Hans Dominik
Geballte Kraft
Hans Dominik

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Auf der Place de la Concorde (1843)

Und nun hundert Jahre zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts! Europa lebt noch in der ein wenig verschlafenen, aber letzten Endes ganz gemütlichen Zeit des Vormärz.

Auf Preußens Thron ist vor drei Jahren der vierte dem dritten Friedrich Wilhelm gefolgt, ohne daß sich dadurch allzuviel geändert hätte. In der Artilleriewerkstatt zu Spandau ist der Secondelieutenant Werner Siemens von Staats wegen mit Arbeiten zur Verbesserung der militärischen Sprengstoffe beschäftigt. Privatim befaßt er sich in jeder freien Stunde mit den überraschenden elektro-chemischen Wirkungen, die sich mit den von dem deutschen Physiker Robert Bunsen erfundenen galvanischen Elementen erzielen lassen. Wenn diese Elemente auch noch ihre Schattenseiten haben, mit: scharfen, übelriechenden Säuren gefüllt werden müssen und die elektrische Energie durch Oxydation des teuren Zinkmetalles erzeugen, so sind sie doch zur Zeit die einzigen wirklich ergiebigen Stromquellen. In der Tat hat es sich für den jungen Offizier auch gelohnt, die Unbequemlichkeiten, die mit ihrer Benützung verbunden sind, auf sich zu nehmen. Schon sind ihm schöne galvanische Vergoldungen und Vernicklungen gelungen, für welche die Industrie sofort großes Interesse zeigt . . ., und immer mehr entwickelt der junge Artillerieoffizier sich bei diesen Arbeiten zum Wissenschaftler und Techniker. –

In Frankreich regiert um die gleiche Zeit Louis Philippe aus dem Hause Orléans. »Leben und leben lassen!« lautet die Losung des gutmütigen, dicken Bürgerkönigs, und die Geschäfte gehen nicht schlecht unter seinem Regime. Handel und Wandel florieren, und auch die Wissenschaften stehen in Blüte. Zwar ist André Marie Ampère schon seit sieben Jahren tot, doch seine bahnbrechenden Forschungen auf dem Gebiet der Elektrodynamik sichern nicht nur seinem Namen die Unsterblichkeit, sondern haben auch der französischen Physik zu einer führenden Stellung verholfen.

Schon sind seine Schüler und Nachfolger am Werk, die von ihm aufgedeckten Wechselwirkungen zwischen elektrischen Strömen und Magneten praktisch auszuwerten. Schon schnurren in den Laboratorien hier und dort Maschinchen, die, bald von Batterieströmen bewegt, ein wenig mechanische Energie liefern, bald auch im umgekehrten Prozeß, mechanisch angetrieben, elektrische Ströme erzeugen. Aber das alles ist eben erst im Entstehen. Vorläufig sind diese Apparate noch nicht vom Laboratoriumstisch heruntergekommen, und viel Wasser wird noch die Seine hinunterlaufen, bevor einmal brauchbare Stromquellen und Arbeitsmaschinen daraus werden. Noch immer ist man auf galvanische Elemente angewiesen, wenn man mit stärkeren elektrischen Strömen operieren und die mannigfachen Äußerungen und Erscheinungen der rätselhaften Naturkraft Elektrizität demonstrieren will; und das will man im Herbst des Jahres 1843 in Paris wieder einmal in größerem Stil unternehmen.

Der Physiker Professor Deleuil hat sich vorgenommen, den Einwohnern von Paris in einem groß angelegten Versuch die Beleuchtung der Zukunft, die elektrische Beleuchtung, vorzuführen. Einen Bundesgenossen für seine Pläne hat er in seinem Kollegen Dr. Archereau gewonnen, der bereits ganz brauchbare Regelwerke für das elektrische Bogenlicht konstruiert hat. Nun sitzen sie an einem Septembertag in dem physikalischen Cabinet von Dr. Archereau und besprechen das Unternehmen.

»Ganz groß soll es werden, mon confrère, einen großen Platz müssen wir mit dem neuen Licht beleuchten . . .«, ruft der quecksilbrige, lebhafte Deleuil.

»Wie wäre es mit der Place de l'Opéra?« fragt der bedächtigere Archereau. »Man könnte die Lampen auf der Balustrade des Opernhauses aufstellen und den Platz von oben her anstrahlen.« Fast entrüstet springt Deleuil mit einer abwehrenden Bewegung auf.

»Viel zu klein, mein Lieber! Das würde die Mühe nicht lohnen. Den größten, schönsten Platz von Paris müssen wir für die Vorführung haben. Die Place de la Concorde würde das Richtige sein. Übrigens . . .«, während er weiterspricht, läßt er sich wieder auf seinem Stuhl nieder, »von oben anstrahlen . . .? Die Idee läßt sich hören; das könnte Effekte geben. Die Statue der Stadt Straßburg auf der Place de la Concorde . . ., hundert Fuß über dem Straßenpflaster . . . ein mächtiges Bogenlicht hoch oben auf den Knien der Bildsäule, das müßte wirken, mon confrère, die größte . . . stärkste Lampe . . . die stärkste, die es gibt . . . einen Parabolspiegel dahinter, das Licht aus der Höhe auf den Platz geworfen . . .« Zum zweiten Male springt Deleuil auf und läuft gestikulierend in dem Cabinet hin und her, während die Worte weiter von seinen Lippen sprudeln: ». . . die Gaslaternen müssen natürlich ausgedreht werden . . . unsere Pariser werden staunen, wenn das neue Silberlicht den Platz überflutet.«

Er spricht noch weiter, und eine Weile läßt ihn Dr. Archereau ruhig gewähren. Doch dann, als Deleuil einmal eine Pause macht, nimmt auch er das Wort.

»Die größte meiner Lampen wollen Sie aufstellen?«

»Die größte und stärkste Lampe, die es überhaupt gibt«, bestätigt Professor Deleuil die Frage.

»Hm, hm.« Archereau streicht sich nachdenklich über die Stirn. »Meine größte Lampe braucht viel Strom. Wie ich es überschlage, werden wir eine Batterie von 200 Elementen brauchen.«

»Richtig, mon confrère. Die brauchen wir«, fällt ihm Deleuil ins Wort. »Die brauchen wir, und die werden wir auch schnell haben.«

Nachdenklich stützt Archereau den Kopf in die rechte Hand. Zögernd beginnt er zu sprechen. »Für die stärksten Lampen brauchen wir auch die größten Elemententypen. Ich zweifle, ob sich zweihundert Exemplare davon so schnell auftreiben lassen. Die Gläser dafür werden wahrscheinlich erst angefertigt, die Tondiaphragmen dafür erst geformt und gebrannt werden müssen. Es kann Wochen dauern, bis wir alles zusammen haben.«

»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, unterbricht ihn Deleuil, »wir brauchen schönes Wetter für unser Experiment. Bei Regen und Schnee geht der größte Teil der Wirkung zum Teufel. Die Bäume auf der Place de la Concorde müssen noch in vollem Laub stehen. Mildes Herbstwetter muß herrschen, wenn wir die Illumination veranstalten, sonst läuft uns das Publikum davon.«

Archereau wirft einen Blick auf den Wandkalender.

»Wir schreiben heute den 15. September, Herr Professor Deleuil«, meint er danach. »Da ist nicht viel Zeit zu verlieren, wenn wir mit der Witterung noch zurechtkommen wollen.«

»Ah bah!«, schiebt Deleuil den Einwand beiseite. »Die neuen Gläser können in acht Tagen geblasen sein. Die liefert uns jede Glashütte. Die Diaphragmen brauchen auch keine längere Zeit. Es gibt da eine Poterie in la Courneuve, die uns die Sache machen kann. Ich bin mit dem Besitzer bekannt, werde noch heute nachmittag zu ihm hinausfahren, sobald wir die Maße festgelegt haben. Dicht dabei, in St-Denis, ist auch eine Glashütte. Da läßt sich alles in einer Tour erledigen. Nur über die Maße müssen wir uns vorher klarwerden. Welche Größe haben Sie sich ungefähr gedacht?«

Schon greift Deleuil nach einem Bleistift, um zu Papier zu bringen, was sie nun beschließen wollen, als Archereau mit einem neuen, schwerwiegenden Einwand kommt.

»Haben Sie auch daran gedacht, welche Kosten das Unternehmen verschlingen wird?«

Kosten?! Zum erstenmal fällt das Wort in ihrer Unterredung, und es nimmt bald eine bedrohliche Gestalt an, als Deleuil nun die Zahlen notiert, die Archereau vorbringt.

»200 Elemente soll die Batterie haben. Rechnen wir für das einzelne Element ohne Säurefüllung einmal 30 Franken . . .«

»30 Franken? Ist das nicht zu hoch gegriffen?« versucht Deleuil zu widersprechen.

»Nicht zu hoch und nicht zu niedrig«, verteidigt Archereau seine Zahl. »Ich denke, daß wir mit diesem Satz ohne Komplikationen und Nachforderungen auskommen werden.

»6000 Franken für die leere Batterie«, notiert Deleuil auf seinem Block.

»Für die Füllung werden wir pro Element 10 Franken ansetzen müssen«, stellt Archereau weiter fest. Wieder protestiert Deleuil gegen die Höhe des Betrages, aber Archereau belehrt ihn schnell eines Besseren.

»Sie müssen an die nötige Nachfüllung denken, mon confrère. Die Salpetersäure muß stündlich erneuert werden, wenn die Batterien ihre volle Kraft behalten sollen. Wenigstens vier Stunden, ich denke etwa von 6 bis 10 Uhr abends, soll unsere Lampe brennen. Da müssen wir viel Salpetersäure in Reserve haben.«

»2000 Franken für Chemikalien«, schreibt: Deleuil als zweiten Posten nieder.

»Rechnen wir für die Aufstellung der Batterie, für die Montage der Lampen und als Löhne für die nötigen Hilfskräfte noch einmal 2000 Franken«, fährt Archereau in seinen Darlegungen fort, »so kommen wir auf insgesamt 10 000 Franken. Die Lampe haben wir, gottlob.« Er deutet, während er es sagt, auf die messingenen großen Regelwerke, die in einer Vitrine an der Wand stehen. »Ja, mein Lieber, 10 000 Franken, und 2000 hätte ich noch gern für Unvorhergesehenes. Das wäre die Summe, die wir für unsere Illumination benötigen. Ich habe sie nicht. Die Mittel meines Cabinets sind leider beschränkt. Verfügen Sie darüber?«

Jetzt ist es an Deleuil, die Stirn in nachdenkliche Falten zu legen. Er hat die Summe ebensowenig disponibel wie der andere. So hoch hat er sich die Kosten dieser Illumination überhaupt nicht vorgestellt und bisher kaum an die Geldfrage gedacht. Aber da der andere nun das heikle Problem aufwirft, beginnt sein lebhafter Geist auch sofort zu arbeiten.

»Die Kostenfrage? Pah! An den lumpigen 10- oder 12 000 Franken darf unser Projekt nicht scheitern.«

Hat er nicht erst kürzlich bei einer Soiree des Ministers Barelle den Bankier Leblanc kennengelernt, einen schnell reich gewordenen ehrgeizigen Finanzier? Der Mann will dekoriert werden. Er ist bereit, Tausende von Franken für irgendeine gemeinnützige Sache zu stiften, wenn seine Knopflochschmerzen gestillt werden. Der wird die Summe ohne Zögern hergeben, wenn man ihm einen Orden in Aussicht stellen kann. Minister Barelle – Professor Deleuil kennt ihn seit langem genau – wird mit sich reden lassen und die Sache vermitteln.

»Wo wollen wir diese Summe hernehmen?« fällt die Frage von Dr. Archereau in das Nachdenken Deleuils.

»Ich werde das vermitteln«, erwidert Deleuil mit Bestimmtheit, »in 48 Stunden werden wir das Geld haben.«

»Großartig, Herr Professor.« Anerkennung und etwas Bewunderung klingt aus den Worten von Doktor Archereau. Dieser Professor ist doch ein Teufelskerl. Immer weiß er einen Ausweg. Nach allen möglichen Stellen hin hat er Verbindungen. Auch jetzt wird er sicher Rat schaffen.

»Sie übernehmen also die Finanzierung und die Beschaffung der Gläser und Diaphragmen«, schließt Dr. Archereau die Vorbesprechung, ». . . ich werde für die Chemikalien und alles übrige sorgen und die Lampe liefern«.

»Abgemacht, mon confrère!«

Professor Deleuil will sich verabschieden, als Archereau ihn noch einmal zurückhält.

»Vergessen Sie auch nicht, daß wir die Zustimmung der Behörden für unsere kleine Illumination benötigen. Sie könnten vielleicht . . .«

»Wird gemacht. Wenn ich den Minister spreche, werde ich das gleich mit vorbringen. Keine Sorge, cher confrère, das wird uns keine Schwierigkeiten bereiten.« Und dann bricht Professor Deleuil auf, um sofort mit Eifer an die neue Aufgabe zu gehen. –

Es hat mehr Mühe und Zeit gekostet, als Professor Deleuil in seinem Optimismus zuerst annimmt. Man ist während der Vorbereitungen bereits in den Oktober hineingekommen, aber zuletzt hat doch noch alles geklappt. Monsieur Leblanc hat die erbetene Summe gestiftet und darf seit einer Woche eine rote Rosette im Knopfloch tragen. In Wagenladungen sind die Gläser und Diaphragmen für die große Batterie in der französischen Hauptstadt eingetroffen, und ein Machtwort des Ministers hat Wunder getan. Nicht nur die Place de la Concorde, sondern auch das Denkmal der Stadt Straßburg ist für diese physikalische Demonstration zur Verfügung gestellt worden. In den umfangreichen Räumlichkeiten des steinernen Unterbaues der Statue hat Dr. Archereau auf hölzernen Regalen die 200 Elemente der großen Batterie aufgebaut. Die längste Feuerleiter der Pompiers ist an die Bildsäule angelegt worden, und auf dem Schoß der Statue steht auf einer provisorisch angebrachten hölzernen Konsole das größte Lampenwerk von Dr. Archereau. Von unten her gesehen fällt es wenig auf und ist für die Menge, die sich schon während der Nachmittagsstunden auf dem Platz bewegte, kaum bemerkbar.

Die Zeitungen haben nur eine kurze Notiz über das geplante Experiment der beiden angesehenen Gelehrten gebracht, aber von Mund zu Mund hat sich dann die Nachricht weiterverbreitet und damit an Umfang und Inhalt zugenommen.

»Eh, Monsieur!« spricht Monsieur Duval den Monsieur Dumont an. »Haben Sie es gehört? Die Place wird eine neue Beleuchtung bekommen, mit dem elektrischen Bogenlicht, das tausendmal stärker ist als unser altes Gaslicht. Eine Erfindung von Docteur Archereau soll es sein.«

»Das trifft nicht zu, meine Herren«, mischt sich Monsieur Meunier als Dritter in das Gespräch, »das elektrische Bogenlicht hat Monsieur Davy erfunden. Er hat es auch schon vor vierzig Jahren in Paris vorgeführt.« –

»Davy? Wer ist Davy?« fragt Monsieur Dumont.

»Ein Engländer natürlich«, sekundiert ihm Monsieur Duval. »Was brauchen wir Engländer in Paris? Unser Dr. Archereau hat die Erfindung gemacht.«

»Aber in den physikalischen Büchern wird doch ausdrücklich vom Davyschen Lichtbogen berichtet«, versucht Monsieur Meunier seine Ansicht zu verteidigen. Doch er kommt damit nicht weit, denn die Stimmung um ihn herum ist ausgesprochen für Doktor Archereau. –

Während so und ähnlich an hundert Stellen auf dem gewaltigen Platz hin und her geredet wird, hockt Dr. Archereau in schwindelnder Höhe auf den Knien der Statue und überprüft noch einmal seine Lampenwerke. In dem Sockelraum aber überwacht Professor Deleuil seine drei Assistenten, die dabei sind, aus mächtigen Ballonflaschen Salpeter- und Schwefelsäure in die Elemente der Batterie überzufüllen.

»Vorsichtig mit der Salpetersäure, Carpentier!« ermahnt er den einen. »Hüten Sie sich, etwas davon an Ihre Kleidung zu bringen. Das Zeug frißt sich durch Rock, Weste und Hemd bis auf die Haut durch. Allô, Bricout, sind Sie des Teufels, Mann?« fährt er den zweiten an. »Wischen Schwefelsäure mit dem Taschentuch auf?! Wissen Sie nicht . . .«, und nun kann Professor Deleuil es sich nicht verbeißen, einen kleinen chemischen Vortrag zu halten: »Wissen Sie denn nicht«, doziert er, »daß die Zellulose der Leinwand durch die Schwefelsäure in Hydrozellulose verwandelt wird? Loch neben Loch werden Sie im Tuch finden, wenn es wieder aus der Wäsche kommt. Seien Sie vorsichtig mit den Chemikalien, meine Herren, es ist mit den Säuren nicht zu spaßen«, läßt er seine Rede in eine Ermahnung ausklingen, um sich dann wieder mit dem Zusammenschalten der Elemente zu befassen.

Von jedem der Kohlenblöcke, die sich in der Salpetersäure der Diaphragmen befinden, ist ja ein Verbindungsdraht zu dem Zinkblech des nächsten Elements zu führen, das dort in verdünnter Schwefelsäure steht. Verschiedentlich muß Professor Deleuil dabei husten und nießen, denn der Wasserstoff, der von den Zinkblechen aufperlt, reißt immerhin etwas Schwefelsäure mit, die ihm unangenehm in die Nase zieht, und die Salpetersäure stößt Dämpfe aus, welche den Hals reizen.

Stattlich nehmen sich die großen Elemente der gewaltigen Batterie auf den Regalen aus. In Reih und Glied ausgerichtet wie die Grenadiere einer Kompanie stehen sie da. Die Leitungen führen von der Batterie zunächst zu einem Schaltgerät, das Dr. Archereau mitgebracht hat. Es gestattet die An- und Abschaltung einzelner Elementengruppen. So wird es möglich sein, später während des Betriebes einzelne Teile der Batterie, in denen die Säure erschöpft ist, abzuschalten und neu zu füllen, während frische Elemente die Versorgung mit elektrischem Strom übernehmen.

Einen imposanten Eindruck macht die ganze Anlage, und doch ist Professor Deleuil nicht restlos befriedigt, denn die störenden Nebenerscheinungen, welche die Chemikalien nun einmal hervorrufen, fallen ihm auf die Nerven. Er atmet auf, als es endlich so weit ist, als ein Bote von draußen ihm die Meldung Archereaus bringt, daß es Zeit ist, die Lampen einzuschalten. In der Tat ist die Dämmerung inzwischen hereingebrochen. Nur sehr mäßig ist der weite Platz um die Statue herum beleuchtet, denn der größte Teil der Gaskandelaber ist für diesen Abend außer Betrieb gesetzt.

Professor Deleuil geht zu den Schaltern und legt die Hebel ein; Batteriestrom fließt durch die an der Statue nach oben geführten Leitungen. Ein dumpfes Brausen von draußen, das bald in lautes Schreien und Jubeln übergeht, gibt ihm Kunde davon, daß die Lampe auf dem Denkmal brennt. Er trocknet sich die feuchte Stirn und tritt aus dem Batterieraum ins Freie; muß erst ein paarmal kräftig Luft holen, um das beklemmende Gefühl auf der Brust loszuwerden, und sieht sich dann um, schaut nach oben und läßt seine Blicke über den weiten Platz gehen. Einen Seufzer der Erleichterung stößt er aus. Die Lampe Archereaus funktioniert. Ein mächtiges, breites Lichtbündel geht von der Statue aus und läßt weite Teile des Platzes in silberhellem Licht aufleuchten. Düster und unscheinbar wirken daneben die wenigen Gaslampen, die man zur Sicherheit brennen ließ. Grell treten einzelne Gruppen der vielen Zuschauer hervor, die von der vollen Stärke der Lichtbündel angestrahlt werden. Jede Einzelheit der Gesichtszüge, jede Bewegung der lebhaft gestikulierenden Menge kann Deleuil deutlich erkennen.

Noch einmal schöpft er tief Atem. Erst jetzt, da die Nervenspannung sich löst, machen die Anstrengungen der letzten Stunden sich bei ihm bemerkbar. Für einen Moment muß er sich an das Mauerwerk des Sockels lehnen, ruhen, neue Kräfte für die nächsten Stunden sammeln. Minutenlang schließt er die Augen, öffnet sie dann wieder und hat jedesmal das gleiche Bild vor sich. Eine von dem ungewohnten Schauspiel freudig erregte Menge, aus der ihm die nächststehenden jetzt zujubeln, als sie den im Schatten des Postaments stehenden Mann entdecken. Schon werden Rufe laut: »Hoch Professor Deleuil!« Einige aus der Menge, die um sein Verdienst um das Zustandekommen dieser Illumination wissen, haben es zuerst gerufen, und wie eine Parole läuft es nun schnell durch die Massen weiter.

Bogenlichtbeleuchtung auf der Place de la Concorde in Paris, 1843

Da hält es Deleuil nicht mehr länger an seinem Platz aus. »Vive Archereau!« schreit er und kehrt wieder in den Elementenraum zurück. Wohl hätte er noch Zeit, könnte draußen frische Luft schöpfen, denn für die nächste Stunde werden die Batterien keiner Nachfüllung bedürfen, aber er möchte sich diesen Ovationen entziehen – so lange wenigstens, bis die Lampe vier Stunden hindurch gebrannt hat und das Experiment vollkommen geglückt ist. Schwer legt sich ihm der Säuredunst auf die Lungen, als er wieder in dem Sockelraum steht. Dunkel wirkt die Kerzenbeleuchtung hier, nachdem seine Augen das glänzende Licht draußen geschaut haben. Minuten verstreichen, bevor er wieder Einzelheiten erkennen kann, und fast bringt es ihm Erleichterung, als er Gelegenheit findet, seinen Assistenten die Meinung zu sagen.

»Sind Sie ganz von Gott verlassen, Monsieur Noir«, fährt er den dritten Laboranten an. »Sie stehen in der klaren Schwefelsäure. Ihr Schuhwerk wird Ihnen heute abend in Fetzen von den Füßen fallen. Meine Herren, ich beschwöre Sie«, fährt er an alle drei Assistenten gewandt fort, »seien Sie doch vorsichtig. Die Säuren dürfen nicht vergossen werden!« Er deutet auf eine Ecke des Raumes. »Da steht eine Kiste mit Sägespänen, streuen Sie davon etwas über die Säurelachen aus.«

Seiner Anordnung wird Folge geleistet, aber es genügt ihm noch nicht, öfter als einmal müssen Carpentier und Bricout die Kiste draußen mit Sand füllen und diesen innen im Raum verstreuen, bis der Boden wieder vollkommen trocken ist.

Eine Stunde ist darüber verstrichen, und Professor Deleuil hält es an der Zeit, nun frische Teile der Batterie an die Lichtleitung an- und andere dafür abzuschalten. Das ist bald geschehen, doch nun beginnt der nächste Teil der Arbeit, der fast noch schwieriger ist als die erste Füllung der Batterie.

Es handelt sich darum, die verbrauchte Salpetersäure aus den Diaphragmen zu entfernen und durch frische zu ersetzen. Glasheber hat Professor Deleuil für diesen Zweck mitbringen lassen. Seine Assistenten kennen diese Apparate, denn oft genug haben sie damit in seinem Laboratorium gearbeitet. Aber hier in dem engen, schlecht beleuchteten Raum und in der Hast geht das doch nicht so glatt wie daheim im Laboratorium. Immer wieder muß er selbst zugreifen, um Unheil zu verhüten, um vor allen Dingen zu verhindern, daß nicht etwa Salpeter- und Schwefelsäure irgendwo zusammenkommen. Er hat keinen trockenen Faden mehr am Leibe, als die Frischfüllung endlich erledigt ist, und eine zweite Stunde ist beinahe darüber vergangen. Schon wieder wird es Zeit, eine Abschaltung vorzunehmen. Nur für einen Augenblick hat er danach Zeit, hinauszugehen. Ein Blick überzeugt ihn, daß das Licht nach wie vor in der alten Stärke brennt, und daß die Menge auf dem Platz inzwischen noch größer geworden ist. Dann muß er wieder zurück zu den Elementen, und das Auffüllungsmanöver beginnt von neuem.

Dr. Archereau hat bei dieser Illumination bestimmt das bessere Teil erwischt, geht es ihm durch den Kopf, während er wieder frische Säure in die Diaphragmen hebert und zwischendurch wieder husten und spucken muß. Der sitzt da oben in luftiger Höhe und braucht sich nur um seine Lampe zu kümmern.

Er tut dem Kollegen dabei in Gedanken unrecht, denn auch der hat es nicht leicht. In frischer Luft ist er da oben auf den Knien der Statue allerdings, aber warm ist ihm inzwischen auch geworden. Gewiß, seine Lampe funktioniert. In regelmäßigen Abständen beginnt das Uhrwerk zu schnurren und schiebt die Kohlenstifte dem Abbrand entsprechend nach. Aber hin und wieder gibt es doch eine Hemmung. Da klemmt sich hier eine Zahnstange, da wollen dort zwei Zahnräder nicht recht vorwärts, und Dr. Archereau muß auf der Konsole herumturnen, um das Werk mit sanfter Gewalt wieder in Gang zu bringen. Allzuviel Zeit, die Illumination auf der Place zu bewundern, bleibt ihm dabei kaum. Auch ist es mit der Blendung eine üble Sache. Hat er einmal, ohne das schwarze Schutzglas zu benutzen, in den Lichtbogen gesehen, so ist er für die nächste Minute fast blind und muß seinen Augen erst Zeit zum Ausruhen gewähren, bevor er eine neue Kletterpartie riskieren kann. Gott sei Dank ist er wenigstens schwindelfrei, aber auch er wünscht allmählich das Ende dieser Vorführung herbei und fängt an, die Minuten zu zählen.

Erfreulicherweise macht Kollege Deleuil unten bei den Batterien seine Sache tadellos. Der Strom fließt der Lampe in ungeschwächter Stärke zu, und nach wie vor bestrahlt das breite Lichtbündel den weiten Platz, die springenden Fontänen und die wogende Zuschauermenge.

Die vierte Stunde, die letzte der geplanten Vorführung, ist darüber herangekommen. Das Lampenwerk hat sich jetzt gut eingearbeitet. Nur noch selten braucht Dr. Archereau daran zu rütteln, dafür macht er sich jetzt den Spaß, den Parabolspiegel hinter dem Lichtbogen etwas zu bewegen und auf diese Weise verschiedene Stellen des Platzes anzustrahlen; das dumpfe Brausen, das aus der Tiefe zu ihm empordringt, zeigt ihm, daß auch dies neue Schauspiel Gefallen findet. Die letzte Viertelstunde ist angebrochen. Gerade macht sich Dr. Archereau wieder an dem Spiegel zu schaffen, als sich eine Stimme hinter ihm vernehmen läßt. Es ist Professor Deleuil, der bei den Batterien nun nichts mehr zu tun hat. Da hielt es ihn nicht länger dort unten. Auf der langen Feuerleiter ist er emporgeklettert und steht jetzt neben Dr. Archereau.

»Allô, Docteur!« ruft er ihn an, und die ganze alte Lebhaftigkeit klingt wieder aus seinen Worten. »Nun haben wir's geschafft. Diese letzten zehn Minuten kann es keinen Zwischenfall mehr geben . . . Wir haben unseren Namen heute einen Platz auf den Geschichtstafeln der Technik gesichert. Wir sind die Pioniere einer neuen Zeit!« Er wendet sich um und blickt über die Place de la Concorde. Weithin fluten über den mächtigen Raum die Strahlen des elektrischen Bogenlichtes. Rot und gelb glänzen in ihrem Schein die herbstlich gefärbten Baumkronen der beiden großen Gärten, die sich dem Platz anschließen. Wie in einem Fiebertaumel wogt unten die von dem Schauspiel begeisterte Menge auf und ab.

Dr. Archereau sieht auf seine Uhr. »Noch zwei Minuten«, konstatiert er . . ., »noch eine Minute«, stellt er etwas später fest, und dann kommt der Augenblick, da er zu dem Schalter greift. Mit einem Schlag erlischt das Lichtmeer. Im Dunkeln liegt der Platz, von dem Geräusch in die Höhe dringt. Beifall der vielen tausend Zuschauer, gemengt mit einem enttäuschten Gemurmel, daß die Illumination schon zu Ende ist. –

Im Sockelraum stehen die drei Assistenten von Professor Deleuil bei der Batterie. Sie sind abgekämpft und froh, daß die Sache glücklich vorbei ist.

»Tolle Idee von Professor Deleuil«, meint Bricout, »alle Tage möchte ich das um mein Leben nicht machen. Weiß der Teufel, wie er auf diese Idee verfallen ist.«

»Der Chef weiß, was er tut«, mischt sich Noir ein, »er wird morgen wieder eine gute Presse haben. Passen Sie auf, meine Herren, unser Chef hat noch eine Karriere vor sich.«

Carpentier hat schweigend zugehört. Jetzt zuckt er mit den Achseln. »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, äußert er sich skeptisch. »Sehen wir einmal von unserer Arbeit und verdorbenen Kleidung ab und ziehen das Resultat. Vier Stunden hindurch haben wir eine Lichtquelle mit 12 000 Kerzenstärken brennen lassen. Das sind 12 000 Kerzenstärken über vier Stunden oder 48 000 Kerzenstunden. Gekostet hat uns der Spaß 12 000 Franken. Das macht also 25 Centimes für die Kerzenstunde. Der Scherz ist reichlich teuer. Ich glaube, so bald wird es eine zweite Illumination dieser Art in Paris nicht geben.« –

Schaltung einer Differential-Bogenlampe

 


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