Hans Dominik
Flug in den Weltraum
Hans Dominik

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine eigenartige Aufnahme fand die Nachricht in England. Obwohl es doch eine Trauerkunde war, las das britische Volk aus dem Bericht Browns, den alle Zeitungen wortgetreu veröffentlichten, einen Erfolg heraus. Gewiß, Dr. Lee hatte sein kühnes Unternehmen mit dem Leben bezahlt und zwei Gefährten mit ins Verderben gerissen; aber er war nicht gestorben, ohne vorher sein Ziel erreicht zu haben. Als erste hatten diese Forscher den Boden eines anderen Gestirns betreten. Ikaridenlos hatte sie getroffen, doch für immer würden ihre Namen in der Geschichte der Weltraumschifffahrt fortleben. Unsterblichen Ruhm hatten sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für die ganze Menschheit gewonnen. So feierte man die drei Toten als Helden und bereitete für den einzigen Überlebenden große Ehrungen vor.

Anders wurde die Nachricht in Gorla aufgenommen . . . Auch hier studierte man den Bericht Browns sorgfältig, aber man las ihn mit kritischen Augen und suchte die Ursachen zu ermitteln, die zur Katastrophe geführt hatten. In einer Besprechung, die darüber bei Lüdinghausen stattfand, legte Dr. Hegemüller seine Auffassung klipp und klar dar.

»Eine Landung auf dem Mond«, so führte er dabei aus, »wird stets ein Spiel mit dem Tode sein, wenn es nicht gelingt, sichere Schutzmittel gegen die extremen Temperaturunterschiede zu entwickeln. Das hat Doktor Lee versäumt, und darum mußte er schon kurz nach dem Verlassen seiner Rakete zugrunde gehen.«

»Wie denken Sie sich diese Schutzmittel?« wünschte Lüdinghausen zu wissen.

»Ich habe überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, Herr Professor«, meinte Hegemüller darauf, »denn ich halte eine Landung auf unserem Trabanten für zwecklos und überflüssig. Wir wissen seit langem, daß auf diesem toten Gestirn nichts zu holen ist. Später einmal, wenn wir die Technik der Raumfahrt weiterentwickelt haben, wird man daran denken können, auf unseren beiden Nachbarplaneten zu landen . . .«

»Stopp, Hegemüller! Ihre Phantasie geht mal wieder mit Ihnen durch«, unterbrach ihn Chefingenieur Grabbe.

»Ich sagte ›später‹, Herr Grabbe«, verteidigte Hegemüller seinen Standpunkt. »Viel später; wer weiß, ob wir es noch erleben werden, denn dazu wird noch unendlich viel Entwicklungsarbeit zu leisten sein. Unternehmungen mit unzureichenden Mitteln, die zum Scheitern verurteilt sind, sollte man besser unterlassen, und ich kann dem toten Doktor Lee einen gewissen Vorwurf nicht ersparen.«

»Immerhin hat er sein Ziel erreicht«, warf Lüdinghausen ein.

»Er kannte die Energiespeicherung noch nicht oder hat jedenfalls keinen Gebrauch davon gemacht«, fuhr Hegemüller in seiner Auseinandersetzung fort. »Um ein Haar wäre deshalb auch der vierte Mann noch zugrunde gegangen. Nur der Glücksumstand, daß die Rakete in tiefe See abstürzte, hat ihn vor dem Schicksal der anderen bewahrt. Die Treibkraft der Strahlung ist während einer Raumfahrt unser wertvollstes Gut. Wir sind verloren, wenn sie vorzeitig zu Ende geht. Daran müssen wir immer denken. Bei jeder neuen Maschine, die wir bauen, müssen wir den Vorrat an treibender Energie vergrößern und die Speicherung noch weiter verbessern. Höchste Sicherheit für das Raumschiff und seine Insassen muß unser Ziel sein.«

Weiter ging die Debatte, in deren Verlauf Grabbe und Hegemüller ihre Ideen über eine zuverlässige Navigation im Weltraum entwickelten.

»Nun, das liegt alles noch in weiter Ferne«, bemerkte Lüdinghausen. »Vorläufig wollen wir einmal abwarten, was unsere amerikanischen Freunde mit ihrer neuen Rakete erreichen werden. Ich hörte heute früh, daß der Start schon übermorgen stattfinden soll.«

Dr. Hegemüller machte eine wegwerfende Bewegung. »Es wird dabei kaum etwas Aufregendes geben. O'Neils beabsichtigt, den Erdball auf dem 38. Breitengrad, auf dem Washington liegt, zu umfliegen. Das ist eine Strecke von rund dreißigtausend Kilometern. Wir haben bei unserer Mondumschiffung mehr als das Zwanzigfache zurückgelegt. Aber das ist noch winzig, wenn man einen Verkehr zu den nächsten Planeten ins Auge faßt. Hundert Millionen Kilometer sind es bis zum Mars, siebzig Millionen Kilometer bis zur Venus. Das ist ein Vielhundertfaches der Entfernung zum Mond. Diese Riesenentfernungen zu beherrschen, muß unser künftiges Ziel sein.«

»Keine Zukunftsmusik, Herr Doktor«, wehrte Lüdinghausen den Übereifer Hegemüllers ab, »unsere nächste Aufgabe ist es, die Strahlrakete zu einem unbedingt zuverlässigen irdischen Verkehrsmittel zu entwickeln und dabei aus den Fehlern anderer möglichst viel zu lernen. Aus diesem Grunde war mir die Verzögerung beim Bau unserer neuen Verkehrsmaschine nicht einmal unwillkommen. Wir werden auf diese Weise auch noch die Erfahrungen, die O'Neils bei seinem Flug sammelt, für uns nutzbar machen können.«

»Was haben Sie noch auf dem Herzen, Hegemüller?« fragte Chefingenieur Grabbe, als Dr. Hegemüller etwas Unverständliches vor sich hin brummte.

»Es wäre mir lieber, Herr Grabbe«, meinte der darauf, »wenn unsere Verkehrsmaschine schon zum Start bereitstände. Wir könnten dann dem Professor O'Neils zu Hilfe kommen, falls ihm bei seinem Flug etwas zustoßen sollte.«

»Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Herr Hegemüller«, beendete Lüdinghausen die Diskussion. »Ich bitte die Herren, in dem besprochenen Sinne weiterzuarbeiten.«

Während Grabbe und Hegemüller über den Werkhof zu ihren Büros zurückkehrten, griff der letztere das eben behandelte Thema noch einmal auf.

»Gott sei Dank sind wir mit unserem Bau doch schon ein Stück weiter, als Herr Professor Lüdinghausen denkt. Im Notfall könnten wir in den nächsten Tagen aufsteigen.«

Chefingenieur Grabbe schüttelte den Kopf. »Sie werden mir immer mehr ein Rätsel, Herr Hegemüller. Einerseits tragen Sie sich mit Plänen, die man wahrhaft himmelstürmend nennen muß; andererseits befürchten Sie, daß O'Neils bei seinem Flug etwas zustoßen könnte. Daraus mag ein anderer klug werden.«

Hegemüller zuckte die Achseln. »Man hat manchmal Ahnungen, Herr Grabbe«, meinte er nach einer längeren Pause. »Ich werde ein eigenartiges Gefühl nicht los.«

»Behalten Sie Ihre Ahnungen und Befürchtungen lieber für sich, Herr Hegemüller«, sagte Chefingenieur Grabbe, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete.

* * *

Der große Tag, auf den die gesamte Presse bereits seit vielen Wochen hingewiesen hatte, war gekommen. Die Verkehrsrakete lag startbereit auf der Rasenfläche zwischen dem Carnegie-Building und der Douglas Memorial Hall. Unterstützt von Watson, empfing Professor O'Neils die geladenen Gäste und führte sie durch die neuen Räumlichkeiten der Maschine. Herzlich begrüßte er seine Fachgenossen von den anderen Universitäten, während Watson sich besonders den Vertretern der Presse widmete.

Während er ihnen ihre Plätze auf bequemen Sesseln neben großen Fenstern anwies, während auf Tischchen aus blinkendem Leichtmetall Erfrischungen aller Art vor die geladenen Gäste hingestellt wurden, kam Watson unwillkürlich die Erinnerung an seinen ersten heimlichen Flug mit der Rakete, die Dr. Hegemüller aus einer Versuchskammer improvisiert hatte. Welch gewaltige Entwicklungsarbeit war hier geleistet worden! Konnte man jene erste Maschine etwa mit einem unsicheren Nachen vergleichen, so entsprach diese große Verkehrsrakete hier zum mindesten einer mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten tüchtigen Jacht. Wie in dem Gesellschaftsraum eines Ozeandampfers konnten die Passagiere sich hier fühlen. Ein schwellender Teppich dämpfte die Schritte beim Umhergehen in der Kabine oder beim Platzwechsel. Schwere Tapeten bekleideten die Wände; geschmackvolle Beleuchtungskörper waren vorhanden, um den behaglichen Raum im Bedarfsfall mit einer Lichtflut zu erfüllen. Nichts erinnerte daran, daß man sich hier in einer Verkehrsmaschine befand; denn der Kommandoraum mit seinen mannigfachen Steuerorganen und vielen Dutzenden von Meßinstrumenten war von den Passagieren völlig getrennt.

Schon eilten die Füllfederhalter der Presseleute über das Papier, schon klapperte hier und dort eine Schreibmaschine, um die ersten Eindrücke festzuhalten und möglichst noch vor dem Start, der auf die zehnte Morgenstunde festgesetzt war, einen Stimmungsbericht fertigzustellen.

Stoff dafür gab ihnen auch die kurze Ansprache, zu der sich O'Neils um dreiviertel zehn erhob.

»Meine Herren«, begann er, »Sie kennen alle das bedauerliche Geschick, von dem die Expedition des Doktor Lee betroffen wurde. Bei dem Flug, den wir jetzt machen wollen, ist etwas Derartiges nicht zu befürchten, denn unsere Maschine ist nicht für die Raumschiffahrt bestimmt. Sie soll lediglich dem Verkehr auf unserem alten Erdball dienen und wird aus den Ihnen bereits bekannten Gründen nur bis zu einer Höhe von Hundert Kilometer aufsteigen.

Sie werden sich also während des Fluges immer noch im Schutz der irdischen Atmosphäre befinden. Der Zweck unserer Fahrt soll es sein, Ihnen die ungeheure Überlegenheit der Strahlrakete als Verkehrsmittel gegenüber den besten und schnellsten Stratosphärenflugzeugen zu demonstrieren. Ich beabsichtige, dem 38. Breitengrad, auf dem wir uns hier befinden, in westlicher Richtung zu folgen . . .« Auf einen Wink O'Neils' kam Watson herbei und verteilte Landkarten mit der eingezeichneten Flugstrecke an die Gäste, und nun gab es eine allgemeine Überraschung. Zu einem Probeflug mit seiner neuen Verkehrsrakete hatte O'Neils sie geladen, aber bisher kein Wort über das Ziel und die Länge des Weges verlauten lassen. Bisher wußten seine Freunde in Gorla und Tokio nur, was er eigentlich plante. Jetzt erst erfuhren es auch seine Gäste aus den Karten in ihren Händen, und mehr oder weniger machte ihr großes Erstaunen sich Luft.

Einen kurzen Flug etwa nach New York und die Küste hinauf und wieder zurück hatten die meisten erwartet und sahen nun, daß es sich um eine Umfliegung des ganzen Erdballes handelte. Von mehr als einer Seite wurden Zweifel an der Ausführbarkeit geäußert. Andere wollten wissen, wann man wieder zurück sein würde. Eine kurze Weile ließ O'Neils sie reden, dann ergriff er wieder das Wort. »Wir werden um zehn Uhr starten und nach vier Stunden und zehn Minuten wieder zurück sein. Sie werden mit Ihren Berichten noch bequem zurechtkommen, meine Herren.« Seine Worte erregten erneut Verwunderung, und einige seiner Zuhörer begannen zu rechnen. Sie warfen Zahlen auf das Papier, multiplizierten und stutzten, während sie das Endergebnis niederschrieben. Mit 120 Kilometer in der Minute, mit zweifacher Granatengeschwindigkeit mußte diese Zauberrakete dahinstürmen, wenn sie den Flug wirklich in der von O'Neils angegebenen Zeit vollenden sollte. Bedenklich wurde manche Miene, während Blätter mit solchen Berechnungen von Hand zu Hand gingen. Schon erwog es der eine oder andere bei sich, ob es nicht angebracht sei, auszusteigen, bevor es zu spät wäre, als Henry Watson die Raketentür zuschlug und die Schrauben anzuziehen begann, die ihren luftdichten Verschluß gewährleisteten.

Währenddessen ging O'Neils von Platz zu Platz und gab die letzten Anweisungen. Die weich gepolsterten und mit hohen Rücken- und Armlehnen versehenen Sessel waren auf dem Fußboden drehbar befestigt. Sie wurden jetzt sämtlich so geschwenkt, daß die Passagiere nach vorn in die Flugrichtung blickten. Außerdem waren die Sessel mit elastischen Riemen ausgestattet, und O'Neils sorgte dafür, daß sich jeder so fest anschnallte, daß er durch den Beschleunigungsdruck nicht von seinem Sitz geschleudert werden konnte. Dann noch ein letztes Winken mit der Hand, und er trat, gefolgt von Watson, in den Kommandostand. Als die Tür ins Schloß fiel, zeigte die Uhr eine Minute vor zehn.

Ein leises Schüttern ging durch das Raketenschiff. Leicht hob es sich vom Boden ab, stieg etwa hundert Meter senkrecht empor und schoß dann plötzlich in jäher Fahrt schräg nach oben gerichtet vorwärts. Im gleichen Augenblick fühlten die Insassen des Passagierraumes, wie ihre Körper mit vollem Gewicht nach rückwärts in die Polster gedrückt wurden. Sie hatten ein Gefühl, als säßen sie nicht mehr aufrecht, sondern schräg hingestreckt, und empfanden, wie nützlich die Halteriemen waren.

Erst nach vielen Sekunden versuchte der eine oder andere den Kopf zu wenden und einen Blick nach dem Fenster zu tun.

Tief unter ihnen flogen Städte und Dörfer dahin. Immer kleiner wurden die Ortschaften, kaum noch konnte man die Straßen und Eisenbahnlinien erkennen. Sie stiegen ständig . . . Felder und Wälder verschmolzen zu einem schmutzigen Graugrün. Nun lag ein dunkler, fast schwarzer Flecken genau unter ihnen.

»Indianapolis«, sagte einer, der die Landkarte mit der eingezeichneten Flugstrecke in der Hand hielt. Andere sahen gleichfalls betroffen auf die Karte und schüttelte den Kopf.

»Dabei fliegen wir kaum einige Minuten«, sagte einer der Journalisten.

Immer höher stieg die Rakete. Dunkler hatte sich der Himmel inzwischen gefärbt. In einer Höhe von 30 Kilometern stürmte die Rakete jetzt nach Westen. Ein Flußlauf blinkte herauf, schmal nur wie eine Messerschneide. »Das ist der Missouri«, sagte einer leise. »Dort hinten im Dunst liegt Omaha.«

Wieder tauchte nach wenigen Minuten, kaum noch wahrnehmbar, ein großer dunkler Fleck in dem Graugrün auf.

»Denver«, sagte einer kopfschüttelnd. Eine Seenfläche schillerte schwach herauf.

»Der Salzsee«, riefen mehrere zugleich. Fassungslos starrte alles durch die Fenster.

Und dann, wenige Minuten später, blinkte eine riesige spiegelnde silberne Fläche herauf.

»Der Stille Ozean«, sagte einer der Professoren. Sein Nachbar hob seine linke Hand, um auf seine Armbanduhr zu sehen. »Verlassen Sie sich nicht auf Ihre Uhr, unter dem Einfluß des beschleunigten Druckes muß sie stark nachgehen.«

»Die elektrische Wanduhr da vor Ihnen geht richtig. Ich habe nach dieser Uhr festgestellt, daß wir von Washington aus den Kontinent in 25 Minuten und 10 Sekunden überflogen haben.«

»Das heißt«, mischte sich ein Dritter ins Gespräch, »daß wir in diesen 25 Minuten über dreitausenddreihundert Kilometer geflogen sind. Das ist über alle Begriffe schnell. Unser Kollege O'Neils hat recht. Die Strahlrakete übertrifft die Leistungen der Stratosphärenschiffe himmelweit. Die Beweisführung für seine Behauptung ist ihm jetzt schon gelungen.«

Während man noch weitersprach, verfolgte Professor Schweitzer, einer der bisher schweigsamen Wissenschaftler, gespannt den Sekundenzeiger der Wanduhr.

»Achtung! Jetzt!« rief er. Im gleichen Augenblick ließ die drückende Beschwerung nach, welche die Insassen der Rakete bisher in ihre Sessel gepreßt hatte. Fast gleichzeitig kam auch Professor O'Neils aus dem Kommandostand in den Passagierraum.

»Sie können die Riemen lösen und sich frei bewegen«, rief er seinen Gästen zu. »Wir haben die vorgeschriebene Sekundengeschwindigkeit erreicht und brauchen für die nächste Zeit keine Beschleunigung mehr.«

Zunächst noch zögernd folgten die Gäste O'Neils' seiner Aufforderung und schnallten die Riemen, mit denen sie an ihre Plätze gefesselt waren, auf. Immer noch vorsichtig erhob sich hier und dort einer aus dem Sessel und mußte eine wunderliche Erfahrung machen. O'Neils hatte mit seiner Behauptung recht; man konnte sich frei bewegen, doch fast ein wenig zu frei. Bei der Geschwindigkeit, mit welcher die Rakete jetzt den Erdball umfuhr, wirkte sich die Fliehkraft in einer starken Verringerung des Körpergewichtes aus. Wer sich allzu lebhaft aus seinem Sessel erhob, sprang dabei ungewollt einen Meter in die Höhe und fiel nur sehr langsam auf seine Füße zurück; doch schnell gewöhnten sich die Fluggäste an das Neue. Rede und Gegenrede flogen hin und her. Man sprach den Erfrischungen zu, schilderte sich dabei gegenseitig, was man während der Beschleunigungsperiode empfunden hatte, und harrte gespannt der Dinge, die noch kommen sollten.

»Per bacco! Wo bleibt die Sonne?« rief der Korrespondent des »Corriere de la sera«, Signor Alfieri, der die Frage an Pascoli, den Vertreter des »Popolo Romano«, stellte.

Ja, wo war die Sonne geblieben? Als die Rakete vor nicht einer halben Stunde in Washington startete, stand das Tagesgestirn im Südosten ziemlich hoch am Himmel. Unverkennbar – das stellten an den Fenstern jetzt viele fest – war die Sonne in der kurzen Zeit zurückgewandert und tief gesunken. Schon strahlte sie nicht mehr weiß, sondern kupferrot, schon berührte ihre Scheibe weit hinten im Osten die Kimme, wo Himmel und See sich zu treffen schienen.

Watson, der sich im Kommandostand aufhielt, bekam jetzt auch als Funker zu tun. Von allen Seiten wurden ihm Blätter gebracht, auf denen die Pressevertreter die Eindrücke dieser Minuten schilderten. Berichte, in denen die Schlagzeile »Fünfmal schneller als die Sonne!« öfter als einmal wiederkehrte. Sie verlangten dringend, daß es schon von hier aus gefunkt würde, und wohl oder übel mußte Watson sich ihren Wünschen fügen. Er konnte es tun, da die Steuerung der Rakete zur Zeit kaum eine besondere Bedienung erforderte. Ihre Triebkraft war so eingestellt, daß sie den Geschwindigkeitsverlust, den die Maschine sonst durch die Reibung erlitten hätte, gerade ausglich.

Diese unvermeidliche Reibung hatte O'Neils bei der Planung seines Fluges manche sorgenvolle Stunde bereitet. Er wußte, daß die aus dem Weltraum auf die Erde stürzenden Meteore infolge der Reibung aufglühen und als Sternschnuppen sichtbar werden, obwohl die Atmosphäre dort sehr stark verdünnt ist. Aber es war ihm auch bekannt, daß diese Himmelsvagabunden mit zwanzig und mehr Kilometern in der Sekunde in die Lufthülle der Erde einschlagen, und so hatte er sich für seinen Flug nach langem Überlegen und Rechnen zu einer Geschwindigkeit von zwei Sekundenkilometern entschlossen. Zwar machte sich auch bei dieser Geschwindigkeit die Luftreibung bemerkbar, doch sie hielt sich in erträglichen Grenzen. Die Metallwand der Rakete wurde durch sie gerade so stark erwärmt, daß in ihrem Innern eine angenehme Zimmertemperatur vorhanden war, während draußen Weltraumkälte herrschte.

Henry Watson war also fleißig beim Funken. Die Verbindung mit der Kurzwellenstation in Washington war überraschend schnell hergestellt, und unablässig ließ er die Morsetaste klappern, während die Presseleute ihm immer neue Manuskripte brachten. Sie hätten das vielleicht nicht getan, wenn sie gewußt hätten, daß ihre Berichte nicht nur von der amerikanischen Station, sondern auch von vielen anderen Stellen empfangen und als Sensationsmeldungen ersten Ranges sofort in den verschiedenen Landessprachen weitergegeben wurden. So konnten einige europäische Zeitungen der verschiedenen Ortszeit wegen schon früher als die amerikanischen Blätter Berichte über den Flug O'Neils veröffentlichen.

Wieder war eine Viertelstunde verstrichen. Tiefe Nacht war es inzwischen geworden, nur die Mondsichel stand zwischen hell strahlenden Sternen am Himmel.

»Auf der Erde unter uns ist es eben ein Uhr nachts«, sagte Schweitzer zu seinem Nachbarn, Dr. Oriola.

»Donnerstag ein Uhr früh«, erwiderte dieser nach kurzem Überlegen.

»Selbstverständlich, Donnerstag! Am Donnerstag früh um zehn Uhr sind wir ja in Washington gestartet«, meinte Professor Schweitzer. »Aber es wird nicht ewig Donnerstag bleiben.«

»Das natürlich nicht, Herr Kollege. Auf den Donnerstag pflegt der Freitag zu folgen.« Ein Lächeln ging über die Züge Dr. Oriolas, während er es sagte.

»Nicht immer«, führte Mr. Schweitzer die Diskussion weiter. »In unserem besonderen Fall wird erst noch einmal der Mittwoch kommen. Jetzt zum Beispiel«, fuhr er nach einem Blick auf die Wanduhr fort, »jetzt dürfte die Ortszeit unter uns etwa vierundzwanzig Uhr sein. Jetzt stoßen wir aus dem Donnerstag wieder in den Mittwoch zurück, weil unsere Rakete die bewegliche Datumsgrenze in der Richtung von Osten nach Westen überschritten hat.«

Für eine kurze Zeit schienen die Ausführungen Schweitzers Professor Oriola zu verwirren, doch schnell faßte er sich wieder.

»Selbstverständlich, das hatte ich übersehen. Natürlich mußten wir bei unserer Jagd um den Erdball noch einmal in den Mittwoch eintauchen, aber wir werden nicht lange darin bleiben. Auf dem 180. Längengrad überschreiten wir ja die feste Datumsgrenze und haben den Donnerstag wieder eingeholt.«

Im Innern der Rakete waren sämtliche Beleuchtungskörper eingeschaltet, ein angenehmes Licht erfüllte den Raum, doch trotzdem überkam eine schläfrige Abendstimmung die Gäste O'Neils'. Sie ließen Federhalter und Schreibmaschine ruhen, machten es sich in ihren Sesseln bequem und dämmerten behaglich vor sich hin. Die Gespräche waren verstummt, Stille herrschte im Raum, so daß überall die Worte gehört wurden, die Professor Schweitzer an seinen Nachbarn richtete.

»Jetzt müßten wir ungefähr dicht bei der Datumsgrenze sein. Wenn nicht die endlose Flut des Ozeans, sondern bewohntes Land unter uns läge, müßten die Uhren dort ungefähr die zweiundzwanzigste Stunde zeigen. Eben noch die zweiundzwanzigste Stunde des Mittwochs und jetzt . . . wir haben die Grenze überflogen . . . dieselbe Stunde des Donnerstags.«

»Stimmt, Mr. Schweitzer. Unser Ausflug in den Mittwoch hat kaum mehr als eine Viertelstunde gedauert. Jetzt rollen wir den Donnerstag von seinem Ende nach seinem Anfang hin auf. Ich denke, über den japanischen Inseln werden wir schon wieder in die Abenddämmerung stoßen und über der Küste von Korea etwa die Sonne wieder aufgehen sehen.«

»Die Sonne wieder aufgehen sehen?« wiederholte der Korrespondent des »Corriere de la sera«, Guido Alfieri, ungläubig die letzten Worte.

»Sie haben richtig gehört, Mr. Alfieri«, wandte sich Dr. Oriola zu ihm hin. »Über dem Atlantik sahen wir auf unserem Flug nach Westen die Sonne hinter uns zurückbleiben und im Osten untergehen. Über der Pazifikküste Asiens werden wir sie, von Osten herkommend, wieder einholen, müssen sie also im Westen aufgehen sehen.«

Minute um Minute verstrich, während O'Neils' Rakete ihren Weg fortsetzte.

»Jetzt müßten wir wohl schon die japanischen Inseln unter uns haben«, hatte Mr. Schweitzer eben zu seinem Kollegen gesagt, als vor ihnen im Westen der Horizont eine Aufhellung zeigte, die langsam rötliche Färbung annahm.

»Die Abenddämmerung! Wir haben sie erreicht«, rief Oriola. Er hatte den Satz kaum vollendet, als die Sonnenscheibe langsam über der Westkimme emporstieg, als ihre Strahlen durch die Fenster der Rakete in deren Inneres fielen. Schon wurden die Lampen ausgeschaltet; schon wich die nächtliche Stimmung, welche die Passagiere der Rakete während der kurzen Zeit der Dunkelheit befallen hatte, wieder von ihnen. Schon begann hier und dort wieder eine Schreibmaschine zu klappern, als ein jäher schriller Klang die Gäste O'Neils' zusammenfahren ließ. Im nächsten Augenblick wurde die Tür zum Kommandoraum aufgerissen, und Watson erschien in ihrem Rahmen. Mit lebhaften Gesten bedeutete er Professor O'Neils, zu ihm in den Kommandostand zu kommen. Mit schnellen Schritten war O'Neils bei ihm, zog ihn in den Kommandoraum hinein, schloß die Tür wieder zu.

»Was ist's, Watson? Was hat's gegeben? Was war das für ein Klang?«

»Ein Unglück, Herr Professor. Die Hauptsteuerwelle ist gebrochen.«

»Die Hauptsteuerwelle gebrochen? Wo ist sie gebrochen?«

»Im Lagergehäuse. Ich fürchte, die schroffe Temperaturdifferenz ist die Ursache gewesen. Drinnen zwanzig Grad Wärme, draußen hundertfünfzig Grad Kälte. Nur so kann ich's mir erklären. Der Werkstoff, aus dem wir sie schmieden ließen, war bester Edelstahl.«

O'Neils sprang zu dem Steuerstand und bewegte die Hauptkurbel. Viel leichter als früher ließ sie sich drehen. Ein Blick durch die Fenster zeigte O'Neils, daß die Treibflächen der Bewegung nicht folgten, sondern regungslos in ihrer Lage verharrten. Die Rakete war durch den Unfall steuerlos geworden. Einen Augenblick wollte O'Neils unter dieser Erkenntnis zusammenbrechen, dann raffte er sich auf.

»Funken Sie, Watson!« schrie er seinen Gehilfen an. »Versuchen Sie Verbindung zu bekommen . . . mit Hidetawa in Tokio oder mit Gorla! Es sind die einzigen Stellen, die uns Hilfe bringen können.«

Während Watson am Kurzwellensender arbeitete, saß O'Neils in sich zusammengesunken in einem Sessel. Die Hände vor die Augen gepreßt, überdachte er noch einmal die Lage, in die sie durch den Wellenbruch geraten waren. Es war nicht möglich, die Triebkraft der Rakete zu regeln. Unaufhaltsam würde sie mit der einmal erlangten Geschwindigkeit auf Westkurs weiter um die Erde stürmen, Tage, Wochen, bis die Strahlkraft ihrer Treibflächen sich erschöpft . . . oder bis . . . die neue Möglichkeit, die jetzt vor seinem geistigen Auge auftauchte, ließ O'Neils noch mehr erschrecken; die Treibflächen der Rakete waren nach dem Bruch der Welle ja nicht mehr in ihrer Steuerung fixiert. Ein äußerer Einfluß, verstärkte Luftreibung oder sonst etwas anderes konnte sie in eine andere Richtung rücken, und unabsehbar mußten dann die Folgen sein. Jeden Augenblick konnte diese Propagandafahrt, die er mit so stolzen Hoffnungen angetreten hatte, mit einer jähen Katastrophe enden.

In der sechsten Abendstunde des Donnerstag verließen Hidetawa und Yatahira die neue Werkhalle, die während der letzten Monate in dem Park Hidetawas entstanden war. Sie hatten die neue große Verkehrsmaschine besichtigt, die bis zum letzten Hammerschlag fertig in der Halle stand.

»Wenn wir es wollten, Meister«, sagte Yatahira, »könnten wir gleichzeitig mit den Amerikanern aufsteigen und ein Wettrennen veranstalten.« Er sprach die Worte, während sie den Weg nach dem Landhaus nahmen.

»Nein, Yatahira«, lehnte Hidetawa den Vorschlag seines Gehilfen ab. »Professor O'Neils hat die Idee eines Rundfluges zuerst gehabt. Wir wollen ihm nicht dazwischenfahren. Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer. Wir wollen zusammen hören, was das Radio über seinen Flug meldet.«

Während Hidetawa sich auf einem Kissen niederließ, ging Yatahira zu dem Empfangsgerät und stellte es auf Kurzwelle Washington ein. Amerikanische Laute erfüllten den Raum. Ein Bericht über die letzten Minuten vor dem Start von O'Neils' Rakete wurde gegeben, während der Uhrzeiger in Hidetawas Zimmer der Sechs immer näher rückte. Yatahira, der als Verbindungsmann längere Zeit in Washington war, beherrschte die englische Sprache genügend, um die Sendung zu verstehen. Aufmerksam hörte Hidetawa mit an, was sein Gehilfe ihm verdolmetschte.

»Eine Minute vor zehn Uhr. Die Tür der Rakete ist geschlossen. Die Maschine steigt empor . . . in hundert Meter Höhe schießt sie schräg aufwärts nach Westen davon. Wir wünschen Professor O'Neils und seinen Gästen einen glücklichen Flug.« Danach wurde es still im Lautsprecher.

»Jetzt sind sie auf der Fahrt. Mögen sie ihren Flug glücklich beenden.«

Hidetawa sprach die Worte nachdenklich vor sich hin, während Yatahira sich weiter an dem Empfangsgerät zu schaffen machte.

»Ich möchte versuchen, die Sendungen aus der Rakete selber aufzunehmen, Herr Hidetawa.«

»Es wird Ihnen kaum gelingen, Yatahira. In 2 bis 3 Stunden vielleicht wird es möglich sein, wenn das Strahlschiff O'Neils' über unserem Lande ist.«

Trotzdem versuchte Yatahira es weiter, und nach etwa einer Stunde gelang es ihm, Morsezeichen aufzufangen. Während er sie niederschrieb, gab er Hidetawa von dem Aufgenommenen Kenntnis.

»Die Rakete steht über dem Stillen Ozean . . . fünfmal schneller als die Sonne, funken die Berichterstatter, die O'Neils an Bord hat . . . bis jetzt glatter Flug . . . wunderbar, Meister, daß wir das so klar empfangen.«

Ununterbrochen kamen weitere Meldungen von der amerikanischen Rakete. Über das Wunder, rückwärts in die Zeit zu fahren, wieder in den schon vergangenen Tag zurückzukehren, funkten die Gäste O'Neils'.

Mit gleichmäßigem Nicken nahm Hidetawa auf, was ihm Yatahira übersetzte.

»Das hätten sie schon vorher wissen können . . .« murmelte er vor sich hin und versank wieder in Schweigen. Auch der Lautsprecher blieb still. Fast zwanzig Minuten verstrichen, ohne daß Morsezeichen in ihm aufklangen. Fragend wandte sich Yatahira an Hidetawa. »Keine Funksprüche mehr?«

Noch bevor Hidetawa etwas antworten konnte, kamen die Zeichen wieder. Zeichen, die Yatahira eilig niederschrieb und stückweise seinem alten Lehrer verdolmetschte.

Ein schriller Notruf war es. Die Kunde von einem schweren Maschinendefekt, von dem Bruch der Hauptsteuerwelle, durch den O'Neils' Strahlschiff die Manövrierfähigkeit verloren hatte. Bewegung kam in die regungslose Gestalt Hidetawas. Jäh richtete er sich auf, horchte gespannt auf jedes weitere Wort Yatahiras, während seine Rechte nach dem Fernsprecher griff, durch den das Zimmer direkte Verbindung mit der Werkhalle hatte.

»Alles sofort zum Start fertigmachen«, hörte Yatahira ihn in das Mikrophon sagen, sprach dann selbst weiter:

»Wir haben stärkere Zusatzbeschleunigung. Die Fliehkraft reißt uns nach oben. Wir steigen unaufhörlich . . .« Dann wurde es still. Es kamen keine weiteren Nachrichten mehr von der Rakete. »Kommen Sie!« Nur diese zwei Worte sagte Hidetawa, während er den Raum verließ und, fast schon laufend, der Werkhalle zueilte. Auf dem Fuße folgte ihm Yatahira.

Zusammen betraten sie die Halle. Der kurze Befehl, den Hidetawa vor wenigen Minuten durch den Fernsprecher gab, hatte bereits gewirkt. Seine neue Rakete stand startbereit. Eine auserlesene Mannschaft von sechs Köpfen war in dem Strahlschiff auf ihren Plätzen; das zweiteilige Dach der Halle war aufgeklappt, so daß die Maschine freie Fahrt nach oben hatte. Mit einem Blick überzeugte sich Hidetawa, daß die drei Kreiselkompasse der Rakete in Betrieb und bereits gerichtet waren. Eine Bewegung am Steuerhebel und die Maschine stieg in die Höhe und ging auf Nordwestkurs, um den achtunddreißigsten Breitengrad anzusteuern.

Der starke Beschleunigungsdruck zwang Hidetawa und Yatahira, in sicheren Sesseln Platz zu nehmen. Schweigend verharrten sie geraume Zeit, bis Hidetawa das Schweigen brach.

»Es ist keine leichte Aufgabe, Yatahira. Nur wenn wir Glück haben, werden wir sie finden, und dann kommt die andere, noch schwerere, sie zu retten.«

Unablässig war die Rakete gestiegen und hatte an Geschwindigkeit gewonnen. Schon seit Minuten lief sie mit genauem Westkurs auf dem achtunddreißigsten Breitengrad. Wieder setzte Hidetawa zum Sprechen an:

»Versuchen Sie Funkverbindung mit den Amerikanern zu bekommen.«

Yatahira schaltete an der Kurzwellenstation der Rakete und begann im nächsten Augenblick zu sprechen:

»O'Neils funkt, Herr Hidetawa, wir treiben in zweihundert Kilometer Höhe auf dem achtunddreißigsten Breitengrad nach West. Steigen nicht mehr weiter.«

Hidetawa griff nach einem Schreibblock, fing an zu rechnen und sprach dabei Worte und Zahlen vor sich hin:

»Zweihundert Kilometer, die Fliehkraft ausgeglichen . . .«

Er warf Zahlen auf das Papier, während seine Lippen weitere Worte formten:

»Jetzt kennen wir ihre Höhe, ihre Geschwindigkeit, ihren Kurs . . . ich hoffe, wir werden sie finden, Yatahira.«

Der erste SOS-Ruf O'Neils' war auch von der amerikanischen Kurzwellenstation empfangen worden und versetzte Washington in Bestürzung. Wie stolz und erfolgssicher war man noch vor wenig mehr als einer Stunde gewesen, und wie hoffnungslos erschien jetzt die Lage von O'Neils' Strahlschiff.

Gerüchte kamen auf und wurden bei ihrer Verbreitung weiter vergrößert; wurden immer phantastischer, je länger weitere Nachrichten ausblieben. Schon wollten die einen um einen vernichtenden Absturz der Rakete in Ostsibirien wissen, während andere es als sicher verkündeten, daß die steuerlose Maschine von der Erde abgetrieben sei und unrettbar im unendlichen Weltraum triebe.

Erst geraume Zeit nach dem Start hatte die Öffentlichkeit durch die Funksprüche der an Bord befindlichen Berichterstatter Genaueres über die Pläne Prof. O'Neils' gehört und erfahren, daß er um 14 Uhr 10 Minuten nach vollbrachtem Rundflug in Washington landen würde. Eine gewaltige Volksmenge hatte sich daraufhin in der Umgebung der Howard-Universität zusammengefunden, um die Landung zu sehen und O'Neils und sein Strahlschiff zu feiern. Noch harrten die Massen dort und zählten die Minuten, als auch hier . . . der Himmel mag wissen, von woher sie kamen . . . Gerüchte von einer Katastrophe auftauchten. Zuerst widersprach die Menge den Unglückspropheten, bedrohte sie tätlich, zwang sie, sich durch schnelle Flucht in Sicherheit zu bringen. Als aber der für die Landung in Aussicht genommene Zeitpunkt verstrich und kein Strahlschiff erschien, fanden die übertriebensten Vermutungen schnell Glauben und lösten eine panikartige Stimmung aus. Keiner von den vielen Tausenden der hier Versammelten konnte ja sehen oder auch nur ahnen, daß O'Neils' Strahlschiff schon geraume Zeit vor dem Landungstermin in riesiger Höhe über Washington dahingestürmt war und die zweite Umkreisung des Erdballs begonnen hatte.

»Ich hoffe, wir werden sie finden«, hatte Hidetawa zu seinem Gehilfen gesagt und die Geschwindigkeit seiner Rakete weiter erhöht. Automatisch wurde sie dabei durch die verstärkte Fliehkraft bis in eine Höhe von zweihundert Kilometern gehoben und stürmte mit der gleichen Geschwindigkeit wie das amerikanische Strahlschiff hinter diesem her. Noch um ein geringes vergrößerte Hidetawa die Schnelligkeit. Noch ein wenig höher stieg dabei die Maschine. In blinkendem Sonnenschein schoß sie jetzt dahin. In dunstigem Glast lag die weite Ebene der Mongolei unter ihr. Angestrengt blickte Hidetawa durch das Bugfenster.

»Unter uns voraus müssen wir sie suchen, Yatahira, wenn . . .« Er brach jäh ab und starrte mit zusammengepreßten Lippen in den flimmernden Äther; ein winziges, helles Pünktchen glaubte er weit voraus zu sehen.

»Funken Sie, Yatahira!« brach Hidetawa nach vielen Minuten das Schweigen. »Funken Sie an O'Neils, daß wir seine Maschine in Sicht haben und bereit sind, ihm zu Hilfe zu kommen.«

Noch wußten die Fluggäste nichts von dem Unheil, welches das amerikanische Strahlschiff betroffen hatte. Sie hatten Watson aus dem Kommandostand kommen und dann wieder mit O'Neils darin verschwinden sehen, ohne irgendwelchen Argwohn zu fassen. Die Pressevertreter arbeiteten an ihren Berichten. Oriola und Dr. Schweitzer waren in ein wissenschaftliches Gespräch vertieft. Geraume Zeit fiel keinem die Abwesenheit O'Neils' auf, bis Professor Schweitzer nach einer zufälligen Armbewegung die Stirn runzelte und seinen Nachbar fragend ansah. Der hatte schon die gleiche Entdeckung gemacht.

»Unser Körpergewicht ist gleich Null geworden. Unsere Geschwindigkeit muß sich vergrößert haben«, flüsterte er ihm zu.

»Sollte eine Störung in der Maschine sein?« mischte sich der dritte Wissenschaftler in das Gespräch seiner beiden Kollegen. »Watson schien mir erregt zu sein, als er O'Neils in den Kommandostand rief.«

»Um des Himmels willen, schweigen Sie!« raunte ihm Oriola zu. »Nur jetzt keine Panik. Wir müssen Ruhe bewahren, unser Freund O'Neils wird seine Sache schon machen.«

Totenblaß saß Professor O'Neils in einem Sessel des Kommandostandes. Mit müder Gebärde winkte er Watson ab, der verzweifelt auf der Morsetaste hämmerte. »Es ist zwecklos, Watson, wenn kein Wunder geschieht, sind wir verloren.«

Mechanisch gehorchte Watson dem Befehl und warf den Hebel der Funkstation wieder auf Empfang.

»Wir sind verloren«, fuhr O'Neils nach einer Weile fort. »Selbst wenn unsere Strahlflächen keine weitere Verstellung erfahren, sind wir rettungslos verloren. Es wird lange dauern, bis die Treibkraft des Strahlschiffes erschöpft ist. Wir werden alle längst erstickt oder verdurstet sein, während unsere Maschine immer noch wie ein Satellit um die Erde kreist. Es ist grauenhaft . . .« Verzweifelt schlug O'Neils die Hände vors Gesicht. Watson ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. Durch die Bewegung schoben sich die Kopfhörer, die er während der Worte O'Neils' nach hinten gerückt hatte, wieder auf seine Ohrmuscheln. Er achtete nicht darauf, bis er plötzlich Morsezeichen aufklingen hörte. Morsezeichen?! Wo kamen sie her? Wer konnte sie senden? Gespannt suchte er den Sinn des Funkspruches zu fassen: »Wir haben Sie in Sicht. Kommen Ihnen zu Hilfe.«

Es kamen keine weiteren Zeichen mehr. Mit einem Ruck warf Watson die Station wieder auf Sendung und ließ die Morsetaste klappern.

»Lassen Sie es doch, Watson! Es ist ja alles vergeblich«, hörte er dazwischen die Stimme O'Neils'.

»Nein, es ist nicht vergeblich!« schrie er zurück. »Es funkt jemand, der uns schon sieht, der uns zu Hilfe kommt.«

Entgeistert starrte O'Neils ihn an. Noch bevor er etwas zu sagen vermochte, hatte Watson seine Station schon wieder auf Empfang gestellt, hörte neue Zeichen, lauschte und rief wieder dazwischen O'Neils Bruchstücke des Vernommenen zu.

»Es ist Hidetawa mit seiner neuesten Maschine. Er hörte unseren ersten SOS-Ruf. Er ist sofort aufgestiegen und hat uns eingeholt. Er ist dicht hinter uns . . .«

Wie ein Verdurstender sog O'Neils gierig die Worte Watsons ein. Einen Augenblick schienen sie ihn aufzurichten, doch schnell sank er in die alte Mutlosigkeit zurück.

»Er kann uns nicht helfen, Watson. Beim besten Willen nicht. Es gibt kein Mittel, uns zu retten.«

Professor Schweitzer sah als erster das fremde Strahlschiff, das sich von oben herabsenkte. Dann sah es Oriola, und dann bemerkten es auch die andern Fluggäste. Fragen brandeten auf, Ausrufe der Verwunderung und bald auch der Besorgnis flogen hin und her. Eine maßlose Erregung bemächtigte sich der Fluggäste in der amerikanischen Maschine. Mehrere sprangen von ihren Sitzen auf, vergaßen, daß ihre Körper kein Gewicht mehr hatten, und blieben frei im Raum schweben, hilflos, bis andere nach ihnen griffen und sie wieder auf ihre Plätze herabzogen. Nur noch um ein geringes höher schoß das andere Strahlschiff jetzt neben dem amerikanischen mit genau der gleichen Geschwindigkeit durch den Äther. Zoll um Zoll schob es sich ganz allmählich immer dichter an O'Neils' Maschine heran, und dann gab es neue Aufregung unter den Insassen. Viele von ihnen stürzten in der Richtung nach vorn aus ihren Sesseln und spürten gleichzeitig, wie ihre Körper wieder etwas Gewicht gewannen.

»Unser Flug wird gebremst!« riefen fast gleichzeitig Schweitzer und Oriola. Für kurze Sekunden war das andere Strahlschiff ein Stück vorausgeschossen, und einen Moment hatten sie eine Schrift an dessen Heck sehen können, den Schiffsnamen wohl. Zu lesen vermochten sie ihn nicht, aber japanische Schriftzeichen schienen es ihnen zu sein.

»Was soll das alles bedeuten?« fragte Schweitzer.

»Es kann nur Hidetawa aus Tokio sein, der uns mit seinem Schiff zu Hilfe kommt«, antwortete Oriola.

Im Kommandostand beobachteten O'Neils und Watson dasselbe wie ihre Gäste im Passagierraum, und die Morsezeichen, die aus dem Kopfhörer tickten, verrieten Watson auch, was geschah.

»Hidetawa weiß ein Mittel, um uns zu retten«, gab er das Gehörte an O'Neils weiter. »Er preßt unsere Treibflächen durch den Strahldruck seiner Flächen zusammen. Es ist ihm gelungen, sie in Nullstellung zu bringen. Wir haben keine Beschleunigung mehr. Der Luftwiderstand muß unsere Fahrt allmählich abbremsen.«

Es währte geraume Zeit, bis von O'Neils eine Antwort kam. »Hidetawa hat unsere Treibflächen in die Nullstellung gedrückt . . . die Sperrung muß dabei eingeschnappt sein . . . Was wird weiter geschehen? Die Luft wird unsern Flug bremsen . . . immer tiefer werden wir dabei sinken . . . in immer dichtere Schichten unserer Atmosphäre stoßen . . ., Die Reibung wird übermächtig werden . . . wir sind verloren. Watson! Unser Strahlschiff wird aufglühen . . . schmelzen . . . zerstäuben. Wir werden alle verbrennen, bevor wir noch durch den Absturz zerschellen.«

Wieder herrschte ein drückendes Schweigen in dem Kommandostand. Nur allzusehr mußte Watson die Befürchtung O'Neils' als begründet anerkennen. Die Sperrung ihrer Treibfläche war in der Nullstellung eingeschnappt. Keine Möglichkeit bestand mehr, sie wieder auseinanderzubewegen und den tollen Flug durch den Strahldruck abzubremsen. Nur durch die Luftreibung würde die gewaltige, lebendige Kraft der Rakete vernichtet werden, die ein Ende des Strahlschiffes in wilder Glut unvermeidlich erscheinen ließ.

Schon hatten die beiden Männer das Empfinden, daß es im Kommandostand wärmer wurde. Ein Blick auf die Instrumente lehrte sie, daß ihre Maschine bereits beträchtlich gesunken war und im Begriff stand, nach unten zu stoßen. Unaufhaltsam schien das Verhängnis, von dem O'Neils' gesprochen hatte, seinen Lauf nehmen zu wollen.

Unablässig bearbeitete Watson die Morsetaste, funkte mit den Japanern, deren Schiff immer noch dicht neben ihnen dahinflog, und machte auf Ätherwellen all der Not und Bekümmernis Luft, die sein Herz bedrückte. Schaltete dann wieder auf Empfang, in der Hoffnung, von drüben Rat und Trost zu bekommen, und mußte zu seinem Schrecken vernehmen, daß Hidetawa mit seiner Kunst am Ende war. Von dieser selbsteingeschnappten Sperrung hatte der nichts gewußt, hatte die Absicht gehabt, die Flächen des amerikanischen Schiffes später in andere Stellung zu drücken, und mußte nun hören, daß diese Möglichkeit buchstäblich verriegelt war.

* * *

Auch in Gorla war jener erste SOS-Ruf Watsons aufgefangen worden, und in schneller Folge reihten sich daran aufregende Funksprüche aus Washington, während von dem amerikanischen Schiff keine Nachrichten mehr kamen.

»Man darf die Dinge nicht überstürzen«, sagte Dr. Thiessen zum Chefingenieur Grabbe. »O'Neils ist viel zu schnell vorgegangen. Nun wird er nach Dr. Lee das zweite Opfer einer verfehlten Entwicklung und reißt ein Dutzend anderer Menschen mit ins Verderben.«

»Opfer müssen gebracht werden«, meinte Grabbe.

»Aber keine unnötigen!« widersprach Dr. Thiessen. »Man kann langsam und sicher vorgehen.«

Die Unterhaltung fand in der großen Montagehalle der Abteilung Thiessen statt. Die Blicke des Chefingenieurs hafteten an den riesenhaften Bauteilen einer Strahlturbine, die dort im Entstehen begriffen war.

»Sie predigen, daß man langsam vorgehen soll, Kollege Thiessen«, sagte Grabbe, »aber Sie selber leben dieser Regel nicht nach. Kaum laufen die ersten dreißigtausendpferdigen Turbinen, und schon sind Sie beim Bau einer fünfzigtausendpferdigen. Da ist von einer Langsamkeit in der Entwicklung wenig zu spüren.«

»Langsam und sicher habe ich gesagt, Herr Grabbe«, verteidigte sich Thiessen. »Sicherheit ist das wichtigste. Einen Bruch der Steuerwelle hat es bei O'Neils gegeben. Wie ist das möglich? Wie kann das einem gewissenhaften Ingenieur passieren?«

Grabbe zuckte die Achseln. »Sie sehen doch, daß es passiert ist.«

»Weil man die Welle falsch berechnet . . . oder weil man einen ungeeigneten Werkstoff verwendet hat«, fiel ihm Thiessen ins Wort.

Chefingenieur Grabbe hatte eigentlich die Absicht, Dr. Hegemüller aufzusuchen, aber der Widerspruch Thiessens veranlaßte ihn, diesem seinen eigenen Standpunkt in längerer Gegenrede auseinanderzusetzen, und eine reichliche Stunde verstrich darüber, eine Stunde, die Dr. Hegemüller sehr zugute kam.

Nach dem Eintreffen jenes amerikanischen Notrufes war Hegemüller nicht mehr vom Empfänger fortgegangen. Gespannt verfolgte er die weiteren Nachrichten. Nur gelegentlich zum Telefon greifend, um Anweisungen in die Montagehalle seiner Abteilung zu geben. Auf seinen letzten Anruf hin kam sein Obermonteur Berger zu ihm ins Zimmer und erhielt einen Auftrag.

»Ja, Berger, die Amerikaner hat der Teufel geholt!« bemerkte Hegemüller nebenher zu ihm.

»Hat man noch etwas von ihnen gehört?« erkundigte sich der Monteur. »Nichts mehr, Berger. Kein Lebenszeichen mehr. Ihr Schiff treibt steuerlos im Raum.«

»Der Äther hat keine Balken, Herr Doktor«, meinte der Monteur Berger und kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. »Ein Glück, daß uns das nicht passiert ist!«

»Reden Sie keinen Unsinn, Mann!« herrschte ihn Hegemüller an und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Empfänger zu, aus dem Morsezeichen aufklangen. Sie kamen von dem amerikanischen Strahlschiff, das wieder Verbindung mit der Erde hatte. Dr. Hegemüller hörte die Verzweiflungsrufe Watsons, hörte, daß das Schicksal O'Neils und seiner Genossen unabwendbar besiegelt sei, wenn nicht noch in letzter Minute ein Wunder geschähe. Las weiter aus den Zeichen, die unaufhörlich aus dem Lautsprecher tickten, daß das amerikanische Schiff soeben den Kaspisee in achtzig Kilometer Höhe überquerte, erfuhr schließlich mit Schrecken, daß die Temperatur im Kommandoraum schon auf 35 Grad gestiegen sei, und beschloß blitzschnell, auf eigene Verantwortung zu handeln. Die Treibflächen von O'Neils Maschine waren blockiert. Nur mit mechanischen Mitteln konnte man das Schiff von außen her aus seiner gefährlichen Lage befreien. Seine eigene Maschine war startbereit. Er konnte sofort zu Hilfe eilen . . . aber würden seine Vorgesetzten damit einverstanden sein? Wie würden sich Professor Lüdinghausen und Chefingenieur Grabbe dazu stellen? Würden sie nicht hundert Bedenken äußern . . . ihm vielleicht den Start und die Hilfeleistung verbieten?

Wer viel fragt, bekommt viel Antwort, dachte Dr. Hegemüller, während er schon nach der Montagehalle eilte. Dort rief er seine Leute zusammen und erteilte Befehle, die bei manchen Kopfschütteln erregten. Was sollte es für einen Sinn haben, die schweren Stahltrossen, an denen man die Maschine während des Baues bisweilen aufgehängt hatte, wieder an ihr zu befestigen? Was konnte es weiter bedeuten, wenn man die Trossen an ihren freien Enden in große Schlaufen ausgehen ließ?

Die Werkleute wunderten sich darüber; doch sie waren gewohnt, die Anordnungen Hegemüllers strikt auszuführen, und das taten sie auch jetzt.

Kaum eine Viertelstunde hatten alle diese Vorbereitungen in Anspruch genommen; dann erhob sich das Strahlschiff, stieg auf und schoß davon.

Zehn Minuten später klopfte es an der Tür von Hegemüllers Zimmer, und Chefingenieur Grabbe trat ein. Er fand den Raum verlassen, dachte sich, daß Dr. Hegemüller wohl in der Montagehalle wäre, und ging dorthin. Und dann fühlte der Chefingenieur seine Knie schwach werden und mußte sich, überwältigt von dem, was er hier hörte, auf einen Schemel niederlassen. Ohne ihn, Grabbe, und ohne die Werkleitung zu fragen, war Hegemüller, dies ewige Sorgenkind, mit dem neuen Schiff einfach fortgeflogen, ohne ein Wort über seine Gründe und sein Ziel zu hinterlassen; hatte überdies auch noch sechs seiner besten Werkleute mitgenommen. Nur allmählich erfuhr Chefingenieur Grabbe von den Zurückgebliebenen etwas über die eigenartigen Anordnungen, die Hegemüller vor dem Start gegeben hatte, hörte von den schweren Trossen, die er außenbords mitgenommen, und wußte nun, daß der eigenwillige Doktor sich wieder einmal in ein tollkühnes Abenteuer gestürzt hatte.

* * *


 << zurück weiter >>