine Worte in einen hypnotischen Bann schlagen – und merkte, daß seine Rede nicht wirkungslos blieb. Brooker straffte sich zu einem Entschluß.

»Mein letztes Wort, Headstone: Bis zu zwanzig Millionen Dollar will ich gehen! Arbeitet unsere Station dann auf das Überlandnetz, soll es gut sein, sonst –«

»Sonst?« fragte Headstone.

»Sonst müssen wir mit den Deutschen paktieren.« –

Auf Headstones Schreibtisch hatte sich während seiner letzten Reise nach Buffalo die Post gehäuft. Als erstes fielen ihm die Fernaufnahmen in die Hände, die Turner von dem deutschen Werk gemacht hatte. Sie waren bereits entwickelt und vergrößert. Trotzdem nahm er noch eine starke Lupe zu Hilfe und studierte sie sorgfältig. »Die Deutschen haben neue Kollektoren ohne Brennstoffzuleitung«, das war die erste Erkenntnis, die er daraus gewann. »Sie arbeiten schon mit der kalten Kathode!« Kaum hörbar kamen die Worte von seinen Lippen, während er sich in seinen Sessel zurücklehnte. »Sie wird auch bei uns arbeiten«, liefen seine Gedanken weiter. »Zehn Millionen Volt . . . die Legierung kennen wir aus dem deutschen Patent . . . wenige Tage noch. Wir werden sie haben.«

Nur oberflächlich betrachtete er die nächsten Bilder. Drei Männer waren darauf. Einen davon kannte er, Geheimrat Bergmann; er war öfter beruflich mit ihm zusammengetroffen. Der andere ein junger Mensch – wohl irgendein unbekannter Ingenieur; der dritte mit dem langen Bart – ebenfalls unbekannt. Er schob die Bilder beiseite und machte sich daran, die Berichte und Kabelgramme Turners zu lesen. Neue Mitteilungen über den alten Heideläufer.

»Nonsense!« knurrte er vor sich hin und warf das Blatt zu den Photos, griff zu dem nächsten. Wieder ein Bericht von Turner über seine Fahrt nach Neustadt. Je weiter er las, um so öfter schüttelte er den Kopf. Ein eigenartiger Zug spielte um seinen Mund und die kräftigen Kiefer, als er damit zu Ende war. In halblautem Selbstgespräch versuchte er sich von dem Gelesenen Rechenschaft zu geben.

»Man sucht Anschluß. Man will Geschäfte mit uns machen. So weit sind wir noch nicht, Herr Geheimrat! Wir brauchen euch nicht . . . wir schaffen's aus eigner Kraft! Ihr werdet noch zu uns kommen und Lizenzen auf unsere Erfindungen nehmen!«

Seine Mienen zeigten Abweisung und Verachtung, als er die Papiere zusammenballte, in die Marmorschale warf und verbrannte. Er wollte sich der übrigen Post zuwenden, als das Telephon läutete. Ein Besuch wurde gemeldet: Professor Livonius vom Bergmann-Konzern.

»Soll zu mir kommen«, sagte er und legte den Hörer auf. Ganz anders als vorher sah er jetzt aus, während er immer noch im Selbstgespräch durch das Zimmer hin und her lief.

»Sie scheinen's eilig zu haben, die lieben Deutschen! Erst der plumpe Versuch mit Turner. Jetzt schicken sie mir einen Professor auf den Hals. Wollen hören, was der Mann zu sagen hat.«

Er brauchte nicht lange darauf zu warten. Kurz danach wurde Livonius in sein Zimmer geführt. Headstone begrüßte ihn mit gespielter Gleichgültigkeit.

»Freue mich, Sie zu sehen, Herr Professor! Höre, Sie kommen vom Bergmann-Konzern. Sind Sie schon längere Zeit in den Staaten?«

Livonius hielt es für zweckmäßig, die gleiche Uninteressiertheit zur Schau zu tragen.

»Erst seit einigen Tagen, Mister Headstone«, erwiderte er gelassen. »Ich hatte in Washington zu tun.«

»Ah, Sie wollten selbst anmelden, Herr Professor?« fragte Headstone, unwillkürlich etwas lebhafter.

Der Professor machte eine verneinende Bewegung. »Dafür haben wir unsere Patentanwälte in Washington. Ich wollte nur etwas nachgreifen. Es ist nachgerade Zeit, daß unsere Anmeldungen ausgelegt werden.«

Um Headstones Lippen ging ein Lächeln. »Mit Washington müssen Sie Geduld haben, Herr Professor. Bei wichtigen Patenten kann es Monate dauern, bis das Amt sich zur Auslage entschließt.«

Livonius blieb die Gelassenheit selber, während er antwortete: »Es handelt sich in der Tat um wichtige, ich möchte sagen, grundlegende Patente . . .«

»Also werden Sie sich in Geduld fassen müssen, mein lieber Professor«, fiel ihm Headstone ins Wort.

»Doch nicht, Mister Headstone. Das Amt hat gestern die Auslegung beschlossen. Unter der Hand erfuhr ich bei der Gelegenheit, daß von Ihrem Konzern ganz ähnliche Anmeldungen vorliegen. Unsere Arbeitsgebiete scheinen sich zu überschneiden.«

»In solchen Fällen entscheidet die Priorität, Herr Professor. Eine Minute früher oder später kann den Ausschlag geben. Ich hoffe, daß die United diese Minute zu ihren Gunsten verbuchen kann.«

Headstone brachte die Worte im Tone der Überzeugung heraus, obwohl seine Hoffnungen angesichts der unergründlichen Miene des Professors schwankend wurden.

»Unsere Anmeldungen werden heute in Washington ausgelegt«, sagte Livonius trocken.

Headstone schwieg und biß sich auf die Lippen. Die deutschen Patente werden ausgelegt. Nichts anderes konnte es bedeuten, als daß die United mit ihren Anmeldungen zu spät gekommen war. Trotzdem gab er das Spiel noch nicht verloren.

»Haben Sie gute Anwälte, Herr Professor?« fragte er.

»Unser Konzern hat die tüchtigsten Patentanwälte der Staaten für seinen Dienst gewonnen, Mister Headstone.«

Headstone sprach die Gedanken nicht aus, die ihm durch den Kopf gingen. Die Anwälte der United sind gewiß die gerissensten in den Staaten, mein lieber Professor, dachte er. Es wird einen schweren Kampf geben. Wir werden euch die Sache nicht leicht machen. Eine Freilizenz auf Grund der Vorausbenutzung ist das geringste, was dabei für uns abfallen muß. Vielleicht holen unsere Leute noch mehr heraus.

»Wir werden sehen, Herr Professor«, fuhr er laut fort. »Auf Einsprüche von unserer Seite müssen Sie gefaßt sein.«

»Das sind wir, Mister Headstone. Es werden auch noch andere kommen und unsere Rechte beschneiden wollen. Das liegt nun mal im Lauf der Dinge. Es wäre wunderlich, wenn es anders wäre.«

»Also bereiten wir uns auf einen Patentkrieg vor, Herr Professor . . .« Headstone gab zu erkennen, daß er die Unterredung beenden wollte, aber der Professor schien es nicht zu merken. Er gab dem Gespräch eine andere Wendung.

»Sie hatten kürzlich einen Betriebsunfall in Detroit, Mister Headstone. Ich hörte von dreißig Millionen Volt.«

Headstone machte eine unwillige Bewegung. »Übertriebene Gerüchte, Herr Professor. Ein Hochspannungstransformator schlug durch. Das kommt in jedem Hochspannungswerk mal vor. Wird wohl auch schon im Bergmann-Konzern passiert sein.«

Unverhaltene Ungeduld sprach aus Headstones Worten. Er hatte den dringenden Wunsch, seinen Besucher loszuwerden, um mit Pellham die Patentangelegenheiten zu besprechen, aber Professor Livonius ließ nicht locker.

»Unter unseren Anmeldungen«, fuhr er mit unerschütterlicher Ruhe fort, »befindet sich auch ein Patent auf einen neuen Isolierstoff, der dreißig Millionen Volt sicher abfängt.«

Headstone machte große Augen. »So? Davon weiß ich noch gar nichts!« Unwillkürlich waren ihm die Worte entschlüpft. Schon im nächsten Augenblick bereute er es, sich die Blöße gegeben zu haben. Professor Livonius überhörte die Bemerkung.

»Es ist das dritte der großen grundlegenden Patente«, fuhr er fort, als ob er daheim auf dem Katheder stünde, »das mit den beiden anderen zusammen erst die Entwicklung der AE-Werke möglich macht. Drei Dinge sind es, Mister Headstone: die Halteseile, die kalte Kathode und die Schutzkondensatoren gegen Überspannungen.«

Überspannungen! Bei dem Wort kam Headstone das ganze Elend, das er mit der Station in Michigan hatte, wieder in Erinnerung. Schutzkondensatoren! War das der dritte Trumpf der Deutschen, von dem er nur etwas ahnte, ohne Sicheres zu wissen?«

»Sie meinen die Mausefalle, Professor?« In einer Art von Galgenhumor brachte er die Worte heraus.

Livonius blickte ihn verwundert an. »Merkwürdig, Mister Headstone, daß Sie das Wort kennen! In der Tat ist es die Mausefalle, in der wir alle schädlichen Überspannungen wegfangen wie die Mäuse.«

»Hübsche Erfindung, Herr Professor. Ich denke, wir werden sie in Amerika nicht brauchen. Mit Überschlagstrecken erreichen wir denselben Schutz.«

Headstone sagte es, um etwas zu sagen. Immer stärker überkam ihn das Gefühl, daß er auf einem verlorenen Posten kämpfte.

»Überschlagstrecken? Auch wir haben uns damit beholfen, solange wir nichts Besseres hatten«, fuhr Livonius unentwegt fort. »Der Schutz ist nicht sicher, und viel Energie geht dabei nutzlos in die Erde. Die Mausefalle ist besser, glauben Sie's mir, Mister Headstone!«

James Headstone saß da, von Zweifeln hin und her gerissen. Bald wünschte er den deutschen Professor dahin, wo der Pfeffer wächst, bald war er begierig, noch mehr von ihm zu hören.

Doch der schien jetzt mit seinen Mitteilungen fertig zu sein.

»Ich kam in der Hoffnung hierher, daß eine Einigung zwischen unseren Konzernen möglich wäre«, sagte er und machte Anstalten, sich zu erheben. »Sie wollen erst Ihren Patentkrieg führen; tun Sie in Gottes Namen, was Sie nicht lassen können!«

Livonius war aufgestanden. Er zog seine Aktentasche heran und holte ein Kärtchen heraus. Für eine Besuchskarte hielt es Headstone im ersten Augenblick. In beiden Händen hielt Livonius das Stückchen Karton und legte es mit einer etwas gezwungenen Bewegung auf den Tisch.

»Ich lasse Ihnen eine Probe unseres neuen Isolierstoffes da«, sagte er und reichte James Headstone die Hand zum Abschied. »Lassen Sie es in Ihrem Hochspannungswerk untersuchen. Der Stoff ist nicht uninteressant.« –

Livonius war gegangen. Headstone saß allein am Tisch und starrte vor sich hin. Der Kopf rauchte ihm von all dem Neuen, das er eben gehört hatte. Unstet gingen seine Blicke hin und her, bis sie an dem Kärtchen haftenblieben, das der Professor zurückließ. Ein eigentümlicher wechselnder Schimmer ging davon aus. Jetzt sah es dunkel, ja fast schwarz aus. Headstone wunderte sich, daß er es vorübergehend für eine Besuchskarte ansehen konnte, doch als er den Kopf etwas zur Seite neigte, glänzte es wieder hell und fast weiß. Kaum größer als ein Blatt Zigarettenpapier war die Probe, auch kaum dicker schien sie zu sein. Headstone griff mit der Hand danach, wollte das Blättchen aufnehmen. Sein Mühen war vergeblich. Wie festgenagelt lag es auf der spiegelnden Mahagoniplatte des Tisches. Ungeduldig griff er nach einem Federmesser. Nicht ohne Schwierigkeiten gelang es ihm, die Klinge unterzuschieben.

Und dann hielt er das hauchfeine Blättchen in seiner Hand und mußte bald die zweite zu Hilfe nehmen. Wohl an die zwanzig Pfund mochte diese Probe des neuen Stoffes wiegen – eine neue Überraschung, ein neues Rätsel. Mit jähem Ruck zog er die Hände zurück, wollte das Blättchen auf den Tisch flattern lassen. Massig schlug es mit lautem Krach auf die Tischplatte auf.

»Schade um die Politur!« sagte Headstone vor sich hin. Die Lust, mit Pellham zu konferieren, hatte er verloren. Wichtiger war es ihm, den rätselhaften Stoff zu untersuchen. Dreißig Millionen Volt, hatte der deutsche Professor gesagt, Buffalo zehn Millionen Volt – in den nächsten Tagen würde er sie haben. Er war überzeugt, daß sie den Wunderstoff in Atome zerreißen würden. Er wollte es denen auf der andern Seite des Atlantiks schnell beweisen, daß ihre Erfindung nur ein Bluff war. Kurz entschlossen griff er zum Telephon.

»Mein Pilot soll sich bereit halten. In einer halben Stunde fliege ich nach Buffalo.«

*

 


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